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Es ist paradox: Wohl niemand kann sich der Faszination der Vergangenheit entziehen – und gleichzeitig wird sie in den seltensten Fällen ungebrochen reflektiert. Der Nationalsozialismus bzw. seine Manifestation in der deutschen Geschichte ist nicht nur ein weltpolitisches Phänomen 1933–45, dessen mahnende Reflexion heute wesentlicher Bestandteil des bundesdeutschen Erinnerungsnarrativs ist. Die völkischen, faschistischen und nationalsozialistischen Diskurse und Gesellschaftsentwürfe selbst und ihre post-faschistischen Wiedergänger haben eine populärkulturelle Dimension: Es zieht sich ein roter Faden von den völkischen Utopien zur Selbstästhetisierung der faschistischen Diktaturen in Europa – und von diesen zu den modernen rechtskonservativen bis rechtsradikalen Epigonen, die sich im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen aus beider Zeichen- und Mythenvorrat bedienen. Einmal mehr erweist sich die fantastische Literatur als Seismograf gesamtkultureller Zusammenhänge, finden das psychologische Spiel mit Archetypen der Fantasy und die allegorische Qualität der Science-Fiction als Ideenliteratur zu großer Wirkung zusammen. Deshalb gilt gerade für diesen literarischen Bereich in besonderem Maße: Ob affirmative faschistoide Allmachtsfantasie, weltanschaulich taubstumme Naziästhetik im Actionfilm oder geschliffene Satire – die Verarbeitung von totalitär-nationalsozialistischen Versatzstücken in der Popkultur bedarf dringend der Decodierung, damit der Umgang mit der Zeitgeschichte differenziert erfolgt. Das ist auch die Intention dieses Buches: Diesem tumben Raunen sollen ein paar helle Beiklänge beigemischt werden, in die braunverdunkelten Geister ein kleines Flämmchen der Aufklärung getragen werden. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.
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Seitenzahl: 231
Hermann Ritter, Johannes Rüster, Dierk Spreen, Michael Haitel (Hrsg.)
HEUTE DIE WELT – MORGEN DAS GANZE UNIVERSUM
Rechtsextremismus in der deutschen Gegenwarts-Science-Fiction | Science-Fiction und rechte Populärkultur
AndroSF 54
Hermann Ritter, Johannes Rüster, Dierk Spreen,
Michael Haitel (Hrsg.)
Heute die Welt – morgen das ganze Universum
Rechtsextremismus in der deutschen Gegenwarts-Science-Fiction | Science-Fiction und rechte Populärkultur
AndroSF 54
Die in diesem Werk enthaltenen Beiträge wurden ggf. auch im Bereich der Zitate gefühlvoll, d. h., nicht sinnentstellend, an die aktuelle deutsche Rechtschreibung angepasst.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: Mai 2016
p.machinery Michael Haitel
Titelbild: Michael Haitel, unter Verwendung einer Grafik von Lothar Bauer
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
Verlag: p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 049 8
Wer vor einem […] Laienpublikum über Julius Caesar spricht, und glaubt, dass deren erste Assoziation nicht der Caesar der ›Asterix‹-Comics ist, macht sich Illusionen.
Johannes Dillinger, Uchronie: Ungeschehene Geschichte
Es ist paradox: Wohl niemand kann sich der Faszination der Vergangenheit entziehen – und gleichzeitig wird sie in den seltensten Fällen ungebrochen reflektiert.
Dies beginnt bei der eigenen Biografie, die nostalgischen Färbungen wie retroaktiven Rechtfertigungen unterworfen ist, und endet noch lange nicht beim oben erwähnten Comic-Caesar. Kurz: Geschichtliches Bewusstsein findet jenseits streng akademischer Diskurse stets fiktionalisiert statt, unser Bild von der Vergangenheit speist sich nicht zuletzt aus einem popkulturellen Zitatenschatz.
Mit einem Problem: Das Spiel von Narrative und Historie, das etwa René Goscinny, der ursprüngliche Autor der Asterix-Alben, virtuos beherrschte, bedarf zur Entschlüsselung eigentlich eines beachtlichen Vorwissens: Ob Vercingetorix seine Waffen dem siegreichen Römer stolz hinknallte (wie z. B. in Asterix und derAvernerschild) oder gebrochen zu Füßen legte (wie z. B. in Die Trabantenstadt)? Prinzipiell egal, könnte man sagen. Wer De bello Gallico gerade nicht im Detail im Hinterkopf hat, ist zwar ziemlich aufgeschmissen, dem Amüsement dürfte dies aber keinen Abbruch tun.
Wenn es nur um Caesar ginge, wäre das auch kein Problem: Der zeitliche, kulturelle wie ideologische Sicherheitsabstand sorgt dafür, dass die satirisch kreative Geschichtsklitterung unproblematisch bleibt, auch wenn sie nicht als solche erkannt wird. Schwieriger wird es allerdings, wenn es sich um einen historischen Zusammenhang handelt, der zeitlich, kulturell wie ideologisch ungemütlich nahe an die eigene Lebenswirklichkeit herankommt.
