Hold you close: Lucy & Julian - Nina Bilinszki - E-Book
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Hold you close: Lucy & Julian E-Book

Nina Bilinszki

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Beschreibung

Ein Licht gegen die Schatten der Vergangenheit: Der College-Romance-Roman »Hold You Close: Lucy & Julian« von Nina Bilinszki jetzt als eBook. Nach einem schweren Unfall ist es Lucy gelungen, sich fern der Schatten ihrer Vergangenheit ein zurückgezogenes Leben aufzubauen – aber als ihr Zwillingsbruder Jaxon sie findet, kommen die Erinnerungen an ihre gewaltsame Kindheit unaufhaltsam wieder zurück. In Philadelphia versucht Lucy, mit Jaxons Hilfe endlich alle die traumatischen Erlebnisse hinter sich zu lassen. Ihre Angst vor Fremden zwingt sie dazu, jeden anderen Menschen auf Abstand zu halten … bis sie Julian kennenlernt, dessen einfühlsame Art sie wieder daran glauben lässt, wie schön es sein kann, jemandem nahe zu sein. Doch auch Julian scheint einen Schmerz in sich zu tragen, von dem er sich nicht befreien kann … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der schicksalshafte und fesselnde Liebesroman »Hold You Close: Lucy & Julian« von Nina Bilinszki wird alle Fans der Bestseller von Lilly Lucas und Ayla Dade begeistern.

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Seitenzahl: 417

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Über dieses Buch:

Nach einem schweren Unfall ist es Lucy gelungen, sich fern der Schatten ihrer Vergangenheit ein zurückgezogenes Leben aufzubauen – aber als ihr Zwillingsbruder Jaxon sie findet, kommen die Erinnerungen an ihre gewaltsame Kindheit unaufhaltsam wieder zurück. In Philadelphia versucht Lucy, mit Jaxons Hilfe endlich alle die traumatischen Erlebnisse hinter sich zu lassen. Ihre Angst vor Fremden zwingt sie dazu, jeden anderen Menschen auf Abstand zu halten … bis sie Julian kennenlernt, dessen einfühlsame Art sie wieder daran glauben lässt, wie schön es sein kann, jemandem nahe zu sein. Doch auch Julian scheint einen Schmerz in sich zu tragen, von dem er sich nicht befreien kann …

Über die Autorin:

Nina Bilinszki ist in den 80er Jahren im Ruhrpott aufgewachsen und lebt heute im Rhein-Main-Gebiet. Seit sie sich erinnern kann, begeistert sie sich für das Schreiben. Wenn sie sich nicht gerade bei ausgedehnten Jogging-Runden inspirieren lässt, taucht sie in die mitreißenden, manchmal glücklichen und manchmal traurigen Welten ihrer Charaktere ein.

Nina Bilinszki veröffentlichte bei dotbooks bereits »At Your Side: Emma & Jaxon«, »Trust Your Heart: Michaela & Marc« und »Find Our Way: David & Keiran«.

Die Website der Autorin: nina-bilinszki.de/

Die Autorin auf Instagram: instagram.com/nina.bilinszki

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eBook-Neuausgabe Februar 2023

Copyright © der Originalausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin, 2019

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von Adobe Stock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mw)

ISBN 978-3-98690-546-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Nina Bilinszki

Hold you close: Lucy & Julian

Roman

dotbooks.

Für Mama, Papa und Oma.

Und für Jack,

der mich dazu inspiriert hat,

Spencer zu schreiben.

Prolog

Lucy

Arrow Rock ‒ April

»Lucy?«

Rita steckte ihren Kopf in den Stall, wo ich gerade meinen Sattel reinigte. Es hatte den ganzen Tag geregnet, weswegen der Sattel nach dem Ausritt voller Schlammspritzer war. Eigentlich mochte ich Regen nicht, aber auf dem Rücken von Starlight machte mir nicht mal das etwas aus. Reiten war Freiheit für mich. Wie fliegen, nur schöner.

»Du hast Besuch.«

Fragend blickte ich zu ihr auf, während ich weiter über das weiche Leder rieb. Seit ich hier wohnte, hatte ich nur ein einziges Mal Besuch bekommen ‒ von meiner Therapeutin. Auf sie und ihre ständigen Fragen konnte ich heute gut und gerne verzichten.

Wie geht es dir?

Was hast du seit deinem letzten Besuch gemacht?

Hast du dich an irgendwas erinnert?

Nein, verdammt. Ich erinnerte mich noch immer an gar nichts von früher. Man hatte mir davon erzählt, aber ich konnte es nicht mit mir in Verbindung bringen. Es war, als wäre es einer anderen Person passiert, einer anderen Lucy, bevor die heutige Person aus ihr hervorgegangen war.

Ich schüttelte den Kopf, um mich von diesen düsteren Gedanken zu befreien.

»Wer ist es?«, fragte ich Rita und stand auf.

Sie lächelte mich unsicher an. »Lass dich überraschen.«

Ich schmiss den Lappen in den Eimer und folgte Rita aus dem Stall und den gewundenen Weg zur Ranch hinauf.

Am Gartenzaun lehnte ein junger Mann, den ich nicht kannte. Er trug eine schwarze Lederjacke und Jeans. Sein zerzaustes Haar wehte im Wind. Das Herz klopfte mir bis zum Hals, weil ich keine Ahnung hatte, wer er war und was er von mir wollte.

Rita drückte kurz meine Hand und lächelte aufmunternd, ehe sie zurück in den Stall ging, vermutlich um meine Sattelreinigung zu beenden.

Als ich näher kam, erkannte ich seine grünen Augen mit dem durchdringenden Blick. Ich hatte sie schon mal gesehen, damals im Krankenhaus, wo ich mich von meiner Gehirnerschütterung erholt hatte. Als man mir dort erzählte, dass ich einen Zwillingsbruder hätte, wollte ich ihn unbedingt sehen. Wir sollen ein inniges Verhältnis gehabt haben, aber als er dann vor mir stand, war er mir vollkommen fremd. Die Enttäuschung in seinem Blick hatte mir panikartig die Brust zugeschnürt. Der Gedanke daran, auch in Zukunft mit dieser Enttäuschung konfrontiert zu werden, hatte mich nicht atmen lassen. Mit ihm zusammenzubleiben war mir damals unmöglich gewesen.

Heute verspürte ich zum Glück nur noch Neugierde, als ich ihn betrachtete. Trotzdem blieb ich in sicherer Distanz zu ihm stehen.

»Hey.« Sein Name fiel mir nicht ein, obwohl ich ihn eigentlich kannte. Seit dem Unfall war es häufig so, dass ich Dinge vergaß oder sie mir entglitten, wenn ich nervös war. So wie jetzt.

»Hi, Lucy, wie geht’s dir?« Sein Blick wanderte über meinen Körper, als wollte er sicherstellen, dass all meine Gliedmaßen am rechten Fleck waren.

»Gut so weit.« Wenn man davon absah, dass ich mich nur wie ein halber Mensch fühlte, weil ich mich an den Großteil meines Lebens noch immer nicht erinnern konnte. »Und dir?«

Er nickte, schüttelte dann den Kopf und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Es …« Fahrig fuhr er sich durch die Haare. »Ich weiß, du kannst dich nicht erinnern, aber ich war vor Kurzem in unserem Elternhaus und habe dort einige Dinge aufgedeckt, die du erfahren musst.«

Mein Atem stockte. Das waren die Dinge, die sich anfühlten, als wären sie einer anderen passiert. Unsere Mom war früh an Krebs gestorben und unser Vater, den wir untereinander immer nur Arschloch genannt hatten, hatte uns missbraucht. Wenn er besoffen nach Hause gekommen war, hatte er Jaxon verprügelt oder sich anderweitig an mir vergangen. Es musste eine schlimme Kindheit und Jugend gewesen sein, wegen der ich ein Unwohlsein fremden Menschen und deren Berührungen gegenüber empfand.

