Herrscherin der Schatten - Markus Gerwinski - E-Book

Herrscherin der Schatten E-Book

Markus Gerwinski

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Beschreibung

Trotz aller Bemühungen von Gunid und Ragald ist es den Verrätern gelungen, die Feste Kaskur zu Fall zu bringen. Nun steht die Küste den Schiffen der Jattar offen, und auf dem Weg zum Quell der Schatten muss sich das junge Paar einmal mehr durch vom Feind besetztes Land kämpfen. Doch der Zauber selbst, der ihnen den Weg weist, stellt die Liebenden auf eine harte Probe. Es kommt zum offenen Bruch zwischen ihnen, und plötzlich sind sie auf getrennten Wegen unterwegs. Gunid aber weiß, dass Ragald ohne ihre Hilfe keinerlei Aussicht hat, den Quell der Schatten zu schließen oder auch nur lebend zu erreichen ...

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Für meine Eltern

Inhaltsverzeichnis

TEIL 1: Nebel und Eis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

TEIL 2: Die Inseln der Jattar

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

TEIL 3: Falkenflug

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

EPILOG

DANKSAGUNG

TEIL 1

Nebel und Eis

1

Fest hielt sie seine Hand, bis ihre bloßen Zehen einen Tritt im Mauerwerk ertastet hatten, eine Ritze zwischen zwei Steinen, kaum breit genug, um die Zehenspitzen hineinzustecken. Noch vor wenigen Wochen, so ging es ihr durch den Kopf, hätte sie diesen Abstieg zumindest als Herausforderung angesehen und sich von ihrem Liebsten mit einem Seil sichern lassen.

Heute ließ sie sich so selbstverständlich diese Wand hinab, wie sie als Kind mit ihm in Apfelbäumen umhergeklettert war, und wie damals, so dachte sie mit verkniffenem Lächeln, trieb sie eher die Sorge um, erwischt zu werden, als sich möglicherweise beim Sturz ein paar blaue Flecke zu holen. Der Brandgeruch, der die ganze Ruine erfüllte, wurde stärker, als ihr Liebster auf den Druck ihrer Finger hin ihre Hand losließ und sie flink wie eine Spinne den Rest der Mauer hinabstieg. Schon berührte ihr Fuß die Trümmer, die sich als Haufen vor dem Fuß der Wand türmten und den Raum, den sie abzusuchen gedachte, zur Hälfte ausfüllten. Ohne bewusst darüber nachzudenken, ließ sie die rußgeschwärzten Steine los und breitete die Arme aus, um bei den letzten Schritten das Geröll hinab das Gleichgewicht zu halten.

Sobald sie unten angelangt war, schaute sie zu ihm hinauf. Der Wind zauste seine schwarzen Locken und seine blauen Augen spähten wachsam über das zerstörte Mauergeviert hinweg in die Ferne. Unter dem vielfach geflickten, hellbraunen Waffenrock sah das Kettengeflecht seiner Rüstung hervor und die Nieten seiner Lederhandschuhe glänzten im grauen Licht des verhangenen Tages.

Auf den Steintrümmern, deren Kanten ihr schmerzhaft in die bloßen Fußsohlen drückten, huschten Hundertfüßler und Ohrenkneifer vor ihr zur Seite, als sie die einstmals große Halle durchquerte, auf die hölzernen Pulte zu, die der Einsturz verschont hatte. Der Brandgeruch nahm ihr beinahe den Atem und so schützte sie ihre Nase mit dem Zipfel ihres Ärmels. Es konnte nicht lange her gewesen sein, dass die Jattar dieses Kloster gebrandschatzt hatten. Bis vor drei Tagen wäre es vollkommen undenkbar gewesen, dass sie überhaupt in diesen Landstrich vorstießen.

Ein Windstoß ließ eine Aschewolke aufstieben, und Gunid unterdrückte ein Niesen, so wie sie ihre Angst und den bitteren Geschmack des Scheiterns niederhielt. Bis vor einer Stunde war ihnen zumindest noch die Hoffnung geblieben, die Krieger von jenseits des Meeres hätten sich von der Ungewissheit, was aus ihrem Spion in der Feste Kaskur geworden war, von einem Angriff abschrecken lassen. Auch wenn sie und Ragald – und Lennard, der auf dem Weg zum königlichen Feldlager hoffentlich schon weit vorangekommen war – es nicht geschafft hatten, das Gemetzel der Schattenbestien an den Verteidigern der Feste zu verhindern, so war es Ragald doch zumindest gelungen, Palder zu töten, ehe er den Jattar das vereinbarte Zeichen hatte zukommen lassen können. So war die Feste zumindest nicht noch in der Nacht gefallen.

Doch die fremden Krieger waren nicht dumm, sonst hätten sie dem Königreich nicht in den letzten Jahren schon so sehr zusetzen können. Ragald hatte gleich gesagt, auf Dauer könne ihnen nicht verborgen bleiben, dass aus dem Kriegshafen der Feste keine Schiffe mehr auf Patrouille ausliefen, und wahrscheinlich hatte er recht behalten. Auch wenn ihr adliger Geliebter noch nicht den Ritterschlag empfangen hatte, verfügte er doch bereits über die entsprechende Ausbildung und hatte ihr recht ausführlich darlegen können, auf welche Weise die Jattar wohl an der Küste landen würden, wie sie vorrücken würden, wann und wo sie beide mit Spähtrupps würden rechnen müssen und so weiter. Es hatte seine Worte in furchtbarer Weise bestätigt, als sie vorhin auf ihrem Weg nach Süden die rauchenden Trümmer der Abtei gesichtet hatten.

Gewiss standen Stadt und Feste Kaskur jetzt schon unter Belagerung, dachte Gunid fröstelnd und stieg mit gerafftem Kittel über einen halb verkohlten Balken hinweg, über dessen gesplittertes Holz die Kakerlaken hastig in Sicherheit huschten. Allzu bald würden die Jattar das letzte große Bollwerk des Königs hier im Süden beseitigt haben. Und dann, so hatte Ragald es ihr erklärt, stünde ihnen für die Landung weiterer Krieger die gesamte Küste offen.

Somit hing es nun an ihnen beiden, einem Edelknecht von siebzehn und einer hörigen Bauerstochter von neunzehn Jahren, das Königreich zu retten. Der Gedanke reizte Gunid zum Lachen, und er wurde dadurch nicht eben weniger absurd, dass sie nun zu diesem Zweck in den Trümmern dieses Klosters nach Papier, Tinte und Federkielen wühlte. Zumindest, so dachte sie, während sie Staub und Steine von der Platte eines der Pulte wischte, sollten sie an einem Ort, der Ligander geweiht gewesen war, mühelos finden, wonach sie suchten. Dass ausgerechnet ein Haus des Gottes der Gelehrsamkeit und des Feuers durch Feuer zerstört worden war, betrachtete sie lieber als eigenwilligen Scherz des Gottes, als allzu lange darüber nachzugrübeln, ob es sich dabei vielleicht um ein schlechtes Omen handelte. Der brenzlige Hauch, der überall um sie her in der Luft lag, biss ihr trocken in Nase und Rachen.

Sie fand einen Riegel am Rand der schrägen Tischplatte aus dunklem Buchenholz, ganz wie Ragald es ihr beschrieben hatte, und öffnete ihn. Als sie die Platte daraufhin am unteren Ende anhob, knirschte und quietschte sie ein wenig in den Scharnieren, ließ sich aber nach einem ersten, kräftigen Ruck ohne Schwierigkeiten hochklappen. In dem Fach darunter offenbarte sich ihr ein Stapel beschriebenen Papiers, der quer über einem Stapel frischer, weißer Blätter lag. Ein hölzerner Becher stand darauf, in dem hochkant neben einem ganzen Bündel Federkiele ein kleines Messer steckte, und daneben zwei Behälter aus Gusseisen und Zinn. Gunid wollte schon danach greifen, besann sich aber beim Anblick ihrer rußverschmierten Hände und wischte sie zuvor an ihrem Kittel ab, dessen Braun von der Klettertour her ohnehin schon von der Brust bis zum Bauch geschwärzt war. Erst danach langte sie in den Hohlraum des Pults hinein und nahm die drei Behälter heraus, um sie auf dem ebenen Brett abzustellen, das rechts an dem Pult befestigt und wohl auch genau dafür gedacht war. Zwischen den Kratzern häufiger Benutzung wies es Tintenflecken auf, die in der Form dem Umriss des eisernen Behälters entsprachen.

Sie war gerade damit zugange, vorsichtig den Stapel sauberer Blätter unter den beschriebenen hervorzuziehen, als in ihrer Nähe ein Stein auf das Geröll aufschlug. Sofort schaute sie in Ragalds Richtung, und seine Gestik trieb sie zu erhöhter Eile an. Mit der einen Hand deutete er in die Ebene hinaus, die andere hatte er sich vor die Stirn gelegt, die Finger nach oben gestreckt, in Nachahmung der Stirnplatten an den Helmen der Jattar.

