Perry Rhodan Neo 20: Die schwimmende Stadt - Hermann Ritter - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 20: Die schwimmende Stadt E-Book und Hörbuch

Hermann Ritter

3,7

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Beschreibung

Die Welt des Ewigen Lebens, der Traum von der Unsterblichkeit: Das sind die Motive, die Perry Rhodan und eine Handvoll Gefährten auf eine riskante Reise ins Ungewisse ziehen. Im September 2036 werden sie von einem Transmitter durch Raum und Zeit geschleudert. Eine phantastische Reise beginnt, eine Abfolge von Rätseln, Prüfungen und Gefahren. Nach hektischer Flucht erreichen sie einen fremden Planeten: Reyan, ein Trabant der blauen Sonne Wega. Seine Oberfläche ist größtenteils von Wasser bedeckt, die menschenähnlichen Bewohner haben sich der Umgebung weitestgehend angepasst. Rhodan und seine Begleiter müssen feststellen, dass sie in der Vergangenheit gelandet sind, viele tausend Jahre von ihrer Gegenwart entfernt. Es ist exakt jene Epoche, in der das Dunkle Zeitalter beginnt, eine Ära fürchterlicher Kriege und Verwüstungen. Wie sollen sie unter diesen Bedingungen zurück in ihre eigene Zeit gelangen?

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Zeit:6 Std. 8 min

Sprecher:Axel Gottschick
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Band 20

Die schwimmende Stadt

von Hermann Ritter

Die Welt des Ewigen Lebens, der Traum von der Unsterblichkeit: Das sind die Motive, die Perry Rhodan und eine Handvoll Gefährten auf eine riskante Reise ins Ungewisse ziehen. Im September 2036 werden sie von einem Transmitter durch Raum und Zeit geschleudert. Eine phantastische Reise beginnt, eine Abfolge von Rätseln, Prüfungen und Gefahren.

Nach hektischer Flucht erreichen sie einen fremden Planeten: Reyan, ein Trabant der blauen Sonne Wega. Seine Oberfläche ist größtenteils von Wasser bedeckt, die menschenähnlichen Bewohner haben sich der Umgebung weitestgehend angepasst.

1.

Auf der Jagd

Reyan, irgendwann

Telgar hielt völlig still. Die Harpune lag sicher in seiner erhobenen rechten Hand.

Die Harpune war ein Teil von ihm. Er war mit ihr verbunden, sah ihre Zielerkennung, kannte ihre Reichweite.

Er spürte ihr Gewicht nicht. Sein rechter Arm war stark, stärker als die Arme der anderen Jäger. Er hatte in Kimmon viel dafür bezahlt, dass sein Arm zu dem wurde, was er nun war – perfekt.

Sein Atem ging ruhig. Er atmete ein, atmete aus. Immer ruhig, immer im selben Rhythmus.

Seine Augen nahmen nichts von der Schönheit der Landschaft wahr. Sein Blick galt nur dem Wasser. Konzentriert schaute er auf den Wellenkamm vor ihm. Kleine Luftbläschen zeigten ihm, dass der Shetla nicht mehr lange unter Wasser bleiben konnte.

Er durfte nicht überheblich sein. In diesem Moment war es wichtig, sich daran zu erinnern, was passieren konnte. Der Shetla ist ein gefährliches Biest. Mehr als ein Fischer ist gestorben, weil der erste Wurf mit der Harpune nicht gesessen hat. Der verletzte Shetla bewegt sich dann in Schmerzen wild umher. Seine drei Schwänze peitschen das Wasser, bis das Fischerboot kentert und sinkt. In den tobenden Wassermassen ist so mancher versunken. Seine Freunde, seine Familie können dann nur aus der Ferne warten, bis der getroffene Shetla seinen Todestanz beendet hat. Erst bergen sie das tote Tier, dann suchen sie nach der Leiche des Fischers.

So ist das Leben.

So ist der Tod.

Er zwinkerte und schaltete auf die Zielvorrichtung der Harpune um. Klar konnte er die Meeresoberfläche sehen. Die Luftbläschen kamen in einem schnelleren Rhythmus; ein deutliches Zeichen dafür, dass der Shetla sich der Oberfläche näherte. Telgar wagte kaum zu atmen. Eine braune Fläche schien sich im Wasser nach oben zu schieben.

Ein großes Tier, dachte Telgar. Er wird die Familie einige Wochen lang versorgen. Und wenn das Fleisch verwertet ist, kann ich sein Umbra den Schlammkriechern verkaufen.

