Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Professionell auftreten, wirkungsvoll überzeugen oder mit Worten führen: Die Rhetorik ist das wichtigste Instrument für jeden, der an seiner Wirkung arbeiten und seine Mitmenschen nachhaltig beeindrucken möchte. Im digitalen Zeitalter hat sich unsere Kommunikation jedoch gravierend verändert. Sie wurde schneller und vor allem manipulativer. Aber noch immer gilt: Wir müssen unsere hochkomplexe Umwelt verstehen, um unsere Ziele kommunizieren zu können. In der modernen Rhetorik, wie sie der Top-Trainer Michael Ehlers versteht, ist es deshalb umso wichtiger, sich präzise auszudrücken. Abwechslungsreich, praxisnah und effizient transferiert Michael Ehlers die Redekunst in das digitale Zeitalter und beweist, dass Rhetorik eine Fähigkeit ist, die es zu verstehen und zu beherrschen lohnt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 518
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
MICHAEL EHLERS
Die Kunst der Redeim digitalen Zeitalter
Alesja Ehlers
Ellis Ehlers
Liv Freya Ehlers
In dankbarer Erinnerungmeinem größten Vorbild:
Klaus Ehlers
Copyright der deutschen Ausgabe 2018:
© Börsenmedien AG, Kulmbach
Covergestaltung: Holger Schiffelholz
Gestaltung und Satz: Bernd Sabat, VBS-Verlagsservice
Herstellung: Daniela Freitag
Redaktionelle Mitarbeiter: Thomas Meyer und André Held
Lektorat: Claus Rosenkranz
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86470-569-4eISBN 978-3-86470-570-0
Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
Postfach 1449 • 95305 Kulmbach
Tel: 0 92 21-90 51-0 • Fax: 0 92 21-90 51-44 44
E-Mail: [email protected]
www.books4success.de
www.facebook.com/books4success
Vorwort von Rolf H. Ruhleder
TEIL 1
WER ETWAS ZU SAGEN HAT,SOLLTE REDEN KÖNNEN
KAPITEL 1: Rhetorik. Die Kunst der guten Rede
KAPITEL 2: Was ist Kommunikation? – Kommunikationsmodelle im Vergleich
Friedemann Schulz von Thun – Vier Seiten einer Aussage
Paul Watzlawick – Fünf Axiome
Paul Grice – Maximen der Kommunikation, oder auch: Lesen Sie zwischen den Zeilen
Das Eisbergmodell
KAPITEL 3: Die Rolle der Rede in Zeiten der Überinformation
KAPITEL 4: Der rhetorische Werkzeugkoffer
TEIL 2
PROFESSIONELLER AUFTRITTUND SICHER REDEN
KAPITEL 1: Wie Joschka Fischers Rhetorik eine Friedensparteivom Kriegseintritt überzeugte
KAPITEL 2: Die Grundlagen der Rhetorik:Das macht einen guten Redner aus
Vorbereitung (Technikcheck, Publikum und Thema, Veranstalter)
Lampenfieber
Auftreten
Standort einnehmen
Der Einstieg
Einleitungen für eine Rede
Nutzbarer Inhalt („What’s in it for me?“)
Einbeziehen der Zuhörer
Einfühlungsvermögen
Blickkontakt
Gestik und Mimik
Mundart
Atem-, Stimm- und Sprechtechnik
Lautstärke und Modulation
Pausentechnik
Hilfs- und Präsentationsmittel zum freien Reden
Das Ende: Der letzte Eindruck bleibt
TEIL 3
STEUERUNG UND FÜHRUNGDURCH ANGEWANDTE RHETORIK
KAPITEL 1: Mit Worten führen
KAPITEL 2: Führungsmodelle im Vergleich
Das Harzburger Modell
Das St. Galler Management-Modell
KAPITEL 3: Eine Führungskraft muss führen – aber wie?
Motivation durch zielführende Kommunikation
Mit den fünf Motivationstypen nach Prof. Dr. Werner Correll Menschen richtig einschätzen
Delegieren will gelernt sein
Das Verhältnis von Stressstabilität und Einfühlungsvermögen
Professionell Feedback geben und nehmen
Das Mitarbeitergespräch
Regeln für die Konferenz mit Führung und Ergebnis
Führen mit Fragetechniken
TEIL 4
RHETORIK IM ZEITALTER DER LÜGEN
KAPITEL 1: Ist das „Comet Ping Pong“ Zentrum eines Kinderpornorings?
Die größten Lügen aller Zeiten
Arten von Fake News
Wie subjektive Wahrheiten entstehen
So erkennen Sie Fake News
KAPITEL 2: Alles erstunken und erlogen?
Warum wir so oft lügen
Sind gute Lügner erfolgreicher?
Methoden, um einen Lügner zu entlarven
Hat das Internet uns zu einer Pinocchio-Gesellschaft verkommen lassen?
Die Rolle der Lüge in einer Geschichte
TEIL 5
KOMPETENZ UND MACHT DURCH SPRACHE
KAPITEL 1: Politische Kommunikation
KAPITEL 2: Rhetorik aus dem Weißen Haus
KAPITEL 3: Framing – Wie Sprache unser Denken beeinflusst
KAPITEL 4: Faire vs. unfaire Dialektik
Auszüge aus Schopenhauers Kunstgriffen der Eristischen Dialektik
Der schlechte Ruf der Rhetorik
Lernen Sie unfaire Angriffe abzuwehren
KAPITEL 5: Methoden für die erfolgreiche Debatte
KAPITEL 6: Regeln für das Interview
TEIL 6
DER ÄSTHETISCHE ASPEKT DER RHETORIK
KAPITEL 1: Wie die Rhetorik verschwand (und trotzdem immer da war)
KAPITEL 2: So sieht der ideale Satz aus
KAPITEL 3: Rhetorische Stilmittel
KAPITEL 4: Humor: Interview mit Eva Ullmann
KAPITEL 5: Semiotik – Die geheime Welt der Zeichensysteme
Interview mit der Semiotikerin Charlotte Hager
TEIL 7
DIE ZUKUNFT DER KOMMUNIKATION –VIRTUELLE RHETORIK
KAPITEL 1: Wie die Digitalisierung unsere Kommunikation verändert hat
KAPITEL 2: Die Cambridge Analytica-Debatte
KAPITEL 3: Maschinensprache:Wie Social Bots uns beeinflussen
KAPITEL 4: Der Wunsch nach Authentizität:Immersiver Journalismus
KAPITEL 5: Virtual Reality:Neue Ethik für neue Welten?
KAPITEL 6: Instant-Messenger, Calls und Co – So gehen Sie mit modernen Kommunikationsmitteln um
TEIL 8
VERHANDELN UND VERSTEHENAUF HÖCHSTEM NIVEAU
KAPITEL 1: Der Verkäufer im Wandel der Zeit
KAPITEL 2: Im Internet ist alles billiger – Verkaufen im digitalen Zeitalter
KAPITEL 3: Wie Verhandlungen funktionieren
Welcher Verhandlungstyp sind Sie?
Das Harvard-Verhandlungskonzept
Die drei Phasen der Verhandlung
Reizformulierungen
KAPITEL 4: Überzeugungstechniken: Verhandlungsgeschick durch anwendbare Psychologie
KAPITEL 5: Ein Einwand ist kein Vorwand
KAPITEL 6: Der Pitch – Die Sonderform der Überzeugungsrede
TEIL 9
MENSCHEN LESEN – MENSCHEN GEWINNEN
KAPITEL 1: Die faszinierende Welt der Körpersprache
KAPITEL 2: Mikroexpressionen
KAPITEL 3: Wahrnehmen und Steuern von Körpersprache
KAPITEL 4: Distanzzonen
KAPITEL 5: Was der Händedruck über uns aussagt
TEIL 10
HELDENGESCHICHTEN –DIE WELT DES STORYTELLINGS
KAPITEL 1: Warum wir Geschichten lieben
KAPITEL 2: So funktionieren Geschichten
Das macht eine gute Geschichte aus
Die Heldenreise
Archetypen
KAPITEL 3: Corporate Storytelling
KAPITEL 4: Multimediales Storytelling
TEIL 11
DER WIRTSCHAFTSFAKTOR RHETORIK
DANK
ANHANG: FUSSNOTEN
Im Jahr 1989 – ich war damals Marketingleiter der Harzburger Akademie für Führungskräfte – fasste ich einen für mich bedeutsamen Entschluss: Ich gründete mein eigenes Management Institut in Bad Harzburg. Seit über 30 Jahren bin ich nun schon als Keynote-Speaker sowie Rhetorik- und Verkaufsdozent tätig. In dieser Zeit schulte ich über 500.000 Teilnehmer in mehr als 3.500 Seminaren und Großveranstaltungen. Jahrzehnte, in denen sich viel verändert hat. Doch etwas ist stets gleich geblieben: die Regeln der Rhetorik und insbesondere wie man eine gute Rede hält. Sie haben sich seit Jahrhunderten kaum verändert. Noch immer ist es wichtig, vor dem Publikum Sicherheit auszustrahlen, Begeisterung zu entfachen und Spannungsbögen zu kreieren. „Ein Dichter wird geboren, ein Redner wird gemacht.“ Schon Cicero hatte diese altrömische Weisheit erkannt. Anders verhält es sich hingegen bei der Verhandlungskunst. Hier haben wissenschaftliche Forschung und Veröffentlichungen von Experten dazu geführt, dass wir heute über eine Vielzahl von intelligenten und rhetorisch klugen Verhandlungsmöglichkeiten verfügen.
