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Wo beindruckende Berge auf glitzernde Seen und gemütliche Pubs treffen, entspinnen sich die romantischsten und spannendsten Geschichten ... Nina Bilinszkis neue New-Adult-Suspense-Reihe »Glencoe View« entführt an einen der schönsten Flecken Erde und lässt Leser*innenherzen höher schlagen! Die atemberaubenden schottischen Highlands, zwei rivalisierende Mountain Resorts und ein gutaussehender Outdoor Guide, dem man nicht trauen kann ... Isla hat als Mountain Guide der Glencoe View Lodges ihren Traumjob gefunden. Sie ist jedoch alles andere als begeistert, diesen Sommer mit Leon McLachlan zusammenarbeiten zu müssen, mit dem sie schon seit Schulzeiten eine tiefe Feindschaft verbindet. Ärgerlich, dass Leon nichts von seinem Charisma eingebüßt hat und es schafft, ihre hitzigen Diskussionen bald schon in neckende umschlagen zu lassen. Gleichzeitig passieren in den Glencoe View Lodges merkwürdige Dinge: die Küche wird geplündert, das Licht fällt aus und Islas Auto bleibt liegen. Steht Leon auf Islas Seite – oder ist er womöglich der Saboteur, der ihr das Leben zur Hölle machen will? Eine Enemies-to-Lovers-Romance zum Mitfiebern und Dahinschmelzen! Ebenfalls von Nina Bilinszki erhältlich: Die »Between Us«-Reihe: An Ocean Between Us A Fire Between Us A Storm Between Us Die »Love Down Under«-Reihe: No Flames too wild No Stars too bright No Waves too high
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Seitenzahl: 531
Nina Bilinszki
Roman
Knaur eBooks
Isla hat als Outdoor Guide der Glencoe View Lodges ihren Traumjob gefunden. Sie ist jedoch alles andere als begeistert, diesen Sommer mit dem arroganten Leon McLachlan zusammenarbeiten zu müssen, mit dem sie schon seit Schulzeiten eine tiefe Feindschaft verbindet und der seitdem leider nichts von seinem Charisma eingebüßt hat. Als in den Lodges plötzlich merkwürdige Dinge passieren, muss Isla herausfinden, ob Leon auf ihrer Seite ist oder der Saboteur, der ihr das Leben zur Hölle machen will. In Band 2, Two Dreams, One Secret, steht Islas Freundin Kyleen vor der Frage, ob sie ihrem besten Freund Finlay endlich ihre Liebe gestehen soll – doch dann verschwindet er nach einem Einsatz der Mountain Rescue in den Highlands spurlos …
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Widmung
Playlist
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
Epilog
Danksagung
Für Antje
Danke, dass du Glencoe
mit mir entdeckt hast.
Alle sagen das – Die Toten Hosen
Zombie – Bad Wolves
June – Cold Years
After Life – Five Finger Death Punch
Last Man Standing – Rise Against
We Are Fucking Fucked – Muse
Talking To Ourselves – Rise Against
The Fight Of Our Lives – Anti-Flag, Tim McIlrath, Brian Baker
Blow – Eva Under Fire feat. Ice Nine Kills
Only The Dead – Kissin’ Dynamite
The Retaliators Theme – The Retaliators, Mötley Crüe, Asking Alexandria
Behind Your Walls – The Offspring
Times Like These – Five Finger Death Punch
Temple Of Ekur – Volbeat
Lost – Linkin Park
Breathless – The Corrs
Unstoppable – Eva Under Fire
Savior – Rise Against
Surrender – Godsmack
Moving On – Asking Alexandria
I Hate Myself For Loving You – Joan Jett & the Blackhearts
Hurricane – I Prevail
Whiskey In The Jar – Metallica
Love From The Other Side – Fall Out Boy
Eine letzte letzte Runde – Donots
Isla
Es gibt Tage, da weiß man bereits beim Aufstehen, dass man besser im Bett geblieben wäre.
Heute war so ein Tag. Zuerst streikte meine Kaffeemaschine. Und ich meinte damit nicht, dass sie mich auf die herkömmliche Art disste – Wassertank füllen, Satzbehälter leeren, Bohnen nachfüllen, entkalken. Nein, sie sprang einfach nicht an. Egal wie oft oder fest ich auf den Startknopf drückte. Ich probierte es sogar mit einer anderen Steckdose, in der Befürchtung – oder eher Hoffnung –, dass die alte kaputt sein könnte, aber auch das brachte nichts. Meine Kaffeemaschine hatte den Geist aufgegeben, einfach so, obwohl sie gestern noch einwandfrei funktioniert hatte.
Als ich endlich meine Wohnung verließ und zu meinem Auto ging, war ich eigentlich schon zu spät dran für die Arbeit in den Glencoe View Lodges. Zwar war mein Chef Adrien da nicht sonderlich streng, trotzdem war ich ungern zu spät. Ich mochte es einfach nicht, irgendwo anzukommen, wenn alle anderen schon da waren. Wenn sich alle Blicke auf einen richteten und man ihnen an der Nasenspitze ansehen konnte, dass sie Vermutungen anstellten, was man getrieben hatte, um die Zeit zu vergessen.
Außerdem hatte Adrien uns heute vor Arbeitsbeginn für eine Teamsitzung einberufen, und die wollte ich auf keinen Fall verpassen.
Ich stieg in meinen kleinen Kia, schmiss meinen Rucksack auf die Rückbank, schnallte mich an und steckte den Schlüssel ins Schloss. Der Motor röhrte, sobald ich ihn umdrehte, stotterte … und ging dann aus.
»Nicht dein verdammter Ernst«, murmelte ich und versuchte es noch einmal. Erneut röhrte der Motor, stotterte – ich bildete mir sogar ein, dass es diesmal einige Sekunden länger anhielt –, aber am Ende grüßte mich Stille, die in meinen Ohren dröhnte.
Das konnte doch nicht wahr sein. Okay, mein Kia hatte schon einige Jahre auf dem Buckel, mein Dad lag mir schon länger damit in den Ohren, dass ich ihn gegen ein neueres Modell austauschen sollte, aber bisher war er immer einwandfrei gelaufen. Nicht mal bei der Hitzewelle im letzten Jahr, wo wir selbst in den schottischen Highlands über dreißig Grad gehabt hatten – etwas, das hier eigentlich nie vorkam –, hatte er Mucken gemacht. Was war also heute nur los? Zwar hatten wir meteorologisch auch Sommer, aber wie für die Region üblich, lagen die Temperaturen bei kuscheligen sechzehn Grad, die Sonne schaffte es nur ganz selten, sich zwischen den Wolken hervorzuschieben, und für später war feiner Nieselregen angesagt.
Mein Kia hatte wirklich keinen Grund, sich derart anzustellen.
Für einen Moment schloss ich die Augen und lehnte die Stirn gegen das Lenkrad. »Bitte lass mich nicht im Stich. Oder willst du, dass Dad seinen Willen bekommt und wir dich austauschen?«
Erneut drehte ich den Schlüssel um. Der Motor röhrte, stotterte … und sprang endlich an. Erleichterung durchzuckte mich wie ein Stromschlag, und ehe das Auto es sich anders überlegen konnte, legte ich den Rückwärtsgang ein und fuhr aus meiner Einfahrt hinaus.
Ich brauchte nur fünfzehn Minuten, bis ich mein Ziel erreicht hatte, begleitet von einem unglaublichen Panorama. Vor mir ragten hohe Berge in die Höhe, von denen der rechte, der Glencoe Mountain, mein Ziel war. Links von mir lag der Loch Linnhe, dessen Wasseroberfläche so ruhig war, dass sich die umliegenden Berge und Wolken darin spiegelten. Rechts von mir befand sich der alte Schiefertagebau, der heute ein beliebtes Ausflugsziel war. Der Berg, der auf einer Seite grün bewachsen war und auf der anderen Seite schwarzen Schiefer zeigte, war eins der Wahrzeichen von Glencoe.
Sobald ich von der Hauptstraße auf den einspurigen Weg abbog, der sich den grünen Hang hinaufschlängelte, konnte ich die Glencoe View Lodges sehen. Die Lodges bestanden aus Campingfässern, die wie überdimensionale Weinfässer aussahen. Bis zu drei Personen konnten in einem übernachten, und es gab zudem auch ein kleines Badezimmer mit Toilette und Waschbecken darin. Sie fügten sich perfekt in den massiven Berg ein, als würden sie seit jeher dorthin gehören, dabei gab es sie erst seit vier Jahren.
Damals hatte Adrien die Idee gehabt, mit ihnen ein kleines Bed & Breakfast am Hang des Glencoe Mountain zu eröffnen. Aus den Fenstern konnte man das Tal mit der eigentlichen Stadt und dem Loch Linnhe überblicken sowie auf der anderen Seite die berühmten Three Sisters of Glencoe, einen Berg mit drei Gipfeln. Etwas höher gelegen gab es danach benannt auch das Three Sisters Resort, von wo der Sessellift zum Skigebiet auf der Bergspitze startete.
