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Mit einem Nachwort von Thomas Wörtche. »Hot stuff – can’t get enough« - Ein alter Song ertönt, ein Track auf einer verstaubten CD-Box, seit Jahren im Regal, ein Live-Mitschnitt, ein Zeitsprung, zurück in die Siebziger, bewegte Bilder, flackernd und voller Sprünge, ein Film läuft ab, ein Film in Worten: »Hot Stuff«. Es ist eine Reise nach Rom und weiter nach New York und Washington, D. C. Sie führt zu den Straßengangs aus den Vorstädten, zu den bad guys, die an das große Geld und an die Macht wollen. Und es geht zurück auf den Kontinent, nach Yorkshire, wo es ständig regnet und in den nasskalten Nächten ein Killer seine Opfer sucht. Auch anderswo wird brutal gemordet und zumeist geht es dabei um »Sister Morphine« und »Cousin Cocaine«. Vier groß angelegte Romanzyklen erzählen davon. Frank Göhre zitiert und rafft Romane von Giancarlo De Cataldo, David Peace, George P. Pelecanos und Don Winslow. Er ergänzt sie assoziativ mit Passagen aus Filmen und »Love You Live«, dem dritten Livealbum der Rolling Stones, mit Ausschnitten aus populären Songs, Texten von u. a. Thomas Adcock, Keith Richards, innovativen Reportagen, aus den Archiven politischer Intrigen. So entsteht das Porträt einer (Gegen-)Gesellschaft im Zeichen der Sucht, der Gier nach Reichtum und Macht – »Hot Stuff« also. Ein Film in Worten. Mit einem Nachwort von Thomas Wörtche »In New York ist es in diesem Jahr einer dieser Es-ist-nicht-die-Hitze-es-ist-die-Feuchtigkeit-Nachmittage, und zwei junge Iren sitzen in einem Pub an der 47th Street, Ecke 12th und trinken Bier. Es ist der Stadtbezirk Hell’s Kitchen. (...) Ein hünenhafter Schutzgeldeintreiber kommt in den Pub und will einem der Jungs ins Maul pissen. Aber der andere ist schneller. Er zieht eine 22er unterm Hemd vor und schießt dem Drecksack zwei Löcher in die Stirn.« »Göhre ist ein Klassiker, vielleicht der Klassiker des Noir made in Germany; ein Autor, der kleinen Gangstern, gefallenen Ladys und gebrochenen Polizisten literarisch eine Stimme gibt, und das im Klang so authentisch wie formal experimentell.« Ulrich Noller
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Seitenzahl: 96
Über das Buch »Hot stuff – can’t get enough« – Ein alter Song ertönt, ein Track auf einer verstaubten CD-Box, seit Jahren im Regal, ein Live-Mitschnitt, ein Zeitsprung, zurück in die Siebziger, bewegte Bilder, flackernd und voller Sprünge, ein Film läuft ab, ein Film in Worten: »Hot Stuff«.
Es ist eine Reise nach Rom und weiter nach New York und Washington, D. C. Sie führt zu den Straßengangs aus den Vorstädten, zu den bad guys, die an das große Geld und an die Macht wollen. Und es geht zurück auf den Kontinent, nach Yorkshire, wo es ständig regnet und in den nasskalten Nächten ein Killer seine Opfer sucht. Auch anderswo wird brutal gemordet und zumeist geht es dabei um »Sister Morphine« und »Cousin Cocaine«. Vier groß angelegte Romanzyklen erzählen davon.
Frank Göhre zitiert und rafft Romane von Giancarlo De Cataldo, David Peace, George P. Pelecanos und Don Winslow. Er ergänzt sie assoziativ mit Passagen aus Filmen und »Love You Live«, dem dritten Livealbum der Rolling Stones, mit Ausschnitten aus populären Songs, Texten von u. a. Thomas Adcock, Keith Richards, innovativen Reportagen, aus den Archiven politischer Intrigen.
