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Der alternde Casanova Harald Stenz wird tot in seinem Bett aufgefunden. Hat er sich etwa zu viel zugemutet? Für den herbeigerufenen Kommissar Pfeiffer von der Bad Frankenberger Mordkommission ist die Sache schnell klar: Herzversagen infolge andauernden Beischlafs. Ohne weitere Ermittlungen wird der Fall zu den Akten gelegt. Aber Hobbydetektivin Bea von Maarstein ist da anderer Meinung. Zusammen mit dem Dorfpolizisten Sven Grüneis und ihrem Papagei Dr. Jekyll begibt sie sich auf Spurensuche ...
"Casanova muss sterben" ist der zweite Roman der neuen Regio-Krimi-Reihe "Hummelstich" von Katharina Schendel.
Zur Serie: In Hummelstich scheint die Welt noch in Ordnung zu sein: Die Dächer der niedlichen Fachwerkhäuser funkeln und glitzern unter strahlend blauem Himmel und die Bewohner gehen emsig ihrem Tagewerk nach. Aber der schöne Schein trügt - denn hinter der Bilderbuchfassade tun sich mörderische Abgründe auf ... Aber zum Glück ist die energische Hobbydetektivin Bea von Maarstein vor Ort! Zusammen mit ihrem persönlichkeitsgestörten Papagei Dr. Jekyll und dem Dorfpolizisten Sven Grüneis löst sie jeden noch so verzwickten Fall.
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Seitenzahl: 211
Cover
HUMMELSTICH – Die Serie
Über diese Folge
Die Charaktere
Über die Autorin
Titel
Impressum
1. Ein Bulle beißt ins Gras
2. Zwei gute Freunde kehren heim
3. Wenn der Sensenmann dreimal klingelt
4. Viererlei Spuren
5. Das Fünf-Minuten-Urteil
6. Sechs hysterische Frauen
7. Das Zeichen der Sieben
8. Das Nachtkonzert
9. Die neunschwänzige Katze
10. Zehn nackte Friseusen und andere Zwischenfälle
11. Die verliebte Apothekenhelferin
12. Ein Glaspalast voller Zweifel
13. Dreizehn Mann auf des toten Manns Kiste
14. Ein Vier-Gänge-Menü zum Frühstück
15. Mühlgrabenweg 15
16. Sechzehn potenzielle Erben
17. Allein gegen sieben
18. Achtzehn Milliampere
19. Neun Lilien, zehn Rosen
20. Mörderjagd 2.0
21. Formular Nummer einundzwanzig
22. Torero XY-22
23. Dreiundzwanzig endlose Minuten
24. Vierundzwanzig Stunden eitel Sonnenschein
25. Das fünfundzwanzigjährige Jubiläum
26. Der sechsundzwanzigste Buchstabe des Alphabets
27. Siebenundzwanzig Axthiebe
28. Achtundzwanzig goldene Haare
29. Wie vor neunundzwanzig Jahren
30. Dreißig Wochen später
Rezept für Hummelkuchen
Glossar
In der nächsten Folge
In Hummelstich scheint die Welt noch in Ordnung zu sein: Die Dächer der niedlichen Fachwerkhäuser funkeln und glitzern unter strahlend blauem Himmel und die Bewohner gehen emsig ihrem Tagewerk nach. Aber der schöne Schein trügt – denn hinter der Bilderbuchfassade tun sich mörderische Abgründe auf … Aber zum Glück ist die energische Hobbydetektivin Bea von Maarstein vor Ort! Zusammen mit ihrem persönlichkeitsgestörten Papagei Dr. Jekyll und dem Dorfpolizisten Sven Grüneis löst sie jeden noch so verzwickten Fall.
Der alternde Casanova Harald Stenz wird tot in seinem Bett aufgefunden. Hat er sich etwa zu viel zugemutet? Für den herbeigerufenen Kommissar Pfeiffer von der Bad Frankenhausener Mordkommission ist die Sache schnell klar: Herzversagen infolge andauernden Beischlafs. Ohne weitere Ermittlungen wird der Fall zu den Akten gelegt. Aber Hobbydetektivin Bea von Maarstein ist da anderer Meinung. Zusammen mit dem Dorfpolizisten Sven Grüneis und ihrem Papagei Dr. Jekyll begibt sie sich auf Spurensuche …
Bea von Maarstein, 63 Jahre, kosmopolitische Hobbydetektivin, verwitwet, schrill, exzentrisch, lebensfroh, erbt in Hummelstich das Haus ihrer besten Freundin Henrietta von Eichhorn, fährt einen Bücherbus.
Dr. Jekyll, Beas persönlichkeitsgestörter Papagei, ein hellroter Ara, smart und kratzbürstig, hält sich aufgrund einer Fehlprägung als Jungvogel für einen Menschen.
Sven Grüneis, 30 Jahre, Dorfpolizist und Landwirt, naiv und unerfahren, pflichtbewusst und stets korrekt, hat das Herz am rechten Fleck.
