Hilfe bei Fehlgeburt - Dr. med. Caroline Lehmann - E-Book

Hilfe bei Fehlgeburt E-Book

Dr. med. Caroline Lehmann

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Beschreibung

Alles, was Frauen nach einer frühen Fehlgeburt wissen müssen! Caroline Lehmann hat es selbst erlebt: vier Fehlgeburten, ehe sie Mutter wurde. Mit ihrem Buch steht die Humangenetikerin und Ärztin in der Kinderwunschsprechstunde einer Uniklinik ihren Leser*innen einfühlsam und motivierend zur Seite. Sie gibt Antworten auf die brennenden Fragen: Was tun bei einer Fehlgeburt, und wie schaffe ich es, diese schwere Zeit seelisch gesund zu überstehen und nicht daran zu zerbrechen? Und wie geht es weiter? Woran merke ich, dass ich eine Fehlgeburt gut verarbeitet habe, auch wenn sie schon länger zurückliegt? Caroline Lehmann veranschaulicht die neuesten Erkenntnisse: Woran lag es wirklich? Was kann ich tun, damit so etwas nicht noch einmal passiert? Mit aufrichtiger Offenheit spricht die Autorin alle relevanten, aber oft auch verschwiegenen Themen nach einer Fehlgeburt an, darunter die Auswirkungen dieses Verlustes auf die nächste Schwangerschaft und die psychologischen Konsequenzen für das eigene Leben. Ein Buch wie eine beste Freundin – mit zahlreichen Tipps für eine Heilung und einen Neuanfang. Einfühlsam, mit einem Koffer voller praktischer Tipps und medizinischem Wissen begleitet Caroline Lehmann die Leser*innen durch die wohl schwerste Zeit ihres Lebens. Mit einem Hebammenkommentar von Dana Ruff.

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Seitenzahl: 283

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Dr. med. Caroline Lehmann

Shirley Michaela Seul

HILFE BEI FEHLGEBURT

Wie du mit dem Verlust deines Kindes umgehen und wieder Hoffnung finden kannst

Mit einem Hebammenkommentar von Dana Ruff

Dieses Buch ersetzt keine medizinische und/oder therapeutische Behandlung.

© 2024 Caroline Lehmann

Am Rothlauf 9

61476 Kronberg

Shirley Michaela Seul, erfolgreiche Sachbuch- und Belletristik-Autorin,

hat Caroline Lehmann unterstützt.

https://www.shirley-michaela-seul.de

Dana Ruff, Hebamme in Hamburg

https://www.geliebt-gebunden.de

Lektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Umschlag & Satz: Erik Kinting

Titelbild & Illustrationen: © Jenny Keuter, Maulani Friska

Foto im Innenteil: Anne Simon

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Softcover    978-3-384-21011-1

Hardcover    978-3-384-21012-8

E-Book         978-3-384-21013-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Für alle Sternenkinder

Über die Autorin

Caroline Lehmann betreute als Fachärztin über zehn Jahre lang Patienten in der Sprechstunde für Fehlgeburten und unerfüllten Kinderwunsch und erlebte selbst vier Fehlgeburten, bevor sie endlich Mutter wurde. Auf ihrem Blog und auf Instagram @hilfe_bei_fehlgeburt widmet sie sich allen Fragen rund um Fehlgeburt und Kinderwunsch.

https://www.caroline-lehmann.com

»Jedes verlorene Kind steht für einen Traum, den wir loslassen, jedoch nicht für eine verlorene Zukunft.«

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

1. UNTER DER BAUCHDECKE

Liebe kann nicht rausoperiert werden

Hope & Heal

2. DIE GROSSE MACHT DER TABUS

Wenn Worte wehtun

Das darf keiner wissen

Die 12-Wochen-Regel

Schuld, Scham und Schweigen

3. ZWISCHEN HOFFEN UND BANGEN

Die meisten Schwangerschaften enden mit einer Fehlgeburt

Dauer der Schwangerschaft und Fehlgeburtsrisiko

Die lange Reise bis zur Geburt

Wunder über Wunder

Alles oder nichts

Wie rasant der kleine Mensch wächst

Zwei-Klassen-Gesellschaft bei Fehlgeburten? Die absurde Grenze zwischen der 12. und 13. Woche

Trauerhierarchie?

Gibt es auch ein niedriges Risiko für Fehlgeburten?

4. SIE HABEN DA ETWAS SELTSAMES

Nur ein Herz?

Unklare Befunde

Das Windei

Herztöne

5. WIE VERLÄSST DAS TOTE KIND DEN KÖRPER DER FRAU?

Ammenmärchen

Die drei Optionen im Vergleich

Operatives Vorgehen: Kürettage

Abwarten: Natürlicher Abgang

Medikamentöses Vorgehen

Und die Psyche?

Checkliste für deine Entscheidung

6. WIE ES IST, EIN KIND ZU VERLIEREN – MEINE GESCHICHTE

Guter Hoffnung

Enthofft

Mutterseelen allein

Selbstzerfleischung

Der Weg aus der Angst führt durch die Angst hindurch

Hormonchaos

Versöhnung

Aus der Reihe tanzen

Die kleine Geburt

Eine Handvoll Leben im Herzen

Wie kündigt sich eine Fehlgeburt an?

