Herz in Scherben - Kathrin Lange - E-Book

Herz in Scherben E-Book

Kathrin Lange

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Beschreibung

Komm mir näher, und du wirst es bereuen.   Ein Schuss hallt in Davids Kopf wider. Plötzlich ist die Erinnerung da und er weiß nicht, ob sie etwas mit Charlies Tod und den schrecklichen Ereignissen auf Martha's Vineyard zu tun hat. Fünf Monate sind seitdem vergangen, aber nun zieht eine dunkle Ahnung David mit Macht auf die Insel zurück. Seine Freundin Juli folgt ihm voller Sorge. Doch entgegen aller Befürchtungen ist es nicht der Inselfluch, der den beiden das Leben schwer macht, sondern die arrogante Lizz. Sie tut alles, um Juli von Davids Seite zu verdrängen. Als dann plötzlich eine Mädchenleiche auftaucht, beginnt Juli zu zweifeln. Was geschah wirklich im Winter auf den Klippen? Und welche Rolle hat David dabei gespielt? Band 2 der "Herz aus Glas"-Trilogie.

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Seitenzahl: 442

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Kathrin Lange

Herz in Scherben

Weitere Bücher von Kathrin Lange im Arena Verlag:

SchattenflügelIn den Schatten siehst du michSeptembermädchenHerz aus Glas

 

Für Sandra und Jannis. Für das Asyl, als das Schreiben zu scheitern drohte. Und für Eure Freundschaft.

1. Auflage 2015 © 2015 Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Covergestaltung: Frauke Schneider ISBN 978-3-401-80453-8

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The people were saying, no two years we’re wed But one had a sorrow, that never was said And I smiled as she passed with her goods and her gear And that was the last, that I saw of my dear …

(She Moved Through the Fair, Charlies Version)

1

David sah die Pistole an, als sei sie plötzlich an seiner Hand festgewachsen. Dann schüttelte er den Kopf. Ganz langsam schwang er ihn erst nach links, dann nach rechts, wo er innehielt und mich aus den Augenwinkeln anstarrte. Oh Gott! Ich wollte ihn schütteln, ihn ohrfeigen, um ihn aus dieser furchtbaren Starre zu holen, aber ich konnte mich nicht rühren. Seine Augäpfel schimmerten rot wie bei unserer ersten Begegnung auf den Stufen von Sorrow. Auch damals hatte er diesen tief verwundeten Blick gehabt, auch damals hatte man ihm all die Tränen ansehen können, die er nach innen geweint hatte.

Ich streckte die Hand nach der Waffe aus. »Bitte gib sie mir!«

Davids Finger krampften sich fester um den Pistolengriff. Ich sah, wie sich die Sehnen auf seinem Handrücken spannten.

»Vielleicht«, sagte er mit dieser fremden Stimme, »vielleicht wusste ich, dass hiermit Charlie erschossen wurde. Vielleicht wollte ich nicht, dass Tim diese Waffe in die Hände bekommt, weil …«

»Nicht, David!«, flüsterte ich. Vor Grauen bekam ich kaum noch Luft. »Bitte gib mir die Waffe!«

Wie ein Pendel schwang Davids Kopf wieder nach links.

Nein.

Er öffnete den Mund. Ganz leicht teilten sich seine Lippen, ehe er sie aufeinanderpresste, bis sie nur noch ein schmaler weißer Strich waren.

Ich wartete.

»Ich erinnere mich einfach nicht«, flüsterte er. Dann drehte er die Waffe so, dass er in ihre Mündung blicken konnte.

2

Wenige Tage zuvor

»Hilfe, ich glaube, ich sterbe!« Mit einem tiefen Ächzen ließ sich meine Freundin Miley auf eine Bank am Ufer des Charles River fallen und streckte alle viere von sich. »Wie kann man nur so bescheuert sein und bei dieser Hitze joggen?«

Mein Blick richtete sich auf David, der uns ungefähr hundert Meter voraus war, dann hielt ich neben Miley an. Ihr herzförmiges Gesicht war hochrot angelaufen und Schweiß klebte ihr die langen, kastanienbraun gefärbten Haare an Stirn und Wangen fest.