Mit fünf Campingfässern war Adrien damals gestartet, und der Andrang war von Anfang an riesig gewesen. Innerhalb weniger Monate waren wir für ein komplettes Jahr ausgebucht gewesen und begannen, weitere Fässer, einen Gemeinschaftsraum und einen großen Duschraum zu bauen. Gleichzeitig hatten wir auch damit angefangen, diverse Aktivitäten anzubieten. Wandern, Klettern, Bogenschießen, Mountainbiking sowie einige Wassersportarten im Sommer. Mittlerweile umfassten die Lodges achtzehn Campingfässer und mehrere Kurse, die immer gut besucht waren.
Ich kannte Adrien schon seit meiner Jugend. Obwohl er fast sechs Jahre älter war als ich, war er wie ganz Glencoe ein regelmäßiger Gast im Pub meiner Eltern, in dem ich schon ausgeholfen hatte, sobald ich ein Tablett halten konnte.
Meine offizielle Jobbezeichnung war Outdoor Guide, aber ich sah mich selbst eher als Mädchen für alles. Gerade am Anfang hatte ich Adrien auch im Büro unter die Arme gegriffen, und auch heute half ich oft bei Planungen und allem, wo er nicht weiterwusste.
Bis vor zwei Jahren war auch alles rundgelaufen. Es gab mehrere fest angestellte Mitarbeitende wie mich, die das ganze Jahr über den Laden in Schuss hielten, und zusätzlich einzelne Saisonkräfte, die vor allem im Sommer dazugeholt wurden.
Doch dann kam der Brexit, und wir hatten die Auswirkungen voll gespürt. Die Hilfsarbeitskräfte blieben aus, und wir bekamen nicht mehr genug Personal zusammen, um alle Aktivitäten anbieten zu können. Notgedrungen hatten wir den Plan so gut es ging zusammengestrichen, hatten alle mehr Überstunden gemacht als je zuvor, um trotz allem möglichst viel präsentieren zu können, aber es war nicht ausreichend gewesen. Auf Urlaubsplattformen hatte es viele enttäuschte Bewertungen gegeben, unsere Gesamtpunktzahl war stetig gesunken, und nach dem Sommer waren wir alle absolut ausgelaugt.
Für dieses Jahr hatte Adrien Besserung versprochen, was genau der Grund war, warum er uns heute zu einem Meeting zusammengetrommelt hatte. Die Sommerferien standen bevor, unsere Lodges waren für die kommenden Monate komplett ausgebucht, und ich hoffte darauf, dass Adrien uns heute mindestens zwei neue Mitarbeitende vorstellen würde.
Und genau deshalb ärgerte es mich doppelt, dass ich zu spät war.
Doch als ich meinen Kia auf den Parkplatz lenkte, entdeckte ich nur Autos, die ich bereits kannte. Da waren der blaue Seat meiner besten Freundin Kyleen, Finlays Pick-up und der Audi von Adrien. Dazu die Autos von Gästen, die bereits seit einigen Tagen in den Lodges übernachteten.
Ich stieg aus dem Wagen, nahm meinen Rucksack von der Rückbank und ging auf das Holzhaus zu, in dem der Gemeinschaftsraum, die Küche und die Duschen untergebracht waren. Es war ein einstöckiger Bau mit einer Terrasse, die vorne die gesamte Breite abmaß. Tische, Stühle und sogar eine Hollywoodschaukel standen darauf, auf denen man den Abend ruhig ausklingen lassen oder morgens den Sonnenaufgang über den Bergen genießen konnte, wenn das Wetter es zuließ.
Die Stufen knarzten unter meinen Wanderschuhen, und das Quietschen der Tür verdeutlichte, dass sie mal wieder geölt werden musste. Außerdem machte es jeden auf mein Eintreffen aufmerksam.
Sämtliche Köpfe drehten sich in meine Richtung. Der Duft von Kaffee und schwarzem Tee drang mir in die Nase und machte mir erneut schmerzlich bewusst, dass ich bisher nichts als ein Glas Wasser zu mir genommen hatte.
Ich ignorierte meinen knurrenden Magen und wandte mich meinen Arbeitskollegen zu, die zugleich auch meine Freunde waren. Adrien hatte seine blonden Haare wie so oft unter einem Basecap versteckt. Er trug Jeans, ein kariertes Flanellhemd und schwere Boots. Seine Augenbrauen hoben sich, und er warf einen Blick auf seine Uhr, um mir still mitzuteilen, dass ich zu spät war – als wüsste ich das nicht selbst –, aber das Zucken in seinen Mundwinkeln verriet, dass er mir deswegen nicht böse war.
Neben ihm saß meine beste Freundin Kyleen. Ihre roten Haare waren zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, ihr Gesicht mit unzähligen Sommersprossen übersät, und eine Brille mit schwarzem Rahmen saß auf ihrer Nase. Sie grinste breit und zwinkerte mir zu, ehe sie sich nach rechts wandte, um Finlay etwas zuzuflüstern, das ich nicht verstehen konnte.
Finlays Blick blieb auf mir haften, während er sich nach unten beugte, um Kyleen zuzuhören. Er war groß, über eins neunzig, und so breit wie ein Schrank. Sein gütiges Gesicht stand im krassen Gegensatz zu seiner Statur. Ich kannte niemanden, der so viel und so gerne lachte wie er. Sein hellbraunes Haar, das ihm wie immer wirr vom Kopf abstand, unterstrich seinen jugendlichen Charme, obwohl er mit fünfundzwanzig der Älteste von uns war.
Zuletzt fiel mein Blick auf Duncan und Toby. Toby war der Letzte, den Adrian fest eingestellt hatte, und seit fast zwei Jahren bei uns. Sein Kopf war rasiert, und auch, wenn ich es wegen seines Sweaters nicht sehen konnte, wusste ich, dass seine Arme von oben bis unten mit Tattoos übersät waren. Duncan war unser Mountainbike-Spezialist, und so sah er auch aus. Kurze dunkle Haare, und obwohl er sehr dünn war, war er gleichzeitig drahtig und muskulös.
»Wie ich sehe, habe ich noch nichts verpasst.« Ich schälte mich aus meiner windfesten Jacke und hängte sie über die nächstbeste Stuhllehne.
»Finn ist auch erst kurz vor dir gekommen«, haute Kyleen ihn in die Pfanne. Ich grinste ihr dankbar zu, auch wenn ich mir das denken konnte. Pünktlichkeit war noch nie seine Stärke gewesen.
Unbekümmert zuckte er mit den Schultern. »Ich war vor Isla da. Zum ersten und vermutlich einzigen Mal in meinem Leben, aber ich hätte nie gedacht, dass das jemals passiert, also sollte ich mir den Tag rot im Kalender anstreichen.«
»Wir haben auf euch gewartet.« Adrien taxierte erst mich und dann Finlay aus seinen grauen Augen, und ich zog den Kopf ein, auch wenn nichts Anklagendes in seiner Stimme lag.
»Sorry. Erst hat meine Kaffeemaschine den Geist aufgegeben, und dann wollte der Wagen nicht anspringen. Scheint, als hätten sich heute alle technischen Geräte gegen mich verschworen.«
Adriens Mundwinkel zuckte. »Ich würde dir ja anbieten, dir einen Kaffee aus der Küche zu holen, aber das klingt, als solltest du der heute besser fernbleiben. Nicht, dass die Spülmaschine explodiert, nur weil du an ihr vorbeiläufst.«
»Haha«, entgegnete ich und verdrehte die Augen. »Erzähl uns lieber, warum du uns heute herbestellt hast. Ich hatte gehofft, du würdest uns neue Mitarbeiter präsentieren.« Ich sah in die Runde. Dass niemand außer den bekannten Gesichtern da war, gab mir zu denken.
Finlay schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat er sie für später bestellt, weil er zuerst mit uns reden will. Geh doch nicht immer gleich vom Schlimmsten aus.«
Mit einem Seufzen ließ ich mich auf den Stuhl neben ihm fallen. Laut Finlay war ich eine Pessimistin, während ich mich selbst eher als Realistin bezeichnen würde. Ich betrachtete die Dinge eher nüchtern, dann wurde ich am Ende seltener enttäuscht. Trotzdem spürte ich ebendiese Enttäuschung gerade meine Kehle hinaufkriechen, dabei hatte ich mir vorgenommen, nicht zu viel Hoffnung in dieses Meeting zu setzen.
Aber vielleicht hatte Finn recht. Vielleicht war noch nicht alles verloren, und ich sollte erst mal abwarten, was Adrien zu sagen hatte.
Der presste die Lippen fest aufeinander.
Ich unterdrückte ein Seufzen. »Hast du beschlossen, dass wir die nächsten Monate einfach nicht mehr schlafen, um alle Kurse anbieten zu können?« Es war als Scherz gemeint, aber vielleicht steckte auch ein klitzekleines Fünkchen Befürchtung darin.
»Oh, absolut nicht«, ging Kyleen dazwischen, ehe Adrien mir antworten konnte. »Ich brauche meine acht Stunden Schlaf pro Nacht.«
»Niemand wird euch vom Schlafen abhalten«, sagte Adrien nachdrücklich und schüttelte den Kopf. Er trank einen Schluck des Kaffees, der vor ihm stand und um den ich ihn beneidete. »Ich habe euch eine Lösung für den Sommer versprochen, und ich habe eine gefunden …« Die letzten Worte klangen zögerlich, als würde noch ein aber folgen.
