Hospize in Rheinland-Pfalz. Eine empirische Studie - David Distelmann - E-Book

Hospize in Rheinland-Pfalz. Eine empirische Studie E-Book

David Distelmann

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Pädagogik - Pädagogische Soziologie, Note: 1,0, Justus-Liebig-Universität Gießen, Sprache: Deutsch, Abstract: Geburt und Tod stellen in unser aller Leben, zwei unabänderliche Faktoren dar. Das Leben ist dabei ein stetiger Prozess von Werden, Wachsen und Vergehen. Die Geburt eines Kindes wird stets als ein freudiges Ereignis begrüßt. Der Tod stellt daneben einen Bereich des menschlichen Lebens dar, den wir gerne verdrängen, wo wir nicht hinschauen möchten. Unsere moderne Gesellschaft ist, und war, in den letzten Jahrzehnten stets durch starke Wandlungen betroffen und momentan erleben wir den Übergang von der Industrie-, in die so genannte Wissensgesellschaft. Die familiären Bindungen haben im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung und Zusammenhalt verloren, und es ist auch in Zukunft mit einem anhaltenden Trend zum Einpersonenhaushalt zu rechnen. Althergebrachte Rituale und Bräuche, die für den Umgang mit Sterben und Tod ein gewisses Handlungsgerüst darstellten, gelten schon lange nicht mehr. Daneben birgt die fortgeschrittene Technisierung und Professionalisierung nahezu, aller Lebensbereiche, ein großes Potential an Unsicherheit und Entfremdung für den einzelnen Menschen. Es ist zu beobachten, dass immer mehr Lebensbereiche, durch, von Experten festgelegte Handlungsmuster bestimmt sind. So bekommt man zum Beispiel, ein Kind in ein Krankenhaus und nicht zu Hause. Oder entsprechend dazu, begibt man sich im hohen Alter zum Sterben in eine Klinik und dort in die Obhut von Ärzten. Für die meisten Menschen ist es jedoch eine furchtbare Vorstellung, ihr Leben fremdbestimmt, an Geräte und Maschinen angeschlossen, alleingelassen und einsam beenden zu müssen. Wenn man sich allerdings diesem Kreise entziehen möchte reagiert die Umwelt zum Teil mit Unverständnis und Kopfschütteln. Die moderne Gesellschaft hat sich schon seit längerem zu einer Gesellschaft mit vielen alten und wenig jungen Menschen entwickelt. Dies ist vor allem durch die moderne medizinische Versorgung und die starken Rückgänge der Geburtenraten zu erklären. Dieser Trend wird sich, so sieht es momentan jedenfalls aus, in der Zukunft noch verstärken, was unter anderem auch für das Gesundheitssystem ein großes Problem darstellt. Für die medizinische Versorgung der alten Menschen auf Intensivstationen, etc., werden gigantische Summen aufgewendet. Es stellt sich hierbei unter anderem die Frage, wie dies in Zukunft finanziert werden kann?

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Inhaltsverzeichnis

 