7. WER HILFT, WENN ES VORBEI IST

Nachsorge: Medizinische und sonstige Hilfe

Psychotherapeuten

Fachärzte

Hebammen

Fehlgeburt aus Hebammensicht

Doulas

Selbsthilfegruppen und Vereine

Wenig Zeit

Kinderwunschzentren – weitere Abklärung

8. WIESO HABE ICH MEIN BABY VERLOREN UND WAS KANN ICH DAGEGEN TUN?: URSACHEN UND GEZIELTE THERAPIE-OPTIONEN

Lebensstil

Stress

Genussmittel

Körpergewicht

Vitamin-D-Mangel

Alter und Fehlgeburten

Genetische Ursachen

Gynäkologische Ursachen

Bio-Scanning des Embryos

Anomalien der Gebärmutter

Myome, Polypen und Verwachsungen

Endokrinologische Ursachen: Wenn es an den Hormonen liegt

Gelbkörperschwäche

PCO-Syndrom

Schilddrüsenfunktionsstörungen

Immunologische Ursachen

Autoimmunerkrankungen

Blutgerinnungsstörungen

Vaginales Mikrobiom

Inwiefern beeinflussen Männer das Fehlgeburtsrisiko?

9. AUSSICHTSLOS ODER KANN ICH TROTZDEM WAS TUN? – UNKLARE URSACHE EINER FEHLGEBURT UND MÖGLICHE THERAPIEN

Ergänzende Therapie: Tender Loving Care

Die Kernpunkte von Tender Loving Care sind:

Medikamentöse Therapien bei unklaren Fehlgeburten

Acetylsalicylsäure (ASS) und Heparin

Magnesium

Progesteron

Genetische Therapie und künstliche Befruchtung?

Resümee

10. WENN SICH FEHLGEBURTEN WIEDERHOLEN

11. LEERE

Mein Baby ist tot und hat mich mitgenommen

Mama Blues statt Baby Blues: Posttraumatische Belastungsstörungen nach einer Fehlgeburt

Trauer als Weichenstellung

Allein gelassen statt gelassen allein

Phantomtrauer

Trauern als Paar

Trauer im Freundeskreis

Trauer im Job

12. FÜLLE: DIE REISE NACH INNEN

Raus aus dem Kinderkarussell

Abschied ade

Heal & Happy

1. Wahrnehmen und Annehmen

2. Die Liebe im Schmerz erkennen

3. Sinn finden

Von Hope & Heal zu happy

13. EINE BLAUE LINIE HOFFNUNG

14. ZEHN INSPIRATIONEN FÜR DICH

Danksagung

Hilfe bei fehlgeburt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

1. UNTER DER BAUCHDECKE

14. ZEHN INSPIRATIONEN FÜR DICH

Hilfe bei fehlgeburt

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1. UNTER DER BAUCHDECKE

»Wird denn alles gut gehen mit dem Baby?«, fragte mich die Patientin bei der Begrüßung, während ich ihre zarte heiße Hand drückte. Ihre Stimme klang belegt. Die junge Frau war in großer Sorge, denn ihre Mutter hatte zwei Fehlgeburten erlitten. War so etwas vererbbar?

»Im Ultraschall sieht alles bestens aus«, beruhigte ich sie mit einem Satz, den ich selbst auch gern gehört hätte, denn in meinem Bauch lag ein toter Embryo.

Seit einer Woche wusste ich, dass das kleine Herz dieses so sehnlich erwünschten Kindes nicht mehr schlug. Zum vierten Mal in acht Jahren war meine Hoffnung gestorben. Aber diesmal hatte ich mich nicht für eine Kürettage entschieden, so der Fachbegriff für die Ausschabung. Diese Operation wird in Deutschland unter Narkose routinemäßig durchgeführt, wenn das Kind im Mutterleib vor der zwölften Schwangerschaftswoche verstirbt. Stattdessen würde ich warten. Warten, bis es von selbst zu einem Abgang käme, so wie es in vielen europäischen Ländern gehandhabt wird.

Dieses Warten war entsetzlich, und dennoch fühlte es sich absolut richtig an. Denn die Spätfolgen einer Operation wie Verwachsungen und Verklebungen der Gebärmutterschleimhaut können bei einer folgenden Schwangerschaft zu schwerwiegenden Komplikationen führen, vor allem, wenn der Eingriff wie bei mir mehrfach vorgenommen wurde. Und ich wollte es noch einmal versuchen, ein letztes Mal, wenn ich diese schwere Zeit mit dem toten Kind irgendwie hinter mich gebracht hätte. Dieses Kind, das ich so lieb hatte.

So wie meine Patientin vor mir ihr lebendes Kind: »In den Flitterwochen hat es geklappt«, sprudelte es aus ihr heraus. Und dass sie unbedingt junge Mama sein wollte. Mindestens zwei Kinder sollten es werden. Weil sie und ihr Mann doch beide Einzelkinder waren. Das sei schrecklich gewesen, immer habe sie andere um ihre Geschwister beneidet.

»Das kann ich gut verstehen«, nickte ich.