Wir leben heute im Zeitalter der Kommunikation. Die Digitalisierung ist eine der weitreichendsten Veränderungen, die die Menschheit je erlebt hat. Die rhetorischen Methoden für einen souveränen und sicheren Auftritt mögen zwar unverändert geblieben sein, doch die Zeit blieb währenddessen nicht stehen. Die Techniken der Rhetorik können wir nicht neu erfinden. Wir können sie aber an unsere Zeit anpassen. Mein langjähriger Schüler Michael Ehlers ist der erste Trainer, dem dies auf beeindruckende Weise gelungen ist. Er hat es gewagt, die Rhetorik und die Besonderheiten der Kommunikation in diesem Zeitalter auf gleicher Ebene zu betrachten. Dass er die richtige Person dazu ist, beweist ein Blick auf seine bisherigen Veröffentlichungen, mit denen er sich als hervorragender Experte zur digitalen Kommunikation positioniert hat. Nur wenn wir in der Lage sind, unsere schnelllebige Umwelt zu verstehen, können wir auch zielgerichtet kommunizieren. Beide Themen – das Verständnis und die Anwendung – gehen in diesem Buch Hand in Hand. Besonders lesenswert ist es durch seine Abstimmung auf die tägliche Praxis. So fungiert es mit seinen zahlreichen Ratschlägen aus der angewandten Rhetorik einerseits als Nachschlagewerk, das in keinem Bücherregal fehlen sollte, und andererseits ist es mit seinen vielen kurzweiligen Geschichten, aber auch intensiven Analysen ein sehr unterhaltsames Buch. Die Aussagen zur Körpersprache sind hochinteressant und lassen sich sofort umsetzen. Alles in allem: ein Buch, das Ihnen als Leser sofort einen großen Nutzen bringt.
Mittlerweile habe ich einen unzählbaren Fundus von Rhetorikbüchern im Regal stehen. Dieses Buch von Michael Ehlers wird darin einen besonderen Platz einnehmen. Er ist ein fantastischer Trainer. Ich durfte in den letzten 30 Jahren mehr als 100 Trainer kennenlernen und ausbilden. Keiner von ihnen konnte sich so gut präsentieren und überzeugen wie Michael! Dies zeigt sich besonders durch die Rolle, die er inzwischen auf dem Aus- und Fortbildungsmarkt eingenommen hat. Sein Engagement, seine herzliche Art und sein fachliches Wissen haben ihn zu einem der Startrainer Deutschlands gemacht. Ganz herzlich gratuliere ich ihm zu dieser Leistung, denn immerhin sind mehr als 50.000 Trainer auf dem deutschen Markt im Einsatz. Sein Einfühlungsvermögen und besonders die humorvolle Art, wie er sich in jedes Seminar einbringt, sind einmalig. Lieber Michael Ehlers: Machen Sie weiter so!
Timmendorfer Strand, 2001
Nervös stand ich mit meiner Frau (wir waren frisch verheiratet) im Fahrstuhl des Maritim Hotels. Plötzlich betrat er den Fahrstuhl: mein Rhetoriktrainer. Mein Herz schlug sofort bis zum Hals. Aber ich merkte sofort, dass mein Trainer für die nächsten drei Tage nicht nur einer der besten Startrainer seiner Zeit, sondern auch ein großartiger Gastgeber war. Er begrüßte uns beide auf herzlichste Art und vermittelte dabei ein besonderes Willkommensgefühl. In diesem Moment bekam ich eine erste Vorstellung davon, dass Rhetorik vermutlich mehr ist als Fragetechniken, Redestruktur und Einwandbehandlung …
Schleswig-Holstein, Kreis Plön, 1987 und Folgende …
Ich komme aus einem politischen Haushalt und habe bereits mit 15 Jahren begonnen, mich politisch zu engagieren. Mein Vater und meine Mutter haben sich von Anfang an auch vor uns drei Kindern – von denen ich das jüngste bin – viel über Politik unterhalten. Meine Neugier war schnell geweckt. Und so war es auch klar, dass ich eher früher als später der Jugendorganisation der von mir und meinen Eltern favorisierten Partei beitreten würde.
Ich war schon immer jemand, der sich mit Worten durchsetzen musste. Mein Vater arbeitete als ehemaliger Bauer nach der Pleite des eigenen Hofes im öffentlichen Dienst. Meine Schulkameraden waren oft noch in der elterlichen Landwirtschaft aktiv, was bei ihnen in einer entsprechenden körperlichen Stärke resultierte. Ich dagegen war – wer mich heute kennt, braucht jetzt Phantasie – eher drahtig und schmächtig. Was mir an Muskelmasse fehlte, musste ich mit großer Klappe und Humor wettmachen, was so weit gut funktionierte. Ich war nahezu jedes Jahr Klassensprecher und im letzten Jahr sogar Schulsprecher. In dieser Funktion durfte ich am Ende der Schulzeit meine erste Rede halten. Vorher stand allerdings noch der obligatorische Schulstreich auf dem Programm. Der fiel entsprechend unserer ländlichen Prägung etwas derber aus. Tatsächlich ließen wir es wirklich krachen. Um vier Uhr morgens trafen wir uns an der Schule. Gleich vier Traktoren standen auf dem Schulhof. Drei davon luden ganze Hänger voller Mist vor dem Haupteingang der Schule in Schönberg/Holstein ab. Auf dem Gipfel des ansehnlichen Misthaufens befestigten wir ein Schild: „Das habt ihr uns in all den Jahren beigebracht!“ Der vierte Traktor platzierte mithilfe eines mächtigen Frontladers ein paar ebenso mächtige Findlinge in der Einfahrt des Lehrerparkplatzes. Vielleicht können Sie sich vorstellen, was los ist, wenn man deutsche Schulmeister dazu zwingt, ihre Morgenroutine zu ändern, und sie dazu noch mit einem Berg stinkenden Kuhmists begrüßt.
Wir waren recht stolz auf uns und begossen den Erfolg mit einigen Frühstücksbieren. Selbst in diesem Zustand fiel uns allerdings auf, dass nicht alle Lehrer gleich auf die Provokation reagierten. Die eine Hälfte der Lehrkräfte nahm unseren Streich ziemlich gelassen. Die andere Hälfte reagierte deutlich emotionaler. Meine Deutschlehrerin brach sogar in Tränen aus. Sie war erschüttert ob der Frechheit der jungen Leute. Unser Hausmeister, der den ganzen Tag damit beschäftigt war, den Mist aus den Fluren zu wischen, erst recht. An die Konsequenzen unseres Streichs für den armen Mann hatten wir natürlich nicht gedacht. An dieser Stelle also eine späte, aber ehrlich gemeinte Entschuldigung.
Wir fanden uns am nächsten Morgen mit unserer Heldentat in der örtlichen Zeitung auf der Titelseite wieder. Dann kam die Abschlussveranstaltung und meine Aufgabe als Schulsprecher war es, die Abschlussrede zu halten. Es war ein Horrorszenario für mich. Jetzt musste ich vor die gesamte Lehrerschaft und die Schulfreunde treten. Einige Lehrer und besonders meine Deutschlehrerin Frau Cordt zeigten mir überdeutlich ihre Abneigung. Der Misthaufen war gar nicht gut angekommen. Ich legte mit meiner Rede nach: „Sie haben alle studiert und leider wenig Einblicke in das wahre Leben Ihrer Schüler. Denn wenn Sie sich mit unserem Alltag beschäftigen würden, dann hätten Sie auch unseren Schulstreich richtig verstanden. Ein größeres Dankeschön können Ihnen die drei Klassen mit den vielen Bauernkindern gar nicht machen. Jeder Landwirt weiß, dass es den Mist als Dünger braucht, damit es anschließend eine ordentliche Ernte gibt. Wenn Sie sich über den Gestank aufregen, vergessen Sie nicht, dass der gute Dünger dabei hilft, dass Sie für Ihr leckeres Frühstücksbrötchen nur wenige Pfennige zahlen müssen. Wir wollten mit dem Schulstreich einfach zeigen, dass wir dankbar sind. Dankbar dafür, hier an dieser Schule die Düngemittel für unsere berufliche Zukunft von Ihnen erhalten zu haben. Wir waren nicht immer die leichtesten Schülerinnen und Schüler. Sie waren nicht immer die leichtesten Lehrkräfte. Aber heute stehen wir hier. Wir mit unseren Abschlüssen und Sie mit der Genugtuung, wieder ein paar junge Menschen auf das Leben da draußen vorbereitet zu haben.“ Meine Deutschlehrerin weinte wieder. Diesmal vor Rührung. Anschließend drückte sie mich etwas zu lange und etwas zu herzlich.
Auch wenn der Text, den ich mithilfe meines schlauen Vaters in weiser Voraussicht auf die Folgen unseres Streichs geschrieben und dann abgelesen habe, sicher gut war, konnte ich keine Sekunde am Rednerpult genießen. Noch schlimmer wurde es später in meiner politischen Jugendorganisation. Inzwischen im Beruf angekommen, hatte ich viel Freude daran, mit meinen Genossen ordentlich Rambazamba zu machen. Wir veranstalteten zahlreiche Partys und mieteten zu Silvester sogar ein ganzes Schloss, um mit zwei Livebands der Landbevölkerung in Abendkleid und Smoking ein gutes Fest zu liefern. Der Erfolg blieb nicht aus: Partys & Politics hat funktioniert und wir gewannen enorm viele neue Mitglieder. Unser Ortsverband wurde der größte im Landkreis und wir gründeten weitere. Daraus wuchsen auch Ambitionen, für den Kreisvorstand zu kandidieren. Raten Sie mal, wem diese Idee so gar nicht gefiel? Richtig – den damaligen Amtsinhabern. Es kam zum Showdown. In der Kreisversammlung wurden alle Karteileichen ausgegraben, die irgendwie noch stimmberechtigt waren. Mein Kumpel Stefan und ich waren dagegen strategisch ziemlich unbewaffnet. Alle sprachen in den Bewerbungsreden mehr oder weniger frei. Selbstbewusst notierte ich mir also ein paar Stichworte und dachte: „Das mache ich schon.“ Weit gefehlt. Die über 100 Zuschauer, Kameras und besonders die Scheinwerfer holten mich komplett aus meiner Mitte. Ich stammelte irgendetwas Sinnbefreites vor mich hin und wir verloren die Abstimmung trotz der guten Arbeit, die wir geleistet hatten. Das sollte uns eine Lehre gewesen sein. Zwei Jahre später waren wir sowohl rhetorisch als auch strategisch bereits so hochgerüstet wie die UdSSR im Kalten Krieg und wir nahmen den Kreisvorstand im Handstreich. In der Zwischenzeit hatte ich mein erstes Rhetorikseminar an der Hermann-Ehlers-Akademie in Kiel besucht. Ein junger Student zeigte uns dort, wie man eine freie Rede hält. „SO EINFACH IST DAS ZU ERLERNEN?“, war meine Erkenntnis am Ende des Trainings. Ich bin mir sicher, hier wurde der Samen für meine spätere Zukunft als professioneller Redner und Rhetoriktrainer gesät.