Die Wasseroberfläche brach auseinander, als der Rücken des riesigen Tieres sich nach oben schob, um erneut Luft einzusaugen. Dann würde der Shetla wieder für zwei bis drei Stunden nach unten versinken, um sich seinen fischigen Träumen zu widmen.

Die Optik der Harpune übermittelte ihm ein klares Bild des Ziels. Der Shetla war ein altes Tier. Auf seinem Rücken waren die verschorften Narben vieler Jahre am Meeresboden zu sehen. Kleine Smaglak hatten sich auf dem Rücken festgesogen. Sie versorgten die Wunden des Shetla, nagten die abgestorbenen Hautschichten ab und fraßen, was dem Shetla bei der Ernte auf dem Meeresboden an Strünken und Blättern entging.

Ganz still sondierte Telgar den Punkt, an dem seine Harpune eindringen musste, um den Shetla sofort und schmerzlos zu töten. Ein sanfter Druck seines Daumens aktivierte die Zielsuche. Doch Technik war nicht alles: Er wusste genau, wie sehr die Wasseroberfläche das Licht brach; er fühlte eher, als dass er sah, wo er treffen musste. Langsam zog er den Arm nach hinten, um dann mit voller Kraft zu werfen.

Ein tiefes Brummen zog am Horizont heran. Die Wasseroberfläche vibrierte, kleine Wellen entstanden, die sich von hinter seinem Boot an das Ufer Hunderte Meter vor ihm fortsetzten. Der Shetla spürte, dass etwas nicht stimmte. Er saugte blitzschnell ein wenig Atemluft ein, dann verschwand er wieder unter die Wasseroberfläche. Der perfekte Moment, um die Harpune zu werfen, war nie gekommen.

Telgar ließ den rechten Arm langsam nach unten sinken. Wenige hundert Meter über ihm flog ein Flugzeug vorbei. Drohend hob Telgar den linken Arm, seinen normalen Arm, und schüttelte die Hand in ohnmächtiger Wut gegen das stählerne Ungetüm, das seinen beinahe erfolgreichen Jagdtag in einen weiteren Tag des Wartens verwandelt hatte.

Frustriert befestigte Telgar sein Boot am Ausleger ihres Floßes. Elsha und Trak, seine beiden erwachsenen Kinder, schauten ihn erwartungsvoll an.

»Das Flugzeug ...«, setzte er zu einer Erklärung an.

Elsha unterbrach ihn: »Wir haben alles von hier verfolgt, Vater. Es waren die Städter. Sie sollen hier nicht fliegen.« Sie stampfte mit dem Fuß auf den metallenen Boden des Auslegers. »Sie haben uns versprochen, hier nicht zu fliegen.«

Telgar seufzte. »So viele Versprechen wurden schon gebrochen. So viele Absprachen haben sie nicht eingehalten. Sie sehen aus wie wir, sprechen dieselbe Sprache. Wir lesen dieselben Bücher, lieben dieselben Sendungen. Aber ... sie sind nicht wie wir. Wie kann es sein, dass wir uns an jede Absprache halten müssen, während sie mit uns umgehen, als wären wir Sklaven?«

Wütend schaute er auf das Wasser hinaus. Ganz in der Ferne erahnte er die Ränder der nächsten stählernen Insel. Er widerstand dem Versuch, das Ziel über die Harpune anzupeilen. Er wusste, wie die Insel aussah – Technik, Stahl, eine künstliche Struktur.

»Sie fressen unser Meer.« Er drehte sich seinen beiden Kindern zu. »Sie fressen unsere Nahrung. Sie fressen bald auch unsere Seelen. Das muss ein Ende haben.«

Trak legte den Kopf zur Seite. »Wie meinst du das, Vater?«

Er schaute seine große Tochter und seinen großen Sohn an. Seine Familie war groß, sie brauchte viel Nahrung. Bis jetzt hatte er es geschafft, alle zu versorgen. Seine Frauen und deren andere Männer waren gesund, ihre Kinder wohlgeraten. Sie bewohnten ein großes Floß, das Raum für alle bot und mit allen technischen Neuerungen ausgestattet war, die das Leben auf Reyan bot. Wenn Trak oder Elsha einen Partner gefunden hatten, würde es sich entscheiden, auf welchem Floß sie weiter wohnen wollten – beide Familien wären sicher stolz darauf, einen weiteren sprechenden Fisch bei sich aufzunehmen. Aber von Jahr zu Jahr wurde es schwieriger, genug zu verdienen, um alle Bedürfnisse zu befriedigen.