Der Nationalsozialismus bzw. seine Manifestation in der deutschen Geschichte im 20. und 21. Jahrhundert ist eben nicht nur ein weltpolitisches Phänomen 1933–45, dessen mahnende Reflexion heute wesentlicher Bestandteil des bundesdeutschen Erinnerungsnarrativs ist. Vielmehr haben sowohl die völkischen, faschistischen und nationalsozialistischen Diskurse und Gesellschaftsentwürfe selbst als auch ihre post-faschistischen Wiedergänger eine populärkulturelle Dimension: Es zieht sich ein roter Faden von den völkischen Utopien (die Jost Hermand 1988 in seiner Monografie Der alte Traum vom neuen Reich so treffend analysierte) zur Selbstästhetisierung der faschistischen Diktaturen in Deutschland, Italien und Spanien – und von diesen wiederum zu den modernen rechtskonservativen bis rechtsradikalen Epigonen, die sich gerne im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen aus beider Zeichen- und Mythenvorrat bedienen.
Einmal mehr erweist sich hier die fantastische Literatur als Seismograf gesamtkultureller Zusammenhänge, finden das psychologische Spiel mit Archetypen der Fantasy und die allegorische Qualität der Science-Fiction als Ideenliteratur zu großer Wirkung zusammen. Deshalb gilt gerade für diesen literarischen Bereich in besonderem Maße: Ob affirmative faschistoide Allmachtsfantasie, weltanschaulich taubstumme Naziästhetik im Actionfilm oder geschliffene Satire – die Verarbeitung von totalitär-nationalsozialistischen Versatzstücken in der Popkultur bedarf dringend der Decodierung, damit der Umgang mit der Zeitgeschichte differenzierter erfolgt als der mit Julius Caesar.
Diesen Versuch unternehmen die drei Beiträger in diesem Band aus deutlich unterschiedlichen Perspektiven:
Hermann Ritter, von Haus aus Historiker, erschließt den weiten Raum völkischer Esoterik. Dabei spannt er den Bogen von den verquasten theo- und ariosophischen Gedankengebäuden der vorletzten Jahrhundertwende, für die etwa Helena Blavatsky oder Lanz von Liebenfels stehen, über die synthetisch-germanisierenden faschistischen Mythen bis hin zu den vrilgetriebenen Reichsflugscheiben, mit denen revisionistische Allmachtsfantasien fantastisch verbrämt werden.
Johannes Rüster, Literaturwissenschaftler, beschäftigt sich mit literarischen Texten, die das beliebte Spiel des »Was wäre, wenn« unter faschistischen Vorzeichen betreiben. Er flaniert entlang einer Reihe von Romanen, die in alternativen Weltentwürfen faschistische Ideologie als mehr oder weniger siegreich beschreiben, ob in Form der SS-Untergrundarmee eines Oliver Henkel, die funktional am ehesten an die heutigen IS-Kämpfer erinnert, oder, wie bei Otto Basil, als der von innen verrottete Glanz eines Reiches, das sich zu Tode geendsiegt hat.
In guter dialektischer Tradition folgt auf die historisch-literarisierende These und die literarisch-historisierende Antithese die Synthese: Der Soziologe Dierk Spreen untersucht anhand der Romanreihe Stahlfront, wie literarische und ideologische (nicht zu vergessen: verlagsökonomische) Aspekte im Zusammenspiel ein Werk entstehen lassen, das durch »viele und intensive rassistische, Teile der NS-Ideologie bejahende und Homosexuelle diskriminierende Textpassagen« den »für eine Indizierung erforderlichen deutlichen Grad der Jugendgefährdung« aufweist (so das VG Köln).
In der Zusammenschau zeigt sich letztlich, wie sehr krude völkische Esoterik anschlussfähig an die Allmachtsfantasien eines oft materiell wie intellektuell unterprivilegierten Publikums sein kann. Dies ist, auch das wird erkennbar, beileibe kein neues Phänomen. Vielmehr, und das ist das eigentlich Deprimierende, scheint es sich mehr um eine Konstante zu handeln, um das dumpf stammtischlernde Hintergrundgeräusch einer demokratischen Gesellschaft, das sich selbst durch pseudowissenschaftliche Verlängerungen einer Vielzahl von Disziplinen zu adeln versucht, von der Geschichtswissenschaft über die Medizin bis zur Raumfahrttechnik.
Damit wird letztlich auch die Intention dieses Bandes klar: Diesem tumben Raunen sollen ein paar helle Beiklänge beigemischt werden, in die braunverdunkelten Geister ein kleines Flämmchen der Aufklärung getragen werden. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Hermann Ritter
Johannes Rüster
Dierk Spreen
1. Vorwort
»We must not look at goblin men,
We must not buy their fruits:
Who knows upon what soil they fed
Their hungry thirsty roots?«1
Christina Rossetti (1830–1894), »Goblin Market«
Werte Leserin, werter Leser. Begleiten Sie mich auf einer Reise hinab in die Tiefen einer Literaturgattung (man wagt es kaum zu schreiben), die sich dadurch auszeichnet, dass ich sie gelesen habe, obwohl ich es eigentlich nicht wollte. Wenn es mir gelingt, ein wenig Verwirrung, sogar ab und an einen Lacher über manche Eigenwilligkeiten und Abartigkeiten zu erzeugen … dann bin ich zufrieden.
Ich selbst bin Historiker, ich weiß, was in Archiven und verstaubten Regalen mancher Institute in »Giftschränken« lagert. Trotzdem hat es mich erschrocken, was man in Deutschland legal über das Internet bestellen oder sogar im normalen Buchhandel erhalten kann. Es erschreckt mich, wenn ich »sehenden Auges« durch die Welt gehe und Menschen sehe, die Bücher lesen, die ich nicht für lesenswert halte.