Während meiner vierjährigen Bundeswehrzeit absolvierte ich zudem eine neunmonatige Ausbildung in Methodik und Didaktik. Die Ausbildung zum Ausbilder bei der Bundeswehr war großartig. Ich hatte viele Vorbilder, die sich Mühe gaben, den Unterricht und die praktischen Unterweisungen für die Soldaten spannend zu gestalten. Unterhaltsam. Das war meine Welt. Vor allem die Ausbildung zur Führungskraft, die ich in Münster und am Starnberger See erhielt, sorgte dafür, dass mich das Thema Rhetorik in seinen Bann zog. Als ich nebenberuflich in den Vertrieb einstieg, konnte ich mit diesen Fähigkeiten sofort punkten. Später in der freien Wirtschaft lernte ich sehr schnell etwas, das zu meinem Grundsatz wurde, der heute immer noch gilt: „Mache deine Mitarbeiter stark! Sie dürfen dich in jeder Hinsicht übertreffen. Arbeite mit klugen, wissbegierigen und fleißigen Menschen zusammen und lass dich selbst nur von den Besten ausbilden.“
So kam ich also schließlich 2001 zu Rolf H. Ruhleder. Er war schon damals der „Rhetorik-Papst“, hoch angesehen, der Grandseigneur der aufkeimenden Trainerszene, Dauergast in den TV-Talkshows. Er war außerdem der teuerste Trainer Deutschlands! Und jeden Betrag wert. Sein Seminar und der Trainingsansatz überzeugten mich von der ersten Sekunde an. Alles, was ich bis dahin über Methodik und Trainingsdidaktik gelernt und erlebt hatte, wurde übertroffen. Stil- und humorvoll leitete er seine Teilnehmerinnen und Teilnehmer an. Jeder bekam individuell Feedback. Für mich war klar, ich muss sofort viel Geld verdienen, denn dieser Mann sollte mich ausbilden. Bereits in der ersten Seminarpause nahm er mich zur Seite und fragte mit strengem Blick, was ich denn auf dem Seminar wolle? Meine Antwort „Rhetorik lernen“ überzeugte ihn nicht. „Weshalb sind Sie hier? Reden können Sie auf jeden Fall schon.“ Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich gehört hätte, dass er der Beste sei, und ich von ihm lernen möchte. Ein sanftes Lächeln glitt über sein Gesicht und er sagte einfach nur: „Gute Entscheidung. Aber passen Sie auf, dass Sie die anderen im Seminar nicht gleich in Grund und Boden reden.“ Und dann traf mich eines seiner berühmten Zitate, welche heute zwei ganze Generationen von Trainern gerne rezitieren (mich eingeschlossen): „Denken Sie immer daran: Perfektion weckt Aggression.“ Ich habe mir das und vieles Weitere in den zahlreichen Seminaren hinter die Ohren geschrieben. Rolf H. Ruhleders Buch Rhetorik & Dialektik habe ich stets in meinen Seminaren empfohlen und werde es auch weiterhin tun. Es ist inzwischen in der 17. Auflage erschienen. Da es meine Zeit als professioneller Trainer begleitete, werden Sie es als Quellenangabe häufig in diesem Buch finden. Bereits 2006 kam der Leiter eines großen Verlages auf mich zu und fragte, ob ich nicht selbst ein Buch über Rhetorik schreiben möchte. Ich lehnte ab. Ich hatte einfach keine Lust, ein Buch zu schreiben und dieselben Tipps zu geben, wie sie schon zahlreiche andere vor mir gegeben haben. „Wenn ich ein Buch über Rhetorik schreibe, dann will ich, dass es etwas wirklich Neues ist“, war lange Zeit meine Antwort.
Heute halten Sie ein solches Buch in Ihren Händen. Über Rhetorik. Von mir. Was ist passiert? Zwischen 2012 und heute habe ich vier Bücher veröffentlicht. Neben dem Gemeinschaftsprojekt SALES CODE 55 des Club 55 – European Community of Experts in Marketing & Sales, dessen Präsident ich heute sein darf, war es der Topbestseller Der Fisch stinkt vom Kopf, den ich unter meinem „Speaker-Pseudonym“ Hein Hansen geschrieben habe und den es jetzt bereits in der sechsten Auflage gibt. Ein Buch über Motivation und Führung aus der Sicht eines Fischverkäufers. Ferner mein Erstlingswerk Kommunikationsrevolution Social Media, worin ich als erfahrener Anwender einen Blick auf die digitale Revolution werfe, sowie zuletzt Herzlich willkommen im Datengefängnis. Die Tageszeitung Frankenpost betitelte mich nach einem Vortrag in einem Artikel als „Der Big-Data-Dolmetscher“. Das gefiel mir gut. Denn genau das war der Zweck dieses Buches: unser hochkomplexes Zeitalter auch denjenigen Menschen nahezubringen, die sich nicht jeden Tag mit der Thematik beschäftigen können. Als ich mit diesem Buch fertig war, saßen der Content Manager meines Unternehmens, André Held, und ich zusammen und unterhielten uns, worüber wir noch alles hätten schreiben können. Trump wieselte bereits durch die Medien und wir regten uns über die Rhetorik der Populisten in Europa auf. „Es hat sich wirklich etwas verändert in der Kommunikation, schon weil sich die Wahrnehmung der Menschen verändert.“ Mit diesem Satz war die Idee für dieses Buch in der Welt. Die logische Konsequenz aus meinem bisherigen Leben als Trainer, Berater und Autor ist, dass wir ein großes Buch schreiben und die Rhetorik ins digitale Zeitalter transportieren. An den alten Techniken hat sich wenig bis gar nichts verändert. Eines allerdings hat sich dank des „Information Overload“ ganz sicher verändert: Menschen in Führungspositionen, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und alle, die eine Botschaft transportieren wollen, müssen sich wieder mehr mit Rhetorik auseinandersetzen, um zu verstehen, wie sie unter diesen Umständen ihre Botschaften formulieren können. Um diese Zusammenhänge aufzuzeigen und erste Tipps für die Anwendung zu geben, ist dieses Buch entstanden!
Vielen lieben Dank an alle, die dieses Projekt möglich gemacht haben. Ich habe im Schlussteil dieses Buches noch eine Extraseite für die Danksagungen reserviert. Aber bereits an dieser Stelle und ganz besonders aber möchte ich Ihnen danken, Rolf H. Ruhleder! Es ist mir eine große Ehre, dass Sie das Vorwort für dieses Buch geschrieben haben. Es bedeutet mir sehr viel.
Ihnen, liebe Leser, danke ich natürlich auch. Ich wünsche Ihnen viel Spaß auf der Reise durch die Rhetorik im digitalen Zeitalter. Wenn Sie nur halb so viel Spaß beim Lesen haben wie ich und mein Team beim Schreiben, Interviewen und Recherchieren, dann werden Sie das Buch, genau wie wir, sicher lieben lernen.
Ihr
MICHAEL EHLERS
„Der Mensch ist die Krone der Schöpfung. Intelligent. Beweglich. Emotional. Liebend. Schaffend. Kreativ. Was für ein wunderbares Wesen. Leider kann er sprechen …“
Michael Ehlers
Sämtliche Lebewesen auf diesem Planeten tragen ein geniales Kommunikationssystem in sich. Auch der Mensch. Oft ist es jedoch beim Menschen so, dass Umstände wie familiäre Prägung, Umwelt, Schule, Ausbildung oder Studium dieses intuitiv funktionierende System irgendwie angreifen. Wie gut diese Systeme in der Natur funktionieren, möchte ich Ihnen anhand des „Wood Wide Web“ zeigen.
In kaum einem anderen Land dieser Welt haben Wälder einen tieferen Einfluss auf Kultur und Leben seiner Bewohner als in Deutschland. Die mythische Verehrung des alten deutschen Waldes mit seinen Buchen- und Eichenbeständen findet sich in zahlreichen Werken aus Literatur und Kunst wieder. Und die Verehrung des Waldes ist aktuell wie nie. Wir lieben den Ausflug ins Grüne und genießen an warmen Sommertagen den Aufenthalt im Schatten der Baumkronen. „Waldbaden“ oder, ganz modern, Shinrin-Yoku ist auf dem Weg, der neueste Trend zu werden. Bäume produzieren Sauerstoff, sind die grünen Lungen unserer Erde. Wälder liefern uns Baustoff und Feuerholz und dienen uns gleichzeitig zur Erholung. Angesichts dieser großen Bedeutung, die der Wald für uns hat, wissen wir noch ziemlich wenig über das Leben der Wälder und der Bäume. Obwohl der Wald seit Jahrtausenden die deutsche Landschaft und Kulturgeschichte prägt, haben wir bislang nur rudimentäre Erkenntnisse von dem komplizierten Zusammenspiel in seinem Inneren und von seiner Funktionsweise. Wussten Sie beispielsweise, dass Bäume miteinander kommunizieren können?