Telgar seufzte. »Ich meine, dass Schluss sein muss mit dem andauernden Nachgeben. Wenn die Städter mehr Land wollen, räumen wir es. Wenn die Städter mehr vom Ozean haben wollen, geben wir ihnen den Ozean. Wenn die Städter eine weitere Insel bebauen wollen, ziehen wir davon. Wir tun so, als wäre es ihre Welt. Dabei gehört die Welt weder ihnen noch uns – sie gehört den Fischen, den Vögeln, den Insekten. Sie alle waren hier, bevor wir kamen. Aber wenn wir nicht aufpassen, werden diese ganzen Tiere verschwinden, als hätte es sie nie gegeben.«

Er knetete die schwieligen Hände. »Ich habe Tage gewartet, um einen großen Shetla zu finden. Die Mutter meiner Mutter brauchte nur mit dem Boot hinauszufahren, und das Meer war voll mit Shetlas. Meine Mutter-Vater-Mutter-Mutter erzählte ihr, dass damals fast alle Inseln uns gehörten. Die Schlammkriecher lebten in einer einzigen Stadt, weit draußen im toten Wasser. Sie versprachen, nur nach Bodenschätzen zu suchen. Sie besiegelten einen Pakt mit jenen, die mit Mutter-Vater-Mutter-Mutter bei ihnen waren, um über Reyan und die Zukunft zu sprechen.«

Telgar war kein großer Redner. Stundenlang konnte er schweigen, wenn er darauf wartete, dass etwas anbiss. Still saß er oft stundenlang da und folgte den Sendungen von Ferrol, lachte nur selten, sprach fast nie dabei, während sich die anderen um ihn laut unterhielten. Jetzt konnte er nicht mehr schweigen; zu viele Worte hatten sich in ihm angestaut.

»Die Schlammkriecher haben jeden Vertrag gebrochen«, fuhr Telgar fort. »Selbstverständlich haben sie ihn nicht im Wort gebrochen, nur im Geist. Wir sind keine Meister des Vertragswesens. Ich weiß noch, wie der alte Geshuk vor der Regierung klagen wollte. Was hat es ihm gebracht? Nichts. Jahrelang erschien er immer wieder vor Gericht, umgeben von Anwälten der Städter, um unser Anliegen durchzukämpfen. Am Ende sagte man ihm, dass er nicht das Recht habe, für die Fische zu sprechen. Und dass der Vertrag nicht länger gelten würde, weil wir keine Organisation hätten, die uns vertritt.«

Seine Kinder schauten ihn weiterhin abwartend an.

»Warum sollen wir wählen gehen? Warum sollen wir Kandidaten aufstellen, die in den Städten so tun, als würden sie für das ganze Land sprechen? Warum sollen wir uns in Bezirke einteilen lassen, die aus winzigen Inseln bestehen, wenn unser Wohnsitz das weite Meer ist? Sie betrügen uns, indem sie den Geist des Vertrags brechen. Jedes Mal, wenn wir darauf gehofft haben, ihnen verständlich zu machen, woran wir glauben, haben sie unsere Hand geschüttelt. Sie lächelten und sprachen feine Worte. Dann reisten sie zurück in die Stadt. Manchmal dauerte es Wochen, manchmal dauerte es Monate. Aber immer wieder brachen sie die Verträge. Mit diesen Schlammkriechern kann man nicht verhandeln. Wir müssen eine Grenze ziehen – jetzt, hier, heute.«

Er verschränkte seine Arme. Die Gesichter seiner Kinder waren nachdenklich; sie schauten sich gegenseitig an. Es war Trak, seine Tochter, die das Wort für beide Kinder an ihren Vater richtete.

»Vater, wir sind zu ähnlichen Überlegungen gekommen. Und nicht nur wir – die Wellenfresser denken wie wir, die Zwillinge von Guter Fang und sogar die alten Bio-Ingenieure aus Gelat.«

Telgar war überrascht. »Ihr habt mit all denen gesprochen?«

»Ja, Vater.« Trak verschränkte ebenfalls die Arme. Dies war eine Geste, die ihm nur zu bekannt vorkam. So hatte er ausgesehen, wenn er mit seinem Vater verhandelte – ohne dass er auch nur einen Deut nachgeben wollte. »Wir haben mit ihnen gesprochen. Und wir alle sind einer Meinung: Es ist die Zeit gekommen, unsere Anliegen zu vertreten.«

»Aber wir haben schon so oft geredet«, wandte Telgar ein.

»Dann ist vielleicht die Zeit gekommen, in der wir mehr tun müssen als reden.« Trak schaute ihn herausfordernd an.