Sie legte das Papier halb eingerollt in den Tuchbeutel, der ihr von der Schulter um den Leib hing, sodass es ihn auskleidete wie ein Innenfutter, in das sie den Becher mit Messer und Federkielen bettete. Das gusseiserne Fässchen und die Zinnbüchse nahm sie auf und hatte schon wieder halb den Hof durchquert, bis beides verstaut war. Ohne das Stechen der steinernen Kanten unter ihren Füßen zu beachten, lief sie über die Trümmer den Geröllhaufen hinauf und nutzte den Anlauf, um die Mauer regelrecht emporzurennen. Ihre Zehen stießen sich in den Ritzen ab, und sie kam gar nicht erst in die Verlegenheit, zum Klettern die Finger hinzuzunehmen, ehe auch schon Ragalds helfend herabgestreckte Hand die ihre ergriff. Mit einem Ruck beförderten ihr Schwung und seine Kraft sie zurück auf die verfallene Mauer.

Noch während sein kettengepanzerter Arm sich um sie legte, um sie vollends über die Kante hinaufzuziehen, warf sie einen Blick über die Schulter. Hinter der eingestürzten Außenmauer des Klosters breitete sich unter der tief hängenden Wolkendecke die Ebene aus, die sie seit dem Morgen durchquert hatten. Die ferne Linie, an der sonst Himmel und Erde zusammenzustoßen pflegten, verbarg sich hinter den feinen Schwaden der Herbstnebel, die wie ruhelose Geister über das Land dahintrieben. Am Rand eines der winterkahlen Gehölze aber, die das gelbbraune Grasland tupften wie die Flicken Ragalds Waffenrock, verriet eine Staubwolke einen Trupp von Reitern. Immer wieder blinkten im grauen Tageslicht die Stirnplatten ihrer Helme auf. „Jattar“, flüsterte Gunid.

Ragald nickte, ohne den Arm von ihren Schultern zu nehmen. „Sie sind schon zu nah, als dass wir noch ungesehen fliehen könnten“, stellte er ruhig, wenngleich angespannt, fest. Sie sparte sich die Frage, ob sie den Kriegern nicht einfach davonreiten konnten. Auch wenn sie sich seit ein paar Wochen an das Reisen auf dem Pferderücken gewöhnt hatte, war sie doch immer noch zu ungeübt, um eine Hetzjagd gegen erfahrene Reiter lange durchzuhalten.

„Wir könnten es darauf ankommen lassen“, schlug sie vor, „und ihnen unsere Amulette zeigen, wenn sie uns bemerken.“ Ihre Fingerspitze berührte die silberne Scheibe, die ihr von der Kette um den Hals hing. Trübe glitzerte das graue Tageslicht auf den eingeprägten drei Fischen, die einander im Kreis hinterherschwammen.

Ihr Liebster schüttelte den Kopf. „Dargon weiß, dass ihm zwei Amulette abhandengekommen sind. Möglicherweise hat er sogar schon von Maude eine Beschreibung, wie wir aussehen. Er wäre ein Narr, seine Schergen nicht darüber in Kenntnis zu setzen.“

„Also verstecken wir uns?“

Erneut nickte er, ohne die nahende Staubwolke aus den Augen zu lassen.

„Dann bleiben wir am besten hier.“ Sie streifte sich den Tuchbeutel von Hals und Schulter und reichte ihn ihrem Liebsten. „Wenn sie nicht gerade hierherwollen, ist diese Ruine das beste Versteck.“ Nachdem sie sich umgeschaut hatte, deutete sie auf einen dicken Pfeiler, an dem zwei Bögen rechtwinklig zusammenliefen, die Stützen zweier Gewölbe, von denen nach dem Brand nicht mehr viel stand. „Ich klettere da hinauf und gebe dir Zeichen, wohin du die Pferde in Deckung führst. Bring sie schon mal hinter die Säule.“

Sie wollte sich schon abwenden, doch mit einem Griff nach ihrer Schulter hielt er sie zurück. Für die Dauer eines Herzschlags schauten sie einander an, ein stummer, abschließender Austausch von Gedanken, bevor sie sich auf getrennten Plätzen einer Gefahr stellen würden, die sie sehr endgültig auseinanderreißen mochte. Kurz gestattete sie sich, sein Gesicht zu betrachten, die kantigen, jugendlichen Züge, die kaum verheilte Schwertnarbe auf seiner Wange, das tiefe Blau seiner Augen. Nach einem raschen Kuss, einer flüchtigen Berührung voller Wärme und Zärtlichkeit, begab sie sich ohne ein weiteres Wort an den Aufstieg, während er zu den Tieren hinübertrat. Auf eine Handbewegung und ein paar gemurmelte Worte von ihm beugte sich der bronzefarbene Greifvogel, der auf dem Sattel des fleckig braunen Streitrosses hockte, wachsam vor. Solange Lif diese Haltung einnahm, das wusste Gunid, gäbe er keinen Mucks von sich. Und was die Pferde betraf, so hatte Ragald sie schon in ganz anderen Situationen ruhig gehalten. Zwar konnte er ihnen auf die Schnelle nicht die Hufe umwickeln, doch dürfte der gesammelte Hufschlag des nahenden Reitertrupps laut genug sein, um den Schritt ihrer drei Pferde zu übertönen.

Sie selbst nahm zunächst das auffällige weiße Kopftuch ab, sodass ihr das braune Haar frei über die Schultern fiel, ehe sie sich für ihren Aufstieg ein Wandstück suchte, das von der Ebene aus nicht eingesehen werden konnte. Spinnen und Ohrenkneifer ergriffen vor ihren Händen die Flucht. Die grob behauenen Steine boten ihr jede Menge Tritte, und so gelangte sie ans obere Ende des Mauerbogens, noch bevor Ragald alle drei Pferde hinter den Pfeiler und das Wandstück geführt hatte. Vermutlich aber, so dachte sie, während sie mit Händen und Knien eine bequeme Position auf der rauen Kälte der rußgeschwärzten Steine suchte, sah sie jetzt aus, als hätte sie gerade einen Kamin gekehrt.

Die Staubwolke war nähergerückt, und mittlerweile konnte sie deutlich die einzelnen Reiter erkennen. Viele waren es nicht, vielleicht ein Dutzend Mann auf leichtfüßigen Zeltern, begleitet von der gleichen Menge an bulligen, kampfbereit gesattelten Streitrössern und ein paar Packpferden. Der Trott ihrer vielen Hufe und das Klimpern des Zaumzeugs tönten nun deutlich in der Stille der Ebene. Die Krieger achteten zwar aufmerksam auf ihre Umgebung, nicht aber, wie Gunid dankbar bemerkte, auf Spuren im Staub der Straße. Von der Lanze des Vordersten flatterte ein Wimpel mit Karos in Rot, Schwarz und Grün.

Sie gab Ragald einen Wink, und sofort führte er die drei Pferde einige Schritte weiter nach rechts, in den Sichtschutz des Pfeilers. Die Zügel des Braunen und des Falben, die seit Wochen aneinander gewöhnt waren, hielt er in der linken Hand, wogegen er die Fuchsstute, die sie erst bei ihrem Aufbruch aus Kaskur hinzubekommen hatten, mit rechts hinter sich her geleitete. Lif hockte nach wie vor auf dem Sattel des Braunen und spähte wachsam in die nähere Umgebung.

Seltsamerweise fühlte Gunid, während sie sich in den Schutz des Mauerrestes duckte, kaum Furcht vor den fremden Kriegern. Die Helme mit dem glockenförmigen Nackenschutz und den Stirnplatten, deren unterschiedliche Formen sie mittlerweile ausmachen konnte, verbreiteten seit Jahren im ganzen Königreich Angst und Schrecken. Die Jattar hatten sich einen Ruf als grimmige Kämpfer und grausame Plünderer erworben. Und doch, dachte Gunid, während sie Ragald einen sachten Wink gab, die Pferde wieder etwas nach links zu führen, hatte sie schlimmere Feinde kennengelernt, die sie deutlich mehr fürchtete. Die Verräter in den eigenen Reihen, Baron Kervan, Palder und schließlich die Dame Maude, hatten ihr und Ragald übler zugesetzt als alle Jattar. Und Maude, ging es ihr mit einem Schaudern durch den Kopf, lebte noch.

Dennoch taten sie gut daran, die Jattar nicht zu unterschätzen. Gunid erinnerte sich noch allzu gut an ihrer beider Begegnung mit der feindlichen Patrouille beim Feldlager. Sie gab Ragald einen weiteren Wink nach links und hob hastig die Hand, als er die Pferde beinahe zu weit um den Pfeiler herumgeführt hätte. Fünf Krieger hatten sie damals überwunden, doch hatten sie auch die Überraschung auf ihrer Seite gehabt. Sie wollte sich nicht darauf verlassen, dass ihnen solch ein toller Streich noch einmal gelänge.

Der Trupp befand sich nun genau unterhalb der Ruine, und unter dem Klappern der Hufe konnte Gunid nun auch gedämpfte Männerstimmen vernehmen. Hinter die Spitze des Pfeilers geduckt, nahm sie das Gewicht vom linken Knie und verlagerte es auf den anderen Mauerbogen, bevor sie langsam und vorsichtig den ganzen Körper nachzog. Einen endlosen Moment lang hing sie zwischen den beiden Bögen und erstarrte in dieser Haltung, als einer der feindlichen Krieger den Kopf hob und genau in ihre Richtung schaute. Die Stirnplatte seines Helms glich dem Abdruck einer Wolfstatze.

Er wandte das rotbärtige Gesicht wieder nach vorn, und Gunid erlaubte sich ein kurzes Aufatmen, bevor sie das ganze Gewicht nach links hinüberzog und hinter dem Rücken Ragald mit der rechten Hand bedeutete, die Pferde um den Pfeiler herumzubringen. Gemächlicher Hufschlag unter ihr verriet ihr, dass er ihre Zeichen befolgte. Mit einem hastigen Blick über die Schulter vergewisserte sie sich, dass er nicht zu weit wieder aus der Deckung herauskam.