Nun gut, das mag ein sehr aufklärerischer Ansatz sein, fast schon der Versuch zum Erziehen von Menschen, die mir fremd sind. Aber selbst in meinem eigenen Umfeld erfahre ich immer wieder, wie weit rechte Mythen Raum gewonnen haben.
Immer wieder musste ich mich selbst daran erinnern, dass es die wissenschaftliche Seite an mir sein sollte, die diese Bücher liest – nicht der sensationshungrige Leser, nicht der unkritische Halbgelehrte, nicht der seine Vorerwartungen durch sein Lesestudium verifizierende Verschwörungsgläubige.
Niemals hatte ich vor, alles in diesem Bereich zu lesen. Ich wollte einen Überblick bieten, keine tief schürfende/allumfassende Darstellung. Wenn also Bücher fehlen, die man gelesen haben sollte, dann bitte ich um Verständnis. Ich habe genug lesen »müssen«, was ich sonst nicht gelesen hätte. Irgendwann ist Schluss. Ich habe Geld für Bücher ausgegeben, die ich nicht geschenkt haben wollte. Ich habe Verlagskataloge gewälzt und Internetseiten aufgerufen, die ich … und so weiter. Sollte ich in diesen Aktivitäten von irgendwelchen Organisationen überwacht werden, so … hat das einen Grund, aber keinen Sinn.
Ein paar grundlegende Dinge sind mir bei den Vorarbeiten zu diesem Werk klar geworden. Wir werden – wenn wir uns mit Esoterik beschäftigen – meist von Themen gesteuert, die uns von außen vorgegeben werden. Wer hat in seinem »normalen Leben« Grund, sich mit Dingen wie dem Philadelphia-Experiment, Atlantis, Entführungen durch Außerirdische, dem Weiterleben von Kulten von gestaltwandelnden Echsen in Menschenform, Reichsflugscheiben oder aufgestiegenen Meistern zu beschäftigen? Eigentlich niemand.
Ich habe eine einfache Theorie, warum wir es trotzdem tun. Über der Esoterik des 21. Jahrhunderts liegt ein fein gesponnener Nebelschleier, der sich aus dem späten 19. Jahrhundert bis jetzt wie ein leise fallender Dunst über jene Gebiete auf den mentalen Landkarten des Unerforschten ausbreitet, die wir eigentlich untersuchen müssten. Wir werden abgelenkt, weil wir uns immer tiefer und tiefer und tiefer in Fragen und Antworten zu ihnen begeben, ohne dabei zu bedenken, dass wir die Fragen eigentlich nie selbst stellen würden. Sie werden uns von außen aufgedrängt und immer wieder an uns gestellt, so als wären es grundlegende Fragen, die beantwortet gehören. Und im Nachdenken und im Lesen werden diese »fremden Fragen« zu »unseren Fragen«, obwohl sie das eigentlich nicht sind.
Natürlich sind die Fragen – wie auch die (vermeintlichen) Antworten – interessant. Aber wir behandeln sie auf einem anderen Niveau als andere Fragen, die uns auch interessieren – Wer hat heute Nacht die langbeinige Nachbarin besucht? Warum wird mein Kollege befördert und nicht ich? Warum hat mein Auto auf der Fahrerseite so eigenartige Kratzer in der Tür? Warum lugt meine Tageszeitung immer nass aus dem Briefkasten?
Der Markt für Verschwörungstheorien und/oder Esoterik ist genau das: ein Markt. Er schafft Fragen, die er selbst zu beantworten sucht. Wir lehnen uns viel zu selten zurück, um uns selbst zu fragen, ob diese Fragen auch unsere Fragen sind, und geben Geld für Literatur und Lebenshilfe aus, obwohl wir damit Fragen beantworten, die wir nicht stellen müssten, wenn wir uns selbst und unseren ehrlichen Interessen treu wären.
In den letzten Jahren gab es wieder einen Boom um zwei Themen im Bereich Verschwörungstheorien/Esoterik, die mit dem Nationalsozialismus in Verbindung stehen. Das eine ist das wieder aufgetauchte Thema, dass die Kulturbringer der letzten Jahrtausende allesamt weißhäutige Heroen waren, die von einem mythischen Ursprungsland aus – heiße es Atlantis oder Lemuria oder wie auch immer – der Erde erst die Kultur gebracht haben. Eine Erweiterung dieses Themas sind weißhäutige, blonde Außerirdische, die dann auf der Erde eine Kolonie aufgebaut haben, von der aus … wir verstehen uns.
Das zweite Thema ist die von Tibet ausgehende organisierte Weltherrschaft, die auch mit Nationalsozialisten Kontakt anstrebte.
In vielen Fällen ist die Abgrenzung zwischen beiden Themen nicht oder nicht einfach zu leisten; spätestens dann, wenn atlantisches, arisches Wissen in Tibet eine Rolle spielt, ist eine Abgrenzung unmöglich.
Vielleicht besteht eine Verbindung zwischen dem mythischen Atlantis als atlantisch-polar-pazifisches Inselreich, das spurlos untergeht, zu einem Rückzugsgebiet im Gebirge als tibetisch-chinesisch-mongolischem Bergreich, das spurlos besteht.