Erst um das Jahr 2010 herum setzte sich unter Wissenschaftlern im Zusammenhang mit pflanzlichem Verhalten mehr und mehr die Sichtweise durch, dass die Bäume im Wald ein intelligentes und lebendiges System bilden und in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren. Einer breiten Öffentlichkeit wurde diese ganz neue Sichtweise durch das Buch von Peter Wohlleben, Das geheime Leben der Bäume, bekannt. Ganze Wälder verfügen über ein weitverzweigtes, unterirdisches System von Wurzel- und Pilzgeflechten, die auch als „Wood Wide Web“1 bezeichnet werden. In regelmäßigem Austausch liefern Pilze dem Baum Stickstoff und Phosphor, wofür dieser Zucker aus der Fotosynthese abgibt. Durch diesen faszinierenden Austausch sind Bäume in der Lage, sich gegenseitig zu unterstützen und sogar Familien- und Freundschaftsbeziehungen einzugehen. Ein unterirdisches Netz aus Wurzeln und Fäden, das den kompletten Waldboden durchzieht, ermöglicht den Bäumen, Informationen über den Zustand anderer Bäume aufzunehmen. Wie geht es den Nachbarn? Sind sie gesund oder krank? Ist ihre Baumkrone ordentlich ausgebildet oder kämpfen sie noch immer mit dem wasserarmen letzten Sommer? Wer gesund ist und viel Energie hat, versorgt damit die schwächeren Artverwandten in seiner Umgebung. Eigentlich ist es verwunderlich, dass uns diese Entdeckung so sensationell vorkommt. Denn schließlich sind Bäume Lebewesen. Und alle Lebewesen kommunizieren.
Wale übertragen ihre Gesänge per Schallwellen, wobei jede Art andere Frequenzen zu nutzen scheint. Vögel zwitschern und Menschen reden miteinander. Das biologische System auf der Erde ist ein Wunderwerk der Kommunikation. Sie ist wahrhaftig überall und überall ist Kommunikation. Jedes Lebewesen ist von Anfang an dazu in der Lage – nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch Pflanzen und Bakterien. Sogar Viren, die noch nicht einmal als Lebewesen gelten, können kommunizieren.2 Neuerdings bringen wir selbst Maschinen bei, ganz ohne unsere Beteiligung miteinander zu kommunizieren. Noch aber ist der Mensch zweifelsohne die Spitze der Kommunikationsevolution.
Aus diesen wenigen Beispielen können Sie bereits ersehen, dass die Natur über großartige Kommunikationsmodelle verfügt. Auch der Mensch, als Teil der Natur, verfügt über große, leider oft verborgene Fähigkeiten auf dem Feld der Kommunikation. Menschliche Kommunikation entwickelte sich seit den ersten Anfängen immer weiter. Und sie wird sich im weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte immer weiter entwickeln. Das ist das Großartige. Leider entwickeln sich die Menschen nicht immer genauso großartig weiter. Nicht von alleine zumindest. Beispiele dafür erlebe ich in meinen Coachings und Trainings immer wieder. Aber ich erlebe auch, wie sich diese Entwicklung in jedem Menschen wieder anschieben lässt.
Die Natur hat jedem von uns die Fähigkeiten mitgegeben, die wir als guter Kommunikator benötigen. Was uns daran hindert, diese Fähigkeiten auszuspielen, sind oft unsere inneren oder die äußeren Rahmenbedingungen. Faktoren wie familiäre Prägung oder das Publikum, das uns einschüchtert, können uns daran hindern, unsere Redekunst zu entfalten. Aber genau dafür gibt es die Lehre der angewandten Rhetorik. Sie werden beim Lesen dieses Buches Werkzeuge kennenlernen, die Ihnen helfen, diesen Herausforderungen zu begegnen. Dabei ist es egal, wie Ihre individuellen Voraussetzungen sind. Ob Sie Talent haben. Oder ob Sie ein Trauma aus Ihrer längst vergangenen Schulzeit mit sich tragen. Mit den Werkzeugen, die ich Ihnen in diesem Buch an die Hand gebe, werden Sie unabhängig von „Talent“ und „Prägung“ zu einem brillanten Kommunikator und Redner.
Es ist mir zunächst ein wichtiges Anliegen, mich zum Beginn einem Thema zu widmen, ohne das es keine Rhetorik geben würde. So wie wir seit Jahrhunderten die Welt erforschen und vermessen, um sie besser zu verstehen, beschäftigen wir uns auch mit der Erforschung der zwischenmenschlichen Kommunikation.
Aber was ist Kommunikation? Nehmen Sie sich an dieser Stelle gerne etwas Zeit und überlegen Sie für sich: Wie definiert sich Kommunikation?
Gar nicht so einfach, oder?
Wir könnten beispielsweise sagen: „Wenn wir uns unterhalten, dann kommunizieren wir!“ Aber natürlich wäre das zu kurz gegriffen. Kommunikation ist ein höchst komplexes Konstrukt, das aus verschiedensten Blickwinkeln betrachtet werden kann. So legt ein Kommunikationswissenschaftler völlig andere Maßstäbe an als ein Psychologe – und ein Medienwissenschaftler nähert sich dem Thema verständlicherweise mit anderen Methoden als ein Neurophysiologe.
Gerade weil unser Alltag von Kommunikation bestimmt ist, fällt es der Wissenschaft schwer, eine eindeutige Definition zu finden. Was unter Kommunikation zu verstehen ist, kommt auf unseren Zugang zum Thema an. Kommunikation ist beispielsweise einerseits die Unterhaltung mit einem anderen Menschen, meint aber andererseits auch „das einseitige Rezipieren von Werbeinhalten über Massenmedien“.3 Kommunikation findet also sowohl face to face mit anderen Personen statt als auch ganz alleine vor dem Fernseher. Durch diese verschiedensten Zugänge sind im Laufe der Kommunikationsforschung zahlreiche Methoden, Begriffe und Modelle entstanden. So viele, dass wir uns zwangsläufig beschränken müssen. In diesem Buch konzentriere ich mich auf zwischenmenschliche Kommunikation, die auf Produktion und Rezeption von Sprache und/oder Mimik und Gestik ausgelegt ist. Auch dieser Teilbereich eröffnet unterschiedlichste Betrachtungs- und Herangehensweisen.
Kommunikation, in unserem Sinne, bedeutet den Austausch und die Übertragung von Information und ist durch verschiedene Eigenschaften definiert. Sie ist gleichzeitig intentional, partnerorientiert und symbolisch. Dass es kompliziert sein kann, erkennen Sie daran, dass es auch nicht-intentionale Kommunikation gibt. Dazu gehört beispielsweise unwillkürliche Mimik oder Gestik. Wir lernen diese Mikroexpressionen später kennen. Aber unser erstes Begriffstrio entwirren wir am sichersten anhand von Beispielen. Bitte folgen Sie mir in die Welt der Rhetorik:
Beschimpfen wir – wild mit dem Mittelfinger gestikulierend – über den Gartenzaun hinweg unseren Nachbarn, weil er während der Mittagsruhe Rasen mäht, so ist dies eine intentionale, partnerorientierte und symbolische Handlung.
Intentional bedeutet, dass das Verhalten mit einer Absicht (Intention), einer Erwartung und einem Ziel verbunden ist. Würden wir, anstatt zu meckern, wutentbrannt Dinge durch unsere Wohnung werfen, wäre dies bezogen auf unser Lärmproblem zwar intentional, weil wir uns davon versprächen, dass es uns danach besser ginge. Es entstünde aber keine Kommunikation mit dem Nachbarn.
Partnerorientiert heißt, dass wir mit einem Gegenüber interagieren. Dieses Gegenüber ist natürlich der Nachbar. Ein nicht-partnerorientiertes Handeln wäre also, den röhrenden Rasenmäher entspannt seine Arbeit machen zu lassen, während man selbst intentional vor Zorn in sein Kissen bisse. Die Folge: Es entstünde keine Kommunikation.
Symbolisch meint, unter Verwendung eines bestimmten Zeichensystems zu kommunizieren. Diese Zeichen bilden bereits eine gemeinsame Sprache, die wir uns mit dem Nachbarn teilen. Beleidigen wir ihn, versteht er uns. Die Beleidigung lässt sich weiter in verbale (Sprache) und nonverbale (Mimik, Gestik) Kommunication einteilen. Selbst wenn wir nicht schreien und ihm nur schmähend mit dem Mittelfinger winken: Der lästige Nachbar wird unsere Intention – nämlich auszudrücken, dass wir mit der Wahl seines Zeitvertreibs gerade gar nicht einverstanden sind – mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit verstehen.
Kommunikation ist natürlich komplizierter, als in diesem sehr vereinfachten Beispiel dargestellt. Tatsächlich ist sie hochkomplex und bietet deshalb zahlreiche Gelegenheiten für Missverständnisse. Um sie besser zu verstehen, versucht die Wissenschaft, Kommunikation in bestimmten Regelsystemen festzuhalten. Indem sie unterschiedlichste Kommunikationsvorgänge analysiert und diese in Modelle einordnet, macht sie Zusammenhänge sichtbar.
Um in der Praxis zu bestehen, benötigen wir zunächst eine theoretische Basis, die wir zu Beginn des Buches erarbeiten werden. Keine Sorge. Sie müssen das Kapitel nicht auswendig lernen. Es einmal zu lesen reicht völlig aus, um anschließend alle Inhalte des Buches deuten zu können. Mit den folgenden Modellen werden Sie einen ganz neuen Blick auf Kommunikation bekommen und am Ende über eine deutlich größere Vielfalt an rhetorischen Werkzeugen verfügen.
Zum absoluten Grundlagenwissen gehört heute das Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun. Es ist zugleich das jüngste Modell, das ich Ihnen vorstelle. Es stammt aus dem Jahr 2002 und besticht durch seinen ausgesprochen praktischen Ansatz. Schulz von Thun ist ein bekannter deutscher Kommunikationswissenschaftler, der sich mit seinem Modell unter anderem auf Paul Watzlawick bezieht. Auch dessen Dialog-Modell wird Ihnen im Laufe des Kapitels noch begegnen.
