Hotel Shanghai - Vicki Baum - E-Book
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Hotel Shanghai E-Book

Vicki Baum

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Beschreibung

Ein tragisch-melancholischer Gesellschaftsroman über eine Stadt am Vorabend ihrer Bombardierung »Hotel Shanghai«, erschienen 1939, gilt als »Meisterwerk der populären Literatur« und ist doch viel mehr: Die Geschichte von neun Menschen, die zu Beginn des chinesisch-japanischen Krieges aus den verschiedensten Teilen der Welt in einem Hotel zusammentreffen und am Ende durch eine Bombe getötet werden, ist ein Plädoyer für den Frieden und das Leben in seiner vielfältigen, hinreißenden Gestalt. Vicki Baum schrieb von den 1920er- bis in die 1950er-Jahre zahllose Bestseller und führte das Leben eines Weltstars. Zur Würdigung dieser außergewöhnlichen Schriftstellerin wurden ihre bekanntesten Romane neu aufgelegt.

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Seitenzahl: 1147

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Vicki Baum

Hotel Shanghai

Roman

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Vicki Baum

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Motto

Einleitung

Erster Teil: Die Menschen

B.G. Chang

Doktor Emanuel Hain

Kurt Planke

Jelena Trubova

Lung Yen

Ruth Anderson

Frank Taylor

Yoshio Murata

Doktor Yu Tsing Chang

Zweiter Teil: Die Stadt

Inhaltsverzeichnis

Ein Hund im Frieden

ist besser

als ein Mann im Krieg

Chinesisches Sprichwort

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Stadt, von der in diesem Bericht die Rede sein soll, existiert nicht mehr. Sie hat ihr Gesicht verändert, wie so oft zuvor. In ihren Straßen ist ungezählte Male gekämpft worden, aber niemals so hart wie vom Sommer bis zum Herbst des Jahres 1937. Achtundachtzig Tage wurde diese Stadt belagert, beschossen und bombardiert. Hunderttausende starben, und der Geruch von verbranntem Menschenfleisch hing für lange Zeit noch in dichten Wolken über ihr.

Eine der ersten Bomben, die aus der Luft fielen, schlug in das Shanghai-Hotel, das große, neue Gebäude, das vier Jahre zuvor, bald nach den Kämpfen des Jahres 1932, errichtet worden war; mit seinen Kolonnaden, seinen achtzehn Stockwerken und seinem berühmten Dachgarten stand es an der Nanking Road, halben Weges zwischen dem Bund und dem englischen Rennplatz.

Die Bombe tat einigen Schaden. Alle Fensterscheiben gingen in Scherben, und ein klaffendes Loch in der Fassade riss mehrere Hotelzimmer auf und entblößte ihr Inneres. Die Japaner behaupteten, dass die Bombe von chinesischen Fliegern abgeworfen worden sei, während die Chinesen dabei blieben, es sei eine japanische Bombe gewesen. Die auswärtigen Zeitungskorrespondenten neigten der Ansicht zu, dass die Bombe den japanischen Kriegsschiffen auf dem Whangpoo-Fluss zugedacht, aber von einem chinesischen Flieger schlecht gezielt worden wäre. Proteste wurden erhoben und Entschuldigungen veröffentlicht; denn wenn auch die chinesischen Stadtteile von Zeit zu Zeit in Trümmer geschossen wurden, so betrachtete man es doch als eine Selbstverständlichkeit, dass die internationale Kolonie im Kern der Stadt nicht getroffen werden durfte. Leute, die lange im Orient gelebt hatten und mit den Subtilitäten der dortigen Kriegführung besser vertraut waren, schienen überzeugt, dass die Chinesen mit der Bombardierung dieser Kolonie den Japanern andeuten wollten, dass sie eine Wiederholung der Vorgänge des Jahres 1932 nicht zugeben würden. Damals nämlich hatten sich japanische Marinesoldaten, unter Berufung auf die japanische Teilhaberschaft an der internationalen Kolonie, im Innern ihrer Straßen festgesetzt und die friedlichen Viertel der internationalen Konzession als Kampfbasis benützt. Wer immer die Bombe abgeworfen haben mochte, das Shanghai-Hotel war beschädigt, viele Menschen waren verwundet und neun getötet worden; neun von den Tausenden, die an diesem ersten Tag der Kämpfe sterben mussten.

In den folgenden Seiten soll Bericht gegeben werden über die Wege, die diese neun Menschen nach Shanghai brachten, über den Verlauf ihres Lebens und über die Stunde ihres Todes.

Inhaltsverzeichnis

Erster TeilDie Menschen

B.G. Chang

Chang war auf einem Boote geboren, in der Nacht kam er zur Welt, der Fluss leckte mit kleinen Tönen gegen die Planken, die Mutter löste ihn mit einem rostigen Messer von sich los. Am Morgen war sie tot. Er hatte keinen Vater, das Boot war Haus und Wohnung für viele Menschen seiner Familie und ihre Kinder. Mit den Augen, die an seinen Bug gemalt waren, suchte es seinen Weg. Eine Matte über den gerundeten Bambusspreizen war ihr Dach. Seine Schwester, sieben Jahre älter als er, ging in das reiche Dorf, bei dem sie ankerten, und bat um Bohnen für das mutterlose Kind; daraus presste sie eine dünne Milch, die er hungrig von ihren Fingerspitzen saugte. So blieb er am Leben.

Er lag in Fetzen eingehüllt am Boden des Bootes, der Fluss strömte lebendig unter den Brettern. Er sah seine Schwester, vorgebeugt stemmte sie sich an das Ruder und trieb das Boot voran. Die Adern traten hervor an ihren kleinen Armen. Wenn er weinte, nahm sie ihn auf, band ihn auf ihrem Rücken fest und arbeitete weiter am schweren Ruder. Vor und zurück, vor und zurück. Der Takt schläferte ihn ein. Da keine Eltern da waren, ihm einen guten Namen zu wählen, wurde er achtlos Ah Tai genannt, ein Großer. Seiner Schwester blieb er zugetan sein ganzes Leben, obwohl sie nur ein Mädchen war. Der Fluss war ihm Vater und Lehrer. Er wurde groß und stark und stieß seine älteren Vettern beiseite oder warf sie ins Wasser. Sie lachten über ihn. Immer hatte er Hunger, und was er dachte, bezog sich meist aufs Essen. Manchmal lag das Boot still und untätig in einer Ausbuchtung des Flusses unterhalb eines Dorfes. Dann wurde das Essen knapp und verschwand zuletzt ganz. Chang träumte von Nudeln, von Brot und heißem Kohl. Er stahl Knoblauch aus einem kleinen Acker und kaute auf einem Stück Holz herum, als wäre es Brot. Hatten sie eine Ladung, die sie von flussabwärts brachten, dann kamen gute Zeiten. Manchmal waren Hühner im Käfig oder ein junges Ferkel. Die Männer lachten und aßen, spielten Pai Ku um durchlöcherte, kleine Münzen, stritten sich, versöhnten sich, und die Lustigkeit nahm kein Ende. Die Frauen und Kinder bekamen, was übrig blieb. Das Glück des vollen Bauches kam selten zu Ah Tai. Trotzdem gedieh er. Der Fluss schwoll an nach den Sommerregen und überschwemmte die Felder. Er war grau mit weißen Nebeln am Morgen, gelb nach der Regenzeit. Unter dem Wurzelwerk am Ufer wurde er klar und dunkelgrün. Chang griff nach Fischen, die in den Wurzeln wohnten, und trug seine Beute zu den Fischverkäufern am nächsten Markt. Sein Onkel riss ihm das Geld aus den Händen. Mit weiten, runden schwarzen Nasenlöchern stand Ah Tai vor den riesigen Töpfen der Garküche und schluckte den guten Geruch, zusammen mit seinem hungrigen Speichel. Niemand kümmerte sich um ihn. Sein Kopf und seine Jacke waren voll von Läusen. Seine Schwester zog ihn jeweils aus, kniete am Flussrand hin, breitete die Kleidungsstücke über einen flachen Stein und klopfte sie zur Wäsche mit einem Stock. Chang saß am Bootsrand in der Sonne, ließ die Beine hängen, spürte das Warme auf seiner Hand kitzeln und sah den Widerschein des Flusses an der Bootswand spielen; wie Eidechsen aus Licht sah es aus. Er war hungrig. Er zog die Kleider wieder an, sobald sie trocken waren, faltete die Hose um seine Mitte und zog den Strick, der als Gürtel diente, eng. Gleich darauf begann er wieder, sich zu kratzen.