1 Einleitung

2 Allgemeine Überlegungen zum Thema Sterben und Tod

2.1 Der Tod aus anthropologischer Sicht

2.2 Der Tod als kulturelles Phänomen

2.3 Resümee

3 Gesellschaftlicher Wandel der Todesvorstellung

3.1 Der gezähmte Tod

3.2 Der eigene Tod

3.3 Der lange und nahe Tod

3.4 Der Tod des Anderen

3.5 Der ins Gegenteil verkehrte Tod

3.6 Resümee

4 Sterben und Tod in der heutigen Zeit

4.1 Demographische Entwicklungen und Mortalität

4.1.1 Demographische Entwicklung in Rheinland-Pfalz

4.2 Die Situation sterbender Menschen und ihrer Angehörigen in unserer Gesellschaft

4.3 Institutionalisierung des Sterbens

4.4 Soziales Sterben und sozialer Tod

4.5 Phasen des Sterbens nach Elisabeth Kübler- Ross

4.5.1 Erste Phase: Nicht wahr haben wollen und Isolierung, Schock

4.5.2 Zweite Phase: Zorn

4.5.3 Dritte Phase: Verhandeln

4.5.4 Vierte Phase: Depression

4.5.5 Fünfte Phase: Zustimmung

4.5.6 Kritik am Modell von Kübler- Ross

4.6 Trauer

4.6.1 Formen der Trauer

4.7 Resümee

5 Euthanasie und Sterbehilfe

5.1 Begriffsklärung und Geschichte der Euthanasie

5.1.1 Aktive Sterbehilfe

5.1.2 Passive Sterbehilfe

5.1.3 Indirekte Sterbehilfe

5.2  Gesetzliche Regelungen der Sterbehilfe in der BRD

5.3 Die Diskussion um Sterbehilfe in Deutschland

5.4 Resümee

6  Die Hospizbewegung

6.1 Begriffsklärung

6.2 Geschichte der Hospizbewegung

6.2.1 Die Hospizbewegung in Deutschland

6.3  Grundsätze und Ziele der Hospizbewegung

6.4  Einrichtungsformen

6.4.1 Hospizinitiativen

6.4.2 Ambulante Hospizdienste

6.4.3 Teilstationäre Hospizdienste

6.4.4 Stationäre Hospizdienste

6.4.5 Kinderhospize

6.4.6 Palliativstationen

6.5 Resümee

7 Hospize in Rheinland-Pfalz

7.1 Allgemeine Informationen zur Hospizlandschaft in Rheinland-Pfalz

7.1.1 Die Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz Rheinland-Pfalz (LAG)

7.2 Vereinbarung zur Hospizarbeit in Rheinland- Pfalz

8 Hospize in Rheinland-Pfalz am Beispiel der Ev. Diakonissenanstalt Speyer, Hospiz im Wilhelminenstift

8.1 Das Hospiz im Wilhelminenstift in Speyer

8.1.1 Entstehung und Gründung des Hospizes

8.1.2 Organisationsstruktur

8.1.3 Zielsetzung und Angebot

8.1.4 Finanzierung

8.1.5 Zusammenarbeit und Kooperation mit anderen Einrichtungen

8.1.6 Öffentlichkeitsarbeit

8.1.7 Mitarbeiter/innen im Hospiz

8.1.8  Fortbildung und Schulung der Mitarbeiter

8.2 Die Gäste des Hospizes

8.2.1  Auswahl und Aufnahme der Gäste

8.2.2  Krankheitsarten, Belegung und Aufenthaltsdauer

8.2.3 Selbstbestimmung der Gäste

8.2.4 Die Angehörigen

8.3 Umgang mit Tod und Trauer

8.4 Hürden und Probleme

8.5 Besondere Aspekte der Hospize in Mainz und Koblenz

8.5.1 Das Christophorus-Hospiz in Mainz

8.5.2 Das Hospiz St. Martin in Koblenz

8.6 Resümee

9 Sterben und Tod als Thema für den Schulunterricht

9.1 Todesvorstellung von Kindern und Jugendlichen

9.2 Tod und Sterben als Thema im Unterricht

10  Schlussbetrachtung

11  Literaturverzeichnis

12 Versicherung über das Verfassen einer eigenständigen Arbeit

13  Anhang

13.1 Interviewleitfaden stationäre Hospize in Rheinland-Pfalz

13.2 Hinweise zur Transkription der Interviews

13.3 Interview Hospiz Koblenz

13.4 Interview Hospiz Speyer

13.5 Interview Hospiz Mainz

 

Aber ach!

Jeder Zoll den die Menschheit weiterrückt,

 kostet Ströme Blutes; und ist das nicht etwas zu teuer?

Ist das Leben des Individuums nicht vielleicht ebensoviel wert wie das des ganzen Geschlechtes?

Denn jeder einzelne Mensch ist schon eine Welt,

 die mit ihm geboren wird und mit ihm stirbt,

1 Einleitung

 

„Das einzig Wichtige im Leben sind Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir ungefragt weggehen und Abschied nehmen müssen.“[1]

 

