Herzlich willkommen im Datengefängnis - Michael Ehlers - E-Book

Herzlich willkommen im Datengefängnis E-Book

Michael Ehlers

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Beschreibung

Eine Geschichte von der Revolution unseres Gesundheitssystems, intelligenten Maschinen in der Industrie und Algorithmen, die unser Liebesleben bestimmen: "Herzlich Willkommen im Datengefängnis" bietet eine umfassende Übersicht rund um das Thema Big Data. Es beleuchtet anschaulich die Zukunft, in der wir schon heute leben, und entführt den Leser in die spannende Welt der Daten, die uns mehr und mehr umgibt. Kommunikationsexperte Michael Ehlers zeigt an prägnanten Beispielen, wie rasant sich unsere Art zu leben, zu lieben und einzukaufen verändert, welche Gefahren das Big-Data-Zeitalter mit sich bringt – aber auch wie wir von DEM Rohstoff der Gegenwart profitieren können.

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MICHAEL EHLERS

HERZLICHWILLKOMMENIM DATENGEFÄNGNIS

Wie wir zukünftig leben, lieben und einkaufen werden

Copyright der deutschen Ausgabe 2016: © Börsenmedien AG, Kulmbach

Covergestaltung: Holger Schiffelholz Gestaltung und Satz: Bernd Sabat, VBS-Verlagsservice Herstellung: Daniela Freitag Redaktionelle Mitarbeit: André Held Lektorat: Elke Sabat

ISBN 978-3-86470-355-3eISBN 978-3-86470-370-6

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

www.boersenbuchverlag.de

www.facebook.com/boersenbuchverlag

Ich widme dieses Buch der

FREIHEIT,

dem größten Wert einer demokratischen, humanistischen und menschenwürdigen Gesellschaft.

„Die ich rief, die Geister, Werd’ ich nun nicht los.“

Der Zauberlehrling – JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1797)

INHALT

1. Vorwort von Dr. Patrick Schünemann

2. Warum Big Data? Wie „Bedürfnisse“ den Weltmarkt regeln

3. Von der Lochkarte zum Internet der Dinge – die digitale Revolution und das Informationszeitalter

4. Was ist eigentlich so „Big“? Erläuterungen am Moore’schen Gesetz

5. Von Babylon bis Google – die Entwicklungsgeschichte von Big Data

6. Wie Big Brother uns überwacht

7. Was mein Smartphone alles speichert … und wer es heimlich nutzt

8. Das Internet als Schlachtfeld – wenn das Netz zur Waffe wird

9. Wie Algorithmen den Markt bestimmen – Finanzterrorismus und seine Folgen

10. Wie Big Mother uns beschützt – die Revolution unseres Gesundheitssystems

11. Statistik vs. Bauchgefühl – das Moneyball-Prinzip

12. Flirten auf dem Klo – von der Algorithmisierung menschlicher Beziehungen

13. Die Sharing Economy – wie Big Data zukünftig Ressourcen spart

14. Chips for Kids – warum ich meinem Kind einen Chip einsetzen würde

15. Big Data – konkrete Chancen für den Mittelstand

16. Wie Beacons den Handel und unser Einkaufsverhalten komplett verändern werden

17. Interview mit Dr. Patrick Schünemann

18. Die Geister, die wir riefen

19. Dankeschön

20. Quellenverzeichnis

Wir befinden uns bereits im Datengefängnis. Von der Wiege bis zur Bahre – und darüber hinaus – werden wir elektronisch erfasst, verwaltet, analysiert und verfolgt. Es ist absolut unmöglich, aus diesem Datengefängnis auszubrechen. Selbst wenn wir rigoros auf Computer, Smartphones und Kundenkarten verzichten, werden wir über das Einwohnermelderegister, die Krankenkasse, die Steuern und unsere Bank erfasst und ausgewertet. Und selbst wenn wir untertauchen, unsere Identität löschen und als Waldschrat im Dschungel leben, können wir immer noch über eine Kamera, welche am Internet, an einer Drohne oder an einem Satelliten hängt, identifiziert und verfolgt werden. Technisch ist das absolut möglich.