Es gibt Dinge »dort draußen«, die einen den Kopf schütteln lassen. Stichworte wie das rassische Wissen aus dem Rückenmark, die Schwarze Sonne, die Herkunft der Olmeken von den Wikingern, der Gral und seine Bindung an europäische Herrscherhäuser, Echsenwesen als geheime Weltherrscher, Hitler auf der Venus, deutsche Atombomben und Nurflügelbomber sowie die Geheimnisse im Dorastollen haben wieder Hochkonjunktur. Otto Rahn, Otto Skorzeny, Karl-Maria Wiligut und die Wewelsburg – alle dürfen sie hier mitspielen – oder (wenn man den Verschwörungstheoretikern glaubt) wieder mitspielen.
Gerade in der erzählenden Literatur – mehr als in »Fachbüchern« – haben diese Themen Konjunktur. Was man von all diesen Werken zu halten hat, wird einem oft bei einem ersten Durchblättern schnell klar. Manchmal zweifelt man auch, überlegt … dann mag dieses Werk hier ein wenig Lesehilfe sein, ein wenig Unterhaltung, ein wenig Aufklärung.
2. Zum prinzipiellen Ansatz
»Gefunden hatte er nichts, aber das Herumschleichen im Schnee hatte ihn an eine Operation in Tibet 1938 erinnert. ›Da haben wir deutsche Archäologen gejagt. Ein völliger Reinfall, das Ganze, für sie wie für uns.‹«
Ben Aaronovitch, »Ein Wispern unter Baker Street«2
Die meisten Menschen, die sich mit Verschwörungstheorien beschäftigen, führen ihr Leben sehr wohl in Teilen rational und glauben, dass sie einer gewissen Rationalität huldigen; man selbst kann rational sein beim Schuhkauf – aber auf einmal glaubt man an die Verbindung zwischen Außerirdischen und Nazis oder an geheime Atomwaffenprojekte des Dritten Reichs unter dem Eis des Nordpols.
Es gibt wenige Möglichkeiten, sich im täglichen Umgang diesen esoterischen Themen zu entziehen. Sie sind im »Mainstream« angekommen und werden sowohl am Stammtisch als auch im (esoterischen) Blätterwald immer wieder diskutiert. Die Frage, wie man sich überhaupt der um sich greifenden »esoterischen Irrationalität« entziehen kann, ist schwer zu beantworten. Einziges Faustpfand ist und bleibt hier die Aufklärung; der Versuch, rational mit den Fragen umzugehen, um Antworten zu finden, die aus dem Hirn und nicht dem Bauch gespeist werden.
Und sicherlich: Symbole haben Macht. Mythen wachsen mit der Zeit mit; Begriffe/Symbole als Mythen (z. B. der Begriff »Reich«, die Farbkombination schwarz-weiß-rot) haben Macht und werden in Besitz genommen, wenn sie nicht besetzt sind. So müssen wir damit leben, dass Begriffe, die wir selbst nicht nutzen, (wieder) an jene fallen, die mit ihnen Missbrauch betreiben. In vielen Fällen werden neue Mythen mit vorhandenen Symbolen (wie der Schwarzen Sonne) verbunden und durch die Verschwörungsliteratur mit Bedeutung »aufgeladen«. Hier gilt es nicht nur, eine Rückeroberung der Begrifflichkeiten einzuleiten, sondern darauf hinzuweisen, aus welchen Quellen sich diese speisen.
Es wäre falsch, sich nicht mit Mythen zu befassen. Denn dieses Feld wird von den Neonazis ausgiebig beackert, wie man z. B. »Moderne Nazis« des Journalisten Staud (*1972) entnehmen muss:
»Ausgiebig bedienen sich die Neonazis im Fundus nordischer Mystik, germanischer Runen und heidnischer Riten. Weil es keine gesicherte Überlieferung ihrer tatsächlichen Bedeutung gibt, können sie freihändig mit Inhalten gefüllt werden. Unauffällig lässt sich so ein völkisches Weltbild transportieren (…).«3
Ähnlich äußert sich der Religionswissenschaftler Nicholas Goodrick-Clarke (1953–2012) in »Im Schatten der Schwarzen Sonne«:
»Wenn Rechtsextreme politisch nicht weiterkommen, greifen sie gern ins Metaphysische, um ihren Gedanken sozusagen höhere Weihen und damit mehr Zugkraft zu verleihen.«4
Prinzipiell gilt weiterhin, was der Psychiater Wilhelm Reich (1897–1957) aus seiner Beobachtung des Dritten Reichs an Erkenntnis in »Die Massenpsychologie des Faschismus« beschrieben hat:
»Wenn sich der Faschismus auf das mystische Denken und Empfinden der Massen so erfolgreich stützt, so ist ein Kampf dagegen nur dann aussichtsreich, wenn man die Mystik begreift und die mystische Verseuchung der Massen erzieherisch und ärztlich bekämpft.«5
Eine Eingrenzung des Forschungsfeldes hat bei der Behandlung von Mythen wenig Sinn. Ich behandele größtenteils Populärkultur, deren Wirkung auf die Gesellschaft schwer zu messen ist. Der Historiker Franz Wegener (*1965) schreibt hierzu treffend in »Das atlantische Weltbild«:
»Die Frage, ob der Inhalt des Buches, das verkauft wurde, oder der Inhalt der Rede, die vorgetragen wurde, aufgenommen wurde und Handlung beeinflusste, wird keine befriedigende Antwort finden.«6
Ich kann ihm nur recht geben.