Das Modell von Schulz von Thun ist ein sogenanntes „Encoder-/Decoder-Modell“. Die Grundannahme ist, dass wir in der zwischenmenschlichen Kommunikation eine Nachricht auf vier verschiedenen Ebenen senden und wahrnehmen. Der Sender spricht mit „vier Schnäbeln“ und der Empfänger hört analog mit vier Ohren. Schulz von Thun erstellt in seinem Modell ein Kommunikationsquadrat. Jede Seite des Quadrats steht für eine unterschiedliche Kommunikationsebene.
Um diese vier Seiten zu veranschaulichen, kommen wir wieder zurück zu unserem geschätzten Nachbarn, den wir zufällig auf der Straße treffen. Er erzählt uns, dass er zuletzt immer wieder Schwierigkeiten hatte, am Abend einen geeigneten Parkplatz zu finden. Daraufhin bieten wir ihm an, dass er gerne nach Absprache den freien Platz in unserem Hof benutzen kann.
Einige Tage später rufen wir ihm zu: „Dein Auto steht hier!“ Wie lässt sich diese Aussage nach dem Modell von Schulz von Thun nun interpretieren?
Eine Sachinformation wird ausgetauscht. Der Sender teilt Daten und Fakten.
Wir teilen dem Nachbarn mit, dass sein Auto auf unserem Hof steht.
In einer Aussage geben wir auch immer etwas von uns selbst preis. Dies kann sowohl bewusst als auch unbewusst geschehen.
Wir freuen uns, dass der Nachbar zum ersten Mal unser Angebot, im Hof zu parken, angenommen hat. Je nach Tonfall kann auf dieser Ebene aber auch das genaue Gegenteil gemeint sein.
Wie stehen Sender und Empfänger zueinander? Wie jemand angesprochen wird, spiegelt die Beziehung der beiden wider. Handelt es sich um eine höher gestellte Respektsperson oder kommunizieren wir auf Augenhöhe? Sind wir gut oder schlecht miteinander gestellt?
Der Verzicht auf eine Anrede und die Benutzung von „Dein“ weisen darauf hin, dass wir auf Augenhöhe kommunizieren, den Bundespräsidenten hätten wir vermutlich anders angesprochen.
Im Normalfall wollen Sender mit ihrer Aussage den Empfänger beeinflussen. Sie wollen ihn dazu bringen, etwas zu tun oder nicht zu tun, zu denken oder zu fühlen.
Wir können mit dieser Aussage also auch meinen: „Fahr deine Karre weg oder ich mach das selbst!“
Jede „Sendung“ besteht aus diesen vier Ebenen. Passen sie widerspruchslos zusammen, könnte man doch annehmen, die Kommunikation sei gelungen. Doch unerfreulicherweise gibt es nicht nur vier Möglichkeiten, eine Aussage zu tätigen, sondern auch vier Möglichkeiten, diese aufzunehmen. Der Kommunikationswissenschaftler Schulz von Thun beschreibt dies mit den „vier Ohren“ (Sachohr, Selbstoffenbarungsohr, Beziehungsohr, Appellohr). Dass die Intention des Senders nicht der Wahrnehmung des Empfängers entspricht, erleben wir jeden Tag. Die Interpretationsmöglichkeiten einer Nachricht sind die Grundlagen zahlreicher kommunikativer Missverständnisse. Was, wenn wir den Nachbarn eigentlich loben wollten, er aber Kritik wahrnimmt? Die Folge wäre eventuell ein kleiner oder größerer Nachbarschaftsstreit. Ärgerlich, aber meist nicht wirklich schlimm. Störungen in der Kommunikation sind aber auch Auslöser unendlich vieler größerer und großer Probleme auf unserer Welt. Doch professionelle Kommunikation kann erlernt werden. Hilfsmittel, um unsere Aussage mit der gewünschten Intention an den Mann zu bringen, gibt es viele. Sie werden sie in diesem Buch lernen.
Das zweite Kommunikationsmodell, das sich mit der Theorie unserer Verständigung beschäftigt, ist Paul Watzlawicks Modell der fünf Axiome. Der Österreicher war Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Soziologe, Philosoph und Autor. Kein Wunder, dass er bei dieser Bandbreite nach Lösungsansätzen für Kommunikation suchte. Ähnlich wie Schulz von Thun ging es Paul Watzlawick um die Ursachenforschung von kommunikativen Störungen, die er in seinem Hauptwerk niederschrieb.4 Der Begriff Axiom meint dabei schlichtweg einen Grundsatz. Diese fünf Grundsätze sollen menschliche Kommunikation bestimmen und zugleich erklären, wie eng verbale Kommunikation mit Emotionen und Beziehungen verknüpft ist.
Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede
Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten.
Und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann,
kann man nicht nicht kommunizieren.
Kommunikation ist immer ein Verhalten. Verdeutlichen wir dies an unserem Nachbarn: Auf dem Heimweg von einem Fußballspiel sitzen wir im Bus und sind angefressen, da unser geliebter Verein mal wieder verloren hat und der baldige Abstieg droht. In diesem Moment sehen wir unseren Nachbarn einsteigen und merken schon von Weitem, dass dieser maßlos gut gelaunt ist. Das Allerletzte, was wir in diesem Moment wollen, ist eine Unterhaltung mit diesem Kerl! Also drehen wir unseren Kopf zur Scheibe und blicken starr hinaus mit dem festen Plan der Kommunikationsvermeidung. Aber natürlich kommunizieren wir dadurch bereits. Schließlich offenbaren wir mit unserem Verhalten – indem wir die Arme verschränken und uns mit gesenktem, wütendem Blick wegdrehen, dass wir sauer sind und kein Interesse an einem Gespräch haben. Würde unser Nachbar diese Signale richtig wahrnehmen, hätte er uns im Folgenden sicherlich nicht angesprochen.
Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen
Beziehungsaspekt, wobei Letzterer den ersten bestimmt.
Das zweite Axiom von Watzlawick beschreibt den Zusammenhang von Inhalt und Beziehung einer Aussage zwischen Kommunikationspartnern. Es legt dar, dass jede Mitteilung des Senders zunächst eine inhaltliche Ebene aufweist, aber zugleich Ausdruck der emotionalen Verbindung von Sender und Empfänger ist. Diese beiden Aspekte hat Schulz von Thun ebenfalls dargestellt. Während wir unsere Hecke schneiden, sehen wir den Nachbarn, wie dieser seine Fensterläden streicht. Wir sagen zu ihm: „Das ist eine neue Farbe. Ist das Grün?“
Diese Aussage vermittelt auf der einen Seite eine Information: Wir stellen fest, dass die Farbe an den Fensterläden unseres Nachbarn neu ist. Mit unserer Nachfrage sprechen wir aber auch den Beziehungsaspekt an. Dazu nehmen wir verschiedenste Mittel wie Mimik, Gestik oder Tonfall zu Hilfe. Zum Beispiel können wir die Frage belustigt stellen, um zu verdeutlichen, dass wir die neue Farbe gar nicht schön finden. Wir können aber auch Erstaunen ausdrücken, weil die grüne Farbe wunderbar mit den Geranien auf der Fensterbank harmoniert.
Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der
Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt.
Das dritte Axiom von Paul Watzlawick klingt zunächst kompliziert. Der Satz bedeutet jedoch lediglich, dass jede Kommunikation aus einer Ursache (Reiz) und einer Wirkung (Reaktion) besteht. Jemand zeigt ein Verhalten und ein anderer reagiert darauf. Watzlawick stellte diesen Vorgang in einer Verhaltenskette, einem Kreislauf dar, der keinen Anfangspunkt hat.
Wir sind beim Nachbarn zum Abendessen eingeladen und diskutieren nach einiger Zeit. Er sagt: „Du hörst mir ja gar nicht zu!“
Wir antworten: „Ich höre nur nicht mehr zu, weil du immer so laut redest!“
Er sagt: „Aber ich rede nur so laut, weil du mir nicht mehr zuhörst.“
Diese Diskussion dreht sich im Kreis. Vor allem in partnerschaftlichen Beziehungen ist dieses Phänomen keine Seltenheit. Watzlawick spricht in diesem Zusammenhang von konstruierten Wirklichkeiten, die wir uns schaffen. In der Kommunikation mit unserem Gegenüber „legen [wir] beispielsweise auf bestimmte Ereignisse besonderen Wert und betrachten diese gewissermaßen als Ursache und Auslöser für weitere Ereignisse, die für uns darauf folgen. Wenn wir nun eigenes Verhalten mit dem Verhalten anderer entschuldigen oder erklären, können hieraus Interpunktionsstörungen entstehen. Unser Gesprächspartner beziehungsweise unsere Gesprächspartnerin sieht aber umgekehrt eeventuell sein oder ihr Verhalten nur als Folge unseres Handelns.“5
Paul Watzlawick beschrieb dieses Axiom besonders schön in seinem paradoxen Sachbuch Anleitung zum Unglücklichsein durch die Geschichte mit dem Hammer: „Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar ihm den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er ihn nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen ihn. Und was? Er hat ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von ihm ein Werkzeug borgen wollte, er gäbe es ihm sofort. Und warum sein Nachbar nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen ausschlagen? Leute wie der Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet der Nachbar sich noch ein, er sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s ihm aber wirklich. Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er ‚Guten Morgen‘ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: ‚Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!‘“6
Menschliche Kommunikation bedient sich analoger und digitaler Modalitäten.