»Das Ultraschallbild habe ich stets bei mir«, erzählte sie mir. » Ich schaue es mir morgens als Erstes und abends als Letztes an. Ich finde das total verrückt, dass ich in mich hineinsehen kann. Als meine Oma schwanger war, gab es so was noch nicht.«

»Das stimmt«, bestätigte ich und dachte kurz über Fluch und Segen des Ultraschalls für schwangere Frauen nach. Ohne Ultraschall wüssten viele Frauen nichts von ihrer Schwangerschaft. Die Periode verzögert sich und ist dann keine normale Monatsblutung, sondern eine Fehlgeburt. Ein solches Nicht-Wissen kann durchaus hilfreich sein. Wie aber der Ultraschall auch sehr hilfreich sein kann – in Maßen eingesetzt. Manche Patientinnen vergessen nämlich vor lauter Babyfernsehen das Spüren, also das, was Frauen die gesamte Geschichte der Menschheit über immer getan haben: in sich hineinfühlen. Mein medizinisches Fachgebiet hat ziemlich wenig mit Spüren zu tun, wenngleich ich davon überzeugt bin, dass die Intuition ein wichtiges Werkzeug für Medizinerinnen und Mediziner ist.

Ich bin Fachärztin für Humangenetik und habe am Universitätsklinikum Heidelberg und an einer großen Praxis in Frankfurt rund zehn Jahre lang die Sprechstunden für Schwangere mit Auffälligkeiten im Ultraschall, Fehlgeburten und Paare mit unerfülltem Kinderwunsch begleitet. Zu meiner Arbeit gehörte es, Embryos nach einer Fehlgeburt zu untersuchen und genetische Analysen zu veranlassen. Gerade nach einer künstlichen Befruchtung kommt es häufiger zu Fehlgeburten: Je Zyklus einer künstlichen Befruchtung liegt die Wahrscheinlichkeit, nach der Behandlung ein Kind zur Welt zu bringen, bei nur 15 bis 20 Prozent. Oft sind die Frauen überglücklich, wenn sie endlich schwanger sind, und vergessen dabei gern, wie risikoreich gerade die ersten zwölf Wochen sind. Auf diesen ersten zwölf Wochen, in denen es um alles oder nichts geht, liegt der Schwerpunkt meines Buches.

»Wissen Sie, Frau Doktor«, vertraute mir die Patientin an, »da gibt es doch diesen alten Spruch, dass man guter Hoffnung ist.«

Ich nickte. Meine gute Hoffnung war erloschen. Am 22. Tag nach der Empfängnis hatte das Herz meines Kindes zu schlagen begonnen … und irgendwann aufgehört.

»Das sage ich gern«, fuhr meine Patientin fort. »Ich bin guter Hoffnung. Das klingt doch total schön.«

»Ja«, stimmte ich zu und freute mich mit ihr. Sie strahlte mich mit ihren wunderschönen tiefblauen Augen an.

Vielleicht war es verrückt, doch etwas in mir war überzeugt davon, dass ich eines Tages auch so strahlen würde – nicht nur kurzzeitig, sondern lange, neun Monate lang – und am Ende ein Kind zur Welt bringen würde. Vielleicht gerade deshalb, weil ich mich jetzt gegen eine Ausschabung entschieden hatte, vielleicht, weil ich den Mut dazu hatte, meinem toten Kind die Zeit zu geben, die es brauchte, um mich auf seine Art zu verlassen, auf natürlichem Wege. Ich spürte, dass diese Entscheidung, so schrecklich sie war, einen kleinen Samen Zuversicht in mir keimen ließ.

Warum hört fast jede Frau, deren Kind im Mutterleib in den ersten drei Monaten verstirbt, den Satz: Das muss operiert werden? Warum sind die Alternativen, von denen es sogar zwei gibt, so wenig bekannt? Ja, gewiss, mit einer Ausschabung scheint der Fall erst mal erledigt. Problem behoben. Doch das ist nicht für jede Frau die ideale Lösung.

Eine Fehlgeburt ist nicht nur ein Trauma, sondern zudem ein Tabu. Ein Versagerinnen-Thema. Seine Bedeutung für die Frauen wird meistens unterschätzt. Man rät: Versuch‘s halt noch mal. Wie extrem eine Fehlgeburt an den Grundfesten einer Persönlichkeit rüttelt, an einer Beziehung, ja, dass sie unbewältigt eine gute Zukunft zerstören kann, das wissen die wenigsten. Aber es gibt einen konstruktiven Weg, mit dieser Lebenskrise umzugehen. Diesen Weg möchte ich auf den folgenden Seiten schildern, sozusagen als doppelte Expertin: als Fachärztin und als Betroffene.

Während ich diese Zeilen schreibe, schläft mein kleiner Sohn. Beim fünften Anlauf hat es geklappt. Vielleicht wirklich auch deshalb, weil ich beim vierten Versuch abgewartet habe und mich nicht drängen ließ. Weil ich mein inneres Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Es ist mir allerdings klar, dass dieses Vorgehen nicht für jede Frau in Betracht kommt. Und es ist mir enorm wichtig, dass du, liebe Leserin, deinen eigenen Weg findest.

Es liegt mir auch am Herzen, alle Menschen respektvoll und gleichwertig anzusprechen, denn eine Fehlgeburt betrifft nicht nur die Frau, sondern zieht weite Kreise, manchmal über Generationen hinweg.