Als er gescheiter wurde, bettelte er in den Städten, bei denen sie ankerten, und wieder etwas später verstand er auch zu stehlen. Eine Handvoll Kastanien vom Stand eines Straßenhändlers, einen Kürbis vom Feld. Große, volle, köstliche, heimliche Mahlzeiten. Der Leib der Schwester wurde schwer von einem Kind, niemand wusste, wer der Vater war. Die Flussleute nahmen es nicht genau, sie hatten wenig Ehre und viel Spaß. Die Boote zogen flussauf, flussab, abends ankerten sie, und morgens waren sie gegangen. Kinder wurden geboren, und immer mehr hungrige Bäuche sollten gefüttert werden. Der Mann, den Chang Onkel nannte, schlug die ältere Schwester. Chang sah lachend zu, denn es war komisch. Nachts sah er die ältere Schwester über den Bordrand gebeugt, als sie etwas ins Wasser warf. Am Morgen war ihr Leib wieder flach. Einen Monat später begann sie zu husten, aber sie blieb am Ruder. Zu dieser Zeit half Chang schon, die Mehlsäcke ein- und auszuladen. Er zog das Segel auf und steuerte, stieß mit der Stange ab, wenn sie im Schlamm stecken blieben, und lenkte mit Rufen und Geschrei an andern Booten vorbei. Er wusste nicht, wie alt er war, denn niemand zählte seine Jahre, aber er war jetzt der Stärkste auf dem Boot, ein junger Riese mit großen, harten Schultern. Er bekam Streit mit dem Onkel, und der ältere Mann schlug ihn mit einem Lederriemen zwischen die Augen. In der gleichen Nacht sprang Chang vom Boot ans Land und versteckte sich zwischen den Gräbern an einer Hügelseite. Er hatte Angst vor den Geistern, deshalb schrie er laute, grobe Drohungen in die Dunkelheit. Er blieb dort, bis das Boot weiterzog und die Suche nach ihm aufgegeben war. Er aß rohen Kohl und kleine rote Zwiebeln, die er aus der Erde zog. Er war über alle Maßen hungrig. Weil das Boot flussab gerudert war, begann er flussauf zu wandern. Er kam in Gegenden, die er noch nicht gesehen hatte, denn das Boot war stets nur zwischen Senkuang und Gantsing hin- und hergefahren. Auf einem Berg stand ein Tempel mit schönen Dächern, und reiche Leute wurden in Sänften und Tragstühlen den steilen Weg hinaufgeschleppt. Neugierig zog Chang hinterher, denn er war noch nie in einem Tempel gewesen. Mit offenem Mund staunte er den großen, vergoldeten Buddha an, der in der ersten Tempelhalle stand. Ein kahler Priester schlug auf einen riesenhaften Gong, der an den Säulen hing. Die Luft war dick und undurchsichtig von Weihrauch. Priester und Pilger knieten unterhalb des Tisches mit den Weihrauchgefäßen und den Bronzevasen voll goldener Lotosblumen und sangen laut. Eine Gottheit mit ungezählten Armen und Händen sprang aus dem Dunkel einer Seitennische. Draußen vor dem Tempel, im ersten Hof, verbrannten Fromme Geld, das aus Silber- und Goldpapier gemacht war, und es saßen Händler in Reihen dort, die Räucherwerk und Essen verkauften. Changs Augen fraßen und fraßen all das Neue auf. Er stand und lachte töricht vor Erstaunen. Vor dem äußeren Tor hockten die Sesselträger und aßen Nudeln. Ein Teeverkäufer stand bei ihnen und schenkte Tee in die blauweißen Schalen. Changs Mund wurde voll Speichel. Er stellte sich dazu. Einer der Träger rief ihm im Scherz einen Gruß zu. »Hast du gegessen?«, lautete der Gruß. Die Höflichkeit verlangte die Antwort: »Ich habe gegessen.« Aber Chang hatte keinerlei Bildung. »Nein, mein Bauch ist hungrig«, schrie er heraus. Die Träger barsten vor Gelächter. Einer hielt ihm seine Schale hin, in der noch ein Rest der Mahlzeit war. Nudeln mit Gemüse. Nicht mehr ganz heiß, aber doch köstlich. Chang langte nach der Schale, da schlug der Mann ihm über die Hand, und die andern lachten noch lauter als zuvor. Einer, ein Alter, Zahnloser, rollte vor Gelächter und klatschte sich auf die Schenkel vor Heiterkeit über den Spaß. Chang holte aus, brachte seine zwei Fäuste auf die Schultern desjenigen, der gescherzt hatte, wie zwei große, harte Hämmer. Der Mann wurde klein. Chang nahm ihm die Schale mit den Nudeln weg und begann zu essen. Die Träger waren einen Augenblick still, und dann riefen sie ihm hochachtungsvolle Bemerkungen über seine Kraft zu. Er lachte gutmütig und stopfte sich voll. Der Mann, dem er die Nudeln weggenommen hatte, sah verwundert aus. Chang Ah Tai hielt die Schale vor den Mund und stopfte das Essen mit den Stäbchen in sich hinein, so schnell er konnte. Er war satt und groß und mutig, nachdem er gegessen hatte. Er lungerte um die Träger herum und wartete auf fernere Begebenheiten. Als sie am späten Nachmittag ihre Herrschaft wieder bergab trugen, lief Chang nebenher und sang wohl auch die Lieder, die am Fluss gesungen werden. Es waren immer drei Träger für einen Stuhl, zwei, die trugen, und einer zur Ablösung. Chang beobachtete mit Interesse, wie der Ablösende im Takt des Abgelösten seine Schultern unter die Tragstützen stemmte, sodass der Schritt nicht unterbrochen werden musste. Der Abgelöste stellte sich an den Wegrand, hustete, spuckte, wischte mit dem Arm den Schweiß vom Gesicht und wanderte hinter dem Stuhl her, bis es wieder Zeit für ihn war, einen andern abzulösen. Ich könnte tragen, ohne abgelöst zu werden, dachte Chang, und er sagte es auch. Die Träger lachten ihn aus, atemlos. Einer, der abgelöst wurde, blieb zurück, krümmte sich und übergab sich am Wegrand. Es war ein älterer Mann, und er hatte ein rotes Pflaster mit einem Heilspruch auf seinen kranken Leib geklebt. Chang blieb bei ihm stehen und schaute zu, wie er sich übergab. »Wie viel, wenn ich für dich trage?«, fragte er. Der Mann, noch erschöpft, da er seinen Bauch ganz ausgeleert hatte, winkte ab. Aber Chang blieb hartnäckig. Zuletzt trug er den Stuhl und bekam zwar kein Geld, aber eine zweite Ladung Nudeln. Er schlief mit den Trägern im Dorf am Fuß des Berges und blieb eine Weile bei ihnen.

Jetzt hatte er jeden Tag genug zu essen und sah viele Menschen, die in Booten ankamen, um zu dem Tempel am Berg zu wallfahrten. Strenge alte Frauen mit ihren Sklavinnen, fette, reiche Männer mit geschwollener Leber und kurzem Atem, Scholaren mit Gesichtern wie Elfenbein. Einmal kam ein Mandarin, der mit seinem Sohn den Tempel besuchte, um für Erfolg beim kaiserlichen Examen zu beten, das der junge Mann in Peking zu bestehen hatte. Er hatte seine eigenen Träger und Läufer und Vorreiter, und seine Sänften waren mit blauen Vorhängen abgeschlossen. Da Chang satt war, sang er und redete viel, sogar während es bergauf ging, und so erfuhr er auch manches über das Woher und Wohin seiner vornehmen Lasten. Wenn er abends gegessen hatte, schlief er sofort ein, auf der Erde, in eine zerrissene Matte gewickelt. Zwischen Wachsein und Schlaf gab es einen kurzen Zwischenraum, da war er im Boot, am Fluss, hörte die Wellen gegen den Boden schlagen, roch die feuchte Luft von Ried und Schilf und vielen Fischen, hörte auf das unterdrückte Husten seiner Schwester. Aber er wusste nicht, dass er Heimweh danach hatte.

Nur, dass er nach einer Weile rastlos wurde, obwohl es ihm gut ging und sein Bauch zufrieden war wie noch nie. So verließ er eines Tages den Berg und den Tempel und wanderte fort, diesmal flussabwärts. Er wusste nicht, was ihn trieb, denn niemand hatte ihn geschlagen. Die Träger waren witzige Leute gewesen, und er hatte von ihnen komische Geschichten gelernt und einige Höflichkeiten im Verkehr mit den großen Herren. Eine Zeit lang half er ein großes Boot flussaufwärts ziehen, und die Stricke rieben seine Schultern blutig, bis die Haut sich gewöhnte und Schwielen ansetzte. Diesmal bekam er Geld, eine Silbermünze und siebzehn Kupferstücke. Er kaufte sich Strohsandalen und eine getragene blaue Jacke, denn seine war dahin, und er hatte mit bloßem Oberkörper gearbeitet. Es wurde kalt, und er kroch in einer Bauernhütte unter, wo es nur Frauen und Kinder gab. Die Männer waren alle an einer Seuche gestorben, schwarz im Gesicht. »Ich kann die Arbeit von fünf Männern tun«, prahlte Chang, und die Frauen betrachteten seinen Riesenkörper mit Achtung und Gefallen. Nicht dass es viel Arbeit gegeben hätte, aber es kamen oft Banditen aus den Hügeln ins Dorf und brandschatzten die Bauern. Chang schlug drei von ihnen nieder, und einer davon stand nicht mehr auf. Von da an blieb das Haus in Frieden. Es gab nur wenig zu essen, obwohl die Frauen fast nichts für sich selbst behielten und nur versuchten, ihren Beschützer satt zu machen. Auf den Gestellen fraßen die Seidenwürmer die Blätter der Zwergeichen, es klang wie ständiger, ständiger Regen. Chang schlief mit allen Frauen, die nicht zu alt waren, und ließ seine Aussaat zurück, als er im Frühjahr weiterzog. Einmal sah er das Boot vorbeigleiten, auf dem er geboren war, und er rief seine ältere Schwester an, die am Ruder stand. Aber sie schaute vor sich hin, als schliefe sie, wie es ihre Art war, und Chang legte sich wieder zurück ins Ufergras, denn er hatte keine Lust, seinem Onkel zu begegnen.