Einerseits sind diese Daten eine dauernde Bedrohung für unsere Privatsphäre, aber gleichzeitig bieten sie auch einen immensen Nutzen und viel Bequemlichkeit. Die zugrunde liegenden Technologien und Konzepte sind komplex und abstrakt. Nicht nur Laien, sondern auch sehr viele Fachleute verstehen bestenfalls nur Teile davon. Umso wichtiger sind Bücher wie dieses, welche in verständlicher Sprache und mit Beispielen Wissen vermitteln. Wissen und Bildung sind die einzig wirksamen Werkzeuge, um sich in der rasant wachsenden Digitalisierung zurechtzufinden und informierte Entscheidungen zu treffen.

Schließlich erfordern die neuen Technologien und deren Anwendungen eine regelmäßige ethische Reflexion, denn gut und böse, positiv und negativ, nützlich und schädlich, schwarz und weiß lassen sich nicht immer eindeutig definieren. Tatsache ist, dass sämtliche Lebensbereiche digitalisiert werden. Aber ist es sinnvoll, sein Kind über eine App ständig lokalisieren zu können, um zu wissen, wo es sich aufhält? Der Autor Michael Ehlers würde es sogar chippen lassen. Meine Frau hat das mit unseren Katzen gemacht. Oder zählt die Privatsphäre des Kindes mehr? Oder die der Katzen? Wie wägen Sie ab? Denken Sie darüber nach!

Seit fast 20 Jahren arbeite ich als Architekt und Entwickler analytischer Systeme und modelliere Daten mit statistischen Methoden. Manchmal fühle ich mich wie ein Kind im Spielzeugladen, das neue Sachen haben und ausprobieren will. Manchmal denke ich aber auch: „Ups – das ist jetzt aber heikel …“

Wir werden wohl nicht darum herumkommen, verbindliche Regeln und Kontrollen aufzubauen, um Missbräuche und Übertreibungen einzudämmen. Ich postuliere, dass der Datenschutz eine ähnliche Bedeutung bekommen wird wie die Regulierungsbehörden in der Finanzindustrie. Wir werden Auswüchse erleben und wir werden mit mehr Cybercrime und Cyberwar konfrontiert werden. Doch aufhalten lässt sich die Entwicklung nicht. Auf jeden Fall ist es aber äußerst faszinierend, sich mit den Möglichkeiten, Chancen, Gefahren und gesellschaftlichen Auswirkungen von Big und Smart Data, künstlicher Intelligenz, dem Internet der Dinge und weiteren interessanten Entwicklungen auseinanderzusetzen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen bei der Lektüre dieses Buches viele erhellende Anstöße zum Staunen und Nachdenken.

Warum werden Geschichtswissenschaftler in einigen Hundert Jahren vom Beginn des Big-Data-Zeitalters sprechen, wenn sie unsere Epoche betrachten? Weil die heutzutage rasant eintretenden Veränderungen, welche unsere Gesellschaft und unsere Art zu leben für immer verwandeln werden, revolutionär sind. Ähnlich umwälzend wie die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg in der Mitte des 15. Jahrhunderts und mindestens genauso bahnbrechend für die gesamte Menschheit wie die beginnende Industrialisierung im 18. Jahrhundert.

In der Mitte jeder Revolution steht das Bedürfnis, ein Verlangen nach Veränderung. Aber was ist das eigentlich und wie grenzen wir ein Bedürfnis von einer Notwendigkeit ab? Ersteres erscheint mir gefühlsmäßig deutlich tiefer verankert. Es ist mir ein Bedürfnis, etwas Bestimmtes zu tun, beispielsweise gut zu essen oder ausreichend zu schlafen. Eine Notwendigkeit geschieht vielmehr aus rationalen Gründen und muss getan werden, weil es eben nötig ist. Zum Beispiel der Toilettengang, der bei so manch einem allerdings auch ein Bedürfnis sein könnte. Sie sehen bereits: So ganz simpel verhält sich das alles nicht.

Aber wieso erzähle ich Ihnen das? Weil es Bedürfnisse gibt, die unseren Weltmarkt regeln, und es dringend notwendig ist, dieses Konstrukt zu verstehen, bevor wir in die tiefergehende Materie der Informationen einsteigen, die uns heutzutage umgeben. Denn ich halte es an dieser Stelle für eminent wichtig, die Geschehnisse unserer heutigen Zeit zunächst auf zentrale Punkte in der Vergangenheit zurückzuführen.