»Das Arschloch ist gar nicht unser Vater. Er wurde nur mit unserer Mom verheiratet, um das Ansehen der Familie zu wahren«, erklärte mein Bruder. »Unser richtiger Vater heißt Steven. Er musste damals eine Erklärung unterzeichnen, niemals nach uns zu suchen, weswegen wir nichts von ihm wussten. Er scheint aber nett zu sein, ich habe bereits mit ihm telefoniert. Außerdem gibt es da noch das Erbe von Mom, von dem ich jetzt erst erfahren habe. Ich würde es gerne mit dir teilen.«

Mir schwirrte der Kopf bereits, aber Jaxon ‒ ah, ich wusste seinen Namen wieder ‒ redete einfach weiter. Er erzählte mir von Emma, seiner Freundin, die ihm beigestanden hatte, als er dort gewesen war, dass er das Haus verkaufen wollte und vorhatte, unseren richtigen Vater zu treffen.

Jaxon räusperte sich und wirkte mit einem Mal verlegen. »Außerdem wollte ich dir das hier geben.«

Er hielt mir ein kleines, rosafarbenes Notizbuch hin.

Der Anblick löste ein seltsames Ziehen in meinem Magen aus und plötzlich zitterte ich am ganzen Körper. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und griff nach dem Buch, aber sobald sich meine zitternden Finger darum schlossen und ich den Einband befühlte, spürte ich, wie eine Erinnerung in mir wach wurde.

Ich saß an einem Schreibtisch in einem Raum mit hell gemusterten Tapeten, flatternden Vorhängen und Pferdepostern an den Wänden. Mein Tagebuch lag aufgeschlagen vor mir und ich überlegte, wie ich das gestern Erlebte am besten in Worte fassen sollte. Ein Junge aus meiner Klasse hatte mich zum Eisessen eingeladen und ich war so aufgeregt deswegen. Es war das erste Mal, dass mich jemand gefragt hatte, und obwohl er nett war, wusste ich nicht, ob ich ihn nett genug fand, um Ja zu sagen.

Plötzlich wurde die Tür hinter mir aufgestoßen und knallte mit Wucht gegen die Wand. Erschrocken schlug ich das Tagebuch zu und drehte mich ängstlich auf meinem Stuhl um.

Das Arschloch kam in den Raum getorkelt, seine Augen glasig vom Alkohol, aber das lustvolle Blitzen darin war trotzdem nicht zu übersehen …

Keuchend ließ ich das Tagebuch in den Schlamm fallen, als könnte ich damit die Erinnerung aufhalten. Aber das genaue Gegenteil war der Fall. Als hätte diese Erinnerung eine Schleuse geöffnet, prasselten weitere Szenen auf mich ein. Wie dichter Hagel, der auf mich einschlug, hinterließ jede einzelne einen schmerzhaften Stich in meiner Seele.

Meine Mom, die mir als Kind eine Gute-Nacht-Geschichte vorlas. Ein geschmückter Tisch zu Jaxons und meinem achten Geburtstag. Das Arschloch, wie er wie von Sinnen auf Jaxon einschlug. Ein Test in der Schule, den ich mit Bravour meisterte. Die kleine Kirche, wo wir sonntags immer zur Messe gegangen waren. Mom, die vom Krebs geschwächt in ihrem Bett lag. Jaxon und ich, wie wir als Kinder in unserer Einfahrt spielten. Ein Kellerraum, in dem ich auf ein dreckiges Bett gefesselt war.

Ich schloss die Augen und verdeckte sie mit meinen Fäusten, in dem verzweifelten Versuch, die Erinnerungen zu stoppen. Aber sie ließen sich nicht aufhalten. Unaufhörlich schossen Bilder durch meinen Kopf, gute und schlechte zugleich, ohne ein erkennbares Muster. Oftmals drängten sie sich nur für Sekunden in den Vordergrund, ehe sie einer weiteren Erinnerung Platz machten. Jahre meines Lebens zogen wie ein Film an mir vorbei.

Das Gewicht dieser Erinnerungen drückte auf meinen Schultern und ich spürte, wie ich tiefer in den Boden sank. Mein Atem kam in abgehackten Zügen, während ich versuchte, mich aus der Umklammerung der Vergangenheit zu befreien.

»Lucy?« Nur gedämpft drang Jaxons Stimme zu mir durch. Er umfasste meine Handgelenke und zog meine Fäuste vorsichtig von meinem Gesicht fort. »Was ist los? Rede mit mir.«

Seine Stimme klang vertraut, was mich innehalten ließ. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und es dauerte etwas, bis ich mich auf ihn fokussieren konnte. Aber als ich in seine grünen Augen sah, traten die Erinnerungen in den Hintergrund. Sie waren immer noch da, aber sie erdrückten mich nicht mehr.

Auf einmal kam mir Jaxons Gesicht so bekannt vor wie mein eigenes. Ich wusste wieder, woher er die kleine Narbe an seiner rechten Wange hatte und wie seine Augen geradezu Funken sprühten, wenn er so richtig wütend war. Ich wusste nicht nur, wie eng unser Verhältnis früher gewesen war, ich spürte es auch. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, wenn ich daran dachte, wie sehr es ihn verletzt haben musste, als ich ihn im Krankenhaus von mir gestoßen hatte.

»Jaxon«, flüsterte ich ehrfürchtig. Ich streckte eine Hand nach ihm aus und ließ die Finger über seine Wange gleiten. »Oh, Jaxon.«

Die Liebe, die ich für ihn empfand, schnürte mir die Kehle zu und Tränen traten mir in die Augen.

»Was ist los?«, wiederholte Jaxon so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. Dabei sagte mir der Blick in seinen Augen, dass er es bereits wusste.

»Ich erinnere mich wieder.«

Kapitel 1

Lucy

Philadelphia ‒ August

Keuchend schreckte ich aus dem Schlaf hoch. Was war geschehen? Hatte ich wieder einen Albtraum gehabt? Ich konnte mich nicht mehr erinnern.

Ich brauchte einen Moment, um mich zu orientieren. Es war viel zu dunkel und vor allem zu still. Ich vermisste das leise Schnaufen und Wiehern der Pferde, das die letzten Jahre mein ständiger Begleiter gewesen war.

Irgendwo ertönte ein Knall, der mich aus meinen Gedanken befreite und mir in Erinnerung rief, dass ich mich schon lange nicht mehr bei meinen Pferden in Arrow Rock befand. Stattdessen war ich in Philadelphia, bei Jaxon. Zuerst war ich wenig begeistert von Ritas Vorschlag gewesen, ein Praktikum in der Tierklinik ihrer alten Collegefreundin zu machen. Auf der Ranch hatte ich mich sicher gefühlt. Der bloße Gedanke daran, in einer Großstadt zu leben, hatte mich eingeschüchtert. Doch es war eine Chance, auf eigenen Beinen zu stehen, und auch wenn ich es mir zuerst nicht eingestehen wollte, gefiel mir die Vorstellung, wieder in der Nähe meines Zwillingsbruders zu sein. Nun hoffte ich, dass wir unser inniges Verhältnis von früher wieder aufbauen konnten.