In diesem frühen Sommer regte sich der Drache, und der Fluss trat weit über seine Ufer und überschwemmte die Dörfer und Städte, die sich entlang seinen Ufern angesiedelt hatten. Häuser, Vieh und Leichen schwammen auf seinem Rücken zum Meer, und großes Elend überkam die Provinz Östlich-der-Berge. Als die Flut zurücktrat und die Menschen darangingen, ihre Häuser wiederaufzubauen, half Chang im Hause eines Lehrers, die Tragbalken herbeizuschleppen und den Bautischlern an die Hand zu gehen.

 

Lo Si, der Lehrer, war einer von den vielen Scholaren, denen das Leben unter den Händen wegrann, während sie versuchten, die drei kaiserlichen Examen zu machen: das erste in der Hauptstadt des Distrikts, das zweite in der Hauptstadt der Provinz, das dritte in der nördlichen Hauptstadt selbst, in Peking, im Tempel des Konfuzius. Der Lehrer hatte in seiner Jugend das erste Examen mit großem Glanz bestanden, dann war er zweimal drei Jahre daran verhindert gewesen, dem nächsten Examen beizuwohnen, da er die Trauerzeit um seinen Großvater und seine Mutter einzuhalten hatte. Als er nach neun Jahren daranging, die zweite Prüfung zu bestehen, da war sein Kopf steif und vergesslich geworden, und die Aufregung machte seine Hand, die den Pinsel führte, zittern. Er fiel durch, kehrte in sein Dorf zurück und beschloss, die vorgeschriebenen drei Jahre zu warten und es ein zweites Mal zu wagen. Als auch dieses Examen missglückte, verwelkte sein Ehrgeiz. Nun saß er in seinem Heimatdorf und gab den kleinen Knaben Unterricht gegen geringe Bezahlung, die manchmal nur in Eiern und Mehl bestand.

Doch hatte der Lehrer seinen Ehrgeiz an seinen Sohn weitergegeben, einen lebhaften Jungen mit roten Wangen und einer angenehmen Stimme. Mit diesem Kind schloss Chang eine schnelle Freundschaft, und von ihm lernte er die ersten acht Zeichen: Himmel, Erde, Sonne, Mond, Berg, Wasser, Boden und Baum. Auch erklärte der alte Lehrer ihm einmal das Wesen des Symbols, das in die neue Haustür eingeschnitzt wurde und das Chang schon oft gesehen hatte: einen Kreis in einem achtfeldigen größeren Kreis eingeschlossen, und der innere Kreis in zwei geschwungene, einander ergänzende Teile von Weiß und Schwarz geteilt. Es war das Zeichen Yin und Yang, das männliche und das weibliche Element, Himmel und Erde, Kälte und Hitze, Hell und Dunkel, Tag und Nacht, alles, was einander entgegengesetzt ist und zusammen das Ganze bildet: die Vereinigung der Pole, das Gleichgewicht im All. Für Chang bedeutete es Hunger und Sattheit, arm und reich. Seinen Aufenthalt bei dem Lehrer vergaß er nie, weil er seit damals frei von Läusen war.

So arbeitete er dies und das, wobei er immer dem Fluss in seinem Lauf folgte, bis er flacher und breiter wurde, langsamer wie ein alternder Mann, und zuletzt das Meer erreichte. Am Meer lag die große Stadt, von der Chang Ah Tai schon gehört hatte. Es konnte nicht ausbleiben, dass er bei seinen Wanderschaften viel lernte, und an Verstand hatte er die Flussleute weit hinter sich zurückgelassen. Er hielt mit seiner Bildung nicht hinter dem Berg, sondern war stolz darauf und stellte sie zur Schau, wann immer er Gelegenheit hatte. »Dies ist das Zeichen Tien«, sagte er wohl, »dieses Zeichen stellt den Himmel dar«, und seine Genossen schauten respektvoll auf die Darstellung, die in vielen Läden zu sehen war; das Himmelszeichen, groß und mächtig, an dessen Fuß ein kleiner Mann hockte und aus seiner Schale aß. Es ging eine vollkommene Zufriedenheit von diesem Bild aus, und Chang selbst kannte diese Zufriedenheit gut. Fürwahr, ein kleiner Mann, an den großen Himmel gelehnt, aber auf der Erde sitzend, und die Reisschale gefüllt.

Er hatte noch nie eine Stadt gesehen so groß wie diese. Drei Tage lang stand er nur herum und staunte. Die Straßen der Seidenhändler, der Garköche, der Barbiere, der Korbflechter, der Sargtischler, der Kerzenmacher, der Weihrauchverkäufer, die Märkte, die Läden mit Rindfleisch, mit Schweinefleisch, mit Geflügel, die geräucherten Enten, die in Reihen an ihren Hälsen aufgehängt waren, die Säcke mit Reis, der aus dem Süden kam, die stillen Läden der Teehändler, die in eleganten Seidenroben vor ihren zehntausend Zinnbüchsen saßen, die Schaustellungen der Medizinmänner, Hirschgeweihe, getrocknete Schlangen und Tierherzen. Zehntausend Banner und Fahnen hingen über den Straßen, und Laternen und Schilder aller Art; alle waren mit Schriftzeichen bedeckt und luden ein, priesen an oder enthielten vielleicht nur Gebete um Glück und Zufriedenheit. Seit Chang einige Zeichen erkennen konnte, beunruhigten ihn die vielen andern, die er nicht verstand. Er schob und drängte durch die Menge, und immer ragte sein Kopf über die andern hinaus. Die Kinder liefen ihm nach und riefen: »Großer, Großer, ist dein Vater ein Drache gewesen?«

Wie es ihm ein Freund geraten hatte, so fragte Chang sich durch bis zu dem Haus, in dem die Gilde der Lastträger ihre Geschäfte abwickelte. Es war ein kleines Haus, nahe am Hafen, und zwei alte Männer, die Tee schlürften und lange schwarze Roben anhatten, elegant, wenn auch nicht aus Seide, fragten ihn aus. »Es ist bekannt, dass die Männer von Shantung die größten im Mittleren Reich sind, aber du siehst zwischen ihnen aus wie eine siebenstöckige Pagode«, sagte der ältere der beiden Herren. Chang verbeugte sich geehrt. Er wurde ein Mitglied der Gilde, bekam Arbeit zugewiesen und zahlte seine Abgaben. Im Hafen lagen zehntausend Schiffe aller Formen und Größen. Obwohl Chang Ah Tai auf seinen Wanderungen zuweilen von solchen großen Schiffen vernommen hatte, so hatte er doch nur hingehört wie auf Märchen und Prahlereien. Aber da lagen sie im Wasser, größer als der Tempel am Berg. Sie konnten brüllen wie Tiere und schwarzen Rauch ausstoßen wie riesige Drachen. Es waren die Schiffe der Fremden Teufel, und sie hätten Chang Angst gemacht, wenn er gewusst hätte, was Angst war. Über lange, schmale, schwankende Stege trug er Kohlen auf seinem Rücken; eine Prozession von Männern schleppte Kohlen in den Bauch der großen Schiffe, kam zurück, lud neue Kohlen auf, zog über den Steg, eine Kette von Trägern, von Sonnenaufgang bis zur gelben Dämmerung. Sie sangen den Kuligesang, der wie ein Stöhnen klingt und dazu dient, den Atem zu regeln. Aber Changs Atem war groß und sicher. Im Hafen sah er zum ersten Mal die Fremden Teufel, von denen neuerdings so viel die Rede war. Sie waren hässlich und frech, und es hieß, dass sie kleine Kinder kochten und aßen. Chang, der Kindern sehr zugetan war, konnte nicht daran denken, ohne ein heißes Jucken in seinen großen Fäusten zu spüren. Die meisten Hafenträger hatten Angst vor den Fremden, aber er ging nahe an sie heran, maß seine Größe und Kraft gegen die ihre und war sicher, dass er stärker war als ihr Nummer-eins-Mann. Da Chang nun täglich Arbeit hatte, verdiente er fast immer genug, um zu essen. In den kleinen Gassen am Hafen entlang gab es Teehäuser für die Träger und Schiffer, und eine dichte Menge bewegte sich abends unter den Laternen auf und ab. Aus manchen der Häuser drang das Singen hoher Frauenstimmen, dort waren die Mädchen. Chang begann sich die zweite Schale mit Nudeln abzusparen und sammelte das Geld in seinem Gürtel, mit dem er sich das Vergnügen mit einer Hure kaufen wollte. Als er genug Kupfermünzen gespart hatte, um sie gegen zwei kleine Silbermünzen einzuwechseln, da ging er in das Teehaus, aus dem das Singen kam. Unten saßen Männer und aßen und tranken wie in jeder Schenke, aber eine schmale Treppe führte hinauf, und eine alte Frau zog ihn in ein kleines Zimmer. Sie fragte: »Wie viel Geld hat der Herr?« Chang Ah Tai zeigte seine zwei Silbermünzen, sie sahen klein und verloren aus in der großen Fläche seiner Hand. Die Frau verzog das Gesicht und spuckte aus. »Mit diesen Zwergen kommst du daher?«, sagte sie höhnisch. Ein Mädchen kam herein, Chang war so aufgeregt, dass er nicht sah, wie sie ausschaute, sein Blick war festgenagelt auf ihren bestickten, winzigen roten Seidenschuhen. Als er sich dem Mädchen näherte, stieß sie ihn zurück und begann zu lachen. »Geh fort, du stinkst«, rief sie aus, »ich habe nichts mit stinkenden Lastträgern zu tun!« Sogleich stimmte die alte Frau mit schriller Stimme ein und nannte ihn schwindlerisches Ei. Changs Gesicht brannte unter der Beleidigung. Er hatte gerade noch genug Geistesgegenwart, um das Mädchen eine magere, faule Hure und die Alte Enkelin einer Hündin zu nennen. Er steckte die zwei Silbermünzen wieder in den Gürtel, stieß mit dem Fuß einen hölzernen Eimer um, dass sich das Wasser über die Matten ergoss, und polterte über die Treppe davon.