Mit einem weiteren Ächzen beugte sie sich vor, umklammerte ihre Oberschenkel und ließ den Kopf zwischen den Knien hängen. »Ich glaube, ich muss kotzen.«

Ich unterdrückte ein Grinsen. »Eben wolltest du noch sterben«, erinnerte ich sie.

Ohne sich aufzurichten, drehte sie den Kopf zur Seite und warf mir einen bösen Blick zu. »Daran bist nur du schuld!«

Ich setzte mich neben sie und sie ließ den Kopf wieder hängen. Ihr Atem ging stoßweise. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, sie dazu zu überreden, mitten in der Sommerhitze eine Runde an der Esplanade zu laufen. Seit David und ich im März Sorrow verlassen hatten und nach Boston gekommen waren, war der Park zwischen Storrow Drive und Charles River unsere bevorzugte Laufstrecke. Miley allerdings gehörte eher zu der Sorte Mensch, die sich lieber einen Finger abhacken würde, als regelmäßig Sport zu treiben – was man ihrer leicht pummeligen Figur auch durchaus ansah.

Sie hatte schon recht: Es war ziemlich heiß, selbst für Mitte Juli und den Anfang der Sommerferien. Die Luft stand flimmernd über Boston und der schwache Lufthauch, der sich nur ab und zu regte, roch nach Tang.

Ein gequälter Laut kam über Mileys Lippen. Normalerweise nahm ich es nicht so ernst, wenn sie sich über irgendwas beschwerte, denn sie übertrieb ab und zu gern. Aber dieses Geräusch klang in meinen Ohren dann doch ein bisschen besorgniserregend – besonders weil Miley plötzlich begann, aus der Nase zu bluten.

»Ach du Scheiße!«, rutschte es mir heraus. »Alles okay?«

Miley schüttelte den Kopf. Mit zwei Fingern drückte sie die Nasenflügel zusammen, kramte dann in ihren Shorts nach einem Taschentuch und presste es sich gegen die Nase.

Ich winkte David, der mittlerweile gemerkt hatte, dass wir nicht hinterherkamen. Er drehte um und kam zu uns zurückgelaufen. »Alles in Ordnung?«

Ich wiegelte ab. »Das hatte sie schon als kleines Kind häufig.«

Miley hob den Kopf. »Erst werde ich kotzen, dann sterben!«, konstatierte sie dumpf. »Oder vielleicht auch umgedreht.«

David grinste. »Na, solange du noch Scherze machen kannst, ist das Ende vermutlich noch nicht ganz so nah. Lass mal sehen!« Er ging vor ihr in die Hocke und hob sanft ihr Kinn etwas an.

Sie nahm das Taschentuch von der Nase weg und faltete es so, dass die blutgetränkte Stelle nicht mehr zu sehen war.

David erstarrte.

Seine Augen weiteten sich – aber nur ganz kurz, dann fing er sich wieder. Das Ganze war so schnell gegangen, dass ich mir nicht sicher war, ob ich es mir nicht einfach nur eingebildet hatte.

»He!«, murmelte Miley durch das Tuch hindurch, das sie sich wieder gegen die Nase presste. »Ich wusste ja gar nicht, dass du kein Blut sehen kannst.«

Okay. Offenbar war es also keine Einbildung gewesen.

David schluckte. Dann wischte er sich über die Augen, als müsse er ein düsteres Bild vertreiben. »Gib mal her!« Er nahm Miley das Taschentuch ab und betrachtete es. Warum biss er dabei kurz die Zähne zusammen? Hatte er auf Martha’s Vineyard auch schon so auf Blut reagiert?

Wie so oft, wenn ich ihn unauffällig beobachtete, wurde mein Herz eng. Wir waren jetzt seit vier Monaten zusammen und ich hatte seitdem an jedem einzelnen Tag morgens die Augen aufgeschlagen und mich gefragt, wann ich aus diesem wunderbaren Traum aufwachen würde. Manchmal, wenn ich David ansah, durchzuckte mich die Angst, dass er im nächsten Moment anfangen würde zu lachen. Dass er sagen würde: April, April, Juliane Wagner! Hast du im Ernst geglaubt, ich könnte dich so lieben wie du mich?