Erneut vernahm ich ein lautes Pochen. Seufzend drehte ich mich auf die Seite und tastete nach dem Lichtschalter, um mich auf die Suche nach der Ursache des Geräusches machen zu können. Das gleißende Licht ließ mein Zimmer jämmerlich erscheinen. Es war so klein, dass gerade einmal ein schmales Bett, eine Kommode und ein Schreibtisch darin Platz fanden. Die Wände waren kahl und das winzige Fenster gab den Blick auf einen dreckigen Hinterhof frei. Und obwohl ich kaum Klamotten besaß, war die einzige Kiste, die ich mitgebracht hatte, noch immer nicht vollständig ausgepackt. Dabei war ich schon seit vier Wochen hier.

Nachdem ich in meine Flipflops geschlüpft war, öffnete ich die Tür und tapste leise in den Flur. Die Tür zu Grace’ Schlafzimmer war geschlossen und ich konnte keinen Mucks daraus hören, also konnte das Geräusch, das mich geweckt hatte, eigentlich nur aus der Praxis kommen.

Ein erneuter Knall ertönte und jetzt war eindeutig auszumachen, dass er von unten kam. Wie Grace nur so ruhig weiterschlafen konnte? Ich nahm die Treppe ins Erdgeschoss und betrat den Empfangsraum der Tierklinik. Grace hatte sie mit zwei Freundinnen gegründet, nachdem sie ihr Studium der Veterinärmedizin abgeschlossen hatte, und war in die Wohnung direkt über der Praxis eingezogen, um ein Auge auf die Tiere haben zu können, die über Nacht bleiben mussten. Ihre Freundin Rose leitete die Praxis noch immer mit ihr zusammen, während Dany im letzten fahr zu ihrem Freund nach New York gezogen war, wonach das Arbeitspensum für die beiden so groß geworden war, dass sie sich nach einer Praktikantin umgesehen hatten.

Aktuell hatten wir zwei Patienten. Einen Border Collie namens Sprinkles, dem ein Tumor aus dem Bauch herausoperiert werden musste, und eine Siamkatze namens Miss Marple, die mit einer Vergiftung eingeliefert worden war. Grace vermutete, dass sie durch Reinigungsmittel vergiftet worden war, doch die Besitzerin schwor hoch und heilig, diese immer gut verschlossen zu halten.

Als ich den Patientenraum betrat, fand ich jedoch beide Tiere schlafend in ihren Zwingern vor. Sprinkles hob müde ein Augenlid und betrachtete mich kurz, aber noch bevor ich den Rückzug antrat, schloss er sein Auge bereits wieder und schnarchte leise.

Wieder dieses dumpfe Geräusch. Diesmal hörte es sich eindeutig wie ein Klopfen an und schien von der Eingangstür zu kommen. Verwundert ging ich in den Empfangsraum zurück und schaltete das Licht ein. Flackernd sprangen die Deckenleuchten an und ließen eine dunkle Gestalt draußen vor der Tür erkennen, die etwas Großes in den Armen zu halten schien.

Für einen kurzen Moment lähmte mich die Angst und ich verharrte unschlüssig neben dem Tresen, die Hand noch immer in der Luft in der Nähe des Lichtschalters schwebend.

Dann knallte es erneut und das Geräusch riss mich aus meiner Starre. Als ich zur Tür eilte, um sie aufzuschließen, wusste ich endlich, warum das Pochen so unfassbar laut war. Weil der Mann mit dem Tier die Hände voll hatte, trat er mit dem Fuß gegen die Glasscheibe und der Lautstärke nach zu urteilen, musste er Stiefel mit Stahlkappen tragen.

Meine Hände waren vor Angstschweiß klatschnass, weil ich nicht wusste, was mich erwartete, als ich die Tür aufzog und in zwei warme, braune Augen blickte, die ein Kribbeln in meinem Bauch auslösten. Mein Atem stockte, aber ich hatte keine Zeit, mich über die Reaktion meines Körpers zu wundern, da das Fellknäuel in meine Richtung geschoben wurde.

»Ich brauche Hilfe.«

Das war eindeutig.

Mein Blick zuckte von den schönen braunen Augen des Mannes zu dem Tier. Der Hund, wie ich jetzt erkannte, stieß ein leises und kraftloses Winseln aus. Sofort verfiel mein Körper in den Arbeitsmodus. Mein Herzschlag beruhigte sich und mein Gehirn begann auf Hochtouren zu arbeiten. Ich zog die Tür auf und machte einen Schritt zur Seite, um ihn einzulassen.

»Komm rein, die Behandlungsräume sind hinten rechts.« Ich deutete in die Richtung.

Ohne mich zu beachten, rauschte der Fremde an mir vorbei und ich folgte ihm in den Behandlungsraum.

»Was ist mit ihm passiert?«, wollte ich wissen, als ich eine Hand auf das weiche Fell des Mischlings legte. Ich konnte spüren, wie sich sein Brustkorb beim Atmen gleichmäßig hob und senkte, und wertete das als ein gutes Zeichen.

»Ich bin von der Arbeit nach Hause gefahren«, sagte der Mann mit belegter Stimme, »und plötzlich ist er auf die Straße gelaufen. Direkt vor mein Auto.« Er fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und ich blickte erstaunt zu ihm auf. Er hatte dunkelbraune Haare, die ihm fast bis in die Augen hingen, und trug einen Dreitagebart.

»Ich dachte, es ist dein Hund, so, wie du hier gegen die Tür gepoltert hast«, sprach ich meine Verwunderung aus.

Er schüttelte den Kopf. »Auch wenn ich immer einen Hund wollte, hab ich dafür leider keine Zeit.«

Das konnte ich nachvollziehen. Er schien in meinem Alter zu sein und studierte vermutlich an einem der Colleges in Philadelphia. Dazu würde er arbeiten müssen, um das Studium zu finanzieren, und hatte mit Sicherheit eine Freundin, die ebenfalls einen Teil seiner Zeit beanspruchte.

»Hast du gesehen, wo du ihn getroffen hast?«, fragte ich, um mich von meinen Gedanken abzulenken.

»Er ist von rechts vor mein Auto gelaufen, also hier.« Er deutete auf die Seite des Hundes.

»Wie schnell bist du ungefähr gefahren?«

Er zuckte mit den Schultern und blies lautstark Luft aus. »Schwer zu sagen. Vielleicht dreißig Meilen? Ich konnte noch abbremsen, aber nicht genug, um ihn nicht zu treffen.«

»Okay.«

Vorsichtig begann ich den Hund von der Schulter an abzutasten, ob ich starke Schwellungen oder gebrochene Knochen spüren konnte. In der Nähe seiner Hüfte konnte ich eine Verdickung fühlen und der Hund begann zu winseln, als ich sanft darauf drückte.

»Er scheint hier eine Prellung zu haben«, sagte ich. Damit würde er für einige Zeit humpeln müssen, aber es wäre keine lebensbedrohliche Situation. »Aber sie sitzt direkt an der Hüfte, sodass ich nicht weiß, ob die Knochen ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurden.«

Ich trat einen Schritt vom Tisch zurück und wischte mir eine Haarsträhne aus der Stirn. Hier würde ich alleine nicht weiterkommen. Der Hund musste geröntgt werden und ich hatte noch nicht gelernt, das Gerät zu bedienen.

»Ich bin gleich wieder da, ähm …« Mir fiel auf, dass ich seinen Namen noch gar nicht kannte, und ich blickte ihn fragend an.