„Analog“ und „Digital“ meint in diesem Fall nicht die Begriffe, wie wir sie heute in Bezug auf Mediennutzung verstehen. Mit Analog bezeichnet Watzlawick nonverbale Kommunikation wie Mimik, Gestik oder Blickkontakt. Digitale Kommunikation beschreibt dagegen alle sprachlichen Elemente. Diese müssen entschlüsselt werden, zum Beispiel dadurch, dass wir dieselbe Sprache sprechen. Während analoge Körpersprache international entschlüsselbar ist, braucht digitale Sprache denselben, gelernten Code. Während die Beziehungsebene oftmals durch analoge Verständigung ausgedrückt wird, sprechen digitale Elemente vor allem den Inhaltsaspekt an. Auch hier können Kommunikationsprobleme entstehen. Eines schönen Samstagvormittags bringen wir den Müll hinaus und rufen unserem Nachbarn im Vorbeigehen zu: „Du hast heute aber eine super Laune!“ Betrachten wir ausschließlich den Inhalt, also die digitale Komponente unserer Aussage, haben wir es hier mit einer positiven Feststellung zu tun. Wir attestieren dem Nachbarn keinen schlechten Gemütszustand. Nehmen wir nun die analoge Modalität, können wir diese Aussage verstärken, abschwächen oder sogar ins Gegenteil kehren. Das geschieht, wenn wir den Satz in einem sarkastischen, zynischen oder höhnischen Tonfall sagen und dies gestisch sowie mimisch unterstreichen. Nur im Zusammenspiel aller Faktoren sind wir in der Lage, zu erkennen, wie eine Aussage beabsichtigt ist.
Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind
entweder symmetrisch oder komplementär, je nachdem,
ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichgewicht
oder Unterschiedlichkeit beruht.
Beim Kommunikationsprozess kommt es immer darauf an, mit wem wir sprechen. Es gelten hierarchische Strukturen, die großen Einfluss auf die Kommunikation haben. In der Regel sprechen wir nämlich mit unserem Nachbarn, unserer Familie und Freunden anders als mit unserem Vorgesetzten. Kommunikation auf Augenhöhe ist symmetrisch, während komplementär eine unterschiedliche hierarchische Ordnung zwischen den Kommunikationspartnern bedeutet.
Der Nachbar fragt uns, wie denn unser zweiwöchiger Urlaub in der Südsee so gewesen sei: Wir erzählen ihm von traumhaften Sandstränden und klarem, blauem Wasser, vom sauberen Hotel und den vielen netten Leuten, die wir auf der Straße trafen. Das sind ja wirklich die nettesten Menschen der Welt. So toll! Ganz besonders in Erinnerung wird uns vor allem der Tauchausflug in der Bucht sein … und ach ja, da war auch dieser Fischer, der eine besondere Angeltechnik hatte. Wahnsinn! Apropos Angeln: Meine Güte, gab es da einen leckeren Fisch in diesem einen Restaurant. Das war nicht weit weg von unserem Hotel … ach nein, jetzt habe ich doch dieses Restaurant mit dem anderen unten am Strand verwechselt. Aber dort war es auch nicht schlecht. Jedenfalls so lange, bis das kleine Kind am Nachbartisch zu quengeln begann und partout nicht mehr damit aufhören wollte …
Es ist eine ganz normale Geschichte: Wir erinnern uns an etwas, kommen ins Reden, geben interessante Erlebnisse wieder und unterhalten auf diese Weise den Nachbarn. Schön, oder? Allerdings verstößt sie gegen jede einzelne der Maximen, die ich Ihnen im Folgenden vorstellen werde. Prägen Sie sie sich also gut ein. Denn die Grice’schen Maximen sind für das zentrale Merkmal der Rhetorik relevant: die Rede.
Doch zunächst eine andere, ebenfalls ganz normale Geschichte: Es ist Montag und wir befinden uns nun im wöchentlichen Meeting mit unserem Abteilungsleiter. Auch der Betriebsleiter ist heute anwesend. Bevor diese Woche geplant wird, steht zunächst die Aufarbeitung diverser Themen aus der vergangenen Woche auf der Agenda. An diesem Punkt sagt der Abteilungsleiter zu seinem Vorgesetzten: „Am Dienstag war Herr Müller pünktlich.“ Was bedeutet diese Aussage? Dass Herr Müller am Dienstag ohne Verspätung an seinem Arbeitsplatz saß? Oder impliziert sie nicht vielmehr, dass der Angestellte Müller an den restlichen Tagen der Woche nicht pünktlich war? Wie selbstverständlich verstehen wir die Implikation, obwohl verbal etwas anderes geäußert wurde. Zahlreiche unserer Sätze haben diesen Unterbau, eine Ebene, die zwischen den Zeilen liegt und dennoch großen Einfluss auf unsere Kommunikation hat.
Der Philosoph Paul Grice beschäftigte sich intensiv mit dieser Tatsache, aus der er ein Kooperationsprinzip für gelungene Kommunikation ableitete. Dieses Prinzip besagt, dass jede Kommunikation ein Ziel hat, das nur dann erreicht werden kann, wenn die Gesprächspartner kooperativ und rational, im Sinne des Konversationserfolgs, handeln. Aber wie gelingt uns das? Aus der Grundannahme des Kooperativen und Rationalen leitete Paul Grice vier Maximen ab, die er als Konversationsmaximen beschreibt. Werden diese vier „Regeln“ während einer Konversation eingehalten, steigert dies die Effizienz des Kommunikationsvorgangs.
1. Gestalten Sie Ihren Beitrag so informativ wie möglich!
2. Gestalten Sie den Beitrag nicht informativer als nötig!
Vor allem geht es bei der Maxime der Quantität darum, die nötige Information so zu vermitteln, dass sie optimal beim Gegenüber ankommt. Eine Verletzung der Maxime ist beispielsweise, zu viel oder zu wenig zu erzählen.
1. Sagen Sie nur, was Sie für wahr halten!
2. Sagen Sie nichts, was Sie für falsch halten!
Es benötigt also für jede getroffene Aussage eine profunde Begründung. Eine Verletzung der Maxime wäre demnach die Weitergabe von Halbwissen, das wir irgendwo aufgeschnappt haben und nun weitererzählen.
1. Füllen Sie Ihre Aussage nur mit Informationen, die zum Thema gehören!
2. Sprechen Sie über nichts, was nicht zum Thema gehört!
Seien Sie relevant und bleiben Sie beim Thema. Vermeiden Sie unnötige oder nebensächliche Information.
Vermeiden Sie
•Unklarheit
•Mehrdeutigkeit
•Weitschweifigkeit
•Ungeordnetheit
Die vierte Maxime von Grice verlangt von uns, klar und deutlich sowie strukturiert und eindeutig zu kommunizieren.
Im Grunde klingen die Maximen von Grice allesamt sehr einleuchtend. Es sollte doch prinzipiell machbar sein, sich im Alltag daran zu halten und folglich zielführender zu kommunizieren. Versuchen Sie es doch selbst beim nächsten Mitarbeitergespräch oder beim Abendessen mit Freunden. Prägen Sie sich die Maximen gut ein und legen Sie Ihre Kommunikation komplett auf deren Einhaltung aus. Befolgen wir diese Richtlinien, sollten wir erfolgreicher kommunizieren.
Sie werden schnell feststellen, dass die Umsetzung von der Theorie in die Praxis bei allem guten Willen nahezu unmöglich ist. Zwar wirkt das Modell vor allem durch seine Namen (Maxime der …) und die Formulierung von Imperativen wie ein Ratgeber. Doch selbst Paul Grice zweifelte an seinen Richtlinien. Er hatte auch gar nicht beabsichtigt, einen Ratgeber zu schreiben. Denn obwohl seine Maximen allesamt sehr vernünftig klingen, mündet ihre strikte Einhaltung tatsächlich eher ins Gegenteil.
Erinnern Sie sich zurück an das nette Urlaubsgespräch mit dem Nachbarn und nehmen Sie als Beispiel die Maxime der Relevanz und die Maxime der Quantität. Der Einfachheit halber können Sie sie hier nochmals nachlesen:
Der Nachbar fragt uns, wie denn unser zweiwöchiger Urlaub in der Südsee so gewesen sei: Wir erzählen ihm von traumhaften Sandstränden und klarem, blauem Wasser, vom sauberen Hotel und den vielen netten Leuten, die wir auf der Straße trafen. Das sind ja wirklich die nettesten Menschen der Welt. So toll! Ganz besonders in Erinnerung wird uns vor allem der Tauchausflug in der Bucht sein … und ach ja, da war auch dieser Fischer, der eine besondere Angeltechnik hatte. Wahnsinn! Apropos Angeln: Meine Güte, gab es da einen leckeren Fisch in diesem einen Restaurant. Das war nicht weit weg von unserem Hotel … ach nein, jetzt habe ich doch dieses Restaurant mit dem anderen unten am Strand verwechselt. Aber dort war es auch nicht schlecht. Jedenfalls so lange, bis das kleine Kind am Nachbartisch zu quengeln begann und partout nicht mehr damit aufhören wollte …
Ist Ihnen etwas aufgefallen? Wir haben dem Nachbarn zu viel Information gegeben, unsichere Behauptungen aufgestellt, Irrelevantes erzählt und dabei manchmal unklar beziehungsweise verwirrend gesprochen. Unsere Erzählung hatte keine Chronologie, kam vom Hundertsten ins Tausende, ergab aber letztendlich doch Sinn und störte die Kommunikation nicht. Schließlich hat der Nachbar auf diese Weise einen interessanten Einblick in unseren Urlaub erhalten.
Vor allem die Maxime der Qualität wird in diesem Buch noch eine tragende Rolle spielen. Ganz besonders der Teil Rhetorik im Zeitalter der Lügen setzt sich mit den kleinen und großen Hindernissen der Qualitätsmaxime auseinander.
Wenn Paul Grice also keinen Ratgeber beabsichtigt hatte, was wollte er dann mit der Aufstellung seiner Maximen erreichen? Als Zuhörer erwarten wir von unserem Gesprächspartner doch wie selbstverständlich, dass er alle Maximen einhält. Dazu müssen weder wir noch unser Gegenüber die Maximen überhaupt kennen. Alle Punkte basieren schließlich auf der puren Vernunft. Weder wollen wir angelogen werden noch wollen wir ungeordnete, nicht hilfreiche oder unklare Informationen. Trotzdem fällt es uns schwer, das, was wir von anderen erwarten, selbst anzuwenden. Die Konversationsmaximen sind also vor allem ein Beweis dafür, dass wir in Bezug auf Kommunikation nur schwerlich Kants Kategorischen Imperativ (Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein eigenes Gesetz werde) einhalten können. Wir können aber auch sagen: Letztlich ist alles Definitionssache.