Als Ärztin spreche ich meine Patienten natürlich nicht mit Du an, aber in diesem Buch möchte ich diese Distanz bewusst abbauen. Zum einen, weil das Thema sehr emotional ist, zum anderen, weil ich über meine persönliche Geschichte mit vier Sternenkindern spreche. In meinen Sprechstunden geht es um sehr emotionale Dinge und es kam immer wieder vor, dass mich eine Patientin fragte: »Darf ich Sie mal in den Arm nehmen?«

Die Zeit des Kinderwunsches gehört zu den emotionalsten Phasen unseres Lebens. Genau hier setzt dieses Buch an, möchte dich an vielen Stellen in den Arm nehmen, dir Hilfe und Unterstützung geben. Und da erscheint mir das Du viel authentischer.

Jede Frau ist anders. Setz dich nicht unter Druck. Nimm dir die Zeit, die du brauchst, höre in dich hinein und entscheide dann. Bei meiner ersten Fehlgeburt hätte ich das Warten auf einen natürlichen Abgang nicht geschafft. Nach der Diagnose wollte ich einfach so schnell wie möglich zurück auf Anfang.

Wir Menschen sind oft so gestrickt, dass wir unangenehme oder belastende Dinge rasch hinter uns bringen wollen. Wir möchten vorwärtsgehen, ohne zu bedenken, dass uns eine übereilte Entscheidung später einholen kann. Aber dann ist es zu spät.

Doch sich schnell zu entscheiden, ist allzu menschlich. Eben noch schwanger, im Mutterpass ist der Geburtstermin festgehalten, und dann erfährt man nach dem Ultraschall, dass das eigene Kind nicht mehr lebt. Von jetzt auf gleich ist alles anders: eine emotionale Katastrophe. Man hört ein paar tröstende Worte, bekommt einen Überweisungsschein für die Klinik und zwei oder drei Tage später findet die Operation statt, zu der es keine Alternative zu geben scheint. Das Denken ist wie blockiert. Man tut, was einem geraten wird. Von hundert auf null, auf unter null. Niemand ist darauf vorbereitet. Die Seele sowieso nicht, aber auch der Körper nicht, der hormonell noch immer voll auf schwanger eingestellt ist. Und dann schlagartig aus. In Internetforen schreiben Frauen, dass sie das Gefühl hatten, man habe ihnen auf dem OP-Tisch etwas weggenommen, entrissen. Nach der OP sinkt das Schwangerschaftshormon schlagartig ab, das belastet die Psyche.

Wir reden hier nicht über seltene Ausnahmen: Schätzungsweise 23 Millionen Fehlgeburten ereignen sich jedes Jahr weltweit. Etwa ein Drittel aller festgestellten Schwangerschaften endet auf diese Weise, meistens in den ersten drei Monaten.

Liebe kann nicht rausoperiert werden

In meine Kinderwunsch-Sprechstunde kamen viele betroffene Paare, die ihre schmerzhaftesten Erfahrungen mit mir teilten. Hierbei war die Frage nach der Häufigkeit von Fehlgeburten ein Hauptthema. Und schließlich wurde es das Hauptthema meines Lebens. Die betroffenen Paare sind mit ihrem Schicksal oft allein und die Gefühle von Verlust und Trauer werden nicht selten verdrängt. Für viele Frauen und ihre Partner steht das verlorene Baby aber zudem für den Abschied von gemeinsamen Träumen und Lebensplänen. Warum ich? Warum wir? Was habe ich falsch gemacht? Was ist schiefgegangen? Und was, wenn es wieder passiert? Kann ich überhaupt ein Kind bekommen?

Als junge Assistenzärztin fiel mir oft auf, dass Frauen, die bereits Kinder hatten, mehr unter einer Fehlgeburt zu leiden schienen als Frauen, die zum ersten Mal schwanger waren. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, warum: Diese Frauen wussten bereits, was sie verloren hatten. Sie hatten in sich diese unendliche Liebe zu dem Lebewesen wachsen gespürt und eines Tages war das Kind zur Welt gekommen. Ihre Liebe hatte ein Gesicht, eine Gestalt. Deshalb war der Verlust für sie oft schmerzhafter, weil sie die Liebe zu ihren lebenden Kindern auf das tote Kind übertragen hatten.

Liebe ist bei einer Ausschabung kein Thema. Es geht darum, das Schwangerschaftsprodukt zu entfernen, raus damit und Alles Gute für Ihren nächsten Versuch. Seien Sie guter Dinge, es klappt bestimmt. Und nach der zweiten Fehlgeburt hört man: Aller guten Dinge sind drei …

Aber wir reden hier nicht über Dinge.

Viele Frauen stürzen in eine schwere emotionale Krise, vor allem, wenn sie diesen großen Schmerz für sich behalten. Weil sie sich schämen. Ist eine Fehlgeburt nicht ein Beweis für die eigene Untauglichkeit? Für ein Komplettversagen als Frau? Manchmal kommt es zu einem zerstörerischen Hass auf den Körper, der nicht tut, was er soll, obwohl man sich das Baby doch mehr als alles andere auf der Welt wünscht. Oder man baut sich ein Geflecht aus Lügen auf: Nein, ich will jetzt sowieso kein Kind. Ich mache jetzt erst mal Karriere.