Duncan räusperte sich. »Deine Lösung scheint nicht zu beinhalten, dass du weitere Leute eingestellt hast.«
»Leider nein, dabei gab es etliche Bewerbungen, und ich habe auch einige Gespräche geführt. Aber die Bewerber müssen nicht nur ihren Job beherrschen und sich in der Gegend auskennen, sie müssen auch ins Team passen.« Der Reihe nach betrachtete er uns. »Ich kann hier keine Unruhestifter gebrauchen, das wisst ihr selbst. Es kann gefährlich werden, wenn man sich auf dem Berg überschätzt.«
Er spielte damit auf Pete an, der vor zwei Jahren im Sommer ausgeholfen hatte. Pete war Student in Dundee gewesen und hatte die Semesterferien in Glencoe verbracht. Um sich etwas dazuzuverdienen, hatte er bei Adrien angeheuert. Nur war er daran gar nicht interessiert gewesen. Die ersten Tage hatte er mich begleitet, um die Wanderrouten zu lernen, die wir mit den Gästen durchführten. Doch weder hatte er zugehört, welche Dinge es zu beachten gab noch bei welchem Wetter welche Steige nicht passierbar waren. Stattdessen hatte er sich lieber die Nächte mit hübschen Frauen in diversen Pubs um die Ohren geschlagen. Ich hatte Adrien davon erzählt, aber er war trotzdem der Meinung gewesen, dass wir schauen sollten, wie sich Pete bei den ersten eigenen Führungen schlug.
Es kam, wie es kommen musste. Bei starkem Regen war Pete mit der Gruppe auf den Gipfel hochgewandert, obwohl die Route bei der Wetterlage nicht sicher war. Er hatte versucht, mit den Leuten, von denen einige ungeübte Wanderer waren, den Bergkamm zu überqueren. Zwei Gäste waren ausgerutscht, hatten sich dabei die Knöchel verstaucht, woraufhin andere in Panik geraten waren und sich geweigert hatten, weiterzugehen. Am Ende hatte Pete die Mountain Rescue rufen müssen, die die komplette Gruppe mit ihrem Hubschrauber nach unten in Sicherheit gebracht hatte.
Man hätte das Ganze noch als Anfängerfehler einstufen können, wenn Pete danach wenigstens einsichtig gewesen wäre. Doch als Adrien ihm eine Standpauke gehalten hatte – gemeinsam mit mir, weil ich ihn während unserer gemeinsamen Tour vorgewarnt hatte –, hatte er die Schuld den Gästen geben wollen, die seinen Anweisungen keine Folge geleistet hätten. Adrien hatte sofort die Reißleine gezogen und Pete entlassen.
Und seitdem achtete er schon vorab darauf, ob jemand uns Probleme bereiten könnte.
»Aber wie sieht dann deine Lösung für die kommenden Wochen aus, wenn wir keine zusätzlichen Leute bekommen?«, stellte Kyleen die Frage, die uns wohl allen unter den Nägeln brannte. Ich kannte meine beste Freundin gut genug, um zu erkennen, wie nervös sie war. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand knibbelte sie den Nagellack an ihrem Daumen ab, und ihre Schultern waren hochgezogen. Auch Finlay schien es zu bemerken, denn er strich ihr beruhigend mit einer Hand über den Rücken.
Adrien seufzte und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. »Okay, lasst mich bitte zu Ende reden, ehe ihr was dazu sagt.«
Ein fieser Klumpen breitete sich schwer in meinem Magen aus. Ich hätte im Bett bleiben sollen, schoss es mir erneut durch den Kopf. Eigentlich glaubte ich nicht an Vorahnung und so einen Quatsch, aber vielleicht hatte das Universum – oder was auch immer – mich mit der Kaffeemaschine und meinem Auto vorwarnen wollen, damit ich mir einfach die Decke über den Kopf zog.
Nicht, dass ich das Unvermeidliche damit hätte aufhalten können. Wäre ich aus welchen Gründen auch immer nicht hier, würde Kyleen mich anrufen, sobald das Gespräch vorbei war, um mir alle Infos brühwarm zu erzählen.
Alle Blicke waren auf Adrien gerichtet, der unruhig auf seinem Stuhl herumrutschte und sichtbar schluckte, ehe er mit der Sprache rausrückte.
»Ich konnte zwar keine neuen Leute einstellen, aber ich habe dafür eine Abmachung getroffen, die uns deutliche Arbeitserleichterung verspricht. Wir tun uns mit jemand anderem zusammen, der ähnliche … überwiegend die gleichen Aktivitäten anbietet wie wir. So können wir unsere Kräfte bündeln, vielleicht sogar auf lange Sicht mehr Aktivitäten anbieten, und müssen niemanden enttäuschen, der bereits bei uns gebucht hat.«
Eine dumpfes Gefühl kroch meinen Nacken hinauf, wer dieser Jemand sein könnte, von dem Adrien sprach. Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit, denn nur ein anderes Hotel bot so ziemlich genau dieselben Sachen an wie wir. Als wir damals gestartet waren, hatte es deswegen sogar versucht, unsere Touren zu boykottieren. Wenn ich recht informiert war, hatten sie sich sogar juristischen Beistand geholt, ob es eine Möglichkeit gab, uns unsere Angebote verbieten zu lassen. Natürlich ging das nicht, weil sie kein Urheberrecht auf Sachen erwerben konnten, die in jedermanns Freizeitplan standen, aber seitdem war das ohnehin schon angespannte Verhältnis zu ihnen restlos hinüber.
»Das Three Sisters Resort wird für den Moment unser Kooperationspartner werden«, bestätigte Adrien meinen Verdacht.
Es wurde so still im Raum, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Gleichzeitig meinte ich, die dröhnenden Gedanken von allen hören zu können, und sie alle schrien eine ähnliche Version von: Bist du jetzt völlig übergeschnappt, Adrien?
Er schien es selbst zu wissen, denn er hob abwehrend die Hand, ehe einer von uns seine Bedenken laut aussprechen konnte. »Ich weiß, was ihr sagen wollt, aber lasst mich erklären …«
»Da gibt es nichts zu erklären, Mann«, platzte Toby heraus. »Die haben uns so oft hintergangen, um uns die Gäste wegzunehmen, du glaubst doch nicht, dass sie jetzt plötzlich mit uns zusammenarbeiten wollen.«
»Toby.« Adriens Stimme wurde schärfer. Nicht lauter, aber sie hatte diesen Klang an sich, der keinen Widerspruch duldete. »Ich weiß genau, was die letzten Jahre passiert ist. Ich war dabei. Und seid euch gewiss, dass ich nicht von mir aus auf sie zugegangen wäre. Leon ist an mich herangetreten, und …« Adrien legte eine bedeutungsschwere Pause ein, und ich konnte praktisch fühlen, wie wir kollektiv die Luft anhielten, um seine nächsten Worte nicht zu verpassen.
Bevor ich vor Neugierde oder Angst platzen konnte, sprach Adrien weiter. »Sie haben dieselben Probleme wie wir. Nicht in dem Ausmaß, weil sie mehr fest angestelltes Personal haben, aber vor allem bei den Sommeraktivitäten fehlen ihnen ebenfalls Leute. Leon hat im letzten Jahr einiges abgefangen, aber er sagt, dieses Jahr schafft er es allein nicht. Er hat angeboten, dass wir unsere Kurse – zumindest einen Teil davon – zusammenlegen und sie unter den Lodges und dem Three Sisters Resort aufteilen. Dadurch werden wir größere Gruppen haben, aber ihr seid Profis genug, um es damit aufzunehmen. Das steht übrigens nicht zur Diskussion. Ich informiere euch hiermit lediglich darüber. Der Vertrag ist längst unterschrieben. Er ist wasserdicht, natürlich habe ich ihn prüfen lassen. Leon und ich haben auch schon grob mit der Aufteilung begonnen, aber dafür hätten wir gern euren Input.«
Für einen Moment war ich zu schockiert, um etwas zu sagen. Ich wusste nicht, wie es den anderen ging, aber ich hatte nicht damit gerechnet, heute eine Lösung präsentiert zu bekommen, mit der ich weder leben konnte noch wollte. Leon McLachlan war der Sohn der Besitzer des Three Sisters Resort. Er war mit einem Großteil von uns zur Schule gegangen und schon damals ein unausstehliches, überhebliches Arschloch gewesen.
Aber das war noch nicht alles. Leon war zusätzlich für die größte Demütigung meines Lebens verantwortlich. Noch heute wurde mir schlecht, wenn ich daran dachte.
Ganz generell führten die McLachlans sich wie die High Society von Glencoe auf, dabei war wohl keine Stadt in Schottland weiter davon entfernt, glamourös zu sein. Trotzdem gaben sie einem das Gefühl, als wären sie besser als das gemeine Fußvolk und alle müssten nach ihrer Pfeife tanzen. Und das bloß, weil sie seit vier Generationen ein Hotel führten, das selbst von wohlmeinenden Gutachtern kaum drei Sterne bekommen würde.