Telgar seufzte. »Ich glaube, ihr habt recht.«

Telgar betrat den großen Wohnraum des Floßes. Er liebte diese Mixtur aus Vergangenheit und Gegenwart, er liebte es, dass es einen Raum gab, wo seine Familie gemeinsam den Sendungen von Ferrol folgte, gemeinsam aß, gemeinsam feierte. Dieser Raum war das Herz des Floßes.

An der Wand hingen die Fetzen des Netzes seines Vaters-Vaters. Die Fetzen waren alles, was sie hatten retten können, nachdem sein Vater-Vater auf eine letzte Jagd gegangen war. Es war ein Tod, der dem alten Mann zugestanden hatte. Nach einem Leben voller Kampf gegen die Gefahren des Meeres hatte sich sein Vater-Vater in einem strengen Winter entschlossen, zu einer letzten Fahrt auf das Meer zurückzukehren. Entweder würde er gegen den Shetla gewinnen. Dann hätte seine Familie für den Winter genug zu essen. Oder er würde verlieren. Dann gäbe es einen hungrigen Mund weniger auf dem Floß.

Als der Tag vorüber war, gab es tatsächlich einen hungrigen Mund weniger.

An der Wand hing ein metallenes Gehänge, in dem eine wundervolle, von blauen und grünen Adern durchzogene Muschel befestigt war. Die Muschel war alt, ehrwürdig alt. In der zweiten Generation nach der Landung hatten ihre Vorfahren begonnen, sich dem Leben mit dem Meer anzupassen. Diese Muschel war vom Meeresboden in der Bucht der Dämmerung geholt worden – von einem jungen Mann, der lange unter Wasser bleiben konnte. An einem mit Metallstücken beschwerten Seil hatte er sich nach unten getastet, in eine sonnenlose Tiefe, in der normale Lungen längst geborsten wären. Er hatte auf dem Boden herumgetastet, die Muschel gefasst und in seinem Beutel verstaut. Dann war er mit seinem Schatz an die Wasseroberfläche zurückgekommen, sich dabei langsam mit den Händen nach oben hangelnd.

An der Wand standen die Tische mit ihren Computern. Mit ihnen pflegte die Familie die Verbindung zu den anderen Familien, verfolgte man die Neuigkeiten von Reyan und den anderen ferronischen Welten. Telgar sorgte dafür, dass er und seine Kinder von der technischen Weiterentwicklung nicht abgehängt wurden. Die Kinder sollten wissen, was um sie herum geschah.

An den Wänden hingen einige alte Fotos, die teilweise dreidimensional angelegt waren – Familienbilder, Jagdausflüge, Landschaftsaufnahmen. Telgar ließ seinen Blick eine Weile über die Wände wandern. Die anderen im Raum schwiegen. Sie kannten dieses Ritual, dieses in sich zur Ruhe Kommen, bevor er das Wort an die Familie richtete.

Endlich wandte er sich den anderen zu. »Ihr wisst, dass die Zeiten sich geändert haben. Ihr wisst alle, dass unser Floß wie alle anderen Flöße in den letzten Generationen immer weiter von den Städten weg verankert werden musste. Wir wichen den Schlammkriechern aus. Sie folgten uns mit ihrer Technik, mit ihrem Schmutz und ihrem Lärm. Wir wichen zurück. Doch in der nächsten Generation hatten sie uns eingeholt. Sie sprechen nur von Fortschritt und Zivilisation, von Technik und von Bodenschätzen. Sie haben sich längst entschlossen, dass dieser Planet ihnen gehört – nicht uns allein oder uns gemeinsam, sondern ihnen.«

Telgar hielt einen Moment inne.

»Wir können nicht weiter zurückweichen. Es gibt keine Meere mehr, auf die wir vor ihnen fliehen könnten. Es gibt keine Gewässer mehr, in denen wir ungestört fischen können. Es gibt keine Inseln mehr, auf die wir uns zurückziehen können, wenn das Meer vom Wind gepeitscht wird und die Gischt gegen die Flöße schlägt. Sie haben bis auf eine Handvoll Inseln alle unter ihrer Kontrolle. Sie tun so, als gehöre das Land von alters her ihnen und nicht uns allen. Wir können nicht weiter zurück, ohne alles zu verlieren.«

Telgars Familie sprach kein Wort. Sie hatten in den letzten Jahren oft darüber geredet, wie es weitergehen sollte. Sie hatten sich oft darüber unterhalten, wo ihre Kinder jagen sollten. Einige hatten sogar vorgeschlagen, dass man versuchen sollte, gemeinsam mit den Schlammkriechern zu arbeiten. Man könnte in ihren Fabriken Arbeit suchen, auf ihren Inseln leben, mit ihren Flugzeugen fliegen. Sie hatten oft diskutiert. Immer war es Telgar gewesen, auf den sie geschaut hatten, um eine Entscheidung zu treffen.