Das Schlimmste hatten sie nun überstanden. Dennoch blieb Gunid oben und verfolgte den davonreitenden Trupp weiter mit den Blicken. Ihre Vorsicht zahlte sich aus. Mindestens zweimal konnte sie sehen, dass sich die hintersten Krieger des Zuges nach der Ruine umsahen.

Erst, sobald die Staubwolke der Reiter mit den Nebelschwaden zwischen dem grauen Himmel und der gelbbraunen Ebene verschmolzen war, und erst, nachdem sie noch einmal in die Runde gesichert hatte, dass keine weiteren Trupps sich näherten, kletterte sie den Mauerbogen wieder hinunter, um mit ihrem Liebsten in einer erleichterten Umarmung zu versinken. Er drückte sie fest an sich, ohne sich um den Ruß zu kümmern, mit dem sie seinen Waffenrock beschmierte. Von der überstandenen Gefahr hämmerte ihr das Herz bis zum Hals.

Sie hätten nicht nur Tinte und Feder mitnehmen sollen, ging es ihr verdrießlich durch den Kopf, sondern gleich das ganze Pult dazu, dann hätten sie jetzt wenigstens trockenes Feuerholz. Die losen Zweige, die sie aus dem Kieferndickicht rund um ihren Lagerplatz klaubte, waren vollgesogen von der Witterung der letzten Tage. Gunid würde sie schon zum Brennen bringen können, doch dann würden sie qualmen, als hätte sie einen Heuhaufen angezündet.

Sie dankte nur der großen Göttin Vesas, dass sie zum Abend hin dichte Nebel über das Land gebreitet hatte, in denen niemand den Rauch bemerken würde. Lif schaute schnatternd von seinem Fleischstreifen auf, als sie mit ihrer Armvoll Reisig an ihm vorbeitrat und über den kahlen Ast hinwegstieg, der stark genug war und zugleich niedrig genug über dem moosigen Boden hing, um Ragald und ihr als Sitzgelegenheit zu dienen. Ihr Gefährte hatte bereits das Feuerzeug vor sich ausgebreitet und saß mit der offenen Heubüchse da, um ein Feuernest zu flechten. Gunid fragte sich nicht lange, wo die erste Ladung Holz geblieben war, die sie angebracht hatte, sondern ließ nur ihre frischen Reiser fallen und hockte sich vor die Feuergrube. Es trug ihr einen gekränkten Blick von ihrem Liebsten ein, als sie kopfschüttelnd begann, wieder Zweige aus dem Loch herauszuholen. Wie gewohnt, war er mit dem Brennstoff viel zu großzügig gewesen.

Seufzend verschloss er die Heubüchse wieder und langte nach der Zunderbüchse. „Meinst du, wir können es heute Abend noch angehen?“

„Was angehen?“ Sie nahm noch eine Handvoll Zweige aus der Grube und warf sie auf den Haufen daneben. Das Gesicht hielt sie gesenkt. Sie wusste genau, was er meinte.

„Die Karte.“ Knirschend öffnete sich der Deckel, und er fischte einen der schmutzig weißen Zunderstreifen aus der Büchse. „Meinst du, du hast dich weit genug erholt, um sie noch einmal sichtbar zu machen?“

Unter ihrem Gewicht knarzte der Ast, als sie sich neben ihm niederließ. Sie fühlte Stoff unter der Hand, mit der sie sich abgestützt hatte, und als sie hinuntersah und das braune Tuch erblickte, das ihm vom Gürtel hing, kräuselte für einen Moment ein verträumtes Lächeln ihre Lippen. Er hatte ihr Pfand seit dem Augenblick, in dem sie es ihm gegeben hatte, jeden Tag bei sich getragen.

Gern hätte sie sich gegen ihn gelehnt, doch er trug immer noch die Rüstung, und sie hatte kein Verlangen nach der Berührung von Metall. Selbst wenn sie ihr Knie gegen seines riebe, hätte sie nur die Nieten auf seinem ledernen Beinschutz gefühlt. So griff sie nach einem der frisch gesammelten, feuchten Zweige und begann, mit den Fingernägeln die Rinde abzuschälen. In der Nähe schnaubte eines der Pferde.

„Ich würde gern noch etwas damit warten“, gab sie schließlich zögernd zu. „Ich meine, wissen wir denn nicht genug, um erst einmal unseren Weg zu finden?“

Er hatte sie die ganze Zeit erwartungsvoll angesehen und erwachte erst jetzt aus seiner Starre, um einen Fetzen von dem Zunderstreifen abzureißen. „Wir wissen, dass der Ort südlich des Akkaral liegt“, stellte er fest und verschloss die Büchse wieder. „Und zwar draußen im Meer. Aber das ist es auch schon. Ich habe die Karte einfach zu kurz gesehen.“ Seine Hände nahmen den Feuerstein auf, und sein Daumen drückte den Zunderfetzen gegen eine Kante. „Wir können natürlich zunächst einmal irgendeinen Hafen im Süden aufsuchen und dann erst nachsehen, wohin wir eigentlich in See stechen müssen. Aber das kann uns Zeit kosten.“ Ernst sah er sie an. Zeit, die das Königreich nicht hatte, vollendeten seine blauen Augen stumm den Satz.

„Aber bis wir den Akkaral überquert haben, gibt es doch sowieso keine andere Richtung, in die wir uns wenden können“, beharrte sie, den Blick verbissen auf ihre Finger gesenkt, die mit ärgerlichen Rucken die Zweige von der feuchten Rinde befreiten.

Einen Augenblick lang schaute er ihr noch dabei zu, bevor er achselzuckend den Stahl aufnahm, um ihn gegen den Feuerstein zu schlagen. „Du hast sicherlich recht“, meinte er zögernd. „Für den Moment tut es noch keine Eile. Für den Moment wissen wir genug.“ Endlich sprang ein Funke auf den Zunder, und er legte Feuerstein und Stahl beiseite, um das Feuernest aufzunehmen. „Mir wäre nur wohler, wenn wir bereits wüssten …“

Er brach ab. Sie hielt im Schälen des nächsten Zweiges inne und wandte sich ihm zu. „Wenn wir was bereits wüssten?“

Das Feuernest ersparte es ihm, sofort antworten zu müssen. Sachte blies er hinein und knetete es mit den Fingern, und erst, als er sich von dem Ast auf die Knie niederließ, um das brennende Heubündel in die Feuergrube zu legen, gab er zurück: „Wenn wir bereits wüssten, wohin wir eigentlich gehen müssen.“

Das war nicht, was er ursprünglich hatte sagen wollen, und sie fühlte es. Ihr fiel es nicht schwer, zu erraten, was er stattdessen gemeint hatte. „Und wenn wir bereits wüssten, dass ich dort auch eindringen kann“, meinte sie schroff. „Ist es das?“

„Nein, nein“, gab er zurück, ein wenig zu schnell, ein wenig zu beschwichtigend. „Das wissen wir bereits.“

„Aber es macht dir Sorgen.“ Wut keimte in ihr auf, so wie das Feuer in der Grube allmählich zu rauchen begann. Ob sie in der Lage war, den Quell der Schatten zu betreten und Dargon aufzuhalten, machte ihm mehr Sorgen als die Frage, was aus ihnen wurde, wenn sie erst heimkehrten und er wieder seiner Braut gegenüberstand. „Du traust mir nicht zu, dass ich diesen – diesen Zauber wieder hinbekomme, nicht wahr?“

„Gunid, wenn du sicher bist, dass du –“ Mit einem Wutschnauben warf sie die restlichen Reiser beiseite, und hinter ihr erscholl ein erschrockenes Kreischen von Lif. „Hol die Karte“, raunzte sie.

„Liebste, bitte!“ Von den Pferden her tönten Wiehern und unruhiges Stampfen. „Ich habe doch mitbekommen, wie sehr dich dieser Zauber mitnimmt –“

„Hol die verfluchte Karte! Sie ist jetzt schon deutlich wie ihre große Schwester im Turm des Xagadeos, verlass dich drauf!“

Sein Blick ging an ihr vorbei, und sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, worauf er gerade schaute. „Ein einfaches Ja oder Nein hätte mir genügt“, murmelte er ihr grimmig zu, als er über den Ast hinwegstieg. Sie beachtete ihn nicht weiter und widmete ihre ganze Aufmerksamkeit der Erinnerung an seine Braut, die zierliche, goldhaarige Witlinde, die Tochter des Barons zu Havegard, deren Liebreiz das ganze Lehen seines Vaters verzaubert hatte …

Sie hörte Ragald hinter ihrem Rücken in den Rucksäcken kramen, bevor er mit einem erneuten Schritt über den Ast zu ihr zurückkehrte und sich neben ihr niederließ. Zu ihrer Verwunderung hielt er mit der einen Hand seinen Schild, den schmucklosen Dreiecksschild, auf dessen Vorderseite die ursprüngliche braune Farbe mittlerweile ein Muster aus kreuz und quer verlaufenden Schrammen aufwies. Von der anderen Hand hing ihm der Tuchbeutel, in dem Gunid in der Ruine des Klosters ihre Beute verstaut hatte. Aus dem Lederrohr jedoch, das er sich unter den Arm geklemmt hatte, sprudelten schwebende Blasen, die von innen heraus in blauem, gelbem und grünem Mondlicht zu strahlen schienen. „Was willst du mit dem Schild?“, fragte sie ihn verdutzt.

