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Was wurde aus Dargh, nachdem er seine Flügel verlor? Wie dachten Mazacans Eltern über die Hexenjäger? Und ist Lachlan ein guter Tänzer? Diese und andere Fragen, die die Leser des Untergangs der Hexenjäger zweifelslos bewegten, werden hier in sieben Kurzgeschichten beantwortet; jeweils mit einem anderen Gespann von Hexenjägern und Widerständlern.
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Seitenzahl: 171
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Anita Wolf lebt mit ihren zwei Katzen in Berlin und schrieb ihr erstes Buch, weil sie nicht die Geduld hatte, die Geschichte als Comic zu zeichnen.
Anmerkung:Die folgenden sieben Geschichten spielen vor und zwischen dem Untergang der Hexenjäger und sind nicht in chronologischer Reihenfolge angeordnet.
Der aufmerksame Leser kann sich jedoch erschließen, wann ungefähr die einzelnen Geschichten spielen.
Dargh schleppte sich durch das Unterholz des Waldes. Wieder musste er sich an einen der Bäume stützen, um zu Atem zu kommen. Sein Körper hatte schon vor einer Weile das Schmerzempfinden abgestellt, doch Schock und Blutverlust drohten immer mehr, die Oberhand zu gewinnen. Dargh wusste, wäre er kein Schattenalb, er wäre schon lange tot – andererseits, wäre er kein Schattenalb, hätten sie ihm auch nicht die Flügel abschneiden können. Die Hexenjäger verloren recht schnell das Interesse am Opfer ihres grausigen Auftrages, so dass Dargh ihnen entwischen und im Dickicht des Waldes untertauchen konnte. Da ihre Befehle keine Verfolgung vorsahen, hatten sie ihn laufen lassen, Dargh meinte aber, das eine oder andere hämische Lachen gehört zu haben. Vage fragte er sich, was sie wohl mit seinen zurückgebliebenen Flügeln anstellen würden.
Eine der Wunden an seinem Rücken brach durch die Bewegung wieder auf, auch seine erstaunlichen Selbstheilungskräfte vermochten es nicht, sie unter diesen Umständen geschlossen zu halten. Dargh war klar, er musste irgendeine Zuflucht finden, wo er zur Ruhe kommen konnte, sonst würde er es nicht schaffen, Schattenalb oder nicht. Aus seinen Augenwinkeln kroch eine bedrohliche Schwärze heran. Doch da schimmerte vor ihm durch die schwindende Dunkelheit der Dämmerung mit einmal ein kleines, warmes Licht zwischen den Bäumen, als wollte es den Weg weisen. Dargh stutzte und kniff kurz ungläubig die Augen zusammen, doch das Licht leuchtete unbeirrt weiter. Er holte einmal tief Luft, rappelte sich auf und schleppte sich weiter. Dargh erkannte durch das Flimmern vor seinen Augen kaum noch, wohin er trat, also konzentrierte er sich auf den Lichtpunkt und kämpfte sich von Baum zu Baum. Plötzlich tat sich vor ihm eine Lichtung auf, es war kein nächster Baum mehr da, an den er sich hätte stützen können. Er konnte nicht mehr rechtzeitig reagieren und kippte vornüber aus dem Wald auf die Lichtung. Mühsam hob er den Kopf.
Das Gelände vor ihm stieg leicht an, das Licht, das ihn hergeführt hatte, gehörte zu einem Haus. Ein Stück weiter weg erkannte er undeutlich die Umrisse einer großen Scheune. Dargh kroch langsam darauf zu. Er sah, dass das Haus eines der Menschen war, also bedeutete es wohl kaum eine Zuflucht für ihn. Er war nur ein paar Meter weit gekommen, als sein Körper ihm die Gefolgschaft verweigerte und einfach zusammenklappte. Dargh blieb im kühlen Gras liegen und seufzte leise. Ein jämmerliches Ende – aber er hatte es versucht. Sollte stimmen, was ihm erzählt worden war, würde das Volk der Schattenalben mit ihm aussterben. Angesichts dieser so abscheulichen Welt war das beinahe ein Trost.
In Darghs Sichtfeld bewegte sich etwas. Im pudrigen ersten Licht der aufgehenden Sonne erkannte er ein paar Beine neben sich stehen. Es war ein sehr kurzes Paar und gehörte zu einem kleinen Mädchen mit braunen Rattenschwänzen, das ihn ernst und ungerührt betrachtete.