So habe ich es auch gehandhabt, denn ich habe in meinem Umfeld nur von meiner ersten Fehlgeburt erzählt. Die nächsten drei verschwieg ich, womit ich es mir sehr, sehr schwer machte. Nach dem vierten Mal, kurz vor einem Zusammenbruch, hätte ich so gern mit jemandem darüber gesprochen. Denn nun war die energievolle, starke Caroline, die ihren Patientinnen immer Mut zusprach, am Limit. Und darüber hinaus. Um mir das alles mal von der Seele zu reden, hätte ich meinen Freundinnen, die mir gewiss eine große Stütze gewesen wären, erst einmal beichten müssen, dass ich ihnen Fehlgeburt Nummer zwei und drei verschwiegen hatte. Oder ich hätte sie belügen und so tun müssen, als wäre Nummer vier in Wirklichkeit Nummer zwei, aber dieses vierte Mal war ja so besonders schlimm, weil davor die zweite und dritte Fehlgeburt geschehen waren. Wohin mit meinen Sorgen, mit meiner Einsamkeit? Mit meinen Vorwürfen an mich selbst, warum ich diese Erlebnisse verschwiegen hatte?

Auch offizielle Stellen gibt es kaum, die sind Frauen mit Fehlgeburt nach der 12. Woche vorbehalten. Trauern darf man, aber erst ab der 13. Woche – und selbst das ist eine Errungenschaft der letzten Jahre. Denn lange galten sogar Fehlgeburten im vierten oder fünften Monat als Gewebeabfall, der mit dem Klinikmüll entsorgt wurde.

In vielen westlichen Ländern war es bis in die 1970er-Jahre üblich, dass selbst voll ausgetragene tot geborene Babys im Klinikmüll landeten. Eine mir persönlich bekannte ältere Dame hat mir erzählt, dass sie nach der Geburt gesehen hat, wie ihre toten Zwillinge in einen Blecheimer geworfen wurden. Das Geräusch hat sie jahrzehntelang verfolgt. Anderen Frauen zeigte man die tot geborenen Kinder nicht und verhinderte so, dass sie ein konkretes Bild, etwas Greifbares von ihrem Baby hatten, es anfassen durften. Wie wichtig das ist, wissen wir heute. Ohne Verarbeitung kein Neubeginn.

Doch es dauerte sehr lang, bis dieses Wissen gesetzlich verankert wurde, zum Beispiel mit dem Personenstandsgesetz, das sich im Mai 2013 änderte. Es ist nun auch bei frühen Fehlgeburten, also einem Kindsverlust vor der 12. Woche erlaubt, eine Bestattung zu veranlassen. Es ist sogar zur Pflicht geworden, die Betroffenen darüber zu informieren. Je nach Bundesland gibt es dazu eigene Vorgaben. Häufig werden die Kinder, die nie das Licht der Welt erblickten, in einer schönen Zeremonie gemeinsam bestattet.

Beinahe schockiert erkannte ich, wie viel Druck dieses Tabu rund um Fehlgeburten aufbaut. Frauen kriegen Kinder und Punkt. Die Gebärmutter behütet die Babys, die in ihr wachsen – ein Ort der Liebe und Geborgenheit, nicht des Todes. Ist das nicht der Fall, ist was falsch. Ich bin falsch. Bei mir ist was falsch. Diese Gedanken überfielen mich, obwohl ich als Ärztin genau wusste, dass das Unsinn ist.

Für die meisten Fachpersonen mag es bloßes Schwangerschaftsgewebe sein, ein Abfallprodukt, das nach der Ausschabung im Klinikmüll landet. Vielleicht brauchen sie diese Sichtweise, um sich zu distanzieren. Für die Mutter, für den Vater ist jedoch ein einzigartiges Wesen gestorben, gerade als es zu leben begann. Und so bleibt in unserer wundervollen, großartigen, aber eben auch effizienzbasierten Medizin die Seele zuweilen auf der Strecke.

Woran liegt das, und wie können wir das verändern? Dazu werde ich auf den folgenden Seiten viele der brennenden Fragen beantworten, die ich von meinen Patientinnen hörte. Manche wurden voller Scham gestellt, wenngleich sie absolut berechtigt sind. Doch das Tabu, die eigenen Ängste und auch unsere Schuldgefühle hindern uns oft daran, frei zu fragen und authentische Antworten für uns zu finden.

Mit diesem Buch möchte ich den Mythos der perfekten Schwangerschaft vom Sockel holen. Es gibt keine perfekte Schwangerschaft! Hat es noch nie gegeben, früher nicht und heute nicht. Einblicke in die Geschichte anderer mit ähnlichem Schicksal zu bekommen, hilft enorm dabei, sich weniger allein zu fühlen und Mut zu schöpfen, es noch einmal zu versuchen. Oder es sein zu lassen. Denn ein Traum, der nicht wahr wird, kann zu einem Lebensthema werden, das bald alles andere überlagert. Studien belegen, dass Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch ein enorm erhöhtes Risiko haben, an einer Depression zu erkranken.