Mit der Wölbung nach unten legte er sich die Waffe quer über den Schoss und platzierte den Tuchbeutel auf dem Lederpolster zwischen den Schlaufen für Hand und Arm. „Ich brauche eine Unterlage“, antwortete er. „Oder hast du gedacht, ich halte das Papier einfach in die Luft, um darauf zu zeichnen?“

„Woher soll ich denn wissen, wie so was geht?“, gab sie verschnupft zurück. „Kann ich vielleicht schreiben?“

„Ich etwa?“, stöhnte Ragald und fingerte die Karte aus dem Lederrohr hervor. Irrlichter in Blau, Braun und silbrigem Grau umschwirrten das Pergament. „Es würde uns eine Menge Ärger ersparen“, murmelte er, während er es entrollte, „wenn Lennard jetzt hier wäre. Ihm würde vermutlich ein Blick auf die Beschriftungen genügen, um zu wissen, wo wir hin müssen.“

Schatten in verschiedenen Farben huschten über das leere Schriftstück, und die Lichtblasen tanzten darüber hinweg und umspielten die riesige, rötlich braune Feder, die mit in der Rolle gelegen hatte. Ragald steckte sie behutsam zurück in den ledernen Behälter. Gunid hatte sich mittlerweile an den Gedanken gewöhnt, dass diese Feder von Lif stammte, obwohl sie länger war als der ganze Vogel – oder zumindest länger, als er es in dieser Welt zu sein pflegte. Im Labyrinth des Xagadeos hatte sie noch deutlich seltsamere Dinge erlebt. Riesige Ameisen etwa, denen sie die Dame Witlinde zum Fraß vorgeworfen hatte.

Die Erinnerung daran ließ sie erschaudern, und das mindestens ebenso sehr vor Schuld und Scham wie vor Grauen. Es war ein Trugbild gewesen, sagte sie sich innerlich, nur ein Trugbild, und doch konnte sie die Genugtuung, die der Gedanke an ihre Tat in ihr auslöste, nicht verleugnen. Und wie ein Echo ihrer Gefühle schoss aus dem Schriftstück ein weiterer Schwall bunter Blasen, vor dem Ragald zurückzuckte, ehe sie vergingen und ein schlichtes, wenn auch ausgesprochen kunstvoll gemaltes Bild auf dem Pergament zurückblieb. Es war vollbracht, dachte Gunid grollend, ihr Hass auf die Frau, die ihr Ragald streitig machte, offenbarte ihnen einmal mehr den Weg.

„Wie auch immer du das machst“, kam es bewundernd von Ragald, „du hast es jetzt offensichtlich im Griff.“

„Brauchst du lange?“, schnappte Gunid. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihn wieder mit seiner Braut tanzen, hörte ihn glücklich lachen, während er mit dieser goldblonden, weiß und silber gewandeten Erscheinung über die Wiese unterhalb der Burg Adolar wirbelte, dass neben ihrer Anmut der Frühling selbst verblasste.

„Ich hoffe, nicht.“ Eifer hatte seine Stimme ergriffen, und er kramte das Tintenfass, einen Federkiel und einen Bogen Papier aus dem Tuchbeutel. „Wir brauchen ja nicht die ganze Karte abzuzeichnen“, sprach er, während er das Papier in die Rundung seines Schildes bettete und glatt strich. „Ein paar Einzelheiten aus der Umgebung des Quells der Schatten müssten genügen …“ Seine letzten Worte gerieten zu einem abwesenden Murmeln, nachdem er das Tintenfass aufgeschraubt hatte und den Federkiel hineintauchte. Von widerwilliger Neugier gepackt, beugte sich Gunid näher an ihren Liebsten heran.

Im selben Moment, in dem die Federspitze das Papier berührte, zerplatzte der Tintentropfen daran zu einem großen, schwarzen Klecks. Über die belämmerte Miene ihres Liebsten musste Gunid schmunzeln. Einen Augenblick lang ließ ihr Ärger auf ihn und seine ferne Braut nach, und die Karte auf dem Pergament begann zu verschwimmen.

Ragald ließ sich davon nicht beirren, sondern tauchte nur den Kiel erneut in die Tinte und strich ihn diesmal am Hals des Fässchens ab, ehe er ihn wieder dem Blatt näherte. Kurzzeitig glaubte Gunid, er habe damit Erfolg gehabt. Ein triumphierendes Lächeln verzog seine Mundwinkel.

Doch außer, dass er mit einem Kratzen, das ihr über die Ohren direkt ins Zahnfleisch fuhr, die Feder über das Papier zog, tat sich nichts. Keine Linie erschien, und als er kräftiger drückte, nieselte die Tinte nur in einem Regen winziger Tröpfchen auf das weiße Blatt. Gunid kicherte, während ihr Liebster ein Stöhnen ausstieß. Über der Karte, die zusehends verblasste, stiegen wieder die ersten farbigen Lichtblasen auf.

„Komm schon“, feuerte er sich selbst an und tauchte den Kiel ein weiteres Mal in das gusseiserne Fass. Vorsichtig strich er das Schreibgerät ab und näherte es wieder dem Papier, doch mehr als eine Reihe von kleineren Tintenklecksen brachte er nicht zustande. Über dem Pergament schwirrte inzwischen wieder ein so dichter Schwarm bunter Irrlichter, dass die Karte kaum noch zu erkennen war. Halb belustigt, halb mitfühlend musterte Gunid ihren frustrierten Geliebten, der mit einem Stöhnen den Federkiel sinken ließ: „Bei Witlinde sieht das immer so leicht aus.“

Als habe jemand einen Deckel darübergeschlagen, schoss die Wolke der leuchtenden Blasen zurück ins Pergament.

In dem Schub kochender Wut, den Ragalds beiläufiger Ausdruck von Bewunderung für seine Braut durch jede einzelne von Gunids Adern jagte, bemerkte sie kaum noch, dass die Karte wieder so aussah, als sei sie nichts anderes als ein von Menschenhand gefertigtes Bild. Er gab noch weitere Bemerkungen von sich, die aber in dem Rauschen in ihren Ohren untergingen. Ihre geballten Fäuste knüllten den Stoff ihres immer noch rußverschmierten Kittels. Jeder klare Gedanke ertrank in Hass, brennendem Hass auf die kluge, gebildete, vornehme, schöne Edeldame, der sie nun unter ihren geschlossenen Augenlidern wieder dabei zusah, wie sie mit kunstfertiger Hand den Reisebrief für eine bedeutungslose Hörige verfasste, um sie auf die Suche nach ihrem vermissten Bräutigam auszuschicken. Sie sprang auf.

„Gunid?“

Sie tat ein paar Schritte, fort von ihm, fort von der Feuergrube, aus der es inzwischen nur so qualmte und loderte. Die geballten Fäuste hielt sie an den ausgestreckten Armen nieder. Am ganzen Leibe zitternd, atmete sie tief durch, ein und aus, ein und aus, um ihren Zorn wieder in den Griff zu bekommen. Hinter sich hörte sie den Schild mit allem, was darauf lag, zu Boden poltern, und zwei hastige Schritte raschelten durch das Gras.

„Gunid, bist du in Ordnung?“ Seine Hand legte sich auf ihre Schulter. Brüsk entzog sie sie ihm und tat noch einen Schritt nach vorn.

„Nicht jetzt.“ Es kostete sie alles an Beherrschung, das sie aufbringen konnte, ihn nicht wütend anzufahren. „Lass mich – lass mich im Moment einfach in Ruhe, ja?“

„Gunid, bitte –“

Sie fuhr zu ihm herum. Vor ihrem Blick verhielt er im Schritt, als sei er vor eine Wand gelaufen. In verständnislosem Erschrecken starrte er ihr ins Gesicht.

„Gib mir einen Moment“, presste sie an dem Kloß in ihrer Kehle vorbei und wirbelte herum, um sich am anderen Ende des Lagers das huldvolle Lächeln der Dame Witlinde aus dem Kopf zu vertreiben.

Wie immer tat es ihr gut, den seelischen Schmerz mit körperlicher Arbeit zu betäuben. Den kleinen Kupferkessel zu dem Bach zu bringen, der unter dem Kieferndickicht dahinplätscherte, und ihn gefüllt wieder zurückzuschleppen, besänftigte sie. Ruhe legte sich über ihren Geist wie die Nacht über die Nebel, die das Lager umwehten. Witlinde war weit weg, sagte sie sich, und diese Momente in ihren Erinnerungen waren lange her, ein halbes Jahr und ein halbes Leben. Sie schaute den schlichten, bronzenen Ring an, der ihre rechte Hand zierte, und betastete das Metall mit dem Daumennagel. So vieles hatten Ragald und sie zusammen erlebt, so viel Zärtlichkeit miteinander geteilt. Es gab keinen Zweifel daran, dass er sie liebte, wie sie ihn.

„Mein Großer?“, sprach sie ihn an, als sie den Kessel neben der Feuergrube abstellte, in deren flackerndem Schein er nach wie vor auf dem Ast saß, jetzt nur noch im gepolsterten Unterzeug der Rüstung. Der Waffenrock lag als unordentlicher Haufen neben ihm am Boden, der Gürtel mitsamt dem braunen Tuch in die Falten hineingeringelt, und das Kettenhemd hielt er auf den Knien, um es einzufetten. Fragend schaute er zu ihr auf, und seine verschlossene Miene versetzte ihr einen Stich.