Diese angenommene Wirkung ist eine wechselseitige – die Populärkultur beeinflusst die Bevölkerung, die Bevölkerung beeinflusst die Populärkultur, zieht aus ihr wiederum Mythen, adaptiert sie und spiegelt sie wieder in die Populärkultur zurück, die mit Versatzstücken und Anspielungen reagiert.7
Michael Barkun (*1938), emeritierter Professor der politischen Wissenschaft, hat sich in »A Culture of Conspiracy« mit Verschwörungen beschäftigt. Seine Untersuchung liefert einige grundsätzliche Überlegungen zum Thema. Er schreibt zur Verschwörungsliteratur:
»Conspiracy literature is replete with instances in which manifestly fictional products, such as films and novels, are asserted to be accurate, factual representations of reality. In some cases, they are deemed to be encoded messages, originally intended for the inner circle of conspirators, that somehow became public. In other cases, truth is believed to have taken fictional form because the author was convinced that a direct representation of reality would be too disturbing and needed to be cloaked in fictional conventions. In still other instances, fictionalization is deemed to be part of the conspirators’ campaign to indoctrinate or prepare a naive public for some momentous future development.«8
Man muss sich also treiben lassen; sich mit Themen beschäftigen, die normalerweise nicht (wissenschaftlich) respektabel sind. Noch einmal Barkun:
»(…) it makes little sense to exclude ideas from examination merely because they are not considered respectable.«9
Eigenartige Ideen – gerade in esoterisch-faschistischen Mischgebieten (um hier eine längere Beschreibung etwas flapsig zu fassen) – lassen sich nicht mit den üblichen wissenschaftlichen Methoden untersuchen. Barkun spricht in diesem Zusammenhang von »obskuren und kaum sichtbaren Strukturen«, die es zu kartieren gilt:
»Mapping fringe ideas is a difficult undertaking. Familiar intellectual landmarks are unavailable, and the inhabitants of these territories tend to speak languages difficult for outsiders to penetrate. Some of these ideas have begun to filter into mainstream popular culture (…). But their origins lie in obscure and barely visible structures – millenarian religion, occultism and radical politics among them.«10
Dem kann ich mich nur anschließen.
Außerdem beschäftigt man sich so mit etwas, das Barkun mit dem Begriff »stigmatized knowledge« (»stigmatisiertes Wissen«) bezeichnet:
»By stigmatized knowledge I mean claims to truth that the claimants regard as verified despite the marginalization of those claims by the institutions that conventionally distinguish between knowledge and error – universities, communities of scientific researchers, and the like.«11
Die Vertreter/Verbreiter dieses »stigmatisierten Wissens« gehen davon aus, dass sie von einer Gruppe von Verschwörern oder einer anderen organisierten Gegnerschaft aktiv daran gehindert werden, ihr Wissen weiter zu verbreiten, weil sonst die Wahrheit über »sie« (wahlweise »ihn« oder »es«) ans Licht käme. Der offizielle »Mainstream« der Geschichts- und Politikwissenschaft beschäftigt sich nicht mehr mit diesen Theorien, was nicht heißt, dass sie nicht trotzdem diskutiert werden und viele Menschen erreichen. Barkun schreibt:
»Tales of secret Illuminati conspiracies, imminent UN invasions, and Jewish, Masonic, or Jesuit plots, for example, have been informally banned from media, classrooms, and other mechanisms of knowledge distribution. Unlike beliefs about flying saucers, considered eccentric but socially harmless, many conspiracy ideas deemed both false and dangerous have been banished from the mainstream discourse.«12
Theorien, die öffentlich nicht diskutiert werden, erhalten schnell den Nimbus von »verbotenem Wissen«. Dieser Nimbus macht sie interessant und wichtig. Leider.
Einige esoterische Gruppierungen verwenden bei Diskussionen über »stigmatisiertes Wissen« dieselben Strukturen, die Holocaustleugner anwenden. Sie fühlen sich scheinbar als Besitzer eines »verborgenen« und/oder »verbotenen« Wissens, das »tabu« ist und in den normalen wissenschaftlichen Zirkeln nicht diskutiert wird. So wie einige Esoteriker die Ergebnisse der Wissenschaft ignorieren oder gar leugnen – sei es bei der Behandlung von Krebs, dem Programmieren von Trinkwasser oder dem Bekämpfen von Handystrahlung durch Mandalaaufkleber –, so gerieren sich auch die Holocaustleugner als Gegner eines historischen »Establishments«, das ihre Erkenntnisse aktiv bekämpft, Fakten leugnet und Wahrheiten verdreht. Die »große Lüge« hat wieder Konjunktur, wie Professor McKale in »Hitler: The Survival Myth« richtig feststellt:
»The [Holocaust-, HR] deniers borrow from Hitler’s technique of the ›Big Lie‹, denying that the gas chambers existed and rejecting the reality of the Holocaust. Since the 1980s, deniers have organized a growing assault on truth and memory; their chilling attack on the factual record not only threatens Jews but undermines the very principles of objective scholarship that support the world’s faith in historical knowledge.«13
Wenn ich nur genug Schmutz werfe … dann bleibt immer etwas hängen.