Doch es gibt Auswege. In meiner Kinderwunsch-Sprechstunde erzählten mir unzählige Frauen und Paare, wie sie es geschafft haben, diesen schweren Schicksalsschlag zu verarbeiten und zuversichtlich in ihre Zukunft zu blicken. Selbstverständlich werde ich auch die medizinischen Gründe für Fehlgeburten erläutern, die in Arztpraxen oft stiefmütterlich behandelt werden. War ja noch gar kein richtiges Kind, es war ja noch so früh. Oft hört man von seinem näheren Umfeld auch den vermeintlichen Trost, dass eine Fehlgeburt nichts Schlimmes wäre, da man es einfach wieder versuchen könne. Stimmt. Aber das gilt zum Beispiel auch für Scheidungen. Doch: Hast du schon mal gehört, dass jemand nach einer Scheidung sagt: »Tut mir leid, dass Ihr Partner Sie verlassen hat, aber das kommt ja häufig vor und Sie können jederzeit wieder heiraten.«

Im weitesten Sinne ist ein Nicht-Schwanger-Werden auch eine fehlende Geburt: Woran kann es liegen, dass ich nicht schwanger werde? Und wenn ich eine Fehlgeburt erlitten habe: Wie hoch ist das Risiko, dass es noch einmal passiert? Was kann ich dafür tun, damit es beim nächsten Mal klappt? Und an wen wende ich mich? Auch auf solche Fragen habe ich in diesem Buch eine Antwort. Und: Wie beeinflusst das alles die Partnerschaft, das ganze Leben? Haben Frauen über 30 wirklich schlechtere Chancen? Was ist davon zu halten, Eier einzufrieren? Und stimmt es, dass die Qualität der Spermien immer schlechter wird?

Ich habe mich aufgrund meiner beruflichen Erfahrungen und meiner eigenen Geschichte dazu entschlossen, mich vollständig dem Thema Fehlgeburt zu widmen – nicht nur als Verlust, sondern auch als Chance. Denn ich selbst habe in meiner eigenen Lebensgeschichte erfahren, wie intensiv der Prozess der Verarbeitung einer Fehlgeburt sein kann. Heute würde ich sagen, dass ich mich dadurch auf eine ganz neue Art kennengelernt habe. Ich bin durch tiefste Täler gegangen, aber ich habe auch Höhen erklommen und Ressourcen in mir entdeckt, von deren Existenz ich davor nichts wusste. Heute sehe ich vieles in meinem Leben klarer. Eine weitere Chance, die über den persönlichen Horizont hinausgeht, liegt darin, dass wir durch Hinschauen statt Wegschauen die Art und Weise verändern können, wie wir als Gesellschaft über Fehlgeburten und die Menschen, die sie – manchmal leider mehrmals – erleben mussten, denken und sprechen.

Ich möchte Licht ins Dunkel bringen und merke immer wieder, wie wichtig das für die Menschen ist, die zu mir kommen, die ich in meinem Online-Kurs oder im Coaching begleite. Manchmal sind sie akut betroffen, manchmal merken sie erst viele Jahre später, dass da noch etwas offen ist, das Auswirkungen auf ihr Leben hat. Ein hoher Anteil an Frauen entwickelt nach einer Fehlgeburt eine posttraumatische Belastungsstörung. Es ist wie bei einem Ball, der unter Wasser gedrückt wurde: Schweigen, Weitermachen, so tun, als wäre nichts passiert: ein Nicht-Ereignis. Und irgendwann, an einer anderen Stelle, ploppt der Ball nach oben – oft ohne ersichtlichen Zusammenhang zu dem tiefen Trauma, das wir erleben, wenn wir unser Kind in der Schwangerschaft verlieren.

Hope & Heal

Als ich schließlich nach vier Verlusten meinen Sohn in den Armen hielt, lag eine sehr angstbesetzte Schwangerschaft hinter mir, in der ich bewusst versuchte, dieses neue Leben nicht in Bezug zu setzen zu den Fehlgeburten davor. Denn: Die psychologische Entwicklung eines Kindes beginnt nicht erst mit seiner Geburt, sondern schon in der Schwangerschaft. Das Kind, das in mir heranwuchs, sollte nicht mit Ängsten und Sorgen überschüttet werden, sondern mit Zuversicht und dem Glauben an seine Stärke und Gesundheit. Dieser unbedingte Wille ließ mich stark werden, so stark, dass ich dieses kleine Wesen in meinem Bauch vollständig akzeptieren konnte. Mit allen Konsequenzen. Das hieß für mich: Wenn diese fünfte Hoffnung wieder so traurig endet, wird es das letzte Mal gewesen sein. Ich werde akzeptieren, was kommt.

Die fünfte Schwangerschaft war anders als die vorherhergehenden. Ich war in Harmonie mit mir selbst und mit meinem Körper. Ich vertraute. Ich tat alles, von dem ich wusste, dass es entspannt, wie zum Beispiel Vogelgezwitscher draußen in der Natur oder auf youtube zu hören, dazu gibt es sogar Studien. Was die Wissenschaft betrifft, sitze ich ja an der Quelle. Ich wünschte mir dieses Kind so sehr, ich wollte es unbedingt, doch wenn es sich verabschieden sollte, dann würde ich auch dazu Ja sagen und wäre dennoch dankbar, dieses kleine Wesen eine Weile in mir getragen zu haben: Ich nehme, was kommt. Und ich halte aus, was kommt. Egal, wie lang ich dich begleiten darf, ob wir es über die zwanzigste Schwangerschaftswoche hinaus schaffen. Egal was passiert, ich bin an deiner Seite. Für immer. Und auch wenn du ein Sternenkind wirst. Du wirst immer leuchten in meinem Leben, in meinem Herzen.