»Mir gefällt das nicht«, sagte ich ehrlich. »Ich traue Leon nicht über den Weg. Er macht das doch nur, damit am Ende für ihn was rausspringt.«
Für einen Moment presste Adrien die Kiefer aufeinander. »Natürlich springt auch für ihn etwas dabei heraus. Dieselbe Arbeitserleichterung wie für uns. Deswegen ist er ja an uns herangetreten.«
Wut ballte sich in meinem Bauch zu einem festen Knoten zusammen. Ich sah den siebzehnjährigen Leon vor mir, der mir etwas versprochen und mich dann böswillig hintergangen hatte. Ich traute keinem einzigen Wort mehr, das aus seinem Mund kam.
»Es würde mich nicht wundern, wenn noch viel mehr dahintersteckt. Ich hoffe wirklich, wir bereuen das am Ende nicht.« Ich konnte es einfach nicht gut sein lassen, dabei wusste ich, dass mein Widerstand auf taube Ohren stieß. Adrien hatte es deutlich gesagt, und ich sah es auch an seiner unbeugsamen Miene: Das hier war unsere einzige Möglichkeit, über den Sommer zu kommen, ohne ein Drittel unserer Kurse zu streichen, und wir würden es durchziehen.
»Leon ist nicht kein so schlechter Kerl, wie ihr alle denkt.« Adrien verschränkte die Arme vor sich auf dem Tisch. »Gebt ihm erst mal eine Chance. Ich bin sicher, dass die Zusammenarbeit funktionieren wird.«
Finlay, der sonst der gütigste Mensch war, den ich kannte, schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Mann. Ich stimme Isla zu, mir gefällt das nicht.«
Unruhig stand Adrien auf und tigerte an der Länge des Tisches auf und ab. »Ich verstehe eure Bedenken. Das tue ich wirklich. Das waren genau meine Gedanken, als Leon vor einem Monat bei mir angerufen und mir diesen Plan vorgeschlagen hat.« Er lachte leise. »Im ersten Moment wollte ich sogar auflegen, ohne ein Wort mit ihm zu wechseln.«
Ich schmunzelte, denn genau das hätte ich auch getan.
»Aber Leons Absichten sind ehrliche. Er ist bereit, genauso viele Aktivitäten abzugeben, wie er dazugewinnt. Ich bitte euch, ihm eine faire Chance zu geben. Wenn es gar nicht klappt, brechen wir das Experiment nach dem Sommer wieder ab und überlegen uns für nächstes Jahr eine neue Strategie. Aber aktuell ist es die einzige Möglichkeit, ohne Streichungen und finanzielle Einbußen die Hauptsaison zu überstehen.«
Ich war immer noch nicht überzeugt, aber ich wusste auch, wann ich mich geschlagen geben musste. Adrien war zwar auch ein Freund, aber vor allem mein Chef. Während er ein lockeres Arbeitsumfeld prägte und unsere Meinung bei großen Entscheidungen immer miteinbezog, wurde deutlich, dass es hier keine Alternative gab. Und so wenig mir das gefiel, würde ich nichts tun, was den Erfolg der Lodges gefährden könnte.
Vor allem wollte ich nicht ein weiteres Mal unsere Gäste enttäuschen, die sich teilweise das ganze Jahr auf diesen einen Urlaub gefreut hatten und dann nur eine abgespeckte Version davon bekamen. »Und was genau habt ihr jetzt geplant?«
Dankbar nickte Adrien mir zu. »Wir legen die Wander- und Klettergruppen zusammen. Sie werden abwechselnd von uns und Leons Leuten durchgeführt. Dafür zeigen wir ihnen unsere Routen, und sie werden euch in ihre einführen, damit wir die Pläne auch mal spontan ändern können. Mountainbiking wird komplett von uns übernommen, auch Bogenschießen bleibt bei uns. Dafür wird Leon bei sich ebenfalls Listen auslegen und die entsprechenden Personen, die sich dafür eintragen, zu uns schicken. Paragliding geht ins Resort, genauso wie Wildwasser-Rafting. Beides wird ja ohnehin von oben begonnen und kann nur an spezifischen Tagen überhaupt angeboten werden. Zudem steht uns das Resort ab jetzt für Pausen zur Verfügung und wird für uns und unsere Gäste ein Büfett vorbereiten.«
Meine Augenbrauen hoben sich, und mein Blick fand den von Kyleen, die genauso überrascht wirkte wie ich. Damit hatte ich nicht gerechnet. Bisher hatten wir immer Snacks auf den Berg geschafft, wenn wir die Wanderrouten dorthin unternommen hatten, weil es uns untersagt gewesen war, das Resort überhaupt zu betreten. Keine Pausen mit belegten Brötchen mehr vorbereiten und alles auf den Berg schleppen zu müssen, würde uns die Arbeit durchaus erleichtern.
»Ja, genau.« Adrien deutete unsere Blicke richtig. »Es ist nicht alles schlecht. Gebt dem Ganzen eine Chance. Gebt vor allem Leon eine Chance.«
Ich presste die Lippen aufeinander, denn ich hatte nichts dergleichen vor. Seine Chance hatte Leon vor vielen Jahren verspielt, und egal, was Adrien sagte, ich glaubte nicht an seinen plötzlichen Sinneswandel.
»Wie genau sieht denn jetzt der Fahrplan aus?« Duncan lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. Eine tiefe Furche grub sich in seine Stirn, er wirkte alles andere als begeistert. Aber wie auch der Rest von uns würde er sich fügen – zumindest solange Leon nicht versuchte, uns zu hintergehen.
Adrien bückte sich und holte zwei Zettel aus seiner Tasche hervor. »Heute läuft alles wie gehabt. Ab morgen werden wir Leon und seine Leute in unsere Routen einarbeiten und umgekehrt. Die entsprechenden Unternehmungen findet ihr hier aufgelistet.«
Duncan zog einen der Zettel zu sich heran, und ich las über seine Schulter mit. Für heute war wie erwartet Bogenschießen bei mir eingetragen, allerdings schluckte ich etwas bei der Zahl der Teilnehmenden. Zweiunddreißig Leute. Mit so vielen hatte ich noch nie zu tun gehabt. Ich war gespannt, wie das ausgehen würde.
Und damit war meine Schonfrist dann gleich vorbei. Für morgen war ich zusammen mit Leon eingetragen, um ihm die The-Lochan-Wanderroute zu zeigen, die unser Herzstück war. Sie begann hier bei den Lodges, führte ein Stück den Berg hinauf, um dann an und teilweise in einem Wasserfall hinunter ins Tal zu gehen, wo wir in einer kleinen Hütte im Wald zum Mittagessen einkehren würden. Es war eine mittelschwere Tour, die insgesamt dreizehn Kilometer lang war, einige Steigungen enthielt, die fordernd waren, aber vor allem umgeben von einem wunderschönen Panorama war.
Und das Wichtigste: Sie konnte bei jedem Wetter durchgeführt werden.
Ich unterdrücke ein genervtes Stöhnen, denn ich wollte nicht die Erste sein, die sich mit Leon McLachlan herumschlagen musste. Noch weniger wollte ich einen ganzen Tag mit ihm verbringen, aber es schien, als hätte ich keine andere Wahl. Oder?
Isla
Kurz darauf beendete Adrien die Besprechung. Ich machte mich auf den Weg nach draußen, wo meine Gruppe fürs Bogenschießen bereits auf mich wartete. Für einen Moment konnte ich sie nur anstarren. Sie sahen nach deutlich mehr als den zweiunddreißig aus, die sich angemeldet hatten. Mir schwante, dass ich heute nicht bereits am Vormittag mit dem Kurs durch sein würde. Einerseits war das gut. Ich wurde nach Stunden bezahlt, und je länger wir uns hier aufhielten, desto mehr würde ich verdienen. Andererseits fühlte ich mich anhand der Teilnehmerzahl überfordert. Sollten auch nur ein oder zwei Unruhestifter dabei sein, könnte es bei so einer großen Gruppe schnell ausarten. Bogenschießen war kein ungefährlicher Sport und konnte zu Verletzungen führen, wenn man mit dem Bogen unachtsam umging.
»Wir sehen uns heute Abend im Tavern«, raunte Kyleen mir zu und stupste mich sanft mit der Schulter an, als sie an mir vorbeilief. Ich nickte, ohne mich zu ihr umzudrehen. Das Lanky Tavern gehörte meinen Eltern, und Montagabend war unser typischer Mädels-und-Burger-Abend, seit Kyleen und ich befreundet waren.
Kurz sah ich meiner besten Freundin hinterher, die in Richtung der Lodges ging, vermutlich um die Check-outs abzuwickeln, dann wandte ich mich meiner Bogenschießen-Gruppe zu. Ich klatschte dreimal in die Hände, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.
»Hey, schön, dass ihr alle hier seid. Mein Name ist Isla, und ich bin heute eure Trainerin. Gibt es jemanden, der Bogenschießen schon mal gemacht hat?«
Ein Junge, den ich auf neun oder zehn schätzte, hob seine Hand, genauso wie die Frau daneben, die vermutlich seine Mutter war. Ich wartete noch einige Sekunden, ob sich noch jemand melden würde, was leider nicht der Fall war. Wären es mehrere gewesen, hätte ich die große Gruppe aufteilen und mit zwei kleineren arbeiten können, aber so machte es keinen Sinn.