Aber bisher hatte er es nicht gesagt.

Im Gegenteil.

Manchmal, wenn er mich ansah, konnte ich spüren, dass auch ihm bei meinem Anblick der Atem wegblieb. Ich konnte zwar nicht begreifen, warum das so war, aber ich war fest entschlossen, diesen Zustand so lange wie möglich zu genießen.

Jetzt spürte er, dass ich ihn beobachtete. Er sah zu mir auf. In seinen Augen glitzerte eine Mischung aus Besorgnis und Belustigung. Wie immer, wenn sich unsere Blicke begegneten, begann mein Herz zu stolpern, und ich war froh, dass er sich wieder Miley zuwandte.

»Das blutet ganz schön!«, sagte er.

Seine Worte verursachten mir ein schlechtes Gewissen, denn als Miley vor gut einer Stunde davor gewarnt hatte, dass sie Nasenbluten bekommen würde, wenn sie bei diesen Temperaturen Sport trieb, hatte ich sie ausgelacht.

»Du willst dich nur drücken!«, hatte ich gesagt.

David erhob sich mit einer federnden Bewegung, legte Miley eine Hand auf die Schulter. »Sieh mich mal an«, bat er sie.

Sie gehorchte und er nickte, während er ihr das Taschentuch wiedergab. »Drück das noch ein paar Minuten drauf, dann hört es bestimmt gleich auf.«

Miley presste das Tuch auf ihre Nase. »Mir ist schwindelig«, klagte sie. Ihr Gesicht hatte die Farbe von reifen Kirschen angenommen, dafür waren ihre Lippen jetzt erschreckend blass.

»Ich hole dir schnell was zu trinken.« David sah mich an. »Pass auf, dass sie nicht umkippt«, sagte er, dann rannte er los – hin zu einem Kiosk, der wenige Hundert Meter entfernt unter den Bäumen stand.

Miley und ich schauten ihm nach.

»Gott, er ist einfach nur süß«, seufzte meine Freundin.

Ich nickte gedankenverloren, weil mir Davids kurze Erstarrung nicht aus dem Kopf ging. Was hatte es mit diesem seltsamen Verhalten nur auf sich? Seit wann konnte er kein Blut mehr sehen?, überlegte ich und plötzlich fiel mir ein, dass er schon einmal so sonderbar reagiert hatte.

Zwei Wochen zuvor waren David und ich zusammen mit meinem Dad auf einer Parade anlässlich des amerikanischen Nationalfeiertags gewesen. Wir hatten am Straßenrand gestanden und zugesehen, wie die Blaskapellen an uns vorbeimarschiert waren. Als eine Staffel historisch gekleideter Soldaten aus dem Bürgerkrieg direkt vor uns stehen blieb, war gleichzeitig noch etwas anderes geschehen.

Ein kleiner Junge, der die ganze Zeit schon neben uns gestanden und vor sich hin gequengelt hatte, riss sich von der Hand seiner Mutter los. Er quetschte sich unter der Absperrung durch, weil er zu den Soldaten laufen wollte, rutschte aber auf dem goldfarbenen Lametta aus, das kurz zuvor von einem Paradewagen auf uns niedergerieselt war. Der Länge nach schlug er hin und verletzte sich an der Stirn. Schreiend und blutüberströmt richtete er sich auf.

Und unglücklicherweise feuerten die als Soldaten verkleideten Männer genau in diesem Moment mit einer Kanone einen Ehrensalut in die Luft.

»Du liebe Güte!«, hörte ich meinen Dad rufen, doch ich achtete nicht auf ihn. Gemeinsam mit der Mutter des Jungen zwängte ich mich unter der Absperrung hindurch und kümmerte mich um das brüllende Kind.

Die Verletzung war nicht besonders schlimm, nur die Augenbraue war aufgeplatzt. Ich half der Mutter, ihren Sohn aufzuheben und zu einem der Sanitäter zu bringen, die überall am Rande der Strecke positioniert waren.