So entsteht das Porträt einer (Gegen-)Gesellschaft im Zeichen der Sucht, der Gier nach Reichtum und Macht – »Hot Stuff« also. Ein Film in Worten. Mit einem Nachwort von Thomas Wörtche.
»In New York ist es in diesem Jahr einer dieser Es-ist-nicht-die-Hitze-es-ist-die-Feuchtigkeit-Nachmittage, und zwei junge Iren sitzen in einem Pub an der 47th Street, Ecke 12th und trinken Bier. Es ist der Stadtbezirk Hell’s Kitchen.
(...) Ein hünenhafter Schutzgeldeintreiber kommt in den Pub und will einem der Jungs ins Maul pissen. Aber der andere ist schneller. Er zieht eine 22er unterm Hemd vor und schießt dem Drecksack zwei Löcher in die Stirn.«
»Göhre ist ein Klassiker, vielleicht der Klassiker des Noir made in Germany; ein Autor, der kleinen Gangstern, gefallenen Ladys und gebrochenen Polizisten literarisch eine Stimme gibt, und das im Klang so authentisch wie formal experimentell.« Ulrich Noller
Über den Autor
Impressum Originalausgabe © CulturBooks Verlag 2013 Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg Tel. +4940 31108081, [email protected] Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Kirsten Reimers
Ein alter Song ertönt, ein Track auf einer verstaubten CD-Box, seit Jahren im Regal, ein Live-Mitschnitt, ein Zeitsprung, zurück in die Siebziger, bewegte Bilder, flackernd und voller Sprünge, ein Film läuft ab, ein Film in Worten: »Hot Stuff. Eine Nacherzählung«.
Es ist eine Reise, eine Reise nach Rom und weiter nach New York und Washington, D. C. Sie führt zu den Straßengangs aus den Vorstädten, zu den bad guys, die an das große Geld und an die Macht wollen. Und es geht zurück auf den Kontinent, nach Yorkshire, wo es ständig regnet und in den nasskalten Nächten ein Killer seine Opfer sucht. Horror, Horror, Horror. Die Blutspur durchzieht nicht allein diesen Landstrich. Auch anderswo wird brutal gemordet und zumeist geht es dabei um »Sister Morphine« und »Cousin Cocaine«. Vier groß angelegte Romanzyklen erzählen davon.
Ich habe schon immer mit dokumentarischem Material gearbeitet, habe Zeitungsmeldungen, Anzeigen, Flugblätter, Slogans und Liedtexte in meine Erzählungen und Romane eingefügt, sie mitunter auch allein für sich stehen (wirken) lassen. Als 1971 mein erstes Buch »Costa Brava im Revier« erschien, nannte man das »Pop«. In den Rezensionen meines zweiten Buchs war dann von »Original-Ton« und »Realismus« die Rede. Und später, sehr viel später wurde die Methode mit einem rasanten DJ-Mix verglichen, mit einer Art »Rave«. Für mich war es bei allem der mir sinnvoll erscheinende Background der Geschichten, Hinweise auf den jeweiligen Alltag, auf die Zeit des Geschehens. Im Vordergrund standen die handelnden Personen, die Story, die Fiktion.
»Hot Stuff« ist der umgekehrte Ansatz. Das Material ist der Ausgangspunkt, der Anlass für diesen Text. Ich höre einen Rolling Stones Titel und lese »aufgenommen in Toronto, 17. Juni 1975«. Ich erinnere damalige Atmosphären, Erlebnisse und Erfahrungen. Ein erstes grobkörniges Bild entsteht, ein Flickenteppich jener Jahre des Aufruhrs und der Veränderungen, der Drogen und der Gewalt. Ich lese nach bei den von mir geschätzten Autoren, lese ihre Bücher neu – die Trilogien, Tetralogien. Ich lese sie unter dem Aspekt der Geschichtsschreibung.