»Alles klar. Wir starten gleich mit einer Sicherheitseinführung, dann werdet ihr lernen, wie ihr den Bogen richtig haltet, wie ihr stehen müsst und wie ihr am besten zielt. Wir beginnen mit großen Zielscheiben, die nur eine kurze Distanz entfernt sind, und arbeiten uns dann zu kleineren vor, die weiter weg stehen. Wenn ihr euch gut macht, probieren wir es am Ende sogar mit beweglichen Zielen. Aber zuerst …« Mit ausgebreiteten Armen drehte ich mich im Kreis, um darauf hinzudeuten, dass hier noch nichts nach Bogenschießen aussah. »Zuerst brauchen wir das Zubehör, und dafür brauche ich vier starke Helfer.«
Zielstrebig ging ich auf unseren Schuppen zu, in dem alles verstaut war, nur um kurz darauf stehen zu bleiben, weil mir niemand folgte.
»Irgendjemand von euch muss mir helfen, sonst sind wir morgen noch nicht fertig.«
Einige Sekunden später trat endlich ein Typ vor und kam auf mich zu. Angespornt von ihm, folgten zwei weitere.
Hoffentlich würde die Gruppe jetzt etwas mehr auftauen.
»Principessa.« Dad legte einen Arm um mich und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Er war weit davon entfernt, Italiener zu sein, aber seit einem Urlaub in Sizilien, als ich ungefähr acht gewesen war, bei dem mich alle Kellner im Hotel so genannt hatten, hatte er diesen Namen übernommen. Und irgendwann hatte ich aufgehört, mich dagegen zu wehren. »Du siehst müde aus.«
Ich schnaubte bloß und rutschte auf einen Stuhl an der Bar. Das Lanky Tavern war ein typisch britischer Pub. Die komplette Einrichtung war in dunklem Holz gehalten, es roch nach Bier und Gebratenem aus der Küche. Auf der rechten Seite dominierte eine große Theke den länglichen Raum, während es gegenüber Nischen mit kleineren Tischen gab, die zumindest den Anschein von Abgeschiedenheit erweckten. An den Wänden hingen Bilder der schottischen Geschichte, vor allem des Schiefertagebaus, den es in und um Glencoe herum bis in die 1860er-Jahre gegeben hatte, dazu einige Dudelsäcke und Kilts, die dem Raum das speziell schottische Flair verliehen.
»Machst du mir ein Guinness?« Dad nickte und griff nach einem Glas, um es mir zu zapfen.
In dem Moment kam Mum aus der Küche. »Isla.« Sie trat um die Theke herum und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ihre dunklen Haare, die keine grauen Strähnen aufwiesen, weil sie sie seit Jahren färbte, waren zu einem akkuraten Dutt frisiert, aus dem sich nie auch nur eine Strähne löste. »Wie war die Arbeit?«
Obwohl ich mittlerweile dreiundzwanzig war, fühlte ich mich bei dieser Frage noch immer, als würde sie mich nach der Schule fragen. »Wie immer.« Auch das war schon früher meine Standardantwort gewesen.
Mum lächelte. »Kommt Kyleen auch noch?«
»Klar, wie immer.« Jetzt grinsten wir beide.
»Schön. Sagt Bescheid, wenn ihr essen wollt.« Damit ließ sie mich allein und ging zurück in die Küche.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es noch etwas dauern würde, bis Kyleen auftauchte. Überpünktlich zu sein war eine ziemlich unvorteilhafte Angewohnheit von mir. »Was weißt du über Leon McLachlan?«, fragte ich Dad, als er mein Guinness vor mir abstellte.
Dad sah auf und zog die Augenbrauen zusammen. »Den Jungen vom Three Sisters Resort?«
Ich verkniff mir ein Grinsen. Leon war zwei Jahre älter als ich und schon lange kein Junge mehr, aber für Dad alterte niemand über das Teenageralter hinaus, den er bereits als Kind gekannt hatte. »Genau der.«
»Hmm.« Er stützte sich mit den Unterarmen auf der Theke ab. »Nicht viel. Er war ein Rabauke während der Schulzeit, aber das weißt du wohl selbst am besten.« Ich verzog den Mund, denn damit hatte er recht. »Ist zum Studieren nach Edinburgh gegangen und arbeitet sich jetzt in die Geschäfte im Resort ein, um es später mal zu übernehmen.«
Das war … enttäuschend. »Erzählt man sich sonst nichts über ihn?« Dad arbeitete im größten Pub der Umgebung. Jeder hier wurde redselig, sobald er oder sie ein Pint zu viel intus hatte – und das kam verdammt regelmäßig vor. Da müsste Dad doch etwas bessere Gerüchte auf Lager haben.
Die Hände auf der Arbeitsplatte abgestützt, lehnte er sich näher zu mir. Seine buschigen Augenbrauen hoben sich, und ein amüsiertes Schmunzeln zupfte an seinen Lippen. »Was soll man sich denn über ihn erzählen?«
»Keine Ahnung. Vielleicht macht er nebenbei eine Ausbildung zum Axtmörder. Glencoe wäre der perfekte Ort dafür, so bewölkt und nebelig, wie es hier immer ist.« Und trotz der ganzen Touristen gab es in den Wäldern genug einsame Ecken, in denen man eine Leiche vergraben könnte.
Jetzt lachte er richtig. »Du hast zu viele Horrorfilme gesehen.«
»Vielleicht will ich mich damit nur auf das richtige Leben vorbereiten.« Ich sagte es mehr zu mir selbst, denn Dad hatte sich längst abgewandt, um einen anderen Gast zu bedienen. Ich nahm einen kräftigen Schluck von meinem Guinness und sah mich im Lanky Tavern um. Obwohl es noch früh war, war der Pub schon gut gefüllt. Die Nachmittags-Crowd war bereits da. Ein Teil davon waren Leute, die ich kannte. Einwohner aus Glencoe und den umliegenden Dörfern, die für ein Feierabendbier und etwas Gesellschaft nach der Arbeit herkamen. Aber auch einige Touristen waren anwesend, die man an ihren Wanderschuhen, Windbreakern und großen Rucksäcken erkannte, in die sie die Verpflegung für den Tag gepackt hatten.
Die Tür wurde aufgestoßen, und Kyleen kam herein. Ihr Blick wanderte einmal durchs Tavern, landete auf mir, und ihre Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln. »Hey, Is.« Sie kam auf mich zu, umarmte mich kurz und rutschte dann auf den Stuhl neben mich. »Wie war dein Tag?«
»Lang«, stöhnte ich. »Bogenschießen mit über dreißig Leuten, die alle keine Ahnung davon haben, ist echt …« Ich suchte nach dem richtigen Wort, das meine Stimmung am besten ausdrückte, aber nicht zu abwertend klang.
»Anstrengend?«, half Kyleen mir auf die Sprünge.
»Ja, das auch. Und nervig. Ich kam kaum dazu, mal bei jemandem in Ruhe die Position zu korrigieren, weil mich gleich drei unterbrochen haben, ob sie es denn richtig machen würden. Weiß nicht, ob es auf Dauer so eine gute Idee ist, mit so großen Gruppen zu arbeiten.«
»Glaube, das kommt echt drauf an, was du mit den Leuten machst. Kann mir gut vorstellen, dass das beim Wandern deutlich entspannter wird. Da musst du ja niemandem erklären, wie man einen Fuß vor den anderen setzt.«
»Hoffentlich.«
Wir sahen uns an und begannen gleichzeitig zu lachen. Nichts tat so gut, wie mit meiner besten Freundin unbeschwert zu sein. Doch Kyleens Lachen hielt nicht lange an. Mit einem Mal zog sie die Mundwinkel herab und sah – ich konnte es nicht anders beschreiben – beschämt aus.
»Ich hab etwas unheimlich Dummes getan.«
»Was?« Ich konnte mir nicht vorstellen, was das sein sollte, denn das war überhaupt nicht ihre Art. Normalerweise tat sie nichts, ohne vorher gründlich darüber nachzudenken. Ganz im Gegensatz zu mir, die oftmals viel zu impulsiv reagierte.
»Na ja, Mel hat Finn heute von der Arbeit abgeholt, und natürlich sind wir ins Gespräch gekommen. Sie hat erzählt, dass Finn heute mit den Jungs unterwegs ist, sie allein zu Hause wäre, und …« Mit einem Stöhnen vergrub sie das Gesicht in den Händen. »Es kann sein, dass mir herausgerutscht ist, sie könnte den Abend hier mit uns verbringen, wenn sie nicht allein sein will.« Bevor ich etwas antworten konnte, sackte Kyleen noch weiter in sich zusammen, wie ein Ballon, dem man die Luft rausgelassen hatte. »Und ganz eventuell hat sie ganz begeistert zugestimmt.«
Für einen Moment konnte ich sie nur sprachlos anstarren, weil ich so ziemlich mit allem gerechnet hatte, aber nicht damit. Dabei war es nicht einmal so, dass ich etwas gegen Mel hatte. Sie war nett, keine Frage, aber … »Du hast der Freundin von dem Typen, in den du seit Jahren heimlich verschossen bist, gesagt, dass sie den Abend mit uns verbringen kann?«
Kyleen sackte noch weiter in sich zusammen. Dass sie bisher noch nicht von ihrem Stuhl gerutscht war, grenzte an ein Wunder. »Ich sagte doch, dass ich etwas unheimlich Dummes getan hab.«
Da konnte ich ihr nicht widersprechen. »Soll ich ihr schreiben, dass es mir nicht gut geht und das Treffen deswegen ausfallen muss?« Ich war kein Fan von Lügen, aber für meine beste Freundin würde ich auch eine Leiche im Wald verscharren und ihr unter Eid ein Alibi geben, wenn es sein musste.
Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Sie ist sicher schon unterwegs, außerdem würde das vermutlich irgendwann rauskommen, und wie stehe ich dann da?« Sie ließ den Kopf vor sich auf die Theke sinken. »Warum konnte ich nicht einfach meine Klappe halten?«
»Und ich dachte, du hättest nur ein Problem damit, Nein zu sagen«, zog ich sie auf.
»Ganz offensichtlich hab ich auch ein Problem damit, wenn die Freundin meines besten Freundes, in den ich seit Jahren so offensichtlich verliebt bin, dass es die ganze Stadt weiß, nur er es nicht checkt, mich aus ihren braunen Rehaugen ganz verzweifelt ansieht. Das wusste ich bisher selbst nicht über mich.«
Damit entlockte sie mir ein Lachen. »Sollen wir gleich zum Gin übergehen, damit du dich besser fühlst?«
»Das wäre super.« Sie lehnte sich über die Bar, bestellte bei Dad zwei Gin Tonic und sagte ihm, dass wir mit der Essensbestellung noch warten würden, weil Mel noch zu uns stieße. Ebenso überrascht wie ich zog er die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts dazu, sondern nahm den Hendrick’s Gin aus dem Regal.
»Also, was hältst du davon, dass wir jetzt mit dem Three Sisters Resort zusammenarbeiten müssen?« Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, Kyleen zu fragen, ob sie vorab davon gewusst hatte, denn eine Neuigkeit wie diese hätte sie niemals für sich behalten können.
Ihre fest aufeinandergepressten Lippen bestätigten das. »Zuerst dachte ich, jetzt hat Adrien endgültig den Verstand verloren, aber je länger ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir die Idee. Es ist eine Chance für uns alle, das alte Kriegsbeil zu begraben. Und wenn wir dadurch gemeinsam mehr Gäste glücklich machen können, heißt das, dass vielleicht auch mehr von ihnen wiederkommen.«
Natürlich hatte Kyleen längst ihren Frieden damit geschlossen. Ich musste lächeln, obwohl mein Inneres weiterhin aufgewühlt war. »Glaubst du wirklich, dass sie sich geändert haben? Noch vor zwei Jahren wollten sie uns anzeigen, damit wir die Wanderroute den Berg hinauf nicht mehr gehen können.« Die eine Wanderroute, die direkt am Resort vorbeiführte, was ihnen noch lange nicht das Recht gab, den kompletten Berg für sich beanspruchen zu wollen.
Dad tauchte vor uns auf und stellte uns die Gin Tonics hin. Wir stießen an und tranken einen Schluck.
Dann legte Kyleen den Kopf schief und dachte über meine Frage nach. Schließlich zuckte sie mit den Schultern. »Ich weiß nicht, ob das wichtig ist. Offenbar brauchen sie uns genauso dringend wie wir sie, und niemand sagt, dass wir jetzt beste Freunde werden müssen.«
»Aber was, wenn sie das zum Anlass nehmen, um uns zu hintergehen und sämtliche Aktivitäten an sich zu reißen?« Ich bekam einfach nicht aus dem Kopf, dass Leon genau das mit mir getan hatte, als wir noch zur Schule gegangen waren. Er hatte mir etwas versprochen und mir dann den Dolchstoß in den Rücken verpasst, indem er genau das Gegenteil davon getan hatte. Adriens Eröffnung, dass wir von nun an mit dem Three Sisters Resort zusammenarbeiten würden, hatte all die vergrabenen Erinnerungen wieder hochgeholt. Sie versuchten mich mit ihrem Gewicht zu erdrücken und machten es mir unmöglich, den Verrat von damals zu vergessen.
Lachend schüttelte Kyleen den Kopf. »Manchmal bist du echt paranoid. Wie sollen sie das denn anstellen, wenn sie selbst zu wenig Leute haben? Adrien ist nicht unvorsichtig. Manchmal etwas schusselig, aber keineswegs naiv. Er wird sich auf nichts einlassen, was uns am Ende auf die Füße fallen kann. Und wir sollten froh sein, dass wir nicht wieder Kurse absagen und Gäste enttäuschen müssen.«
Vielleicht hatte sie recht und ich reagierte über, aber ich konnte dieses dumpfe Gefühl in meinem Bauch einfach nicht ignorieren. Meistens hatte es recht, wenn es mich auf diese Weise warnte.
Zum Glück musste ich nicht darauf antworten, denn in diesem Moment kam Mel ins Tavern geschneit. Ihre blonden Haare waren zu einem hohen Dutt zusammengefasst, sie trug helle Jeans und bequeme Boots. Sie schälte sich bereits aus ihrer Jacke, und darunter kam eine mit Blumen bestickte Bluse zum Vorschein.
»Hey«, begrüßte sie uns, legte Jacke und Tasche auf einen Barhocker und umarmte uns kurz zur Begrüßung. »Danke, dass ich dazukommen durfte. Ich hätte heute wirklich nicht gut allein bleiben können.«
Obwohl ich Mel kaum kannte – dabei wohnte sie in Ballachulish, was nur knappe vier Meilen von Glencoe entfernt lag –, hörte ich diesen gepressten Unterton in ihrer Stimme, der darauf hindeutete, dass sie etwas bedrückte.
»Möchtest du drüber reden?«
Sie zögerte, die Augen unfokussiert, als würde sie etwas sehen, was gar nicht da war. »Es ist eigentlich … wir wurden heute zum Three Sisters Resort gerufen, weil es einen Notfall mit einem kleinen Mädchen gab. Sie ist wohl plötzlich ohnmächtig geworden, einfach so, ohne ersichtlichen Grund. Um sie schnellstmöglich nach Oban ins Krankenhaus zu fliegen, wurden wir gerufen. Ich dachte, das wird ein kurzer, problemloser Einsatz, aber … unterwegs hat das Mädchen plötzlich einen Krampfanfall bekommen, wir hatten die Eltern mit im Heli, die, verständlicherweise, völlig hysterisch geworden sind, und ich weiß nicht, ob ich die Bilder, die sich in mein Hirn gebrannt haben, jemals vergessen werde. Es war einfach völlig chaotisch. Der Notarzt hat versucht, das Mädchen zu stabilisieren, und ich musste die Eltern davon abhalten, sich abzuschnallen und durch den Hubschrauber zu ihrer Tochter zu klettern.«
»Wie furchtbar. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das für dich gewesen sein muss.« Mel arbeitete wie Finlay ehrenamtlich bei der Mountain Rescue. Eigentlich waren sie dafür zuständig, in Not geratene Wanderer oder im Winter Skifahrer mit dem Helikopter vom Berg herunterzuholen, aber manchmal mussten sie auch Notfälle – so wie heute – in die umliegenden Krankenhäuser fliegen, weil es in Glencoe selbst keins gab.
Kyleen griff nach ihrer Hand. »Das tut mir so leid, dass du das erleben musstest. Warum hast du Finn nicht davon erzählt? Er hätte seinen Männerabend doch sicher abgesagt.«
Mel seufzte, verdrehte die Augen, und die Andeutung eines Lächelns zupfte an ihren Mundwinkeln. »Natürlich hätte er das, aber das wollte ich nicht. Der Abend ist in den letzten Wochen so oft ausgefallen, und er hat sich riesig darauf gefreut, das wollte ich ihm nicht kaputt machen.«
Aus den Augenwinkeln sah ich zu Kyleen, die ein Gesicht machte, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie es für sie sein musste. Da saß die Freundin des Typen hier, in den sie seit Langem heimlich verliebt war, und dann war sie so nett und rücksichtsvoll, dass man sie nicht einmal hassen konnte.
»Ich würde vorschlagen, du brauchst auch ganz dringend einen Drink.«
Mel sah auf die nur noch halb vollen Gläser von Kyleen und mir. »Wenn es okay ist, würde ich lieber einen doppelten Whisky nehmen.«
Wie auf Kommando tauchte Dad vor uns auf. »Welcher genau schwebt dir denn da vor?« Dann sah er in die Runde, mit diesem strafenden Dad-Blick, der mich als Teenager in den Wahnsinn getrieben hatte und mir noch heute ein Schaudern verschaffte. »Und ihr bestellt jetzt auch langsam was zu essen, sonst gibt es keinen weiteren Alkohol mehr.«
Es war weit nach Mitternacht, als ich die Tür zu meinem Häuschen aufschloss. Stille und Dunkelheit empfingen mich, doch sobald ich den Lichtschalter betätigte, grüßte mich ein lautes Mauzen aus dem Wohnzimmer. Zwei Sekunden später kam mein Kater Frodo um die Ecke stolziert. Sein Fell war weiß-braun-grau getigert, aber an den Pfötchen komplett schwarz. Sein strafender Blick traf mich, als verurteilte er mich im Stillen dafür, den ganzen Tag weg gewesen zu sein, dabei ignorierte er mich meistens, wenn ich denn mal zu Hause war.