So befreite ich mich von dem enormen Druck, den ich viele Jahre lang gar nicht bewusst gespürt hatte. Und der ja auch kein Thema war, denn über so was spricht man nicht.

Das soll und muss sich ändern, und dieses Buch möchte eine Art Weckruf sein. Von Herzen wünsche ich mir, dass wir dieses schmerzliche Thema aus der Dunkelheit ans Licht bringen. Dass es sich lohnt und heilsam ist, das weiß ich aus eigener Erfahrung und Tausenden Begegnungen mit Betroffenen. Tabus machen Angst. Doch wer die Angst durchquert, findet am Ende den berühmten Lichtstreif am Horizont. Davon will ich auf den nächsten Seiten erzählen.

Du findest in diesem Buch alles, was mich Frauen nach einer Fehlgeburt gefragt haben. Sehr oft habe ich von Patientinnen gehört, dass sie das Medizinerlatein nicht verstehen. Oft blieben viele Fragen offen. Aber ich teile mit dir nicht nur mein fachliches Know-how, sondern auch meine eigenen Erfahrungen mit vier Sternenkindern. Ich habe nach meinen Fehlgeburten viel ausprobiert, um mit dem Verlust klarzukommen, und ich gebe dir all das weiter, was ich für das Beste halte. Dieses Buch ist das Ergebnis und ich bin überglücklich, dass du es jetzt in deinen Händen halten kannst.

In meinem Online-Kurs Hope & Heal möchte ich dich persönlich begleiten, da es geht mehr um deine aktuelle Situation. Was du konkret nach einer Fehlgeburt tun kannst, auch wenn sie schon eine Weile zurückliegt. Denn manchmal merken Frauen erst nach Wochen oder Monaten, dass sie mit dem Thema noch nicht fertig sind. Oder sie sind wieder schwanger und spüren Ängste.

Deshalb bekommst du im Online-Kurs viele erprobte Ansätze, die dich durch diese schmerzhafte Lebensphase begleiten: Coachings, Meditationen, Visualisierungsübungen, hilfreiche Geschichten meiner Patientinnen und viele praktische Tipps für deinen Alltag.

Noch ein Wort zu den internationalen Studien, auf die ich mich im Text gelegentlich beziehe: Für eine einfachere Lesbarkeit habe ich mich dagegen entschieden, mit Fußnoten zu arbeiten. Bei Interesse kannst du dich gern bei mir melden. Im Laufe der Zeit werde ich interessante Studien auch auf meine Webseite oder Insta stellen.

Was das Gendern betrifft, wusste ich lange nicht, für welche Schreibweise ich mich entscheiden sollte. Bis mir neulich auffiel, dass die Sternchen-Alternative gut zu den Sternenkindern passt. Und so habe ich im Text häufig diese Schreibweise gewählt. Manchmal bleibt ein Arzt aber auch einfach ein Arzt und eine Ärztin eine Ärztin.

Noch ein Hinweis: Der Begriff Fehlgeburt klingt so, als hätte die Frau oder das Kind einen Fehler. Für mich bedeutet es jedoch einzig und allein, dass ein lebendiges Kind fehlt. Das hat nichts mit Fehler oder fehlerhaft zu tun.

Und nun: Willkommen in meinem Buch!

2. DIE GROSSE MACHT DER TABUS

Niemals werde ich den Moment vergessen, als ich den Herzschlag meines Kindes bei einer Ultraschalluntersuchung hörte. Es war das Magischste, das ich jemals erlebt hatte, eine Welle unbeschreiblicher Gefühle durchströmte mich. Als dieses zarte Pochen bei der nächsten Untersuchung nicht mehr zu hören war, brach eine Welt für mich zusammen und in die Trümmer hinein wurden Worte abgeschossen: Ausschabung, Absaugung, kurz: Kürettage. Ich hatte kein Baby unter dem Herzen, sondern einen embryonalen Rest in der Gebärmutter. Über diesen wurde in medizinischer Terminologie, die mir zwar vertraut war, aber noch nie in meinem Leben feindseliger erschien, verhandelt.

Mit dieser leidvollen Erfahrung hatte ich die Seiten gewechselt. Ich war von der Fachärztin zur Patientin geworden und im Folgenden sehr oft entsetzt über die herkömmliche Behandlung einer Frau nach Fehlgeburt, die ich bis dato selbst nicht infrage gestellt hatte. Obwohl es mir doch immer so wichtig gewesen war, eine einfühlsame Ärztin zu sein.

Meine Welt stand Kopf. Nichts passte mehr zusammen. Ich trauerte um mein Kind, das medizinisch zurückgestutzt wurde auf den Begriff Schwangerschaftsprodukt. Und dieses Produkt sollte nun aus mir entfernt werden. Das macht man so. Reine Routine. In Medizinlehrbüchern wird der chirurgische Eingriff der Kürettage auch als Evakuierung der zurückgebliebenen Schwangerschaftsprodukte bezeichnet. Raus damit und dann einfach nicht mehr dran denken? Dass es Alternativen gegeben hätte, wusste ich nicht. Niemand erzählte mir davon. Stattdessen wurde mir geraten: »Jetzt machen Sie sich mal keinen Kopf.«

Oh doch, den machte ich mir. In diesem Fall war ich nicht Ärztin, sondern werdende Mutter … gewesen. Ich wollte nicht mit der Erinnerung an einen Zellabfall leben, sondern mit der Erinnerung an ein geliebtes Kind, das, wenn auch nur kurze Zeit, Teil von mir war.