Als ich zurückkam, stand David noch immer an seinem Platz hinter der Absperrung. Er hatte die Hände um das Gitter gekrampft und sein Gesicht war totenbleich.

Dad flatterte aufgeregt um ihn herum und fragte ihn, ob alles in Ordnung war. Ich erinnere mich daran, dass ich diese Frage völlig bescheuert fand.

Ein Blinder mit Krückstock konnte sehen, dass gar nichts in Ordnung war.

David atmete tief durch. Dann ließ er das Gitter los und strich sich mit beiden Händen die Haare zurück. »Ja«, murmelte er. »Alles okay.« Langsam kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück.

Ich sah ihn skeptisch an.

»Alles in Ordnung«, behauptete er und begegnete kurz meinem Blick. Dann wandte er sich wieder dem Geschehen auf der Straße zu.

Heute weiß ich, dass er gelogen hat. Die beiden Ereignisse zusammen – der Anblick von Blut und die Schüsse der Soldaten – hatten etwas in ihm ausgelöst. Etwas Furchtbares, das uns schon bald zurück an den Abgrund treiben sollte.

3

Er hatte sich danach mehrfach geweigert, mir zu erzählen, was los gewesen war. Irgendwann hatte ich es aufgegeben, danach zu fragen. Schließlich hatte ich den Vorfall vergessen, weil es nicht wieder vorgekommen war.

Bis eben.

Nachdenklich sah ich zu, wie er den Kiosk erreichte und darin verschwand.

»Hallo?« Miley wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum. »Redest du neuerdings nicht mehr mit mir oder was?«

Ich riss mich von der Erinnerung los und wandte mich meiner besten Freundin zu. »Was?«, murmelte ich. Sie hatte irgendwas gesagt, aber ich hatte offenbar nicht mitbekommen, was.

»Ich sagte, du bist echt zu beneiden«, wiederholte sie. Es war ein Satz, den ich in der letzten Zeit öfter von ihr zu hören bekam. Ich tat dann immer so, als könne ich nicht nachvollziehen, was sie meinte. Die Wahrheit aber war: Ich konnte es nicht oft genug hören, dass sie es sagte.

Möglichst gleichmütig zuckte ich auch jetzt die Achseln.

»Ich würde weiß Gott was für einen Freund wie David geben!« Sie grinste und nahm das Taschentuch weg. Ihre Nase hatte aufgehört zu bluten. Sie war der einzige Mensch in unserem Bekanntenkreis, der es einfach nicht schaffte, Davids Namen französisch auszusprechen, also mit lang gezogenem I und weichem D. Immer wieder schmuggelte sie ein hartes F in die Mitte. Ich hatte es längst aufgegeben, sie deswegen zu korrigieren. »Er ist einfach nur … wow!« Sie wischte sich das Blut von der Oberlippe und hob das Kinn leicht an. »Alles weg?«

Ich nickte. Auf ihrer Haut waren nur noch mikroskopisch winzige Spuren von Rot zu sehen.

»Wenn man bedenkt, wie er noch vor ein paar Monaten ausgesehen hat«, meinte Miley. »Jetzt sieht man kaum noch was von seinen ganzen Knochenbrüchen.«

Sie hatte David im März kennengelernt – nur wenige Wochen, nachdem er von den Gay-Head-Klippen auf Martha’s Vineyard in die Tiefe gestürzt und schwer verletzt worden war. Seitdem hatte er sich tatsächlich verblüffend gut erholt.

Körperlich jedenfalls.