Obwohl er den ätzenden und brennenden Vorgang zu vergessen suchte, musste doch etwas davon in irgendwelchen Falten seines Erinnerns zurückgeblieben sein. Denn Chang, der Lastträger, der bis dahin zufrieden gewesen war mit sich, glücklich, wenn er Essen und Schlaf hatte, begann von Ehrgeiz gequält zu werden. Stundenlang konnte er vor sich hin starren und dabei einen schönen Traum träumen. Darin geschah es immer so, dass er in das Haus der singenden Mädchen kam, in einer Sänfte getragen. Er stieg aus, er war in ein feines, seidenes Gewand gekleidet, und darüber trug er die Jacke aus schwerer, schwarzer Seide, die er bei ganz reichen Händlern gesehen hatte. Er hielt die Hände in den Ärmeln, betrat das Haus, und sein Diener schmiss eine Handvoll großer, schwerer Silberstücke auf den Boden. Die Mädchen warfen sich darauf und rauften sich um das Geld. Chang sah ganz genau die Mädchen, hörte den Klang der Silbermünzen. Ob er das Haus wieder verlassen würde mit der Bemerkung, dass die Mädchen zu alt und zu hässlich für einen Mann seiner Stellung seien, oder ob er ihnen gnädig gestatten würde, ihn mit ihren Künsten zu unterhalten, darüber war er sich in seinen Gedanken noch nicht einig. Und woher das Geld und der Aufstieg kommen sollten, das wusste er auch nicht, denn reich war reich, und arm war arm, und es führte keine Brücke vom einen zum andern.

Es kam aber in diesen Wochen zu dem großen Aufstand gegen die Fremden Teufel, und viele wurden getötet, denn so war der Befehl der Kaiserin, des Alten Tigers, aus der nördlichen Hauptstadt gekommen und überall verkündet worden. Chang rüstete sich mit einem alten Rasiermesser aus, das er am Markt erstand – denn er hatte es nun schon zu weit gebracht, um zu stehlen –, und er drang mit einer ganzen Bande in ein Haus ein und tötete zwei von den fremden Männern und eine Frau. Während die andern das Haus plünderten und zuletzt Feuer ansteckten, durchsuchte er in Ruhe die Kleider der Toten. Eingenäht in das Futter der fremdartigen Jacke des älteren Mannes fand er Papierscheine, mit fremden Zeichen bedruckt. Er wusste nicht, ob dies das Geld der Fremden war, aber es musste wertvolles Papier sein, sonst hätte der tote Teufel es nicht an seinem Leib versteckt. Mit seinem Messer schnitt er die glänzenden Knöpfe von der Jacke der Frau, denn auch sie sahen kostbar aus, und verließ das Haus, kurz bevor das Dach brennend einstürzte.

 

Als die Stadt sich wieder beruhigt hatte, vertraute Chang sich einem Geldwechsler an, und er bekam vierzig Tael für die fremden Papiere, Geld genug für einen Mandarin. Jetzt, da er seinen Traum wahr machen konnte, war es ihm leid, das gute, schwere Geld den Huren hinzuwerfen. Stattdessen ging er zu einem Pfandleiher, den er im Teehaus kennengelernt hatte, und bot ihm das Geld gegen Zinsen an, denn Geld zeugt Geld, das ist bekannt. »Ich muss Geld verdienen, denn es ist Zeit, dass ich eine Frau nehme und Söhne habe«, erklärte er dem Pfandleiher, der höflich lächelnd zuhörte. »So ist es, so ist es«, sagte er bestätigend. Er schrieb ein Papier, das Chang leider nicht lesen konnte, und behielt das Geld mit dem Versprechen, ihm monatlich ein Silberstück als Zins auszuzahlen. Er selbst verdiente sechs Silberstücke an der Summe, aber das wusste Chang noch nicht, obwohl er zu klug war, um ewig Lastträger zu bleiben.

Es erschienen fremde Schiffe im Hafen, Kanonen donnerten, und Regimenter fremder Soldaten kamen aus den Schiffsbäuchen. Sie sahen einer genauso wie der andere aus, und sie marschierten so steif, als wären sie nicht lebendige Leute, sondern aus Holz gemacht, um das Volk zu erschrecken. Ein paar große Kriegsherren kamen mit ihnen und übernahmen den Befehl über die Stadt. Die Soldaten begannen bald darauf, Befestigungen zu bauen, und es war nicht mehr davon die Rede, alle Fremden Teufel zu töten, denn es waren ihrer zu viele, und sie trugen Feuerstöcke über der Schulter.

Es geschah eines Nachts, als Chang friedlich summend am Hafen saß und in den Himmel schaute, an dem der Mond emporschwebte wie ein Boot, dass er Streit mit ein paar der fremden Soldaten bekam. Er war ausnahmsweise nicht in der Stimmung für eine Rauferei, denn die Nacht war schön, und er fühlte sich gut und zufrieden wie der kleine Mensch in dem Zeichen, der sich an den Himmel lehnt; aber die Soldaten, drei junge Kerle mit leeren Augen, waren betrunken und voll Mut, und sie wollten der Welt ihre großen Gesichter zeigen. Zuerst stießen sie Chang mit den Füßen an, sodass er das Gleichgewicht verlor und von der steinernen Hafenböschung ins Wasser fiel. Es schmeckte nach Schlamm und dem Schmutz der neuen, städtischen Abflüsse, und er kam triefend, atemlos, aber sehr zornig wieder heraus. Die Soldaten standen noch da, lachend, und riefen Dinge in ihrer barbarischen Sprache zu ihm hinunter. Chang Ah Tai trocknete das Wasser aus seinen Augen und sah sich die Soldaten an. Sie trugen kleine Schwerter an der Seite, aber sie hatten ihre Feuerstöcke nicht mitgebracht. Er besann sich auf den Donner der Schiffskanonen und wollte weggehen, triefend und beleidigt, wie er war. Sie riefen etwas hinter ihm her, und er hörte ihre lauten, hartsohligen Füße, die ihm folgten. Schmutzige Barbaren, dachte er, denn so waren sie in vielen Edikten genannt worden. Sie holten ihn ein, und einer verstellte ihm den Weg. Chang stieß ihn beiseite. Der Soldat fluchte, und zwar tat er es in Changs Sprache. »Eine Hure hat dich geboren, Vaterloser!«, rief er laut und deutlich. Chang hatte seine Mutter nicht gekannt, und er überlegte nicht, dass der Soldat den einzigen chinesischen Satz schrie, den er kannte. Er hob den Arm und schlug den Soldaten nieder wie mit einem Eisenhammer. Die zwei andern rissen ihn zu Boden. Er wehrte sich, denn nun war er voll Wut und Stärke. Er kniete auf der Brust des einen, drückte ihm seine Daumen in die Augenhöhlen und schlug seinen Schädel oft und mit aller Kraft gegen die steinerne Hafeneinfassung. Er spürte, wie der Mann unter ihm schlaff wurde und starb. Ihm selbst lief kalter Schweiß in den Mund, aber er stand auf, stieß die zwei andern zurück und rannte davon. Er hatte einen guten Atem und kannte den Hafen. In einem kleinen Boot unter dem Bug eines großen Schiffes versteckte er sich. Am nächsten Morgen wurde der Hafen nach ihm abgesucht. Seine Freunde von der Trägergilde hielten ihn für ein paar Tage versteckt, dann bekamen sie Angst. Sein bester Freund riet ihm zur Flucht, denn nun hatten die Fremden eine Belohnung auf seinen Kopf gesetzt, und es war sicher, dass jemand ihn verraten würde. Es war Herbst, mit grauen Nebeln über dem gelbroten Gebüsch der Laubhänge, als Chang sich wieder auf der Wanderschaft befand. Der Pfandleiher hatte sich geweigert, Changs Freunden seine vierzig Tael auszuliefern, und Chang selbst hatte es nicht gewagt, sich dem Mann in die Hände zu geben. Der Verlust schmeckte bitter. Aber anstatt sich zu kränken, gab er ihm einen neuen Antrieb, so wie damals der missglückte Besuch im Hurenhaus.

