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Gibt es eine Hölle? Oder kommen letztlich doch alle Menschen in den Himmel? Kann ein liebender Gott wirklich wollen oder zulassen, dass Menschen verloren gehen? Diese Fragen werden derzeit kontrovers diskutiert. Hier ist ein wohltuend sachlicher und gründlich recherchierter Beitrag dazu. Er zeigt: Wer nach der Hölle fragt, spricht damit zugleich weitere Themen an: Wie soll man sich die Hölle konkret vorstellen? Wie passt eine Hölle überhaupt zum Wesen Gottes? Wie kann man an Gott als Richter glauben? Und nicht zuletzt: Welchen Weg zeigt Gottes Wort, um nicht verloren zu gehen? Dem Autor gelingt es, tiefgründige Fragen gut lesbar zu behandeln. Er liefert eine biblisch-theologische Gesamtschau ab, die kniffligen Fragen nicht ausweicht und mit den Antwortversuchen prägender Denker der Geschichte im Gespräch ist.
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Seitenzahl: 388
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ISBN 978-3-417-22024-7 (E-Book)
ISBN 978-3-417-26492-0 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book:
CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
© 2012 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG
Bodenborn 43 • 58452 Witten
Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected]
Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgenden Ausgaben entnommen:
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG • Bodenborn 43 • 58452 Witten, sowie: Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten Weiter wurden verwendet: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart. Die Bibel, übersetzt von Franz Eugen Schlachter. Version 2000, neue revidierte Fassung. © 2003 Genfer Bibelgesellschaft, Genf, und Christliche Literatur-Verbreitung Bielefeld.
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Satz: Breklumer Print-Service, Breklum
Einleitung
Zum Aufbau dieses Buchs
1
Die Hölle ist leer
Der Gegenentwurf zur Hölle: Alle werden versöhnt
2
Gott ist alles in allem – Apokatastasis
Drei Jahrhunderte, eine Stadt und zwei Worte
Allversöhnung im 19. Jahrhundert
Fazit
3
Hat der Mensch eine unsterbliche Seele? – Über Annihilismus und Konditionalismus
John Stott – Auslöschung statt ewiger Strafe
Die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte
Jesus über die Vernichtung der Seele
Weitere Hinweise aus der Bibel
Warum ist diese Frage heute wichtig?
Zwischenbilanz
4
Ewiger Schmerz, ewig entfernt von Gott: Die klassische Höllenlehre
Er setzte die Denkmuster: Augustinus von Hippo – die ewige Qual setzt sich durch
Die Hölle ist ewig
Hölle bedeutet bewusste Qual
5
Es gibt keine Hölle: Die Position des Liberalismus
Es gibt keinen Ort, an dem die Hölle sein kann
Leben nach dem Tod – körperlich, aber anders als jetzt
Die Realität des Himmels
Die Hölle – ein Mythos?
6
Zusammenfassung
7
Die Natur der Hölle
Gehenna
Jesus über die Gehenna
Weitere Ausdrücke und Umschreibungen für die Hölle im Neuen Testament
8
Das Bild der Hölle in der Geschichte
Die Hölle als Einnahmequelle
Visionen und Mystik
Dante: Gestaffelte Qual
Hieronymus Bosch: eine psychologische Sicht der Hölle
Die Moderne: „Die Hölle, das sind die anderen“
Zusammenfassung
9
Was erwartet uns, bevor Himmel oder Hölle anbrechen?
Das Totenreich
Die beiden Auferstehungen
Nach dem Tod, vor dem letzten Gericht: Das Zwischenstadium
10
Liebender Gott – qualvolle Hölle? Die Frage nach Gottes Wesen
Gott als Richter
Gott als Retter
Fazit
11
Rettung
Die Taufe als rettende Kraft
Lebensstil und Gericht
Das Gericht nach Werken
Das Gesetz des Alten Testaments
Glaube als der Weg, gerettet zu werden
Die Antwort des Menschen: Über Bekehrung
Freier Wille des Menschen oder Vorherbestimmung durch Gott?
Das Heil verwirklichen
12
Wie viele Menschen werden gerettet?
Das Gericht über die Völker
Gott in der Natur
Die Menschen vor Christus
Kinder und geistig Behinderte
Die zweite Chance
Pluralismus: Es gibt Heil außerhalb des Christentums
Fazit
13
Konsequenzen: Christen und die Hölle
Für das Beste beten: Das Beispiel Abrahams
Das Beispiel Moses
Verkündigung
Schlussplädoyer / Nachwort
Anhang A: Das Problem der Erbsünde
Anhang B: Entwicklungen der Tauftheologie
Anhang C: Die Prädestinationslehre
Anhang D: Werden in der Hölle alle gleich sein?
Quellen und Literaturempfehlungen
Anmerkungen
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen, und das Meer ist nicht mehr. (Offenbarung 21,1)
Ich bin kein Universalist – aber ich hoffe, dass Gott einer ist.
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Meine ersten Erinnerungen an die Hölle fühlen sich fast mythisch an. Ich hatte gehört, dass es sie gibt, sah in ihr aber keine reale Möglichkeit, sondern eine mittelalterliche Vorstellung, die wir glücklicherweise überwunden haben. Ich kann nicht mehr sagen, wann ich zum ersten Mal von diesem Ort hörte. Vielleicht als Kind in der Kirche? Oder später, als ich von den Philosophen lernte, dass es sie nicht gibt? Oder als mein Vater mir als Kind die griechischen Sagen vorgelesen hat? Dort gibt es ein Totenreich, den Hades. Es ist zwar nicht die Hölle, aber auf jeden Fall ein unangenehmer Ort, den die Helden mieden, solange es ging.
Normalerweise wird die Hölle einfach totgeschwiegen. Nur einige radikale Gruppen, die viele fanatisch finden, sprechen darüber. Mich selbst begleitet das Thema schon mein ganzes christliches Leben lang. Die Hölle war der Grund, aus dem ich Christ wurde, und hat deshalb Einfluss auf mein ganzes Leben. Ohne sie wäre ich nicht der, der ich bin.
Vor mehr als zwanzig Jahren, etwa 1989 oder 1990, hatte ich noch nichts mit Gott zu tun und wollte das auch gar nicht. Ich führte ein ziemlich normales Leben, hatte keinen Bock mehr auf Schule, wohnte noch bei meinen Eltern und fand eigentlich alles unerträglich. Alles, was ich wollte, war Party machen und früh sterben – „live fast, die young“, dachte ich mir. Das Leben ist nicht toll genug, um möglichst alt zu werden1.
Es war die Zeit, in der man Black Metal hörte. Bands wie Venom und King Diamond standen hoch im Kurs, und donnerstags traf ich mich immer mit ein paar Kollegen vor einer christlichen Teestube. Die Pommesbude neben der Gemeinde verkaufte Dosenbier für unschlagbare 49 Pfennig. Wir saßen auf einer Mauer vor der Kirche, hörten Musik, tranken Bier und lachten über die frommen Spießer. Damals klang das für mich nach einem gelungenen Abend.