Es ist schon einige Jahre her, dass ich in einer großen Tageszeitung das erste Mal etwas über die Hospizarbeit erfuhr. Damals las ich den Artikel jedoch eher beiläufig. Erst einige Jahre später, im Sommer 2003, erfuhr ich aus dem Vorlesungsverzeichnis der Justus-Liebig-Universität Gießen, von einem Seminar über Hospiz, das von Professor Gronemeyer angeboten wurde. Ich erinnerte mich an den Zeitungsartikel und beschloss an dem Seminar teilzunehmen. Mit großem Interesse verfolgte ich das Seminar und fertigte während des Semesters zwei Aufsätze über das Thema „Sterben und Tod“ und „Riten, die mit dem Sterben zusammenhängen“ an. Zudem kaufte ich mir das Buch „Die Nemesis der Medizin“ von Ivan Illich und las es mit großem Interesse. Zuvor hatten wir im Seminar ein Interview mit ihm auf Tonband angehört. Nachdem ich mit meiner Examensarbeit über Hospize begonnen hatte und dies auch meinem Freundes- und Bekanntenkreis mitgeteilt hatte, war ich überrascht, dass einige von ihnen, durch ihre Familien bereits mit dem Thema Hospiz in Berührung gekommen waren. So hat zum Beispiel die Tante meiner Frau, in Achim bei Bremen, zusammen mit ein paar anderen engagierten Personen einen ambulanten Hospizdienst aufgebaut. Der Vater eines guten Freundes, ist von Beruf her Allgemeinmediziner und ehrenamtlicher Vorsitzender eines ambulanten Hospizdienstes im Schwarzwald. Er macht diese Arbeit bereits seit ca. 15 Jahren.

 

„Die Fortschritte der Medizin sind ungeheuer. Man ist sich seines Todes nicht mehr sicher.“ [2]

Im Sommer 2003 starb nach langer Krankheit und nach längerem Krankenhausaufenthalt, mein letzter noch lebender Großvater. Wir hatten seinen Tod bereits erwartet, denn sein Zustand war in den vergangenen Jahren zunehmend schlechter geworden. Er redete viel über seinen nahenden Tod und wünschte sich, dass sein Leben bald eine Ende nehmen würde. Sein Zustand war so schlecht, dass ich mich schon ungefähr ein Jahr vor seinem Tod, bei jedem Besuch innerlich von ihm verabschiedete. Dann bekam er, ungefähr ein halbes Jahr vor seinem Tod, eine Lungenentzündung und Wasser in der Lunge. Er wurde ins Krankenhaus gebracht und dort wieder aufgepäppelt. Nach längerem Klinikaufenthalt und mehreren Komplikationen kam er ins Pflegeheim, wo er auch starb. Eine Pflege daheim wäre nach dem Krankenhausaufenthalt so aufwendig gewesen, dass es für meine Oma und den Rest der Familie nicht möglich war ihn daheim zu versorgen. Nachdem ich von seinem Tod erfahren hatte, fühlte ich mich, neben der Trauer, irgendwie erleichtert und freute mich für ihn, dass er es endlich geschafft hatte. Ich hatte das Gefühl, dass man ihn um seinen Tod gebracht hatte.

 

„Das Bild, das eine Gesellschaft sich vom Tode macht, gibt Aufschluss darüber, wie unabhängig ihre Menschen sind, wie persönlich sie miteinander verkehren, wie viel Selbstvertrauen sie haben und wie lebendig sie sind.“[3]

 

Geburt und Tod stellen in unser aller Leben, zwei unabänderliche Faktoren dar. Das Leben ist dabei ein stetiger Prozess von Werden, Wachsen und Vergehen. Die Geburt eines Kindes wird stets als ein freudiges Ereignis begrüßt. Der Tod stellt daneben einen Bereich des menschlichen Lebens dar, den wir gerne verdrängen, wo wir nicht hinschauen möchten. Unsere moderne Gesellschaft ist, und war, in den letzten Jahrzehnten stets durch starke Wandlungen betroffen und momentan erleben wir den Übergang von der Industrie-, in die so genannte Wissensgesellschaft. Die familiären Bindungen haben im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung und Zusammenhalt verloren, und es ist auch in Zukunft mit einem anhaltenden Trend zum Einpersonenhaushalt zu rechnen.  Althergebrachte Rituale und Bräuche, die für den Umgang mit Sterben und Tod ein gewisses Handlungsgerüst darstellten, gelten schon lange nicht mehr. Daneben birgt die fortgeschrittene Technisierung und Professionalisierung nahezu, aller Lebensbereiche, ein großes Potential an Unsicherheit und Entfremdung für den einzelnen Menschen. Es ist zu beobachten, dass immer mehr Lebensbereiche, durch, von Experten festgelegte Handlungsmuster  bestimmt sind. So bekommt man zum Beispiel, ein Kind in ein Krankenhaus und nicht zu Hause. Oder entsprechend dazu, begibt man sich im hohen Alter zum Sterben in eine Klinik und dort in die Obhut von Ärzten. Für die meisten Menschen ist es jedoch eine furchtbare Vorstellung, ihr Leben fremdbestimmt, an Geräte und Maschinen angeschlossen, alleingelassen und einsam beenden zu müssen.  Wenn man sich allerdings diesem Kreise entziehen möchte reagiert die Umwelt zum Teil mit Unverständnis und Kopfschütteln.

 

Die moderne Gesellschaft hat sich schon seit längerem zu einer Gesellschaft mit vielen alten und wenig jungen Menschen entwickelt. Dies ist vor allem durch die moderne medizinische Versorgung und die starken Rückgänge der Geburtenraten zu erklären. Dieser Trend wird sich, so sieht es momentan jedenfalls aus, in der Zukunft noch verstärken, was unter anderem auch für das Gesundheitssystem ein großes Problem darstellt. Für die medizinische Versorgung der alten Menschen auf Intensivstationen, etc., werden gigantische Summen aufgewendet. Es stellt sich hierbei unter anderem die Frage, wie dies in Zukunft finanziert werden kann?

 

Um den Missständen beim Sterben entgegenzuwirken und eine Veränderung der Sterbekultur in unserer Gesellschaft zu erreichen, ist die Hospizbewegung angetreten und hat sich im Laufe der letzten fünfzehn Jahre auch in Deutschland immer mehr etabliert und ausgeweitet. Momentan ist auf diesem Gebiet ein gewisser Boom zu verzeichnen. Es bewegt sich viel auf diesem Sektor und man stellt sich die Frage, in welche Richtung es in Zukunft gehen wird? Wird sich die Hospizbewegung als eine Bürgerbewegung, aus der sie ja auch entstanden ist, halten können oder wird sie sich durch die zunehmende Professionalisierung, immer mehr zu einem von Experten verwalteten und bestimmten Gebilde wandeln? 

 

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, die verschiedenen Aspekte, die mit Sterben und Tod in unserer Gesellschaft zusammenhängen, zu beschreiben. Hierbei wird es vor allem um die Hospizbewegung und im speziellen, um die von mir besuchten Hospize in Rheinland-Pfalz, gehen. Die Hospizarbeit in Rheinland-Pfalz wird dabei anhand der Darstellung eines stationären Hospizes genauer beschrieben.

 

Am Beginn meiner Arbeit (Kapitel 2) werde ich mich zunächst mit ein paar allgemeinen Überlegungen zum Thema Sterben und Tod auseinandersetzen.Danach werde ich mich mit der Frage beschäftigen, wie gingen die Menschen früher mit Sterben und Tod um, und welchen Stellenwert haben Sterben und Tod heute in unserer säkularisierten Gesellschaft?Dazu gehören, neben den demographischen Entwicklungen, auch die Situation sterbender Menschen, das soziale Sterben und in Verbindung noch dazu das Thema Trauer. Das Thema Euthanasie / Sterbehilfe werde ich, aufgrund seiner Brisanz, in einem eigenen Kapitel (Kapitel 5) betrachten. In den nachfolgenden drei Kapiteln werde ich mich dann ausschließlich mit der Hospizbewegung beschäftigen. In Kapitel 6 werde ich die Geschichte der Hospizbewegung mit ihren Zielen und Einrichtungsformen beschreiben, um danach in Kapitel 7 einen allgemeinen Überblick über die Hospizlandschaft in Rheinland-Pfalz zu schaffen. Im Kapitel 8 werde ich das stationäre Hospiz in Speyer beschreiben. Dies geschieht vor allem auf der Basis meiner Interviews und Besuche in den Hospizen. Zum Schluss meiner Arbeit möchte ich dann noch die Möglichkeiten und die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit dem Thema „Tod und Sterben als Thema in der Schule“ untersuchen.

 

2 Allgemeine Überlegungen zum Thema Sterben und Tod

 

Oberflächlich betrachtet erscheint der Tod eines Menschen etwas völlig klares und eindeutiges zu sein. Das heißt: Ein Mensch wird geboren und stirbt wenn er alt ist und seine Zeit gekommen ist. Bei genauerer Betrachtung stellt man jedoch fest, dass nicht alles so eindeutig ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. Das Thema muss differenzierter betrachtet werden, um ein genaues Bild zu erhalten. Kulturelle Normen und Werte, sowie religiöse und ethische Vorstellungen beeinflussen die Sichtweise auf den Tod eines Menschen.[4]

 

Zu Beginn meiner Arbeit, möchte ich deshalb als Grundlage für die Auseinandersetzung  mit dem Thema Hospiz, einige grundlegende Sachverhalte, die mit dem Thema Sterben und Tod verbunden sind, klären.