Eines der Kennzeichen der Esoterik der letzten zwanzig Jahre ist gerade ihr gespaltenes Verhältnis (um es freundlich zu formulieren) zur Lehrmeinung der Wissenschaften. Wenn man einmal angefangen hat, der Physik und der Biologie zu misstrauen, ist es kein großer Schritt, der Geschichtswissenschaft zu misstrauen. Ich kann die Physik und die Biologie nicht verteidigen, weil ich kein Physiker oder Biologe bin und vielen Diskussionspartnern hilflos gegenüberstehe, die Tonnen von »Fakten« gesammelt haben, mit denen sie mir ihre Theorien glaubhaft machen wollen. Ihr geschlossenes System aus zehntausend mühsam zusammengeleimten Mosaiksteinen kann mit meinen Mitteln nicht auseinandergebrochen werden, obwohl mir schon klar ist, dass ihre Mosaiksteine kein Mosaik bilden. Aus diesem Grund habe ich es aufgegeben, mich über das Für und Wider der Evolutionstheorie zu streiten. Meine Fakten können mit der »Faktenhuberei« der Gegenseite nicht mithalten.
Aber die Geschichtswissenschaft ist ein Gebiet, das ich mit meinen Mitteln verteidigen kann. Hier gilt es, wachsam zu sein und den Anfängen zu wehren. Wenn die im Folgenden immer wieder auftauchenden Argumentationsmuster dazu führen, dass der Leser den Kopf schüttelt oder sich fragt, ob er eine Parodie liest, dann ist eines meiner Ziele erreicht. Rationalität kann, nein, muss ein wertvolles Werkzeug sein – aber jemand, über den man herzhaft gelacht hat, ist oft langfristiger entzaubert, als jemand, den man mit den Mitteln der Rationalität nicht widerlegen kann, weil er nach anderen Regeln zu spielen scheint, als man selbst und der rationale Verstand.
Wenn einem manches Zitat zu lang, manche Quelle zu unglaubhaft erscheint – zurücklehnen und leise schmunzeln, wenn das geht.
Der Kaiser trägt keine Kleider, man muss nur den Mut haben, die offensichtliche Wahrheit auszusprechen – auch wenn man dann in den Ruf gerät, für das »Establishment«, die Echsenmenschen oder die Illuminaten zu arbeiten. Fnord.
2.1. Zur Theorie
Schon der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick (1921–2007) postulierte 1976 die Idee einer »wirklichen Wirklichkeit zweiter Ordnung« und formulierte spitzfindig:
»Der eigentliche Wahn liegt in der Annahme, dass es eine ›wirkliche‹ Wirklichkeit zweiter Ordnung gibt und dass ›Normale‹ sich in ihr besser auskennen als ›Geistesgestörte‹.«14
Natürlich langt es nicht, so etwas als Theorieteil hier einfach voranzustellen. Daher rekapituliere ich im Folgenden kurz Barkuns Überlegungen zu dieser Problematik. Barkun hat in einer kurzen Übersicht Gruppen und Aktivitäten in Bezug auf »Geheimnisse« dargestellt:15
ACTIVITIES
Secret Not Secret
GROUP Secret I II
Illuminati Anonymous philanthropists
Not Secret III IV
Masons Democratic political parties
So gibt es nicht-geheime Gruppen, die nicht-geheime Aktivitäten planen und durchführen (hier: demokratische Parteien). Dann gibt es geheime Gruppen, die nicht-geheime Aktivitäten durchführen (hier: ein anonymer Menschenfreund, z. B. ein Spender für ein Krankenhaus). Ein Beispiel für nicht-geheime Gruppen, die geheime Aktivitäten durchführen, wären die Freimaurer (deren Mitgliedschaft nicht geheim ist, deren Riten aber geheim sind). Zuletzt gibt es die geheimen Gruppen mit den geheimen Aktivitäten (wie die Illuminaten).
Im Umgang mit Anhängern von Verschwörungstheorien gibt es hierbei ein großes Theorieproblem. Die endgültige Fragestellung, die bleibt, nämlich ob eine geheime Gruppe, deren geheime Aktivitäten so geheim sind, dass sie keiner wahrnimmt, überhaupt existiert oder existieren kann, wird von ihnen in das Gegenteil gekehrt. Man verbindet nicht miteinander zusammenhängende Informationen, um sie alle als Anzeichen der Bewegungen einer unsichtbaren Macht zu deuten, die wie eine Spinne in einem großen Netz von Handlungen und Handlungsmöglichkeiten sitzt.
Es ist eine Spinne, deren Bewegung wir nicht sehen, sondern von der wir nur Erschütterungen an den Knoten des Netzes sehen können. Die Verschwörungstheoretiker (re-) konstruieren ein Muster und schließen aus den Erschütterungen auf die Knoten und von diesen auf das Netz, auf die Spinne und letztendlich auf die Existenz der Spinne. Und wo eine Spinne ist, gibt es auch Menschen, die Angst vor Spinnen haben, irgendwo … und die besuchen dann entsprechende Seminare und kaufen die Bücher.
Darüber nachzudenken, dass da vielleicht keine Spinne ist … macht mich schon zu einem jener Menschen, die auf der Seite der »etablierten Wissenschaften« stehen, denn das Wissen um die Spinne ist geheim und eigentlich schon »stigmatisiertes Wissen«. Es muss eine Spinne geben, denn immerhin würde ich sonst nicht leugnen, dass es eine Spinne gibt …
Aus diesem Teufelskreis kann man nicht ausbrechen. Es hat keinen Sinn, hier mit Sachargumenten zu arbeiten, denn diese sind offensichtlich auch nur ein Versuch, von den »Tatsachen« abzulenken, die nur einem eingeweihten Kreis (den mutmaßlichen Verschwörern selbst und den Anhängern der spezifischen Verschwörungstheorie) bekannt sind. Wer gerne glauben mag, dass ich für die »Spinnen« arbeite – bitteschön. Wenn eine »Spinne« diesen Text liest und erkennt, wie tapfer und clever ich sie tarne – ich maile gerne meine Kontoverbindung für eine kleine Entlohnung. Danke.