»Julian«, stellte er sich vor.

»Ich bin Lucy, aber ich bin hier nur eine Aushilfe. Ich muss Grace holen, ihr gehört die Praxis.« Ich drehte mich zur Tür um, konnte aber aus dem Augenwinkel noch sehen, wie Julian dem Hund beschützend eine Hand auf den Kopf legte und ihn hinter den Ohren kraulte. Diese beinahe abwesend wirkende Geste brachte mich zum Lächeln. Wer sich so um ein Tier kümmerte, das er gar nicht kannte, musste ein guter Mensch sein.

Eilig lief ich nach oben in die Wohnung. Ich klopfte zweimal an Grace’ Tür, bevor ich eintrat, und fand meine Mentorin bereits in ihrem Bett sitzend vor.

»Ich habe einen Notfall unten.« Mehr musste ich nicht sagen, denn sie war schon aufgesprungen und zog sich in Windeseile eine Jeans und ein T-Shirt über.

Das war typisch Grace. Sie hatte das, was ich liebevoll als Helfersyndrom bezeichnen würde. Obwohl sie eine Tierklinik betrieb, würde sie auch für jede andere Art von Notfall ungefragt aus dem Bett springen und sich darum kümmern. Auch mich hatte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, aufgenommen. Zwar hatte sie in der Klinik Hilfe benötigt, aber dass sie mich kostenlos bei sich wohnen ließ und versuchte, mich in ihr Leben einzubinden, weil ich hier niemanden kannte, war für mich nicht selbstverständlich.

Auf dem Weg nach unten gab ich ihr einen groben Überblick über die Geschehnisse. Als wir den Behandlungsraum betraten, stand Julian unverändert neben dem Tisch und kraulte den Hund. Resolut trat Grace auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen.

»Mein Name ist Grace Jenkins und ich bin heute Nacht die behandelnde Ärztin.«

»Julian Black.« Er ergriff ihre Hand und schüttelte sie kurz.

Sofort beugte Grace sich über den Hund und begann ihn ebenfalls vorsichtig abzutasten. Sie murmelte und seufzte leise, ehe sie aufblickte und mir zunickte. Dann wandte sie sich an Julian.

»Meine Assistentin hat recht. Die Schwellung liegt direkt über dem Hüftknochen, daher können wir ohne Röntgenbild nicht sagen, ob es sich um eine simple Prellung oder eine schlimmere Verletzung handelt.« Sie bedeutete mir, ihr dabei zu helfen, den Hund auf den Transporttisch zu hieven.

Julian nickte eifrig und zog sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche. »Das ist kein Problem, wie viel kostet es?«

Grace und ich warfen uns einen Blick zu. »Ich dachte, es ist nicht dein Hund?«, wiederholte ich meine Frage von vorhin.

»Aber ich habe ihn angefahren. Da möchte ich auch sicherstellen, dass er keine bleibenden Schäden davonträgt.«

Er sagte das, als wäre es das Normalste auf der Welt. Als würde jeder andere auch sofort einem verletzten Tier helfen, das er mitten in der Nacht angefahren hatte. Ich würde gerne glauben, dass ein Großteil der Menschen wie Julian handelte, aber Tatsache war nun mal, dass die meisten ohne mit der Wimper zu zucken weitergefahren wären. Vor allem, nachdem sie festgestellt hatten, dass der Hund kein Halsband trug und wie ein Streuner aussah.

Grace schaute Julian durchdringend an. »In Ordnung«, sagte sie dann.

»Ist der Hund gechipt oder so? Wie finden wir seinen Besitzer?«

»Ich befürchte, dieser kleine Racker ist ein Straßenköter, der niemandem gehört und dessen Rasse auch nicht eindeutig auszumachen ist. Wir bringen ihn in den Röntgenraum.« Den letzten Satz sagte Grace zu mir und wir schoben den Tisch vorsichtig aus dem Behandlungsraum. Julian warf uns noch einen verblüfften Blick nach, folgte uns aber nicht.

Der Röntgenraum befand sich am Ende des Ganges. Wir positionierten den Hund unter dem Gerät und nahmen dann Bilder aus verschiedenen Winkeln auf, um das Ausmaß der Verletzung beurteilen zu können. Die ganze Prozedur dauerte bestimmt eine Viertelstunde und ich war sicher, dass Julian mittlerweile gegangen war.

Doch als wir den Hund zurück in den Behandlungsraum schoben, lehnte Julian an der Wand, die Hände tief in den Taschen seiner Shorts vergraben, und betrachtete uns unter gesenkten Lidern. Ich freute mich, dass er gewartet hatte, und schüttelte bei dem Gedanken sofort den Kopf über mich selbst.

»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte er mit sanfter Stimme.

»Wir werden …« Meine Stimme war nur ein Krächzen, daher räusperte ich mich und begann von vorne. »Wir werden die Röntgenbilder auswerten und je nach Schwere der Verletzung eine Behandlung beginnen. Der Hund wird einige Nächte bei uns verbringen, aber wir können uns hier langfristig nicht ausreichend um ihn kümmern. Daher werden wir ihn leider ans Tierheim abgeben müssen.«

Julian hatte sich neben mich gestellt und begann erneut den Hund zu kraulen. Ich konnte die Wärme spüren, die von ihm ausging, und die Härchen an meinen Armen stellten sich auf.

»Armer Kerl«, murmelte er. Dann sah er zu mir auf. »Ist es okay, wenn ich ihn morgen besuchen komme und mit ihm Gassi gehe, wenn seine Verletzung es zulässt?«

Für einen Moment konnte ich ihn nur mit offenem Mund anstarren. Es kam so gut wie nie vor, dass jemand sich um einen verletzten herrenlosen Hund kümmern wollte, in welcher Art und Weise auch immer. Wieso machte er das?

Anscheinend hatte ich zu lange geschwiegen, denn Grace antwortete für mich. Und sie schien es auch überhaupt nicht bedenklich zu finden, dass Julian ein derartiges Interesse an dem Hund hegte. »Natürlich. Wir haben von acht Uhr morgens bis nachmittags um fünf geöffnet. Du kannst jederzeit gerne vorbeikommen.«

Ich warf ihr einen Blick zu, aber sie sah nicht einmal auf. Sie saß über die Röntgenbilder gebeugt und wartete darauf, dass sie sichtbar wurden.

»Okay, dann bis morgen.« Julians Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Als ich aufsah, stand er direkt vor mir. Er kratzte sich mit einer Hand am Hinterkopf und biss auf seiner Unterlippe herum, als wäre er unsicher oder nervös.

»Bis morgen«, brachte ich hervor und lächelte ihn schüchtern an.

Julian sah mich lange an, ehe er sich umdrehte und Richtung Ausgang lief. Ich blickte ihm hinterher, bis er aus meinem Blickfeld verschwand, und versuchte die seltsamen Gefühle zu deuten, die er in meinem Inneren ausgelöst hatte.

Kapitel 2

Julian

»Hey, Mann, hörst du mir überhaupt zu?« David stieß mich mit dem Ellbogen ziemlich unsanft in die Rippen und holte mich damit aus meinem Tagtraum. Blinzelnd sah ich mich um und entdeckte, dass wir in der proppenvollen Mensa saßen. Mein Teller war noch mehr als zur Hälfte gefüllt und ein Blick auf meine Uhr bestätigte, dass wir uns bald auf den Weg zu unserer nächsten Vorlesung machen sollten.