Telgar seufzte. »Ich habe mich entschlossen. Es ist an der Zeit, mit den Schlammkriechern zu reden. Sie haben uns zu einer Konferenz geladen. Doch dieses Mal wird es kein nur Reden, nicht Handeln geben. Wir müssen die Gelegenheit wahrnehmen, die sich uns bietet. Ich werde darum bitten, dass wir alle daran teilnehmen. Ich werde die anderen nach Kimmon rufen, damit wir uns darauf verständigen, nur mit einer Stimme zu sprechen!«

Atemlose Stille herrschte im Raum. Kimmon, das war die einzige Siedlung auf einer Insel, die das ganze Jahr bewohnt wurde. Dort war das alte Zentrum der ferronischen Besiedlung auf Reyan; Kimmon war Heimat für jene Ferronen, welche sich die Meere als Lebensraum ausgesucht hatten. Angeblich war das erste Schiff von Ferrol dort gelandet. Und die ersten Siedler hatten dort eine Niederlassung gebaut. Einmal im Jahr kamen sie alle nach Kimmon, um dort Handel zu treiben, familiäre Beziehungen zu besprechen, junge Leute für ein Jahr auf ein anderes Floß zu tauschen – oft in Verbindung mit Heiratsplänen.

Gredna, Telgars ältere Partnerin, ergriff das Wort. »Seit vielen Jahren hat niemand mehr versucht, die Familien zu einen. Warum sollte es jetzt geschehen? Was ist so wichtig, dass es nicht die sieben Monate bis zum nächsten Treffen warten kann? Und: Warum musst du derjenige sein, der das organisiert? Telgar, denk nach! Es gibt keine Seuche, die uns bedroht, keinen Krieg, der ausbrechen könnte, kein Erdbeben, das uns zwingt, die Überlebenden einer Katastrophe auf die anderen Flöße zu verteilen.«

Telgar kannte jedes der Beispiele. Der Vorwurf war nicht unberechtigt. Es gab Gründe, warum man sieben Monate warten konnte.

Nach Grednas Worten ergriff kein anderer das Wort. Alle warteten auf seine Entgegnung. Aber er wartete einige Augenblicke. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper. Er blickte jeden im Raum eindringlich an.

»Es gibt eine Seuche, die uns bedroht – die Seuche der Schlammkriecher-Technik, die Land wie Meer frisst und uns krank macht, auch wenn wir versuchen, uns nicht anstecken zu lassen. Es gibt einen Krieg, der uns bedroht – einen Krieg, bei dem wir Insel für Insel verlieren, weil wir uns zurückziehen. Es ist ein Krieg, in dem kein Blut vergossen wird. Ein Krieg, den wir verlieren. Es gibt ein Erdbeben, das uns bedroht – ein Erdbeben, das nicht See und Land erschüttert, sondern unser Innerstes. Vielleicht sind wir nicht die letzte Generation, die auf unsere Art leben kann. Wir haben uns Generation für Generation mehr diesem Planeten angepasst. Unsere Kinder sind stärker, widerstandsfähiger, dem Leben hier angepasster als wir. Keiner stirbt mehr an den alten Krankheiten, keiner muss hungern, weil er die einheimische Flora und Fauna nicht verzehren kann.«

Er ballte die Hände. »Aber: Vielleicht ist es so, dass wir den falschen Weg gehen. Aber wollen wir wirklich, dass unsere Kindeskinder in den Fabriken arbeiten? Wollen wir wirklich, dass die Flöße nur noch Wochenendhaus, Rückzugsgebiet, nostalgische Erinnerung sind? Wenn das alles keine guten Gründe sind, um alle Familien zu einer gemeinsamen Entscheidung zu rufen – dann will ich euch einen letzten Grund nennen.«

Er holte Luft. Das lange Reden fiel ihm schwer. »Wir sind schwach, weil wir getrennt sind. Die Schlammkriecher haben Siedlungen, die ständig verbunden sind, weil sie Befehle von einer einzigen Stelle empfangen. Sie müssen Lieferquoten einhalten, Personal abgeben und erhalten, Geräte austauschen und technische Neuerungen umsetzen. Sie sprechen mit einer Stimme. Sie vertreiben einen von uns ein Stückchen hier, den anderen ein Stückchen dort. Wir sind getrennt schwach. Wenn wir lernen, mit einer Stimme zu sprechen, müssen die Schlammkriecher auf uns hören.«