Der Augenblick verging so schnell, wie er gekommen war. „Geht es dir besser?“, fragte er sie. Nur ein kaum hörbarer, verstimmter Beiklang trübte die sanfte Besorgnis seiner Stimme. An der Hand, mit der er die Wurzelbürste hielt, glänzte matt rötlich im Schein der Flammen das Gegenstück zu ihrem Ring.

Sie biss sich auf die Lippe und nickte, während sie nach dem Dreibein griff, das zusammengebunden bei der Feuergrube lag. „Ja“, sagte sie, ohne ihn anzusehen. Als sie ihm endlich doch den Blick entgegenhob, stieß sie hervor: „Es tut mir leid.“

Er rang sich ein Lächeln ab. „Schon gut.“ Sein Blick und die Hand mit der Bürste senkten sich wieder auf den Topf mit dem Schmierfett. Der Schein des Lagerfeuers hob die Narbe auf seiner Wange rot hervor. „Es ist sehr unangenehm, die Karte zu beschwören, nicht wahr?“

Sie nickte nur, den Blick auf ihre Hände gesenkt, die das Dreibein von der Verschnürung befreiten und es über der Feuergrube aufstellten.

„Wie fühlt es sich an?“

Einen Herzschlag lang hielt sie inne, ehe sie nach dem Kessel griff, um ihn über das Feuer zu hängen. Die Erinnerung an Witlindes blasse Hand in seiner gebräunten berührte den Rand ihres Geistes. „Unangenehm“, antwortete sie, ohne ihn anzusehen. „Bitte frag nicht.“

Sie hörte das Kettenhemd rasseln und den Ast knarzen, und einen Moment später war er neben ihr auf ein Knie gesunken und hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt. Witlinde verflüchtigte sich, trieb in die Dunkelheit davon wie die Nebelschwaden, die das Lager umspielten. „Ich möchte für dich da sein.“ Die Wärme seiner Worte in ihrem Ohr jagte einen wohligen Schauder ihren Nacken hinab. „Wenn dich etwas quält, möchte ich wissen, wie ich dir helfen kann.“

Sein Arm verhieß Geborgenheit, seine Hand streichelte ihre Schulter. Es tat wohl, unendlich wohl, wenn er ihr so nahe war. Sie gehörten zusammen, hämmerte die Stimme ihres Herzens, mit ihm konnte sie über alles reden, ihm alles anvertrauen.

Doch eine andere, hämische Stimme aus ihrem Inneren verschloss ihr die Lippen. Gewiss, höhnte sie, sag ihm alles. Erzähl ihm von deinem kindischen Traum, eine Hörige könne einen Edlen heiraten, und dann sieh ihm dabei zu, wie er versucht, nicht laut loszulachen! Erzähl ihm von deinen Mordgelüsten gegen seine Braut, um die er so besorgt ist, dass er seinem besten Freund ihren Schutz anvertraut hat! Stell ihn vor die Wahl, sie oder du, dann hör dir an, wie er sich für sie entscheidet!

Schutzsuchend schmiegte sie sich gegen ihn, und für einen Moment umfing er sie mit beiden Armen, wiegte sie hin und her, murmelte Worte des Trostes. „Halt mich!“ Sie krallte die Finger in das dicke, wattierte Unterzeug, durch das sie immer noch so wenig von ihm fühlte. „Bitte halt mich!“

Noch enger schloss er die Umarmung, und für die Dauer eines langen, glühenden Kusses war die Welt in Ordnung.

Langsam hob sie die Lider, als sie die Lippen wieder voneinander lösten, und versank im tiefen Blau seiner Augen. Auf seinen Wangen wie in ihrem Herzen spielte warmer Feuerschein. „Halt mich heute Nacht“, flüsterte sie.

Seine Brauen zuckten erstaunt in die Höhe. Seine Augen wurden traurig, seine Lippen hart. „Ich täte nichts lieber“, seufzte er zurück. „Aber einer von uns muss wachen.“

„Ich brauche dich“, flehte sie mit bebender Stimme, doch schon löste sich einer seiner Arme von ihr und deutete ins neblige Dunkel hinaus. „Maude ist da draußen“, erinnerte er sie grimmig. „Und sie hat Jarek dabei.“

Aus der Enttäuschung in ihrer Kehle wurde Groll. „Wir sind hier gut versteckt“, beharrte sie, die Fäuste vor seine gepolsterte Brust gepresst.

Er schüttelte nur den Kopf. „Das sind wir bestimmt, meine Wölfin.“ Eindringlich sah er ihr in die Augen. „Aber solange auch nur die leiseste Gefahr besteht, dass sie uns hier aufspüren, dürfen wir nicht beide zugleich hilflos sein.“

Ihre Schultern sackten herab, und sie wandte das Gesicht von ihm. „Schön.“

„Gunid, Liebste, ich habe Jarek Dinge tun sehen, gerade mit Frauen –“

„Du hast ja recht!“, fuhr sie auf und atmete tief durch, bevor sie seine Schultern wieder umfasste und sich gegen ihn sinken ließ. „Du hast ja recht.“ Beim zweiten Mal meinte sie es so.

Eine Zeit lang blieben sie nur schweigend sitzen, eng umschlungen, umweht von Dunkelheit und Nebeln, die die Geheimnisse der Vesas bargen, so wie sie ihre Ängste vor ihrem Liebsten verbarg. Den Kopf in seine Halsbeuge gebettet, schaute sie zu Lif hinüber, der auf seinem Ast den Kopf unter den Flügel gesteckt hatte und schlief.

Das Blubbern des Kessels hinter ihr rief sie beide zurück in die Zeit. „Was gibt es gleich eigentlich Leckeres?“, fragte Ragald.

Sie stutzte, schnob ein Kichern durch die Nase und hob ihm das Gesicht entgegen. „Gekochten Kittel“, antwortete sie. „Er ist voller Ruß. Und deinen Waffenrock wollte ich auch gleich waschen. Tut mir leid, mein Großer, für heute Abend werden wir uns mit Zwieback und Hartwurst bescheiden müssen.“

Die Luft entwich ihr in einem erleichterten Seufzer, als ihr sein Lachen in den Ohren tönte. Es war alles in Ordnung, sagte sie sich. Zwischen ihnen war alles in Ordnung.

„Liebster?“, sprach sie ihn an, als sie sich den Kittel über den Kopf gezogen hatte und im Hemd vor dem Kessel kniete, während er sich zurück auf den Ast gesetzt hatte und das Kettenhemd wieder aufnahm. Fragend, die Bürste in der Hand, schaute er sie an.

Sie schluckte. „Sieh bitte zu, dass du mit der Schreibfeder umgehen kannst, bevor ich das nächste Mal die Karte beschwören soll.“

Er verzog die Lippen zu einem etwas verkniffenen Lächeln und nickte, bevor er sich aufs Neue der Pflege seiner Rüstung widmete. Lif regte sich im Schlaf und steckte den Kopf unter den anderen Flügel. Um das Lager wallten die Schleier der Vesas durch die Nacht.

2

„Die Inseln der Jattar?“

Laut platzte sie so heraus, ein ungläubiges Echo von Ragalds Worten, während der Trott ihrer Pferde sie weiter durch den Nebel trug, in die Hügel hinauf, dem gedämpften Krächzen einiger Krähen entgegen. „Es ergibt Sinn, denkst du nicht?“ Seine behandschuhte Hand lag locker um die Zügel der Fuchsstute, während er das Tier allein mit Knien und Schenkeln trieb, über den Baumstamm auf dem Reitweg hinwegzusteigen. „Wahrscheinlich hat sich Dargon nur deshalb überhaupt mit den Jattar zusammengetan. Weil sich dort der Quell der Schatten für ihn aufgetan hat.“

Gunid ihrerseits kam nicht umhin, die Hände zu Hilfe zu nehmen, um dem Falben, der schon dazu ansetzte, dem Hindernis in weitem Bogen über die Wiese auszuweichen, mit Zug am Zaumzeug zu bedeuten, auf dem Weg zu bleiben. Da sie dafür den Saum ihres Umhangs loslassen musste, klaffte die dunkelgraue Wolle auf und ließ einen Schwall feuchter Kühle herein. Lif auf ihrem behandschuhten Arm schaute neugierig hinaus und ließ einen überraschten Kehllaut hören, als sie den dicken Wollstoff wieder um sich und ihn zusammenzog.

„Und du bist dir ganz sicher?“, hakte sie noch einmal nach. Zusammen mit dem Begreifen machte sich langsam ein mulmiges Gefühl in ihrer Magengrube bBreit.

„Ich habe gestern etwas genauer hinsehen können als beim ersten Mal“, erwiderte er. „Ich erinnere mich von Xagadeos’ Karten her an die Umrisse der Hauptinseln. Das Zeichen der drei Fische lag inmitten der Inseln der Jattar.“

Weit vor ihnen schimmerten Lichter durch das trübe Grau, das über dem winterwelken Weideland hing und alles, was weiter als ein paar Dutzend Schritt entfernt lag, vor ihren Blicken verbarg. Seitdem sie am Morgen ihr Lager abgebrochen hatten, war das Gelände mit jedem Schritt nach Süden stetig angestiegen, bis es schließlich ins Auf und Ab einer von Flussläufen zerfurchten Hügellandschaft übergegangen war. Vereinzelte Gehöfte, deren Bewohner trotz der Bedrohung durch die Jattar in ihren Katen ausharrten, waren aus dem Schweigen des Nebels aufgetaucht und wieder hinter ihnen verschwunden. Gerade erst erhob sich vor ihnen wieder das Blöken von Schafen über die Rufe der Krähen, und aus den Schleiern schälte sich ein einsamer, vierschrötiger Schatten mit einem Hirtenstab.