Der Gedanke zuckte durch meinen Kopf und ich musste an Davids Erstarrung von eben denken. Genau wie ich kehrte er ab und zu in Gedanken auf die Insel zurück und genau wie mich quälten ihn dann die Erinnerungen an das Furchtbare, das wir beide dort erlebt hatten. »Ab und zu hat er wohl noch Schmerzen. Wenn er glaubt, dass ich es nicht sehe, fasst er sich manchmal an die Rippen.«

Miley blies sich gegen die verschwitzten Haare. »Ich hab mir mal ein Schlüsselbein gebrochen. Das hat noch monatelang danach wehgetan.« Sie kicherte fröhlich. »Weißt du, was ich verblüffend finde? Dass er seine Depressionen so schnell in den Griff bekommen hat!«

Ja, das war tatsächlich ein Wunder. Ich hatte David kurz nach Weihnachten auf Martha’s Vineyard kennengelernt. Damals hatte er gerade seine Verlobte Charlie verloren, die von den Klippen der Insel in den Tod gestürzt war. Und weil er sich die Schuld an ihrem Tod gab, war er in schlimme Depressionen verfallen.

»Er hat gute und schlechte Tage«, sagte ich.

Direkt nach unserer Flucht von Martha’s Vineyard hatte mein Dad darauf bestanden, dass David für vier Wochen in eine kleine Privatklinik ging. Dort hatte man sich intensiv um ihn gekümmert und bereits vier Wochen später war er wieder herausgekommen. Seitdem ging er einmal in der Woche zu einer ambulanten Therapiestunde in ebendieser Klinik.

»Aber inzwischen überwiegen die guten, oder?«, meinte Miley.

»Ja.« Was man auch sah, dachte ich. Als ich ihn kennengelernt hatte, war David schmal und blass gewesen. Nur mit Mühe hatte man hinter seiner Fassade aus Abwehr und Depression erkennen können, was für ein gut aussehender Typ er eigentlich war. Inzwischen hatte er zugenommen. Die Muskeln an seinen Schultern und Armen, die man früher nur hatte erahnen können, waren zurückgekehrt und – was ich viel wichtiger fand – auch sein Lächeln.

»Ich finde, jetzt leuchtet einem auf den ersten Blick ein, warum du dich in ihn verliebt hast.« Miley streckte die Beine. Langsam normalisierte sich ihre Gesichtsfarbe wieder. »Er sieht einfach so, so …« Sie suchte nach dem richtigen Wort und erneut fiel ihr nichts anderes ein als: »… wow … er sieht wow aus!« Sie kniff die Augen zusammen. »Scheint allerdings, als hätten das auch andere bemerkt.«

Ich hatte dem Kiosk den Rücken zugewandt, aber jetzt drehte ich mich um. Und stöhnte auf.

Die Eingangstür des kleinen Ladens hatte sich geöffnet und David war wieder herausgekommen. In der Hand trug er drei Wasserflaschen und eine kleine Tüte, deren Inhalt ich auf die Entfernung nicht erkennen konnte. Bei ihm befand sich die ungefähr letzte Person, die ich treffen wollte.

Lizz Thompson.

Ihre Mutter, Sandra Thompson, war eine Kollegin meines Vaters. Wie er schrieb sie für den Verlag von Davids Vater Romane, aber während mein Dad für die Romantikfraktion zuständig war, verfasste Sandra Thompson unter mehreren reißerischen Pseudonymen überaus blutige Thriller.

Lizz und ich hatten bisher nur eine einzige Gemeinsamkeit entdeckt: dass wir einander nicht leiden konnten. Ich hielt Lizz für oberflächlich und zickig, sie mich dagegen für blass und langweilig, was sie mich immer wieder gern spüren ließ.

Als sie jetzt zusammen mit David auf Miley und mich zukam und ich die beiden miteinander lachen hörte, entschlüpfte mir ein entnervter Seufzer.

»Die hat gerade noch gefehlt!«, hörte ich Miley murmeln, aber es war bereits zu spät, darauf einzugehen, denn nun waren David und Lizz bei uns.

»Oh, Juliane!«, säuselte Lizz honigsüß. »Stell dir vor, David und ich haben uns eben zufällig im Kiosk getroffen!« Sie schenkte David ein strahlendes Lächeln. Mit einer einstudiert affektierten Bewegung warf sie ihre langen blonden Haare über die Schulter zurück.

David reagierte nicht darauf, sondern musterte mich stattdessen prüfend.