„Bist du ein Butzemann?“ fragte die Kleine.
Dargh schloss die Augen. Er hätte keinem Kind gewünscht, etwas wie ihn in seinem derzeitigen Zustand vor der Haustür zu finden. Hilfe konnte er hier nicht erwarten.
Aus Richtung Haus rief eine Stimme herüber. „Cadie!
Wo bist du?“
Das Mädchen drehte halb den Kopf. „Hier, beim Butzemann.“
„Beim was?“
Dargh hörte näherkommende Schritte.
„Was… oh Gott!“ japste eine erschrockene Frauenstimme. „Komm da weg, geh da nicht so nah ran!“
„Er lag hier einfach so rum“, rechtfertigte sich Cadie.
„Lebt er noch?“
„Natürlich, er hat mich ja eben angeguckt. Können wir ihn behalten, Bevan?“
„Sei mal kurz still… Ausgerechnet, wenn Papa nicht da ist.“
Dargh merkte, wie ihn jemand vorsichtig am Arm berührte.
„Hallo? Hörst du mich?“
Er stemmte halb die Augen auf. Neben ihm hockte ein vielleicht knapp zwanzigjähriges Mädchen mit kurzen dunkelblonden Haaren. Über ihre Schulter lugte die Kleine von zuvor, der Ähnlichkeit nach waren sie wohl Geschwister. Bevan, die Ältere, zuckte ein bisschen zusammen, als er die Augen öffnete, fing sich aber gleich wieder.
„Du bist verletzt. Darf ich…?“ Mit einem leichten Zittern in den Händen betastete sie seine Rückenwunden. „Es scheint nicht mehr zu bluten, aber du musst viel Blut verloren haben.“
„Der Butzemann stirbt doch nicht etwa?“ fragte Cadie mit einer gewissen Entrüstung, als stünde Butzemännern so etwas nicht zu.
„Er ist kein Butzemann“, widersprach ihre Schwester.
„Ich glaube, das ist ein Schattenalb.“ Sie sah sich kurz um. „Hier draußen kann er nicht liegen bleiben, wir müssen ihn in die Scheune bringen.“
„Warum denn nicht ins Haus?“
„Wir kriegen ihn nicht die Verandatreppe hoch. Cadie, lauf zum Schuppen und hol das große Wachstuch zum Heuabdecken, ja?“
„Na gut.“ Die Kleine entfernte sich unwillig, aber zügig.
„Hör zu“, meinte Bevan leise zu Dargh. „Ich gehe kurz weg, bin aber gleich wieder da. Es ist wichtig, dass du bei Bewusstsein bleibst, sonst bist du zu schwer und wir können dich nicht bewegen.“
Er blinzelte wie in Zeitlupe als Zeichen, dass er verstanden hatte. Bevan nickte und lief weg. Dargh kämpfte eisern darum, bei Sinnen zu bleiben. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, obwohl er kaum ein paar Minuten allein blieb. Die beiden Mädchen tauchten fast zeitgleich wieder auf, Cadie mit dem großen Tuch, Bevan mit einem geschirrten Pferd.
„Was willst du denn mit Advokat?“ fragte Cadie und bezog sich auf den Wallach.
„Er wird ihn für uns ziehen.“
Bevan nahm ihrer Schwester das Tuch ab, breitete es neben Dargh auf dem Boden aus und befestigte das Geschirr des Pferdes daran.
„Ach so, als ob er den Pflug zieht“, verstand Cadie jetzt.
„Genau.“ Bevan wandte sich an den Schattenalben. „Du musst irgendwie auf das Tuch kommen, anders schaffen wir es nicht.“
Dargh nickte. Er sammelte sich kurz, stemmte sich mit letzter Kraft halb hoch und kroch auf das glatte Tuch, wo sich sein Körper endgültig verabschiedete. Er sackte bäuchlings zusammen und bekam nichts mehr mit.
Ganz langsam dämmerte Dargh wieder zu Bewusstsein. Ein Stück weiter links von ihm schnaubte leise ein Pferd. Er öffnete müde die Augen und sah vor allem Fußboden, denn er lag noch immer auf dem Bauch. Er war in der Scheune. Durch die Dachluke schien warm die Sonne herein, das Pferd, das er gehört hatte, steckte den Kopf aus seiner Box und beobachtete ihn unbeeindruckt, während es auf einem Strohhalm kaute.