Borwin Wandelohe, 56 Jahre, Halbspanier, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Friseurkunst, quirlig, fröhlich, verbreitet stets gute Laune, exzellenter Hobbykoch, begeisterter Theater- und Zirkusfan, liebt es sich zu verkleiden.
Kurt Pfeiffer, 55 Jahre, Kommissar der Bad Frankenberger Mordkommission, leitet die Ermittlungen, leidet unter zahlreichen Phobien, möchte am liebsten nichts mit dem Fall zu tun haben.
Katharina Schendel wurde an der Küste geboren, hat fränkische Vorfahren und mag alles, was schief ist. Nach ihrer Schulzeit verbrachte sie mehrere Jahre in Metropolen wie Tokio und London. Heute lebt sie mit ihrer Familie in einer thüringischen Kleinstadt und geht mit Leidenschaft dem Schreiben von Kriminalromanen nach.
Casanova muss sterben
beTHRILLED
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Dorothee Cabras
Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer
Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven artJazz/gettyimages; esemelwe/istockphoto; Bernhard Richter/istockphoto; bannafarsai/AdobeStock
Karel Broz/istockphoto; Yuliya/istockphoto; Davros/istockphoto; Pedro Neves/istockphoto; Mike Bentley/gettyimages
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-0151-8
www.luebbe.de
www.lesejury.de
In Hummelstich gingen langsam die Lichter aus. Einem scheinbar perfekt ausgetüftelten Plan folgend, erloschen die Lampen und ließen das kleine Dorf in immer tiefere Dunkelheit sinken. Der runde Mond schaute noch eine Weile auf das abendliche Schauspiel herab, dann verbarg er sein Gesicht hinter dicken, weichen Wolken. Eine undurchdringliche Schwärze breitete sich aus und überrollte die kleine Gemeinde so rasch wie eine La-Ola-Welle.
Erschöpft von ihrem Tagwerk schlüpften die Bewohner in ihre Pyjamas und kuschelten sich in ihre warmen Federbetten. Hier und da hörte man ein lang gezogenes Gähnen, wieder woanders erklangen monotone Schnarchgeräusche, und Fuchs und Hase raunten sich ein freundliches »Gute Nacht« zu. Bald lag fast ganz Hummelstich in süßem Schlummer.
Bereits am späten Nachmittag hatte man die Bürgersteige hochgeklappt, und weder Mann noch Maus hatten sich seitdem auf den Straßen blicken lassen. Daran war beileibe nichts Ungewöhnliches. Wo hätten sie auch hingehen sollen? Die wenigen Geschäfte waren längst geschlossen, und da im Wirtshaus Zum Goldenen Lamm montags Ruhetag herrschte, schied auch diese Möglichkeit aus. So richtig traurig war darüber niemand.
Nicht, dass die Hummelstichler besonders ungesellig gewesen wären, oh nein. Einem feuchtfröhlichen Gelage waren sie nun wirklich nicht abgeneigt. Doch diesen einen Abend in der Woche verbrachten sie gern in den eigenen vier Wänden. Denn daheeme – da waren sich die Hummelstichler einig – war es sowieso am schönsten.
Kurz nach Einbruch der Nacht zog ein Sturm auf. Regen ergoss sich auf die Wiesen und Felder, und der Wind heulte so laut, dass man glauben konnte, ein Rudel hungriger Wölfe überfalle das Dorf. Wilde, orkanartige Böen rüttelten an den Fensterläden und zerzausten Bäume und Sträucher. Immer ärger tobte der Sturm, und in der Ferne erhob sich ein noch bedrohlicheres Geräusch. Es klang, als würden die Dämonen der Finsternis ein höllisches Besäufnis feiern und dabei riesige monströse Pauken schlagen. Es knallte, rumpelte und dröhnte, dass einem angst und bange werden konnte. Gleißend helle Blitze zuckten am nachtschwarzen Firmament und tauchten die Landschaft in ein schaurig diffuses Licht. Das Grollen des Donners kam unaufhaltsam näher.
Auf einer großen, umzäunten Weide scharrte Schimanski mit den Vorderhufen und warf angriffslustig den Kopf in den Nacken. Dieses Unwetter konnte ihm nichts anhaben. Es schoss so viel Testosteron durch seine Adern, dass er weder den Regen noch die Kühle der Nacht als unangenehm empfand. Im Gegenteil, es schien ihm, als verdunsteten die Wassertropfen, die auf seinem durchtrainierten Körper auftrafen, gleich wieder. Auch Blitz und Donner erschreckten ihn nicht. Was sollte schon passieren? Seine Muskeln waren so hart wie Stahl, seine Hörner so gefährlich wie zwei Säbel.
Er sah zu der kleinen Kuhherde hinüber, die eng zusammengerückt war und unter einem hohen Baum Schutz gesucht hatte. Im Licht der Blitze konnte er sehen, wie ihre nassen Leiber zitterten. Typisch Weiber. Machten sich bei jeder Kleinigkeit Sorgen. Zum Glück war er, der Inbegriff der Männlichkeit, aus einem anderen Holz geschnitzt. Wahrlich, es gab nichts, wovor sich Schimanski fürchtete.