An einem Abend kam ein Mädel aus meiner Klasse vorbei, das manchmal in diese Teestube ging. An diesem Abend stellte sie sich zu uns und sagte einen Satz, der mein Leben veränderte: „Du kommst mal in die Hölle!“
Ich kann nicht behaupten, dass mir dieser Gedanke fremd war. Ich hatte das schon vorher gehört – auch von ihr. Bisher war mir das völlig egal, denn ich glaubte eh nicht daran. Wenn überhaupt, waren meine religiösen Vorstellungen eher von Musik als von der Bibel geprägt. Viele Bands sangen über das Thema und die Grundaussage war: Besser in die Hölle als in den Himmel. Sollte es einen Himmel geben, stellte ich ihn mir schrecklich vor, mit Engeln, Harfen und Chorälen. Da konnte die Hölle nur besser sein: Sex, Drugs and Rock 'n' Roll, also alles, was ich wollte … Aber im Grunde glaubten wohl nicht einmal die bösen Bands wirklich an ein Leben nach dem Tod. Vermutlich waren die meisten Atheisten.
An diesem Abend war irgendetwas anders. Äußerlich war ich wahrscheinlich cool, aber innerlich total getroffen – ich wusste, dass sie recht hatte und dass die Hölle nicht cool ist. Ich ging nach Hause mit der absoluten Gewissheit, auf dem falschen Weg zu sein.
Am nächsten Tag war ein Feiertag, aber als ich verkatert aufstand, sah die Welt nicht besser aus. Jetzt hatte ich richtig Angst zu sterben, ohne mein Leben mit Gott in Ordnung gebracht zu haben. Die frommen Sprüche, über die ich früher immer gelacht hatte, erschienen mir nicht mehr lustig. „Du weißt nie, wann es aus ist. Du gehst nach Hause, ein Ziegel fällt dir auf den Kopf und du bist tot.“ Mittlerweile machte ich mir ernste Sorgen darum.
Ich rief meine Schulfreundin an, um die Sache klarzumachen. Ich wollte unbedingt mit Gott ins Reine kommen.
Der Fußweg zu ihr war ungefähr das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Aus Angst, bei einem Unfall zu sterben, trampte ich nicht. Außerdem ging ich möglichst von Baum zu Baum, um von keinem Auto überfahren zu werden.
Ich kam unbeschadet an und erfuhr, dass Jesus mich vor der Hölle rettet, wenn ich ihn in mein Leben lasse. Gott war nur ein Gebet weit entfernt. Das klang gut: kein mühevoller Weg, kein Selbstfindungskram, keine Beschneidung. Nur ein Gebet. Das Problem war nur, dass ich nicht beten konnte.
Ich brachte einfach das kleine Gebet, das sie mir vorsprach, nicht über die Lippen. Es war, als ob mein Mund verklebt wäre. Ich konnte einfach nicht sagen: „Bitte Jesus, vergib mir und komm in mein Leben. Amen.“ Ich kam bis „bitte“, dann war Schluss. Der Name Jesus wollte mir einfach nicht über die Lippen. Nach einigen erfolglosen Versuchen hatten wir beide Tränen in den Augen und ich dachte: „Es ist vorbei. Die Chance ist vertan, in die Hölle kommst du doch.“
Erst völlig verzweifelt und mit letzter Kraft gelang es mir, meinen Stolz zu überwinden und das Gebet zu sprechen. Gott hat es sofort beantwortet. Ich hatte kaum „Amen“ gesagt, da empfand ich etwas, das ich immer gesucht hatte: Frieden.
Bis dahin hatte ich mich selten wirklich wohlgefühlt. Meist war ich angespannt, nervös und aufgewühlt oder war von Wut, Depressionen, Hass und Angst erfüllt.
Auf einmal war alles still in mir. Das Gefühlschaos war fort und ich fühlte mich vollkommen ruhig, ausgeglichen und glücklich. Ich hatte die anderen Gefühle nicht einfach verloren, sondern etwas Neues gewonnen. Etwas, das vorher eindeutig nicht da gewesen war. Seitdem weiß ich, dass Jesus mich vor der Hölle gerettet hat, und ich bin total dankbar dafür.
Zwanzig Jahre später spielt die Hölle keine besondere Rolle mehr in meinem Leben. Ich habe mich lange nicht mehr mit ihr beschäftigt, wie mir neulich auffiel, als ich mit Zeugen Jehovas über die Ewigkeit diskutierte. Auch in meinen Gesprächen über Gott spielt das Thema eine untergeordnete Rolle. Von damals ist mir der Frieden geblieben, nicht die Angst vor der Hölle. Umso interessanter war für mich die Anfrage, ein Buch über die Hölle zu schreiben.
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Zunächst meinte ich, es könnte nicht besonders schwierig sein, über die Hölle zu schreiben. Meine Position war klar und ich dachte nicht, dass man viele interessante Gedanken zu dem Thema finden könnte. Darin habe ich mich gründlich getäuscht: Sowohl theoretisch als auch emotional hat mir dieses Buch viel abverlangt. Es geht durch mehr als zwei Jahrtausende Geschichte mit Stationen in vielen Ländern und Kulturen. Es ist sinnvoll, an dieser Stelle einen kleinen Fahrplan zu bieten.
Mein erster Gedanke war, das Buch entlang der biblischen Reihenfolge aufzubauen und an allen Bibelstellen entlangzugehen, die mit der Hölle zu tun haben. Das habe ich verworfen, als mir klar wurde, dass die Auslegung der Stellen sich mit den Jahrhunderten stark geändert hat. Deshalb ist der erste Teil historisch aufgebaut.
Beim Schreiben erlebte ich einige Überraschungen. Die ältesten christlichen Vorstellungen über die Hölle sind anders als erwartet. Das Buch beginnt in Alexandria mit Clemens und Origenes, die eine herausfordernde Sicht der Allversöhnung vertraten (Kapitel 2). Danach geht es um die Frage nach der Unsterblichkeit des Menschen (Kapitel 3). Diesem Thema räumt die frühe Theologie einen breiten Raum in ihren Diskussionen ein. Erst danach komme ich zur frühen lateinischen Theologie und dem großen Theologen Augustinus, der wichtige Aspekte der Höllenlehre entwickelte, die bis heute aktuell ist (Kapitel 4).
In unserer Zeit ist gar nicht mehr die Frage, wer warum in die Hölle kommt, sondern ob es sie überhaupt gibt. Die Existenz eines ewigen Strafortes wird zunehmend bestritten. Wo sollte sie sein? Unsere Urgroßväter vermuteten sie im Erdinneren, bis mutige Forscher in die großen Vulkane hinabstiegen und die Höhlen der Welt erforschten. Sie fanden dort einiges, aber keine Hölle. In Kapitel 5 geht es um diese und ähnliche Fragen.
Dieser erste Gang durch die Geschichte des Nachdenkens über die Hölle wird in einer Zwischenbilanz (Kapitel 6) zusammengefasst.
Um zu verstehen, was die Hölle bedeutet, gehen wir noch einmal zurück zu Jesus und betrachten, wie er von ihr sprach. Das geschieht in Kapitel 7, wo die Aussagen des Neuen Testaments beleuchtet werden. Kapitel 8 bietet einen Einblick in die Kunstgeschichte. Es handelt von den Vorstellungen, die sich in der Kultur, besonders der Kunst herausgebildet haben. Viele Anschauungen sind stark durch die Bilder von Malern und Dichtern geprägt.
