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Storch widmet sich einem heißen Eisen - Homosexualität. Ist es für die einen schlichtweg Sünde, werden immer mehr Stimmen laut, die eine Umbewertung fordern. Storch beleuchtet Bibelstellen und setzt sich ganzheitlich mit dem Thema auseinander. Eine echte Hife für alle, die sich eine eigene Meinung bilden wollen.
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Seitenzahl: 576
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Carsten „Storch“ Schmelzer
HOMO
SEXUALITÄT
Auf dem Weg in eine neue christliche Ethik?
Mit einem Vorwort von Martin Dreyer
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-86506-774-6
© Copyright 2015 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Satz: Brendow Web & Print, Moers
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
www.brendow-verlag.de
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
Einleitung
Was ist Homosexualität überhaupt?
Eine ausgewogene und entspannte Betrachtung
Die Wahrheit
Sprache und Homosexualität
Um wen geht es?
Kapitel 1
Homosexualität im Alten Testament
1. Mose 1,27-28
1. Mose 19 – Die Sünde der Sodomiter
Richter 19 – Vergewaltigung und Bruderkrieg in Israel
3. Mose 18,22 und 20,13
Sexualgesetze, die heute nicht mehr eingehalten werden
Zusammenfassung: Was ist dem Herrn ein Gräuel?
5. Mose 22,5
Kapitel 2
Homosexualität im Neuen Testament
Exkurs: Homosexualität zur Zeit der ersten Christen
Römer 1,18-32
1. Korinther 6,9-11
1. Timotheus 1,9 und 10
Judas 1,7
Kapitel 3
Schlussfolgerungen
Kapitel 4
Jesus und das virulente Evangelium
Jesus setzte sich über religiöse Grenzen hinweg
Jesus setzte sich über gesellschaftliche Grenzen hinweg
Die Jünger öffneten den Glauben für die Heiden
Die Pointe
Kapitel 5
Ursachen von Homosexualität
Einleitung
Behaviorismus und Psychoanalyse
Familiäre Faktoren
Gesellschaftliche Faktoren
Schlussfolgerungen
Kapitel 6
Ist Homosexualität veränderbar?
Motivation (Ist Veränderung überhaupt wünschenswert?)
„Sie hätten so viel Besseres verdient“ – chemische Kastration und Lobotomie als biologisch-medizinische Therapien
Therapie
Zusammenfassung
Konversionstherapie
Chancen
Wer ist „geheilt“?
Die, die es geschafft haben
Die, die es nicht geschafft haben
Bernd
Kapitel 7
Homosexualität und Gemeinde: auf dem Weg in eine neue Ethik
Einleitung
Auslegung und Ethik
Irrtümer der Vergangenheit
Eine positive Ethik
Warum gerade jetzt?
Ehe
Argumente für und gegen gleichgeschlechtliche Ehen
Eine neue Ethik
Nachwort
Anhang
Populäre Irrtümer
Literatur
Fußnoten
Mit dem vorliegenden Werk gelingt es Storch, eine gewisse Sprachlosigkeit zu überwinden, die ich in der christlichen Szene zum Thema Homosexualität zurzeit empfinde. Wenn darüber gesprochen wird, gibt es zwei Stimmen, die sich zu Wort melden und sich kämpferisch gegenübertreten. Die eine Stimme fordert, Homosexualität als eine schlimme Sünden anzusehen und sie als solche auch zu bewerten. Die andere lehnt jegliche Bewertung ab und fordert, jedem Christen die Wahl seiner Sexualität freizustellen. Und beide Seiten sparen nicht mit Vorverurteilungen. Die eine bezeichnet die Gegner schlicht als böse Fundamentalisten. Die andere Seite sieht in ihren Kontrahenten mindestens laue Christen, wenn nicht sogar Heiden, die die Bibel als Wort Gottes nicht ernst nehmen wollen. In den ersten Jahren in meinem Dienst als Gründer und pastoraler Leiter der Jesus-Freaks hatte ich ein einschneidendes Erlebnis. Ein junger Mann aus meiner Gemeinde, der sehr talentiert war und den ich sehr mochte, kam eines Abends zu mir. Er hatte sich des gesamten Finanzbereichs unserer Bewegung angenommen und dort eine genial gute Struktur aufgebaut. Ihm war klar geworden, dass der Grund für die jahrelangen Probleme mit seiner Freundin darin begründet waren, dass er homosexuell empfand. Im weiteren Verlauf dieser Erkenntnis studierte er alle Bibelstellen zu dem Thema und kam zu dem Schluss, dass Homosexualität und Christsein nicht zusammengeht. Was das anschließende Gespräch besonders schwierig machte, war die Tatsache, dass nicht eine bestimmte Tat als Sünde kritisiert wurde, sondern er selbst, sein Innerstes, seine Gefühle, gegen die er nichts machen konnte. Er verließ die Gemeinde und ließ auch den Glauben hinter sich.
Seitdem bin ich wild entschlossen, eine Brücke für homosexuell empfindende Menschen in die Kirche hineinzubauen. Ich würde mir wünschen, wenn das Buch von Storch einen kleinen Teil dazu beitragen könnte. Wir als Kirche müssen offen und unvoreingenommen über das Thema reden, das viele Menschen, direkt oder indirekt, betrifft.
Martin Dreyer
Die Themen, die ein britischer Gentleman in Gesprächen zu vermeiden hatte, waren Religion, Damen und Geld, denn darüber zu diskutieren würde unweigerlich zum Streit führen. Um zwei dieser drei geht es in diesem Buch ausdrücklich: Religion und leidenschaftliche Beziehungen. Das allein macht es wahrscheinlich, dass es Widerspruch provozieren wird, dass es polarisiert, Unfrieden benennt, sich ganz allgemein in eine Diskussion einmischt, die schon sehr lange geführt wird.
Kaum ein Thema erregt (manchmal im wahrsten Sinn des Wortes) die Gemüter so sehr wie Sex. Was wären die Klatschblätter ohne die Frage, wer mit wem ins Bett geht? Was dem einen nur unterhaltsam ist, geht dem anderen ans Eingemachte. Gerade, wenn moralische Vorstellungen im Spiel sind, umso mehr, wenn diese religiös motiviert sind. Das ist ein alter Hut, wem diese Diskussion neu erscheint, der sollte einmal einen Blick in die Geschichte tun.
Der französische Anthropologe Claude Levi-Strauss sah in der Fähigkeit des Menschen, sich abzugrenzen, einen Unterschied zwischen sich und den „Anderen“ zu behaupten, einen wesentlichen Schritt in der Entwicklung vom Naturzustand zum Kulturzustand.1 In der Geschichte des Christentums bedeutet diese Fähigkeit allerdings ein Fortschreiten von Spaltung zu Spaltung. Im elften Jahrhundert trennten sich die Orthodoxen und Katholiken, fünfhundert Jahre später die Katholiken und die Protestanten. Ab da begann sich das Rad der Zeit immer schneller zu drehen. 1555 erkannte der Augsburger Religionsfriede zwei christliche Bekenntnisrichtungen an: Katholiken und Lutheraner. 1648 gab es beim westfälischen Frieden bereits eine weitere Denomination, denn auf protestantischer Seite gab es nun Lutheraner und Reformierte, darüber hinaus gab es bereits Taufgesinnte, die allerdings nicht anerkannt waren. Seit dieser Zeit sind die Bekenntnisse unüberschaubar geworden. Es gibt Hunderte, wenn nicht Tausende Freikirchen, von denen einige riesig, andere winzig sind.
In ihrer Zeit waren die Gründe stets gewichtig, aus denen man sich von den anderen distanzierte, aber mittlerweile kann man sich in vielen Fällen nicht mehr an sie erinnern. Heute steht wieder so ein wichtiger Grund vor der Tür. Längst haben sich Gemeinschaften gegründet, die sich in erster Linie an Homosexuelle, Transsexuelle und andere Menschen richten, die in den etablierten Gemeinden keinen Platz gefunden haben. Ich bin der Überzeugung, dass es nur einen Leib Christi gibt und uns mehr verbindet, als wir meinen. Es wäre ein Traum, wenn wir uns nicht mehr in erster Linie durch Abgrenzung definieren, sondern das Gemeinsame suchen. Wir sind Christen und sollten miteinander reden.
Dieses grundlegende Anliegen verbinde ich mit dem vorliegenden Buch. Es geht viel um Theologie, Biologie, Psychologie und Ethik, letzten Endes also um einen großen Dialog, der sich durch unsere Gegenwart zieht. Wo wir uns diesem Dialog entziehen, um uns in althergebrachte Dogmen zurückzuziehen, und uns abschotten, verlieren wir viel, aber wo wir uns der Herausforderung der Kommunikation stellen, haben wir viel zu gewinnen.
In Deutschland kann man sich dem Thema heute kaum noch entziehen. Die Diskussionen um Homoehe, Gleichstellung, Ehegattensplitting und das allgegenwärtige Schlagwort „Homophobie“ nehmen einen breiten Raum in den Medien ein. Längst ist die Diskussion auch in die christlichen Kirchen und Gemeinden übergeschwappt.
Dabei ist zunächst einmal die Suche nach einer Definition wichtig. Teilweise wird mit unterschiedlichen Herangehens- und Sichtweisen gearbeitet. Was ist Homosexualität eigentlich? In der Literatur hat es sie offenbar immer schon gegeben, dennoch sollte es noch rund vier Jahrtausende dauern, bis es einen Begriff für sie gab. Die ersten Versuche, sie zu benennen, stammen aus der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Homosexuelle wurden beispielsweise als Conträrsexuelle bezeichnet, der – selbst schwule – Jurist Karl Heinrich Ulrichs (1825-1895) nannte sie Urninge oder Urninden (weibliche Homosexuelle), Sigmund Freud sprach von Invertierten. Erst der berühmte schwule Arzt Magnus Hirschfelder schreibt anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts, dass der Begriff „Homosexualität“ sich eingebürgert habe. Heute ist die Situation noch schwieriger geworden, denn schon lange ist die Unterscheidung zwischen Hetero- und Homosexualität nicht mehr die einzige. Unser ganzes Konzept des Menschen als sexuellen Wesens hat sich weiterentwickelt und beinhaltet mittlerweile auch Trans- oder Intersexuelle. Die genaue Begrifflichkeit ist entsprechend schwierig und steht immer in der Gefahr, eine Gruppe zu vergessen, die neu hinzugekommen ist. In Deutschland wird eine sperrige Abkürzung immer populärer: LSBTTIQ – lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, intersexuell und sonstige (ursprünglich aus dem englischen Sprachraum übernommen: „queer“). Um bei dieser Abkürzung noch mehr auf Nummer sicher zu gehen, hängen manche AutorInnen noch einen Stern hintenan: LSBTTIQ*. In diesem Buch geht es aber, wenn überhaupt, nur am Rande um die immer feineren Unterscheidungen. Das Hauptthema ist Homosexualität, was aber in vielen Fällen auch als Sammelbegriff gelten darf.
Interessant ist, dass all diese Unterscheidungen ihre Definitionskraft hauptsächlich durch die Abgrenzung zur Heterosexualität erhalten. Da die bisherige Geschichte wesentlich vom Gesichtspunkt der Heteronormativität aus geschrieben wurde, ist (noch) keine generelle Beschreibung von Sexualität in Sicht, die alle Formen gleich berücksichtigt. Ob es einmal eine geben wird, hängt vermutlich hauptsächlich von den gesellschaftlichen Entwicklungen der nächsten Jahrzehnte ab.
Es sollte den teilweise sehr erhitzt geführten Diskussionen etwas Wind aus den Segeln nehmen, wenn man anerkennt, dass wir uns in Gesprächen befinden, die sehr neu sind. Ich bin bereits mit ganz anderen gesellschaftlichen Ansichten aufgewachsen als meine Eltern oder gar Großeltern. Es dauert immer seine Zeit, bis eine neue Denkweise allgemein anerkannt oder verworfen wird.
Bevor man überhaupt mit der Diskussion eines Themas beginnen kann, muss man den Gegenstand der Debatte festlegen. Ohne Definition bewegt sich jedes Gespräch rasch im Kreis. In unserem Fall ist es gar nicht so leicht zu sagen, worüber man eigentlich redet, denn es haben sich im Laufe der Zeit viele verschiedene Sichtweisen herausgebildet. In diesem Buch geht es hauptsächlich um die folgenden drei; vor allem die beiden ersten werden uns immer wieder begegnen.
1) Homosexualität ist eine Tat.
Für viele ist Homosexualität etwas, das man tut. Der Gedanke liegt nahe, schließlich ist alle Sexualität auf ein Tun ausgerichtet, man schläft mit jemand anderem, oder, wo es nicht zum tatsächlichen Sex kommt, befriedigt man sich selbst mit dem Gedanken an Sex. Dieser Gedanke ist besonders wichtig, wenn man sich mit der Bibel (und generell antiken Texten) beschäftigt. Das Konzept, dass es bei gleichgeschlechtlicher Liebe um mehr als den körperlichen Aspekt geht, ist modern. Es ist leicht, in antike Texte unsere moderne Auffassung hineinzulesen, aber es ist falsch. Wissenschaftlich spricht man von einem Anachronismus: Denkweisen werden in einen falschen historischen Kontext gestellt. Man muss sehr aufpassen, dass man etwa die Päderastie des alten Griechenlandes nicht der modernen Pädophilie gleichstellt oder unsere Vorstellungen von Ehe und Familie mit denen des Alten Testamentes. Für die Antike gilt, dass Homosexualität gemacht wird, und zwar von Menschen, die grundsätzlich heterosexuell sind.
Das trifft besonders auf die Bibel zu. Es gibt keine Stelle, die in der Geschlechtlichkeit des Menschen mehr sieht als Körperkontakt.
Entsprechend hat der Mensch Macht über seine Sexualität. Wer sich entscheidet, mit dem eigenen Geschlecht zu verkehren, tut das eben aus Überzeugung. Diese Sichtweise steht hinter der Ansicht, dass Homosexualität Sünde ist. Sünde ist ein gewählter Aufruhr gegen Gottes Ordnung. Der Schwule musste nicht schwul sein, er handelte homosexuell als Zeichen seiner Auflehnung gegen Gottes Ordnung.
2) Homosexualität ist eine Identität.
Demgegenüber wird Homosexualität heute als Identität verstanden, man handelt nicht homosexuell, man ist es. Für Schwule und Lesben bestimmt ihre sexuelle Orientierung, wer sie sind. Seit es eine offene homosexuelle Szene gibt, identifizieren sich auch Menschen mit ihr. Sie erleben sich als Menschen, die vom eigenen Geschlecht stärker angezogen werden als vom anderen. Diese Anziehung ist nicht ausschließlich sexueller Natur, denn bei gleichgeschlechtlicher Liebe geht es ebenso wenig nur um Sex wie bei heterosexueller. Konsequenterweise nehmen moderne Schwule und Lesben, sofern sie Christen sind, ihre Neigung nicht mehr automatisch als Sünde wahr. Sie sehen sie als Schöpfungsvariante, als Menschen, die so geschaffen wurden und wie jeder Mensch unter Gottes Urteil stehen, dass es so sehr, sehr gut ist.1
Diese Definition ist theologisch bedeutsam. In typischen Lebensläufen homosexueller Christen begegnet uns die Ablehnung der eigenen Identität als im Konflikt mit der Bibel stehend. Vor die Wahl gestellt, die eigene Identität zu leben (und damit dem Wort Gottes ungehorsam zu sein) oder gegen das eigene Empfinden zu handeln, entscheiden sich viele Christen für Therapie oder zölibatäres Leben. Nach einigen Fehlschlägen versuchen die meisten einen Kompromiss zwischen ihrem Leben und den Ansprüchen der Bibel zu finden, einige wenige schaffen es, ihre Identität zu verändern, ein tragischer Prozentsatz verliert in dieser Mühle den Glauben.
Die Frage der Identität spielt in der Diskussion eine große Rolle. Wie kann man jemanden verurteilen, der nichts dazu kann, so zu sein? Auf der anderen Seite: Macht Sexualität allein den Menschen aus? Gehört nicht mehr zu unserer Identität als unsere Orientierung? Und schließlich: Muss man jeden Trieb ausleben, oder bleiben nicht manche Triebe besser im Verborgenen? Auch nicht jeder Heterosexuelle lebt seinen Geschlechtstrieb nach Gutdünken aus. Gerade bei pädophilen Neigungen fordern es Moral und Menschenrechte, diese nicht auszuleben. Treue ist in christlichen Beziehungen ein hoher Wert, der nur gelebt werden kann, wenn man seinen Geschlechtstrieb im Zaum hält. Vielleicht fällt Homosexualität ja in die gleiche Kategorie. So sieht es zumindest der Katechismus der katholischen Kirche. Dort heißt es:
„Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen. Durch die Tugenden der Selbstbeherrschung, die zur inneren Freiheit erziehen, können und sollen sie sich – vielleicht auch mit Hilfe einer selbstlosen Freundschaft – durch das Gebet und die sakramentale Gnade Schritt um Schritt, aber entschieden der christlichen Vollkommenheit annähern.“2
Hier werden, durchaus modern, beide Vorstellungen zusammengebracht. Homosexualität wird nicht auf die Tat reduziert, aber die Tat wird ausgeschlossen. Damit wird nicht das Sein verurteilt, aber was mit dem Sein gemacht wird. Im Grunde wird die größere Frage gestellt: „Wie geht jemand mit seiner Sexualität um?“ Diese Frage ist sinnvoller, als sich allein auf gleichgeschlechtliches Liebesleben zu fokussieren.
3) Homosexualität ist eine Subkultur.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist Homosexualität nicht zuletzt ein kulturelles Phänomen. Auch wer selbst keine Schwulen kennt, der kennt wenigstens den Christopher-Street-Day mit allen seinen Auswüchsen. Für viele ist das die Schwulenszene schlechthin. Männer, die in der Öffentlichkeit kopulieren, und Straßen voller benutzter Kondome.
Nicht zuletzt diese Veranstaltung prägt das Bild von Unmoral, das viele mit der Szene verbinden. Homosexualität wird so in den Augen Konservativer schnell zu einer Protestbewegung, in der Kinder gegen ihre Eltern rebellieren. Tatsächlich hat dieses Bild mit der Lebenswirklichkeit der meisten Homosexuellen nichts zu tun. Viele sind konservativ, zurückhaltend und unterscheiden sich lediglich in diesem einen Punkt von ihrem „normalen“ Nachbarn. Ich habe nicht wenige Betroffene kennengelernt, die sich vom Christopher-Street-Day weit distanzieren. Immerhin mag es sein, dass manche Bi- oder Homosexuelle eine bestimmte Szene schätzen und gegen eine als feindlich empfundene Gesellschaft demonstrieren. Dieses Bild ist aber mindestens einseitig.
Die Diskussion wird in Extremen geführt. Dabei sind viele implizite Voraussetzungen im Spiel, sodass man oft gegen Pappkameraden kämpft. Ziel des Buches ist es, diese zu zeigen und die Extreme zusammenzuführen. Erst dann wird eine fruchtbare Diskussion möglich.
Auf der einen Seite stehen Homosexuellenverbände, die aggressiv auf jede vermeintliche Homophobie reagieren. In einem Beitrag in der Zeit bezeichnete die Grünenpolitikerin Claudia Roth jeden, der Ressentiments gegen Homosexualität hat, als Ewiggestrigen und Reaktionären, der sich im Modernisierungskonflikt auf die falsche Seite stellt.1 Nach ihrer Meinung und der vieler anderer gehört eine ablehnende Haltung gegenüber anderen sexuellen Praktiken in eine längst vergangene, christlich dominierte Zeit der Ressentiments, die in unserer aufgeklärten Gegenwart nichts mehr zu suchen haben.
Solche groben Vereinfachungen helfen in keiner öffentlichen Diskussion. Es ist immer nötig, dem anderen mit Respekt zu begegnen und ihm zu helfen zu verstehen. Die „Ewiggestrigen“ dürften einen veritablen Prozentsatz der Bevölkerung ausmachen, und es bringt nichts, Menschen mit anderer Meinung einfach moralisierend zu beschimpfen. Die Generation meiner Eltern ist noch mit ganz anderen Ansichten aufgewachsen als meine. Von meinen Großeltern ganz zu schweigen. In ihrer Zeit war Homosexualität noch ein Verbrechen, für das man mit Zuchthaus bestraft wurde. In der Zeit meiner Eltern wurde sie langsam zu einer Krankheit, von der mancher unter Zwang therapiert wurde. Man darf einen Menschen, der mit solchen Gedanken aufgewachsen ist, nicht dafür verurteilen.
Schließlich ist die heutige liberale Lage in Deutschland noch nicht sehr alt. In der Debatte über Adoptionsrecht und Bildungspläne sollten alle Gruppen gehört werden. Es bedarf ausgleichender Argumente, die jeden an den Verhandlungstisch bringen, ohne eine Position von vornherein auszuschließen.
Auf der anderen Seite stehen oft Vorurteile, und das eigene Empfinden wird über alles gestellt. „Das ist widerlich“ ist für einige ein valides Argument, mit dem sie zeigen, dass sie ihr ästhetisches Empfinden über alles setzen. Für andere ist es die Lehre der Bibel, die als Gottes Wort über allem steht. Sie haben so starke Ansichten, dass sie auch nicht mehr auf Andersdenkende zugehen können. Dabei vergessen sie allerdings, dass wir alle Teile einer Gesellschaft sind. Dasselbe Grundgesetz, das ihnen das Recht auf freie Rede zusichert, tut das auch bei den anderen, wir leben alle zusammen in einem Land. Das geht nur mit gegenseitigem Respekt. Wir müssen lernen, dass eine pluralistische Gesellschaft mit starken Meinungen umgehen kann, dass aber unterschiedliche Ansichten auch dem Ziel des friedlichen Zusammenlebens untergeordnet sind. Wer immer mit dem Totschlagargument, dass etwas Gottes Wille ist, aus der Diskussion aussteigt, trägt zur Fragmentierung der Gesellschaft bei und tut auch seiner eigenen Position keinen Gefallen. Der Widerstreit der Argumente hat bereits viele Meinungen verändert. Das ist sicherlich ein Wagnis, aber eines, das wir eingehen sollten.
An diesem Punkt wurde schon viel Orthodoxie erschüttert, denn ein fairer Austausch verändert beide Teilnehmer. (Vor)urteile funktionieren am besten ohne Kontakt zu den Menschen, gegen die man sie hegt. Es ist kein Zufall, dass sich rechtes Gedankengut nach der Wende gerade in Ostdeutschland breitgemacht hat, wo es kaum Ausländer gibt2. Ablehnung funktioniert gut, wenn die Abgelehnten deutlich in der Minderheit, am besten ghettoisiert sind. Wer mit einem Türken zusammenarbeitet oder Fußball spielt, hat es schwerer, ihn zu verachten.
Ebenso fallen Vorurteile, wenn man die ersten Homosexuellen kennenlernt und feststellt, dass es normale Menschen sind.3
Beide Seiten sollten sich zusammenreißen und aufeinander zugehen. Echte Menschen gleichen selten den Klischees, die man über sie hat. Nicht jeder Konservative ist engherzig, und nicht jede Lesbe will die Moral zerstören.4 Menschen sind immer vielfältig, es gibt Konservative, Fromme, Ausgeflippte und Radikale jeder sexuellen Orientierung. Es ist schwer auf die eigene Position anzuwenden, aber Redefreiheit bedeutet, dass man jeder Position entsprechen und widersprechen darf. Jede Meinung hat das Recht auf ihre eigenen Witze, Verunglimpfungen und Verteidigungen. Recht verstanden geht es erst einmal um Meinungen und nicht um Menschen oder die Wahrheit. In einer postmodernen Gesellschaft stellt Wahrheit zunächst einmal einen Konsens dar. Bis dieser erreicht ist, muss viel diskutiert und gestritten werden. Das gilt in besonderem Maß gerade für das christliche Gesellschaftssegment, denn es ist längst eine Tatsache geworden, dass es homosexuelle Christen gibt. Die Anfrage der Homosexuellen an Kirchen und Gemeinden ist die gleiche wie an die große Gesellschaft: Sie wollen dazugehören, ohne diskriminiert zu werden. Wo diese schlichte Bitte nicht gehört wird, bleibt oft nur der Glaubensverlust oder die Flucht in spezielle Homokirchen.
Postmodernes Gedankengut ist für viele eine Zumutung. Es läuft entgegen der Ansicht, dass es die eine Wahrheit gibt. Das ist gerade für Menschen mit starken Weltanschauungen schwer zu ertragen. Das betrifft nicht nur Christen, auch Muslime, Juden, Kommunisten und Atheisten können davon betroffen sein. Im Grunde jeder, der sich seiner Ansicht so sicher ist, dass er nicht mehr auf andere zugehen kann.
Was ist denn mit der Wahrheit? Für viele Christen ist die „Göttliche Wahrheit“ entscheidend. Sie wollen wissen, was in der Bibel steht, und ihr Leben danach ausrichten. Leider ist es leichter, ein Urteil zu übernehmen, als sich eines zu bilden. Ich habe selbst gelernt, dass Homosexualität „falsch ist“, „dem Herrn ein Gräuel“ und bibelgläubige Christen sich dem Zeitgeist an dieser Stelle zu widersetzen haben.
So haben es viele gelernt, aber ebenso wie ich selbst sind die meisten kaum in der Lage, die Stellen aufzuzählen, um die es geht. Die Bibel redet zu so wenigen Gelegenheiten überhaupt über Sex, dass es schon schwer ist, diese Stellen zu finden. Gleichgeschlechtlicher Sex ist noch mehr ein Randthema. Aber allein die Stellen gefunden zu haben reicht auch nicht, denn ihr Zusammenhang ist selten selbsterklärend. Sexualität ist ein Randthema in der Bibel, und man muss sich intensiv damit beschäftigen, wenn man Schlüsse daraus ziehen will.
Jemand, der den christlichen Glauben nicht teilt, wird den ersten Teil dieses Buches möglicherweise uninteressant finden und nur flüchtig durchblättern. Warum soll man sich überhaupt mit einem Buch beschäftigen, dessen jüngste Teile knapp zweitausend Jahre alt sind?
Die Antwort fällt zweiteilig aus. Zum ersten bin ich selbst Christ, also einer, dem die christliche Lehre nahegeht und der im Glauben etwas gefunden hat, was er überall gesucht hat. Das legt es nahe, ethische Fragen nicht nur im Licht des jeweiligen Zeitgeistes zu untersuchen. Dieser hat sich im Laufe der Zeit erheblich gewandelt. Wir sehen Homosexualität heute anders. Wahrscheinlich werden spätestens unsere Enkel wieder eine völlig andere Sicht auf das Thema haben. Die Zeiten wandeln sich, aber inmitten dieses Wandels gibt es auch ewige Wahrheiten. Für den einen sind es Naturrechte, ein anderer orientiert sich an den Menschenrechten, wieder ein anderer an der Bibel.
Zum Zweiten hat die Bibel unsere Kultur mehr geprägt als jedes andere Buch. Immerhin spricht man vom christlichen Abendland. Auch wenn sich der Ausdruck immer mehr zum postchristlichen, also nachchristlichen Abendland verlagert, zeigt er doch, wo wir herkommen, was wir einmal waren. Unsere Werte speisen sich aus verschiedenen Quellen, aber eine davon ist auf jeden Fall die Bibel. Wir sollten vorsichtig damit sein, eine Quelle zu verlassen, die wichtig für unsere Gesellschaft ist. Man sägt am Ast, auf dem man sitzt, wenn man seine Wurzeln nicht kennt.
Dieses Buch ist aus einem bibelgläubigen Ansatz heraus geschrieben. Es ist also in dem Ringen entstanden, aus einem jahrtausendealten Buch Antworten für die Gesellschaft des Westens im 21. Jahrhundert abzuleiten. Das ist gar nicht so einfach, denn wir alle sind von unserer Weltsicht geprägt, und da ist es nicht leicht, im Zeitalter von Computern und individueller Freiheit einen Bogen zum Nahen Osten der Antike zu schlagen. Deshalb ist es mir zunächst einmal wichtig zu beschreiben, wie Theologie funktioniert und wie sich unsere Auslegung der Bibel über die Jahrhunderte verändert hat. Daraus lassen sich dann hoffentlich Prinzipien für eine moderne Hermeneutik ableiten.
Meiner Meinung nach kann niemand die Bibel wörtlich nehmen. Man kann sie ernst nehmen, um sich an ihr zu orientieren, aber wir leben in einer ganz anderen Gesellschaft und Zeit als der der Bibel. Wir müssen ihre Richtungsweisungen in eine neue Form bringen. Dieses Prinzip werde ich noch genauer erläutern, wenn wir uns den konkreten Bibelstellen widmen.
Wie spricht man über Homosexualität? Jede Sprache hat ihre eigenen Regeln, wenn es um intime Bereiche geht. Sexualität wird hochsprachlich verklausuliert. Man spricht davon, miteinander zu schlafen, und jeder weiß, dass man dabei kein Auge zumacht. Auf der anderen Seite haben Sprachen aber auch sehr derbe Ausdrücke, um eine zärtliche Sache zu beschreiben. In Bezug auf Homosexualität überwiegen gewöhnlich die derben Bezeichnungen, die immer wieder auch beleidigend verwendet werden. Die meisten männlichen Homosexuellen bezeichnen sich selbst als schwul. Woher der Ausdruck sich ursprünglich ableitet, ist umstritten, vermutlich hat er etwas mit Schwüle zu tun. Ein veralteter Ausdruck ist „warmer Bruder“, der wohl aus einem ähnlichen Hintergrund stammt. Als Ausdruck, der mittlerweile in der deutschen Hochsprache normal ist und auch in den konservativen Medien verwendet wird, bedeutet er in der Jugendsprache etwas anderes. Dort ist er beleidigend, herabsetzend und wird in einem weiten Sinn für schlechte Dinge verwendet. Ich werde den Begriff intensiv benutzen und meine damit die Selbstbezeichnung homosexueller Männer, es ist nicht meine Absicht, mit dem Wort zu verletzen.
Seltener wird der Begriff für weibliche Homosexualität verwendet, dort spricht man meist von lesbisch. Dieser Begriff ist leichter abzuleiten. Er stammt aus der griechischen Antike. Die Poetin und Erzieherin Sappho lebte mit ihren Schülerinnen auf der Insel Lesbos. Da sie vermutlich auch homoerotische Kontakte hatte, wurde Lesbos wortprägend. Bevor sich schwul und lesbisch durchsetzten, sprach man auch von Sapphikern oder Uraniern.
Noch schwieriger ist, dass Sprache oft eine Meinung zementiert. Das gilt insbesondere, wenn man sich der Homosexualität theologisch nähert. Gerade in geistlichen Gesprächen nimmt man schnell etwas vorweg, was man gar nicht meint. Hier sind Toleranz und wohlwollendes Verständnis gefragt. So höre ich immer wieder zwei Argumentationen, die bei genauerem Hinsehen oft etwas anderes meinen, als tatsächlich gesagt wird.
Man sagt etwa zu außenstehenden Homosexuellen, um sie für die Gemeinde zu gewinnen: „Gott liebt Sünder, und jeder ist in der Gemeinde willkommen.“ Dahinter steht, dass, selbst wenn Homosexualität nach biblischer Beurteilung falsch sein mag, Homosexuelle erst einmal in der Gemeinde willkommen sind, da wir alle sündigen. Sünde ist aber in der öffentlichen Diskussion ein Reizwort geworden, das zu definieren sich kaum jemand bemüht. So treibt der Begriff ein Eigenleben und ruft viele stark negative Assoziationen hervor. Der logische Einwand von Homosexuellen ist: „Wir sind keine Sünder“, und in der Tat muss man theologisch sehr genau prüfen, ob der Ausdruck angebracht ist.
Der zweite Satz ist: „Die Kranken brauchen den Arzt.“ Dabei wird daran gedacht, dass Jesus gekommen ist, um Menschen zu heilen. Damit muss nicht gemeint sein, dass Homosexualität eine Krankheit ist, was sie ja mittlerweile nach offizieller Definition nicht mehr ist, aber eine Verurteilung als krankhaft klingt dennoch an.
Beide Sätze sind im Grunde sehr wohlmeinend, führen aber leicht zu Missverständnissen.
Es ist nicht auszuschließen, dass man einiges in diesem Buch so missverstehen kann, aber das ist auf keinen Fall gewollt. Wo immer ich mich sprachlich vergreife, ist es keine böse Absicht, sondern das Ringen um den richtigen Ausdruck, das manchmal zu keinem guten Ende kommt.
In der momentan sehr erhitzten Diskussion in der Gesellschaft vergisst man leicht, dass die Zahl der Betroffenen insgesamt recht niedrig ist. Welchen Prozentsatz an der Gesamtgesellschaft Homosexualität genau ausmacht, ist allerdings umstritten. Auf der einen Seite stehen sehr hochangesetzte Zahlen, wie etwa die des Kinseyreports von 1948, der von 10% ausging, auf der anderen Seite zurückhaltendere Zahlen. Kinsey schrieb, dass „6,3% aller Orgasmen auf homosexuelle Kontakte zurückzuführen“ seien.1 „10% der Männer sind mehr oder weniger ausschließlich homosexuell (Werte 5 oder 6, Erklärung siehe unten) durch mindestens drei Jahre im Alter von 16 bis 55 Jahren. Das bedeutet einen von acht aus der weißen männlichen Bevölkerung.“2
Dem Kinseyreport kommt eine Schlüsselrolle in der sexuellen Revolution zu, allerdings wurden die Zahlen und die Methodik immer wieder kritisiert. Heutige Statistiken geben wesentlich niedrigere Zahlen an. Auch Kinsey legt den Gesamtanteil an der Bevölkerung jetzt niedriger an. 4% der Männer3 und 1-3% der untersuchten ledigen Frauen4 empfinden seinen Untersuchungen zufolge ausschließlich homosexuell.
Eine ähnlich hohe Zahl gibt Michael Dieterichs Wörterbuch der Psychologie und Seelsorge an: „In westlichen Gesellschaften haben etwa jede vierte Frau und jeder zweite Mann Erfahrungen mit Homosexualität gemacht. Homosexualität als einzige Quelle sexueller Befriedigung gilt für max. 5% aller Frauen und für bis zu 15% aller Männer.“5 Dem gegenüber nehmen sich neuere Zahlen wesentlich vorsichtiger aus. Der Lesben- und Schwulenverband zitiert eine Veröffentlichung von Martin Dannecker.6 „Dannecker zitiert dort drei neue sexualwissenschaftliche Studien mit hohen und sehr hohen Fallzahlen. Danach sind wahrscheinlich zwischen 2,7 und 1,1% der Männer sowie zwischen 1,3 und 0,4% der Frauen ausschließlich homosexuell.“7 In dieser Zahl sind offensichtlich nicht die enthalten, die bisexuell sind und mal mit dem gleichen, mal mit dem anderen Geschlecht verkehren. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Statistik, die 1994 von der Universität Chicago angefertigt wurde. Hier gaben 2,8% der männlichen und 1,4% der weiblichen Befragten an, ihrer Selbsteinschätzung nach homo- oder bisexuell zu sein.8
Die Bundeszentrale für politische Bildung gibt für das Jahr 2009 die Zahl von mindestens 63000 homosexuellen Lebensgemeinschaften in Deutschland an.9
Genaue, vollkommen sichere Zahlen gibt es nicht. Nicht selten spiegeln Statistiken eine Weltanschauung wider. Dann fallen sie, je nach Agenda, besonders hoch aus oder bilden einen mikroskopisch geringen Anteil an der Gesamtbevölkerung. Zu einem guten Teil liegen die Diskrepanzen darin begründet, dass keine Einheit darüber herrscht, wer überhaupt als homosexuell zu werten ist. Betätigt sich ein Homosexueller überwiegend gleichgeschlechtlich, oder reicht ein einzelner Fall in der Pubertät, um jemanden als lesbisch oder schwul zu führen? Um die sexuelle Orientierung einschätzen zu können, bedient man sich häufig der Kinseyskala10:
Gelten nach dieser Skala die Stufen 1-6 in einer Statistik als ausschlaggebend, dürfte Homosexualität ein Breitenphänomen sein. Rechnet man nur diejenigen in Stufe 6, die ihr ganzes Leben ausschließlich homosexuelle Gefühle und Phantasien hatten, ist mit sehr wenigen zu rechnen. Realistisch wird man annehmen dürfen, dass der Anteil der Homosexuellen an der Gesamtbevölkerung unter 3% Prozent liegt, wobei es mehr Männer als Frauen sind.
Dieser relativ geringen Anzahl steht ein überproportionales Medieninteresse gegenüber. Auch in den Kirchen und Gemeinden dreht sich mehr darum, als man es von den Zahlen her erwarten würde. Das ist immer zu bedenken, wenn es im dritten Teil dieses Buches um den Umgang mit Homosexualität innerhalb des Christentums geht. Er handelt von einer christlichen Binnendiskussion, die notwendigerweise die absoluten Zahlen noch verringert. Ich würde dafür plädieren, hier etwas entspannter ans Werk zu gehen. Die Frage betrifft keine so große Anzahl an Menschen, wie man es angesichts der hitzigen Diskussion erwarten würde.
Kapitel 1
„Die Bibel redet klar gegen Homosexualität!“ Im ehemals christlichen Abendland hat beinahe jeder diese Aussage schon einmal gehört. Sie taucht in den Medien auf, in verschiedenen Formulierungen ist sie Teil von Diskussionen, Aufsätzen und Demonstrationsplakaten. Auch ohne dass jemand die Bibel tatsächlich gelesen hätte, steht von vornherein als unumstößliche Tatsache fest, dass sie Homosexualität verdammt. Diese Gewissheit führt allerdings zu verschiedenen Wertungen. Für bibelgläubige Christen beendet sie oft die Diskussion, denn was Gott gesagt hat, das darf man nicht durch gesellschaftliche oder wissenschaftliche Veränderungen und Auslegungen in Frage stellen. Das bedeutet nicht, dass die biblische Wertung Gläubigen leicht von der Zunge geht. Viele stürzen ihre Aussagen in einen Gewissenskonflikt zwischen ihrem Glauben und der gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der sie selbst homosexuelle Kollegen, Freunde oder Familienangehörige haben. Auch gläubige Menschen sind Teil der aufgeklärten Gesellschaft und geraten zwischen Zeitgeist und Bibeltreue oft wie zwischen Hammer und Amboss. Hier darf man es sich nicht zu einfach machen und alle über einen Kamm scheren, nicht jeder überzeugte Christ ist ein reaktionärer Hinterwäldler.
Für andere sind die Aussagen der Bibel ein rotes Tuch. Sie fürchten sich davor, dass ihre Freiheit, nicht zuletzt die der Partnerwahl, durch religiösen Rigorismus eingeschränkt werden könnte. Immer wieder taucht die Angst vor einem christlichen Gottesstatt auf, der sich an längst überholten moralischen Konzepten orientiert. Warum sollten Aussagen eines alten Buches, an das sie nicht einmal glauben, für sie relevant sein?
Am schlimmsten ergeht es allerdings den gläubigen Homosexuellen. In der öffentlichen Diskussion fallen sie kaum auf, aber es gibt sie, die Christen, die versuchen, ihr Leben mit Gott nach seinen Maßstäben zu führen, aber in sich etwas finden, was sich mit diesem Glauben möglicherweise nicht übereinbringen lässt. Als homosexueller Christ hat man es nicht leicht, denn man wird ständig von sich selbst, seinen Glaubensgeschwistern und der Bibel hinterfragt. Nicht alle schaffen es, zu Positionen zu kommen, die ihnen ein Leben innerhalb der christlichen Gemeinschaft ermöglichen. Viele verlieren ihren Glauben in der Auseinandersetzung zwischen ihren religiösen Überzeugungen und ihrer sexuellen Orientierung. Andere werden in die Einsamkeit oder in spezielle Kirchen gedrängt, die sich speziell an Lesben, Schwule oder Transgenders richten. Gerade für diese Menschen ist es wichtig, sich mit der Bibel auseinanderzusetzen, ohne dabei nur auf die Tradition zu schauen.
Bei dem vielen Streit sollte man meinen, dass alle drei Seiten sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Leider ist das nur selten der Fall. Auf meine Nachfrage konnte kaum jemand sagen, wo genau die Bibel Homosexualität verbietet. Das ist auch gar nicht so einfach, denn es gibt zwar einige sehr ablehnende Stellen, aber diese Stellen sind spärlich gesät und liegen weit auseinander. Es ist leichter, sie zu googeln, als in der Bibel zu finden. Man müsste schon sehr aufmerksam lesen, um alle zu entdecken. Dabei reicht es auch nicht, die Stellen zu kennen, denn manchmal ist die Bibel nicht so einfach zu verstehen– und vor allem umzusetzen–, wie es auf den ersten Blick scheint. Stellen, die heute unmittelbar klar erscheinen, können ganz anders verstanden worden sein, als sie niedergeschrieben wurden, wovon beispielsweise Aussagen zu naturwissenschaftlichen Themen oder zur Sklaverei beredtes Zeugnis ablegen. Wie man mit diesen Stellen heute umzugehen hat, ist noch einmal eine andere Frage. Je genauer man hinschaut, umso mehr Probleme geben auch scheinbar klare Aussagen auf. Die Bibel ist hintergründiger, als es den Anschein hat. Nicht immer reicht es, sie zu lesen, zu versuchen, sie nahtlos auf unsere Zeit zu übertragen und ihrem Wortlaut nach umzusetzen. Zu verstehen, was sie sagt, ist der erste Schritt. Sie in unsere Zeit umzusetzen ist ein ganz anderer. Diese Schwierigkeit rechtfertigt den langen ersten Teil, in dem es darum geht, biblische Aussagen tiefer zu verstehen. Es geht um die Spannung zwischen einem alten Buch und einer modernen Zeit.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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