»Wie schön.« Ich nickte Lizz zu und hoffte, dass meine kühle Art sie von der geplanten Attacke auf mein Selbstbewusstsein abhalten würde.

In Davids Augen erschien ein amüsiertes Funkeln. Er hatte ein extrem gutes Gespür für meine Stimmungen und er schien auch jetzt zu wissen, was ich empfand.

Lizz wandte sich ihm zu. Mit in die Hüften gestützten Händen meinte sie zu ihm: »Weißt du, was ich mich die ganze Zeit schon frage?«

Nicht, dass es ihn im Geringsten interessieren würde, dachte ich spöttisch. Aber ich konnte es nicht verhindern, dass ich sie und David miteinander verglich. Rein optisch passten die beiden ziemlich gut zusammen, denn wenn man es realistisch betrachtete, war Lizz ungefähr hundertmal mehr wow, als ich es je sein würde …

Das Funkeln in Davids Augen wurde stärker. Ich wusste, dass er mich durchschaute. Das tat er immer und es wurmte mich total. Doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.

»Nein«, sagte er zu Lizz, ohne dabei den Blick von mir abzuwenden. »Was fragst du dich denn die ganze Zeit schon?« In seinen Augen glitzerte der Schalk.

Kurz wurde Lizz’ Gesicht ganz leer und blank. Es fuchste sie, dass David sie nur mit einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit bedachte, und darum legte sie sich nun mit doppelter Energie ins Zeug. Sie schaltete ein Lächeln an, das der sengenden Sonne am Himmel ernsthaft Konkurrenz machte. »Dein Vater feiert doch nächste Woche seinen Fünfzigsten«, sagte sie.

Davids Lippen wurden schmal, wie immer, wenn das Gespräch auf seinen Vater kam. »Stimmt«, sagte er und jetzt erst wandte er sich von mir ab und Lizz zu.

Das Strahlen auf ihrem Gesicht wurde schlagartig noch intensiver. Ihre Wangen waren sehr vorteilhaft gerötet. Sogar wenn sie verlegen war, sah sie noch aus wie ein Model. Unglaublich! Meine Birne wurde in solchen Situationen immer knallrot. Juli, der Feuermelder.

»Und?«, fragte sie. »Wann fährst du hin?«

Er zuckte die Achseln. »Weiß noch nicht.«

Aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass er das zu mir sagte, nicht zu ihr. Fragend runzelte ich die Stirn, aber er ging nicht darauf ein.

»Meine Mutter ist eingeladen«, sagte Lizz und machte eine bedeutungsvolle Pause. »Und ich darf mitfahren!«

Gespannt verfolgte ich, wie David darauf reagierte.

»Toll«, sagte er. Er klang gerade so enthusiastisch, dass Lizz nicht bemerkte, dass er sie aufzog. Ich unterdrückte ein Schmunzeln. Eins zu null für mich!, dachte ich zufrieden.

Miley an meiner Seite grinste wie ein Honigkuchenpferd.

David schien der Spaß an der Sache zu vergehen. Das Funkeln verschwand aus seinen Augen und er sah nun ebenfalls ein bisschen genervt aus.

Lizz brauchte ein paar Sekunden, bis sie begriff, dass sie heute bei David nicht punkten konnte. Sie blitzte mich scharf an. Ich erwiderte ihren Blick mit einem verbindlichen Lächeln, das sie erst recht auf die Palme brachte.

»Ich muss leider los«, murmelte sie. »Vielleicht sehen wir uns ja auf der Insel.«

David zuckte gleichmütig die Achseln.

Sie lächelte weiter. Es sah jetzt ein bisschen verkrampft aus. Dann hauchte sie David einen Kuss auf die Wange, wandte sich um, stolzierte den Pfad am Tretbootanleger entlang und verschwand schließlich aus unserem Blickfeld.

»Puh!«, stöhnte Miley. »Das Auditorium zeigt sich gebührend beeindruckt von dem Auftritt des Superstars!«

Ich wusste nicht genau, ob ich mich freuen oder ärgern sollte. Es war ein gutes Gefühl gewesen zu sehen, wie lässig David Lizz abblitzen ließ, aber trotzdem blieb tief in mir ein leises nagendes Gefühl von Unbehagen, das ich nicht so recht benennen konnte.