Das Gebäude war ungewöhnlich stabil gebaut, er konnte sogar einen großen alten Kamin erkennen. Etwas raschelte leise. Dargh drehte langsam den Kopf, so weit er konnte und sah, dass das kleine Mädchen in der Nähe auf einem Futtersack saß und ihn neugierig, wenn auch mit einer gewissen Skepsis, musterte. Einen Moment lang sahen sie einander nur schweigend an.
„Magst du was trinken?“ fragte sie unvermittelt.
Dargh zögerte, nickte dann. Vorsichtig drehte er sich auf die Seite und richtete sich halb auf. Um seinen bloßen Oberkörper waren dicke Verbände gewickelt, die scharf nach irgendwelchen Kräutern rochen, seine offenbar gewaschene Weste entdeckte er auf einer Wäscheleine. Wie hatte man ihm die ausgezogen und ihn verbunden? Er musste zwischendurch zumindest halbwegs zur Mithilfe imstande gewesen sein, erinnerte sich aber überhaupt nicht mehr daran. Cadie kam zu ihm und reichte ihm eine große Zinntasse mit Wasser.
Dargh nahm sie entgegen und trank in kleinen Schlucken.
„Wie lange habe ich geschlafen?“ fragte er heiser.
Cadie schien erfreut, dass er sprechen konnte. „Den ganzen Tag, die Nacht und dann bis jetzt.“
Anhand des mutmaßlichen Sonnenstandes draußen deutete Dargh diese Aussage als eine Nacht und anderthalb Tage. Er gab ihr die leere Tasse zurück.
„Danke. Ich sollte jetzt wirklich…“ Er wollte aufstehen, kam aber über eine halbwegs aufrecht sitzende Position nicht hinaus; sein Rücken protestierte, sein Blutdruck protestierte und das kleine Mädchen ebenso.
„Bevan hat gesagt, du sollst dich nicht bewegen, sonst gehst du wieder kaputt.“
Dargh musste sich eingestehen, dass Bevan da nicht Unrecht hatte. Erschöpft lehnte er sich seitlich gegen einen der Futtersäcke. „Hat sie mich verbunden?“
„Ja. Sie kann an dir gut üben. Sie möchte Ärztin werden, aber Papa will nicht, dass sie weggeht. Ich find’s aber gut.“
„Wo ist denn dein Vater?“
„Im Moment ist er in Burgh, weil er da was machen muss, aber er kommt bald wieder.“
„Verstehe.“ Dargh legte es nicht unbedingt darauf an, dem Vater zu begegnen.
„Bist du wirklich kein Butzemann?“, fragte das Kind.
„Nein.“
„Och, naja“, meinte sie, als sei halt niemand perfekt.
Die Scheunentür öffnete sich quietschend und Bevan kam herein. Unter dem Arm trug sie eine kleine Tasche und ein dickes, abgegriffenes Buch.
Auf halbem Weg wandte sie sich schon an ihre Schwester: „Du solltest doch nur Advokat füttern und dann zurück...“ Sie stutzte, als sie sah, dass Dargh wach war. Kurz schien sie unsicher, was sie machen sollte, dann fiel ihr wieder ihre Schwester ein. „Geh ins Haus, Cadie.“
„Hier ist es aber spannender.“
„Nein, Schluss jetzt. Ab mit dir.“ Sie beugte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr, was dem feinen Schattenalbengehör dennoch nicht entging: „Und schließ die Haustür ab.“
Cadie verzog sich. Als sie weg war, stand Bevan einen Moment etwas ratlos da, gab sich aber einen Ruck und kam zu Dargh.
„Hat meine Schwester dich geweckt?“ fragte sie zaghaft.
Er schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Gut…“ Sie stellte die Tasche auf den Boden, legte das Buch daneben und rieb sich nervös den Arm. „Ich, äh, müsste deine Verbände wechseln.“
Dargh maß sie mit einem kritischen Blick, kam aber zu dem Schluss, dass, wenn sie ihm etwas hätte antun wollen, sie das schon längst hätte machen können, während er ohnmächtig dagelegen hatte. Bewusst langsam drehte er ihr den Rücken zu. Sie räusperte sich leise und kniete sich hinter Dargh, der einen Seitenblick auf das mitgebrachte Buch warf und den Titel ‚Wundheilkunde II‘ ausmachen konnte. Bevan nahm eine Schere aus der kleinen Tasche und schnitt vorsichtig den Verband auf. Dargh konnte riechen, dass sie Angst hatte. Er verstand, warum. Schließlich war er jetzt zum ersten Mal voll bei Bewusstsein und wirkte auch in seinem angeschlagenen Zustand sehr einschüchternd auf Menschen, zumal sie ganz allein mit ihm hier war - mal abgesehen vom fressenden Pferd, das ihnen das Hinterteil zugewandt hatte.