Nur mit dem Wissen aus dieser vermögen wir auch unsere Gegenwart und Zukunft zu verstehen.

Die Kondratieff-Wellen im Datenozean

Warum also gibt es die Big-Data-Revolution? Ich erkläre das im Grunde genommen aus zwei Perspektiven. Die erste ist die Kondratieff-Theorie, die zweite handelt von unserem Umgang mit verschiedenen Denkweisen.

Alles, was uns im Leben produktiver macht, setzt sich auf dem Markt als Innovation durch. Der Computer ist nicht gekommen, weil die Leute Lust hatten, auf einmal auf Bildschirme zu glotzen und dort Buchstaben hineinzutippen. Er hat sich auch nicht durchgesetzt, weil die Menschen es lustig fanden, wenn sie diese statt auf dem Papier in der Schreibmaschine auf einmal auf dem Bildschirm gesehen haben.

Verantwortlich für diese These zeichnet sich der russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratieff, der in den zwanziger Jahren eine Theorie entwickelte, nach der sich alle Lebensbereiche in einem regelmäßigen Rhythmus – den sogenannten Kondratieff-Wellen – verändern.

Lassen Sie mich das an einigen Beispielen erklären: Große Veränderungen treten immer dann ein, wenn ein Bedürfnis besteht. Während der Mitte des 18. Jahrhunderts war das die Erfordernis, die Herstellung von Textilien zu optimieren. Dazu entwickelte James Watt 1769 die Dampfmaschine so weiter, dass die Webstühle 200-mal mehr leisten konnten als zuvor.1 Die Folgen waren revolutionär. Textilien konnten nun schneller und billiger produziert werden. Auch andere Branchen profitierten davon und lösten in Großbritannien einen bis dato noch nie da gewesenen Wirtschaftsboom aus, der sich alsbald auch auf Westeuropa ausweiten sollte. Die Gesellschaft war vom Agrar- zum Industriezeitalter vorangeschritten. Nach Jahren des Aufschwungs jedoch war die Wirtschaft an einem Punkt angelangt, an dem der produktivitätssteigernde Faktor so gering war, dass sie stagnierte. Die Folge waren Massenelend und Arbeitslosigkeit. Aber was war das Problem? Die Transportkosten waren schlicht zu hoch. Eine Besserung dieser Situation trat mit der Erfindung der Eisenbahn und des Dampfschiffes ein. Handel und Industrie verbreiteten sich rascher. Es entstand ein infrastrukturelles Netz, das zahlreiche neue Arbeitsplätze schuf, wodurch ein erneuter Aufschwung eintrat.

Dieses Muster der langen Wellen setzt sich bis heute so fort. Denn: „Wenn die Voraussetzungen dafür [Basisinnovation] geschaffen werden, kann es nach einem langen Abschwung wieder aufwärtsgehen.“2

Und bisher ist das immer geschehen. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929: Abschwung! Das deutsche Wirtschaftswunder in den 1950er-Jahren: Aufschwung! Daran konnten auch zwei Weltkriege nichts ändern. Sie und andere geschichtliche Brüche können zwar einen Zyklus vorübergehend einstellen, diesem aber dauerhaft nicht Einhalt gebieten.3

Die Digitalisierung ab 1980: Aufschwung! Die Finanzkrise seit 2007: Abschwung! Ja, wir leben in Zeiten des Abschwungs. Der fünfte Kondratieff, das Zeitalter der Information, macht uns nicht mehr leistungsfähiger. Als im Jahr 2007 die Immobilienblase in den USA platzte und dies weltweit zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums führte, Rezession einsetzte und Banken mit Rettungsschirmen versorgt werden mussten, erinnerte dieses Prozedere stark an die Weltwirtschaftskrise 1929.

Es ist also wieder Zeit für einen Aufschwung. Und Sie werden sicher ahnen, was die Basis für diesen sein wird: Big Data!

All diese Dinge, die sich jetzt im Big-Data-Zeitalter durchsetzen, helfen uns, effektiver zu leben und dementsprechend produktiver zu arbeiten, weil wir durch das Arbeiten Wertschöpfungsketten noch wirksamer schließen können. Eine gewagte These? Zahlreiche Beispiele aus diesem Buch werden sie unterstreichen.