2.2. Ross und Reiter
Gerade in den Zeiten der modernen Kommunikationsmittel (lies: Internet) ist es schwerer geworden, bei einem Artikel »Ross und Reiter«, daher Autor und die ihn unterstützenden oder von ihm unterstützten Weltanschauungen zu erfahren. Barkun schreibt richtig:
»(…) the Internet is the first mass medium without gatekeepers.«16
Ohne diese Torwächter wird online alles veröffentlicht – und Quellen und Beweise werden total überschätzt, wenn niemand mehr Korrektur liest.
Kurt Oertel (*1953), Mitarbeiter am Institut für Klassische Altertumskunde der Universität Kiel, hat dies in einem Artikel gut zusammengefasst:
»Mag man die Demokratisierung des Wissens und der Informationsmöglichkeit durch das Internet auch begrüßen, so leistet es doch gleichermaßen dem Unwissen Vorschub, denn um den Wert dortiger Informationen beurteilen zu können, bedarf es als Voraussetzung eines zuvor anderweitig erworbenen Grundwissens, dessen Erwerb sich viele aber gerade erst durch das Internet erhoffen.«17
Die Fülle der Veröffentlichungen zu angeblichen Verschwörungen im Internet ist Legion, man kopiert sich fleißig gegenseitig und so findet man am Ende doch immer nur dieselben Thesen auf verschieden farbig unterlegten Seiten im Internet.
Ich habe versucht, mich nur auf Literatur zu beschränken. Erstens ist diese (noch?) ein weniger flüchtiges Medium als das Internet, zweitens ist die Traditionslinie bestimmter Themen im 20. Jahrhundert nur an der Literatur festzumachen (weil die maßgeblichen Werke prä Internet erschienen sind), und drittens, weil meiner Meinung nach gerade die fantastische und/oder esoterische Literatur des 20. Jahrhunderts als Transportinstrument für okkulte, faschistische Mythen eine Schlüsselposition einnimmt.
3. Querverbindungen
»Tibet. Das ist es also …«
»Ja, und was das bedeuten könnte, brauche ich Ihnen wohl nicht weiter zu erklären.«
Russell McCloud, »Die schwarze Sonne von Tashi Lhunpo«18
3.1. Esoterik und fantastische Literatur
Es ist wahrnehmbar, dass eine enge Bindung zwischen Esoterik/Mythologie und fantastischer Literatur besteht. Und: Die Leser-Autoren-Bindung ist in keiner Literaturgattung so eng wie bei der Fantastik19; ansatzweise vergleichbar ist die Leserbindung nur mit der bei der Kriminalliteratur, wo es wenigstens Ansätze eines »Fandoms«20 gibt. Diese enge Bindung zwischen Leser und Autor führt natürlich dazu, dass in der Esoterikszene ausgesprochen viele Informationen über die Autoren und das Genre bekannt sind.
Gerade am Beispiel J. R. R. Tolkien (1892–1972; eher als Fantasyautor denn als Philologe bekannt) kann man diese Verbindung gut aufzeigen. Heute wird Tolkien »nur« als Fantasyautor begriffen, dessen Werkverfilmungen die Kinos füllen. Aber Tolkien war auch zutiefst esoterisch; nur dass diese esoterische Prägung nichts mit bunten Tüchern und Salzlampen zu tun hatte, sondern mit einer Prägung durch die nordische Mythologie.
Richtig – jener Tolkien, der laut Fantasyfachmann Lin Carter (eigentlich Linwood Vrooman Carter; 1930–1988) immer schon von »the Northern Thing«21 fasziniert war. Von »Narnia«-Autor und Tolkien-Kollegen C. S. Lewis (1898–1963) ist bekannt, dass er sich mit Tolkien über nordische Mythologie ausgetauscht hat.22 Aber auch ohne diesen Beleg wäre Tolkien schon fast ein Vorführfall für den Einfluss der nordischen »Edda« auf die Fantasy. Bekannt ist, dass Tolkien selbst die »Eddas« gelesen hat.23 Ebenso bekannt ist auch, dass alle Zwergennamen im »Herrn der Ringe« aus der »Edda« stammen.24
Lin Carter geht in seiner Einschätzung von Tolkiens Werk noch weiter:
»The scenery of Middle-Earth seems quite familiar to us; we have visited something quite like this world of untamed forests and adventurous quests and dragon-guarded treasures in the Norse sagas and eddas, the German Nibelungenlied epic, Wagner’s Ring cycle, and – for that matter! – Grimm’s fairy tales. It is the familiar heroic or mythological age of Northern European folklore, legend, and epic literature, decked out with newly invented names.