Für die einen ist es ein absolut grottiges Teil, Rumpelrock der schrecklichsten Art. Andere finden bestenfalls zwei, drei Tracks akzeptabel, und nur einige wenige fahren voll drauf ab. »Love You Live«, das dritte Livealbum der Rolling Stones, gilt allgemein als eine primär auf Druck der Plattenfirma entstandene Veröffentlichung. Eine »Zwischendurchveröffentlichung«. Es sind Aufnahmen aus den Jahren 1975–1977, Mitschnitte bei Konzerten in London, Paris, Los Angeles und Toronto – achtzehn »laut und klapperig« gespielte Songs, »rau und ungeschliffen«, so die Kritik. Aber: Rau und ungeschliffen – ist nicht gerade das die Qualität der Stones? Und laut?
I’m simply dying for some thrills and spillsOh yeahIf you can’t rock meIf you can’t rock meAh somebody will
If You Can’t Rock Me, aufgenommen in London, 27. Mai 1976, »Love You Live«, Track 3.
Chaos, Chaos auf den Straßen. Autos, überall Autos. Auspuffgase. Ein wahnsinniges Gehupe, gellende Trillerpfeifen. Geschrei, Flüche. Staubige Plätze, kaputte Bäume. Graffiti und Parolen auf Hauswänden und öffentlichen Gebäuden. Hammer und Sichel, der Rote Stern. Brigate Rosse. Schmierereien auf antiken Statuen. Das ist Rom Mitte der siebziger Jahre. Lage: 12°30’ östlicher Länge, 41°54’ nördlicher Breite. Fläche: 1.507 Quadratkilometer. Zweiundzwanzig innere und fünfunddreißig äußere Stadtviertel. Zirka 2,7 Millionen Einwohner.
Kleine Läden. Lederwaren. Koffer und Handtaschen. Uhren und billiger Schmuck. Ramsch. Kleider und Schuhe. Friseurstuben. Voll aufgedrehte Transistorradios: Ti amo, ti amo, singt Umberto Tozzi. Ich liebe dich, Rom, ich liebe und ich hasse dich. Trattorias und Bars. Straßencafés. Palavernde Ragazzi, rauchend und sich am Sack kratzend: »Es gibt keine Gruppe von Jugendlichen, denen man auf der Straße begegnet, die nicht ebenso Kriminelle sein könnten ... Sie können nicht lächeln oder lachen. Sie können nur grinsen oder kichern ...«
Eine offene Fleischerei, Hühnerhäute und bleiche Koteletts. Schmutzige, nasse Schlieren auf den Fliesenwänden. Am Straßenrand umgekippte schwarze Plastiksäcke voll Abfälle, stinkender Müll. Büchsen, Scherben und Speisereste. Zerschlissene Gestalten auf Pappkartons liegend. Ein Maronenverkäufer. Heiße Maronen in Fetzen von Seiten alter Telefonbücher gewickelt. Vollgestopfte Busse auf den Routen in die Randbezirke und bis ans Meer: »Die Straße nach Montesacro, deren Asphalt nur noch aus einzelnen schwarzen Flecken im Schotter zwischen Abfällen und Schmutz bestand, folgte dem Lauf des Aniene. Die Böschungsmauer war ebenfalls von Schmutz und Kot bedeckt, vor allem dort, wo die Kloake von der Poliklinik austrat; drüben stieg die andere Betonwand auf, dahinter sah man Häuser und Hütten, Arbeitsschuppen und Barackensiedlungen.«
Ein zerfurchter Fußballplatz, mit Maschendrahtzaun von der Straße abgetrennt. Unkrautfelder. Eingetrocknete Scheißhaufen. Leere Flaschen. Ein zerrissener Slip. Fabrikgebäude mit grauen Umrissen als düstere Kulisse. Von daher kommen sie – aus dem Dreck, dem Unrat der Vorstädte. Es sind Dandi, Botola, Bufalo, Fierolocchio, der Schielende und Libanese. Es sind Freddo, Satana, Scrocchiazeppi und die Gebrüder Aldo und Ciro Buffoni. Es sind anfangs konkurrierende Banden, es sind Kleinkriminelle, und sie sind hungrig. Sie kommen aus der Gosse und wollen nach oben, nach ganz oben. Und dabei ist ihnen jedes Mittel recht. Raub, Erpressung, Mord. Sie wollen den Drogenmarkt beherrschen und dann die ganze Stadt in den Griff bekommen. Rom, die Heilige, die Ewige Stadt. – Here we go!