Warum wir denken, wie wir denken

Für die zweite Sichtweise ist das Buch Schnelles Denken, langsames Denken4 vom profilierten Psychologen und Nobelpreisträger Daniel Kahneman relevant. Eindrucksvoll und alltagsnah beschreibt er das menschliche Verhalten, wenn es darum geht, die richtige Entscheidung zu treffen. Wie handeln wir in bestimmten Situationen und welchen Anteil an diesem Denkprozess hat unser Urteilsvermögen? Als Angehöriger der Spezies Mensch sind wir grundsätzlich gemütlich. Mit dieser archaisch bedingten Gewohnheit streben wir schon seit jeher nach Sicherheit und Geborgenheit. Und wenn wir Dinge erledigen können, ohne dass wir viel Anstrengung dazu brauchen, dann machen wir das. Oft eben, ohne dass wir über mögliche Konsequenzen unseres Handelns nachdenken.

Im Big-Data-Zeitalter ist das ganz einfach. Ich stehe irgendwo in der Stadt und habe das Bedürfnis nach einer schmackhaften Pizza. Ich ziehe in diesem Fall mein iPhone und frage Siri: „Wo ist die nächste Pizzeria?“ Siri zeigt mir die nächstgelegenen Möglichkeiten in meiner Umgebung, und zwar mit der Angabe, wo ich diese finde, wie weit es dorthin ist, und ich sehe auch gleich, wie andere Kunden diese Pizzerien bewertet haben.

So kann ich in kürzester Zeit abwägen, welchem Italiener ich einen Besuch abstatten sollte, um meinen großen Hunger auf Pizza zu stillen.

Welche Datenspur wir dadurch hinterlassen und was diese uns für eine Rückmeldung gibt – und nicht nur uns, sondern möglicherweise auch zukünftig unseren Krankenkassen, Versicherungen und der Politik –, darüber machen wir uns keine Gedanken. Weil das im Zentrum des langsamen Denkens liegt. Grübeln, nachdenken sowie reflektieren ist anstrengend und zeitintensiv. Und wenn wir dem aus dem Wege gehen können, dann wählen wir verständlicherweise lieber die Variante des schnellen Denkens.

In diesem speziellen Fall speichert das Smartphone unseren kompletten Verhaltensvorgang. An welchem Tag und um wie viel Uhr frage ich Siri nach der Pizza? An welchem Ort befinde ich mich zu diesem Zeitpunkt und wo habe ich mich zuvor aufgehalten? Wie lange habe ich die Pizzeria besucht? Habe ich bar oder digital bezahlt? Mein Smartphone weiß das alles und speichert es ab. Welche Informationen es fernerhin akkumuliert und wer diese heimlich nutzt, erfahren Sie vor allem in Kapitel 7 (Was mein Smartphone alles speichert und wer es heimlich nutzt).

Zusammenfassend ausgedrückt: Es sind Bedürfnisse, die unseren Weltmarkt regeln. Irgendwann jedoch transformieren sich diese Bedürfnisse in Notwendigkeiten. Denn der Computer ist längst kein Begehren mehr. Er ist notwendig geworden für unser aller Leben. So wird es sich schließlich auch mit der Big-Data-Revolution verhalten. Was jetzt noch Bedürfnis ist, wird bald Notwendigkeit sein.

Diese Revolution ist nicht mehr aufzuhalten und es ist mir eine Notwendigkeit, Ihnen das zu erläutern. Aus dem Datengefängnis können wir nicht mehr fliehen. Dafür ist es zu spät! Wir können jedoch versuchen, uns den Gefängnisalltag so angenehm wie möglich zu gestalten. Machen wir aus dem Datengefängnis ein 5-Sterne-Arbeits- und Urlaubsparadies! Denn Big Data birgt nicht nur große Gefahren, sondern bringt auch erhebliche Vorteile mit sich. Beides zu beleuchten wird meine Aufgabe in diesem Buch sein.