 

2.1 Der Tod aus anthropologischer Sicht

 

Die Anthropologie beschäftigt sich mit dem Menschen als Art oder Gattung, also mit seinen Verhaltensweisen und Eigenschaften. Der Mensch ist zugleich ein Natur- und Kulturwesen, wodurch eine wechselseitige Beziehung zwischen kulturellen und natürlichen Gegebenheiten besteht.[5]

 

Alle biologischen Lebensformen sind auf irgendeine Weise störanfällig und somit auch immer von Krankheit und Tod bedroht. Dass der Mensch nur eine begrenzte Lebenszeit besitzt, ist dabei positiv zu sehen, da die evolutionäre Entwicklung der Menschheit und der einzelnen Kulturen, durch Geburt und Tod in entscheidendem Maße beeinflusst wird. Das heißt, ohne Tod und Reproduktion, keine Evolution.[6]

 

Der Mensch ist das einzige bekannte Lebewesen, das ein tieferes Bewusstsein des Todes besitzt. Ein Tier kann zwar instinktiv wahrnehmen, dass es bald sterben wird, und sich deshalb, zum Beispiel vom Rudel, entfernen. Beim Menschen setzt das Bewusstsein für die Sterblichkeit und den Tod bereits sehr viel früher ein und begleitet ihn durch sein ganzes Leben. Der Tod stellt eine Grenzsituation im Leben der einzelnen Menschen dar, hinter die man nicht schauen kann. Für den Umgang mit dem Tod und vor allem der Trauer, gibt es in den verschiedenen Kulturen universale Verhaltenstendenzen, wie Weinen, Körperhaltung, Gesten etc. Es gibt aber auch große, kulturspezifische Unterschiede, in der Form der Trauer und dem Umgang mit dem Toten. Da wir Menschen schon immer in Gemeinschaften zusammenleben und der Tod jeden von uns betrifft, stellt er eine grundlegende Störung der Gemeinschaft dar. Dadurch wir er zu einem sozialen Problem. Aus diesem Grunde ist es auch für jede Kultur und Gesellschaft, in irgendeiner Weise notwendig, Todesdeutungen in das gemeinsame Bedeutungssystem einzubauen und auf dessen Akzeptanz zu achten. So wird das Gefährdungspotential, des einzelnen Todes für die Gemeinschaft, entschärft und der Glaube, an das kollektive und individuelle Weiterleben der Gemeinschaft, gestärkt.[7]

 

2.2 Der Tod als kulturelles Phänomen

 

In den meisten Kulturen wurde und wird der Tod nicht als eine naturgegebene Selbstverständlichkeit akzeptiert. Es existieren vielmehr Mythen und Geschichten, die die Entstehung des Todes erklären sollen. In den meisten Religionen dieser Welt spielt der Tod eine zentrale Rolle. Die Ursprünge der Religionen sind mitunter in der zeitlichen Begrenzung des Lebens und der Unsicherheit und Ungewissheit vor der unberechenbaren Natur, zu sehen.[8]

 

Die Menschen stellten sich schon immer die Frage nach dem Danach. Was geschieht mit dem Toten? Lebt er an einem anderen Ort weiter?

 

Um mit den emotionalen Belastungen, die mit dem Tod eines Gruppenmitgliedes verbunden sind fertig zu werden, wurden rituelle Lösungen entwickelt. Es gab vorgeschriebene Verhaltensabläufe für die Betroffenen, die Überlebenden und die Toten. Der Tod wurde allgemein als Übergang in einen anderen Zustand, häufig in das Reich der Toten, definiert.[9] In einigen Kulturen kam es zu verschiedensten Formen der Altentötung. Dies geschah vor allem dann, wenn die Alten zu einem Problem für die Gemeinschaft wurden. Dies war zumeist bei Nomadenvölkern der Fall. Altentötung fand allerdings auch in unseren Breitengraden statt, so wurden alte Menschen in Pommern durch Verabreichung von Arsen vorzeitig ins Jenseits befördert. Dies sollte verhindern, dass sie nicht zu lange ihr Altenteil,  zum Schaden der Familie, nutzten.[10] 