David stand mit seinen drei Wasserflaschen in der Hand da und sah Lizz nach. Ich hätte zu gern gewusst, was er dachte.

Plötzlich wirkte er nachdenklich auf mich und das Unbehagen in mir wuchs.

Miley riss uns beide aus unserer Versunkenheit. »He!«, beschwerte sie sich. »Ich bin auch noch da! Und ich bin schwer verletzt!«

Da besann David sich und wandte sich zu uns um. Mit den Fingerspitzen berührte er seine Stirn. Es war eine Geste, die ein kleines bisschen verloren aussah. Plötzlich fühlte ich mich elend und ich wusste nicht so recht, wieso.

»Juli?« Seine Stimme war ganz ruhig.

Ich hob den Blick. »Was?«

»Bleib einfach locker, okay?«

Ich nickte nur.

Er reichte Miley eine der Wasserflaschen, die anderen beiden stellte er neben ihr auf die Bank. »Hier, trink das«, riet er ihr und gab ihr auch noch das kleine Tütchen, das er in der anderen Hand hatte. »Und lutsch ein paar davon. Dann geht das Schwindelgefühl weg.« Es waren Traubenzuckerdrops. Zitrone.

Miley, der vermutlich längst kein bisschen schwindelig mehr war, nahm ihm das Tütchen aus der Hand. »Mein Kavalier!«, hauchte sie theatralisch. Und zu mir gewandt meinte sie trocken: »Was immer du denkst, Süße, du bist völlig paranoid, und das weißt du hoffentlich!«

David warf mir einen sehr langen Blick zu, schwieg aber. Mein Herz klopfte heftig.

»Schon klar«, sagte ich.

4

Wir beendeten unsere Joggingrunde an einem der Fußgängerüberwege über den vierspurigen Storrow Drive, wo David geparkt hatte. Die Luft flirrte über dem breiten Betonweg und ich war froh, als wir endlich in dem klimatisierten Wagen saßen. Wir fuhren Miley nach Hause, und bevor er sie gehen ließ, vergewisserte David sich noch einmal, dass es ihr wieder gut ging. Dann stieg er zurück zu mir ins Auto.

»Erzählst du mir, warum du eben Lizz gegenüber so zickig warst?«, fragte er, als wir an den Hochhäusern in der Tremont Street und dem Bostoner Stadtpark vorbei in Richtung Süden fuhren.

Empört richtete ich mich auf. »Ich war nicht zickig!«

Er lachte. »Gar nicht, nein.« Er nahm die rechte Hand vom Steuer und hielt sie mir hin, sodass ich meine Finger mit seinen verschränken konnte. »Warum fürchtest du dich vor ihr?«

Seine Berührung verursachte mir ein Kribbeln im Genick. Ich war drauf und dran zu behaupten, dass mir Lizz völlig egal war, aber es wäre eine glatte Lüge gewesen. Ich fürchtete Lizz sehr wohl und mit ihr jedes andere Mädchen, das so gut aussah wie sie. Lizz Thompson und Co. konnten David vom Aussehen her tausendmal mehr das Wasser reichen als ich. Und das nagte zunehmend an meinem Selbstbewusstsein. Je mehr David sich von seinen inneren und äußeren Verletzungen erholte und je besser er aussah, umso unsicherer wurde ich. Die Momente, in denen ich darauf wartete, dass er unsere Beziehung für einen Scherz erklären würde, waren in der letzten Zeit immer häufiger geworden.

Aber ich hätte mir lieber die Zunge abgebissen, als das freiwillig zuzugeben.

David wartete. Wir fuhren über das Straßengewirr am Massachusetts Turnpike auf die 93 Richtung Süden. Ich starrte missmutig auf den schmutzig gelben Bauzaun, der rechts von uns den Blick auf die Stadt versperrte. Schließlich seufzte ich und rettete mich in ein hilfloses Grinsen. »Könnte sein, dass ich ein bisschen eifersüchtig war.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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