Hilfe, ich liebe einen Dieb! - Carmen von Lindenau - E-Book

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Carmen von Lindenau

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Beschreibung

Die neue Praxis Dr. Norden - So war es nicht geplant, doch Dr. Danny Norden betrachtet es als Chance. Äußere Umstände zwingen ihn zu einem Neustart. Und diesen nimmt Danny tatkräftig in Angriff, auch, wenn er mit Abschied, Trennung, Wehmut verbunden ist. Dr. Danny Norden praktiziert jetzt in seiner neuen, modernen, bestens ausgestatteten Praxis. Mit Kompetenz, Feingefühl und Empathie geht er auf seine Patienten zu und schafft ein Klima, das die Genesung fördert: eben Dr. Danny Norden, wie er leibt und lebt, und er wird immer besser! »Was kann ich für Sie tun, Frau Meier?«, fragte Daniel seine erste Patientin an diesem Morgen. »Ehrlich gesagt, bin ich heut nicht wegen mir hier«, antwortete die rundliche Mittsechzigerin. Bevor sie sich auf einen der beiden Stühle gegenüber von Daniel setzte, strich sie nachdenklich das hellblaue Schürzchen glatt, das sie zu ihrem dunkelblauen Dirndl trug. »Um wen geht es?«, wollte Daniel wissen. »Um Ferdi, meinen Neffen. Es muss endlich etwas geschehen. Die Familie muss Verantwortung übernehmen. Ich hoff, dass Sie uns dabei helfen können.« »Und bei was genau?« »Unser Ferdi ist vermutlich alkoholkrank.« »Wie kommen Sie darauf, Frau Meier?«, fragte Daniel, während er sich das Patientenblatt von Ferdinand Meier ansah. Der KFZ-Meister mit eigener Werkstatt gehörte zu seinen Patienten, war aber seit einigen Monaten nicht mehr bei ihm gewesen. Dass er Probleme mit dem Alkohol hatte, war ihm bei seinem letzten Besuch nicht aufgefallen, zumal auch seine Blutwerte keinen Anlass zur Besorgnis gaben. »Der Ferdi ist in letzter Zeit immer häufiger angetrunken. Selbst neulich, als mein Mann und ich zum Nachmittagskaffee bei ihm und seiner Frau waren, hat er getrunken.« »Wie viel hat er denn getrunken?«

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Die neue Praxis Dr. Norden – 20 –

Hilfe, ich liebe einen Dieb!

... und er ist auch noch Kinderarzt? Der Fall wirft Rätsel auf

Carmen von Lindenau

»Was kann ich für Sie tun, Frau Meier?«, fragte Daniel seine erste Patientin an diesem Morgen.

»Ehrlich gesagt, bin ich heut nicht wegen mir hier«, antwortete die rundliche Mittsechzigerin. Bevor sie sich auf einen der beiden Stühle gegenüber von Daniel setzte, strich sie nachdenklich das hellblaue Schürzchen glatt, das sie zu ihrem dunkelblauen Dirndl trug.

»Um wen geht es?«, wollte Daniel wissen.

»Um Ferdi, meinen Neffen. Es muss endlich etwas geschehen. Die Familie muss Verantwortung übernehmen. Ich hoff, dass Sie uns dabei helfen können.«

»Und bei was genau?«

»Unser Ferdi ist vermutlich alkoholkrank.«

»Wie kommen Sie darauf, Frau Meier?«, fragte Daniel, während er sich das Patientenblatt von Ferdinand Meier ansah.

Der KFZ-Meister mit eigener Werkstatt gehörte zu seinen Patienten, war aber seit einigen Monaten nicht mehr bei ihm gewesen. Dass er Probleme mit dem Alkohol hatte, war ihm bei seinem letzten Besuch nicht aufgefallen, zumal auch seine Blutwerte keinen Anlass zur Besorgnis gaben.

»Der Ferdi ist in letzter Zeit immer häufiger angetrunken. Selbst neulich, als mein Mann und ich zum Nachmittagskaffee bei ihm und seiner Frau waren, hat er getrunken.«

»Wie viel hat er denn getrunken?«

»Das weiß ich nicht. Er hat es nicht in unserem Beisein getan, sondern heimlich. Auf einmal war er ganz daneben und hat trotzdem behauptet, er hätte nichts getrunken. Wenn einer heimlich trinkt, dann ist es mit seinem Alkoholismus schon weit fortgeschritten, habe ich gelesen.«

»Es ist zumindest kein gutes Zeichen.«

»Das sieht seine Frau auch so. Was ihr noch mehr zu schaffen macht als seine Sucht, ist diese Lügerei. Dass er immer wieder schwört, er würde nichts trinken, höchstens mal ein Glas Bier oder ein Glas Wein, aber nicht mehr.«

»Das Leugnen gehört leider oft dazu. Die Betroffenen wollen nicht wahrhaben, was sie sich antun.«

»Aber er kann es nicht länger leugnen. Er hat jetzt sogar seinen Führerschein für ein paar Wochen abgeben müssen, weil die Polizei ihn erwischt hat, als er torkelnd aus seinem Auto stieg. Er hatte zwei Promille Alkohol im Blut.«

»Gut, dass nicht mehr passiert ist.« Ferdinand Meier war ein großer starker Mann Ende vierzig. Mit ein oder zwei Glas Bier konnte er diesen Wert nicht erreichen. Er musste um einiges mehr trinken, als er seiner Familie gegenüber zugab.

»Ja, da hatte er noch einmal Glück gehabt. Aber wer weiß, was das nächste Mal passiert, wenn er sich wieder in diesem Zustand ans Steuer setzt. Seine Frau ist vorübergehend zu ihrer Schwester nach Schwabing gezogen. Erst wenn der Ferdi bereit ist, sich seine Sucht einzugestehen und Hilfe annimmt, wird sie zu ihm zurückkehren.«

»Dann wollen wir hoffen, dass das bald der Fall ist.«

»Vielleicht können Sie ihn dazu bringen, dass er sich Hilfe sucht.«

»Ich werde es versuchen.«

»Vielleicht hat er auch Depressionen und sucht deshalb Trost im Alkohol.«

»Wie kommen Sie darauf, dass er Depressionen hat?«, fragte Daniel. Als Ferdi vor sechs Monaten zu einem Routinecheck das letzte Mal bei ihm gewesen war, hatte er auch keine Anzeichen dieser Krankheit gezeigt.

»Es ist nur so eine Idee. Irgendeinen Grund muss es doch haben, dass er plötzlich so viel trinkt.«

»Was sagt seine Frau dazu?«

»Sie meint, er sei nicht depressiv, sondern alkoholkrank. Ferdi allerdings hält es inzwischen für möglich, dass er depressiv ist«, entgegnete Gusti und ließ ihren Blick durch das Sprechzimmer gleiten. Zuerst über Daniels Schreibtisch, die seitlich am Tisch befestigte Lampe mit dem großen weißen Schirm, hinüber zur Untersuchungsliege mit dem weißen Polster und schließlich schaute sie auf die schöne alte Standuhr in ihrem Gehäuse aus Ahornholz.

»Haben Sie denn Erfahrung mit Depressionen, Frau Meier?«

»Mei, ich selbst hatte glücklicherweise noch nicht damit zu tun, aber ich hab eine gute Freundin, die jahrelang an dieser Krankheit litt. Ich möcht dem Ferdi unbedingt helfen, weil ich nicht möcht, dass er so endet wie meine Freundin.«

»Was ist mit ihr passiert?«

»Sie ist eines Morgens nicht mehr aufgewacht. Sie hatte zu viele Tabletten genommen. Werden Sie den Ferdi auch auf Depressionen hin untersuchen, Herr Doktor?«

»Das werde ich besser meiner Frau überlassen. Sollte Ihr Neffe Anzeichen einer Depression zeigen, werde ich ihn an sie überweisen.«

»Mei, das wär freilich die beste Lösung. Ist sie denn schon wieder in der Praxis?«

»Noch nicht Vollzeit, aber sie nimmt schon wieder Patienten an.«

»Ich bin sicher, Ihrer Frau würd sich der Ferdi anvertrauen. Ich hab ihn auch gleich mitgebracht. Er sitzt im Wartezimmer. Ich hab ihm erzählt, dass ich heut zu einer Routineuntersuchung zu Ihnen geh und konnt ihn überreden, mich zu begleiten. Ich hoff wirklich sehr, Sie können etwas für ihn tun.«

»Wenn er sich helfen lassen will, dann werden wir einen Weg finden.«

»Ich danke Ihnen, Herr Doktor. Ich werd dann gehen. Bitte sagen Sie ihm nicht, dass ich Ihnen bereits von seinen Problemen erzählt hab.«

»Darauf können Sie sich verlassen«, versicherte Daniel ihr. »Ihr Neffe hat Glück, so eine Tante wie Sie zu haben.«

»Mei, seine Eltern leben nicht mehr, und ich möcht ihm ein bissel einen Halt geben.«

»Genau das tun Sie gerade, Frau Meier.«

»Es wär schön, wenn er wieder zu sich finden würd«, seufzte Gusti.

»Er ist hier, das ist ein guter erster Schritt«, sagte Daniel und hielt Gusti die Tür auf.

Gusti Meier gehörte zu seinen Patientinnen der ersten Stunde. Sie kannte fast jeden in der Nachbarschaft, und wenn es etwas Neues gab, dann wusste sie es. Manche hielten ihr vor, dass sie nichts für sich behalten konnte, aber ganz so war es nicht. Gusti wusste, wann es besser war, zu schweigen, das hatte sie schon bewiesen.

Aber auch Ferdi kannte seine Tante, besser als sie vielleicht glaubte. Er wusste, dass es an diesem Vormittag nicht um sie ging, sondern, dass sie nur einen Vorwand gesucht hatte, um ihn dazu zu bewegen, mit seinem Arzt über seine Probleme zu sprechen.

»Ich gehe davon aus, dass Tante Gusti Ihnen bereits geschildert hat, wie es im Moment um mich steht«, sagte er, nachdem Daniel ihn begrüßt hatte.

»Bitte, nehmen Sie erst einmal Platz, Herr Meier«, bat Daniel Gustis Neffen.

Ferdi ging es nicht gut, das sah er auf den ersten Blick. Er sah müde aus, hatte dunkle Augenringe und hatte auch einige Kilos abgenommen, wie er an der zu weiten Jeans und dem ebenfalls zu weiten T-Shirt erkennen konnte.

»Was auch immer meine Tante Ihnen erzählt hat, ich bin kein Alkoholiker. Ich trinke vielleicht mal ein Glas Bier oder ein Glas Wein, das ist alles.«

»Warum sind Sie dem Rat Ihrer Tante gefolgt und zu mir gekommen?«, fragte Daniel und überließ es seinem Patienten, was er ihm anvertrauen wollte.

»Meine Frau und ich haben im Moment kein gutes Verhältnis. Auch sie glaubt, dass ich zu viel trinke und mich deshalb oft schlecht benehme. Aber noch mehr als das, belastet diese dunkle Stimmung, die mich ständig überfällt, unsere Ehe. Ich will meine Frau nicht verlieren, Herr Doktor, deshalb bin ich hier.«

»Sie sind bereit, etwas dafür zu tun, dass es nicht passiert. Das ist ein guter Anfang. Ich schlage vor, erst einmal ein großes Blutbild zu machen und Sie gründlich zu untersuchen. Manchmal ist die Depression die Folge eines Serotoninmangels oder eines anderen Botenstoffes, den unser Gehirn braucht, um seine vielfältigen Aufgaben zu erfüllen.«

»Das bedeutet, wenn mir so ein Stoff fehlt, bekomme ich Tabletten, und dann geht es mir besser?«

»Nicht von einem auf den anderen Tag, aber mit der Zeit auf jeden Fall. Zumal Sie auch über Ihre Ernährung einiges dafür tun können, sich besser zu fühlen. Um mögliche psychische Probleme aufzudecken, sollten Sie sich aber auf jeden Fall einen Termin zur psychologischen Beratung besorgen.«

»Das kostet Überwindung. Die Leute verzeihen es, wenn man hin und wieder einen über den Durst trinkt, aber psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, das hat etwas von Schwäche. Es heißt dann schnell, man sei nicht mehr belastbar und auch nicht mehr vertrauenswürdig. Einige meiner Kunden würden sich nach einer anderen Werkstatt umsehen, da bin ich absolut sicher.«

»Inzwischen ist es kein Makel mehr, sich psychologische Hilfe zu suchen.«

»Das mag für die höhergestellten Kreise zutreffen. Da gehört es vielleicht sogar schon dazu, seine Probleme außer Haus zu besprechen. Was meinen Bekanntenkreis betrifft, da gilt derjenige, der eine derartige Hilfe sucht, als Schwächling, der sich gehen lässt und sich nur einredet, krank zu sein.«

»Sehen Sie das auch so?«

»Nein, inzwischen nicht mehr«, gab Ferdi mit leiser Stimme zu. »Könnte ich denn zu Ihrer Frau gehen? Oder ist sie noch nicht wieder in der Praxis?«

»Sie nimmt schon wieder Patienten an. Rufen Sie sie einfach über ihre Praxisnummer an, das Gespräch wird dann zu ihr weitergeleitet.«

»Dann mache ich das. Wann soll ich zum Blutabnehmen kommen? Oder könnten wir das jetzt gleich machen? Ich habe heute noch nichts zu mir genommen.«

»Dann ist es kein Problem. Vorher möchte ich aber gern noch Ihren Blutdruck überprüfen und Herz und Lunge abhören. Nehmen Sie bitte dort auf der Liege Platz«, bat Daniel seinen Patienten. Danach rief er Lydia über das Haustelefon an und kündigte ihr Ferdinand Meier zur Blutentnahme und zu einem Belastungs-EKG an.

»Ich hoffe, Sie glauben mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich mit Alkohol sehr zurückhaltend bin«, betonte Ferdi erneut, als Daniel zu ihm kam.

»Manchmal entspricht die eigene Einschätzung nicht der Wirklichkeit, was aber nicht heißt, dass ich das auch Ihnen unterstelle.«

»Ich weiß, dass Sie das nicht tun, und natürlich weiß ich, dass die Leute sich in dieser Sache gern etwas vormachen.«

»Das ist leider so.«

»Aber ich mache mir nichts vor. Ich weiß wirklich, was ich zu mir nehme.«

»Soweit ist erst einmal alles in Ordnung«, sagte Daniel, nachdem er Ferdis Untersuchung abgeschlossen hatte. Er wollte zunächst nicht weiter auf seine Beteuerungen eingehen, kaum Alkohol zu konsumieren, und ließ Ferdis Behauptungen unkommentiert im Raum stehen.

Auch Ferdi beließ es dabei. Er bedankte sich für die Untersuchung und verabschiedete sich von Daniel. »Dann gehe ich jetzt zum Blutabnehmen. Wann kann ich wegen des Ergebnisses anrufen?«, fragte er, als Daniel ihm die Tür des Sprechzimmers aufhielt.

»Morgen Vormittag.«

»Dann bis morgen. Auf Wiedersehen, Herr Doktor. Sie wartet auf mich. Sie will sicher sein, dass ich auch tatsächlich bei Ihnen war«, flüsterte er, als er Gusti am Empfangstresen stehen sah.

»Sie sorgt sich um Sie.«

»Ja, ich weiß, und eigentlich ist das auch etwas Gutes«, stimmte Ferdi Daniel zu und machte sich auf den Weg zum Labor, vor dem Lydia bereits auf ihn wartete.

Daniel hoffte, dass Ferdi auch wirklich den Mut aufbrachte, Olivia um einen Termin zu bitten. Wenn es ihm gelang, seine seelischen Probleme in den Griff zu bekommen, dann würde er seinen vielleicht doch zu hohen Alkoholkonsum schnell wieder einschränken können.

Nachdem Ferdi gegangen war, eilte Daniel zurück zu seinem Schreibtisch, um auf dem Computermonitor nachzusehen, wer als nächster an der Reihe war. Er hatte es an diesem Vormittag ein bisschen eilig, da er Olivia versprochen hatte, sie und die Zwillinge zum Kinderarzt zu begleiten. Olivia hatte den Termin auf zwölf Uhr gelegt, weil sie hoffte, dass er dann Zeit haben würde. Es war die zweite Vorsorgeuntersuchung der Zwillinge beim Kinderarzt, und Olivia wollte, dass er Patrick Arning, ihren Kinderarzt, kennenlernte.

*

Dank Lydias und Sophias umsichtiger Planung konnte Daniel um halb zwölf die Praxis verlassen. Als er in die Wohnung hinüberkam, wartete Olivia schon auf ihn. In dem leichten gelben Sommerkleid, das sie trug, sah sie beinahe schon wieder ebenso schlank aus wie vor ihrer Schwangerschaft. Oda und Vincent lagen in ihrem Kinderwagen, der in der Diele stand. Bis zur Praxis Arning waren es nur fünf Minuten zu Fuß. Olivia hatte beschlossen, den Termin beim Kinderarzt für einen Spaziergang zu nutzen.

»Hallo, ihr beiden, ich habe euch vermisst«, begrüßte Daniel seine Kinder und betrachtete sie mit einem liebevollen Blick. Olivia hatte beiden weiße Strampelhosen und rote Hemdchen angezogen. Nur die Mützen waren unterschiedlich. Oda trug ein rotes Strickmützchen und Vincent ein weißes.

»Sie freuen sich, dich zu sehen. Siehst du, wie sie lächeln«, sagte Olivia und lehnte ihren Kopf an Daniels Schulter.

»Bist du sicher, dass sie unsere Gesichter bereits unterscheiden können?«

»Ich denke, das können sie. Wie detailgetreu, weiß ich nicht. So genau kann das wohl niemand beurteilen. Aber es gibt ja auch noch unsere Stimmen und unsere individuellen Bewegungen, die ihnen helfen, uns zu erkennen. Na also, sie geben mir recht«, sagte Olivia, als die Zwillinge ihre zu Fäusten geballten kleinen Händchen bewegten und glucksende Laute von sich gaben. Ein Zeichen dafür, dass sie sich wohlfühlten.

»Alles klar«, entgegnete Daniel lachend. »Ich bin gleich bei euch«, sagte er und ging hinauf in den ersten Stock, um sich frisch zu machen und umzuziehen.

Wenig später kam er in schwarzer Jeans und weißem Poloshirt wieder die Treppe herunter. »Was ist mit Madeleine, hat sie einen Schlüssel, falls sie vor uns hier ist?«, fragte Daniel.

»Sie wird nicht vor halb eins eintreffen, bis dahin ist Ophelia aus der Schule zurück«, versicherte Olivia ihm. Madeleine, ihre Gynäkologin und beste Freundin, hatte sich für ein paar Tage bei ihnen einquartiert, weil sie an einem Fortbildungsseminar in der Uniklinik München teilnahm. »Also dann, gehen wir«, sagte Olivia und hielt Daniel die Tür auf, damit er den Kinderwagen nach draußen schieben konnte.

*

Patrick Arning hatte seine Praxis erst vor Kurzem eröffnet. Gemeinsam mit seiner Schwester Doreen hatte er eine alte Villa in der Nähe der Praxis Norden gekauft. Im Erdgeschoss befanden sich die Praxisräume und Doreens Yogastudio, im ersten Stock war seine Wohnung, und im Dachgeschoss hatte Doreen sich eingerichtet.

Das Haus mit der sandfarbenen Fassade war Anfang des letzten Jahrhunderts erbaut worden. Eine weite Steintreppe mit fünf Stufen führte zu der von Säulen flankierten Eingangstür aus schwerem Mahagoniholz. Für die Kinderwagen gab es einen überdachten Abstellplatz in dem von einer dichten Buchsbaumhecke eingefassten Vorgarten.

Daniel stellte den Wagen dort ab und nahm Oda behutsam auf seine Arme, während Olivia sich um Vincent kümmerte.

»Hallo, Olivia, hallo, Doktor Norden!«, rief Doreen, die aus dem Haus kam, als sie die Stufen zum Eingang hinaufgingen. »Alles in Ordnung mit den Zwillingen?«, fragte sie und blickte zuerst auf Vincent und danach auf Oda.

»Wir kommen zur Vorsorge«, sagte Olivia. Sie hatte schon an einigen Yogakursen teilgenommen, die Doreen anbot. Sie kannte die hübsche junge Frau mit den kurzen blonden Haaren inzwischen recht gut und war schon seit längerem mit ihr befreundet.