 

2.3 Resümee

 

In Bezug auf die anthropologischen und kulturellen Phänomene zum Thema Tod, bleibt festzuhalten, dass der Mensch bereits früh in seinem Leben eine Todesvorstellung, ein Wissen um den Tod, besitzt. Der Tod stellt generell einen Grenzbereich des menschlichen Lebens dar, für dessen Umgang sich bestimmte kulturspezifische Verhaltensweisen (Rituale) entwickelt haben. Dadurch wird nun auch die Bedrohung, die sich aus dem Tod des Einzelnen für die Gemeinschaft erwächst, geregelt und begrenzt. Der Tod stellt ein grundlegendes Element in unserer aller Leben dar. Wie wir mit ihm umgehen, hängt unmittelbar mit unserem Glauben und unserer Kultur zusammen.

 

Im folgenden Kapitel möchte ich den Wandel der Todesvorstellungen und des Umgangs mit dem Tod, in unserem abendländischen Kulturkreis, genauer betrachten. Dies geschieht vor allem, auf den Grundlagen der Studien des französischen Historikers Philippe Ariès[11].

 

3 Gesellschaftlicher Wandel der Todesvorstellung

 

Im folgendem möchte ich den gesellschaftlichen Wandel der Todeseinstellung in unserem abendländischen Kulturkreis, etwas genauer betrachten.

 

Ariès hat mit seinen Studien zur Geschichte des Todes, eine gründliche Darstellung zur Wandlung der Todeseinstellung in unserem Kulturkreis geliefert. Ariès hat dabei ein fünfstufiges Modell, unterschiedlicher Haltungen der Menschen gegenüber dem Tod, voneinander abgegrenzt. Die vorgenommenen Abgrenzungen sind dabei allerdings nicht als starre Abgrenzung, sondern vielmehr als kleine fließende Übergänge und Wandlungen, zu verstehen.[12]

 

In den nun folgenden Abschnitten, soll das Modell von Ariès genauer dargestellt werden.

 

3.1 Der gezähmte Tod

 

Die erste Periode „Der gezähmte Tod“[13] fand in der Zeit um 500 nach Christus bis hinein ins 18. Jahrhundert statt. Im gezähmten Tod sieht Ariès die frühmittelalterliche,

 

„spontane Fügung ins Schicksal und in den Willen der Natur“[14].

 

Somit war der Tod im Mittelalter kein Drama. Er wurde vielmehr als ein Übergang in das Leben im Jenseits gesehen. Für die Menschen damals galt es, sich Zeit seines Lebens auf den Tod vorzubereiten. Sie verbanden damit die Hoffnung, in den Himmel und somit an die Seite Gottes zu kommen. Der Tod war im Mittelalter ein ständiger und vertrauter Begleiter der Lebenden und somit ein fester Bestandteil des Lebens. Das Sterben fand zumeist unter dem Beisein vertrauter Menschen statt und war somit eine öffentliche Angelegenheit. Es war üblich, dass die Sterbenden vor ihrem Tod nochmals ihre Angehörigen zu sich riefen, um sich von ihnen zu verabschieden und zukünftige Dinge zu regeln. In der Regel war auch ein Pfarrer anwesend, der dem Sterbenden die letzte Beichte abnahm. Die Menschen hatten größere Angst davor plötzlich, unvorbereitet und ohne Beichte zu sterben, als die Angst vor dem Tod an sich. Der Tod wurde akzeptiert und als eine letzte Lebensphase der Erfüllung empfunden. Interessant ist hierbei auch, dass in diesem Zeitraum keinerlei  Grabinschriften oder Portraits auf den Gräbern zu finden sind, so dass diese praktisch vollkommen anonym sind.  Dies geschah aus dem Glauben, dass der Tod als eine Übergangsphase angesehen wurde. Die Menschen glaubten, sie würden bis zur Auferstehung Christi in einem friedlichen Schlaf auf das wirkliche Ende ihres Lebens warten. Die Angst vor einer möglichen Verdammnis war kaum vorhanden. [15]

 

3.2 Der eigene Tod

 

Im Zuge des Hochmittelalters,  11. – 12. Jahrhundert, wurde die allgemein verbreitete Auffassung des Todes abgeschwächt, jedoch keineswegs fallengelassen. Es handelt sich also nicht um eine gänzlich neue Einstellung zum Tod, sondern wie Ariès es beschreibt:

 

„um kaum merkliche Modifikationen, die der traditionellen Vertrautheit des Menschen mit dem Tode allmählich einen dramatischen und persönlichen Sinn verleihen“.[16]

 

Seit dieser Zeit wurde das Gefühl für die eigene Identität stärker, und der Tod wandelte sich allmählich zum Individualschicksal. Dies geschah durch eine Reihe von neuen Phänomenen, welche die alte Vorstellung eines kollektiven Schicksals der Menschen, hin zur Besonderheit des Einzelnen, bewirkte. Ariès schreibt dazu:

 

„Im 13. Jahrhundert sind der Einfluss der Apokalypse und die Beschwörung der großen Wiederkehr nahezu bedeutungslos geworden. Die Vorstellung des Jüngsten Gerichts hat sie verdrängt, und was dargestellt wird ist eher ein Gerichtshof.“[17]

 

Die Menschen glaubten zu dieser Zeit, dass jeder Mensch zum Zeitpunkt seines Todes, gemäß seiner Lebensbilanz bewertet und nach gut und böse aussortiert werden würde. Ferner wurde die Zeit des Gerichts nicht mehr in eine fern liegende Zukunft, sondern ins Sterbezimmer und somit in die Nähe des Sterbenden verlegt. Es kamen einige neue Rituale hinzu. So wurde zum Beispiel das Gesicht des Toten verborgen und zugedeckt, die Trauernden trugen schwarze Kleidung als Zeichen ihrer Trauer und die Totenklage wurde von Priestern übernommen. Das Modell des eigenen Todes ist zwar bis ins 18. Jahrhundert vorhanden, dennoch lassen sich seit dem 16. Jahrhundert  tiefgreifende Veränderungen feststellen.[18] Diese sollen nun dargestellt werden.

 

3.3 Der lange und nahe Tod

 

In der Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts fanden weitere Veränderungen zu der Einstellung zum Tod statt. Die allgemeine Skepsis gegenüber der christlichen Glaubensvorstellung vom Tod, breitet sich ab dem 18. Jahrhundert auf das Bürgertum aus. Es ist die Zeit wachsender Rationalität und des wissenschaftlichen Fortschritts. Der Tod wird ab den 18. Jahrhundert den Menschen immer mehr aus der Hand genommen. Leichenhallen ersetzen die Aufbahrung der Toten zu Hause. Friedhöfe werden zu dieser Zeit außerhalb der Städte angelegt und von den Kirchen getrennt. Es fand somit eine Distanzierung der Lebenden von den Toten statt. Zu dieser Zeit trat auch eine der ersten Form der „Angst vor dem Tod“ auf. Die Menschen hatten Angst davor, lebendig begraben zu werden. Dies setzte wiederum den Glauben voraus, es gebe einen gemischten, aus Leben und Tod zusammengesetzten und wieder rückgängig zu machenden Zustand.[19]

 

3.4 Der Tod des Anderen

 

Im 19. Jahrhundert bewegt sich der Blickpunkt auf die Angehörigen der Kernfamilie. Die Städte wachsen stetig und die Bedeutung des Individuums verändert sich. Der Tod des Anderen, einer Person aus dem nächsten Lebensumfeld, gewinnt an Bedeutung. Der Tod des Fremden verliert immer mehr an Bedeutung. Eine neue Empfindsamkeit, die des Privatlebens, kommt auf. Sie hat ihren Platz in den entstandenen Kernfamilien. Die Vorstellung vom Jenseits ändert sich zu einem Bild der Zusammenkunft und Wiedervereinigung mit den Verstorbenen. Das 19. Jahrhundert ist die Epoche der romantisch geprägten Trauerbekundung, die zuweilen hysterische Ausmaße annimmt. Die Übertreibung der Trauer zeigt, dass die Menschen den Tod des Anderen wiederwilliger hinnehmen als früher. Der gefürchtete Tod ist also nicht der eigene Tod, sondern der des Anderen: „Dein Tod“. Es war auch die Zeit des Verschweigens und Verdrängens. Das nahende Ende wurde dem Sterbenden verschwiegen. Dies geschah aus dem Bedürfnis, den Sterbenden schonen zu wollen. Priester wurden meist nur noch gerufen, wenn der Sterbende bereits tot war.[20]

 

3.5 Der ins Gegenteil verkehrte Tod