Hot Stuff, singt Mike Jagger. Hot stuff, cant’t get enough, hot stuff, play it rough, can’t get enough. Aufgenommen am 6. Juni 1976 im Pavillon de Paris vor 10.000 Leuten, »Love You Live«, Track 5.
In Rom weht der Schirokko, die Wolken hängen tief, und die Luft ist drückend. Es ist schwül. Es ist ein später Augusttag des Jahres 1977, als die beiden Straßengangs erstmals aufeinandertreffen.
Auch in New York ist es in diesem Jahr einer dieser Es-ist-nicht-die-Hitze-es-ist-die-Feuchtigkeit-Nachmittage, und zwei junge Iren sitzen in einem Pub an der 47th Street, Ecke 12th und trinken Bier. Es ist der Stadtbezirk Hell’s Kitchen. Er liegt zwischen der 34th und der 57th Street und zwischen der 8th Avenue und dem Hudson River: »Früher mal war es ein anständiger Slum ... Die Mietskasernen wurden im großen und ganzen von Dockarbeitern und Druckern, Hausierern und Kneipenbesitzern, kleinen Ganoven und schweren Jungs bevölkert. Und von Jazzmusikern, einer ganzen Menge sogar. Und außerdem von einer Unzahl arbeitender Frauen mit Kindern ... Wir spielten Annie-over und Cully-up und Stoop-ball und Ballie-callie auf den Straßen, die wir uns mit Säufern, Nutten, Dieben, Falschspielern und Gangstern mit Pistolen und großen Autos teilten. Die irischen Priester beteten für unsere Seelen. Heute hat sich das Viertel verändert, und es verändert sich immer noch.«
Aus der Jukebox ist Andy Williams mit Moon River zu hören, und das schon eine ganze Stunde lang. Doch dann passiert es. Ein hünenhafter Schutzgeldeintreiber kommt in den Pub und will einem der Jungs ins Maul pissen. Aber der andere ist schneller. Er zieht eine 22er unterm Hemd vor und schießt dem Drecksack zwei Löcher in die Stirn.
230 Meilen weiter südwestlich, in Washington, D. C., streift George, ein zwanzigjähriger Kunststudent, rund um den Dupont Circle. Er hat schwarzes Haar, das wellenförmig bis auf die Schultern fällt, einen schwarzen Schnäuzer und tiefbraune Augen, wie die Farbe seines Karmann Ghia Cabrio, das er in einer der Seitenstraße geparkt hat. George ist ein cooler Typ. Groovy Hemd und Jeans mit Schlag, braune Slipper.
Nach ein, zwei Runden trifft George auf einen seiner Dealer und kauft ein paar Unzen mehr als sonst. Er hat zurzeit was mit einem Mädel laufen, die nicht genug von dem Stoff bekommen kann. Dann steigt er in seine Karre, schiebt eine Kassette mit Robin Trower, »Bridge of Sighs«, ein und brettert los. Es ist nicht weit bis zu dem Haus 1841 R Street: »... eine ehemalige Villa mit abblätterndem Putz, jetzt vier Etagen mit jeweils drei Wohnungen, ein kleiner braun gefleckter Vorgarten, in dem eine fette graue Katze mit riesigen Ohren im Gras lag und einen Mückenschwarm beobachtete.«
Bevor George aber in seine Wohnung hinauf geht, schaut er noch kurz im Plattenladen seines Kumpels Marcus Clay vorbei. Doch er trifft nur diesen Hiwi mit dem aufgeputzten Afro an, der einen schwarzen Bruder am Wickel hat.– Yeah, ich sag’s dir, Mann. Nur ein Farbiger kann so ein Feeling aus der Gitarre herausholen.– Ich hab John McLaughlin gehört ...– Jimmy ist der Größte.