Gunid beachtete ihn kaum. Die Inseln der Jattar, hallte es immer noch in ihrem Kopf wider, und ein wenig kam sie sich lächerlich dabei vor, dass diese Enthüllung ihr noch Angst einjagen konnte. Immerhin war der Ort, den sie dort aufzusuchen gedachten, die Heimstatt einer Dämonenhorde. Doch gegen die Dämonen war sie gefeit, kribbelte es ihr im Hinterkopf, gegen eine Meute rotbärtiger Krieger nicht. „Und was werden wir machen?“

Als sie an dem Schäfer vorüberritten, der seine Tiere an einer Seite des Weges zusammentrieb, hob Ragald die Hand zum Gruß. Aus einem wettergegerbten Gesicht, dessen eines Auge pupillenlos und blind war, kam lediglich ein grimmiger, misstrauischer Blick zurück. Vom Gürtel des zerlumpten Mannes hing in einer Scheide ein Kurzschwert.

„Sobald wir den Akkaral hinter uns haben“, nahm ihr Liebster seine Erklärungen wieder auf, „reiten wir erst einmal nach Madagossa. Es heißt, die Jattar nutzen den Hafen nun für ihre eigenen Zwecke.“

„Und sie werden uns sicher mitnehmen, wenn wir nur lieb genug fragen.“ Die schnippische Erwiderung schlüpfte ihr mit einem verkrampften kleinen Lachen über die Lippen.

„Ich hoffe, das bleibt uns erspart“, erwiderte ihr Liebster mit einem Augenrollen. „Ich hatte nicht vor, als Sklave dort anzukommen. Nein, ich meinte eigentlich, wo die Jattar mit ihren Schiffen anlegen, da legen auch Kauffahrer an, die mit ihnen Handel treiben. Mit etwas Glück müssten wir bei einem von ihnen eine Passage ergattern.“

Gunid schluckte die Frage herunter, was denn eine »Passage« sei, um sich hastig vor dem halben Dutzend gefiederter Schatten zu ducken, die ihnen aus dem grauen Nichts entgegenkamen. Lif, der gerade wieder den Schnabel zwischen den Säumen ihres Umhangs hervorgestreckt hatte, stieß ein herausforderndes Kreischen aus, als die Krähen dicht über ihnen vorbeiflatterten. Zusammen mit den Flüchen einer rauen Frauenstimme flog den Aasvögeln ein Stein hinterher und verfehlte Ragald nur knapp.

Die schemenhaften Lichter hatten sich zu den Flammen einer Handvoll Fackeln verfestigt, die am Wegesrand in der aufgeweichten Ackerkrume steckten, verstreut zwischen einigen dicht beisammenstehenden Bauernkaten. Vermutlich, so dachte Gunid, hatten die Bauern sie für ihre Knechte und Mägde draußen auf den Viehweiden angezündet, damit diese auch im Nebel den Rückweg zu den Häusern fanden. Sie hatte selbst schon die Erfahrung gemacht, wie leicht man sich in noch so vertrautem Gelände verirren konnte, wenn die Schleier der Vesas über dem Land lagen.

Eines der Lichter allerdings bewegte sich und stellte sich bald als Laterne in der Hand einer Gestalt heraus, die mitten auf dem Weg stand und für Gunid auf den ersten Blick wie ein Waffenknecht aussah. Selbst, nachdem sie nah genug heran waren, um mehr zu erkennen als einen stämmigen Schatten mit Spieß und Eisenhut, ließen der weite Umhang und der bis zur Nase hinaufgewickelte Schal kaum etwas von Körper und Gesicht darunter ahnen. Erst, als sie die Erwiderung auf Ragalds Gruß hörte, mit dem sie vorbeireiten wollten, erkannte Gunid am Klang der Stimme, dass sie es mit einer Frau zu tun hatten. „Wohin des Weges?“

„Zum nächsten Pass über den Akkaral“, gab der junge Edle zurück. Zwei stechend grüne Augen schauten zwischen ihnen beiden hin und her. Die Frau, schätzte Gunid, musste etwa so alt sein wie ihre Mutter, und Mitgefühl machte sich in der Hörigen breit. Auch dieses Dorf hatte wohl schon alle wehrfähigen Männer an den Krieg verloren, sodass es den Frauen oblag, sich allein ihrer Haut zu wehren.

Eine abgearbeitete, von Hornhaut überzogene Hand streckte ihnen die Laterne entgegen, und die stechenden Augen verengten sich zu Schlitzen. „Woher kommt ihr?“

„Kaskur.“ Ragald holte Luft, um noch mehr zu sagen, doch in diesem Moment schwenkte die Laterne zu Gunid herum. Geblendet hob sich die Hörige eine Hand vor die Augen, sodass der Umhang aufklaffte und Lif auf ihrem Arm ein unwilliges Schnattern ausstieß.

Während sie noch die grellen Flecken vor den Augen fortblinzelte, bemerkte sie überrascht, wie sich die grünen Augen weiteten. Die Bäuerin stolperte einen Schritt rückwärts, schaute noch einmal von ihr zu Ragald und wieder zurück und holte tief Luft. „Das sind sie!“

Gunid fuhr herum. Um sie her wurden Schritte laut, hinter den Hütten wie auch weiter draußen im Nebel. „Hierher!“, schrie die Frau und schwenkte den Spieß gegen Ragald. „Zu mir! Das sind die beiden!“

Was ihr Liebster daraufhin tat, geschah fast zu schnell, als dass sie es mitbekam. „Reite, Gunid!“, rief er ihr zu und hatte schon im nächsten Moment den Spieß ergriffen und die Frau daran zu sich herangerissen. Im dunklen Geviert der Kate gegenüber tat sich ein von schummrigem Licht erfülltes Rechteck auf, in dem sich ein schlaksiger Schattenriss zeigte. Die Laterne zersprang klirrend am Boden, als Ragald sein Reittier der Bäuerin entgegentrieb und die überrumpelte Frau am Umhang packte. „Mutter!“, kam es von dem schlaksigen Schatten, und vor und hinter ihnen auf dem Weg erschienen weitere Gestalten mit Mistgabeln und Äxten.

Endlich erwachte Gunid aus ihrer Erstarrung, und sie befolgte die Weisung ihres Geliebten, der nun selbst der Fuchsstute die Fersen in die Flanken stieß und gleichzeitig an der Leine des Braunen ruckte. Aus dem Augenwinkel bekam sie mit, wie Ragald die strampelnde Bäuerin quer vor sich über den Pferderücken hob. Mit Schreien spornte sie den Falben an und ließ die Zügel schnalzen. Das Tier ließ sich nicht lange bitten und sprengte los.

Hätten sie es mit echten Kämpfern zu tun gehabt, durchfuhr es Gunid, sie hätten in der Falle gesessen. Das Landvolk aber, das ihnen den Weg zu versperren suchte, spritzte vor den galoppierenden Pferden zur Seite, und mehrere der mistgabelbewehrten Gestalten warfen sich, um den Hufen zu entgehen, in den Schlamm. „Mutter!“, tönte es noch einmal schrill und angstvoll hinter ihnen, und eine brüchige Greisenstimme rief: „Hinterher!“ Die raue Frauenstimme jedoch, die sie zuvor schon vernommen hatten, keifte lautstark: „Zu der Dame! Sattle deine Mähre und reite zu der Dame! Sag ihr, die beiden sind hier!“

Es wurde ein halsbrecherischer Ritt durch einen Tunnel aus wabernden Schwaden, die ihnen entgegenflogen, um immer im letzten Moment vor ihnen zu zerstieben. Gunid ließ den Falben rennen und betete zu Vesas, dass sich ihr Tier nicht an einem Hindernis, das plötzlich aus dem Nebel auftauchen mochte, die Läufe bräche. Unter dem wirbelnden Hufschlag hörte sie gelegentlich von der Frau, die ihr Liebster quer vor sich über dem Pferderücken liegen hatte, ein angsterfülltes Jammern.

Sie konnte kaum schätzen, ob sie eine Meile so durch das Nichts jagten oder zehn, bis Ragald endlich bei einer einsam stehenden Ulme die Fuchsstute und den Braunen zügelte. Auch Gunid hielt den Falben an und warf einen fragenden Blick zu ihrem Liebsten und dann auf die Bäuerin, die ungelenk zappelnd versuchte, sich vom Rücken des schweißnassen Zelters zu stemmen. „Warum hast du sie mitgenommen?“

Freihändig sprang er aus dem Sattel und packte die Frau, ehe sie aus eigener Kraft von dem tänzelnden Pferd hätte rutschen können, am wollenen Umhang. Kaum war sie auf die Füße geplumpst, hatte er ihr schon den rechten Arm auf den Rücken verdreht, dass sie laut aufstöhnte. „Um ihr ein paar Fragen zu stellen“, stieß er grimmig hervor und fügte, an seine Gefangene gewandt, hinzu: „Keine Angst. Wir wollen dir nichts tun.“

Gunid warf einen sichernden Blick in die Runde, bevor sie sich auf weniger beeindruckende Weise aus dem Sattel gleiten ließ als ihr Geliebter, der seine Gefangene vor sich her auf die Ulme zuschob. Die kahlen Zweige des Baums verloren sich nach oben hin im gestaltlosen Grau, aus dem weit entfernt die Rufe der Krähen tönten. Die Schritte der Frau und ihres Bezwingers raschelten durch Laub und Schachtelhalme. „Setz dich“, forderte er sie ruhig auf und drückte sie bei dem Baum auf die wackeligen Knie nieder, bevor er sie losließ und einen Schritt von ihr zurücktrat.