„Ich tue euch nichts“, versicherte er deshalb.
Bevan lächelte unsicher. Sie wickelte, noch immer etwas zittrig, den alten Verband ab.
Dargh wollte die Stimmung beruhigen und griff nach dem erstbesten Gesprächsthema. „Ich habe noch nie eine Scheune mit Kamin gesehen.“
Bevan hielt inne, mit Smalltalk hatte sie wohl nicht gerechnet. „Es war auch ursprünglich keine Scheune, sondern das Wohnhaus. Als sie dann das neue gebaut haben, wurde das hier zur Scheune umfunktioniert. Den Kamin konnte man nicht entfernen, aber natürlich wird er nicht mehr benutzt bei dem ganzen Heu.“
„Verstehe“, brummte Dargh.
Das Mädchen war tatsächlich ruhiger geworden. Sie legte den abgewickelten Verband beiseite und rumorte in ihrer Tasche. Sie holte eine kleine Flasche hervor und gab etwas von der Flüssigkeit daraus auf ein sauberes Tuch.
„Das brennt jetzt kurz“, meinte Bevan, bevor sie seinen Rücken damit reinigte.
Dargh gab keinen Mucks von sich, aber sie sah, wie sich seine Rückenmuskeln anspannten. Fasziniert betrachtete sie Darghs Wunden, schlug schnell etwas in der Wundheilkunde nach und wandte sich wieder kopfschüttelnd den Schnitten zu. Unglaublich, wie weit sie schon verheilt waren. Trotzdem sah sein Rücken aus wie ein Schlachtfeld.
Sie druckste herum. „Ich… ich fürchte… ich weiß nicht, wie das bei Alben ist, aber ich fürchte, es werden ziemliche Narben… Es tut mir leid, aber du hattest am ersten Tag wohl so eine Art Fiebertraum. Du hast dich viel zu heftig bewegt, und da sind die Wunden wieder aufgebrochen – ich musste sie ganz schnell nähen, und du hast nicht stillgelegen, da konnte ich nicht… es tut mir leid, dass es so aussieht. Ich hätte besser…“ Dargh unterbrach ihren Entschuldigungsschwall ruhig, aber streng. „Du hast mir das Leben gerettet. Was kümmern mich da ein paar Narben? Wer hätte schon den Mut gehabt, mir überhaupt zu helfen?“
„Wer helfen kann, muss helfen“, murmelte sie. „Ich könnte gar nicht anders.“
„Du bist eben eine Heilerin.“
Ein Strahlen huschte über ihr Gesicht, sie räusperte sich verlegen und holte ein kleines Töpfchen aus der Tasche.
Die dicke, grünliche Salbe daraus strich sie auf die Schnitte. Für Dargh fühlte sich das wunderbar kühl an.
Er entspannte seine Muskeln ein wenig.
„Als ich geträumt habe“, begann er behutsam. „Ich hoffe, ich habe dir keine Angst gemacht?“
„Ich hatte nur Angst, dass du dir wehtust. Du hast dich hin- und hergeworfen und irgendwas gemurmelt.“ Bevan versuchte ein tapferes Lächeln. „Hab aber kaum was verstanden. Irgendwann hast du dich wieder beruhigt.“
Sie hielt inne, das Lächeln verblasste. „Die Wunden… das waren deine Flügel, oder?“
„Ja“, antwortete Dargh nach kurzem Zögern.
„Die Hexenjäger haben das getan?“ Offenbar hatte sie doch mehr verstanden, als sie zugeben wollte.
„Ja“, wiederholte er leise.
„Wer auch sonst“ knurrte sie verächtlich und wickelte einen neuen Verband um ihn.
Dargh seufzte. „Ich stehe in eurer Schuld. Deswegen werde ich gleich wieder verschwinden.“
„Das wirst du nicht. Dein Körper hat sich noch lange nicht erholt“, sagte sie streng und befestigte die Enden des Verbandes.
„Man darf mich bei euch nicht finden. Ich habe… Probleme mit den Hexenjägern, und wenn sie rauskriegen, dass ihr mir geholfen habt…“ „Ich weiß, wer du bist, Dargh“, meinte Bevan fest. Man musste schon hinter dem Mond leben, um noch nicht vom Schattenalben beim Widerstand gehört zu haben.