Eine Möglichkeit, alle Maximen von Paul Grice einzuhalten, bietet vor allem die Rede. Gut durchdacht und professionell vorbereitet, kann sie allen vier Richtlinien ohne Probleme gerecht werden. Bei den Ausführungen im nächsten Teil (Professioneller Auftritt und sicher reden) sollten Sie deshalb die Maximen der Kommunikation im Hinterkopf behalten.
Wenn Sie schon einmal ein Kommunikations- oder Verkaufstraining absolviert haben, war das Eisbergmodell mit großer Wahrscheinlichkeit ein Teil davon. Es gilt als Klassiker, der in verschiedensten Bereichen der Kommunikation angewendet werden kann. Fälschlicherweise wird es oftmals Sigmund Freud als Begründer zugeschrieben. Dieser hatte in seinen Schriften zur allgemeinen Theorie der Persönlichkeit aber nie einen Eisberg erwähnt. Das Modell bezieht sich jedoch stark auf Freuds Denkansatz zum Bewussten und Unbewussten, der mit einem Eisberg hervorragend dargestellt werden kann. Tatsächlich taucht die Eisberg-Metapher erst 35 Jahre nach dem Tod des Psychoanalytikers im Jahr 1939 in einer deutschen Publikation auf.7
Was hat es mit dem Eisberg auf sich? Spätestens seitdem wir Leonardo DiCaprio, auf einer hölzernen Wandvertäfelung, im Wasser treibend dahinsiechen sahen und Kate Winslet uns mit ihren Kullertränen verzauberte, wissen wir, dass nur ein kleiner Teil, die Spitze, von Eisbergen oberhalb der Wasserfläche zu sehen ist. So verhielt es sich im Übrigen in etwa auch mit dem schauspielerischen Talent in DiCaprios frühen Filmen.
Der überwiegende Teil eines Eisbergs schwimmt unter der Wasseroberfläche und ist so für den Menschen unsichtbar. Ähnlich scheint Kommunikation konstruiert zu sein. Das Eisbergmodell unterteilt das Bewusste und Unbewusste in eine Sach- und eine Beziehungsebene. Bewegen wir uns mit unserem Kommunikationspartner auf unterschiedlichen Ebenen, wird es zu Konflikten kommen und ein Problem entstehen. In welchem Verhältnis aber sind diese Ebenen aufgeteilt?
Lediglich 20 Prozent einer Botschaft befinden sich beim Kommunikationsvorgang in einem Bereich, der für uns wahrnehmbar und uns bewusst ist. Sie stellen die Spitze des Eisbergs dar. Nehmen wir eine Nachricht auf, ist uns vor allem die Sachebene bewusst. Sie enthält Daten, Fakten und Zahlen – also vornehmlich Sachinformationen.
Der deutlich größere Teil einer Botschaft (80 Prozent) liegt derweil im unsichtbaren Bereich, der – nach der Theorie Freuds – unbewusst und nicht wahrnehmbar ist. Hier befinden sich Stimmungen, Einstellungen, Werte, Gefühle, Triebe, Instinkte, Traumata, Emotionen et cetera. Sie beeinflussen den Inhalt der Botschaft nachhaltig. Oftmals ist uns diese Einflussnahme aber gar nicht bewusst.
Wie die Modelle von Schulz von Thun, Watzlawick und Grice will das Eisbergmodell Störungen, Konflikte und Missverständnisse in der Kommunikation theoretisch darstellen. Dabei geht es in diesem Modell um Ebenen der Kommunikation, die auf den ersten Blick nicht erkennbar sind. Wir wünschen uns, dass eigener, freier Wille und Vernunft unser Leben bestimmen. Diese Fähigkeit der freien Entscheidung macht uns schließlich so besonders als Spezies Mensch. Und doch führt im Alltag das Unterbewusste Regie. Rationales Verhalten tritt in den Hintergrund. Mehr als uns lieb ist, wirkt sich der unsichtbare Teil des Eisbergs auf unser Verhalten und somit auch auf die Rezeption von Botschaften aus.
Oft wissen wir gar nicht, warum wir uns in einer Kommunikation so verhalten, wie wir uns verhalten. Wir sind überrascht, weil diese Reaktion aus dem tiefen Unbewussten zutage tritt. Einen Teil dieses unsichtbaren Bereichs verstehen wir noch, zum Beispiel Ängste und Gefühle. Gingen wir noch tiefer, würden wir dort Einstellungen finden, die wir uns beim besten Willen nicht erklären könnten.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Kommunikation in überwiegendem Maße nicht neutral stattfindet. Zu sehr beeinflusst die unbewusste Ebene unsere eigenen Worte (und Taten). Trotzdem ist zielführende Kommunikation kein Ding der Unmöglichkeit. Ganz im Gegenteil: Sie kann erlernt werden durch eine Vielzahl von Methoden.
Wir müssen uns bewusst sein, dass es sich beim Eisberg wie auch bei den vier Seiten einer Nachricht, Paul Watzlawicks Axiomen und den Grice’schen Maximen immer noch um Modelle und nicht um Gesetze handelt. Modelle sind Schaubilder und Metaphern, die es uns erleichtern, die Komplexität von Kommunikationsvorgängen zu verstehen. Und manche zugrunde liegenden Theorien werden auch von der aktuellen Forschung überholt. So wirkt das Eisbergmodell zunehmend veraltet. Jüngste Erkenntnisse aus der Gehirnforschung, Neurobiologie und Kognitionspsychologie haben gezeigt, dass das Unbewusste nicht einfach nur ein brodelnder Vulkan voller ungesteuerter Leidenschaften, Emotionen, Ängste oder Traumata ist. Der anerkannte Psychologieprofessor David Myers bezeichnete im Jahr 2005 das Unbewusste als „ein(en) kühle(n) Informationsverarbeiter, der unter der Wahrnehmungsschwelle aktiv ist“.8 In der modernen kognitiven Psychologie haben viele Forscher versucht, den Begriff des Unbewussten aus seinem Freud’schen Erbe zu befreien. Sie haben sich alternativer Begriffe wie „implizit“ oder „automatisch“ bedient. Diese Strömungen betonen, inwieweit die kognitive Verarbeitung außerhalb des kognitiven Bewusstseins stattfindet, und zeigen, dass Dinge, die wir nicht kennen, dennoch andere kognitive Prozesse und Verhalten beeinflussen können.
Ganz bestimmt wird Ihnen im Zuge des Eisbergmodells auch der Begriff „Pareto-Prinzip“ (oder auch 80/20-Regel) begegnet sein. Es ist benannt nach dem italienischen Ingenieur, Ökonom und Soziologen Vilfredo Pareto (1848–1923). Dieser hatte das statistische Phänomen beobachtet, dass eine kleine Anzahl von hohen Werten einer bestimmten Menge mehr Einfluss auf den Gesamtwert hat als eine große Anzahl von kleinen Werten dieser Menge. Erkannt hatte er das nach ihm benannte Prinzip erstmals an der Verteilung des Landbesitzes in Italien. Es zeigte sich, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung 80 Prozent des italienischen Bodens besaßen. Im Lauf der Jahrzehnte wurden weitere solcher Verteilungen in den unterschiedlichsten Lebensbereichen gefunden:
•So werfen oftmals 20 Prozent eines Investments 80 Prozent des Gewinns ab.
•Ebenso sehen wir häufig, dass 80 Prozent des Umsatzes eines Unternehmens durch 20 Prozent der Produkte erzielt werden.
•Und tatsächlich ist es auch möglich, mit nur 20 Prozent Einsatz 80 Prozent der Unordnung in der eigenen Wohnung ein Ende zu setzen.
Selbstverständlich funktioniert der Pareto-Effekt auch umgekehrt. Wenn nämlich 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes erreicht werden, erfordern die übrigen 20 Prozent mit 80 Prozent den meisten Aufwand.
Heute wird das Pareto-Prinzip vor allem im Bereich des Zeit- und Projektmanagements sowie im Marketing und Vertrieb verwendet. In einer Berufswelt, in der es mehr und mehr um den Faktor Zeit und sein Verhältnis zum Output geht, erfreut sich ein statistisches Modell wie die 80/20-Regel großer Beliebtheit. Schließlich erklärt es einfach und schnell, wie wir unser Arbeitsleben erfolgreicher gestalten können. Wenn mit nur 20 Prozent Aufwand 80 Prozent des Ergebnisses erreicht werden, würden wir folglich an einem typischen 8-Stunden-Arbeitstag 1,6 Stunden benötigen, um den überwiegenden Großteil unserer To-do-Liste abzuarbeiten. Auf der anderen Seite müssten wir jedoch 6,4 Stunden für ein Fünftel unserer To-do-Liste investieren. Die Kunst besteht darin, Aufgaben nach Prioritäten zu ordnen, um sich nicht unnötigerweise mit den falschen To-dos herumzuschlagen. Überlegen Sie, wie es in Ihrem Arbeitsalltag aussieht. Vielleicht wenden Sie das Pareto-Prinzip auch schon erfolgreich an. Die Verteilung muss im Übrigen nicht immer zwingend 80/20 ausmachen. Ebenso könnte sie 70/30 oder 90/10 betragen. Auch dann sprechen wir noch vom Pareto-Prinzip.
Trotz der Einfachheit der statistischen Verteilung hat der Effekt einen großen Haken. Denn die 80/20-Regel besagt im Umkehrschluss, dass Perfektionismus nicht förderlich für Erfolg ist. Perfektion benötigt viel Einsatz an Energie, einen höheren Arbeitsaufwand und sorgt folglich für Stress und Zeitverlust. Selbstverständlich ist es möglich, mit nur einem Fünftel an Aufwand eine Rede vorzubereiten und zu halten. Aber wird sie dann auch gut sein? Vertrauen Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass sie es nicht sein wird. Um durch Reden zu überzeugen und professionell zu kommunizieren, sind diese vier Fünftel der investierten Vorbereitungszeit unumgänglich. Die fehlenden 80 Prozent machen den Unterschied zwischen einer Rede und dem aus, was ich als Erfolgs-Rhetorik bezeichne.