Zitternd gehorchte die Frau und raschelte mit dem Gesäß durch das Laub, den Rücken gegen die Ulme, weg von dem jungen Kämpfer. Gunid trat näher und kraulte dabei dem Bussard auf ihrem Arm, der die Gefangene neugierig beäugte, das Brustgefieder. Sie hatte sich nicht getäuscht, dachte sie, als sie das breite, verhärmte Gesicht musterte, von dem der Schal herabgerutscht war, die Bäuerin musste ungefähr so alt sein wie ihre Mutter. Unter dem wollenen Umhang trug sie eine Rüstung aus Metallschuppen, etliche davon mit angerosteten Rändern, über einem ehemals weißen Arbeitskittel und fleckigen, roten Hosen. Die Sohle eines ihrer abgetragenen Schuhe war so durchgewetzt, dass durch ein Loch der Stoff ihres Fußlappens schimmerte. Die Mühelosigkeit, mit der Ragald sie überwältigt hatte, schien gehörigen Eindruck auf die Frau gemacht zu haben, denn obwohl er bloß mit in die Hüfte gestemmten Händen vor ihr stand, starrte sie mit furchtsam geweiteten Augen zu ihm empor.

„Nimm den Helm ab“, gebot er gelassen, jetzt ganz der Edle, der es gewohnt war, dass seine Befehle befolgt wurden. Sofort zuckten die verhornten Hände in die Höhe, um zitternd am Kinnriemen zu nesteln. Ungebeten drängte sich Gunid der Gedanke auf, dass auch ihre Hände in zwanzig Jahren so aussehen würden, wogegen die milchweißen Hände der Dame Witlinde dann immer noch zart und weich wären. Ihre kraulende Hand verließ Lifs Gefieder und ballte sich zur Faust.

„Und nun erzähl“, hörte sie Ragald beinahe im Plauderton sagen, während sie sich noch die Fingernägel in die Handfläche drückte, um mit dem Schmerz das Bild ihrer Rivalin zu verscheuchen. „Warum wolltet ihr uns gefangen nehmen, du und deine Nachbarn?“

Die plumpen Hände der Bäuerin fingerten jetzt rastlos an dem verbeulten Eisenhut herum, den sie sich im Schoss abgelegt hatte. Unter der grünen, wollenen Gugel, die sie darunter getragen hatte, ringelten sich dunkle Locken hervor, durchwirkt von einzelnen grauen Strähnen. Sie holte tief Luft und brachte ihre ersten Worte doch nur als atemloses Stammeln heraus: „Es heißt“, stieß sie zittrig hervor, „ihr hättet einen Erbgrafen ermordet.“

Ragald erwiderte nichts, doch auf seiner ausdruckslosen Miene erschien jenes Stirnrunzeln, von dem Gunid wusste, dass es bei ihm gerechten Zorn ankündigte. „Was?“, fragte er, noch eine Spur ruhiger, als er zuvor gesprochen hatte.

Ehe sich die Frau um Kopf und Kragen reden konnte, trat Gunid neben ihn, die Finger wieder in beruhigendem Kraulen in Lifs Gefieder versenkt. „Wer behauptet das?“

„Eine Dame“, kam es von der Bäuerin, immer noch etwas atemlos. „Eine junge Edeldame, etwa in Eurem Alter, Herrin.“

Gunid stutzte und verzog das Gesicht. Barfuß, mit Kittel und Kopftuch, dachte sie, verdankte sie diese respektvolle Anrede wohl vor allem ihrem schlagkräftigen Gefährten. „Wie sah die Dame aus?“, fragte sie, auch wenn sie sicher war, dass sie die Antwort bereits wusste.

„Sie war – sehr vornehm.“ Die Bäuerin berührte mit einer ihrer hornigen Hände ihre gebräunte Wange. Vornehme Blässe meinte sie, verstand Gunid und ermunterte sie mit einem Lidschlag, weiterzusprechen. „Sie hatte kastanienbraunes Haar“, fuhr die Frau fort, „und tiefdunkle Augen, dunkler noch als Eure, Herrin.“ Gunids Freundlichkeit schien ihre Angst allmählich zu lindern. „Ein Wappen zeigte sie nicht, aber ihre Begleiter trugen leuchtend rote Röcke. Naja, bis auf einen. Sie selbst war ganz in Grün gekleidet, so ein sattes, edles …“ Sie suchte nach dem Wort, und Gunid half ihr aus: „Jade?“

„… Jade, genau. Und einen Jagdvogel hatte sie dabei, einen Habicht –“

„Und was“, mischte sich Ragald wieder ein, „hat sie erzählt?“

Unter seinem frostigen Ton zog die Frau wieder den Kopf ein. Gunid nahm die Hand von Lifs Kropf und legte sie ihrem Liebsten beschwichtigend vor die Brust. Die Bäuerin musste zweimal schlucken, bevor sie antworten konnte.

„Sie hat uns zwei Reisende beschrieben.“ Ihre grünen Augen huschten zwischen ihnen beiden hin und her. „Einen Edelmann mit rabenschwarzen Locken und“ – ihr unsteter Blick blieb auf Gunid ruhen – „eine Frau aus dem Volk mit braunem Haar und braunen Augen, beide etwa im gleichen Alter wie sie selbst. Ein Jagdvogel sollte außerdem dabei sein, so etwas wie ein bronzefarbener Mäusebussard.“ Bei diesen Worten senkte sie die Augen von Gunids Gesicht auf Lif. Als sie weitersprach, geriet sie ins Stottern. „Und dann sagte sie, die beiden seien gefährlich, sie hätten den Erbgrafen Palder Ugaval ermordet, und sie –“

„Es war kein Mord!“, fuhr Ragald wütend auf. „Es war ein Zweikampf! Und der »Herr« Ugaval hatte kurz zuvor Hunderte ermordet, durch Verrat!“

„Liebster, bitte …“

„Die Dame ist selbst eine Verräterin“, ereiferte sich der junge Edle, „an der Krone, an ihrer eigenen Familie und an dir und jedem deiner Nachbarn!“ Mit dem behandschuhten Finger deutete er auf die Bäuerin, die sich ängstlich noch enger gegen den Stamm der Ulme drückte. „Bei Ephar“, rief er den Kriegsgott an, „waren denn keine Boten aus Kaskur hier, die vor ihr gewarnt haben?“

„Doch, Herr“, erwiderte die Frau hastig, nur um im nächsten Moment erschrocken zu verstummen. Gunid horchte auf. Einige Atemzüge lang waren die fernen Schreie der im Nebel verborgenen Krähen das einzige Geräusch.

„Willst du damit sagen“, sprach sie, zuerst verblüfft, dann mit wachsendem Unmut, „ihr habt in eurem Dorf gewusst, wer sie ist, und ihr trotzdem Gehör geschenkt?“

Ihre Hand sank von Ragalds Brust herab. Die grünen Augen folgten ihrer Bewegung, ehe sie an der Faust hängen blieben, die der junge Edle geballt hatte. Nun verschwammen sie hinter Tränen der Furcht, die ihnen den stechenden Ausdruck endgültig nahmen. „Habt Erbarmen, Herr“, winselte die Frau, „ich habe Kinder –“

Gunid hielt ihn nicht mehr zurück, als er einen schnellen Schritt nach vorn tat und die Bäuerin an der Kehle packte. „Warum?“, fuhr er sie an. „Warum gehorcht ihr einer Verräterin?“

„Ihre Bewaffneten“, platzte die Frau heraus, verstummte aber sogleich wieder, als Ragald warnend zudrückte. „Ihre Bewaffneten sind wieder fort, zusammen mit ihr“, raunzte er. „Warum gehorcht ihr der Dame? Warum seid ihr so beflissen, uns ihr auszuliefern?“

Die Bäuerin hatte die hornigen Hände um sein Handgelenk geschlossen und zerrte daran, ohne seinen Arm auch nur um einen Zoll bewegen zu können. „Die Jattar, Herr“, jammerte sie erstickt. „Sie bietet uns Schutz vor den Jattar.“

Ragald lockerte den Griff ein wenig, und sofort sog seine Gefangene tief Luft in ihre Lungen. „Erzähle mehr“, forderte er sie auf, die Stimme bebend von mühsam gebändigtem Zorn.

„Sie sagte“, hustete die Frau, „die Feste wäre gefallen. Und dass die Jattar jetzt frei durchs Land reiten, haben wir schon mit eigenen Augen gesehen.“ Röchelnd atmete sie durch. „Wir haben Angst, Herr, große Angst, wir alle miteinander, meine Nachbarn, ich selbst –“

„Was sonst hat die Dame gesagt?“ Der junge Edle hatte die Stimme nicht erhoben, doch der Nachdruck in seinem Ton besaß die Härte von Stahl. Unter angstvoll gesenkten Lidern hervor schaute die Bäuerin zu ihm auf, die Arme zitternd um sich geschlungen.