Zu Anfang des Winters schloss Chang sich einer Bande von Banditen und Räubern an, die im Gebirge in ein paar Hütten lebten. Es waren arme, frierende, hungrige Räuber, und was sie aus den Bauern der Gegend herauspressen konnten, war wenig. Ihrem Führer hatten sie den Namen Hung Tsi gegeben, der Rote, weil auf seiner linken Backe ein großes Feuermal saß. Er war ein Mann von langsamem Verstand und einer, der viel essen musste, um stark zu bleiben. Mager und abgezehrt war er und erzählte prahlerische Geschichten über den Mut und die Kraft, die er in vergangenen Abenteuern bewiesen hatte. Chang lachte ihn aus, denn er selbst spürte Hunger nur im Bauch und nicht in den Muskeln seiner Arme oder in der Unternehmungslust seines Herzens. Da die Bauern des Distriktes sich beim kaiserlichen Präfekten beklagt hatten, wurde eine Horde Soldaten gegen die Räuberbande ausgeschickt, und den Bauern tat es leid, dass sie das neue Übel zum alten gefügt hatten.

Bei einem Zusammenstoß wurde der Rote getötet; Chang brachte den Rest seiner Bande in Sicherheit und wurde ihr Führer. Im Frühjahr zog er mit ihnen flussaufwärts zu dem Berg und dem Tempel, den er kannte. Aber sie bewegten sich nicht an den viel begangenen gepflasterten Uferstraßen, sondern auf versteckten Wegen in den Hügeln. Chang hatte bessere und größere Pläne, und er war es müde, arme Bauern um ein Brot oder eine Handvoll Mehl zu pressen. Die Gegend war voll Elend, denn die Seidenwürmer waren krank geworden und gestorben, und die Maulbeerbäume nahmen sinnlos den Platz ein, wo Getreide gebaut werden sollte.

Es musste sich in den Jahren der Wanderschaft, der Rastlosigkeit und der harten Arbeit ein Ehrgeiz in Changs Herzen aufgestaut haben wie ein tiefes Wasser, dessen Grund nicht zu finden war. Er konnte es nicht aushalten, zu bleiben, wo er war, er musste fort zu etwas anderem. Vielleicht kam diese ungewöhnliche und seltene Friedlosigkeit davon, dass er auf einem fahrenden Boot, auf fließendem Wasser, gezeugt und geboren war. Wie immer dem sei, Chang Ah Tai als Führer einer Räuberbande gab sich nicht mit Geringem ab, sondern holte aus zu einem großen Schlag.

Er hatte in dem Dorf am Fuß des Tempelberges und unter den Trägern Spione, die ihm meldeten, wenn besonders reiche und vornehme Pilger ankamen. Auf diese Weise erfuhr er von der Wallfahrt des Bankiers Wu Tsing, der mit einigen Begleitern, aber ohne eigene Träger, mit dem Schiff angekommen war. Chang hielt seine Leute zurück, bis der Bankier seinen Aufenthalt abbrach und in der Dämmerung vom Tempel herabgetragen wurde. Er überfiel den Transport, die Träger liefen davon, denn sie waren mit im Spiel, die Begleiter des Bankiers wehrten sich gerade genug, um ihr Gesicht zu wahren, und flüchteten in eine Dschunke. Von einem entfernten Dorf aus nahmen sie Verhandlungen wegen des Lösegeldes auf und schickten Nahrung und warme Decken für den Gefangenen, der von zarter Gesundheit war. Chang Ah Tai tat sein Bestes, um den Bankier wie einen Gast zu behandeln, während seine Mittelsmänner mit den Mittelsmännern von Wu Tsings Familie in dem Dorf am Fuß des Tempelberges verhandelten. Er bediente ihn, erzählte ihm die Geschichten und Witze, die er auf seinen Wanderungen aufgelesen hatte, und es war schade, dass der Bankier aus dem Süden seine nördliche Sprache kaum verstand. Er spielte Pai Ku und Mah-Jongg mit ihm, Spiele, die er in den Teehäusern von Kiaochow gelernt hatte, und er saß mit leerem, nassem Mund dabei, wenn Wu Tsing die Speisen aß, die für ihn geschickt worden waren und die Chang redlich ablieferte. Auch Opium schickte die fürsorgliche Familie, und in der harmonischen Laune, in die der Rauch den Bankier versetzte, fand er zuletzt ein großes Gefallen an dem riesenhaften, jungen Räuber.

Wu Tsings Geschäfte gingen nicht zum Besten. Seine Gesundheit und Arbeitskraft waren durch Opium untergraben. Die Ärzte hatten ihm geraten, das Rauchen aufzugeben, und das hatte ihn mit argen körperlichen Schmerzen und großer Unruhe erfüllt. So war er zu dem großen Tempel gewallfahrtet, um sich Stille des Herzens und Gleichmäßigkeit des Gemütes zu erbitten und genug Stärke, um dem Übel entsagen zu können. Er hatte zur Pfeife gegriffen, als seine drei Söhne gestorben waren und er den Kummer nicht ertragen konnte.

Chang überdachte alles, was der Bankier ihm erzählte. Er dachte so inständig darüber nach, dass er nicht schlafen konnte. Als er genug gedacht hatte, machte er seinen Vorschlag. Er setzte das Lösegeld herunter und verlangte dafür eine Anstellung in der Bank des Herrn Wu Tsing, die sich weit im Süden, in der Stadt Hangchow am Westlichen See befand. Fantastisch wie diese Forderung zunächst erschien, so blieb doch dem Bankier zuletzt nichts anderes übrig, als sie zu erfüllen.

Vielleicht auch hatte sein müder Sinn sich dem starken, jungen Menschen so völlig zugewandt, dass er sich nicht gern von ihm trennte. Das Lösegeld wurde an Chang Ah Tais Bande verteilt, und Wu Tsing nahm Chang mit sich fort. Und damit begann der Weg, der aus Chang Ah Tai den Bankier Chang machte, einen der reichsten und einflussreichsten Männer Chinas.

»Ein Kuli, aber er hat kein Affenherz, sondern das Herz eines Löwen«, sagte Wu Tsing, als Chang der Bank die ersten zehntausend Tael einbrachte. Wu Tsing war ein müder, vorsichtiger Mann, und er hatte sein Geschäft so geführt, dass er kleine Darlehen an Geschäftsleute von gutem Ruf gab, die sicher waren, zurückzuzahlen. Aber wo keine Gefahr ist, da ist auch kein großer Verdienst, das wusste Chang, der nicht weiter zählen konnte, als seine Finger reichten. Er verstand es, rücksichtslos zu verdienen. Da er vor nichts Angst hatte, gelang ihm alles, und er errang seinen Reichtum so, wie er seine erste Schüssel Nudeln bekommen hatte: durch Gewaltsamkeit und Härte und Furchtlosigkeit. Er finanzierte die großen Familien, die Landbesitz hatten. Er beschlagnahmte ihre Felder, wenn sie nicht pünktlich zum neuen Jahr zahlten, und auf all dem Grund, den er so gewann, ließ er Opium anbauen. Eine Kiste Opium brachte über sechstausend Tael, mehr als eine Kiste Silber. Er bestach Beamte und machte sie von sich abhängig. Er half mit dem Geld der Bank, wann immer ein großer Mann, ein Magistrat, ein kaiserlicher Präfekt, es nötig hatte, um sein Gesicht zu behalten, und sie nannten sich daraufhin seine Freunde und dienten ihm in jeder Weise. Wu Tsing war zu seiner Opiumpfeife zurückgekehrt und ließ seinen jungen Teilhaber gewähren.

Für Chang, der aus dem Norden nach dem Süden kam, war es zunächst wie eine Reise in ein fremdes Land. Die Menschen sahen anders aus und redeten eine andere Sprache. Sie waren gelb und klein, und ihre Haut glänzte wie von Öl. Er selbst sah zwischen ihnen aus wie der rotgesichtige Tempelwärter im Tempel Linying, und sie lachten ihn aus, wenn er redete. Er ließ es sich gefallen und lachte gutmütig mit, lauter als sie alle. Nach einiger Zeit begriff er, dass er kein Fremder war, sondern schließlich auch ein Sohn des Han wie die Leute in Hangchow. Sein Chef, der Bankier Wu Tsing, gab ihm die erste Erziehung, und bald glänzte Chang wie ein blanker Silbertael von neuer Bildung und Höflichkeit. Als er begann, sich und die Bank reich zu machen, gab Wu Tsing ihm einen neuen, guten Namen. Von nun an nannte Chang sich nicht mehr Ah Tai, was eine achtungslose Bezeichnung war, gerade gut genug für einen elternlosen Kuli, sondern Bo Gum, das köstliche Gold.