»Sorry, ich war ich Gedanken. Was hast du gesagt?«

Ich nahm erneut meine Gabel zur Hand und stocherte lustlos in meinem undefinierbaren Mittagessen herum. Auf der Tafel stand, dass es Linseneintopf sein sollte, aber weder hatte ich darin bisher Linsen ausmachen können, noch konnte ich definieren, woraus die breiige Masse stattdessen bestand. Sie hatte die Konsistenz und den Geschmack von … gar nichts.

»Ich habe dich gefragt, ob du schon mit der Hausarbeit angefangen hast, die Professor Kinney uns aufgegeben hat«, wiederholte David.

Bei Professor Kinney hatten wir Angewandte Mathematik, das einzige Fach, das wir gemeinsam belegten, und meistens erledigten wir die Hausaufgaben zusammen. In der letzten Woche hatten wir uns jedoch kaum gesehen, sodass wir noch nicht dazu gekommen waren.

»Ich habe noch nicht eine einzige Formel dafür angesehen«, gestand ich zähneknirschend. Normalerweise war ich sorgfältiger, was meine Hausaufgaben betraf, aber die letzte Woche war mir einfach über den Kopf gewachsen. Zuerst hatte ich die Bestätigung bekommen, dass ich einen Startplatz für den Philadelphia-Marathon erhalten hatte, dann hatte meine Mom mir die Hiobsbotschaft mitgeteilt, dass mein Dad in naher Zukunft an der Hüfte operiert werden musste, weswegen ich so durch den Wind gewesen war, dass ich mitten in der Nacht diesen armen Hund angefahren hatte. Ich fühlte mich immer noch schlecht deswegen, wobei mir eigentlich klar war, dass ich nichts dafür konnte. Trotzdem kam ich nicht umhin, mich zu fragen, ob ich den Unfall hätte verhindern können, wenn ich langsamer gefahren wäre oder mehr auf meine Umgebung geachtet hätte.

David öffnete seinen Mund, als wollte er etwas sagen, schloss ihn jedoch sofort wieder und betrachtete mich stattdessen eingehend. Unter seinem Blick fühlte ich mich wie bloßgestellt. Es kostete mich einiges an Selbstbeherrschung, um nicht schützend die Arme vor der Brust zu verschränken.

»Du bist irgendwie abwesend heute«, bemerkte er schließlich. »Ist alles in Ordnung?«

Ich verfluchte ihn dafür, mich gut genug zu kennen, um das zu bemerken. »Alles bestens, ich habe nur schlecht geschlafen.«

Warum ich ihn anlog, konnte ich nicht sagen. Ich wusste nur, dass ich vorerst niemandem beichten wollte, dass ich einen Hund angefahren hatte und mich deswegen noch immer schlecht fühlte. Vermutlich trugen die vier Stunden Schlaf ihr Übriges dazu bei, dass ich heute irgendwie neben der Spur war. Sicher war jedoch eins: Ich würde erst beruhigt sein, wenn ich in der Tierklinik war und mich davon überzeugt hatte, dass es dem armen Tier besser ging.

David schnippte mit den Fingern vor meiner Nase und holte mich erneut aus meinen Gedanken. »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte er skeptisch.

»Alles bestens.« Selbst in meinen Ohren klang das alles andere als überzeugend. Hastig begann ich meine Sachen zu packen und hievte die Tasche über meine Schulter. »Ich muss zu meiner nächsten Stunde«, brachte ich die lahmste Ausrede hervor, die mir einfiel.

Kaum hatte ich mich drei Schritte von unserem Tisch entfernt, ergriff eine Hand meinen Oberarm und hielt mich auf. »Vergiss es, Freundchen. Du setzt dich jetzt hin und erzählst mir, was los ist.«

David hatte mich natürlich längst durchschaut, und wie es sich für einen besten Freund gehörte, ließ er mich nicht einfach mit meinen Ausreden durchkommen. Mit einem Seufzen blickte ich mich in der Mensa um.

»Können wir irgendwo anders hingehen? Ich hab vom Campus heute die Nase voll.«

David zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Lass mich nur kurz Emma Bescheid geben, dass ich nicht zur nächsten Stunde kommen werden.«

Kurz darauf saßen wir in unserem Lieblingscafé, vor mir eine große Tasse schwarzen Kaffees, während David sich ein Gebräu bestellt hatte, in dem so viel Milch und unterschiedliche Sirups waren, dass es den Begriff Kaffee gar nicht mehr verdient hatte. Ich berichtete ihm, wie ich in der letzten Nacht den Hund angefahren hatte und in der Tierklinik gelandet war.

»Es war total heftig. Er kam wie aus dem Nichts zwischen zwei geparkten Autos hervor und auf die Straße gerannt, als wäre er vor irgendwas auf der Flucht. Ich hab nur einen dunklen Schatten gesehen und instinktiv auf die Bremse getreten. Zuerst war ich heilfroh, keinen Menschen angefahren zu haben. Doch dann hab ich den armen Kerl gesehen, wie er winselnd vor meiner Kühlerhaube lag und nicht mehr auf die Beine kam. Ich habe mich schrecklich gefühlt.«

David nickte. »Kann ich verstehen. Und dann hast du ihn einfach ins Auto gepackt?«

»Ich wünschte, ich wäre schneller zu dem Entschluss gekommen. Ich wusste erst nicht, was ich machen sollte. Ich meine, bei einem Menschen setzt man einen Notruf ab, aber bei einem Tier? Irgendwann bin ich auf die Idee gekommen, Tierärzte zu googeln. Die Klinik war nur fünf Minuten entfernt.«

»Zum Glück war jemand da, der dir helfen konnte.«

»Die Tierärztin und ihre Assistentin wohnen wohl über der Praxis und haben mein Poltern gehört.« Ich fragte mich, ob sie verwandt waren, aber Grace wirkte nicht alt genug, um Lucys Mutter zu sein. Vielleicht ihre Tante?

»Du hast echt Glück im Unglück gehabt. Dir hätte ja auch etwas passieren können«, rief David mir ins Gedächtnis.

»Darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht«, gestand ich.

»Typisch.« David schüttelte den Kopf. »Hat dein Auto etwas abbekommen?«

Auch darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht, aber bei der Schrottkarre würden einige Kratzer mehr nicht groß auffallen.

»Gibt es eigentlich etwas Neues von der Keiran-Front?«, lenkte ich von mir ab. David hatte mir erzählt, dass Keiran vor drei Wochen aus der Reha zurück nach Philadelphia gekommen war und sich prompt bei ihm gemeldet hatte. Das fand ich ein ganz schön starkes Stück, nach der Art und Weise, wie er sich vor zwei Jahren klammheimlich aus Davids Leben verabschiedet hatte. Aber ich kannte meinen besten Freund und wusste, dass er trotz allem noch immer an Keiran hing. Also interessierte es mich, wie lange es dauern würde, bis er einknicken und sich mit ihm treffen würde.

»Nicht wirklich?« Dass er seine Antwort als Frage formulierte, sagte mir, dass es sehr wohl etwas zu berichten gab, er aber nicht darüber reden wollte. Ich nahm mir vor, ihn in einem ruhigeren Moment noch einmal darauf anzusprechen.

Es war später Nachmittag, als ich bei der Tierklinik ankam. Bevor ich nach der Türklinke griff, wischte ich mir die verschwitzten Hände an meiner Jeans ab. Ich wusste nicht, ob es an meiner Nervosität oder an der Hitze lag, dass ich so schwitzte. Vielleicht eine Mischung aus beidem?