In den nächsten Kapiteln werden wichtige Anschlussfragen behandelt. Kapitel 9 thematisiert das Leben nach dem Tod. Was geschieht nach dem Sterben? Findet sofort ein Gericht statt? Oder kommt man gleich in den „Himmel“ oder die „Hölle“? Und wie muss man sich das Gericht vorstellen?
In Kapitel 10 geht es um zwei Fragen, die sich geradezu aufdrängen, wenn man über die Hölle spricht. Was ist das für ein Gott, dereine Hölle schafft, und wer wird eigentlich verdammt? Die Frage nach Gottes Charakter wird oft gestellt, aber selten beantwortet. Philosophen benutzen sie als Waffe gegen das Christentum. Es ist tatsächlich schwer zu verstehen, wie ein liebender Gott Menschen in die ewige Verdammnis schicken kann.
Dieses Buch wäre unvollständig ohne die letztlich entscheidenden Fragen: Wie entgeht man der Hölle? Wie sieht die Rettung aus? Und was erwartet Gott von den Menschen, wenn er ihnen einen Weg zur Rettung zeigt? Überlegungen dazu finden sich in den Kapiteln 11 und 12.
Zuletzt sollten wir Klarheit darüber gewinnen, welchen Stellenwert die Hölle in unserem Denken einnimmt oder einnehmen sollte. Gehört sie so zentral zum Evangelium, dass man sie stets im Sinn haben sollte? Oder würde das gerade vom Kern der guten Nachricht ablenken? Um diese Frage geht es in Kapitel 13.
Die Fragestellungen dieses Buches machen es sicher nicht zu einem gefälligen Schmöker. Dennoch habe ich mich bemüht, es einfach zu halten, denn komplexe Fragen haben manchmal einfache Antworten. Oft hätten Vereinfachungen aber zu Oberflächlichkeit geführt, was ich mir bei diesem Thema nicht erlauben wollte. So bietet das Buch einen Kompromiss zwischen Einfachheit und Tiefe.
Einige tiefergehende Erörterungen sind in eigene Anhänge gerutscht. Es ist möglich, das Buch ohne diese zu lesen. Wer aber tiefer einsteigen möchte, dem seien die Anhänge auf jeden Fall empfohlen. Auch auf wesentliche weiterführende Literatur wird hingewiesen. So kann man sich weiter in das Thema Hölle einarbeiten.
Alles in allem bietet dieses Buch einen Überblick über den Stand einer uralten Diskussion, die jeden Bereich christlicher Theologie und Lebensführung berührt. Auch andere Wissenschaften spielen eine Rolle in Fragen nach dem Ort der Hölle, der Willensfreiheit des Menschen, der Möglichkeit ewiger Qual usw. Es ist kaum möglich, mehr als einen Überblick über diese Debatte zu geben. In vielen Fragen kann nur eine erste Orientierung angeboten werden, um dem Leser seine eigene Meinungsbildung zu erleichtern.
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Die Beschreibungen der Hölle, die ich gehört habe, sind weitgehend deckungsgleich: Es ist dunkel, es brennt, es ist ewig und extrem schmerzhaft.
Predigten aus den letzten Jahrhunderten malten die Hölle in bunten Farben – und sind charakteristisch für das Bild, das ich hatte. So warnte Jonathan Edwards (1703–1758) seine Zuhörer, dass
„der Zorn Gottes gegen sie brennt, ihre Verdammnis schlummert nicht, die Grube ist bereitet, das Feuer fertig, der Ofen ist schon heiß, bereit sie aufzunehmen, die Flammen wüten und glühen bereits.“2
Auch der „Predigerfürst“ C.H. Spurgeon (1834–1892) wusste so zu predigen:
„Dein Herz schlägt mit hohem Fieber, dein Puls rast in enormer Geschwindigkeit in Qual, deine Glieder krachen wie die Märtyrer im Feuer und verbrennen doch nicht, du steckst in einem Eimer mit heißem Öl, schmerzend, doch unverletzt, alle deine Venen werden zur Straße, auf der die heißen Füße des Schmerzes reisen, jeder Nerv eine Saite, auf welcher der Teufel für immer seine dämonische Musik spielen wird.“3
Hinter diesen Darstellungen steht eine eindeutige Auffassung: Hölle ist ein Ort, an dem Menschen gequält werden, die einer Norm nicht entsprochen haben. Welcher Norm – das wird unterschiedlich beantwortet. Die einen sagen, dass es moralische Verfehlungen (im biblischen Fachjargon Sünden) sind, die einen Menschen in die Hölle bringen. Andere, dass sie die Strafe dafür ist, dass jemand nicht an Gott geglaubt oder Jesus nicht angenommen hat.
Das ist starker Tobak. An jeder dieser Aussagen hat man schwer zu schlucken. Ja, es gibt moralische Verfehlungen und bei manchen Zeitgenossen wünschen wir uns geradezu, dass sie hart bestraft werden. Erst neulich sah ich einen Autoaufkleber: „Todesstrafe für Kinderschänder“. Viele empfinden so. Aber eine harte und eine ewige Strafe sind nicht dasselbe. Jede Strafe ist einmal abgebüßt und hat ein Ende – außer einer ewigen. Philosophen haben eingewandt, dass es ungerecht ist, eine zeitliche Sünde – wie schwer sie auch sei – ewig zu bestrafen. Ihrer Meinung nach steht Gottes Gerechtigkeit auf dem Spiel, denn wie könnte der Richter der Welt selbst ungerecht sein (Römer 3,6)?
Die wenigsten Menschen fragen so philosophisch. Für die meisten ist „Hölle“ ein extremes Schicksal, das jemand verdient hat, der anderen unvorstellbare Qual zufügt. Wenn es darum geht, wer die Hölle verdient hat, fallen immer dieselben Namen. Hitler hätte sie verdient oder auch Stalin. Als größte Völkermörder des zwanzigsten Jahrhunderts sind beide für den Tod mehrerer Millionen Menschen verantwortlich. Es leuchtet ein, dass man ihnen die Hölle wünscht. Aber was ist mit Pol Pot, dem Kindermörder Gilles de Rais oder Kublai Khan? Dass ihre Namen in der Auflistung fehlen, liegt nicht daran, dass ihre Verbrechen geringer waren. Pol Pot hat etwa ein Viertel der Bevölkerung Kambodschas auf dem Gewissen und Kublai Khan hat im 13. Jahrhundert nach Christus mit Gewalt das größte Reich der Weltgeschichte aufgebaut. Man nennt sie nicht, weil sie unserem Bewusstsein ferner stehen als Hitler und Stalin. Kambodscha ist weit weg. Nicht jeder hat die Bilder der Foltergefängnisse gesehen oder gelesen, wie Menschen Plastiktüten über den Kopf gezogen wurden, weil Geld für Patronen fehlte. Gilles de Rais hat im Frankreich des 15. Jahrhunderts möglicherweise tausend Kinder zu Tode gefoltert, aber das ist lange her und längst vergessen.
„Vergessen“ ist hier das Stichwort. Menschen vergessen, die Zeit heilt alle Wunden und irgendwann erinnert sich niemand mehr an das, was war. Oft haben die Opfer denen vergeben, die sie gequält haben. Wie beeindruckend sind solche Geschichten!
Und Gott sollte anders sein? Der Gott, von dem wir sagen, dass er die Liebe ist (1. Johannes 4,16), sollte sich länger an Sünden erinnern als wir? Gott hat sich uns vorgestellt als jemand, der jeden Menschen liebt und retten will. Das Neue Testament ist voller Aussagen, die gerade diese Seite Gottes hervorheben:
Jesus ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist (Lukas 19,10).
Der gute Hirte freut sich mehr über ein wiedergefundenes Schaf als über die anderen neunundneunzig (Matthäus 18,10ff).
Gott will, dass alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Timotheus 2,4).
Gott hat in Christus die Welt mit sich selbst versöhnt (2. Korinther 5,18).
Die Bibel sagt an so vielen Stellen, dass Gott alle Menschen retten will. Ist es denkbar, dass Gott nicht tut, was er will? Warum sollte er darauf verzichten, gerade diesen Kernpunkt seines Willens vollständig umzusetzen? Was ist das für ein Gott? Hier bricht die Frage nach Gottes Charakter auf.
Wer hier weiterdenkt, stößt noch auf andere Fragen. Vielleicht ist es ja so, dass Gott tun will, was er beabsichtigt – aber es nicht kann? Wenn die Bibel einerseits sagt, dass Gott alle Menschen retten will, und andererseits, dass dennoch Menschen in der Hölle enden, folgt dann daraus, dass Gott unfähig ist, seinen Willen durchzusetzen? Viele halten das für die einzig logische Schlussfolgerung. Hier bricht die Frage nach Gottes Eigenschaften auf. Ist Gott noch allmächtig oder muss man diese Eigenschaft streichen?
Damit hat sich die Diskussion deutlich ausgeweitet. Stand am Anfang noch Gottes Gerechtigkeit zur Debatte, kommen jetzt noch seine Liebe und seine Allmacht dazu. Die Hölle stellt Gottes Integrität auf die Probe.
Ausgangspunkt für diese Überlegungen war das Stichwort „vergessen“: Menschen vergessen das Böse in der Geschichte, sodass Vergebung möglich wird. Ist Gott nachtragender als Menschen?
Auch in anderer Weise ist „vergessen“ ein wichtiges Stichwort. Laut Offenbarung 14,9ff werden der Teufel und die ihn angebetet haben vor Gott und den heiligen Engeln gequält. Der „Rauch ihrer Qual wird in Ewigkeit aufsteigen“. Wie kann man die Ewigkeit glücklich verbringen, während geliebte Menschen zusammen mit dem Teufel in einem Feuersee baden? Wie kann Gottes Schöpfung vollkommen sein, wenn es in ihr einen Ort ewiger Folter gibt? Ist ein umfassendes Vergessen nicht zwingend notwendig, damit die Ewigkeit noch „himmlisch“ sein kann?
Wir empfinden unsere Welt zu Recht als unvollkommen. Die Bibel zeigt sie uns als „gefallene Schöpfung“. Gleich zu Anfang gerieten die Dinge aus den Fugen und aus dem ursprünglichen Paradies wurde – unsere Welt. Christen glauben, dass Gott die Welt erlösen und ihren ursprünglichen Zustand wiederherstellen wird. Müsste nicht auch die neue Schöpfung von einem Feuersee der Qual erlöst werden?
Für manche Atheisten stellt die Hölle deswegen einen Beweis gegen die christliche Lehre dar. Ein guter, vergebender, liebevoller und allmächtiger Gott kann nicht zusammen mit der Hölle, wie sie die Kirche lehrt, bestehen. Diese Ansicht ist nicht neu. Diskussionen über die Hölle gab es schon lange vor Jesus. In der Zeit zwischen dem Alten und dem Neuen Testament entstand viel apokalyptische Literatur: Bücher, die eine Offenbarung bieten wollten. In ihnen wird häufig das Leben nach dem Tod thematisiert. Mit einigen Texten werden wir uns noch auseinandersetzen, wenn es darum geht, wie Jesus sich die Hölle vorstellte (Kapitel 3).
Wenn Gott will, dass alle Menschen gerettet werden, und auch kein Mensch in die Hölle kommen will, scheint sie überflüssig zu sein. Warum sollte es sie überhaupt geben?
Die Lehre, dass niemand in die Hölle kommt, heißt „Allversöhnung“ – alle werden mit Gott versöhnt. Im Englischen spricht man von „universalism“ und meint damit, dass die Rettung universal (auf alle) angewandt wird. In diesem Buch verwende ich beide Ausdrücke gleichwertig. Da Allversöhnung seltener vertreten wird als der Glaube an eine ewige Qualhölle, bezeichne ich letzteren als klassische Höllenlehre. Diese beiden Möglichkeiten stehen sich in der Diskussion gegenüber: die klassische Höllenlehre und die Lehre der Allversöhnung.
Oft wird Allversöhnung eher aus emotionalen als aus theologischen Gründen vertreten. Viele können sich nicht vorstellen, dass „ein guter Gott Menschen in die Hölle schickt“ und argumentieren mit 1. Johannes 4,16, dass Gott Liebe ist. Letztlich geht es aber in theologischen Debatten nicht um unsere Gefühle, sondern um Wahrheit. Da die Quelle dieser Wahrheit die Bibel ist, muss sich unsere Theologie immer an ihr messen lassen.
Machen wir uns also auf den Weg und sehen uns einige biblische Aussagen zur Allversöhnung an. Wir werden prüfen, ob sie wirklich die Schlussfolgerungen stützen, die manche aus ihnen ableiten. Viele Bibelstellen deuten in eine bestimmte Richtung, wenn man sie für sich nimmt und aus dem ursprünglichen Kontext löst. Im eigentlichen Zusammenhang betrachtet, sagen sie aber oft etwas ganz anderes aus.
Paulus beschreibt seinem geistlichen Sohn Timotheus die generelle Absicht Gottes:
Dies ist gut und angenehm vor unserem Heiland-Gott, welcher will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Timotheus 2,3–4).
Hier ist eindeutig gesagt, dass Gott will, dass alle Menschen gerettet werden. Der amerikanische Autor Rob Bell stellt den Vers zu einer polemischen Frage um:
„Werden alle Menschen gerettet werdenoder bekommt Gott nicht, was Gott will?
Wird dieser großartige, mächtige, herrliche Gott am Ende scheitern?“4
So formuliert, kann man eigentlich nur laut „Nein!“ rufen. Leider unterstützt der Zusammenhang der Paulusbriefe und speziell der 1. Timotheusbrief dieses Nein in keiner Weise. Paulus fordert die Christen auf, für Verantwortungsträger zu beten. Als Argument dafür sagt er, dass Gott alle Menschen gerettet sehen möchte. Damit sagt er aber nicht, dass tatsächlich alle gerettet werden.
Was meinte Paulus genau? Der Brief wurde zwischen 63 und 66 geschrieben. 54 wurde Nero römischer Kaiser, und 64 begann eine große Christenverfolgung, nachdem die Gemeinde bereits vorher einiges zu erleiden hatte. In dieser Zeit brauchte man schon Glauben, um für den Kaiser zu beten! Deshalb begleitete Paulus seinen Gebetsaufruf mit der Versicherung, dass Gott jeden Menschen – auch Nero! – retten will. Er sagt aber nicht, dass tatsächlich jeder Mensch gerettet wird. Stellen wie 1. Timotheus 4,1 oder 6,9 sagen deutlich, dass es nicht so sein wird. Es reicht, diesen Brief ganz zu lesen, um zu sehen, dass Paulus an dieser Stelle keine Allversöhnung gemeint haben kann.
Auch Jesus liefert vermeintliche Argumente für die Allversöhnung. Das Johannesevangelium überliefert dieses Wort von ihm:
Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen (Johannes 12,32).
Manche verstehen „alle“ im Sinne von „alle Menschen“. Dann würde Jesus nach seiner Auferstehung die ganze Menschheit zu sich ziehen. Dem widerspricht allerdings, dass er im Johannesevangelium immer wieder vom Gericht spricht (5,22ff; 8,16; 16,8ff). Er wusste, dass er nicht jeden Menschen erreichen und nach seiner Auferstehungzu sich ziehen würde. Er spricht hier von denen, die an ihn glauben, und nicht von einem universalen „alle“.
Der anglikanische Theologe N.T. Wright hat in einem kurzen Aufsatz einige Stellen untersucht. Am Ende kommt er zu dem Schluss, dass „biblischer, Universalismus‘ darin besteht, dass Gott in Christus einen Weg gezeigt hat, wie alle Menschen gerettet werden können, unabhängig von Rasse, Geschlecht, Hautfarbe oder sozialem Status.“5 Entscheidend ist das Wort „können“. Diesen Universalismus zeigt die Bibel deutlich (Galater 3,28). Die Theologie, dass kein Mensch in die Hölle kommen wird, muss sich allerdings nach anderen Quellen als der Bibel umsehen.
Die Lehre der Allversöhnung sagt, dass jeder Mensch gerettet wird und kein einziger verloren geht. Neben dieser einfachen Sichtweise gibt es noch eine sehr komplexe Variante, die von vielen Kirchenvätern der ersten Jahrhunderte vertreten wurde. Sie heißt „Apokatastasis“ (gesprochen: apo-katástasis) und wird uns im Folgenden beschäftigen.
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Die ersten Jahrhunderte des Christentums waren geprägt von Verfolgungen und theologischen Debatten. Zu dieser Zeit war die Lehre noch offener als später in der Kirchengeschichte. Die endgültige Struktur der Kirche, die sich auf das ganze römische Reich erstreckte, hatte sich noch nicht herausgebildet. Die Lehre kam von Predigern und wurde nicht von Kirchenoffiziellen verwaltet. Da es noch keine zentralistische Dogmenverwaltung gab, konnten viele unterschiedliche Meinungen nebeneinander bestehen. Diese Pluralität galt auch für Ansichten über das Schicksal der Sünder nach dem Tod.
Um das Jahr 200 herum gab es drei verschiedene Sichtweisen:
1. Annihilismus – eine Position, die davon ausgeht, dass die Sünder vernichtet oder ausgelöscht werden, statt unendlich zu leiden.
2. Ewige Strafe – die Position, die ab dem sechsten Jahrhundert nahezu ausschließlich vertreten wurde und schließlich die klassische Höllenlehre bildete.
3. Allversöhnung – die Auffassung, die in unterschiedlichen Spielarten davon ausging, dass irgendwann jeder Mensch mit Gott versöhnt würde. Eine Variante dieses Denkmodells ist die Lehre von der „Apokatastasis“, die meint, dass nicht nur alle Individuen Gott annehmen und so gerettet werden, sondern dass die ganze Welt in den ursprünglich von Gott beabsichtigen Zustand gebracht wird.
Die am weitesten verbreitete Sicht war nicht die ewige Qualhölle, sondern die Lehre der letztendlichen Wiederherstellung eines paradiesischen Zustandes. Überraschenderweise standen die genannten drei Positionen fast konfliktfrei nebeneinander. Erst 553 wurde die Lehre der Apokatastasis bei einer maßgeblichen Kirchenversammlung (dem Konzil von Konstantinopel) offiziell als Irrlehre verurteilt.
Wieso wurde über etwas so Unvereinbares nicht erbittert gestritten? Die ersten Jahrhunderte waren von anderen Diskussionen geprägt. Es ging um den Kanon der Bibel, die Göttlichkeit Jesu, den Heiligen Geist und die Dreieinigkeit. Vielleicht haben diese Diskussionen das intellektuelle Klima so überschattet, dass kaum Zeit blieb, sich mit dem Leben nach dem Tode zu befassen. Jedenfalls ist festzuhalten, dass die Lehre der ewigen Höllenqual dem Christentum nicht in die Wiege gelegt wurde. Wenn wir heute das Wort Hölle hören, hören wir es mit einer Prägung, die sich erst nach und nach entwickelte. In der Frühzeit des Christentums war es eine Außenseiterposition, zu behaupten, dass Sünder eine ewige Strafe erwartet. Zu dieser Zeit gab es mindestens sechs theologische Schulen. Nur eine davon vertrat die Lehre der ewigen Strafe. Die Mehrheit, nämlich vier Schulen, bevorzugten die Auffassung der allgemeinen Wiederherstellung. In einer wurde die vollständige Auslöschung der Bösen gelehrt – was etwas anderes ist als die klassische Höllenlehre.6
Zu den Diskussionen kamen die Verfolgungen. Schon die Apostelgeschichte berichtet von inhaftierten Aposteln und dem ersten christlichen Märtyrer Stephanus. Danach gaben sich die römischen Herrscher die Klinke in die Hand, um die junge Kirche zu verfolgen. Claudius, Nero, Domitian, Severus und Diokletian sind nur einige der bekannteren Beispiele. Das änderte sich erst mit der konstantinischen Wende und der offiziellen Anerkennung des Christentums im vierten Jahrhundert. Vorher hatten die Christen viel zu verlieren. Wer in einer gefährlichen Situation lebt, der wird kaum viel Zeit mit unwichtigen Themen zubringen. Man konzentriert sich auf das Wesentliche.
In unserer Zeit wirft man denen, die eine Hölle leugnen, oft Feigheit vor. Der Zeitgeist verbietet es, an die ewige Strafe zu glauben. Es ist nicht en vogue und gilt als rückständig, veraltet, mittelalterlich. Bei Beerdigungen sagt man, dass es dem Verstorbenen jetzt besser geht und er „bei Gott“ ist. Aber das ist nicht mehr als ein billiger Trost, an den die wenigsten wirklich glauben. Es gilt als naiv, aber durchaus salonfähig, gelegentlich über den Himmel zu reden, aber wer offen über die Hölle spricht, disqualifiziert sich selbst.
1953 hielt Ole Christian Hallesby in Norwegen eine Radiopredigt über die Hölle, deren negatives Medienecho bis in den deutschen „Spiegel“ hallte.7 Aufgrund solcher und ähnlicher Erfahrungen vermeidet man das Thema, um sich nicht in die Nesseln zu setzen. Der Gedanke liegt nahe, dass es in den ersten Jahrhunderten genauso war und manche die ewige Verdammnis aus Scham verschwiegen, oder weil sie Repressalien fürchteten.
Aber das stimmt nicht. Origenes, ein einflussreicher Theologe, mit dem wir uns noch näher beschäftigen werden, verspürte schon als Teenager den Ruf, seinem Vater als Märtyrer zu folgen. Seine Mutter versteckte seine Kleidung, um ihn davon abzuhalten. Später lebte er ein sehr hingegebenes Leben, wurde 249 unter Kaiser Decius verhaftet, gefoltert und 251 nach dem Tod des Kaisers wieder freigelassen.8 Er starb 254 oder 255, geistig und seelisch sehr geschwächt, im Alter von 69 Jahren9 an den Folgen der Folter. Selbst seine Gegner lobten Origenes’ Charakter und vorbildlichen Lebenswandel. Origenes war ein Vertreter der Apokatastasis. Man kann ihm sicher nicht vorwerfen, aus Angst vor Leiden Kompromisse eingegangen zu sein. Wenn er nicht die später klassische Höllenlehre vertrat, dann mit Sicherheit nicht, um Gegenwind zu vermeiden. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass dieser frühe Kirchenschriftsteller und andere, ähnlich Denkende sich nicht dem Zeitgeist beugten; sie folgten ihrer inneren Überzeugung.
Was genau beinhaltet diese Lehre, die in der frühen Christenheit mehrheitlich vertreten wurde?
Allversöhnung war in verschiedenen Ausprägungen eine bedeutende Theologie der ersten nachchristlichen Jahrhunderte. Es wurde so viel dazu geschrieben, dass ich mich in der Darstellung beschränken muss. Für mich war es die interessanteste Recherche zu diesem Buch, frühe Vertreter dieser Lehre zu lesen oder ihr Werk zusammengefasst in anderen Büchern zu finden. Um einen Rahmen zu stecken, beschränke ich mich auf eine Stadt – Alexandria, drei Jahrhunderte und zwei Worte, aionios kolasis (gesprochen: ai-óhnios kólasis) – ewige Strafe. Diese Eckdaten bilden die wichtigsten Wegmarken dieser Theologie.
Im zweiten Jahrhundert war Alexandria die geistige Hauptstadt des Christentums. Als bedeutendes Zentrum für Philosophie und Religion hatte sie Rom überflügelt und war eine der wichtigsten Städte der Welt. Mit mehr als einer halben Million Einwohner war sie für eine antike Stadt riesig. Ihren Namen verdankt sie Alexander dem Großen, der sie 331 v.Chr. zur Hauptstadt seines Reiches machte. Alexandrias große Bibliothek und der Musentempel zogen Gelehrte aller Arten an, sodass die Stadt mehr Bücher als Einwohner hatte. Hier trafen Christen auf heidnische Philosophen und traten in eine fruchtbare Diskussion mit anderen Ansichten ein.
Eine wichtige Rolle spielte dabei die große Schule, die etwa sechs Jahrhunderte bis ins vierte nachchristliche Jahrhundert bestand. Viele heidnische Philosophen und Christen kamen aus Alexandria oder lehrten an dieser Schule. Unter den Kirchenvätern sind Clemens von Alexandria (150–215) und Origenes (185–254) die bekanntesten. Beide vertraten die Allversöhnung. Mit Origenes verbindet sich besonders die Lehre der Apokatastasis, der Wiederherstellung aller Dinge am Ende der Zeit. Kurz gesagt bedeutet sie, dass am Ende nicht nur alle Menschen, sondern alles mit Gott versöhnt ist. Diese Theologie umfasst mehr als die Menschheit, sie stellt eine gewaltige Vision für die gesamte Schöpfung dar, an deren Ende „Gott alles in allem ist“ (1. Korinther 15,28).
Einer der wichtigsten christlichen alexandrinischen Denker war Clemens von Alexandria. Er wurde 150 in Athen oder Alexandria geboren. Clemens schrieb auf Griechisch und übernahm 189 den Vorsitz der Katechetenschule in Alexandria.10 Kurz vor seinem Tod floh er vor der Verfolgung unter Septimus Severinus und kehrte nie mehr nach Alexandria zurück; er starb etwa 215 in Kappadokien. Wie sein Nachfolger Origenes glaubte er nicht an die ewige Hölle. In seinen „Anmerkungen zum ersten Johannesbrief“ schrieb er über 1. Johannes 2,2:
„,Und nicht allein für unsere Sünden‘ – das sind die der Gläubigen, – ist der Herr der Versöhner, wie er sagt, , sondern für die der ganzen Welt.‘ Er rettet tatsächlich alle, aber, einige [rettet er,] indem er sie durch Strafen bekehrt; andere aber, die ihm freiwillig folgen, [rettet er] mit Würde und Ehre, , damit sich jedes Knie vor ihm beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen‘ (Philipper 2,10). Das sind Engel, Menschen und Seelen, die vor seinem Kommen dieses zeitliche Leben verloren haben.“11
In seinem Buch „Der Erzieher“ heißt es:
„Dem Guten ist, soweit er von Natur gut ist, der Hass gegen das Böse zu eigen.
Deshalb will ich zwar zugeben, dass er [Gott] die Ungläubigen straft (denn die Strafe gereicht zum Heil und ist zum Vorteil des Gestraften; denn sie ist die Besserung eines Widerstrebenden), nicht aber, dass er an ihnen Rache nehmen will. Rache ist die Vergeltung von Bösem, die zum Vorteil dessen, der sich rächt, vorgenommen wird. Aber sich zu rächen wird wohl der kein Verlangen haben, der uns lehrte, für die zu beten, die uns misshandeln.“12
Das ist eine schöne Aussage über Gottes Charakter, die typisch für diese Theologie ist. Clemens sah in Gottes Strafe keine rächende Gerechtigkeit, die den Sünder ewig foltert, sondern etwas, das ihn bessert und hilft, zu seinem ursprünglichen Selbst zurückzukehren. In diesem Verständnis hat eine ewige Verdammnis keinen Platz, weil sie keine Möglichkeit zur Umkehr vorsieht. Der Gestrafte wird nicht durch sie gebessert werden, was Clemens’Verständnis widerspricht.
Nach Clemens wurde sein Schüler Origenes Leiter der Katechetenschule in Alexandria. Er gilt als brillanter Denker und Theologe und war ein universal gebildeter Mann, der sehr viel publizierte.13 Die meisten seiner Werke sind bei der Zerstörung der großen Bibliothek Alexandrias vernichtet worden, aber einige sind zumindest als Fragment oder Übersetzung erhalten geblieben. Darunter das griechische Original der acht Bände „Gegen Celsus“.
„Contra Celsus“ ist eine der ältesten erhaltenen christlichen Apologien (Verteidigungsschriften des Glaubens). Es ist bis heute ein bedeutendes Werk. Celsum wollte als kämpferischer Atheist beweisen, dass der christliche Glaube es nicht wert ist, verbreitet zu werden. Statt etwas Neues zu bieten, sei das Christentum nur eine Mischung alter Elemente. Bezüglich der Hölle warf Celsus dem christlichen Gott Rachsucht vor. Origenes entkräftete seine Argumente und entwarf gegen Celsus seine eigene Theologie. Vieles von dem, was ich im Folgenden schreiben werde, stammt aus seiner Erwiderung.
Geistesgeschichte entwickelt sich im Wechselspiel der Meinungen.14 Man kann ihre Verwicklungen und Entstehung nur aus ihrer Zeit heraus begreifen. Die alexandrinische Schule muss man aus ihrer Diskussion mit der Philosophie verstehen. Hier saß niemand auf dem Elfenbeinturm und dachte nach. Man stand mitten im Leben und in teilweise lebensgefährlichen Auseinandersetzungen. In diesem Klima konnte sich keine philosophisch platte Argumentation halten. Tiefe Gedanken und große Visionen waren gefragt.
Genau solche hatten Clemens und Origenes zu bieten. Die Theologie der Hölle drehte sich in dieser Zeit um zwei wichtige griechische Worte aus dem Neuen Testament. Das eine ist „aionios“ (ewig), das andere „kolasis“ (Strafe). Das Thema ist also ewige Strafe.
Wie lange dauert ewig? Für Origenes bezeichnete das Wort aionios eine Intensität. Es ging ihm mehr um Tiefe als um Länge. Das Wort entspricht nicht unbedingt unserer zeitlichen Vorstellung von Ewigkeit. Das griechische Hauptwort Aion kann im klassischen Griechisch auch die Lebenszeit eines Menschen oder einen sehr langen Zeitabschnitt bedeuten. Ein Aion ist ein Zeitalter, keine Ewigkeit. Man ging davon aus, dass nach diesem Zeitalter noch eines kommt und dann noch eines und noch eines und so weiter.
Diese Ansicht wird in Origenes’ Auslegung der Sünde gegen den Heiligen Geist deutlich. In Matthäus 12,32 heißt es:
Wer gegen den Menschensohn lästert, dem kann vergeben werden. Wer aber gegen den Heiligen Geist lästert, dem wird niemals vergeben werden – nicht in dieser Welt und auch nicht in der zukünftigen.
Das griechische Aion wurde hier mit „Welt“ wiedergegeben, die Elberfelder übersetzt „Zeitalter“. Origenes schrieb dazu: „Aber vielleicht in einem der vielen Äonen, die danach kommen werden [wird Gott vergeben].“15 Für ihn gab es kein Ende der Folge von Äonen, eines folgt auf das andere bis in alle Ewigkeit. Damit ist die Ewigkeit kein einheitlicher Zeitabschnitt, der ungeteilt für immer fortdauert, sondern eine unendliche Abfolge von Äonen. Gemäß dieser Vorstellung beschreibt Johannes in der Offenbarung die Herrschaft Gottes als von „Äon zu Äon“.16 Damit meint er, dass sie ohne Ende von Zeitalter zu Zeitalter weitergeht. Das kommt unserer Vorstellung der Ewigkeit zumindest nahe.
Die Hölle ist demzufolge nur ein ernstes, aber zeitlich begrenztes, Zeitspiel. Sie ereignet sich im Rahmen eines Äons oder einer begrenzten, endlichen Folge von Äonen. Origenes, Clemens und andere glaubten nicht an eine unendliche Hölle. Vielmehr werden eines Tages alle vernünftigen Lebewesen Gott erkannt und ihn in freiem Willen angenommen haben. Dann hat die Hölle ihren Zweck erfüllt.
Schon Clemens hatte von einem Zweck der Hölle gesprochen: Die Strafe soll den Gestraften zur Besserung bringen. So dient sie uns zum „Vorteil“.
Als moderner Leser wird man stutzen, wenn vom Zweck der Hölle die Rede ist. Wir stellen uns die Hölle nicht als sinnvoll vor. Theologen versuchen sie zu rechtfertigen und zu zeigen, dass Gott gerecht und liebevoll bleibt, auch wenn er Sünder zu ewiger Strafe verdammt. Aber einen wirklichen Sinn sehen wir nicht in ihr. Sie bleibt die Lehre, die wir am liebsten aus dem Christentum verbannen würden.
Für Origenes wäre eine solche Auffassung untragbar gewesen. Da Gott niemandem zürnt, wird er auch niemanden aus einer Regung von Zorn heraus bestrafen. An diesem Punkt zeigt sich Origenes’ philosophische Seite. Gott mag zornig erscheinen, aber er ist es nicht wirklich. Seine Strafe dient uns zur Besserung. Origenes sah den Menschen in einer fortwährenden Entwicklung, die auch mit dem körperlichen Tod nicht abgeschlossen ist. Gott selbst hat die Sehnsucht nach Vollkommenheit in uns hineingelegt. Er rächt sich in der Hölle nicht am Sünder, um seine Gerechtigkeit herauszustellen, sondern straft ihn zu seinem Besten.
Hier kommt das zweite griechische Wort ins Spiel, das man betrachten muss: kolasis. Kolasis ist keine sinnlose, sondern eine pädagogische Strafe. Im klassischen Griechisch wurde das Wort z.B. für das Beschneiden von Bäumen verwendet.17 Um eine ewig andauernde Rache zu beschreiben, hätte es bessere Worte gegeben.
Origenes erwartete, dass in den Äonen der Hölle jedes vernünftige Lebewesen aus freien Stücken Gottes Heil annimmt. Dann wird Gott die Sünde vergeben und den Menschen aus der Strafe entlassen. Das ist eine mächtige Vision von Gottes Liebe und seinem Gericht, die zwei Seiten miteinander in Einklang bringt, die uns oft widersprüchlich erscheinen.
Beachtenswert ist, dass Origenes die Hölle nicht wegdiskutiert.
Apokatastasis bedeutet nicht, dass es keine Hölle gibt. Vor der Neuzeit scheint kaum ein Theologe die Existenz der Hölle bezweifelt zu haben. Allversöhnung bedeutet hier vielmehr, dass die Hölle nicht das letzte Wort hat, sondern letzten Endes Gottes Liebe triumphiert und Gott alles in allem ist.
Damit behalten die Warnungen Jesu ihre Bedeutung und müssen nicht ausgeblendet werden. Jesus sprach mit mahnender Dringlichkeit über die Hölle. Es ist kein Thema, das man auf die leichte Schulter nehmen kann. Origenes würde das unterstrichen haben. Selbst wenn irgendwann auch der hartgesottenste Sünder Christus annimmt, wäre die Zeit bis dahin so hart und schmerzlich, dass man sie niemandem wünschen würde. Wogegen sich diese frühen Kirchenlehrer wandten, war nicht die Lehre, dass die Hölle qualvoll und schrecklich ist, sondern dass sie endgültig ist.
Diese Überlegungen setzen voraus, dass der Mensch einen freien Willen hat, den er einsetzen muss. Gott bietet Rettung an, aber er zwingt niemanden in den Gehorsam. Wenn jedoch das Böse im Menschen besiegt ist, wird sein Wille wirklich frei sein, sich für Gott zu entscheiden.
Eine wichtige Bibelstelle dazu ist 1. Korinther 3,11–13:
Denn einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Wenn aber jemand auf den Grund Gold, Silber, kostbare Steine, Holz, Heu, Stroh baut, so wird das Werk eines jeden offenbar werden, denn der Tag wird es klarmachen, weil er in Feuer geoffenbart wird. Und wie das Werk eines jeden beschaffen ist, das wird das Feuer erweisen.