»Ich bin reich genug, um mir Augen, Ohren und Verstand zu kaufen«, prahlte Chang Bo Gum. Er sandte um den armen Dorflehrer, in dessen Haus er einst gelernt hatte, die ersten acht Zeichen zu lesen. Der Lehrer kam dankbar, und Chang siedelte ihn mit seiner ganzen Familie in einem Außenhof seines Hauses an, denn auch ein Haus hatte er nun erworben. Es war das alte, ausgebreitete Haus einer großen Familie, die zugrunde gegangen war und es verfallen ließ. An den Außenmauern waren noch Reste der roten Bemalung zu sehen, Zeichen ehemaliger kaiserlicher Gunst. Das Haus lag an einem Hügelhang, nahe dem See, es hatte Höfe und Gärten, Bambus und Föhren, Teiche und winzige Brücken, Felsengruppen, künstlich aufgebaut, und schmale Wandelgänge und Galerien, die Häuser und Pavillone verbanden.

Der Lehrer verstand sich zwar schlecht auf den Dialekt dieser südlichen Gegend, aber er machte zierlich Gebrauch von der Mandarinsprache der Gebildeten, und etwas von dem Glanz seiner Erziehung fiel auch auf Chang, ebenso wie Changs Gold seinen Abglanz auf die Existenz des armen Lehrers warf. Chang Bo Gum nahm ihn überall mit, wo es darauf ankam, Papiere zu lesen. Er benützte ihn, wie alte Männer mit schwachen Augen ihre Brillen benutzen. An den Abenden aber saß er wie ein Kind mit Papier und Pinsel und lernte die schwere Kunst des Lesens und Schreibens. Er hatte es nicht nötig, zehntausend Zeichen zu kennen wie ein Student; nach einem Monat konnte er die meisten der zweihundertvierzehn Hauptzeichen unterscheiden, und nach einem Jahr wusste er etwa sechshundert Buchstaben; genug, um die Zeitungen, die Edikte, die Schilder und die Kontrakte zu lesen, die seines Weges kamen.

Wieder schickte er Boten nach der Provinz Shantung und befahl ihnen, nach dem Boot der Familie Chang zu forschen, das auf dem großen Fluss zwischen Senkuang und Gantsing Lasten beförderte. Der Lehrer schrieb einen schön geformten Brief, in dem Chang seiner Familie mitteilte, dass sein Haus Raum für sie alle habe und dass er, Chang, der Bankier, sie einlade, ihm die Freude und Ehre zu erweisen, seinen Reis zu essen. Da die Flussleute nicht lesen konnten, gab Chang seinen Boten die gleiche Nachricht noch in kürzeren Worten mit, und etwa drei Monate später, am vierten Tag des siebenten Mondes, kamen zwei seiner Boten zurück und meldeten, dass die ehrenwerte Familie des großen Herrn soeben durch das nördliche Stadttor gekommen sei. Chang ließ seine Sesselträger beordern, zog sein glänzendstes Gewand an, und auf den Schultern seiner Kulis, in seinem eigenen Palankin, kam er seiner Familie entgegen. Fr hatte zur Vorsicht elegante Kleider in Menge seinen Boten mitgegeben und ihnen eingeschärft, die Verwandten in standesgemäßer Weise in die Stadt einzuführen. Und da waren sie nun, sieben Bäuche, die Kinder eingerechnet; sein alter Onkel, mager und krumm, der jüngere Onkel mit Frau und Söhnen und die uralte Großmutter, die blind war und im Boot immer wie ein kleines schmutziges Kleiderbündel auf dem Boden gelegen hatte. Seine Schwester, krumm von der Arbeit, dürr wie eine Wurzel, in einem gestrickten Kleid, mit einem Fächer in der Hand, hustend und spuckend. »Selbst der Kaiser hat Verwandte mit Strohsandalen«, zitierte der Lehrer das alte Wort. Sie alle waren mit Stummheit geschlagen, als sie durch das metallbeschlagene, schwarze Tor in den ersten Hof von Changs Haus getragen wurden und der Torwächter sich vor ihnen bückte und ausrief: »Die große, ehrenwerte Familie des großen Herrn Chang ist gekommen!« Die Männer waren braun wie Holz und ihre Hände verbogen von schwerer Arbeit, und die Frauen und Mädchen hatten große Füße, die nie gebunden worden waren; aber Chang war ein zu starker Mann, um sich ihrer zu schämen. »Auf einem Boot bin ich geboren, ein Lastkuli bin ich gewesen«, sagte er oft ohne Scheu, und es klang fast wie Prahlerei. »Aber die Kraft meiner Ahnen, die in mir ist, hat mich auf den Platz eines reichen Mannes gestellt.« Er ordnete Ahnentafeln an und stellte sie auf, sodass er sich täglich vor ihnen verbeugen konnte, wie es in großen Familien üblich ist. Und da er viel Hunger gelitten hatte, so standen immer reichliche Opfer von Reis und Früchten vor dem Altar. An bestimmten Festtagen aber bot er den Vorvätern ganze gebratene Ferkel an. Für die alte Großmutter kaufte er einen guten Sarg und ließ ihn neben ihr Bett stellen, damit sie sich freuen solle. Und wenn sie auch blind war, so tastete sie doch mit ihren knorrigen Händen über das Holz und kicherte geschmeichelt wie ein junges Mädchen. Nur der alte Onkel konnte sich nicht enthalten zu sagen: »So bist du zu den Reisfressern übergegangen und hast bei den Zwergen dein Glück gemacht.« Und das sagte er, denn wenn Chang schon in der Provinz Östlich-der-Berge über die Leute herausgeragt hatte, so ging er hier im Süden wie ein Riese im Zwergenland umher. Zwei gute Köche hatte er ins Haus genommen, und bald wurde er so schwer und fett, wie er groß war, denn nun aß er alle die Speisen, von denen er zuvor nur geträumt hatte. Wu Tsing aber, der alte Bankier, nannte ihn Sohn und lobte ihn für alles, was er tat.

In der Unruhe und Wurzellosigkeit seiner Jugend war Chang längst über die Jahre hinausgewachsen, da seine Eltern ihn hätten verheiraten sollen, wären sie am Leben gewesen. Sein verunglücktes Abenteuer mit den Huren in Kiaochow hatte er ausgemerzt, und es gab hübsche, junge Sklavinnen genug in seinem Haus, die ihm für eine Handvoll Kupfer verkauft worden waren. Aber nun wurde er ungeduldig danach, Söhne zu zeugen, und Wu Tsing schickte seine eigene Frau aus, um die richtige Braut für Chang zu finden.

Lilien, die Lotosblume, war die Tochter eines Magistrats, dem die kaiserliche Auszeichnung des Korallenknopfes an seiner Mütze zuteilgeworden war. Es hieß, dass Lilien sechzehn Jahre alt und von feinster Bildung sei. Obwohl noch kein Mann sie gesehen hatte, da sie stets im inneren Hof ihres Vaterhauses sich aufhielt, war durch Sklaven und Sklavinnen das Gerücht ihrer Schönheit auf den Märkten und Straßen herumgetragen worden. Als Kind war sie einem Vetter dritten Grades verlobt, aber der junge Mann wurde auf einer Reise nach der nördlichen Hauptstadt, wo er sein drittes Examen ablegen sollte, in einem Gasthof am Weg beraubt und getötet. So war sie frei für andere Bewerber. Chang Bo Gum hatte seinen Willen dareingesetzt, mit dem Haus eines Beamten und Literaten verwandt zu werden. Liliens Vater, einer der größten und feinsten Herren der Provinz, war durch verschiedene Umstände in schwere Schulden geraten. Er hatte mit seinen Mitteln der Familie des getöteten Verlobten beistehen müssen, als sie Soldaten ausstattete, um die Mörder zu fangen und hinzurichten. Auch war er einer der wenigen gewesen, die dem alten, strengen, kaiserlichen Edikt gegen Opium gehorcht und auf ihren Ländereien den Anbau von Mohn aufgegeben hatten. Da er keinen Sold bezog, war er wie alle andern Beamten darauf angewiesen, durch die Macht seiner Stellung Geld aus den Leuten zu pressen. Aber der Magistrat hatte eine sanfte Hand und konnte keine Faust machen. Seine Einkünfte waren weniger geworden von Jahr zu Jahr, während er doch die Größe seines Haushaltes, den Luxus der Leichenbegängnisse, die Zahl seiner Diener, Sklaven und Kulis nicht einschränken, die kostspielige Gastfreundschaft und die Zahl der Geschenke, die er gab, nicht verkleinern konnte, ohne sein Gesicht zu verlieren. So hatte er da und dort große Summen ausgeborgt, die ihm mit großem Entgegenkommen gegeben worden waren. Viele der Geldverleiher mochten nicht an eine Rückzahlung gedacht, sondern sich mit den Zinsen zufriedengegeben haben und mit dem Vorteil, den es brachte, einem Magistraten zu Diensten zu sein. Von allen diesen Leuten hatte Chang diese Schulden an sich gebracht, und das gab seiner Bewerbung keinen geringen Nachdruck. Changs Rücksichtslosigkeit beim Eintreiben von Schulden war zu bekannt, und der Magistrat wusste, dass der Neujahrstag nicht vorbeigehen würde, ohne ihn Würde und Gesicht zu kosten, wenn er der Bank nicht zahlen könnte. So nahm er mit höflichem und undurchdringlichem Lächeln die unerwünschte Bewerbung an. Als er seine Tochter dem ehemaligen Kuli übergab, mochte er fühlen wie ein armer Mann, der sein Kind als Konkubine verkauft. Aber äußerlich ließ sich der feine, abgeklärte Mandarin nichts anmerken, die Papiere wurden unterzeichnet, und die Hochzeit fand mit allem Pomp statt. Die roten Atlasvorhänge des Palankin, in dem Lilien zu dem Haus ihres Mannes getragen wurde, waren so reich mit Gold gestickt, dass alle Leute auf den Straßen stehen blieben und ihre Bewunderung in lauten Rufen kundgaben. Auch folgte ein endloser Zug von Trägern mit Kleidern und Hausgerät, das teils für diese Schaustellung gemietet war und teils in der Tat zur Ausstattung der Braut gehörte. In den Tagen vor der Hochzeit wurden alle Geschenke im Haus des Magistrats ausgestellt, Besuche kamen und gingen und bewunderten die Haarnadeln und den Schmuck aus kostbarem Jade, den der Bräutigam seiner Braut geschickt hatte. Lilien aber saß mit ihren jungen Freundinnen und weinte, denn so verlangte es die Sitte, außerdem hatte sie große Angst vor dem Mann, von dem es hieß, dass er aussah wie ein riesiger Dämon.