Alles wird gut, sagte ich mir, drückte die Klinke herunter und betrat die Praxis. Ein Schwall kalter Luft verriet mir, dass die Klimaanlage auf Hochtouren lief. Fröstelnd richteten sich die Haare auf meinen Armen auf.

An der Information war niemand zu sehen, daher ging ich gleich durch in den hinteren Bereich mit den Behandlungsräumen. Im Hellen wirkte alles ganz anders als bei Nacht. Viel einladender. An den Wänden hingen unzählige Fotos von Tieren und Dankesschreiben von Leuten, deren Haustieren erfolgreich geholfen worden war.

»Hey, was machen Sie hier?«, ertönte eine Stimme hinter mir, als ich gerade in den Behandlungsraum treten wollte, in dem ich bereits gewesen war. Ertappt drehte ich mich um und zuckte entschuldigend mit den Schultern.

»Sor…«

Der Rest der Entschuldigung blieb mir im Hals stecken, denn Lucy stand vor mir. Heute Nacht hatte ich sie gar nicht richtig wahrgenommen, doch jetzt ließ sie mein Herz höher schlagen. Ihr dunkles Haar war erneut zu einem Pferdeschwanz gebunden und sie wirkte weniger blass. Ihre blauen Augen blitzten mich herausfordernd an ‒ aber nur für einen Moment, dann schien sie mich zu erkennen und entspannte sich.

»Du bist es.« Sie legte die Stirn in Falten und schnippte mit den Fingern, als läge ihr mein Name auf der Zunge. Je mehr Zeit verging, desto mehr Verzweiflung breitete sich auf ihrem Gesicht aus und sie schlug sich mit der Faust vor die Stirn. »Du warst heute Nacht schon hier.«

»Genau, ich habe den Hund angefahren.«

Jetzt lächelte sie. »Richtig, wir haben ihn vorübergehend Spencer genannt. Wie sich herausgestellt hat, hat er von dem Unfall wirklich nur eine Prellung davongetragen.«

»Das ist ja großartig. Das heißt, ich kann zu ihm?«

»Du kannst mit ihm sogar ein wenig auf die Wiese am Ende der Straße. Er müsste ohnehin mal wieder raus. Komm mit.«

Ich folgte ihr zur Information, wo sie einen großen Ordner aus dem Regal zog.

»Ich muss dich hier nur eintragen und du musst deine Telefonnummer hinterlegen, damit wir dich im Notfall, oder wenn du den Hund nicht zurückbringst, anrufen können.« Sie zückte einen Stift und beugte sich über den Ordner. »Dein Name ist… Ach, verflucht, gerade wusste ich ihn noch.«

Verärgert blickte sie auf und ich wollte schon meine Hand nach ihr ausstrecken, um sie zu beruhigen, konnte mich aber gerade noch zurückhalten. Ich war nicht sicher, ob sie meine Berührung begrüßt hätte. Trotzdem verstand ich nicht, was so schlimm daran war, dass sie meinen Namen nicht behalten hatte. Das passierte doch jedem mal.

»Julian, mein Name ist Julian Black«, sagte ich.

Sie lächelte dankbar und trug den Namen in eine Liste ein, die sie mir danach rüberschob. »Hier musst du noch deine Adresse und Telefonnummer eintragen. Außerdem die Uhrzeiten, zu denen du Spencer abgeholt und wieder zurückgebracht hast. Ich mache ihn derweil fertig.«

Mit diesen Worten ließ sie mich alleine an der Information stehen. Ich schaute ihr hinterher, bis sie um die Ecke verschwunden war. Aus irgendeinem Grund konnte ich meinen Blick nicht von ihr lösen.

Erst dann wandte ich mich dem Ordner zu und begann meine persönlichen Daten in die Tabelle einzutragen. Ich freute mich darauf, mit Spencer an die Luft zu gehen. Mir fiel auf, dass ich viel zu selten rausging, um einfach nur zu entspannen oder die Ruhe zu genießen. Entweder eilte ich auf dem Campus von einem Gebäude zum nächsten, um nicht zu spät zu einer Vorlesung zu kommen, oder ich trainierte für den Marathon oder ein anderes Rennen.

Ein sanftes Räuspern holte mich aus meinen Gedanken. Blinzelnd blickte ich zur Seite und entdeckte Lucy, die einen wild mit dem Schwanz wedelnden Spencer an der Leine hielt.

»Hey, mein Junge.« Ich ging in die Hocke und ehe ich mich versah, versuchte er mir auf den Schoß zu krabbeln. Obwohl Spencer mir nur bis zum Knie reichte, stieß er mich mit seinem Enthusiasmus um und wir fielen zusammen zu Boden. Lachend zerzauste ich ihm das Fell und kraulte ihn hinter den Ohren, woraufhin er sofort begann mir das Gesicht abzulecken.

Ein Kichern ließ mich aufsehen. »Er scheint dich zu mögen«, sagte Lucy mit funkelnden Augen.

»Aber klar, wie könnte man mich auch nicht mögen?«, entgegnete ich.

»Ja, keine Ahnung.« Lucys Stimme triefte vor Sarkasmus. »Vielleicht, weil du ihn angefahren hast?« Sie zog herausfordernd eine Augenbraue hoch und ich musste gestehen, dass ich darauf keinen Einwand mehr hatte.

»Touché.« Ich rappelte mich auf und hielt ihr meine Hand hin, damit sie mir die Leine geben konnte. »Ich habe meine Daten hier eingetragen.« Ich deutete auf den Ordner. »Und ich werde spätestens in einer Stunde mit Spencer zurück sein.«

Lucy warf einen Blick auf die Tabelle und nickte. »Geh nicht zu schnell mit ihm und achte darauf, wie er sich verhält. Auch wenn er jetzt schon wieder herumtollt, hat er eine geprellte Hüfte und könnte schnell müde werden. Streng ihn nicht zu sehr an.«

»Werde ich nicht«, versprach ich. Lucy drückte mir die Leine in die Hand, wobei ihre Finger für den Bruchteil einer Sekunde meine Handfläche streiften. Ein Kribbeln schoss durch meinen Körper, als hätte ich an eine offene Stromleitung gepackt, nur auf eine positive Weise.

Erstaunt blickte ich auf, weil ich wissen wollte, ob ich mir diese Reaktion nur eingebildet hatte. Doch Lucy wirkte genauso überrascht. Sie biss sich auf die Unterlippe, wie um einen Laut zu ersticken, der sich unerlaubt aus ihrer Kehle befreien wollte.

»Danke«, krächzte ich. Mein Hals war plötzlich staubtrocken, als wäre ich einen Halbmarathon durch die Wüste gerannt. Räuspernd festigte sich mein Griff um die Leine. »Bis später.«

***

Lucy

Was war gerade geschehen?

Völlig irritiert schaute ich Julian hinterher, bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. Dann fiel mein Blick hinab auf meine Hand, die verkrampft auf dem Tresen lag. Sie fühlte sich an wie ein Verräter, weil sie auf den Kontakt mit Julian reagiert hatte, als hätte ihr die Berührung gefallen. Was einfach nicht sein konnte. Ich mochte es nicht, von anderen Personen angefasst zu werden, schon gar nicht von fremden Männern. Da konnten sie noch so schöne braune Augen haben oder sich für die Tiere einsetzen, die sie versehentlich angefahren hatten.

Ich schüttelte meine Hand, als könnte ich damit die Erinnerung an die Berührung abschütteln, und ging zurück zu den Behandlungsräumen, die noch gereinigt werden mussten.