Telgar gestikulierte, als er mit seiner Aufzählung begann. »Sie kaufen das Fleisch von uns. Sie kaufen das Umbra. Sie wollen die Haut und die Gräten für ihren Export, sie wollen unsere Hilfe, wenn sie nach Bodenschätzen auf dem Meeresboden suchen und die Strömungen nicht kennen. Doch wenn wir zu ihnen kommen, um ihnen zu sagen, dass sie aufhören sollen, immer weiter vorzudringen, lachen sie nur. Wir brauchen eine Stimme, damit wir ihnen sagen können, dass sie kein Fleisch mehr bekommen. Kein Umbra. Keine Haut. Keine Gräten. Keine Hand, die ihnen hilft. Wir werden ihnen sagen, dass wir – und damit meine ich uns alle, nicht nur meine Familien, nicht nur die fünfzehn Flöße meiner anderen Mütter Kinder, sondern wirklich alle – erst wieder mit ihnen handeln, wenn sie die Verträge würdigen, die wir mit ihnen geschlossen haben.«

Er schaute zu Gredna hinüber. Sie senkte das Haupt. Er wusste, dass sie nicht an das glaubte, was sie vorhin gesagt hatte. Nach über vier Jahrzehnten an ihrer Seite wusste er sie einzuschätzen. Oft war sie die Bedenkenträgerin der Familie. Sie äußerte, was niemand sonst zu sagen wagte. Und heute hatte sie wieder richtig gehandelt. Sie war das Sprachrohr der anderen.

Keiner widersprach ihm.

»Es ist also entschieden. Morgen früh werde ich aufbrechen.« Er wandte sich an seine beiden ältesten Kinder. »Elsha und Trak, ihr beide werdet mich nach Kimmon begleiten. Ich werde versuchen, mit allen zu reden. Wir werden darüber sprechen müssen, wem dieser Planet gehört. Wir werden darüber reden, wer uns Bruder, wer uns Freund und wer uns nur Bekannter ist. Wir werden darüber reden, was wir für unsere Nachkommen wünschen. Wir werden darüber reden, was gut ist und was wahr ist. Und dann, wenn wir alle geredet haben, dann werden wir handeln.«

2.

Eine andere Welt

Irgendwo, irgendwann

Wieder dieser kurze Moment der Verwirrung. Wieder das Gefühl, eine große Distanz zurückgelegt zu haben, während der Körper nur einen Schritt tat.

Es kann wohl kaum schlimmer kommen, überlegte Rhodan. Rofus in der Vergangenheit. Krieg, wohin man schaut. Ein einziges Scharmützel. Und dann auf einmal das Wunder: Der erste Thort erscheint. Obwohl er den Kampf hinter sich gelassen hatte, war Rhodan beim Durchschreiten des Transmitters sehr vorsichtig. Wir wissen nicht, ob wir nicht in einer anderen Kampfzone auf Rofus auftauchen.

Rhodan machte seinen ersten Schritt – und war sofort erleichtert. Das ist nicht die Schwerkraft von Rofus. Wir haben den Planeten verlassen! Seiner Schätzung nach lag die Schwerkraft wieder ein wenig über der irdischen Schwerkraft. Und es handelte sich um eine atembare Atmosphäre. Glück gehabt. Ohne die Kampfanzüge hätten wir sonst arge Schwierigkeiten ...

Rhodan schaute sich sichernd um. Der Raum mit dem Zieltransmitter wirkte sauber, fast steril. Ein wenig wie der Lagerraum eines Krankenhauses, überlegte Rhodan. Es gab eine verschlossene Tür, eher ein Schott, an dem er aber keinen Öffnungsmechanismus erkannte. Sie war die einzige Möglichkeit, den spärlich möblierten Raum zu verlassen. Außerdem war da noch eine metallene Regalkonstruktion, deren Fächer aber leer waren.

Hinter Rhodan stand der Transmitter. Notfalls konnten sie den Raum wieder auf dem Weg verlassen, auf dem sie ihn betreten hatten. Aber erst wollte er in Erfahrung bringen, wo und wann sie sich befanden.

Rhodan drehte sich wieder der Türöffnung zu. Hinter ihm positionierten sich Reginald Bull, Thora, Ras Tschubai und die beiden Ferronen Chaktor und Lossoshér in einem Halbkreis, die kleine Sue zwischen sich nehmend. Die Waffen hielten sie angespannt in den Händen.

Tschubai hatte seine Linke auf das Bein gesenkt. Sues Fähigkeiten hatten dafür gesorgt, dass die Schusswunde am linken Oberschenkel fast verheilt war. Neue Haut hatte sich über dem Einschussloch gebildet, eine Infektion war nicht zu befürchten. Aber wahrscheinlich spürte der Teleporter unter Belastung noch einen Rest der Verletzung.