When the Professor came to write the trilogy itself, he had some second thoughts about the lore established in The Hobbit. The goblins became the orcs, the Necromancer became Sauron, the endpaper maps were tinkered with, and the finish of the riddle game between Bilbo and Gollum was changed. Subsequent printings of The Hobbit have been altered to reflect these later developments.«25
Die religiöse Deutung von Tolkiens Werk war immer zwiespältig. Es gibt eine dezidiert christliche und eine dezidiert heidnische Deutung der Mythologie von Mittelerde. Dies spiegelt sich in vielen Kommentaren zum »Herr der Ringe« wieder:
»From the beginning of his writing two divergent eschatologies emerged: a more sombre apocalyptic one at the end of time as his legendarium presented it, patterned roughly on the Nordic Ragnarok (…).«26
Ein Autor, zwei divergierende Deutungen seines Mythos’ und seiner Intention. Leider gibt es wenige Untersuchungen über den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Fantastik und Esoterik. Aber schon 1992 heißt es in »Religion als Kulturkritik« der Literaturwissenschaftlerin Stefanie von Schnurbein (*1961):
»Aufschluss über die Verbindungen zwischen germanischem Heidentum und verschiedenen anderen gegenwärtigen Subkulturen könnte eine literaturwissenschaftliche Analyse von Fantasy-Literatur geben, in der vielfach Elemente der germanischen Mythologie verwendet werden.«27
Und auf diese umfassende (und lesbare) Analyse heißt es weiter warten.
3.2. Fantastische Literatur und die Rezeption der Esoterik
Eine weitere zu beweisende These ist, dass die Rezeption von völkischen Verschwörungstheorien, rassistischen Revancheideen oder einer Überhöhung der Leistung der Arier/Germanen/Deutschen in der Weltgeschichte am ehesten über erzählende Literatur und pseudowissenschaftliche Sachbücher geschieht. Ich will versuchen, kurz eine solche Verbindungslinie aufzuzeigen.
Man muss zum Beispiel nicht weit suchen, um die nordische Rasse (und die mit ihr verbundene Kultur), Rassismus und Faschismus in einer Erklärungslinie zu sehen. Der Atlantismythos ist in Buchform häufig genug heruntergebetet worden, um als bekannt vorausgesetzt zu werden.
Wegener zieht in seinem Buch »Das atlantische Weltbild« für den Atlantismythos eine
»bislang unbekannte Verbindungslinie zwischen Theosophen, Ariosophen, Anthroposophen, Vertretern der Konservativen Revolution, Welteislehre-Anhängern, Nationalsozialisten und Neuen Rechten in Deutschland und Frankreich. Die populärwissenschaftliche Umsetzung des Atlantismythos in einer nordisch-rassistischen Variante.«28
Hier finden sich verschiedene okkulte Gruppen, Nationalsozialisten und Atlantis in einem Absatz wieder. In Personen sieht Wegener schon eine Rezeption »durch führende NS-Funktionäre«.29 Wichtig sind die Menschen, die diese Ideen nicht nur äußern, sondern auch publizieren. Noch einmal Wegener:
»Der nordistisch-rassistische Atlantismythos erreichte schon über die Multiplikatoren Blavatsky für die Theosophen, Steiner für die Anthroposophen, List und Lanz für die Ariosophen, Rosenberg und Wirth für die Nationalsozialisten ein Millionenpublikum.«30
Multiplikatoren – Menschen, die eine Ansicht ausformulieren und in gedruckter Form in Umlauf bringen. Andere Autoren sehen solche Linien auch. Der Historiker George L. Mosse (1918–1999) zieht in »Die völkische Revolution« Ähnlichkeiten zwischen den ariosophischen Lehren von List und der Theosophie sowie eine Verbindung durch Mitarbeiter.31
Später werde ich wieder auf dieses Thema kommen – die Verschränkung von Literatur und Rechtsradikalismus. Denn leider ist Atlantis (oder eine wie auch immer benannte »esoterische Weltzentrale«) nicht vom esoterischen Radar verschwunden; der Atlantismythos in seiner nordischen Variante spielt heute noch eine Rolle; die Allianz zwischen Rechtsextremisten und Esoterikern ist weiterhin virulent.
Sicherlich ist es leicht, solche Gruppierungen als Spinner abzutun. Doch es ist erschreckend, wie viel Einfluss diese vermeintlichen Spinner auf die allgemeine Esoterikszene haben. So wie die Fantasy und die Science-Fiction aus ihrem Nischendasein getreten sind, in dem sie bis Mitte der 80er Jahre in einem literarischen Schneewittchenschlaf gelegen haben, so ist auch die Esoterik längst in der Mehrheit der Bevölkerung angekommen und durchdringt – zum Teil auch zum Nutzen und Frommen der Bevölkerung – diese mit ihren Ideen und Ideologien.
Schon immer gab es eigenartige Verbindungen zwischen Science-Fiction und Fantasy auf der einen Seite und Esoterik auf der anderen Seite. So wurden Teile der »Gnostic Catholic Mess« des Okkultisten Aleister Crowley (1875–1947) in James Branch Cabells Fantasyroman »Jurgen« (1919) verwendet.32 Crowleys amerikanischer »Stellvertreter« wiederum, der Raketenfachmann und Magier Jack »Marvel« Parsons (1914–1952), war in den frühen 40ern in der »Los Angeles Science Fiction League« aktiv.33 Parsons wurde später durch die Zusammenarbeit seiner »Loge« mit Scientology-Gründer L. Ron Hubbard (1911–1986) bekannt.34 Und über Scientology schreibt Richard Wagner-Glass35 zutreffend:
»Wir wollen Scientology als Bastard aus Kapitalismus und Science-Fiction begreifen (…).«36
Manchmal wird es schwierig, diese Zusammenhänge zu sehen oder nachzuweisen. Ohne Belege und Fußnoten schreiben zum Beispiel die Autorinnen Ursula Keller (*1964) und Natalja Sharandak37 über den Zusammenhang von fantastischen Romanen und Blavatskys Theosophie: