Hochglanzweiber - Hera Lind - E-Book

Hochglanzweiber E-Book

Hera Lind

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Beschreibung

Wilma von der Senne schreibt für das Hochglanzmagazin "Elite". Zusammen mit Nicole Nassa vom Schmuddelblatt "Neuer Tratsch" hat sie ein hochkarätiges Opfer gefunden: Die ach so biedere Familienministerin Vera Braun wurde bei einem Schäferstündchen mit einem amerikanischen Beau gesichtet, der so gar nicht ihrem Gatten gleicht. Und das sechs Wochen vor der Hessenwahl! Ein gefundenes Fressen für Wilma, die Grande Dame der deutschen Presse. Veras Absturz ist vorprogrammiert ... Doch nach einem Verkehrsunfall gerät Wilma selbst in die Mühlen der Medien: Man stellt sie als fahrlässige Kindsmörderin und karrieregeile Rabenmutter hin, woraufhin ihr Chef sich sofort von ihr distanziert. Und als dann auch noch ihr Mann mit den beiden Töchtern verschwindet, steht Wilma plötzlich ganz alleine da … Ein messerscharfer, höchst vergnüglicher Roman, mit dem die schlagzeilenerfahrene Bestsellerautorin die deutsche Medienlandschaft gehörig auf die Schippe nimmt.

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Seitenzahl: 590

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Hera Lind

Hochglanzweiber

Roman

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Wilma von der Senne schreibt für das Hochglanzmagazin "Elite". Zusammen mit Nicole Nassa vom Schmuddelblatt "Neuer Tratsch" hat sie ein hochkarätiges Opfer gefunden: Die ach so biedere Familienministerin Vera Braun wurde bei einem Schäferstündchen mit einem amerikanischen Beau gesichtet, der so gar nicht ihrem Gatten gleicht. Und das sechs Wochen vor der Hessenwahl! Ein gefundenes Fressen für Wilma, die Grande Dame der deutschen Presse. Veras Absturz ist vorprogrammiert ... Doch nach einem Verkehrsunfall gerät Wilma selbst in die Mühlen der Medien: Man stellt sie als fahrlässige Kindsmörderin und karrieregeile Rabenmutter hin, woraufhin ihr Chef sich sofort von ihr distanziert. Und als dann auch noch ihr Mann mit den beiden Töchtern verschwindet, steht Wilma plötzlich ganz alleine da … Ein messerscharfer, höchst vergnüglicher Roman, mit dem die schlagzeilenerfahrene Bestsellerautorin die deutsche Medienlandschaft gehörig auf die Schippe nimmt.

Inhaltsübersicht

Hauptteil

Nebenan können Sie auch einchecken, gnädige Frau.«

Der blonde Bodensteward fischte Wilma aus der Warteschlange und ging voraus. »Hier geht es schneller, da brauchen Sie nicht zu warten.« Er wies ihr den Weg in die First-Class-Abfertigungshalle und ließ sie vorangehen.

»Sie haben die Senator-Card, nehme ich an?«

»Natürlich.« Wilma kramte in ihrer Handtasche herum. »Hier. Bitte.«

Sie legte dem Steward ihre goldene Vielfliegerkarte aufs Pult und betrachtete dabei zufrieden ihre dezent lackierten Fingernägel, die farblich haargenau zu ihrem cremefarbenen Kostüm passten. Auch der Steward warf einen etwas zu langen Blick darauf.

»Sie müssen sich um Ihr Gepäck nicht mehr kümmern, Frau von der Senne. Bitte nehmen Sie so lange Platz.«

Aha, dachte Wilma. Der kennt mich. Sie lächelte geschmeichelt, während sie sich auf einen dunkelroten Ledersessel fallen ließ. First-Class-Einchecken war einfach der Hit. Hinter dem Glaspavillon warteten weiterhin geduldig Dutzende von Passagieren in der »Economy«-Schlange. Und selbst bei »Business« war es gedroschen voll. Klar. Freitagnachmittag am Münchner Flughafen.

»Auch ein Elite-Leser, Herr …?« Wilma bemühte sich, das Namensschild auf der Uniform des jungen Mannes zu entziffern. »… Bartenbach?«

»Wer liest nicht die Elite, Frau von der Senne? Ich freue mich jede Woche auf Ihre Gesellschaftskolumne. Was Sie aber auch für Stars treffen …« Herr Bartenbach grinste Wilma freudig an, während er die »Priority« -Aufkleber am Koffer anbrachte.

»In der letzten Ausgabe war doch Ihr Bericht über die Oscar-Verleihung. Toll, Ihr Interview mit Julia Roberts. Und wie Sie ihr Kleid beschrieben haben! Ich habe wirklich jedes Wort verschlungen!«

Klar, dachte Wilma, du bist ja auch vom anderen Ufer. Diese Männer waren fast alle begeisterte Elite-Leser.

»Ja, es ist schon ein schöner Job«, antwortete Wilma herablassend.

Herr Bartenbach fertigte Wilma mehr als zuvorkommend ab.

»Ich buche Sie in der ersten Reihe ein, Frau von der Senne. Die beiden Plätze neben Ihnen lasse ich frei. Dann können Sie in Ruhe arbeiten.«

»Danke, Herr Bartenbach.« Wilma erhob sich, legte einen Hundertmarkschein auf den Desk und nahm ihre Bordkarte an sich. Sie lächelte den Steward noch einmal gönnerhaft an und begab sich dann durch die Sicherheitskontrolle. Auch hier musste sie nicht warten. »First Class bitte hier entlang.«

Wilma genoss es wahnsinnig, ein »VIP« zu sein. Sie schob sich durch die Kontroll-Lichtschranke.

»Ihren Mantel bitte!« Die pickelige Maid am Handgepäckband schien Wilma nicht zu kennen.

Die kann sich Elite nicht leisten, dachte Wilma, während sie ihren Pelzmantel ablegte. Die Pickelige grabschte danach und stopfte ihn in eine Plastikwanne.

Der teure Nerz fuhr durch das Röntgengerät.

»Die Tasche!«

Die liest vermutlich nur diese Schmutzblättchen, die beim Friseur und beim Zahnarzt rumliegen, dachte Wilma. Heim und Herd, Meine Vorbilder und ich, Neuer Tratsch.

»Noch was in den Taschen? Lippenstift, Kleingeld, Handy?«

Wilma kramte in den Jackentaschen ihres Kostüms herum. Sie legte ein kleines silbernes Nokia und einen Chanel-Lippenstift ins Körbchen.

Herablassend lächelte sie die Pickelige an.

»Sie haben Lippenstift auf den Zähnen«, sagte die Pickelige.

Wilma zuckte zusammen. Verdammt. Was erlaubte sich dieser minderbemittelte Trampel?

Verärgert klaubte sie ihren Nerz und ihre Louis-Vuitton-Handtasche vom Fließband und rauschte davon.

»Das war die von der Senne!«, raunte ihre Kollegin.

»Na und? Muss man die kennen?«

»Die Klatschkolumnistin aus der Elite! Und weißt du, wohin die fliegt?«

»Keine Ahnung. Interessiert mich auch nicht.«

»Nach Florida! Zu Barbara Becker!«

»Ach nee. Was du nicht sagst. Und woher willst du das wissen?«

»Ich hab sie gestern Abend in einer Talkshow gesehen, im Dritten. Da ging es um Klatsch und Tratsch in der deutschen Presse. Die von der Senne hat gesagt, sie ist die Einzige, die mit Barbara Becker sprechen darf. Sie ist nämlich mit ihr befreundet! Ihr vertraut die Barbara Becker. Aber nur ihr. Und sie wird ihr die wahren Trennungsgründe von Boris verraten. Frau von der Senne wird dann ganz einfühlsam einen Artikel darüber schreiben. Hat sie gestern Abend gesagt. Sie hat so viel Verantwortung und das nutzt sie niemals aus.«

»Arrogante Ziege«, murmelte die Pickelige, während sie die nächste Aktentasche auf das Band knallte.

In der Senator-Lounge war es angenehm still. Nur bei genauem Hinhören konnte man feststellen, dass im Hintergrund leise klassische Musik spielte. Auf großzügigen Ledersitzgruppen saßen nur vereinzelt einige Herren, die in ihre Arbeit vertieft waren.

Auf zwei Fernsehbildschirmen tummelten sich Gestalten, die niemand wahrnahm. Der Ton war zum Glück ausgeschaltet. Wilma legte ihren Nerz und ihre Computertasche auf eine freie Ledersitzgarnitur und ging an schönen Zierpflanzen vorbei in Richtung Knabbertheke. Dort nahm sie sich einen Mokka vom Büfett und legte ein paar feine Gebäckstücke dazu.

Das war Wilmas einzige Schwäche. Sie konnte einfach nicht an diesen ganzen Köstlichkeiten vorbei! Ihr Übergewicht war eine lästige, aber unvermeidliche Berufskrankheit.

Fünfmal in der Woche mindestens hatte sie irgendeine Einladung! Bälle, Galas, Benefizveranstaltungen, Empfänge. Da musste sie hin! Das war ihr Arbeitsplatz! Wer konnte da auf Dauer schlank bleiben!

Wilma lauschte. Poulenc, Flötensonate, zweiter Satz. Sie liebte dieses Motiv. Zufrieden lächelte sie vor sich hin. Was für ein Leben! Sie schwebte eigentlich ständig auf den Schaumkronen der Wellen, die andere Leute schlugen. Immer, wenn bei einem Prominenten etwas los war, war Wilma sofort zur Stelle. Also Feiern, Geburten, Hochzeiten, Beerdigungen, Trennungen, Taufen, Preisverleihungen, Ehrungen. Filmpremieren, Buchpräsentationen, Modenschauen, Vernissagen, Konzerte, Opernpremieren.

Das, worauf andere Menschen sich wochenlang freuten – abgesehen von Beerdigungen vielleicht –, das hatte Wilma jeden Tag. Überall auf der Welt. Von einem Höhepunkt zum andern. Aber diese Stellung hatte sie sich auch hart erarbeitet. Knochenhart.

Von den Geschäftsmännern hier im Raum hörte natürlich niemand das schöne Poulenc-Konzert an. Die feisten Kerle in ihren Maßgeschneiderten blätterten entweder in der Zeitung herum oder sie hackten in ihren Computer.

Wilma knabberte an einem Blätterteigplätzchen mit Feigenkonfitüre. Hm, köstlich.

Sie tat sich mit der Silberzange zwei Stückchen braunen Zucker in ihren Mokka. Gedankenverloren rührte sie in ihrem Tässchen.

Klar, es gab natürlich unter den Kolleginnen ein paar Superdürre. Die Sandra Fleischmann zum Beispiel, die für das Konkurrenzblatt Pralles Leben schrieb. Die war auch von keiner Party wegzudenken. Eine unverschämt dünne Person, mit einer Stimme wie ein Mann. Vermutlich war sie eine Transe und deshalb arbeiteten ihre Hormone ganz anders. Die konnte fressen, was sie wollte. Und saufen wie ein Loch. Setzte bei ihr einfach nicht an. Oder auch die stets unecht lächelnde Fernsehreporterin Ariane Wassermann mit den künstlich verlängerten Haaren. Die war auch gertenschlank. Bestimmt nahm sie Entwässerungspillen. Oder diese Grässliche von dem Billigblättchen Neuer Tratsch, Nicole Nassa. Die zwängte ihren Hintern immer in Leopardenmusterjeans oder ganz enge Lederhosen. Na ja, sollten sie doch alle.

Wilma ließ sich in einen Ledersessel fallen. Sie schlug ihre Beine übereinander.

Nicht, dass sie wirklich dick war. Unansehnlich gar, wie dieser Trampel an der Handgepäckkontrolle. Nein, sie war einfach nur vollschlank. Im besten Sinne. Sie trug selbstbewusst Größe 44. Bei einer Körpergröße von ein Meter fünfundsechzig waren das natürlich keine Modelmaße. Aber sie definierte sich über andere Qualitäten. Außerdem gab es in München einige feine verschwiegene Boutiquen für Übergrößen. Sie fühlte sich bestens beraten und stets gut gekleidet. Wilma konnte sich auf jeder Veranstaltung sehen lassen. Ob es nun die Aids-Gala in München war, der Unicef-Ball in Düsseldorf, der Bundespresseball in Bonn oder die Bambi-Verleihung in Berlin.

Wilma von der Senne gehörte zum Urgestein der deutschen Boulevardpresse. Seit zwanzig Jahren arbeitete sie in dem Job. Früher als Volontärin beim Schmuddelblatt Neuer Tratsch, und jetzt als Chefredakteurin des Hochglanzmagazins Elite.

Sie selbst bestimmte, wer ins Blatt kam und wer nicht. Von ihrer Handbewegung hing es ab, wer hochgejubelt und wer verrissen wurde.

Die meisten deutschen Schauspieler drängten sich danach, von Wilma interviewt zu werden. Fast alle leckten ihr die Füße. Wilma hier und Wilma da. Küsschen, Küsschen. Täglich bekam Wilma Anrufe und Mails, Faxe und Briefe von den Promis, die mal wieder in der Zeitung stehen wollten. Manche biederten sich geradezu an, suchten unter fadenscheinigen Gründen irgendeinen Aufhänger. Täuschten Trennungen vor oder Schwangerschaften, outeten sich selbst als schwul oder lesbisch, packten traumatische Kindheitserlebnisse aus oder behaupteten, knapp einem Erdbeben entronnen zu sein. Für diese Anschleimer hatte Wilma nichts als Verachtung übrig. Diese Möchtegernpromis sollten doch mit ihren Geschichten zu den Billigblättern gehen. Elite war sich für diese Exhibitionisten zu schade.

Es gab natürlich auch ein paar Prominente, die rumzickten. »Keine Interviews.« – »Kein Kommentar.« – »Wir sind privat hier.« Wenn ihr solche Problemfälle unterkamen, dann erwachte Wilmas Jagdinstinkt. Dann konnte sie hartnäckig sein wie kein zweiter unter ihren Kollegen. Das war ihre große Stärke. Und deshalb hatte sie ja auch diesen einzigartigen, wundervollen Job. Schüchternheit war hier nicht angesagt. Nur wer wagte, konnte in dieser Branche gewinnen.

Wilma stellte ihre Mokkatasse ab und klaubte ihren kleinen goldenen Spiegel aus der Handtasche. Sie fletschte die Zähne. Tatsächlich. Der rechte vordere Schneidezahn war rot.

Verdammt. Wie peinlich. Gut, dass ihr das nicht bei einer wichtigen Person passiert war. Bei Barbara Becker womöglich, oder bei Franz Beckenbauer. Der hatte ihr kürzlich erst die wahren Hintergründe seiner Affäre mit der Sekretärin erläutert. Oder bei Caroline von Monaco, letzte Woche, im italienischen Feinschmeckertempel in London. Oder gar vor der Kamera. Gestern, in der Talkshow über »Klatsch und Tratsch auf Hochglanz«.

Sie fuhr mit der Zunge über den Zahn.O.k. Alles wieder perfekt. Automatisch griff sie nach dem Magazin, das neben ihrem Ledersofa auf dem gläsernen Beistelltischchen lag. Es war die Sie.

Die großen Auftritte der Stars, las sie gelangweilt. Luxusklasse-Partys des Jahrtausends. Sie feuchtete ihren rechten Zeigefinger an und blätterte. Schrecklich viel Rosa. Alle Fotos mit einem Rotstich. Grauenvoll. Wer hatte denn das verbrochen? Erwin Meister mal wieder. Der kleine dicke Fotograf, dem immer mindestens sieben Kameras vor dem Bauch baumelten.

Schrecklich. Konnte der sich denn nicht anders profilieren? Wieso sahen alle Promis so scheußlich aus? Und die Kommentare! So flach, so peinlich!

Wilma nahm sich den nächsten Keks.

Die Besten unter sich, las sie ärgerlich. Die Preisverleihungen der Filmfestspiele in Cannes … Wer hatte denn das geschrieben? Jochen Behrend. Typisch. Dieses Gesülz! Kam im Lässig-Look mit Bart und bodenlangem Frack: Regisseur Hartmut Feuchtle. Heiratete im Sommer ganz heimlich seine langjährige Lebensgefährtin: Martin Wenderock mit Jutta Puhl.

Das war doch so nichts sagend! Konnte dieser Behrend denn nicht einmal etwas Aussagekräftiges schreiben?

Wilma hätte gekonnt ein Gerücht in die Welt gesetzt! Ist da nicht was Kleines unterwegs?, hätte sie getextet. Jutta Puhl trank nur Mineralwasser. Martin Wenderock dagegen wirkte aufgeregt wie nie zuvor. So nervös können nur werdende Väter sein … Und schon hätte Wilma wieder in ein Wespennest gestochen. Wenderock und Puhl hätten dementiert, der nächste Zweiseiter wäre sicher gewesen. Und was tat Behrend, dieses Weichei? Nichts! Er ließ jede Chance auf ein bisschen Tratsch verstreichen.

Hier, zum Beispiel. Dieses unsägliche Tigerkleid am Leib der italienischen Schauspielerin. Waren auch da: Julietta Romanotte und ihr Gatte, der Dirigent Flavio Brollini. Das konnte man doch nicht unkommentiert im Raum stehen lassen!

Waren auch da! Das war ja Schüleraufsatzniveau! Wieso hatte Behrend immer noch diesen Job? Wenn es nach Wilma ginge, säße der Kerl längst auf dem Sozialamt!

Aus diesem Foto konnte man doch etwas machen!

Geschmacklos bis zum Gehtnichtmehr, hätte Wilma geschrieben. Peinlich, dieses Raubtiermuster. Frau Romanotte, wer berät Sie in Modefragen? Oder: Wollte Frau Romanotte ihre Bulimie vertuschen? Mit einem unruhigen, viel zu großen Raubtiermuster versuchte sie, ihre hervorstehenden Knochen zu verdecken und von ihrem eigentlichen Problem, ihrer lebensgefährlichen Magersucht, abzulenken. – Wilma blätterte weiter. Wieder nichts als nichts sagende Fotos in rosastichig (Mensch, Erwin!!) mit langweiligen Kommentaren. Amüsierte sich mit Freundin: Hamlet-Star Esau Wilkes. Ja und? Kein Schwein kannte Esau Wilkes! Und schon gar nicht dessen Freundin! Entweder hätte Wilma dieses Foto schlicht aus dem Blatt genommen oder sie hätte es so gepfeffert kommentiert, dass …

Oh! Wer war das denn? Heilige-Hildegard-Darstellerin Maja Büchs? Wilma ließ die Sie sinken.

Da stand Maja im weißen Felljäckchen leibhaftig am Eingang der Senator-Lounge, gefolgt von einem gut aussehenden Jüngelchen. Wenn das kein gefundenes Fressen war! Wilma verschanzte sich hinter ihrem Frauenmagazin. Neugierig spähte sie über den nichts sagenden Esau. Dies hier war ja viel interessanter! Noch hatte Maja sie nicht gesehen. Blitzschnell überlegte Wilma. Sollte sie Maja ansprechen? Hallo Maja, süße Maus, lange nicht gesehen, phantastisch siehst du aus, Küsschen links, Küsschen rechts. Lass dich mal drücken, du tolles Mädel. Ach, du bist in Begleitung? Stell mir deinen Freund doch mal vor. Oder ist das etwa schon dein Sohn?

Wie hieß er gleich? Emil? Damals war er dreizehn. Nein, das kam nicht hin. Also: Jugendlicher Lover! Wilma gratulierte sich selber zu dieser einmaligen Chance. Ein Gratisinterview! Einfach überrumpeln! Das war die beste Taktik. Andererseits – es könnte sein, dachte Wilma, dass Maja sich an unser letztes Interview erinnert. Und dann kratzt sie mir die Augen aus.

Lauernd beobachtete Wilma, wie Maja in ihren engen Jeans zum Büfett stöckelte. Sie sah phantastisch aus. Schlank und rank, zum Neidischwerden. Diese Beine! Und die blonden, seidigen Haare waren lang geworden! Warum wurden andere Frauen immer schöner und sie, Wilma, immer älter und dicker?

Das Jüngelchen trug das Handgepäck. Hübsches Kerlchen. Vermutlich fünfzehn Jahre jünger als Maja. Maja führte sich mit einem Zahnstocher eine Olive aus dem Martiniglas zum Mund.

Wilma überlegte. Das letzte Interview mit Maja lag fünf Jahre zurück. Damals hatte Maja ihren langjährigen Lebensgefährten Utz Pöcking verlassen. Der damals dreizehnjährige Sohn Emil war in ein Internat gekommen. Sie, Wilma, war nicht gerade zimperlich mit Maja umgegangen.

Für ihre Karriere verlässt die eigenwillige Schauspielerin eiskalt Mann und Kind, hatte sie geschrieben. Emil braucht noch so viel Mutterliebe. Aber Maja ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die Rolle der Edelhure Mitsuleit ist ihr auf den Leib geschrieben. Maja liebt Pomp und Luxus, sie liebt die Männer und am meisten liebt sie … sich selbst. Das war noch für das Schmutzblatt Neuer Tratsch gewesen. Da schrieb man in dieser Tonart.

Wilma hatte zu ihrem Text einige Fotos ausgewählt, auf denen Emil höchstens vier oder fünf Jahre alt gewesen war. Die Bilder, auf denen der Kleine heulte, waren besonders wirkungsvoll. Wen interessierte es, dass Emil zum Zeitpunkt der Trennung bereits dreizehn war? Die Bilder von einem weinenden Fünfjährigen kamen einfach viel besser an!

In Wilmas Kopf arbeitete es fieberhaft. Maja musste sie hassen! Maja würde ihr jetzt wahrscheinlich mit dem Zahnstocher die Augen ausstechen! Aber andererseits waren Jahre vergangen. Wilma spähte über ihren Zeitschriftenrand und versuchte, Majas Gesicht zu ergründen. Maja hatte sich hinter ihrer Sonnenbrille verschanzt. Ob sie sich an jenen Nachmittag am Starnberger See erinnerte …?

 

Punkt halb vier klingelte es an der Gartentür. Maja wischte sich die Hände an der Küchenschürze ab. Der Nusskuchen duftete im Ofen.

»Pünktlich auf die Sekunde.« Maja warf noch einen Blick auf den Kaffeetisch. Sie hatte sich beim Tischdecken unendliche Mühe gegeben, auch wenn das nicht ihre große Stärke war.

»Gib’s der Alten!«, rief Utz durchs Treppenhaus. »Aber kein Wort über die Sache mit Conni!«

»Kommst du später dazu?«, fragte Maja bange.

»Mal schauen!« Utz warf die Arbeitszimmertür hinter sich zu. Das Interview war Majas, nicht seines. Er hatte zu lernen. Und außerdem traf er nachher Conni Zolpe, das blonde Gift. Da wollte er sich vorher nicht verausgaben. Conni war eine kleine Statistin, recht drall, aber willig. Im Gegensatz zu Maja war sie geradezu eine Bombe im Bett.

Maja warf noch einen prüfenden Blick in den Spiegel. Enge Jeans, weiße Turnschuhe, rosa T-Shirt, kein BH darunter. Blonde Locken, schulterlang. Hoffentlich war das nicht zu aufreizend. Aber andererseits: Sie war nun mal jung und knackig. Warum sollte sie das vertuschen?

Sie atmete tief durch und öffnete die Tür.

Auf dem Gartenweg neben dem Rennrad von Emil stand eine mittelgroße, mollige Frau in einem grauen Leinenkleid. Ihre mittellangen, aschblond gesträhnten Haare trug sie modisch, aber unauffällig. Sie sah eigentlich harmlos aus. Ein violetter Seidenschal fiel lässig über ihren ausladenden Busen. Sie hatte einen reizenden Frühlingsblumenstrauß in der Hand.

»Bin ich zu früh?«, fragte die nette harmlose Frau, die aussah, als sei sie eine Nachbarin, die mal eben zum Kaffee vorbeischaute.

»Aber nein«, sagte Maja so freundlich wie möglich. »Wir haben halb vier vereinbart und es ist Punkt halb vier.«

»Ich freue mich so wahnsinnig, Sie kennen zu lernen«, sagte die Nette liebenswürdig. »Ich bin Wilma von der Senne. Darf ich Ihnen erst mal dieses kleine Sträußchen überreichen? Als Gruß aus der Redaktion. Unser Chefredakteur wäre schrecklich gern mitgekommen, aber er hat gerade diese lästige Sache mit der belgischen Königstochter zu bearbeiten, Sie wissen schon, die Kleine mit dem Bulimieproblem … im Königshaus spricht man nur mit dem Chef persönlich, wissen Sie.«

»Danke«, sagte Maja. »Bitte kommen Sie herein.«

Die mollige Liebe streifte sich etwas zu gründlich die Füße ab und trat staunend ein.

»Bezaubernd haben Sie es hier«, sagte Wilma von der Senne zuckersüß. Sie sah sich neugierig in dem kleinen Einfamilienhaus um. »Und wie geschmackvoll Sie sich eingerichtet haben!« In Wirklichkeit dachte sie, was für eine grauenvolle Bude.

»Es ist mehr praktisch als stilvoll«, sagte Maja bescheiden. »Ich verstehe von Dekoration und solchen Dingen nichts. Aber es ist kindgerecht. Emil ist ein wilder Bursche.«

»Aber dafür sind Sie so ein großartiges Schauspieltalent! Ich habe mir die »Drei Schwestern« viermal angesehen und ich muss ehrlich sagen, neben Viola Knab und Betty Laubenheim gefallen Sie mir am besten.« Wilma schälte sich aus ihrem Mantel und legte ihn über das Treppengeländer, weil an der Garderobe kein Platz mehr war.

»Danke.« Maja hielt ratlos das Sträußlein in den Händen. Diese Reporterin war aber wirklich sehr sympathisch. »Bitte setzen Sie sich, ich versorge nur gerade die Blumen …«

»Lassen Sie sich Zeit!« Wilma sah sich suchend um. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich mich schrecklich gern noch ein bisschen umsehen.«

»Tja …« Maja strich sich nervös die Hände an den Jeansbeinen ab. »Ich hatte eigentlich gedacht, wir machen das Interview … hier, also am Esszimmertisch. Im Wohnzimmer ist es nicht besonders aufgeräumt …«

»Sie haben es so gemütlich!« Wilma schob bereits den Vorhang zum Wohnzimmer beiseite. »Aah! Dieser herrliche Blick über den Starnberger See! Hier findet also das traute Familienleben mit Utz Pöcking und dem kleinen Emil statt! Zauberhaft! Sie sind ja eine Bilderbuchfamilie! Alle so begabt! Wann wollen Sie denn Emil ein Geschwisterchen schenken?«

»Ach, wir haben im Moment … gar nicht an weiteren Nachwuchs gedacht …« Maja drehte noch immer den Blumenstrauß in den Händen.

Wilma betrachtete ungeniert die Fotos, die auf dem Klavier standen. »Ach, der kleine Emil spielt auch Tennis?«

»Emil ist schon dreizehn«, sagte Maja. »Ja, er spielt ganz gut. Im Moment ist er auch gerade bei einem Wettkampf. Er möchte schrecklich gern in das Sportinternat in Tutzing, weil sie da einen Tennis-Leistungskurs haben. Außerdem sind Utz und ich oft tagelang nicht zu Hause. Für Emil wäre es besser, wenn er immer unter Gleichaltrigen wäre.«

»Wunderbar. Da merkt man, dass Sie eine aufgeschlossene, moderne Mutter sind. Dieses Rumhocken auf den Kindern, diese ganze Gluckerei …« Wilma betrachtete ein paar Fotos, die Emil mit einem Tennispokal zeigten. »Die ganze Familie besteht nur aus Siegern.« Wilma lächelte gewinnend. »Und wer ist das? Ihre Frau Mutter?«

»Ja. Sie ist letztes Jahr leider gestorben.«

»Oh, das tut mir Leid. Was hatte sie denn?«

»Sie war schon lange krank. Ich musste eine Pflegerin engagieren …«

»Aber Sie haben Sie oft besucht?«

»Ich möchte nicht darüber sprechen.«

»Das akzeptiere ich natürlich.« Wilma strich sich eine Haarsträhne von der Schläfe, um Zeit zu gewinnen. Tote Mutter. Abwesender Sohn. Ikea-Möbel. Keine Gardinen.

»Was ist mit Ihrem wundervollen Mann? Habe ich eine Chance, Utz Pöcking und Emil heute mit Ihnen gemeinsam am Kaffeetisch zu fotografieren? Sie wissen ja, eine Homestory mit gemeinsamem Kuchenbacken und Kaffeetrinken und Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielen …«

»Utz muss arbeiten«, unterbrach sie Maja. »Er spielt demnächst in einem Claus-Clennstadt-Film die Hauptrolle.«

»Nein, wie großartig«, rief Wilma aus. »Da schwimmen Sie ja beide mächtig auf der Erfolgswelle! Theoretisch könnten Sie sich Designermöbel leisten …« Sie strich mit dem Handrücken über eine Billigkommode aus Kiefer. Eine leichte Staubschicht blieb auf ihrem Zeigefinger haften. Grauenvoll, dachte Wilma. Aber ihr Lächeln blieb unvermindert süß.

»Könnten wir vermutlich«, lachte Maja, »aber solange Emil hier mit dem Hockeyschläger herumdrischt …«

»Na ja. Der kommt ja bald in ein Internat. Und dann bauen Sie sich hier mit Ihrem Liebsten ein kuscheliges Liebesnest …« Wilma wusste genau, dass sie mit dem »Liebesnest« in ein Wespennest stach.

»Ach«, sagte Maja prompt. »Erfolg hat immer zwei Seiten.«

»Wie meinen Sie das?« Wilma legte den Kopf schief. Sollte das Schäfchen schon im Vorgespräch in die Falle laufen?

»Es könnte sein, dass wir uns vorübergehend trennen«, sagte Maja. »Wir haben beide so viel zu tun und es ist so, dass wir in unserem Beruf auch manchmal in sehr engen Kontakt zu anderen Kollegen kommen, das bleibt in unserer Branche gar nicht aus …« Sie hielt inne und kniff die Lippen zusammen. Das hätte sie jetzt nicht sagen sollen.

»Aber das ist doch in unserer heutigen Zeit völlig normal!« Wilma griff nach Majas Hand. »Liebes Mädchen! Was glauben Sie, wie viele Kerle ich schon in den Wind geschossen habe!«

»Ach ja? Wirklich?« Maja taute etwas auf. »Aber Sie haben keine Kinder?«

»O doch! Zwei kleine Mädchen, die sind vier und sechs. Aber Frauen wie Sie und ich lassen uns nicht hinter den Herd verbannen, was? Das lässt sich doch alles organisieren! Der Mann, den ich zurzeit habe, passt auf die Mädchen auf, wenn ich arbeiten gehe. Wir sind doch nicht von gestern!«

»Nein«, sagte Maja erleichtert. Diese Reporterin war ja richtig gut drauf. Eine moderne, herzliche, ja geradezu freundschaftliche Frau. Maja entspannte sich.

»Aber diese ganzen Sachen gehören noch nicht zum Interview, nein?«

»Wenn Sie das nicht wünschen, dann war das alles noch privat.«

»Ach ja, bitte. Ich weiß im Moment selbst nicht so genau, wo mir der Kopf steht.«

Wilma legte den Arm um die zarte Maja. »Ihr Kuchen riecht ja phantastisch! Haben Sie den etwa für mich gebacken? Das wäre doch nicht nötig gewesen!«

»Ach du liebe Zeit, der Kuchen! Den habe ich völlig vergessen!« Maja rannte in die Küche und machte sich am Herd zu schaffen.

Wilma äugte ungeniert in die Schubladen des Wohnzimmerschrankes. Sie stöberte ein bisschen in den Papieren und Fotos, die dort lose herumflogen. Aah, schau an. Utz mit einer prallen Blonden, bei Dreharbeiten. Nette Statistin. Und da … Maja oben ohne, auf einem Boot.

Sie ließ die Fotos in ihrem weiten Umhang verschwinden. Dann schlenderte sie zufrieden ins Esszimmer hinüber. Als Maja nervös den Tisch deckte, fragte Wilma zuckersüß: »Kann ich helfen?«, und war schon in der Küche. Hier war es unordentlich und chaotisch.

»Nein danke!« Maja eilte hektisch zwischen der Besteckschublade und dem Tisch hin und her. »Kommen Sie bitte aus der Küche, ich habe noch nicht aufgeräumt …«

»Aber ich bitte Sie, meine Liebe, glauben Sie, bei mir sieht es besser aus, wenn ich gebacken habe?« Wilma wartete auf die entscheidende Sekunde, in der Maja ihr den Rücken zudrehte.

Klammheimlich trat sie den Küchenabfalleimer auf. Ein zufriedenes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. Natürlich. Dr. Oetker Fertigpackung. Sie schritt immer noch milde lächelnd ins Esszimmer herüber.

»Also, der Kuchen sieht ja phantastisch aus. Bisschen angebrannt, aber das Knusprige schmeckt doch am besten! – Beginnen wir also mit dem Interview. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich das Band mitlaufen lasse?«

 

Eine Woche später hielt Maja fassungslos den Neuen Tratsch in den Händen. Sie selbst war auf dem Titel, oben ohne, mit knapper Bikinihose auf dem Boot – das war ein privates Foto!! Wo hatte diese Schlange das her?

Darüber stand in fetten Buchstaben: Das Ego-Weib verwirklicht sich!

Zuerst dachte Maja, ihr Bild sei versehentlich unter eine falsche Überschrift geraten. Mit zitternden Fingern blätterte sie das Interview auf.

Titelstory, stand quer über dem vierseitigen Bericht. Maja Büchs: Ich weiß selbst nicht mehr, wo mir der Kopf steht! Seit ihrem überwältigenden Erfolg in »Drei Schwestern« ist aus der kleinen, zarten Schauspielerin eine kalte, ehrgeizige Karrierefrau geworden. Sie kümmert sich weder um ihren Mann, den sensiblen Schauspieler Utz Pöcking, noch um den kleinen Emil, der während des Interviews in seinem Kinderzimmer eingesperrt blieb. »Der Junge kommt mir in ein Internat«, sagte die Schauspielerin kalt. »Er ist nur meiner Karriere im Wege.« Unsere Starreporterin Wilma von der Senne musste mit ansehen, wie lieblos die Mutter des kleinen Jungen seine wenigen Habseligkeiten behandelte: Schon im Vorgarten, in dem bereits wochenlang nicht mehr Rasen gemäht worden war, stand das verrostete Dreirad, einsam, verwaist. Der Sandkasten des kleinen Emil: eine einzige Dreckgrube. Wie oft mag der kleine einsame Junge dort im Schmutz gesessen haben? Wie oft hat er wohl nach seiner Mama geweint? Aber die stolze Maja stört sich nicht an den Hilferufen ihres Kindes. Sie will ihn drillen, in ein Sportinternat stecken. Sie treibt den verwahrlosten Kleinen von Wettkampf zu Wettkampf, von Ehrgeiz zerfressen. Und Utz? Der verschanzte sich, während Maja in einer lieblos zusammengewürfelten Küche Kuchen aus der Fertigpackung servierte, einsam und frustriert in seinem Arbeitszimmer, lernte für seinen nächsten Claus-Clennstadt-Film. Überhaupt, das Mobiliar im Hause Maja Büchs: zerkratzte Billigmöbel, einfach hingeknallt. Richtet so eine liebende Frau und Mutter ein warmes Nest für ihren Mann und ihr Kind her? Oder hat sie von Anfang an geplant, die Beiden ihrem Schicksal zu überlassen? Der Kaffee war kalt, der Kuchen angebrannt. Klar, dass ein so sensibler, feinfühliger Künstler wie Utz sich mehr und mehr in sein Schneckenhaus zurückzieht. Und wer ist das dralle Mädel auf dem Foto mit Utz? Ist das die Frau, bei der er Wärme und ein wenig Weiblichkeit sucht?

Rückblick: Utz Pöcking heiratete die völlig unbekannte Nebendarstellerin Maja Büchs vor vierzehn Jahren. Er lieh ihr seinen großen Namen, er gab ihr Schauspielunterricht. Er machte sie zu dem, was sie heute ist: eine Dame der Gesellschaft. Sie fehlte auf keiner Party. Sie genoss es sichtlich, die Frau an seiner Seite zu sein. Er kleidete sie in Samt und Seide. Er schenkte ihr einen schnittigen Wagen, schließlich die Villa in Starnberg.

Doch wie sieht es darin aus? Statt das einmalige Anwesen zu schmücken, liebevoll auszustatten und zu dekorieren, lässt die karrieresüchtige Maja das Haus verkommen. Weder Gardinen noch Vorhänge an den ungeputzten Fenstern, kein Blümchen, keine Topfpflanze zeugt von liebevoller Frauenhand. Und was ist mit der einstmals so berauschenden Liebe?

Vorbei. Aus. Heute hat es die schöne Maja nicht mehr nötig, sich neben Utz Pöcking in der Öffentlichkeit zu zeigen. Heute geht das Paar getrennte Wege. Maja lernt ehrgeizig ihre Rollen, hofft auf das nächste große Filmangebot. Was ist dran an den Gerüchten, dass sie sich mit Filmproduzent Bernd Rademacher einließ, nur um auf der Karriereleiter weiter nach oben zu kommen? Ihr Egoismus geht so weit, dass sie sich noch nicht einmal um ihre sterbende Mutter kümmerte. Neuer Tratsch fragte bei Nachbarn in München nach: »Woran ist die Mutter von Maja gestorben?« Der redliche Hausmeister Josef Knoll winkt ab: »Die Maja hat sich ja nie bei ihr blicken lassen!« Also starb die alte Dame an Einsamkeit. Maja, wie weit willst du in deinem grenzenlosen Egoismus noch gehen?

 

Wilma lugte hinter ihrer Sie hervor.

Maja schwebte mitsamt ihrem jugendlichen Liebhaber auf eine abgelegene Sitzecke zu. Aufseufzend ließ sie sich in eine Lederchaiselongue fallen und nahm die Sonnenbrille ab. Oje. Das sah nach durchvögelter Nacht aus. Ihr Kleiner reichte saure Gürkchen zur Cola light.

Verdammt. Warum hatte Wilma jetzt nicht ihre kleine Minox dabei? Aber zumindest das Diktiergerät war griffbereit!

»Maja Büchs wurde völlig übernächtigt an der Seite eines jugendlichen Liebhabers in der Münchner Senator-Lounge gesichtet. Sie sah bleich aus und wirkte kränklich. Was ist dran an den Gerüchten, dass sie sich bei ihrem bisexuellen Freund mit dem HIV-Virus infiziert hat?«, textete Wilma leise hinter vorgehaltener Zeitung. Sie starrte Maja eine Zeit lang an, dann raunte sie weiter:

»Nachdem sie vor fünf Jahren kaltblütig den sensiblen Schauspieler Utz Pöcking sitzen ließ und ihr minderjähriges Kind einfach in einer Kinderdrillanstalt entsorgte, warf sie sich eiskalt in die Arme des Filmproduzenten Bernd Rademacher. Diesen ließ sie jedoch wieder fallen, nachdem er keine passenden Rollen mehr für sie hatte. Eine Zeit lang wurde es still um die eigenwillige Diva, doch mit ›Hildegard‹ spielte sie sich wieder ganz nach oben. Leider war ›Hildegard‹ ein Flop. Ist das der Grund, warum man Maja Büchs immer häufiger in einschlägigen Münchner Drogenlokalen sieht? Der junge Kerl an ihrer Seite – welche Rolle spielt er? Man darf gespannt sein! Lesen Sie exclusiv in Elite: Wilma von der Senne traf Maja Büchs zu einem vertraulichen Gespräch!«

Wilma strich sich die Kekskrümel vom Kostüm. Ein kurzer Blick in den kleinen goldenen Spiegel: kein Lippenstift mehr auf den Zähnen. Make-up: okay. Fönwelle: sitzt.

Sie stand auf. Schritt eins ihres Plans: Unverbindlicher Gang zum Büfett. Schritt zwei: Zufälliger flüchtiger Blick auf Maja. Schritt drei: Überraschtes Aufjauchzen: »Maja! Bist du’s wirklich? Lass dich umarmen, du tolles Mädel! Dein Heilige-Hildegard-Film war ja der Hammer! Dass ihn keiner geschaut hat, ist wirklich ein Jammer!« Schritt vier: Die übertölpelte Maja in den Ledersitz zurückdrücken, Küsschen rechts und links, »Hm, du riechst aber gut, was ist das für ein Parfüm?« Schritt fünf: »Und wer ist der charmante junge Mann an deiner Seite? Habt ihr Heiratsabsichten?«

Und schon wäre das Exklusivinterview mit Maja Büchs im Kasten!

Ein Abstauber! Krass und geil, wie Wilmas Töchter sagen würden!

Wilma schlich sich so unauffällig wie möglich in Majas Nähe, ein Lachshäppchen auf dem Tablett. Also los, Wilma. Schüchternheit und falsche Scham sind der Tod eines jeden Journalisten! Schämen können wir uns im Grab!

Maja hatte ihre Sonnenbrille wieder aufgesetzt. Ob sie Wilma bemerkt hatte? Es war fast so, als würde die Schildkröte den Kopf in den Panzer ziehen. Aber das beeindruckte Wilma nicht. Vor Wilma von der Senne konnte sich kein Promi verstecken!

»Last call for passenger Mrs Wilma von der Senne! Letzter Aufruf für Passagier Frau Wilma von der Senne! Ihr Flug nach Miami wird in wenigen Augenblicken geschlossen!«

Verdammt. Schon wieder hatte Wilma vergessen, dass in der Senator-Lounge die Flüge nicht aufgerufen wurden.

Barbara Becker. Gegen die war Maja Büchs ein Fliegenschiss.

Wilma knallte ihr Lachshäppchen auf die Fensterbank und rannte mit klappernden Absätzen aus der Senator-Lounge. Zu ihrem Ärger spürte sie, wie ihr Hintern wackelte. Eines Jahres nehme ich ab, dachte sie frustriert.

»Frau von der Senne! Ihr Mantel!«

Die Controllerin der Senator-Lounge riss den Nerz vom Bügel und rannte hinter Wilma her.

»Schade«, murmelte Maja und nahm ihre Sonnenbrille wieder ab. »Die fette Schreiberschlange hätte ich gerne eigenhändig erwürgt.«

»Wen?«, fragte ihr Bürschchen.

»Ach, kennst du nicht. Bitte, Honey, massier mir die Füße!«

 

Wilma lehnte sich genüsslich in ihrem First-Class-Sitz zurück. Ja, so war das damals gewesen mit dieser kleinen zickigen Maja.

Majas Managerin, Elvira Blum, hatte zwar einige Male wutentbrannt bei Neuer Tratsch angerufen, aber Rolf Bierbaum, der Chefredakteur, hatte sich nur lachend auf die Schenkel geschlagen und den Hörer an Wilma weitergegeben.

»Maja Büchs ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens!«, hatte Wilma ins Telefon geschleimt. »Sie hat die aufregendsten Kurven, von denen deutsche Männer nur träumen können! Und Sie, meine liebe Frau Blum, vermarkten Majas Kurven genauso wie wir!«

»Aber der Text ist ganz ungeheuerlich!«, hatte Elvira Blum geschnaubt.

»Der Text polarisiert«, hatte Wilma geantwortet. »Viele finden Maja Büchs einfach nur niedlich. Die meisten Leserinnen und Leser halten Maja für ein harmloses Mädchen. Wir haben aufgezeigt, dass Frau Büchs eine eigenwillige Frau ist, die weiß, was sie will. Sie können froh sein, Frau Blum, dass wir eine solch gigantische Gratiswerbung für Ihre – mit Verlaub – völlig erfolglose Schauspielerin Frau Büchs machen. Vielleicht gibt ihr Bernd Rademacher nun die Rolle der heiligen Hildegard. Jetzt, wo ganz Deutschland von ihr spricht!«

Daraufhin hatte sich Elvira Blum sogar noch bedankt! Und tatsächlich! Maja hatte die »heilige Hildegard« bekommen!

»Wilma, du bist ein Schakal!« hatte Rolf Bierbaum gerufen und sie abends nach einem Viergängediner noch mit auf seine Hamburger Hotelsuite genommen.

Wilma dehnte sich wohlig in ihrem breiten Sitz, als sie an die wilden Nächte mit Rolf Bierbaum dachte. Er war zwar ein fetter strähniger Kerl, aber er hatte Saft und Biss. Was hatten sie miteinander gelästert, gelacht und gelogen! In den weinseligen Nächten hatten sie den »Club der Schlimmen« gegründet und sich kichernd ausgemalt, wie sie gemeinsam in der Hölle schmoren würden, jeder mit einer Mistgabel in der Hand. Wen sie da alles wieder treffen würden! »Im Himmel würd ich mich langweilen«, sagte Bierbaum immer, »da kenn ich ja keinen.« Schade, dass sie Rolf Bierbaum aus den Augen verloren hatte. Manchmal traf sie seine Frau Brigitte im Englischen Garten, wenn diese dort ihre fette kleine Dogge ausführte. Dann fragte sich Wilma jedes Mal, ob Brigitte Bierbaum eigentlich wusste, was sie, Wilma, mit ihrem Mann so alles angestellt hatte. Ob Brigitte mit ihrem Gatten auch so viel Spaß hatte?

Aber an Maja hatte Wilma nie wieder gedacht. Bis sie ihr heute zufällig in der Senator-Lounge begegnet war.

Wilma kramte ihr Diktiergerät hervor und sprach: »Zweiseiter, Mitte des Blattes, für ’nen Titel langt’s nicht, Text wie besprochen, Überschrift: Maja Büchs, neue Liebe, neue Laster? Dann kursiv darunter: Verliebt oder verlebt? Was aus der Frau wurde, die einst Mann und Kind verließ … Und dann wieder fett in Schwarz: Wilma von der Senne traf Maja Büchs exklusiv in der Senator-Lounge des Münchner Flughafens. Vierte Überschrift, in Gold:

Das erschütternde Bekenntnis einer gestrandeten Schauspielerin: Ich liebe den Schulfreund meines Sohnes. Alte Fotos rauskramen, das Kind, möglichst klein, mit Nachbarskindern. Einer von denen kriegt einen roten Kreis um den Kopf. Dann zwei oder drei Utz-Pöcking-Bilder, das Haus in Starnberg, möglichst welche, wo der schmutzige Sandkasten noch drauf ist, dann Maja in »Drei Schwestern« und Maja in »Heilige-Hildegard«, nehmt eine Bettszene, und wenn Ihr könnt, dann noch eins mit Maja und ihrer Mutter. Da gab es doch mal in Neuer Tratsch eine Geschichte über die verstorbene Mutter. – Okay. Das war’s. Kann auch ins nächste oder übernächste Blatt, ist ein guter Lückenfüller.«

Sie schaltete das Diktiergerät aus und schaute aus dem Fenster. Federleichte weiße Wölkchen lagen unter ihr wie schlafende Lämmer. Für diesen Artikel würde sie locker 7000 Mäuse kassieren. War eigentlich keine große Arbeit. Entspannt lehnte sich Wilma zurück und leerte ihr Champagnerglas.

Alle Prominenten respektierten und fürchteten sie. Sie war die Göttin am Schaumkronenhimmel. Und wenn jemand sie weder respektierte noch fürchtete, dann würde Wilma ihn schon das Fürchten lehren. Das Schöne an ihrem Beruf war, dass ihr niemand dauerhaft böse sein konnte. Denn die Promis brauchten die Presse wie Wasser und Brot.

Und wer es sich mit Wilma von der Senne verscherzte, der hatte es sich auch gleich mit der ganzen High Society verscherzt.

Und wer die High Society gegen sich hatte, der hatte die ganze deutsche Nation gegen sich.

Davon war Wilma jedenfalls fest überzeugt.

»Möchten Sie jetzt etwas Kaviar oder wollen Sie noch bis zum Menü warten?«

Die bildhübsche Stewardess schenkte Wilma schon zum dritten Mal Champagner nach.

»Bringen Sie den Kaviar«, sagte Wilma, während sie ihr Notebook aus der schwarzen Ledertasche holte. »Und lassen Sie mich dann bitte in Ruhe arbeiten.«

 

Lautlos schwebte die Maschine Miami entgegen. Wilma hatte sich die Pumps von den Füßen gestreift und die flauschigen, warmen Filzpantoffeln übergezogen, die man in der First Class bekam.

Bei einem eiskalten Glas Chardonnay aus dem Napa Valley begann sie, ihren Artikel über Barbara Becker vorzubereiten. Barbara Becker würde sie auf keinen Fall herunterschreiben, im Gegenteil. Sie brüstete sich ja schließlich mit ihrer Freundschaft.

»Barbara weiß genau, was sie will. Sie ist charakterlich viel stärker als Boris. Da sie es durch eigene Kraft nicht an die Spitze geschafft hat, heiratete sie einen Sieger. Aber nun ist er durch sie zum Verlierer geworden. Doppelfehler des Tennisstars: Erst lässt er sich von einem Freudenmädchen in der Wäschekammer eine Lendenfrucht abtricksen, dann lässt er sich mit einer farbigen Schlagersängerin in ausgerechnet jenem Hotel erwischen, in dem er auch mit Babs auf der Hochzeitsreise war. Spiel, Satz und Sieg für Babs.

Sie reagierte daraufhin keinesfalls überstürzt oder hysterisch. Ganz ruhig wartete sie eine Anstandswoche in ihrer Münchner Villa ab, damit ihr niemand böswilliges Verlassen nachsagen kann. Unglaublich kluger Schachzug! Doch dann, als König und Dame aus dem Blickfeld waren, nahm Babs ihre Kinder und zog die Konsequenz: Sie begab sich nach Miami, dort sitzt die Siegerin nun abwartend in ihrem Apartment im vierzehnten Stock, um Leib und Leben ihrer Kinder zu schützen. Sie selbst hat schon sieben Kilo abgenommen. Als ich sie am Telefon erwische, klingt ihre Stimme brüchig. ›Schön, wenn du kommst, Wilma‹, haucht sie tränenerstickt. ›Ich brauche jetzt eine Freundin an meiner Seite!‹ Barbara, die starke Frau, ist am Ende. Boris, was hast du ihr getan?«

Wilma nahm einen guten Schluck Wein.

Also, zugegeben: Sie hatte Barbara Becker nicht am Telefon erwischt. Niemand erwischte Barbara Becker am Telefon. Barbara Becker hatte auch nicht tränenerstickt »Schön, wenn du kommst, Wilma!« gehaucht. Auch war es reichlich übertrieben, sich selbst als Barbara Beckers Freundin darzustellen. Wilma und Barbara Becker waren sich zwei-, dreimal auf irgendeiner Gala oder Party begegnet, und sie hatten einige Male nett miteinander geplaudert, das war alles.

Aber Wilma wäre nicht Wilma, wenn sie jetzt nicht in der First Class nach Florida säße, um als Erste und Einzige mit der verlassenen Barbara Becker zu sprechen. Das sollte keiner anderen gelingen. Weder der schmalbrüstigen Sandra Fleischmann noch der stets albern die Augenbraue hochziehenden Ariane Wassermann, die immer »Alles ist toll« sagte. Erst recht nicht Jochen Behrend, diesem Sahneschläger mit dem Schlafzimmerblick und den Tränensäcken und dem »Ich-verstehe-dich-doch-mein-Freund«-Gesicht vom Konkurrenzblatt Die ganze Wahrheit. Auch Holger Cremig, der feige Schleimer von Teatime, der zwar gut aussah, aber sonst nichts auf der Pfanne hatte, sollte ihr nicht zuvorkommen. Auch der betrog natürlich seine Frau, die im Oberbergischen Kreis nichts ahnend einen Kirchenchor leitete und immer Jackenkleider mit Goldknöpfen trug. Wenn dieses naive Landgewächs an der Seite von Holger Cremig bei der Bertelsmann-Party auftauchte oder beim Bundespresseball mit ihm Walzer tanzte, schüttelte es Wilma vor unterdrücktem Gelächter. Ihr One-Night-Stand mit Holger Cremig nach einem gemeinsamen Mittagessen im Hamburger Hafen war alles andere als ein Vergnügen gewesen, denn er war nicht nur langweilig, sondern hatte während des Bettgeplänkels auch noch versucht, sie für seine Teatime abzuwerben!

Ach, Barbara Becker, du Märtyrerin der Nation! Rette dich vor uns Schakalen, solange du kannst! Glaubst du denn, in deinem Luxusapartment bist du sicher vor uns?

Ob der dicke Erwin Meister mit seinen vielen Fotoapparaten vor dem Bauch schon in Miamis Büschen lauerte? Oder Dirk Duckmann, der gefürchtetste Paparazzo Deutschlands?

Von ihrem altvertrauten Schmuddelblatt Neuer Tratsch konnte niemand sich die Reise leisten. Höchstens in der Economy, dachte Wilma heiter. Vielleicht sitzt die ordinäre Schmierenkomödiantin Nicole Nassa dort hinten und taucht kalte Frikadellen in ihr Ketchuptütchen.

Nicole Nassa hatte nach ihrer viel beachteten Scheidung von einem alternden Schönheitschirurgen, der im Schwarzwald eine Prominentenklinik geführt hatte, aus finanziellen Gründen in ihren alten Beruf als Klatschreporterin zurückkehren müssen. Hans-Heinrich Nassa hatte sie finanziell dermaßen ausbluten lassen, dass sie gezwungen war, aus ihrer Hamburger Alster-Villa auszuziehen und mitsamt ihrer unehelichen Tochter Hannah in eine billige Mietwohnung umzusiedeln. Seitdem verdiente sich Nicola Nassa ihre Miete mit offenen Briefen an den alternden Hans-Heinrich, die sie alle in Neuer Tratsch veröffentlichte. Wilma kämpfte gegen aufkommenden Brechreiz an.

Dann gähnte sie. Nun hatte der Wein sie ermattet. Ob sie noch etwas von der Käseplatte nehmen sollte, die die Stewardess ihr reichte? Ach ja. Der elsässische Bressot zusammen mit dem Etoile D’Or Brie und einem kleinen Häppchen Parmesaggio aus dem Ticino würden sich noch gut neben einem Glas vollmundigem Merlot in ihrem Magen niederlassen.

»Mit Nüssen und Trauben, Frau von der Senne?« Die Stewardess war wirklich bildhübsch. In der Economy hinten bedienten bestimmt die Hässlichen.

»Ja bitte.« Wilma klappte ihr Notebook zu und legte es zur Seite.

Sie verspeiste gedankenverloren ihre Käseplatte und trank zwei Gläser Rotwein, während sie das Nachrichtenmagazin mit Ariane Wassermann im Bordfernsehen anschaute. Gerade als diese »Alles ist toll« sagte, fielen ihr die Augen zu. Bevor sie einschlief, dachte sie noch an ihre Töchter.

 

In der Economyklasse, im hinteren Teil des Flugzeuges, hockte tatsächlich Nicole Nassa, die geschiedene Gattin des Schönheitschirurgen Hans-Heinrich Nassa.

Sie hatte Wilma von der Senne beim Einchecken beobachtet und neidisch festgestellt, dass diese erster Klasse flog. Rolf Bierbaum, der fette stiernackige Chefredakteur von Neuer Tratsch, hatte Nicole keine großen Hoffnungen auf Barbara Becker gemacht: »Mädchen, du kannst es versuchen. Aber setz dir um Gottes willen nicht wieder die blonde Perücke auf, die du kürzlich im Gerichtssaal getragen hast, als dein Exmann von seinen erwachsenen Kindern verklagt worden ist.«

»Ist ja schon gut, Chef, es war wirklich albern von mir«, hatte Nicole zähneknirschend zugegeben. »Ich erniedrige mich ja nur so für Hannah.«

»Nun komm mir nicht wieder mit der Hannah-Arie«, hatte Rolf Bierbaum geschnaubt. »Dein Balg interessiert hier keinen! Es sei denn, du machst eine herzerweichende Story aus dem Kind!«

Daraufhin hatte Nicole Nassa einen Artikel geschrieben, aus dem hervorging, dass sie selbst, die Mutter von Hannah, ins Gefängnis käme, wenn der alternde Hans-Heinrich nicht augenblicklich Unterhalt für das Kind zahlen würde. Zwar war dem Chefredakteur Rolf Bierbaum sein Kantinenschnitzel hochgekommen, als er diesen Unsinn absegnete, aber er ließ die exhibitionistische Nicole Nassa gewähren. Sie passte zu seinem Blatt.

Nun hockte sie mit angezogenen Knien in der 28. Reihe der Bretterklasse nach Miami und versuchte, die Schweißfüße ihres unrasierten Nebenmannes nicht zu riechen. Auch das jammernde Kleinkind der dicken Schwarzen schräg hinter ihr konnte sie kaum noch ertragen, ebenso wenig wie den Nachgeschmack der Frikadellen mit Ketchup, die sie aus lauter Heißhunger in sich hineingestopft hatte. Sie hasste Wilma, Rolf Bierbaum, Hans-Heinrich und erst recht Barbara Becker. Alle hatten es besser getroffen als sie, alle!

Die Scheidung von Boris würde Barbara Millionen einbringen, dazu die zwei hübschen Kinder und das Apartment in Miami. Und was war ihr, Nicole, nach der Scheidung von Hans-Heinrich geblieben? Die uneheliche Hannah, die hässliche Mietwohnung in der Miesestraße, die noch hässlichere Narbe auf der linken Wange und die Stelle als Klatschreporterin bei Neuer Tratsch. Die Reise nach Miami wurde ihr vom Monatsgehalt abgezogen. Aber sie würde etwas Tolles schreiben, ob sie Barbara Becker nun treffen würde oder nicht! Während sie noch überlegte, ob sie sich als Bademeisterin getarnt am Swimmingpool der Prominenten aufhalten würde oder lieber als türkische Putzfrau in das Becker’sche Apartment einschleichen, erbrach sich das jammernde Kleinkind von schräg hinter ihr auf ihre prächtigen schwarzen Haare.

»Oh, sorry!«, sagte die Mutter und wischte das Erbrochene mit einem Papiertaschentuch in Nicoles Nackenstütze.

»Fuck off!«, zischte Nicole genervt.

Angewidert verließ sie ihren Sitz. Dabei riss ihr noch die Seidenstrumpfhose. Der Schnarcher mit den Schweißfüßen zuckte zusammen, als Nicole wutentbrannt über ihn krabbelte.

Sie flüchtete in die Toilette und säuberte sich notdürftig.

»Verdammter Job«, murmelte sie unter Zornestränen. »Aber ich schreib euch nieder, euch alle! Eines Tages schubse ich Wilma von der Senne von ihrem Chefsessel. Dann fliege ich First Class. Und alle küssen mir die Füße. Das schwöre ich. So wahr ich Nicole Nassa bin!«

 

»Morgen, ich bin spät, ich weiß.«

Raimund Wolf, der langjährige Lebensgefährte von Wilma, betrat schnaufend seine luxuriöse Kanzlei am Maximiliansplatz. Er war stiernackig und unrasiert, ein Kotzbrocken von einem Mann, aber Münchens High Society betete ihn an. Er war der bekannteste, berühmteste, gefürchtetste und teuerste Promi-Scheidungsanwalt der ganzen Stadt. Wer sich mit seiner Hilfe scheiden ließ, kam automatisch in die Hochglanzblätter.

»Det macht doch nichts, Chef!«

Annette Hübsch, die Vorzimmerdame von Raimund Wolf, sprang auf, um dem schwitzenden Wolf sein Jackett abzunehmen. Sie war Ende zwanzig und bildhübsch mit ihren braunen Augen und den langen glänzenden braunen Haaren. Sie trug einen modischen pinkfarbenen Rock, der ihre schlanken Beine glockengleich umspielte, ein eng sitzendes Top über knabenhaftem Busen und ihre perfekt pedikürten Füße steckten in glänzenden Riemchensandalen. Obwohl sie schon seit acht Jahren für Wolf in München arbeitete, berlinerte sie immer noch ein bisschen.

»Heute Morgen warn’s schon fünfe am Telefon, die sich auf Babs bezogen haben«, murmelte sie ihm zu. »Wolln jetzt ooch alle janz schnell den Hafen der Ehe verlassen.«

»Hab keine Termine mehr«, grunzte Wolf, zog die Nase hoch und wischte sich den Schweiß mit einem zerknitterten Taschentuch vom Gesicht. An seinen Bartstoppeln blieben kleine weiße Fitzelchen hängen. »Es sei denn, ihre Männer wären genauso zahlungsfreudig wie der Tennisspieler.«

»Zweien war et janz dringend …«, flüsterte Annette Hübsch, wobei sie mit den Augen auf das Wartezimmer wies. »Sitzen schon ’ne Weile hier!«

»Kann das nicht der Speibichler machen?«

Jens Speibichler war der Sozius von Raimund Wolf, der den gesamten »Kleinkram« übernahm, also alle Klienten, die weder besonders reich noch besonders prominent waren, und Raimund stets den Rücken freihielt. Er war entschieden jünger als Raimund, schmal, blass, blond, bebrillt. Stets einen Ton zu unterwürfig, eine Spur zu eifrig, einen Hauch zu höflich. Ein typischer Diener, während Raimund Wolf ein Macher war.

»Wolln unbedingt zu Ihnen, Chef.«

»Kenn ich sie?« Raimund schneuzte sich nun in das zerfetzte Papiertuch. Annette Hübsch schien sich nicht weiter vor ihm zu ekeln. Sie reichte ihm ein frisches Taschentuch, während sie treuen Blickes weiterwisperte: »Na, die Frau von dem Saucenfabrikanten und die Gattin von dem Schweizer Juwelier, Se wissen schon, der jetzt an der Börse so hoch im Kurs ist.«

»Hört sich interessant an«, knurrte Raimund Wolf. »Kannst du diese Tüte mal irgendwo unterbringen?« Erst jetzt bemerkte Annette Hübsch die grüne Einkaufstüte einer bekannten Wäschefirma, bei der Raimund Wolf seine Zeit verbracht haben musste. Eine Filiale war gleich in der Nähe. Sie wusste von Raimunds Leidenschaft für schöne Wäsche an schönen Mädchen. Schließlich war sie selbst mal ein paar Wochen Ziel seiner Wünsche gewesen.

Aber Wolf stand nicht mehr auf sie. Mit achtundzwanzig war sie für das, was ihn begeisterte, schon zu alt. Wolf stand auf jung. Auf jung-jung, sozusagen. Annette trug es mit Fassung.

»Der Kollege Thal hat schon zweimal angerufen, wegen der Hausratsteilung von Dr. Kraller-Geiz. Ihr Mann will die drei Bilda aus’m Wohnzimma nich hergeben …«, berichtete sie, während sie ihm die Tür seines riesigen Sprechzimmers aufhielt.

Der helle Raum war mit Parkettboden ausgelegt und in der Mitte stand ein wuchtiger Schreibtisch, an dem Raimund Wolf zu thronen pflegte. Darauf lag bereits ein Haufen Post.

»Ja, ja«, sagte Raimund, »soll se doch froh sein, dass sie das Geschmiere los ist. Wenn der Kerl bei Bildern den gleichen Geschmack hat wie bei Frauen, dann kann das ja nur Scheiße sein.«

»Soll ich das dem Kollegen Thal so sagen?« Annette grinste freundlich.

»Ach, vergiss die Bilder. Wer sitzt im Sprechzimmer zwei?«

»Frau Guggenbichler.«

»Kenn ich die?«

»Noch nicht. Sie hat fast zwei Jahre auf einen Termin bei uns gewartet.«

»Sieht sie gut aus?«

»Ick gloobe – Jeschmacksache.«

»Wie alt?«

»Über dreißig.«

»Dann sieht se also nicht gut aus.« Wolf verzog höhnisch das Gesicht.

»Und?« Herausfordernd rieb er Daumen und Zeigefinger aneinander. »Knetemäßig?«

Annette Hübsch hob die Schultern. »Ick weeß nich, Chef. Teppichjeschäft.«

»Wie – sie oder er?«

»Er natürlich.«

»Na, denn wolln wa ma!«

Raimund Wolf zog sich die Hose zurecht, sprühte sich ein Mundwasser in den Schlund und winkte nach seinem Jackett.

Annette Hübsch beeilte sich, ihm beim Anziehen behilflich zu sein.

»Stell jetzt mal keine Anrufe durch, klar?«

»Auch nicht die von Ihrer Frau?«

»Na, von der schon mal gar nicht!« Wolf lachte, begeistert über seinen eigenen Charme, und ließ die Tür seines Zimmers hinter sich zufallen.

Annette Hübsch ging an ihre Rezeption zurück und lugte in die grüne Tüte.

»Det is ja höchstens 70 A«, murmelte sie, als Wolf bereits durch die Sprechanlage schrie: »Annette? Bring mal zwei Kaffee!«

 

Das gelbe Taxi hielt vor der luxuriösen Apartmentanlage.

»Fünfundfünzig Dollar, Ma’am.« Der junge Mexikaner stellte den Taxometer ab.

Wilma kramte nach dem Geld, dann kletterte sie aus dem Auto und setzte ihre Sonnenbrille auf. Sie rückte ihre Kostümjacke zurecht und stöckelte auf ihren hochhackigen Pumps auf das große Tor zu.

Etwa vierzig Messingschilder mit Namen oder Nummern blitzten in der Sonne.

»Baker« stand auf zweien.

Wilma klingelte.

Nichts tat sich.

Wilma klingelte wieder.

Es war glühend heiß in der Sonne. Wilma schwitzte.

Schließlich knackte es in der Gegensprechanlage: »Yes, please?«

»Barbara, bist du es? Hier ist Wilma von der Senne!«

»She is not available«, sagte die Stimme, dann knackte es wieder.

Wilma klingelte erneut.

Nichts.

Wilma hielt ihren dezent lackierten Zeigefinger über zwanzig Sekunden auf der Klingel.

Inzwischen fuhr wieder ein Taxi vor. Ein Kamerateam stieg aus: drei junge Männer und eine hübsche junge Frau.

Sie diskutierten laut auf Englisch, prüften die Lichtverhältnisse und bauten ihre Kameras auf.

Wilma roch Lunte. Irgendwer würde ja sicher gleich um die Ecke kommen. Und richtig: Ein weiteres Taxi fuhr vor. Ihm entstieg ein dicker alter Mann, den Wilma unschwer als Barbaras Rechtsanwalt erkannte.

»Keine Interviews!«, sagte der Dicke und hob abwehrend die Hände, an denen viele Ringe prangten.

»Ich bin Barbaras beste Freundin aus Deutschland!« So schnell gab Wilma sich nicht geschlagen.

Das Kamerateam hielt auf sie an. Wilma war schrecklich heiß. Nun wurde sie auch noch gefilmt!

Der Anwalt wehrte alle ab, die sich ihm in den Weg stellten. Er klingelte, bellte kurz etwas in die Gegensprechanlage und schon wurde ihm die Tür aufgetan.

Wilma ergriff die Gelegenheit und schlüpfte dreist hinter ihm hinein. Die amerikanische Kollegin folgte ihr und das Kamerateam drängte sich auch noch durch die Tür.

Wilma rannte über einen breiten, weiß gepflasterten Weg.

Palmen und Kakteen schmückten das riesige Grundstück. Einige mexikanische Arbeiter sprengten den Rasen und machten sich an den Hibiskussträuchern zu schaffen. Ab und zu knackte ein Ast. Sonst war es unheimlich still. Allerdings standen auch einige Bodyguards an der Mauer herum. Es waren drahtige Burschen mit schlecht sitzenden schwarzen Anzügen, in denen sie schwitzten, und den üblichen Glatzköpfen. Jeder der Typen hatte einen Ring im Ohr. Und alle kauten Kaugummi.

»Sie können hier nicht durch, Ma’am!«

»Ich bin Barbaras beste Freundin!«

Die drei grinsten nur.

Inzwischen war der Anwalt ungehindert ins Innere des Hauses gelangt.

»Bullshit«, murmelte Wilma wütend.

»Presse?«, fragte einer der Bodyguards.

Wilma sagte nichts, zog aber bejahend die Schultern hoch.

»Fünfhundert Dollar für einen Blick auf den Pool«, sagte der Rechte. Er hatte einen goldenen Zahn, der in der Sonne blinkte.

»Wie viel, um ins Haus zu kommen?« Wilma zog ihr Handtäschchen enger zu sich heran.

»No way, Ma’am.« Der Bullige schüttelte bedauernd den Kopf.

»Okay. Fünfhundert.« Wilma zog ihre schwarze, lacklederne Brieftasche heraus und zählte fünf Hundertdollarscheine ab. Als sie den letzten Schein übergab, drehten ihr die drei Burschen wie zufällig den Rücken zu. Der Dicke stopfte die Geldscheine lässig in seine hintere Hosentasche.

»Aber schön teilen, Kinder«, sagte Wilma auf Deutsch, so wie sie mit ihren Töchtern immer sprach. Ihr war klar, dass die »Kinder« diese Knete keineswegs beim Finanzamt anmelden würden.

Sie hastete an ihnen vorbei und stakste mit ihren hohen Absätzen über einen Weg, der mit groben weißen Kieselsteinen zugeschüttet war.

Hinter riesigen Orchideen lag der Swimmingpool verwaist in der glühenden Mittagssonne. Zwei halb aufgeblasene Schwimmflügelchen trieben am Beckenrand. Auf zwei weißen Liegestühlen lagen grüne Handtücher und eine gelbrote Plastikgießkanne.

Wilma kramte ihre Minox aus der Handtasche, kniete nieder und fotografierte die Handtücher mit der Gießkanne. Super, dachte sie. Wahnsinn. Da gelingt es mir, Wilma von der Senne, die Handtücher und die Gießkanne von Noah Gabriel zu knipsen. Der bisherige Höhepunkt meiner Karriere!

Sie verknipste einen ganzen Film. Grünes Handtuch, gelbrote Gießkanne, orangefarbene Schwimmflügelchen. Wirklich geil!

»Hey, Ma’am!«, kam plötzlich eine heisere Männerstimme aus den Bäumen, die etwa dreißig Meter entfernt waren. »Könnten Sie mal Ihren hübschen Hintern aus dem Bild nehmen?«

»Pardon?« Wilma schreckte hoch. »Was tun Sie denn da in den Bäumen?«

»Nur unseren Job, Ma’am!« Die Blätter des Baumes bewegten sich und Wilma sah mehrere Zielfernrohre blitzen. »Gehen Sie einfach aus dem Bild!«

Wilma ging erschrocken zur Seite.

Der Bodyguard, der das Geld eingesteckt hatte, kam rauchend um die Ecke. »Besichtigung beendet«, sagte er, indem er Wilma mit der Hand verscheuchte.

»Es sind schließlich noch mehr Leute an Fotos vom Handtuch interessiert!«

Wilma trippelte wie ein ertappter Sträfling vor ihm her. Gerade als sie darüber nachdachte, ob sie dem Kerl weitere dreihundert Dollar zustecken sollte, begegnete ihr eine schwarzhaarige Frau im Bademantel, mit Badeschlappen und einem riesigen blauen Wasserball. Sie schob einen Kinderwagen, aus dem Schwimmtiere und Eimerchen hervorquollen.

Es war Nicole Nassa.

 

An diesem Abend kehrte Raimund Wolf noch übellauniger als sonst in sein Haus in München-Grünwald zurück. Es war ein beschissener Tag gewesen. Ob jemand von seinen Mitarbeitern die Titelzeile Pädophilie im Internet bewusst offen auf dem Beistelltisch im Wartezimmer hatte liegen lassen? Aber Speibichler hatte beteuert, er hätte nichts damit zu tun, und die Anderen hatte er nicht zur Rede gestellt. Ihm war klar, dass er sich nur verdächtig gemacht hätte, wenn er noch länger über diesen Artikel diskutiert hätte. Wütend schmiss er die Haustür hinter sich zu. Außerdem hatte er Agneta nicht erreichen können. Dieses kleine schwedische Luder! Wo steckte sein Appetithäppchen?

Raimund warf den Porscheschlüssel auf die Konsole, riss sich das viel zu eng sitzende Jackett vom Leib und brüllte ins Treppenhaus hinauf: »Agneta?«

Keine Antwort. Alles blieb still. Die weiß lackierten Türen oberhalb des geschwungenen Treppengeländers öffneten sich nicht.

»Agneta!«

Raimund stampfte ärgerlich die Treppe hinauf.

Wahrscheinlich lag dieses faule Früchtchen wieder mit Kopfhörern auf dem Bett, in ihren engen Jeans, ihrem bauchnabelfreien, viel zu engen Jäckchen, das zwischen jedem Knopf Einblicke auf ihre winzigen Brüste und ihren straffen Bauch gewährte. Dieser hautfarbene Fetzen Stoff war eine einzige Provokation. Steife, kleine, hochstehende Mädchenbrüste. Das war es, was er liebte. Nicht diese riesigen Busen, die einen fast erschlugen.

Agneta hatte einen fast knabenhaften Körper. Dieses schwedische Au-pair-Mädchen machte ihn wahnsinnig. Warum antwortete sie denn nicht? Normalerweise lehnte sie doch schon abwartend im Türrahmen, wenn er nach Hause kam.

»Agneta! Miststück! Luder, kleines schwedisches!«

Wahrscheinlich hörte sie so laut Musik, dass sie ihn nicht kommen hörte. Er malte sich aus, wie Agneta sich auf ihrem Bett rekelte. Dabei wurde ihm heiß.

Er riss ihre Zimmertür auf. Das Bett war leer. Sein Blick fiel auf die säuberlich ausgebreitete Tagesdecke.

»Vögelchen ausgeflogen«, murmelte er halb ärgerlich, halb erleichtert. »Dabei hab ich dir gesagt, dass ich heute früher komme. Schlampe, kleine mistige.«

Ohne nach seinen Töchtern zu schauen, stiefelte er die Treppe wieder hinunter. Da fiel sein Blick auf den fein gedeckten Esszimmertisch. Also musste doch jemand zu Hause sein!

»Frau Hofgartner?«

Die Küchentür öffnete sich. Eine ältere Haushälterin mit bayrischer Hochsteckfrisur im weißen Kittel erschien im unteren Foyer. Sie streifte sich die Hände an der Kittelschürze ab. »Die Kinder sind noch mit Agneta fortgegangen!«

»Wo sind sie hin?« Raimunds Augen wurden schmal.

»Ich weiß nicht, Herr Wolf. Zu mir haben sie gesagt, sie gehen ins Kino.«

»Hm.« Raimund drehte Frau Hofgartner den Rücken zu. Er riss sich die Krawatte vom Hals und schleuderte sie auf die Kommode, die neben der Gästetoilette stand.

»Post?«

»Liegt alles unten, Herr Wolf.«

»Anrufe?«

»Ja. Ihre Frau. Heute Morgen. Sie sagte, bei ihr ist es jetzt Abend und sie hat in der Sache mit der Frau Becker eine Menge erreicht und sie arbeitet die ganze Nacht an ihrem Artikel und morgen früh fliegt sie heim.« Sie kicherte. »Also heute Abend.«

»Hat sie gesagt, wann genau sie kommt?« Raimund wurde nervös. Es passte ihm überhaupt nicht in den Kram, dass Wilma früher wieder zurück sein würde als ausgemacht.

»Nein. Aber sagen Sie, ist das nicht phantastisch, dass Ihre Frau mit der Barbara Becker ein Interview gekriegt hat? Ihre Frau ist eine tolle Journalistin!«

»Ja ja«, murmelte Raimund, mehr für sich selbst. »Und was sie von ihr nicht erfährt, kann sie von mir erfahren. Aber das kostet …«

Damit verschwand er in seinem Arbeitszimmer und warf den Computer an. Mit einem ungeduldigen Knopfdruck ging er sofort ins Internet.

 

Auf dem Rückflug saß Wilma vor zwei älteren Damen, die sich ungeniert viel zu laut unterhielten. Sie fühlte sich total gestört, weil sie doch arbeiten wollte! Der Platz neben ihr war frei und am Gang saß ein gut aussehender Mann Mitte bis Ende vierzig, der am Notebook arbeitete. Den schien es nicht zu stören, dass die alten Tanten sich so laut unterhielten. Aber sie, Wilma, störte es! Am liebsten hätte sie sich umgedreht und laut »seht!« gemacht. Aber dann hätte sie dem Gutaussehenden ihren dicken Hintern zuwenden müssen. Und außerdem wollte sie nicht als zickig gelten.

»Der Dolmetscher war ja wieder mal ausgesprochen gut«, sagte die Eine. »Ausgesprochen. Wirklich. Und so ein sympathischer, charmanter Mann.«

»Ich fand ihn schrecklich langweilig«, erwiderte die Andere.

»Käthe! Ich weiß, dass du dich auf Rundreisen nie für die Sehenswürdigkeiten interessierst«, schimpfte die Erste streng. »Nur für die Dinge, die dich nichts angehen!«

»Mich interessieren eben die Menschen viel mehr als Felsen und Gebäude«, verteidigte sich Käthe. »Nur die musikalischen und die politischen Vorträge fand ich zum Teil sehr aufschlussreich, meine liebe Annemarie.«

»So? Käthe, du willst mich mal wieder provozieren.« Unwillig stopfte die alte Tante Annemarie sich ein Canapé in den Mund. »Stewardess! Wo bleibt mein Tee!«

»Aber es interessiert dich ja nicht, was sich so hinter den Kulissen abspielt.«

Käthe genoss es ganz sichtlich, Annemarie verärgert zu haben. So desinteressiert sich die tugendhafte Annemarie auch zeigte, Käthe wusste genau, dass ihre alte Freundin vor Neugier starb.

»Also bevor du platzt«, sagte Annemarie schließlich. »Was hast du denn so Tolles gesehen?«

»Ob du es glaubst oder nicht …« Käthe ließ die arme Annemarie noch ein bisschen zappeln.

Wilma versuchte, nicht zuzuhören. Einerseits amüsierte sie dieses altjüngferliche Gezänk, andererseits hatte sie ihre eigenen Sorgen. Sie dachte an ihre Töchter, die von einem schwedischen Au-pair-Mädchen betreut wurden. Von Anfang an war Agneta ein zurückhaltendes, blasses Mädchen gewesen, das kaum Kontakt zu den Kindern fand. In letzter Zeit kam ihr Agneta noch verkorkster vor als sonst. Meistens lag sie mit dem Kopfhörer auf dem Bett, statt mit den Kindern zu spielen. Den Deutschkurs hatte sie längst abgebrochen. Wilma beschloss, direkt nach ihrer Ankunft zu Hause ein ernstes Wörtchen mit dem jungen Ding zu reden. Erst als hinter ihr der Name »Mechthild Gutermann« fiel, spitzte sie die Ohren.

»Wie?«, entfuhr es Annemarie entgeistert. »Die Familienministerin? Die Mechthild Gutermann?«

»Genau die, meine Liebe. So wahr ich hier sitze. Sie hatte sich hinter einem Regal verschanzt und telefonierte mit ihrer Freundin.«

»Und was genau hat sie ihrer Freundin erzählt??«

»Oh, la la. Ich stehe da bei der zollfreien Ware, du weißt schon, der Whisky, den ich in Deutschland nicht kriege, und prüfe gerade die Etiketten, beuge mich also ganz nah an das Regal ran und da hör ich hinter dem Regal was kichern und wispern …«

»Und? Mach es doch nicht so spannend!«

»Ich lausche ja nie, weißt du, das ist ja unter meinem Niveau, aber was kann ich denn dafür, wenn die Gutermann in einem öffentlichen Geschäft mit ihrer Freundin telefoniert? Soll ich etwa den Whisky stehen lassen und dezent weggehen? Nein. Seh ich doch gar nicht ein! Hättest du das gemacht, Annemarie?«

»Nein. Natürlich nicht. Aber was hat sie denn nun gesagt?«

»Dass sie eine … ich kann das Wort hier nicht wiederholen.«

»Nun sag schon!! Ich erzähl’s keinem weiter!«

»Also das ist wirklich ein Wort, das mir nicht leicht über die Lippen kommt …«

»Geil? War es das, Käthe?«

»Obergeil. Sie sagte: ›Obergeile Liebesnacht.‹ Stell dir das vor.«

»Obergeile Liebesnacht …« Annemarie ließ sich diese Worte auf der Zunge zergehen.

»Sie sagte, dass sie eine obergeile Liebesnacht gehabt hätte, mit Sir Henry, dem Dolmetscher. Und dass sie total glücklich und verknallt ist und dass sie gar nicht mehr wusste, wie schön es ist, eine Frau zu sein, und so was.«

»Woher willst du wissen, dass es Mechthild Gutermann war? Das kann irgendeine andere Person gewesen sein!«

»Erstens kenne ich die Stimme. Aus dem Fernsehen. Und zweitens kam die Gutermann hinter dem Regal hervor, als ich mit meinem Whisky an der Kasse stand!«

»Dabei tut sie so, als könne sie kein Wässerchen trüben …« Annemarie war sehr erzürnt.

»Ob das ihr Gatte weiß?« Käthe kicherte erregt. »Sie hat ja so einen bezaubernden, gediegenen Mann! Den berühmten Chemiker, weißt du.«

Er forscht für ein BSE-Medikament, hätte Wilma am liebsten gesagt. Aber sie hielt sich natürlich raus. Sie lauschte nun so angespannt, dass sie glaubte, der Gutaussehende würde ihre Ohren wachsen sehen.