„Die Geschichte des Lebens ist eine Abfolge von stabilen Zuständen, die in seltenen Intervallen durch wesentliche Ereignisse unterbrochen wird.“

MANUEL CASTELLS

Eines dieser vom spanischen Soziologen Manuel Castells beschriebenen Ereignisse haben wir vor nicht allzu langer Zeit durchstoßen. Es ist die digitale Revolution, die unsere Art zu leben, zu lieben und einzukaufen innerhalb kürzester Zeit komplett verändert hat und auch zukünftig erheblich umformen wird. Noch nie haben Daten eine so große Rolle gespielt, noch nie bargen sie derartige Gefahren. Manuel Castells verfasste Ende der neunziger Jahre eine umfassende Trilogie über das Informationszeitalter und die Netzwerkgesellschaft, die er dabei im Kontext des rasanten Aufstiegs des Internets als gesamtgesellschaftliches Phänomen betrachtete.1 Viele der folgenden Ausführungen beruhen auf seinen Erkenntnissen.

Lieber Leser: Um den Gesamtkontext zu verstehen, werden wir ein komplexes Thema betrachten. Machen Sie sich nichts daraus. Lesen Sie es im Zweifelsfall sogar doppelt. Das ist die Grundlage, um alles Spätere verstehen zu können. Doch keine Sorge: Ich werde es Ihnen so angenehm wie möglich gestalten.

Wir müssen Big Data als Teil dieser Informationsrevolution verstehen. Denn alle technisch relevanten Ereignisse seit den frühen Beginnen der Industrialisierung bis zur digitalen Revolution münden in die Schritte, die unsere Gesellschaft und Wirtschaft nun gehen. Denken wir an die industrielle Revolution, verknüpfen wir diese vor allem mit der Erfindung der Dampfmaschine.

Einige anerkannte Wirtschaftswissenschaftler vertreten heutzutage jedoch die Meinung, dass die Industrialisierung als fortlaufender Gesellschaftswandel noch nicht abgeschlossen ist. Das ist so unklug nicht, weswegen ich dieser These auch hier folgen möchte. Nach ihr kennen wir heute vier industrielle Revolutionen, die ich im Folgenden kurz anreißen möchte:

1. industrielle Revolution

Sie setzte im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ein und war vor allem gekennzeichnet durch die Erfindung der Dampfmaschine, das Puddelverfahren im Hüttenwesen und die allgemein fortschreitende Ersetzung von Handwerkzeugen durch Maschinen. Die Gesellschaft hatte begonnen, sich vom Agrar- zum Industriezeitalter zu transformieren.

2. industrielle Revolution

Die zweite große Phase der Industrialisierung fand in etwa hundert Jahre später statt. Sie war vor allem geprägt von der Entwicklung der Elektrizität, der Innovation des Verbrennungsmotors und der anfänglichen Verbreitung der Kommunikationstechnologie. Ein wichtiges Merkmal dieses Abschnitts war die beginnende Massenfertigung an Fließbändern.

3. industrielle Revolution

Die dritte industrielle Revolution ist uns auch bekannt als Phase der Digitalisierung. Ihr Beginn ist zeitlich in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts einzuordnen. Durch die fortschreitende Automatisierung wurden immer mehr Arbeitsschritte von Maschinen übernommen. Grundlage dafür war der Einsatz von Elektronik und IT.

4. industrielle Revolution

Auch besser bekannt als Industrie 4.0. Diese Revolution hat in den letzten Jahren eingesetzt und befindet sich deshalb noch im Frühstadium. Ihre Kennzeichen sind die intelligente Fabrik und das Internet der Dinge.

Zeitlich stehen wir jetzt gerade also noch zwischen der dritten und vierten industriellen Revolution. Ressourcen wie Öl und weitere fossile Brennstoffe, welche die markanten Charakteristika der ersten Revolutionen darstellten, erschöpfen sich zusehends.2 Es braucht eine neue Substanz und das sind Informationen!

Wie kam es ergo dazu, dass Daten als das neue Gold angesehen werden? Manuel Castells nennt diesen Vorgang die „Transformation unserer materiellen Kultur in eine Informationstechnologie“3. Zahlreiche Experten nutzen heute den Begriff digitale Transformation! Vereinfacht ausgedrückt: Wir haben uns von der Industrie- zur Informationsgesellschaft weiterentwickelt. Ursprung der ersten Revolutionen waren jeweils neue Energiequellen. Dampfmaschine, Elektrizität oder Kernenergie machen unser Leben aber nicht mehr produktiver. Information und Wissen sind heutzutage die wichtigsten Rohstoffe. Sie sind zentrale Kennzeichen des Informationszeitalters, aber nicht die entscheidende Abgrenzung zur Industriegesellschaft. Die liegt nämlich vielmehr in der Tatsache, dass wir Wissen nutzen, um neues Wissen und neue Informationen herzustellen. Das mag nun schwammig klingen, ist allerdings relativ einfach.

Weil er zu faul zum Rechnen war, erfand Konrad Zuse 1941 den Z3, die erste vollautomatische Rechenmaschine der Welt. Das Prinzip des Aufbaus seines Computers zu heutigen ist unverändert. Lediglich die Rechnergeschwindigkeit ist um ein paar Billionen µ schneller. Zuses Grundsatz und auch der vieler weiterer Pioniere auf diesem Gebiet hätte also lauten können:

LERNEN durch ANWENDEN

Die Weiterentwicklung allerdings erfolgte nach anderen Prinzipien. Man nutzte die wissenschaftlichen Vorkenntnisse und baute auf diesen auf:

LERNEN durch VERWENDEN

Und genauso verhält es sich mit den neuen Informationstechnologien. Die Benutzung von Werkzeugen tritt in den Hintergrund. Die Basics sind vorhanden, weswegen man sich auf Prozesse konzentriert, die weiterentwickelt werden. Wir verwenden demnach Wissen, um neues Wissen zu kreieren.

Ein weiteres Merkmal, das die digitale Revolution so besonders macht, liegt in ihrer außerordentlich schnellen Durchführung. Bis sich die industrielle Revolution weltweit durchgesetzt hatte, dauerte es nahezu zwei Jahrhunderte. Während beispielsweise in vielen Teilen Großbritanniens Mitte des 19. Jahrhunderts bereits ein infrastrukturelles Netz aufgebaut war, scheiterten die deutschen Territorialstaaten noch an ihrer mittelalterlichen Zollpolitik. Die Informationstechnologien erlebten allerdings innerhalb von nur zwei Jahrzehnten einen Boom, der sich auf dem ganzen Globus durchsetzen konnte.

Obwohl wir die dritte industrielle Revolution offiziell ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts beordern, gab es schon in den Jahrzehnten zuvor einige wegweisende Innovationen, ohne die das Ganze so nicht stattgefunden hätte. Dazu gehören sicherlich die Erfindung des Telefons 1876 oder die des Radios 1898. Die großen technologischen Durchbrüche ereigneten sich allerdings während des 2. Weltkriegs und vor allem in der Nachkriegszeit. Der britische Mathematiker Alan Turing schuf durch seine Entschlüsselung des deutschen Fernmeldewesens richtungsweisende Voraussetzungen für die moderne Informationstechnologie. Konrad Zuse entwickelte den ersten Computer und 1957 gelang mit der Erfindung des integrierten Schaltkreises ein technologischer Durchbruch, der die Produktion auf das Zwanzigfache steigen ließ.

Die Mutter der Datenverarbeitung

Als Mutter der Datenverarbeitung betrachtet man heute allerdings eine rechteckige Pappe mit Löchern: die Lochkarte! Ihre Geschichte reicht noch viel weiter zurück. Bereits 1805 wurde der sogenannte Jacquard-Webstuhl mit gelochten Karten aus Karton gesteuert. So war gewährleistet, dass der Webstuhl die immer gleichen Stoffmuster auswarf. Wie das funktionierte, lässt sich am besten mit der Funktionsweise einer Drehorgel vergleichen. Egal wie oft man dreht, sie spielt die immer gleiche nervtötende Melodie. Die erste kommerzielle Verwendung der Lochkarte lässt sich auf die US-amerikanische Volkszählung 1890 datieren. Herman Hollerith, der spätere Gründer von IBM, entwickelte diese Lochkarte und die dazugehörigen Maschinen zur Auswertung. Aber wie ließen sich auf einem Stück Pappe Daten speichern?