Eine Variante des Pareto-Effekts wird übrigens oft zur Beschreibung des Nutzerverhaltens im World Wide Web genutzt. Es handelt sich um die sogenannte „Ein-Prozent-Regel“ (auch 90-9-1-Regel). Diese Faustformel wurde bereits in den frühen 1990er-Jahren, also während der Anfänge des Internets, aufgestellt. Sie besagt, dass der überwiegende Teil der Nutzer von Online-Communitys lediglich eine Beobachterrolle einnimmt, während nur die geringe Menge von einem Prozent wirklich aktiv ist und eigene Inhalte beiträgt.
•Ein Prozent sorgt regelmäßig in sozialen Netzwerken, Blogs und Webforen für neue Beiträge, News und somit für regen Austausch.
•Neun Prozent der Internetnutzer antworten auf Beiträge oder bearbeiten diese (beispielsweise in Wikipedia).
•90 Prozent sind stille Mitleser und darüber hinaus nicht aktiv.
Jakob Nielsen, ein dänischer IT-Berater, beobachtete diese ungleiche Verteilung allerdings zu einer Zeit, in der das Internet noch ein ganz anderes Gesicht als heute hatte. „Das Internet ist keine Community: Eine riesige unpersönliche Stadt ist eine bessere Metapher.“9 Auch im Jahr 2006, in dem das Web 2.0 bereits Einzug gehalten hatte, bekräftigte Nielsen die 90-9-1-Regel. Heute allerdings gilt sie längst als überholt. Dies liegt an der Kommunikationsrevolution, die vor einigen Jahren das Internet und die Art und Weise unserer Verständigung komplett verändert hat. Vor allem über mobile Endgeräte kommunizieren wir via Snapchat, Instagram und Co in einem Ausmaß, das die Ein-Prozent-Regel längst obsolet hat werden lassen.
Wir sehen daran: Gesetze und Modelle verändern sich im Laufe der Zeit, genauso wie die Kommunikation, die sie zu beschreiben versuchen. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich viele Definitionen für den Begriff der Kommunikation entwickelt. Vor hundert Jahren haben wir anders kommuniziert, als wir es heute tun, und deshalb natürlich Kommunikation auch anders definiert, als wir es heute tun.
Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Neurobiologie, Gehirnforschung und Kognitionspsychologie entschlüsseln mehr und mehr Kommunikationsvorgänge. Das wiederum verändert selbstverständlich auch die Art und Weise der Kommunikation. Das Kommunikationszeitalter definiert sich hauptsächlich dadurch, dass wir auf diesem Weg der Entwicklung immer schneller voranschreiten und uns heute sagenhaft viele Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um miteinander zu kommunizieren. Wie kommunizieren wir heute und wie werden wir in Zukunft kommunizieren? Welchen Einfluss wird dies vor allem auf unsere Rhetorik haben? Sind rhetorische Gesetze überholt und nicht mehr zeitgemäß? Oder müssen – und können – wir sie an das 21. Jahrhundert anpassen?
In erster Linie ist die Kommunikationsrevolution technischer Natur. Ich habe bereits in meinem Buch Kommunikationsrevolution Social Media10 über diese rasante Entwicklung geschrieben. Die Entwicklung der Kommunikationsmöglichkeiten und die Vielzahl an denkbaren Kanälen stellen uns vor eine große Herausforderung. Wir können uns nicht mehr nur auf unser angeborenes Kommunikationssystem verlassen, sondern müssen unsere kognitiven Fähigkeiten bewusst auf die neuen Kommunikationsformen ausrichten. Der Mensch nimmt heute Informationen anders wahr, weil er so viele Informationen bekommt wie nie zuvor. Um in dieser Flut von Informationen wahrgenommen zu werden und nicht unterzugehen, müssen wir uns besonders klar ausdrücken können. Und um die Informationen einzuordnen, müssen wir ihre Funktionsweise verstehen können.
Keine Revolution ist jemals so schnell vorangeschritten wie die der Kommunikation. Während die Neolithische Revolution, in deren Verlauf der Mensch sich vom Jäger und Sammler zum sesshaften Hausschweinhalter entwickelte, mehrere Jahrtausende benötigte, erfasste die industrielle Revolution immerhin schon in annähernd 200 Jahren den gesamten Globus. Das Kommunikationszeitalter bedurfte hingegen nur weniger Jahrzehnte, um unser komplettes Leben zu verändern. Es liegt etwas mehr als 100 Jahre zurück, als der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt 1903 die erste öffentliche Nachricht per drahtlosen Funk über den großen Teich nach Großbritannien sendete. Sie bestand aus 54 höflichen Grußworten an den englischen König Edward VII. und kann durchaus als Beginn des Kommunikationszeitalters betrachtet werden. Denn die Technologie des drahtlosen Funks ist ein Meilenstein der Medien- und Technikgeschichte. Sie veränderte die Kommunikation grundlegend, weil es uns plötzlich möglich war, nicht nur im privaten, sondern auch im massenmedialen Bereich Informationen zu verbreiten. Und das rasend schnell. Durch Kino, Fernsehen, Computer und nicht zuletzt das Internet erweiterte sich das Informationsangebot im Laufe des 20. Jahrhunderts mehr und mehr. Nachdem schließlich auch mobile Endgeräte den Weg in unser Leben gefunden haben, sind wir in der westlichen Welt heute immer und überall in der Lage, Information zu verbreiten und zu konsumieren. Laut einer aktuellen Studie der Seven One Media GmbH lag der durchschnittliche tägliche Medienkonsum der Bundesbürger ab 14 Jahren bei insgesamt 572 Minuten.11 Wir verbringen also 39,7 Prozent unseres Tages mit Mediennutzung. Berücksichtigen wir dabei noch einen siebenstündigen Schlaf, liegt der Wert bereits bei 56 Prozent. Mehr als die Hälfte unserer aktiven Tagesphase beschäftigen wir uns demnach mit der Nutzung von Medien, die uns durchgehend mit Informationen beschallen. Neben den Big Playern Fernsehen (270 Minuten) und Radio (112) wächst vor allem die inhaltliche Nutzung des Internets (58) rasant an.
Während am 18. Januar 1903 ein einziges Telegramm von den USA nach Großbritannien geschickt worden war, verhält sich dies heute ein kleinwenig anders.
Am 18. Juli 2017 geschah – in nur 30 Sekunden – Folgendes auf unserer Welt:
•2.118.042 Facebook-User klickten auf „Gefällt mir“
•10.660.010 WhatsApp-Nachrichten wurden verschickt
•221.186 Tweets wurden bei Twitter veröffentlicht
•3.824.883 Videos wurden bei YouTube angesehen
•1.482.636 Likes wurden auf Instagram vergeben
•52.948 Menschen nutzten Snapchat
•1.588.760 Suchanfragen bei Google wurden gestellt
•9.225 Matches bei Tinder
•Zahlungen über 277.207 Dollar wurden bei PayPal getätigt
•Kunden kauften bei Amazon für 105.191 Dollar ein
•66.943 Anrufe per Skype
Stellt sich die Frage: Können wir dieser Informationsflut noch gerecht werden oder ist der „Information Overkill“ bereits eingetreten? Und warum stelle ich diese Frage? Was hat das mit Rhetorik zu tun?
Wir entwickeln unsere Kommunikationsformen zwar immer weiter, aber die „Geschichte“ als Transporter vielschichtiger Inhalte wird immer bleiben. Erst das gesprochene Wort ermöglichte es dem Menschen, komplexe Informationen zu vermitteln. Es übertraf und übertrifft in dieser Hinsicht Mimik und Gestik um ein Vielfaches. Der nächste Schritt war, diese Informationen aufzuzeichnen – was gleichzeitig die Möglichkeit der Vervielfältigung und der massenhaften Verbreitung in sich trug. Der Mensch nutzte und nutzt im Laufe seiner Entwicklung Sprache, Zeichnungen, Schriften, Bücher, Zeitungen und schließlich eben heute die digitalen Kommunikationsmittel. Grundlage für die Entwicklung der Rede war für unsere Vorfahren vor allem das Feuer. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts entdeckten Archäologen bei Ausgrabungen im nördlichen Israel verkohlte Holzreste, aus denen sie auf das allem Anschein nach bisher älteste kontinuierlich kontrollierte Lagerfeuer unserer Geschichte schlossen.12 Vor etwa 790.000 Jahren waren womöglich mehrere Exemplare des Homo erectus zusammengekommen, um sich um eine brennende Feuerstelle zu versammeln. Die lodernden Flammen hielten wilde Tiere fern, ermöglichten das Kochen und Braten von Nahrung und spendeten Wärme. Das Feuer entwickelte sich zum Versammlungsplatz, an dem sich unsere Vorfahren regelmäßig trafen. Vielleicht waren die Hominiden an genau diesem Feuer bereits in der Lage, sich durch ein eigenes Sprachsystem zu verständigen? Darüber können wir nur mutmaßen. Aber mit zunehmender Verbreitung und Entwicklung der Sprache wurden diese Versammlungspunkte immer wichtiger, um Informationen auszutauschen.
Wenn wir die Evolution der Sprache betrachten, dürfen wir eine ganz bestimmte Spezies – die wir alle nur zu gut kennen – nicht vergessen: den Homo sapiens. Irgendwie war es ihm gelungen, vom unbedeutenden Menschenaffen zum unumstrittenen Herren der Schöpfung auf dem gesamten Globus zu werden. Zumindest aus unserer Sicht. Viren dürften – wenn sie dazu in der Lage wären – anders darüber denken.