„Das ist nur ein Grund mehr, dass ich sofort gehe.“
„Nein, das ist ein Grund mehr, dir zu helfen. Du bleibst hier, bis du wieder ganz gesund bist. Ich habe keine Angst vor den Hexenjägern!“
Dargh wusste, dass das nicht stimmte, und sie wusste es ebenfalls. Bevan räusperte sich und packte ihr Verbandszeug wieder zusammen.
„Du brauchst jetzt Ruhe, du musst viel schlafen. Ich bringe dir noch etwas zu trinken, aber du musst mir versprechen, dass du ruhig liegen bleibst. Alles andere sehen wir später.“
Dargh gab sich geschlagen; momentan hätte er auch nichts anderes tun können, als ruhig liegen zu bleiben.
Er nickte. „Bis ich mich erholt habe.“
„Bis du dich ganz erholt hast.“ Sie half Dargh, wenn auch mehr symbolisch, sich wieder hinzulegen. „Mach dir keine Sorgen. Der Hof hier liegt abseits, und im Dorf kümmert sich keiner groß um die Hexenjäger. Wie sollten sie je rauskriegen, dass du hier bist?“
Dargh seufzte leise. Seiner Erfahrung nach gab es nichts, das die Hexenjäger nicht früher oder später rauskriegten.
Dargh erholte sich so schnell, dass Bevan nur staunen konnte. Für Dargh selbst ging es aber immer noch viel zu langsam. Also lenkte er sich mit Kleinigkeiten ab, sobald er sich wieder etwas bewegen konnte und durfte, denn Bevan war da streng.
An diesem Morgen saß er vor dem ungenutzten Kamin in der Scheune und schnitzte. Dazu benutzte Dargh kein Messer, sondern seine kräftigen Klauen, was Cadie, die ein Stück neben ihm saß und in ihrem Malbuch naiv expressionistische Kunstwerke anfertigte, in Erstaunen versetzte. Sie hatte einen Narren gefressen an diesem sonderbaren Gast, der, sie gab es zu, gar kein Butzemann sein konnte, weil er viel zu nett dafür war. Er redete zwar nicht besonders viel, aber er hatte ihren Teddy repariert, das war ihr deutlich wichtiger als Konversation. Sie durfte niemandem erzählen, wer da in ihrer Scheune wohnte, das sagte ihr Bevan jeden Tag aufs Neue, und sie meinte auch zu verstehen, warum, schließlich würde dann jeder so einen tollen Dunkelmann haben wollen und sie hätten das Nachsehen.
Dargh hatte seine Schnitzerei vollendet und reichte Cadie das Figürchen. Es war ein kleiner Drache, denn ihm war aufgefallen, dass Cadie die gern mochte, ihr Malbuch war voll von ihnen. Das Mädchen nahm die Figur und besah sie sich kritisch, dann stand sie auf und schlang Dargh kurz die Arme um den Hals. Damit war alles gesagt; sie steckte ihren neuen Schatz ein und setzte sich wieder hin.
Die Scheunentür öffnete sich, gewohnheitsgemäß knarrend, jemand kam zu ihnen, doch wer dann hinter Advokats Box hervortrat, war nicht Bevan, sondern ein bärtiger Herr mittleren Alters. Verdutzt ließ er die Tasche fallen, die er über der Schulter getragen hatte und starrte von Dargh zu Cadie und wieder zurück.
Das Mädchen hob nur kurz den Kopf und malte weiter.
„Hallo, Papa.“
Ihrem Vater half das in dieser Situation nicht wirklich weiter. „Warum…?“
Bevan kam in die Scheune gelaufen. Außer Atem blieb sie bei der kleinen Gruppe stehen. „Papa! Warum gehst du denn in die Scheune? Ich dachte, du kämest zuerst ins Haus.“
Er drehte sich ratlos zu seiner älteren Tochter und deutete auf Dargh. „Was…?“
„Komm, ich erklär dir alles. Komm.“
Bevan nahm ihren Vater am Arm und zog ihn ein Stück weit weg in eine ruhige Ecke. Dort redete sie eine Weile auf ihn ein. Er antwortete etwas, es folgte ein neuer Wortschwall von ihr.
„Papa kommt nicht so gut mit neuen Sachen klar“, bemerkte Cadie kritisch. „Bevan sagt, er klammert.“
Bevan und ihr Vater hatten ihre Diskussion offenbar zu einem Ergebnis gebracht, denn beide kamen wieder herüber.