In ihrem später verbreiteten Layout befanden sich auf einer Karte zwölf Zeilen mit jeweils 80 Spalten. Die Zeilen entsprachen den Ziffern 0–9 sowie einem Plus- und einem Minus-Vorzeichen. Betrachten wir das Ganze im Kontext unternehmerischer Bestrebungen, konnten beispielsweise die ersten fünf Spalten für eine fünfstellige Kundennummer und die nächsten vier für eine vierstellige Produktnummer verwendet werden. Die anschließenden drei sagten aus, wie oft der Kunde X das Produkt Y gekauft hatte. Am Abend gingen schließlich alle Lochkarten in das dazugehörige Lesegerät, das in vergleichsweise kurzer Zeit den Umsatz des gesamten Tages auswertete.

Dieses nützliche und einfache Verfahren verbreitete sich anschließend mehr und mehr in der Mechanik und Elektromechanik. Ab Mitte der 1960er-Jahre war die Lochkarte jedoch zunehmend auf dem absteigenden Ast, weil sich in den Rechenzentren Magnetbänder als Speichermedium durchgesetzt hatten. Heutzutage ist die Lochkarte eigentlich komplett verschwunden. Eine Ausnahme stellt allerdings das amerikanische Wahlsystem dar. Da die Stimmabgabe in den einzelnen Staaten der USA extrem variiert, gab es auch im Jahr 2012 noch Bezirke, in denen per Lochkarte abgestimmt werden konnte.

Alles wird smart

Ohne die Lochkarte und Konrad Zuses laute Rappelmaschine würde es die meisten Innovationen, die heute unseren Alltag prägen und morgen noch weiterhin bestimmen werden, definitiv nicht geben. Ganz besonders betrifft uns das Internet der Dinge.

Früher waren das Internet und die Dinge um uns herum strikt getrennt. Zum Einkaufen sind wir auf eine Internetseite wie beispielsweise Amazon gegangen, haben den Bestellprozess beendet und zwei Tage später die Ware zu Hause in Empfang nehmen können. Heute aber gehen wir durch die Innenstadt und werden über einen iBeacon in ein Geschäft gelockt. Unsere Smartwatch erzählt uns, dass folgende Produkte in dem Regal, vor welchem wir gerade stehen, interessant sind, weil wir sie in der Vergangenheit bereits gekauft und für gut bewertet haben. Das heißt, dass sich die Dinge um uns herum und das Internet zusehends vermischen. So wie das Internet in den frühen 90ern die Gesellschaft revolutioniert hat, kann auch das Internet der Dinge die Welt verändern. Dieser Prozess ist bereits im Gange. Oft wird er mit dem Begriff smart verknüpft.

Denn plötzlich wird alles smart: Smartphones, Smartwatches, die intelligente Fabrik als Smart Factory, in der die Produkte eigenständig miteinander kommunizieren, oder auch das Smart Home, ein von innen und außen steuerbares Haus, das Wohn- und Lebensqualität erhöht, Sicherheit bietet sowie Energie spart. Verlassen wir unser Smart Home, verriegelt sich die Haustür von allein. Kommt ein Regenschauer, schließen sich die Fenster, und ist eine Kaltfront gemeldet, erhöht die Heizung die Temperatur. Das Internet der Dinge beeinflusst bereits jetzt unseren Alltag immens, auch wenn wir das vordergründig gar nicht wahrnehmen. In den folgenden Kapiteln werden Ihnen immer wieder Geschichten begegnen, die auf dem Prinzip des Internets der Dinge basieren. Willkommen in der Zukunft!

Ob das Smartphone in der Tasche, die Kreditkarte im Geldbeutel oder das Navigationsgerät im Auto: Auf Schritt und Tritt sind wir heute umgeben von Daten, welche sich mittlerweile in Größenordnungen bewegen, die wir kaum noch realisieren können. In rasantem Tempo eilt der technische Fortschritt durch unsere Zeit und macht dabei alles noch schneller, noch leistungsfähiger und noch billiger. Was gestern noch groß war, ist heute schon veraltet. Diese rapide Entwicklung in den letzten Jahrzehnten ist jedoch kein Zufall. Sie ist dargelegt durch das Moore’sche Gesetz.

Gordon Moore, der spätere Mitbegründer vom Halbleiterhersteller Intel, hatte dieses Gesetz 1965 in einem Aufsatz in der Zeitschrift Electronics