Ganz davon abgesehen, dass er durch die Katzenklappe in der Tür selbst kommen und gehen konnte, wie es ihm beliebte.
Ich hängte meine Jacke an der Garderobe auf, kickte die Schuhe von meinen Füßen und ließ sie achtlos im Flur stehen, als ich in die Küche ging. Frodos Napf war noch zur Hälfte gefüllt, also konnte er zumindest keinen Hungertod gestorben sein. Trotzdem nahm ich den Napf hoch, schüttete das restliche Nassfutter, das an einigen Stellen schon angetrocknet war, in den Mülleimer und holte eine frische Packung aus dem Kühlschrank. Nachdem ich den Napf gespült hatte, schüttete ich es hinein und stellte ihn zurück auf den Boden. Frodo beäugte das Futter misstrauisch, ignorierte es und rieb sich stattdessen an meinen Beinen.
Ich seufzte. »Was ist jetzt schon wieder falsch damit?« Ich warf einen Blick auf die Verpackung. »Hühnchen magst du doch normalerweise.«
Ein klägliches Mauzen war die Antwort, als wollte Frodo mir mitteilen, dass ihm jetzt gerade eingefallen war, dass Hühnchen eben doch nicht so geil war. Dieser Kater würde mich noch in den Wahnsinn treiben. Ich kannte niemanden – weder Mensch noch Tier –, der derart pingelig mit seinem Essen war und zudem im Zweiwochenrhythmus seine Meinung änderte.
Frodo rieb sich weiterhin an meinem Bein, als würde ihn das alles gar nicht kümmern. Immerhin stand im Wohnzimmer der Snackautomat mit Trockenfutter, an dem er sich jederzeit bedienen konnte, und wenn er ganz fancy drauf war, verschwand er durch die Katzenklappe nach draußen und jagte eine Maus oder was er sonst so bevorzugte. Ein Schaudern durchlief mich, denn so genau wollte ich das gar nicht wissen.
Ich bückte mich, nahm den Kater auf den Arm und schob mein Gesicht in sein weiches Fell. Er war ein Maine Coon und so flauschig, als würde man einen Perserteppich an seinem Gesicht reiben … und vor allem mochte er es gar nicht, gekuschelt zu werden. Sofort begann er sich in meinen Armen zu winden, was für mich nur Anlass war, ihn noch etwas fester zu halten. »Das ist deine gerechte Strafe, wenn du mein Essen verschmähst«, murmelte ich in sein Fell. Jetzt konnte ich das ganze Hühnchenfutter wieder an Freunde oder das örtliche Tierheim verteilen, deren Katzen weniger wählerisch waren. Zudem stand ein weiterer Test an, was denn für die nächsten zwei Wochen ein akzeptables Fressen für Frodo war.
Frodo fauchte, was das Zeichen für mich war, ihn endgültig loszulassen, wenn ich keine von ihm gewischt bekommen wollte. Und ich wollte morgen wirklich nicht mit Striemen im Gesicht herumlaufen, wenn ich das erste Mal seit einer langen Zeit auf Leon McLachlan traf. Das würde mir gerade noch fehlen.
Das Ziehen in meinem Magen war zurück, während ich ins Bad ging, um mich bettfertig zu machen. Was genau waren seine Gründe, dass er Adrien diesen Deal vorgeschlagen hatte? Es wäre schön, wenn er damit auch nur seinen Personalmangel in den Griff kriegen wollte … leider aber auch zu schön, um wahr zu sein. Irgendwas sagte mir, dass da noch mehr war, dass das nicht alles sein konnte.
Beim Zähneputzen schwor ich mir, dass ich es herausfinden würde. Egal, welche Geheimnisse Leon McLachlan mit sich herumtrug, ich würde dahinterkommen. Und wehe ihm, wenn es etwas war, das meinem Team und mir schaden sollte.
Isla
Am nächsten Morgen sprang mein Auto zum Glück beim ersten Versuch an. Erleichterung erfasste mich, denn ich hatte schon befürchtet, dass es etwas Ernsteres sein könnte und ich den Wagen in die Werkstatt bringen müsste. Ich hatte weder das Geld noch die Zeit dafür, ganz davon abgesehen, dass ich auf die Karre angewiesen war. Zwar konnte ich in Glencoe auch alles zu Fuß erreichen, aber zu den Lodges zu kommen, würde mich eine Stunde kosten – eine Stunde, die ich lieber im Bett verbrachte.
Meine Kaffeemaschine war allerdings immer noch tot. Es war der zweite Tag in Folge, der mit einem Koffeindefizit begann, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ich anfangen würde, meine Mitmenschen infolgedessen zu ermorden. Hoffentlich war in den Lodges noch Kaffee übrig, den ich mir in meinen Thermobecher schütten konnte, sonst wusste ich nicht, wie lange ich Leon würde ertragen können.
Ich stellte meinen Kia auf dem Parkplatz neben den Lodges ab, und sobald ich die Tür öffnete, hörte ich das laute Röhren eines Motorrades. Obwohl ich es auf der sich windenden Straße zwischen all dem Grau und Grün noch nicht ausmachen konnte, war ich mir ziemlich sicher, dass es vom Three Sisters Resort den Berg herunterkam. Ich kniff die Augen zusammen und starrte den Hang hinauf. Das Röhren wurde lauter, und kurz darauf konnte ich die schwarze Rennmaschine sehen, die um die letzte Kurve bog, ehe die Straße geradewegs bis zu den Lodges führte. Zuerst dachte ich, das Motorrad würde an mir vorbei hinab ins Tal fahren, doch dann bog es auf den Parkplatz ab und blieb direkt vor mir stehen.
Der Fahrer stieg ab. Durch das getönte Visier seines Helmes konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, aber es gab nur eine Person, die in der Lederkluft stecken konnte.
Leons Stimme, die sich viel zu selbstverliebt anhörte, fragte: »Na, gefällt dir die Aussicht?«
Erst da fiel mir auf, dass ich ihn schon viel zu lange anstarrte. Nicht erst seit er hier stand, sondern schon während er den Berg hinuntergefahren war. Und seiner Frage nach zu urteilen, hatte er das natürlich bemerkt.
»Ich wollte nur wissen, welcher Idiot hier am frühen Morgen die Ruhe stört, aber das hätte ich mir ja denken können.« Ich wandte mich von ihm ab und schlug endlich die Tür meines Autos zu.
»Sei ehrlich, du hast nach mir Ausschau gehalten, weil du es nicht erwarten konntest, die Wanderung mit mir zu machen.«
Leon zog den Helm von seinem Kopf, und am liebsten hätte ich ihm diesen sofort wieder übergestülpt, damit ich dieses selbstgefällige Grinsen nicht sehen musste. Dass er dabei so unverschämt zufrieden wirkte, machte die Sache nicht besser. Als wüsste er genau, wie sehr mich seine bloße Anwesenheit nervte, und als würde es ihm gefallen.
Seine dunkelbraunen Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab. Er fuhr sich mit einer Hand hindurch, was es aber nur bedingt besser machte. Vermutlich waren sie genauso störrisch wie der Rest von ihm und ließen sich nie bändigen. Seine Augen waren eine Mischung aus Blau und Grün. Sie hätten hypnotisierend sein können, wenn ich weniger Überheblichkeit darin entdeckt hätte. Seine Nase war gerade, seine Wangenknochen scharf und von einem Fünftagebart überzogen.
Schnell riss ich meinen Blick von ihm los, weil mich das alles überhaupt nicht interessierte.
»Was haben sie dir als Kind in die Milch getan, dass du so von dir eingenommen geworden bist? Und was soll eigentlich dieser Aufzug? Willst du in Lederkluft wandern gehen?« Ich schnaubte verächtlich und schob mich an ihm vorbei in Richtung Gemeinschaftsraum.
Ein paar Leute standen bereits davor, aber bei Weitem nicht genug, um die volle Gruppe für die Wanderung zu sein. Es war aber auch noch eine halbe Stunde bis zum vereinbarten Zeitpunkt.
Dass Leon genauso überpünktlich war wie ich, störte mich gleich doppelt. Jetzt musste ich mich mit ihm auseinandersetzen, bevor ich einen ersten Kaffee gehabt hatte.
Leon lief neben mir her und deutete auf den Rucksack, den er über eine Schulter geworfen hatte. »Schon mal was davon gehört, dass man sich umziehen kann?«
»Schon mal was davon gehört, dass man morgens auch gleich die Sachen anziehen kann, in denen man den Tag verbringen wird?«, feuerte ich zurück. Ich sah ihn nicht an, war mir seiner Präsenz neben mir aber überdeutlich bewusst. »Oder musstest du den großen Macker raushängen lassen und die paar Meter mit dem Motorrad fahren, die du auch einfach hättest laufen können?« Unwillkürlich zuckte mein Blick hoch zum Three Sisters Resort, das über uns auf dem Berg thronte. Für den Weg hätte er auch zu Fuß kaum eine Viertelstunde gebraucht.