Es ist ein Wunder, dass er überhaupt gehen kann!, überlegte Rhodan. »Keine Gefahr!«, teilte er den anderen mit.

Tschubai blickte skeptisch zu dem Transmitter zurück. »Rechnen wir mit Verfolgern?«

»Ich erwarte keine«, antwortete Rhodan. »Wo sind wir?«, wandte er sich an die beiden Ferronen.

»Schwerkraft, Atmosphäre – überall und nirgends«, antwortete Lossoshér.

»Wenn ich einen ferronischen Planeten raten müsste, würde ich auf Reyan tippen«, äußerte der zweite Ferrone ihrer Gruppe.

»Chaktor, wie kommen Sie darauf?«

»Ein beeindruckendes Raten auf Grundlage der vorhandenen Daten«, sagte Chaktor.

Rhodan wollte gerade etwas gegen dieses ausgesprochen unwissenschaftliche Verfahren einwenden, als sich die Tür in einer fließenden Bewegung nach oben öffnete. Rhodan hob die Waffe. Die anderen erweiterten automatisch den Kreis, sodass sie für einen möglichen Angreifer schwerer gleichzeitig zu treffen waren.

Das Wesen, das den Raum betrat, war ein männlicher Humanoider. Er war etwa 180 Zentimeter groß, hellhäutig, untersetzt. Seine Hautfarbe konnte Rhodan keiner irdischen Region oder Nationalität eindeutig zuordnen. Die Beine steckten in braunen Stiefeln und einer weit geschnittenen braunen Hose. Um den Oberkörper trug er eine Art Überwurf, der auf der linken Schulter mit einer großen Spange befestigt war.

Eine Fibel, korrigierte Rhodan sich selbst, keine Spange.

Der Fremde hatte ein Gesicht, dessen Alter schwer zu erraten war. Um die Augen und in den Mundwinkeln waren Falten zu sehen, die sich tief in die Haut eingegraben hatten. Doch sie gaben dem Gesicht keinen verkniffenen Ausdruck. Es schien eher so, als habe er oft gelächelt in seinem Leben. Die Augen waren das beeindruckendste Merkmal. Sie waren von fast grauer Farbe, vermischt mit orangefarbenen Sprenkeln. So als würden sich Sonnen in seinen Augen spiegeln.

Rhodan war von seiner Einschätzung überrascht. Dieser Mann war so ganz anders als das, was er erwartet hatte – er wirkte nicht wie ein Angreifer, sondern eher wie ein alter Freund, mit dem man sich unterhalten hatte, während man von ihm auf der Schaukel im elterlichen Garten angeschoben wurde.

Der Mann streckte die offenen Hände mit nach oben gedrehten Daumen vom Körper weg, bis er mit gespreizten, leeren Händen und gestreckten Armen vor ihnen stand.

Ein universelles Zeichen für friedliche Absichten, überlegte Rhodan.

Der Mann beugte sich vorsichtig vornüber. Langsam richtete er sich wieder auf. »Willkommen, willkommen!« Seine Stimme war sonor. Seine Worte klangen in Rhodans Ohren ferronisch. Hatte der Fremde wirklich laut gesprochen?

Ja, überlegte Rhodan, er spricht Ferronisch – wenn auch mit einem eigenartigen Akzent.

»Wo sind wir?«, fragte Rhodan den Fremden. »Und – da wir gerade dabei sind – wann sind wir? Und als dritte Frage – wer sind Sie? Und woher wussten Sie, dass wir angekommen sind?«

Der Fremde lachte. Die Falten um Augen und Mundwinkel vertieften sich ein wenig, als sein ganzes Gesicht in ein heiteres Lachen ausbrach. »Noch einmal: Willkommen, willkommen! Ich kann Ihnen versichern, dass Sie auf alle Fragen Antworten erhalten. Aber zuerst muss ich Sie bitten, mir zu folgen.« Ohne auf eine Reaktion zu warten, drehte er sich dem Ausgang zu.

Bull nahm Rhodan die Entscheidung ab. Er eilte an Rhodan vorbei, um dem alten Mann zu folgen. »Sie können nicht einfach wegrennen! Hallo! Wer sind Sie? Wo sind wir? Wann sind wir? Was wollen Sie von uns? Was wissen Sie über das Transmitternetz? Hören Sie mir überhaupt zu? Hallo! Es wäre höflich, wenn Sie ...«

Bulls Stimme wurde leiser, während die Spitze der kleinen Gruppe um die nächste Ecke des Ganges bog.