Wenn Worte wehtun

Was ist eine einfühlsame sprachliche Benennung des kleinen Wesens, das nie das Licht der Welt erblicken durfte? Zu den Begriffen, die viele am schlimmsten verletzen, gehört das Wort Abort, ein Synonym für Fehlgeburt. Gleichzeitig aber eine, wenn auch aus der Mode gekommene Bezeichnung für Klosett, Latrine, Toilette. Diese lag früher zur Verrichtung der wenig appetitlichen Notdurft abseits des Wohnbereichs.

Zwischen der Mutter und ihrem Kind hat sich oft schon früh eine liebevolle Beziehung entwickelt, in die solche Worte wie Messer dringen, aber wie könnte ich es als Ärztin stattdessen benennen? Ich gestehe, dass ich in meinen vielen Sprechstunden dieses goldene Wort nicht gefunden habe. Ich habe gern das übernommen, was die Patientinnen sagten, meistens war es mein Kind oder mein Kleines. Manchmal gab es auch Kosenamen wie das kleine Mäuschen. Wenn ein Arzt dann von Gewebeabfall spricht, der entsorgt werden muss, ist das eine durchaus verletzende Bemerkung.

Es ist mir bewusst, dass dies ein schwieriges Thema ist. Denn wir Mediziner*innen wollen ja helfen, und zwar konkret, nicht nur mit Händchenhalten. Aber manchmal ist das im übertragenen Sinne begleitende Händchenhalten eine große Hilfe – und mit einer sensiblen Wortwahl können wir viel erreichen. Als Fachleute sollten wir hier besonders aufmerksam kommunizieren, da viele Frauen sonst das Gefühl haben, dass über sie geurteilt wird und ihre Unfähigkeit, ein Kind auszutragen, damit festgeschrieben wäre.

Psychologische Studien zeigen jedoch, dass eine angemessene und respektvolle Begriffswahl für ein schwieriges Thema nur dann Wirkung zeigt, wenn die gesamte Kommunikation darauf abgestimmt ist und nicht nur einzelne Worte ausgetauscht werden. Das bedeutet, dass wir uns als medizinisches Fachpersonal jederzeit darüber bewusst sein sollten, dass es eben nicht um die Entfernung von Gewebeabfall geht, sondern um ein verlorenes Kind, auch wenn es noch winzig klein war. Sein Herz hat seit dem 22. Tag nach der Befruchtung geschlagen, Nieren und Magen sind angelegt, die Sinnesorgane entwickeln sich. Genau so habe ich mir das Kind in meinem Bauch vorgestellt: als Wesen im Werden. Tief in mein Gedächtnis eingegraben hat sich eine Ultraschalluntersuchung, bei der ich plötzlich aus dieser sanften Welt herausgerissen wurde: »Die Fruchtblase ist leer«, teilte man mir sachlich mit.

Dieses Phänomen wird in der Medizin als Windei oder blighted ovum bezeichnet. Übersetzt heißt das verdorbene Eizelle oder faules Ei. Manchmal kettet sich ein einziges vernichtendes Wort an dein Leben und geht nie wieder weg. Wir können Fehlgeburten leider nicht heilen, aber wir können zumindest versuchen, das Gespräch und den Umgang mit diesem schmerzhaften Ereignis zu verbessern.

Ein Begriff, der mir gut gefällt, hat sich in letzter Zeit durchgesetzt: Sternenkind. Ein schönes Wort, das mich an den Glanz des Himmels und die Sternenbilder am Firmament erinnert. Es symbolisiert das Kind, das den Himmel erreicht hat, obwohl es nicht auf der Erde geboren werden konnte. Und doch gehört es zu seinen Eltern und leuchtet dort weiter.

Das darf keiner wissen

»Lass es uns lieber nicht erzählen«, sagte mein Mann Oliver, bevor seine Eltern uns besuchten. Es war meine dritte Schwangerschaft, meine erste mit Oliver, und seit der gestrigen Ultraschalluntersuchung sah es so aus, als würde abermals eine tiefe Schwärze auf mich warten. In meiner neunten Schwangerschaftswoche hatte mein Gynäkologe eine Auffälligkeit entdeckt. »Ich möchte Sie ja nicht beunruhigen, aber das sollten wir abklären.«

Diese Abklärung würde in der nächsten Woche erfolgen. Gut, dass meine Schwiegereltern nichts von meiner guten Hoffnung wussten, da waren Oliver und ich uns einig. Wir wollten sie vor dieser schlimmen Nachricht schützen, denn natürlich wünschten sie sich Enkelkinder. Ich wollte nicht schuld sein, wenn sie keine bekamen. Und ich hatte Angst, dass sie in ihren gut gemeinten Bemühungen, mich aufzumuntern, all diese schlimmen Sätze sagen würden: Das wird schon wieder. Macht euch nicht zu viele Sorgen. Kinder kriegen die Leute seit Urzeiten … Ja, das war alles richtig, aber bei mir hatte es schon mehrfach nicht geklappt … Warum hatte ihr Sohn nur eine solche fehlerhafte Frau geheiratet?