Ich nahm die große Wanne, die schon zur Hälfte gefüllt war, und warf die restlichen benutzten Untersuchungsobjekte hinein, die sterilisiert werden mussten, bevor sie erneut zum Einsatz kommen konnten. Dann schob ich die Wanne in den Flur, damit Grace sie in den Keller zum Autoklaven bringen konnte.

Weil außer mir niemand mehr in der Praxis war, schloss ich mein Handy an die Docking Station an und drehte die Lautstärke bis zum Anschlag auf, ehe ich mit dem Putzen begann. Ed Sheeran dröhnte mir entgegen und mit einem Lächeln auf den Lippen machte ich mich an die Arbeit.

Dies war die einzige Zeit am Tag, an der ich wirklich vergessen konnte. Wenn meine Hände mit einer Arbeit beschäftigt waren, die mich ablenkte, und die Musik so laut dröhnte, dass Nachdenken nicht mehr möglich war. Nur dann konnte ich wirklich loslassen und fühlte mich nicht mehr wie das gebrochene Mädchen, das ihre schreckliche Vergangenheit zuerst jahrelang erfolgreich verdrängt und nun Probleme hatte, sich richtig zu erinnern.

Die durch den Sturz ausgelöste Amnesie bereitete mir noch immer Schwierigkeiten. Das meiste wusste ich zwar wieder, aber es gab noch immer dunkle Flecken in meiner Vergangenheit, an die ich mich nicht erinnern konnte. Und manche Dinge waren in meinem Kopf so verschwommen, dass ich nicht sicher war, ob sie tatsächlich geschehen waren.

Das größte Problem bereiteten mir Namen. Wenn ich neue Leute kennenlernte, dauerte es lange, bis ich sie mir merken konnte. Das war mir wirklich unangenehm, und je mehr ich mich deswegen unter Druck setzte, desto schlimmer wurde es.

Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Wange, wo eine Schweißperle meine Schläfe hinabgerollt war. Schnaufend richtete ich mich auf und blickte mich in dem Behandlungsraum um. Obwohl die Klimaanlage auf Hochtouren lief, war mir beim Putzen warm geworden.

Sauberer würde ich diesen Raum nicht mehr bekommen, daher schüttete ich das dreckige Wasser weg, verstaute die Putzmaterialien und setzte mich an die Information, um den restlichen Schreibkram zu erledigen. Es mussten noch einige Rechnungen ins System gebucht und das Übergabeprotokoll für Spencer ausgefüllt werden.

Zwar wollten wir den kleinen Racker noch zwei bis drei Tage zur Kontrolle bei uns behalten, ihn impfen sowie einer Wurmkur unterziehen, aber dann würden wir ihn ins Tierheim abgeben. Dort würde hoffentlich bald ein schönes Zuhause für ihn gefunden werden. Für solche Zwecke arbeiteten wir eng mit PAWS zusammen, der Philadelphia Animal Welfare Society, die zudem auch eines der Gründungsmitglieder der No-Kill-Koalition war, die sich dafür einsetzte, dass in Philadelphia keine Streuner sinnlos getötet wurden.

Obwohl ich wusste, dass die Tiere bei PAWS in guten Händen waren, fiel es mir jedes Mal schwer, einen unserer Patienten in ihre Obhut zu übergeben. Ein Tierheim war leider nicht mit einem liebevollen Zuhause zu vergleichen, egal wie sehr man sich dort bemühte. Gleichzeitig konnte ich die Tiere auch nicht selbst aufnehmen. Grace’ Wohnung war viel zu klein und zudem hatte ich neben der Arbeit in der Praxis nicht genug Zeit, um mich so intensiv um sie zu kümmern, wie sie es benötigten und verdienten.

Ein leises Klicken ertönte und ein Stoß warmer Luft wehte in den Raum. Ich blickte auf und entdeckte Julian, hinter dem die Eingangstür langsam ins Schloss fiel. Sein Haar war vom Wind zerzaust und feine Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Seine braunen Augen strahlten eine Wärme aus, als hätte er die Sonne von draußen mit in die Praxis gebracht. Er kam auf mich zu.

Für einen Augenblick konnte ich ihn nur stumm anstarren. Erst als er belustigt eine Augenbraue in die Höhe zog, war ich wieder zu einer Reaktion fähig.

»Hey«, brachte ich hervor. »Ist alles gut gegangen?«

»Alles bestens.« Julian nickte und beugte sich hinab, vermutlich um Spencer zu kraulen oder zu tätscheln. »Er war richtig aktiv, ist viel herumgelaufen und hat kaum gehumpelt. Ich weiß, ich sollte ihn nicht zu sehr anstrengen, aber er war einfach nicht zu bremsen.« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern.

Ich stand auf und ging um den Tresen herum. Sofort rieb Spencer seinen Kopf an mir und gab keine Ruhe, bis ich in die Hocke ging und ihn kraulte.

»Kein Problem«, versicherte ich Julian. »Solange Spencer sich von alleine bewegt, hat er keine Schmerzen. Man sollte ihn momentan bloß nicht dazu drängen, schneller oder weiter zu laufen, als er von sich aus bereit ist.«

Julian runzelte die Stirn. »Aber sollte man das bei Tieren nicht generell unterlassen?«

Über diese Frage musste ich tatsächlich kurz nachdenken. »Ich denke, das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Katzen zum Beispiel bekommst du ohnehin nicht dazu, etwas zu tun, was sie nicht wollen, also brauchst du es gar nicht erst zu versuchen. Bei Hunden sieht die Sache anders aus. Manche benötigen schon zwischendurch den sprichwörtlichen Tritt in den Hintern, wenn sie keine Lust haben und zickig werden. Als Halter entwickelt man ein Gespür dafür, wann der Hund einfach nur keinen Bock hat oder wann er wirklich Schmerzen hat und geschont werden muss.«

Julians Gesicht hellte sich auf. »Spencer war demnach heute weder zickig noch hatte er Schmerzen.«

»Das ist schön.« Bei seiner Begeisterung musste auch ich unwillkürlich lächeln.

»Was passiert jetzt mit ihm?«

»Wir behalten ihn noch zwei, drei Tage zur Kontrolle, dann kommt er ins Tierheim.« Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern.

»Gibt es keine andere Lösung?«

»Möchtest du ihn denn nehmen?«

Julian atmete schwer aus und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. »Würde ich gerne, aber ich habe leider keine Zeit, mich um ihn zu kümmern. Außerdem weiß ich nicht, ob Haustiere im Wohnheim überhaupt gestattet sind.«

»Mir geht es genauso«, gestand ich. »Ich würde Spencer sofort behalten, aber mein Zimmer bei Grace ist viel zu klein und tagsüber könnte sich niemand um den armen Kerl kümmern.«

Julians Lächeln verschwand. Ich war versucht, meine Hand nach ihm auszustrecken, um ihn zu trösten. Stattdessen ballte ich sie zur Faust und schob sie in meine Hosentasche.

»Wie stehen denn seine Chancen, adoptiert zu werden?«, wollte Julian wissen.