Rhodan ließ den Trupp ein wenig vorgehen. Die kleine Gruppe nahm wiederum Sue in die Mitte. Thora und er schauten sich kurz an. Er verstand, was sie ihm mit diesem Blick sagen wollte. Gemeinsam blieben sie ein wenig zurück; formal, um den Rücken der Gruppe zu sichern.

»Was halten Sie davon?«, wisperte Rhodan.

»Das gefällt mir nicht. Es gefällt mir überhaupt nicht«, kam Thoras Antwort. »Schauen Sie sich einmal um.« Sie wies auf die Wände und den Boden des Ganges. »Das hier ist keine arkonidische oder ferronische Technologie.«

»Irdisch auch nicht ...«

Thora schaute ihn mit einem vernichtenden Blick an. »Als hätten die Menschen eine Technologie, die so etwas bauen könnte!«

Rhodan ließ ihren Einwurf unbeantwortet.

»Das hier gehört zu keiner Technik, die mir bekannt wäre«, fuhr Thora versöhnlich fort.

»Wir wissen also wieder einmal nicht, was uns erwartet.«

»Richtig!«, stimmte sie zu.

Rhodan überlegte einen Moment. »Das heißt, dass wir bereit sein müssen, jederzeit zu fliehen.«

»Ich bin völlig Ihrer Meinung.«

Er musterte sie skeptisch. Anscheinend meinte sie ihren Einwand völlig ernst. »Thora, folgender Vorschlag: Wir verändern die Marschreihenfolge ein wenig. Sie schieben sich so weit wie möglich nach vorne. Dabei behalten Sie den Gang und den alten Mann im Auge. Sie haben mehr Erfahrung mit fremder Technologie als jeder von uns – vielleicht fällt Ihnen etwas auf, was uns Terranern oder den beiden Ferronen entgeht. Und ich werde der Reihe nach die Gefährten davon unterrichten, dass wir weiter besonders vorsichtig sein müssen. Einverstanden?«

Thora schaute ihn einen Moment unschlüssig an. »Einverstanden«, antwortete sie dann.

Sie tauschten mit Chaktor und Lossoshér die Positionen. Diese übernahmen sofort das Ende der Gruppe. Rhodan unterrichtete beide kurz über ihre Überlegungen, während Thora im Gang an die Spitze der Gruppe drängte.

Nachdem Chaktor und Lossoshér informiert waren, sprach Rhodan mit Sue. Es war erstaunlich, wie schnell sie sich daran gewöhnt hatte, dass ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt wurde. Sie wirkte manchmal so schwach, so klein; Rhodan hatte aber die Erfahrung gemacht, dass sie zäh und dickköpfig sein konnte. Seine Warnung nahm sie hin, ohne nachzufragen.

Nächste Station war Ras Tschubai, der mit Bull Schritt zu halten versuchte, welcher wie ein Wasserfall auf den schweigenden Fremden einsprach. Es war einfach, mit Tschubai zu sprechen, denn Bull übertönte jede Chance, dass der Mann an der Spitze sie hören könnte. Und Thora stand auf der anderen Seite, betrachtete abwechselnd den alten Mann und sondierte den Gang vor ihnen.

Auch bei Tschubai dauerte es nicht lange, ihm zu erklären, was Thora und Rhodan besprochen hatten. Zur Antwort sagte er kein Wort, er streckte nur den rechten Daumen nach oben.

Nach einigen Minuten, in denen sie dem endlos scheinenden Gang gefolgt waren, endete ihr Weg in einem größeren Raum.

Dieser wirkte wie ein großer Besprechungsraum. Rhodan schätzte kurz die Größe – etwa zehn mal sechs Meter. Fenster waren nicht zu sehen, auch Möbel gab es keine.

Sie traten ein. Hinter ihnen schloss sich die Tür.

Der Mann wandte sich ihnen zu. »Ich versprach Ihnen Antworten.« Der alte Mann musterte die Mitglieder der Gruppe nacheinander.

Rhodan spürte, wie sich die Haare in seinem Nacken aufstellten. Hier stimmt einiges nicht. Sein Blick fiel auf Thora. Sie war genauso angespannt wie er.

Der alte Mann legte seine Hand auf die Wand. Diese wurde durchsichtig, als würde in einem Lidschlag ein Rollo hochgefahren, das ein Fenster freigab. Der Blick hinaus war faszinierend: Sie schauten aus der Vogelperspektive auf eine fremde Welt.

Sind wir in einer Art Raumschiff oder einem Flugzeug?