Er räusperte sich und fuhr sich durch die Haare. „Tut mir leid, ich... Bev hat mir erzählt, dass sie dich gefunden und verarztet hat.“
„Du kannst sehr stolz auf deine Töchter sein“, sagte Dargh.
Das machte den Vater verlegen. „Ja, sie sind mein ganzer Stolz. Ich bin übrigens Acton.“
Der Schattenalb nickte würdevoll. „Dargh.“
Wieder stutzte der Mann, er wurde ein paar Nuancen blasser. Offenbar war Darghs Identität nicht erwähnt worden. Schließlich fragte er leise: „Du bist… Dargh?“.
Der Schattenalb nickte. „Könnte ich kurz mit dir sprechen?“
Er stand auf und ging mit einem etwas zögerlichen Acton in die Ecke von zuvor, wo er ruhig mit ihm sprach. Bevan war bei Cadie geblieben und beobachtete die Szene mit einer gewissen Anspannung. Als Dargh schließlich schwieg, schien Acton nachzudenken, dann nickte er. Bevan atmete erleichtert aus, lief zu den beiden und umarmte ihren Vater. Acton befreite sich sacht von seiner älteren Tochter, kam wieder herüber zu Cadie und hockte sich neben sie.
„Schatz“, sagte er ernst. „Du darfst niemandem erzählen, dass wir diesen Besucher haben, versprichst du mir das?“
Cadie runzelte die Stirn. „Warum sagt ihr mir das dauernd?“
Dargh war sehr froh, dass Bevan ihre immense Hilfsbereitschaft zumindest teilweise von ihrem Vater geerbt haben musste. Acton war zwar weit vorsichtiger und zurückhaltender, was den Schattenalben betraf, doch er schickte ihn nicht fort. Sobald sich Dargh wieder besser bewegen konnte, half er wie selbstverständlich auf dem Hof, in dem Maß, das Bevan ihm erlaubte. Er redete zwar nicht übermäßig viel und suchte von sich aus auch keine Nähe zu den Mädchen, aber er saß oft mit Cadie zusammen während er etwas reparierte und sie malte, in stummem gegenseitigem Respekt, was eine zufriedene Ruhe in das verträumte Mädchen brachte. Und er hatte Bevan Notizen in ihre Wundheilkunde gemacht. Mit ihm konnte sie darüber reden, anders als mit ihrem Vater. Das war Acton nicht entgangen. Ihre Mutter war die Heilerin gewesen, alles, was er hatte, war der geerbte Hof und sein Handwerk.
Er hatte seine beiden Töchter zu lange nicht mehr so viel lächeln sehen.
An diesem Abend stand Acton auf der Veranda, als Dargh herauskam, um sich für die Nacht in die Scheune zurückzuziehen. Es wäre ihm niemals eingefallen, im Haus schlafen zu wollen.
„Spät geworden heute?“ sprach Acton den Schattenalben an.
„Ich habe Bevan noch das Rezept für ein Schlaf- und Schmerzmittel aufgeschrieben.“ Dargh ging die paar Stufen hinunter und stellte sich vor das Verandageländer, damit er nicht so groß wirkte. Es machte die Leute nervös, wenn er einfach so neben ihnen stand.
„Ja, so ist sie. So viel so schnell wie möglich lernen. Sie hat das von ihrer Mutter.“
Dargh nickte, fragte aber von sich aus nicht weiter.
Acton seufzte leise. „Weißt du, wir haben nicht immer hier gelebt, früher hatten wir ein Haus in der Stadt.
Aber das wurde immer lauter und hektischer dort – und dann noch die Hexenjäger… dass ich dachte, es wäre doch besser für die Mädchen, irgendwo in Ruhe aufzuwachsen. Vor allem, nachdem ihre Mutter gestorben war. Bevan will wieder in die Stadt und Medizin studieren. Ich kann sie verstehen, aber… hier habe ich wenigstens die Illusion von Frieden.
Wenigstens das.“
Heilerin konnte ein gefährlicher Beruf sein. Er hatte ihr nicht helfen können. Acton erinnerte sich noch zu gut daran, wie müde und leer er sich damals nach dem Tod seiner Frau gefühlt hatte. Ohne seine Töchter hätte er sich vermutlich irgendwo hingelegt und wäre nie wieder aufgestanden, seine ganze Welt war einfach kaputtgegangen.