Als Chang Bo Gum mit seiner Braut auf der Matte vor dem Ahnenaltar kniete und Wein und Reis mit ihr teilte als Zeichen der Vereinigung, da war er wieder so aufgeregt wie damals im Haus der Huren, und wieder sah er nichts als die winzigen Füßchen in den gestickten Schuhen. Auch Lilien schlug ihre Augen nieder, es ging ein bezauberndes Duften von Parfüm von ihr aus, und etwas später sah Chang auch ihre Hände: Finger wie geschnitztes Elfenbein. Seine Brust füllte sich mit einem großen Lachen. In der Vertrautheit der Nacht, hinter den zugezogenen Vorhängen des Ehebettes, nahm er sie zur Frau, und es machte ihn immer wieder lachen, zu fühlen, wie klein und fein gedrechselt sie war, ihre Haut wie feinste Seide, auf die Sonne geschienen hatte, ihre Glieder warm und nachgiebig und jung und sein Eigentum. Er konnte ihre feinen Rippen unter seinen Händen spüren, und er gab sich Mühe, nichts zu zerbrechen. Zum ersten Mal spürte er bei einer Frau das, was er sonst nur spürte, wenn er ein Kind hochhob. Aber er wusste nicht, dass es Zärtlichkeit war.

Lilien diente ihm von da an mit großer Höflichkeit, und er ertappte sich zuweilen dabei, dass er über sie nachdachte. Er hätte gerne gewusst, ob sie froh war oder trübe, ob sie ihn leiden mochte oder ob sie Angst vor ihm hatte. Aber ihre Augen blieben niedergeschlagen, ihre Stimme sanft und ihre Gebärden voll feinster Bildung und Höflichkeit, die nichts verriet. Da Chang nun diese seine Frau in seinem Bett hatte, kümmerte er sich wochenlang nicht um die Sklavinnen in den Höfen, und jedes seiner Glieder schien seine eigene Fröhlichkeit und Zufriedenheit zu besitzen. Auch begann er in dieser Zeit zum ersten Mal zu sehen, dass sein Haus nicht nur teuer und vornehm, sondern auch schön war. Die Fußböden mit Ning-po-Politur spiegelglatt gerieben, die Pfeiler, auf denen die schmalen Außengänge ruhten, rot lackiert, Fische mit Schleierschwänzen in den kleinen Teichen, Blumen und Bäume, Schatten und Duft in allen Höfen. Das Haus stand auf einem Hügel, und von der Galerie im dritten Hof konnte man auf den See hinunterblicken. Jenseits des Sees ragte fern eine schmale, hohe Nadelpagode auf, die Hügel lagen zufrieden in der Dämmerung, das Wasser war still und glatt, von dem Pavillon in der Seemitte bewegten sich Menschen, winzig, mit Laternen, über die Brücke-der-neun-Windungen durch den Abend uferwärts. Wildgänse zogen hoch oben dahin mit weichem Flügelschlag, Sinnbild der Ehe. Von den Booten am See wehten Musik und fernes Gelächter. In das Eingangstor seines Hauses ließ Chang das Symbol Yin und Yang schnitzen und mit Gold und Rot bemalen, und diesmal hieß es Mann und Frau. Sein Leben fühlte sich rund und geeint an, wie die zwei Zeichen, die einander ergänzen.

Im dritten Monat seiner Ehe meldete seine Schwester, dass seine Frau ein Kind in sich trage, denn Lilien hatte Vertrauen zu der älteren Frau gefasst wie zu einer Mutter. Von ihren Fingerspitzen hatte Chang seine erste Nahrung gesaugt, jetzt diente sie seiner jungen Frau mit untertäniger Freundschaft. Es war große Freude im Hause Chang, und die Frauen ließen sich in ihren verhängten Sänften zum Tempel der Purpurwolke tragen, um die Geburt eines Sohnes zu erbitten. Chang, im ersten Schwung seines Stolzes, lud Freunde ein, es wurde viel gegessen und noch mehr getrunken, und es gab viel Lärm und Schmutz in der Halle. Aber Chang war zu stark, als dass Wein ihm hätte etwas antun können, und am nächsten Morgen ging er mit hartem, klarem Kopf seinen Geschäften nach. Aber der sanfte Glanz und die Stille der ersten Wochen waren verflogen, und bald besuchte er wieder die Teehäuser als ein geehrter Gast und brachte leichtsinnige Mädchen ins Haus für eine Nacht oder für zehn Nächte.

Als die Zeit für die Geburt näher kam, ging Chang allein und heimlich die fünfzehn Li bis zum Felsentempel, der Im-Schatten-der-Geister genannt wird, etwas beschämt, denn Gebete waren die Angelegenheit der Weiber. Er wandte sich an den Glücksgott, Mi Lei Fo, zu dem er am meisten Vertrauen hatte, weil er fett war und lachte. Aber anstatt zu beten, Papiergeld zu verbrennen und Weihrauchstäbchen in die Behälter an seinem Altar zu stecken, drohte er dem Gott mit schlimmen Verwünschungen für den Fall, dass ein Mädchen geboren werden sollte, und versprach ihm den Wert von hundert Tael an Geistergeld und Kerzen für die Geburt eines Mannkindes. Denn Chang war ein guter Geschäftsmann und zahlte nicht für ungelieferte Ware. Der Gott schien sich Drohungen und Versprechungen zu Herzen zu nehmen, denn am siebenten Tag des achten Monates gebar Lilien einen Sohn mit goldener Haut, und als er den winzigen Mund aufriss, um zu schreien, da sahen die Frauen, dass der Neugeborene schon einen Zahn besaß, was ein großes Wunder war und auf unbegrenzte Macht in der Zukunft schließen ließ. Der Nekromant, der den Aspekt seiner Geburtsstunde bestimmte, verhieß, dass der erste Sohn des Hauses Chang ein Führer von Tausenden sein würde, mit größerer Macht als ein Kriegsherr. Doch verschwieg er, dass die Sterne frühen Tod prophezeiten.

Der Sohn erhielt den Namen Yu Tsing, das heißt Ein Stern, weil der glänzende, kleine Zahn in seinem Mund wie ein Stern aussah und weil im Märchen der Mann mit einem Sternenmal der Führer von Tausenden wurde. An seinem ersten Geburtstag kamen alle die Verwandten und Freunde, um Glück zu wünschen. Sie zeigten dem Kind allerhand Gegenstände: Geld und Jade, Pinsel und Bücher, eine Flöte und ein Schwert. Wonach er griff, daraus konnte seine Zukunft erraten werden. Aber Yu Tsing nahm nichts von dem Dargebotenen, sondern stieß mit seinen winzigen Fäustchen um sich, sodass alles hinunterfiel. Chang, der Vater, lachte laut heraus. »Er will ein Kuli werden wie sein Vater einer war«, rief er belustigt.