»Das weiß ich nicht. Ich kann Steph aus dem Tierheim danach fragen, wenn sie ihn abholt.«

»Bestünde denn die Möglichkeit, dass ich ihn dort besuchen und mit ihm Gassi gehen kann? Oder eine Patenschaft für ihn übernehme?«

Ich nickte eifrig. »Beides geht, solange er im Tierheim ist. Du kannst entweder eine volle oder eine Teilpatenschaft übernehmen, je nachdem, wie viel du im Monat für ihn erübrigen kannst. Und natürlich kannst du jederzeit bei PAWS vorbeikommen und Spencer für eine Gassirunde abholen. Ich schlage vor, dass ich mit Steph alles bespreche und dann mit dir einen Tag ins Tierheim gehe, wenn Spencer sich dort etwas eingelebt hat. Wenn das für dich okay ist?«

Julian griff über den Tresen und schnappte sich meinen Stift und einen Block. Nachdem er etwas darauf gekritzelt hatte, schob er mir einen Zettel zu und reichte mir Spencers Leine.

»Perfekt. Du kannst dich dann einfach bei mir melden.« Er zwinkerte mir zu und beugte sich zu Spencer, um ihm über den Kopf zu streicheln, dann wandte er sich zum Ausgang. »Bis bald.«

Ich sah ihm hinterher, bis die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, ehe ich nach dem Zettel griff. Eine Handynummer war darauf gekritzelt und dahinter ein lachendes Gesicht. Die gute Laune schien typisch für Julian zu sein, aber eigentlich hätte er sich diesen Zettel sparen können. Immerhin hatte er seine Nummer bereits in unser Formular eingetragen.

Erst als ich das dümmliche Grinsen auf meinem Gesicht bemerkte, fiel mir auf, wie sehr es mich freute, dass er sich trotzdem extra die Mühe gemacht hatte.

Kapitel 3

Julian

»Hey, da bist du ja endlich.« Preston klopfte mir zur Begrüßung auf die Schulter, als ich am Franklin Square Park ankam. Connor und er standen schon bei unserer Trainingsgruppe und es schien so, als wäre ich der Letzte.

Bereits im April hatte ich mich gemeinsam mit Connor und Preston für den AACR-Philadelphia-Marathon angemeldet und da es für uns alle die erste Veranstaltung dieser Art war, hatten wir beschlossen, an dem angebotenen Trainingsprogramm teilzunehmen. Dort wurden uns Trainings- sowie Ernährungspläne erstellt und wir trafen uns einmal in der Woche, um gemeinsam zu laufen.

In unserer Gruppe waren ungefähr 30 Leute, die regelmäßig zu den Läufen kamen. Sie schienen hochmotiviert, obwohl alle Hobbysportler wie wir waren. Es machte Spaß, sich mit ihnen auszutauschen und Tipps zu erhalten, wie jeder einzelne mit Muskelkater oder Trägheit umging.

Ein Blick auf die Uhr bestätigte, dass es bereits zehn Minuten nach dem vereinbarten Termin war.

»Sorry, ich hab meinen Wecker nicht gehört.« Was natürlich nicht daran lag, dass ich gestern zu lange mit David unterwegs gewesen war und zu viel Alkohol getrunken hatte. Absolut nicht.

Connor grinste wissend. »Lange Nacht?«

»Nicht das, was du jetzt wieder denkst«, versicherte ich ihm.

»Pfft, woher willst du wissen, was ich denke?«

»Weil dir deine dreckigen Gedanken ins Gesicht geschrieben stehen.«

Ursprünglich hatte ich gestern nicht einmal vorgehabt, überhaupt wegzugehen. Aber David war an der Temple University, an der wir studierten, Keiran über den Weg gelaufen, welcher erneut versucht hatte, ein Gespräch mit ihm anzufangen, als wäre nichts gewesen. Das hatte David derart aufgewühlt, dass wir den Abend in der Kneipe verbrachten. Und aus Solidarität hatte ich natürlich ein Bier nach dem anderen mit ihm getrunken, das stand so in der Freundschaftsvereinbarung.

»Ich hatte halt letzte Nacht umwerfenden Sex. Ist ja nicht meine Schuld, dass ihr einfach keine Frauen abkriegt.« Connor grinste schamlos, woraufhin Preston genervt die Augen verdrehte.

Ich konnte ihn gut verstehen. Seit Connor mit Katy zusammen war, ließ er keine Möglichkeit ungenutzt, um uns von seinen Sexkapaden zu berichten.

»Hallo zusammen.« Die Stimme unseres Trainers Jake rettete mich davor, mir weitere Bettgeschichten anhören zu müssen. Wir drehten uns zu ihm und unser Gespräch schien damit vergessen. »Schön, dass ihr heute so zahlreich erschienen seid. Es sind noch etwas mehr als zwei Monate bis zum Marathon, also beginnen wir heute mit den langen Dauerläufen. Wir werden das Tempo dabei sehr moderat halten. Hier geht es ausschließlich darum, eure Ausdauer zu trainieren. Für eine erhöhte Schnelligkeit verweise ich auf das Intervalltraining und die Tempoläufe, die in euren Plänen enthalten sind und die ihr in Eigenregie durchführen sollt, falls ihr daran interessiert seid, den Marathon in einer bestimmten Zeit zu absolvieren. Falls es euch nur darum geht, irgendwie ins Ziel zu kommen, braucht ihr euch darüber keine Gedanken machen.«

Innerlich stöhnte ich auf und wünschte mir, dass ich einfach im Bett geblieben wäre. Ich hatte völlig vergessen, dass wir ab heute die langen Läufe starten würden, und wusste nicht, ob ich dem in meiner verkaterten Verfassung gewachsen war. Zwar hatte ich in der Highschool dem Cross-Country-Team angehört, aber selbst da hatten wir keine langen Läufe gemacht. Ich musste gestehen, dass ich das Training hatte schleifen lassen, seit ich an der TU war.

Trotzdem wollte ich mir jetzt, wo ich schon hier war, keine Blöße geben. Also hieß es wohl Augen zu und durch. Und hoffen, dass ich unterwegs nicht zusammenbrechen würde.

Neben mir hüpfte Preston leicht von einem Fuß auf den anderen und ließ dabei seine Schultern kreisen, um die Gelenke zu lockern. Connor ließ seinen Oberkörper nach vorne fallen, umfasste mit den Händen seine Fersen und presste sich an seine Beine, um sich zu dehnen. Ich bewunderte ihren Einsatz, bei mir reichte es jedoch nur dafür, ein wenig meinen Kopfkreisen zu lassen, um die Verspannung im Nacken zu lösen.

Dann liefen wir los. Jake führte uns eine Runde durch den Franklin Square Park, immer über den äußeren Weg, vorbei am Springbrunnen, dem Minigolfplatz und dem Kinderkarussell. Eine Runde entsprach etwa drei Meilen und ich wollte nicht darüber nachdenken, wie viele Runden wir gequält werden würden. Das Einzige, was mich aufrechthielt, war, dass wir am Ende jeder Runde an dem Tisch mit den Erfrischungsgetränken vorbeikommen würden.

Wie immer ließen wir uns etwas zurückfallen, um nicht im Pulk der Gruppe zu laufen. Preston und Connor unterhielten sich über irgendein Computerspiel, das letzte Woche rausgekommen war und das sie seitdem praktisch ununterbrochen zockten. Da Playstation und Co absolut nicht meine Welt waren, blendete ich ihre Unterhaltung aus und konzentrierte mich ganz auf meine Schritte und Atmung.

Zwei Schritte einatmen, drei Schritte ausatmen. Es hatte etwas Hypnotisierendes, wenn man sich bewusst darauf konzentrierte, und so bekam ich nur nebenbei mit, wie sich meine Muskeln mit jedem gelaufenen Kilometer immer mehr lockerten, wie meine Kopfschmerzen verschwanden und mir die Anstrengung leichter fiel.