Laut Origenes verbrennt nicht die Seele, sondern die schlechten Handlungen des Menschen. Sie sind das „Heu und Stroh“, das auf den Grund Christi gebaut ist. Es ist im Gericht ein großer Unterschied, ob man gute oder schlechte Werke auf diesem Fundament aufgebaut hat. Errettet wird jeder, aber mancher wie durchs Feuer – er wird quasi angesengt bei Gott ankommen, nachdem sein Böses gerichtet und verbrannt wurde. Das Brennmaterial der Hölle ist also nicht die Seele der Menschen, sondern das, was sie getan haben und was sie von der Erkenntnis Christi abhält. Wenn alles verbrannt ist, steht nichts mehrim Wege, Christus anzunehmen, errettet zu werden und die Ewigkeit mit Gott zu verbringen.
Es ist nur konsequent, dass Origenes sich das Feuer der Hölle als etwas Seelisches oder Geistliches vorstellte. Es handelt sich nicht um ein buchstäbliches Feuer, sondern das Wort wird in übertragenem Sinne verwendet.
Origenes hielt es für wahrscheinlich, dass das Feuer einem schlechten Gewissen glich. Der Mensch, der sich nach dem Tod in der Hölle wiederfindet, leidet unter seiner Erinnerung. Er sieht das Schlechte, das ihn von Gott trennt und leidet unter dem Bewusstsein dieser Trennung und dem Wissen, dass sie gerecht ist.
Niemand würde sagen, dass Origenes in allem recht hatte. Er war ein Kind seiner Zeit und in viele Missverständnisse verstrickt. Auch seine Lehre der allgemeinen Wiederherstellung hat einige schwer verdauliche Elemente. Seiner Ansicht nach hat der Mensch in alle Ewigkeit einen freien Willen und kann sich gegen Gott auflehnen. Theoretisch kann es so immer wieder zu einem Sündenfall kommen und die Geschichte könnte sich wiederholen. Vermutlich wird niemand diese Gelegenheit ergreifen, falls aber doch, müsste die Seele von Neuem geläutert werden.18
Ebenso herausfordernd ist Origenes’ Sicht des Teufels. Es ist ein wichtiger Baustein in seiner Theologie, dass alle vernunftbegabten Wesen geläutert werden und zu Gott finden. Das bezieht sich nicht nur auf Menschen, auch der Teufel und seine Dämonen sind in die letztendliche Wiederherstellung von Gottes Schöpfung inbegriffen. Plump ausgedrückt: Auch der Teufel wird sich bekehren. Aus protestantischer Sicht ist diese Vorstellung ausgeschlossen, weil Jesus nicht für Engel gestorben ist.
Als letzter Feind wird der Tod vernichtet werden (1. Korinther 15,26).
Das bedeutet für Origenes keine buchstäbliche Vernichtung, denn er zählt auch den Tod zu Gottes geschaffener Welt. Da Gott aber nichts Schlechtes schafft, muss auch nichts verschwinden, was er geschaffen hat. Vielmehr wird der Tod gewissermaßen geläutert – er wird besiegt, indem er aufhört, ein Feind zu sein. Das griechische Wort bedeutet nicht nur „vernichten“, sondern auch „abschaffen“ oder „außer Geltung setzen“.
Am Ende der Vision dieses frühchristlichen Denkers steht eine Welt, die sich freiwillig Gott unterworfen hat und in der es nichts Negatives mehr gibt. Damit werden einige Diskussionen gegenstandslos, die Vertreter der klassischen Höllenlehre führen müssen: Wie kann Gottes neue Schöpfung vollkommen sein, wenn es einen ewigen Ort der Strafe in ihr gibt? Oder wie können sich die Geretteten freuen, wenn gleichzeitig Menschen ewig gequält werden?
Am negativsten fällt ins Gewicht, dass Origenes nicht an die Göttlichkeit Jesu glaubte. Dass Jesus zu Gott betete, hätte einen logischen Widerspruch bedeutet, wenn er selbst Gott wäre. Diese Position taucht neben einigen anderen in Aufzählungen von Irrlehren auf, die Origenes vorgeworfen wurden und die später zu seiner Verurteilung als Ketzer führten. Interessant ist, dass seine Position zur Hölle nicht darunten war. Dass sie in keinem Irrlehrenkatalog seiner Zeit auftaucht, zeigt, wie weit verbreitet und akzeptiert die Lehre der Allversöhnung in den ersten Jahrhunderten war.
Nach dem Blick in die Alte Kirche schauen wir uns noch kurz an, wie es weiterging. Während des Mittelalters spielte die Allversöhnung keine nennenswerte Rolle. Mit Augustinus (354–430) trat eine Zeitenwende ein, und die Lehre der Hölle, wie sie heute die Mehrheit der Christen glaubt, setzte sich durch. Daran änderte auch die Reformation nichts. Zwar wurden einige Aspekte der katholischen Lehre wie das Fegefeuer und der Ablasshandel abgelehnt, aber an der Lehre der ewigen qualvollen Hölle hielt man fest. Erst im 19. Jahrhundert wurde die Lehre der Hölle wieder grundsätzlicher diskutiert.
In der Rückschau ergibt sich das Bild, dass der Universalismus, der sich im 19. Jahrhundert rasch im englischsprachigen Raum verbreitete, auf historische Forschungen zurückzuführen war. 1828 veröffentlichte Hosea Ballou19 das erste Buch über die Geschichte der Allversöhnung und stieß damit auf großes Interesse. Weitere Veröffentlichungen folgten, bis 1890 Thomas Allin ein minutiös recherchiertes Buch mitdem Titel „Universalism Assorted“ herausbrachte.20 Allin selbst sah in der Lehre nicht mehr als eine vage Hoffnung. Als Historiker zeigte er aber, dass viele der ersten Christen glaubten, dass einmal alle Menschen die Ewigkeit mit Gott verbringen würden.
Es gab eine Renaissance der frühen Kirchenväter und eine Wiederentdeckung ihrer allversöhnenden Position. Der Boom war so groß, dass 1848 die britische evangelische Allianz gegründet wurde. Ihre Aufgabe war, gegen die Allversöhnung zu argumentieren und die traditionelle Lehre der Hölle gegen diese Bedrohung zu schützen. Der Großteil der Christen glaubte zwar noch an die übliche Sicht der Hölle, aber man sah diese Überzeugung einem massiven Angriff ausgesetzt.
Es ist durchaus ergiebig, einmal einen Streifzug durch die frühe Kirchengeschichte zu machen und diesen Argumentationen systematisch nachzugehen. So alt diese Texte auch sind, halfen sie doch, den christlichen Glauben zu formen, und lösten im 19. Jahrhundert einiges aus.
Die Lehre der ewigen Hölle ist nicht unumstritten. Es gab und gibt ernsthafte Christen, die nicht daran glauben, dass Menschen ewig in der Hölle schmoren. Manche Fragen lassen sich nicht mit letzter Konsequenz klären. Darunter fällt die Frage, ob die Hölle ewig ist. Die Argumente reichen nicht, um eine dogmatische Allversöhnungslehre zu begründen. Zu viele Fragen bleiben offen – und zu viele biblische Aussagen kommen nicht ausreichend zur Geltung. Weil die Argumente von Lehrern wie Clemens und Origenes zu der Hoffnung Anlass geben, dass die Hölle nicht das Ende für einen Teil der Menschheit ist, spricht man von einem hoffnungsvollen Universalismus.
Mit einem geflügelten Wort: „Ich bin kein Universalist, aber ich hoffe, dass Gott einer ist.“