Zwei Jahre nach der Geburt dieses Sohnes kam ein neues kaiserliches Edikt gegen den Anbau und Gebrauch von Opium heraus, und dieses Edikt, das eine Frist von drei Jahren für die gewöhnlichen Leute setzte, aber den Beamten und Mandarinen mit schwersten Strafen drohte, die sich das Übel nicht während eines halben Jahres abgewöhnen konnten, wurde von den Verwaltern der Ortschaften, Distrikte und Provinzen sehr ernst genommen. Changs Schwiegervater setzte sich mit großer Kraft und Strenge für die Durchführung in seinem Distrikt ein und riet den Bauern, mehr Tee zu bauen, den berühmten Tee von Chekiang. Aber Chang Bo Gum, der eine Quelle riechen konnte, wenn sie noch drei Li entfernt war, hatte auch eine gute Witterung für Geld. Wurde weniger Opium angepflanzt, dann musste es teurer werden, war seine einfache Rechnung. Er besprach sich mit seinem alten Parmer, der die meiste Zeit in einem zufriedenen Halbschlaf verbrachte, und an einem der nächsten Tage ließ er sich zu dem Hause der Feuerwagen tragen, das kürzlich außerhalb der Stadt erbaut worden war. Er stieg ohne Angst in einen der häuserartigen Wagen, die hinter dem Kopf des drachenartigen Ungetüms hingen, und reiste nach der Stadt am Meer, Shanghai.

Schon vorher hatte Chang Bo Gum in seiner Bank öfter mit den Fremden zu tun gehabt, wenn sie Grund pachten wollten, der im Besitz der Bank war. Er machte gern Geschäfte mit ihnen, denn sie waren zu dumm, um den Preis herunterzuhandeln, man brauchte keine Zeit an Höflichkeiten zu verlieren, da sie selbst nichts von guten Manieren wussten, und was sie versprachen, das hielten sie. Er lachte darüber, dass seine Freunde die Fremden Teufel nannten, denn Teufel sind klug und schlau, und diese Rothaarigen waren gerade das Gegenteil. Sie taten unerklärliche Dinge, sammelten neugeborene Mädchen auf und fütterten sie, anstatt sie umzubringen oder zu verkaufen, sie hielten Schule für Kulikinder, deren Väter nichts dafür bezahlen konnten, sie ermunterten alle Kranken der Stadt, in ihr weißes Haus zu kommen, legten sie in gute, saubere Betten, gaben ihnen Medizin und machten sie in einzelnen Fällen sogar gesund; alles ohne Bezahlung und ohne irgendeinen sichtbaren Grund. Seit das Opiumedikt herausgekommen war, taten sie etwas Neues. Sie versuchten, denen, die Angst vor der Strafe hatten und sich das Rauchen abgewöhnen wollten, zu helfen, wenn die Schmerzen unerträglich wurden und sie vor Hunger nach dem Großen Rauch tobten und sich krümmten wie Würmer. Sie nahmen sie in ihr Haus, sperrten sie ein, gaben ihnen mildernde Medizinen und bewachten sie, bis sie von dem lasterhaften Übel geheilt waren. Lachend versuchte Chang, seinem alten Partner den Unverstand der Fremden zu erklären. »Zuerst schmuggeln sie das Gift ins Land. Mit dem Geld, das sie dafür verdienen, bauen sie ihre sinnlosen Schulen und Krankenhäuser. Dann gehen sie hin und heilen die Leute von dem Opium, das sie ihnen verkauft haben. Wenn niemand mehr im Mittleren Reich Opium rauchen wird – wo werden sie das Geld hernehmen für sich und ihre Diener?« Wu Tsing schüttelte den Kopf und konnte nichts sagen als: »Sie sind Teufel, und sie sollten vertrieben werden.«

Chang hatte einen seiner Neffen in die Schule der Fremden geschickt, damit er ihre Sprache lerne. Nun hatte er den jungen Mann in seine Bank genommen, damit er ihm bei den Verhandlungen mit den Fremden als Dolmetscher diene. Aber er traute ihm nicht ganz und war sicher, dass er mehr verdienen könnte, wenn er sich selbst auf die Sprache verstünde. So ließ er sich von dem Neffen die Schriftzeichen und die Worte dieser dummen Teufel erklären und fand bald heraus, dass sie in Wahrheit Barbaren waren, wie sein geehrter Schwiegervater immer sagte. Ihren Bauch voll Buchstaben konnte ein dreijähriges Kind in einem Tag sich merken; und ihre Sprache war arm und hatte nur einen Ton und ein Wort, wo die eigene Sprache fünf Töne und fünfzig Wörter hatte. Um dieser Armut abzuhelfen, verbogen und verwickelten sie ihre Wörter, damit sie wie etwas Feines aussehen sollten; aber für diese Verbiegungen verlor Chang keine Zeit.

In dem Wagen, der ihn schneller als ein Sturm davontrug, saßen zwei Fremde, die er noch nie gesehen hatte. Chang versuchte seine Sprachkenntnisse an ihnen, und nicht nur verstanden sie ihn, sondern sie schienen von Freude überwältigt, dass er mit ihnen reden konnte. Er trank Tee mit ihnen, in dem Jasminblüten schwammen, und ein Diener ging herum und goss dampfendes Wasser nach, sooft er ausgetrunken hatte. Chang hatte dem Beamten im Stationshaus nicht geglaubt, dass die Reise nach der fernen Stadt wirklich nur so kurz dauern konnte, wie er behauptete. Daher hatte er einen Diener mitgenommen, der zitternd in einer Ecke saß und in einem großen Bündel Essensvorrat für seinen Herrn auf dem Schoß hielt. Chang lud die Fremden ein, an einer Mahlzeit teilzunehmen, und es wurde zuletzt ein Fest, an dem alle Mitfahrenden ihre Freude hatten. Die Fremden brachten Flaschen zum Vorschein, in denen sie ihre starke, brennende Sorte von Wein hatten, und wäre Chang nicht ein Riese im Trinken gewesen wie in allem andern, dann hätte sich sein Kopf gedreht. Sein Diener jedenfalls, obwohl er nichts getrunken hatte, wurde krank von der Schnelligkeit und übergab sich in der Ecke. Zwei andere Reisende fielen auf den Boden und schliefen dort ein, während Chang Melonenkerne kaute und die Schalen geschickt auf sie spuckte.

Obwohl es in Shanghai sehr viel zu wundern gab, verbrachte Chang keine Zeit mit Wundern. Er war zufrieden, dass es Häuser gab, so groß unter den Häusern, und Schiffe, so groß unter den Schiffen, wie er selbst unter den Männern war. Er suchte Wu Tsings Geschäftsfreunde auf, die ihn wieder bei ihren Geschäftsfreunden einführten. Er fand, dass, wo er zehntausend Tael verdient hatte und sich für groß gehalten, da verdienten diese Banken hunderttausend. Shanghai war das offene Tor, durch das Opium ins Land einströmte. Die Fremden hielten sich nicht an das Edikt, und die Gesetze, die aus der nördlichen Hauptstadt kamen, galten ihnen nichts. Auch ging ein unterirdisches Gemurmel von Unzufriedenheit durch die Chinesenstadt von Shanghai, und Chang vernahm zum ersten Mal, dass einige Provinzen entschlossen seien, die Herrschaft der Mandschu abzuwerfen. In einem Teehaus stand ein junger Mann auf, der zu viel gelben Reiswein getrunken hatte, und hielt eine Rede. »Wie lange wollen wir noch mit langen Zöpfen herumlaufen wie gezeichnete Sklaven oder wie Büffel, denen ihr Herr ein Merkmal eingebrannt hat? Als Zeichen der Unterwerfung haben die fremden Unterdrücker uns dies anbefohlen, und wir gehorchen wie Schafe. Ein Zopf auf dem Hinterkopf eines Chinesen ist wie ein Zeichen: Sklave der Mandschu. Wer regiert das Mittlere Reich? Der Alte Tiger? Die Palasteunuchen in Peking, die Mandarine, die uns das Mark aus den Knochen pressen, damit sie fett und faul werden? Wann wirst du erwachen, China, und die Ketten abschütteln?«

Chang fühlte verblüfft nach seinem langen, glatten Zopf, auf den er immer stolz gewesen war. Man lernt Neues in dieser Stadt, dachte er verwundert. Ein älterer Mann mit den krummen Schultern des Scholaren sagte halblaut, und seine Stimme klang vernünftig nach den großen Worten, die der Junge in den Mund genommen hatte: »Konfuzius lehrt: Ein guter Mann im Dienst des Herrschers ist immer bestrebt, die äußerste Treue in Gegenwart seines Herrn zu zeigen, und überdenkt in seiner Mußezeit, wie die Fehler gutzumachen sind, die sein Herr begangen haben mag.« Der junge Mann sprang nochmals auf. »Konfuzius hat unsre Behörden nicht gekannt«, schrie er. »Er hat nicht gelehrt, dass wir Dieben und Erpressern gehorchen sollen, die unsere Reisschüsseln zerbrechen. Er hat gelehrt: Widersetze dich dem falschen Befehl.« Seine Stimme schlug um vor Erregung, in einer Ecke krähte jemand, wie ungeschickte, junge Hähne krähen, jemand rief: »Ohne Zöpfe wird man uns auslachen wie schwanzlose Hunde«, und alles löste sich in Gelächter auf.