„Sie sagte, die Krone könne uns nicht länger schützen“, stammelte sie. „Sie sagte aber auch, sie könne dafür sorgen, dass die Jattar unser Dorf verschonen, und sie würde es tun, wenn wir –“

Ihre Stimme brach, doch dass sie weitersprach, war auch nicht nötig. Gunid vollendete den Satz für sie: „Wenn ihr uns beide an sie ausliefert.“ Ihre eigene Stimme klang ihr kühl und fremd in den Ohren.

„Sie will vor allem den Herrn.“ Die Bäuerin hielt nun die Augen geschlossen, das Kinn bis auf die Brust gesenkt. „Das Mädchen mag entkommen, hat sie gesagt, doch den Kämpfer bringt mir.“ Tränen liefen ihr über die gebräunten Wangen, als sie mit einem Ruck das Gesicht wieder hob. „Habt Erbarmen, Herr, ich flehe Euch an, lasst mich gehen! Ich habe Kinder, und wir wollen doch alle nur leben, wir haben alle nur Angst vor den Jattar –“

„Wenn wir dich gehen lassen“, fiel Ragald ihr barsch ins Wort, „wirst du mit deinen Nachbarn uns weiterhin jagen?“

„Nein, Herr!“ Sie schüttelte heftig den Kopf. „Gewiss nicht, Herr, wenn Ihr mir gnädig seid –“

„Obwohl du dir und deinen Kindern damit Sicherheit vor den Jattar erkaufen kannst?“ Die Frau zuckte zusammen, als Ragald seinen Dolch zog, doch er hielt ihn ihr bloß mit dem Griff voran hin. „Du willst uns wirklich ziehen lassen? Bist du bereit, es bei Ephar zu beschwören?“

Ungläubig starrte die Frau auf die Waffe, die ihr so plötzlich dargeboten wurde. Gunid hielt den Atem an. Sie zweifelte nicht daran, dass ihr Liebster die Bäuerin auch dann noch mühelos würde überwältigen können, wenn sie bewaffnet war und er nicht, doch allein der Gedanke, dass diese Klinge auf ihn zielen könnte, ließ ihr das Herz im Halse hämmern.

Zögernd ergriff die Bäuerin den Dolchgriff und schaute abschätzend zwischen der Waffe, die sie nun hielt, und dem Kämpfer über sich hin und her. Nach wie vor saß sie am Boden, und aus dem Sitzen heraus angreifen zu wollen, wäre selbst angesichts eines weniger geübten Gegners pure Torheit gewesen. Langsam richtete sie die Klinge auf die eigene Brust und holte tief Luft.

„Ich schwöre“, stieß sie mit bebender Stimme hervor und schloss die Augen. Tränen rannen ihr unter den fest zusammengekniffenen Lidern hervor, als sie noch einmal zum Sprechen ansetzte: „Ich schwöre …“

Um sie her wallten die Nebel, stumm bis auf die weit entfernten Schreie der Krähen. Lif erwiderte mit einem schnatternden Laut und zog sich tiefer unter Gunids Umhang zurück. Die Spitze des Dolches zitterte vor der Brust der Bäuerin, die mit weit geöffnetem Mund dasaß, ohne einen Ton herauszubringen.

„Du kannst es nicht schwören, nicht wahr?“, brach Ragald schließlich das Schweigen in einem Tonfall von unheilsschwangerer Ruhe. Behutsam fasste er nach dem Griff des Dolches, den ihm die am ganzen Körper bebende Frau widerstandslos überließ. „Denn du würdest uns weiterhin ausliefern. Wenn es darum geht, zwei Fremde der Gewalt einer Verräterin zu überlassen oder deine Kinder der Bedrohung durch die Jattar, fällt die Wahl nicht schwer. Habe ich recht?“

„Erbarmen, Herr“, wimmerte die Bäuerin, „Ich flehe Euch an, habt Erbarmen –“

Anstelle einer Antwort holte Ragald aus und zog ihr den Dolchgriff gegen die Schläfe. Die Frau sackte zusammen wie die Puppe eines Gauklers, deren Fäden durchgeschnitten wurden. Der junge Edle beugte sich vor ihren Mund, um nach ihrem Atem zu lauschen und nickte zufrieden. „Betten wir sie so, dass sie nicht an ihrer eigenen Zunge erstickt“, wandte er sich an Gunid, „und dann nichts wie weg!“

Ihnen blieb nicht einmal eine Stunde, bis sie Maude und ihre Häscher kommen sahen.

Der Weg zog sich einen grasigen Hang entlang, der nach rechts sanft in die Tiefe abfiel. Ein beständiges Rauschen, das aus dieser Richtung durch den Nebel heraufdrang, verriet, dass sie sich am Rand eines Flusstals dahinbewegten. Gelegentlich schimmerte unten kahles Geäst durch die Schleier, Bäume und dichtstehende Sträucher, wie sie die Ufer von Gewässern zu säumen pflegten. Immer wieder überquerten sie Bäche, die quer über ihren Weg plätscherten, um sich im Tal mit dem größeren Fluss zu vereinen.

Am liebsten hätten sie beide in gestrecktem Galopp Abstand zwischen sich und das Dorf gebracht. Doch auch Gunid war sich bewusst, dass die Pferde einen solchen Ritt nicht lange durchhalten würden und ihnen nicht damit gedient war, die Tiere zuschanden zu reiten. Überdies wogte der Nebel immer noch so dicht, dass sie Gefahr gelaufen wären, blind in den nächsten Abgrund zu rennen, und so beschränkten sie sich darauf, ihre Flucht in gemächlichem Trab fortzusetzen. Das Gefühl aber, viel zu langsam voranzukommen, nagte an ihnen, und so schaute Gunid sich ständig wachsam nach Verfolgern um.

Die Reihe von Lichtern jedoch, die schließlich trübe durch das gestaltlose Grau schimmerten, erblickte sie nicht etwa hinter sich, sondern jenseits des Wasserrauschens, weitab zu ihrer Rechten. „Ragald“, rief sie halblaut und zügelte den Falben. „Warte.“

Sobald auch ihr Gefährte seine beiden Pferde zum Stehen gebracht hatte, vernahmen sie den fernen, noch kaum hörbaren Schlag zahlloser Hufe. Die Lichter, das konnte sie jetzt gut sehen, bewegten sich quer zu ihrem jetzigen Weg und würden ihn irgendwo vor ihnen kreuzen. Wie weit vor ihnen, ob hundert Schritt oder dreimal so weit, war im Nebel kaum zu schätzen, doch dass sie es täten, stand außer Frage. „Verflucht!“, zischte Gunid.

Hinter ihr klapperten wieder die Hufe der Fuchsstute und des Braunen, und Ragald kam an ihre Seite. „Kommt es mir nur so vor“, fragte er mit gesenkter Stimme, „oder schneiden sie uns den Weg ab?“

„Das tun sie.“ Der Falbe fing an zu tänzeln, und mit einem Ruck an den Zügeln brachte Gunid ihn zum Stillstand. „Wahrscheinlich haben sie Bauern aus dem Dorf dabei, die sich in der Gegend auskennen.“

Scheinbar gemächlich krochen die Lichter hinter den wallenden Schwaden weiter dahin. Es war mindestens ein Dutzend. „Zurück?“, schlug Ragald gedämpft vor.

In Gunids Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie schaute zur Seite auf die nahenden Flammen, dann über die Schulter ins wallende Grau, in dem sich der Weg verlor, den sie gekommen waren. Wenn man wusste, wo man suchen musste, waren ihre Hufspuren selbst in dem trüben Licht erkennbar. Im Fackelschein konnte sie nur ein Blinder übersehen. Wenn sie jetzt umkehrten, dachte sie, würde eine Verfolgungsjagd daraus, sie beide mit drei erschöpften Rössern gegen eine Übermacht an Reitern, die vermutlich über Pferde zum Wechseln verfügten. Von unten tönte friedlich das Rauschen des Flusses. Auf ihrem Arm tänzelte Lif umher und streckte den Kopf unter dem Umhang hervor. Offenbar spürte er ihre Unruhe.

„Weiter“, entschied sie und stieß dem Falben die Fersen in die Flanken. Schon wollte sich das Tier in Bewegung setzen, blieb aber wieder stehen, als Ragald ihr in die Zügel griff. „Was hast du vor?“

„Später, mein Großer.“ Sie schüttelte den Kopf. „Reite mir einfach nach. Wir müssen uns beeilen.“

Es war nicht weit bis zum nächsten Bach, der ihren Weg in munterem Plätschern querte, dem Rauschen des Flusses entgegen. Augenblicklich brachte sie den Falben zum Stehen und schwang sich aus dem Sattel.

Im nächsten Moment raschelten Ragalds Schritte durch das Gras, und er ergriff sie beim Arm. „Liebste, sie werden doch unsere Spuren sehen“, zischte er. „Damit, dass wir sie im Wasser abzuschütteln versuchen, rechnen sie gewiss. Und so kommen wir zu langsam voran. Sie werden uns im Handumdrehen haben.“

„Bei Vesas, das weiß ich doch!“ Brüsk befreite sie ihren Arm und schaute ihrem Geliebten grimmig ins Gesicht. „Zum Reden ist jetzt nicht die Zeit. Vertraust du mir oder nicht?“