»Hier sind die Umkleiden«, wies ich Leon an, ehe er etwas erwidern konnte, und zu meinem Glück bog er in die Richtung ab.
Ich nahm einen tiefen Atemzug, um mein Herz zu beruhigen, das aus einem unerklärlichen Grund viel zu schnell schlug, und ging weiter in den Gemeinschaftsraum. Kaum hatte ich die Tür aufgezogen, schlug mir der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee entgegen. Duncan und Toby saßen gemeinsam mit Adrien an einem Tisch, eine volle Kanne vor sich.
»Bitte sagt mir, dass noch was für mich übrig ist.« Ich setzte mich auf einen freien Stuhl und zog die Kanne zu mir heran, um meinen To-go-Becher zu füllen.
»Auch dir einen guten Morgen.« In Adriens Mundwinkeln zuckte es verräterisch. »Schön, dass du heute pünktlich bist.«
Ich ignorierte seinen kleinen Seitenhieb, trank einen Schluck von meinem Kaffee … und verbrannte mich prompt. »Au … shit.«
»Das kommt davon, wenn man zu gierig ist.« Toby grinste mich über den Rand seiner Tasse hinweg an.
»Ich gehe davon aus, deine Maschine funktioniert immer noch nicht?« Duncan klang etwas mitfühlender – wenn auch nur ein kleines bisschen.
»Ich weiß wirklich nicht, was das Teil gegen mich hat«, nuschelte ich, während ich versuchte, den Schmerz in meiner Zunge zu ignorieren.
»Vielleicht ein Wackelkontakt im Kabel? Das hatte meine auch mal und konnte recht schnell behoben werden.« Toby lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
Ich zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Wäre schön, wenn es so etwas Einfaches wäre, das schnell zu beheben ist.« Aber bei meinem Glück momentan führte vermutlich kein Weg daran vorbei, eine neue zu holen, weil die Reparaturkosten in etwa genauso hoch wären.
Die Tür hinter mir wurde aufgestoßen, und ein kühler Luftzug wehte mir meinen Pferdeschwanz über die Schulter. Ich drehte mich um … und konnte mich nur mit Mühe davon abhalten, dass mir die Kinnlade runterfiel.
Leon trat ein, und er sah komplett verändert aus. Dunkle Wanderhosen schmiegten sich eng an seine Oberschenkel, betonten muskulöse Beine und vermutlich einen ebenso wohlgeformten Hintern. Er trug ein schwarzes Funktionsshirt, eine Sonnenbrille steckte in seinen noch immer verstrubbelten Haaren, und eine Softshell-Jacke hing über seinem Arm. Was mich jedoch am meisten anzog, war sein Lächeln, das jetzt weniger süffisant wirkte als noch zuvor auf dem Parkplatz. Es war irgendwie echter, als hätte er vergessen, in seine vorgefertigte Rolle zu schlüpfen.
Trotzdem war die Anspannung an unserem Tisch sofort spürbar.
»Leon«, begrüßte Duncan ihn knapp.
»Seid ihr mein Empfangskomitee? Das ist aber nett.« Und da war es wieder, das arrogante Grinsen, als hätte er es in dieser Sekunde angeknipst.
»Freu dich nicht zu früh, vielleicht wollen wir nur sicherstellen, dass du keine Dummheiten machst.«
Mit zusammengekniffenen Augenbrauen sah Leon sich um. »Was für Dummheiten sollte ich denn hier machen? Einen dieser hässlichen Stühle klauen?«
Ich hätte gerne gekontert, leider hatte er damit vollkommen recht. Die Stühle waren hässlich. Es waren die einfachsten, billigsten, die Adrien und ich damals hatten finden können, und wir hatten sie aus genau dem Grund gekauft: damit niemand auf die Idee kam, sie mitzunehmen. »Dann erfüllen sie ihren Zweck«, entgegnete ich knapp und schüttete den letzten Rest meines Kaffees runter. »Wir sollten dann auch mal raus.«
Kurz wirkte Leon verwirrt ob meines plötzlichen Themenwechsels, dann folgte er mir jedoch zur Tür hinaus. Draußen waren deutlich mehr Leute versammelt als vorhin, aber auf den ersten Blick konnten es noch nicht die vollen dreißig Personen sein, die sich für die Wanderung angemeldet hatten. Leon hielt sich im Hintergrund, während ich uns vorstellte und die bereits Anwesenden von meiner Liste abhakte. Ich kontrollierte auch, ob sie festes Schuhwerk anhatten. Man mochte es ja kaum glauben, aber es gab immer einige Verrückte, die dachten, Flipflops oder Anzugschuhe ohne Profil wären für unsere Wanderungen geeignet. Heute trugen jedoch zumindest alle Turnschuhe, ein Großteil sogar richtige Wanderschuhe.
»Die heutige Tour wird insgesamt circa acht Stunden dauern«, erklärte ich der Gruppe. »Wir haben zwei moderate Anstiege und einen schmalen Pass dabei, ansonsten wird es eher gemütlich zugehen. Dafür gibt es ordentlich was zu sehen. Zwei Wasserfälle liegen auf unserem Weg, ihr werdet von oben auf Glencoe hinabschauen können. Es geht durch dichte Wälder, und wir werden hoffentlich einige Tiere zu Gesicht bekommen. Habt ihr Fragen?«
Die meisten schüttelten den Kopf, aber eine rothaarige, zierliche Frau mit ebenso vielen Sommersprossen wie Kyleen hob die Hand. Ich nickte ihr zu. »Gibt es unterwegs Toiletten?«
Ich verkniff mir ein Grinsen, diese Frage wurde beinahe jedes Mal gestellt. »Wir machen mittags Pause in einem Restaurant im Wald, dort gibt es auch Toiletten, ansonsten werden wir uns nur in freier Natur bewegen. Ihr könnt hier aber noch mal gehen, wenn ihr wollt.« Ich deutete auf die Duschräume, in denen sich auch Klos befanden.
Wie auf Kommando stellten sechs Leute ihre Rucksäcke auf den Boden und bewegten sich in die Richtung. »Sie sind unisex«, rief ich ihnen hinterher. »Also nehmt einfach irgendeine, aber hinterlasst sie sauber.«
Leon blickte mich fragend an. »Unisex?«
Ich konnte seinen Ton nicht deuten. War er eher anklagend, abwertend, einfach nur überrascht? Oder alles zusammen? Sein Gesichtsausdruck gab keinen Aufschluss darüber, was er dachte.
Vielleicht war ich aber auch einfach nicht in der Lage, ihn zu lesen, weil wir uns praktisch nicht kannten. »Ist einfacher für alle«, entgegnete ich. »Wir haben auch die Duschräume und Umkleiden danach konzipiert. Es gibt abgetrennte Kabinen sowohl bei den Duschen als auch den Umkleiden, die von jedem genutzt werden können, und wir schließen niemanden aus, der sich weder mit der weiblichen noch mit der männlichen Anrede wohlfühlt. In den Fässern gibt es zwar auch Kabinen mit Toilette und Waschbecken, aber die sind schon ziemlich eng, und zum Duschen müssen die Leute eh raus.«
Mit einem Mal wirkte Leon mehr interessiert als alles andere. »Habt ihr damit gute Erfahrungen gemacht?«
Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern. »Mir sind zumindest keine Beschwerden bekannt. Muss aber auch zugeben, dass wir generell jüngere Gäste hier haben, die auch sonst eher auf Campingplätzen anstatt in Fünf-Sterne-Bunkern übernachten.« Diese kleine Spitze konnte ich mir nicht verkneifen. Zwar war das Three Sisters Resort weit davon entfernt, ein Sternehotel zu sein, aber man konnte manchmal den Eindruck bekommen, so, wie die McLachlans darüber redeten.
»Nur weil dir keine bekannt sind, heißt es nicht, dass es keine Beschwerden gibt.«
Anstelle einer Antwort rollte ich bloß mit den Augen. Würde das den ganzen Tag so gehen? In einer Sekunde wirkte Leon ganz erträglich, nur um in der nächsten einen blöden Spruch von sich zu geben. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es dazu negative Bewertungen geben würde, sollte sich wirklich jemand daran gestört haben«, konterte ich.
Kurz darauf waren alle da, die sich für die Wanderung angemeldet hatten, und wir liefen los. Zuerst ging es an den Lodges vorbei zu einem kleinen Pfad, der schräg den Hang hinaufführte. Hier achtete ich immer besonders darauf, wie gut alle mitkamen. Die Schräge war moderat und damit ein guter Indikator, um das Fitnesslevel der Leute einzuschätzen. Wenn auf diesem ersten Anstieg bereits jemand zurückblieb, drosselte ich das Tempo, um diejenigen nicht von vornherein zu überfordern. Heute kamen jedoch alle gut mit. In kleinen Grüppchen liefen sie hinter uns her, unterhielten sich, und die Ersten hatten bereits ihre Handys gezückt, um Fotos zu machen.