Was für ein potenter Prachtkerl er doch war! Bisher hatte er bereits eine beeindruckende Zahl an Kälbern gezeugt, die sich munter auf allen fünf Kontinenten tummelten. Auf diese Leistung war er mächtig stolz. Er war einer der besten Braunviehvererber der Welt. Das musste ihm erst mal einer nachmachen!
Wenn Schimanski einmal gerade nicht mit Fortpflanzung beschäftigt war, dann stand er am liebsten am Ufer des kleinen Weihers und schaute auf sein Spiegelbild hinab. Er konnte sich gar nicht sattsehen an seinem Astralkörper. Die beeindruckende Statur, die kraftstrotzenden Lenden, der massige Schädel …
Noch mehr Blitze erhellten den Himmel, und der unmittelbar darauf folgende Donner war so gewaltig, dass es Schimanski vorkam, als würde er von einer Druckwelle erfasst werden. Ein angenehmes Kribbeln drang durch seine Haut. Sein feuriger Blick streifte die kleine Kuhherde, und Schimanski spürte plötzlich ein unstillbares Verlangen. Wenn er doch nur an seinen Harem herankommen könnte! Seine Hoffnungen wurden jedoch von einem dieser widerlichen Elektrozäune zunichtegemacht, die der Bauer zwischen ihn und die Kühe gespannt hatte. So ein alter Spielverderber!
»Spar dir deine Kräfte lieber für den Tag auf«, hatte Butterblum zu ihm gesagt und ihm die Stirn gekrault.
Pah, wenn der wüsste! Seine Kräfte reichten für den Tag und für die Nacht! Nur weil beim ollen Bauern im Bett nichts mehr lief. Diese verweichlichten Menschen mit ihren Potenzstörungen. Es war ein Wunder, dass sie noch nicht ausgestorben waren. Zum Glück war er ein Rindvieh.
Die Bäuerin hingegen schien weniger ein Kind von Traurigkeit zu sein. Jedenfalls hatte Schimanski sie einmal mit einem Fremden im Stall bei der Paarung gesehen. Da war es ganz schön zur Sache gegangen. Richtig animalisch. Schimanski war richtig beeindruckt gewesen. So viel hemmungslose Leidenschaft hatte er den schwächlichen Zweibeinern gar nicht zugetraut.
Schimanski stemmte die Beine noch fester in den Boden und schaute in den schwarzen Himmel hinauf. Die feinen weißen Linien, die sich dort immer mehr verästelten, waren wirklich hübsch anzusehen. Überall zuckten sie nun auf, mal größer, mal kleiner. Mal mehr, mal weniger hell.
Noch einmal blickte er lüstern zu den Kühen hinüber. Sein Verlangen wurde immer größer. Vielleicht sollte er den dämlichen Zaun einfach niederrennen. So ein kleiner Stromschlag würde ihn schon nicht umbringen. Er scharrte mit den Hufen und warf übermütig den Kopf hin und her. Da schoss mit einem lauten Donnergrollen ein weiterer Blitz vom Himmel herab und schlug direkt zwischen Schimanskis Augäpfeln ein. Mehrere Hundertmillionen Volt erschütterten seinen strammen Astralkörper und ließen ihn wie eine verbrannte Riesenbulette zu Boden gehen. Doch davon spürte Schimanski freilich nichts mehr.
Während sich der Tag dem Ende zuneigte und die meisten Hummelstichler bereits selig schlummerten, tanzten die Bewohner eines Hauses völlig aus der Reihe. In dem stattlichen und frisch renovierten Hauptgebäude eines großen Bauernhofes, an den weitläufige Wiesen und Felder sowie ein hübscher Obstgarten grenzten, dachte in dieser Nacht niemand ans Schlafengehen. Aus dem Schornstein kletterten munter kleine Rauchwolken empor, und fröhliches Gelächter drang, vermischt mit neugierigem Geplapper, durch die angelehnte Verandatür. Es duftete nach Braten und Zitronenkuchen, und in den hohen Fensterscheiben spiegelten sich die Lichter unzähliger Kerzen wider. Eine heitere Musik nuddelte mit einem leicht blechernen Beiklang vor sich hin, so als hätte jemand ein altes Trichtergrammofon eingeschaltet.
Im Hühnerstall, der zwischen dem Wohnhaus und einem gewaltigen Misthaufen lag, reagierte das Federvieh auf die ungewohnte nächtliche Ruhestörung mit lautem Gegacker. Die siebenköpfige Hühnerschar war so etwas wie die Dalton-Bande im Dorf und hatte sich durch diverse kriminelle Machenschaften einen höchst zweifelhaften Ruf erworben. Obwohl sie weder besonders groß noch sonst in ihrer äußeren Erscheinung irgendwie Furcht einflößend waren, zollte man ihnen stets den allergrößten Respekt. Kein Fuchs hatte es je gewagt, sich an ihnen zu vergreifen.
Unterdessen schickte das herannahende Unwetter bereits die ersten kleinen Regentropfen zur Erde, und auch die Launen des Windes ließen nichts Gutes erahnen. Von alledem unbeeindruckt, schlenderte eine alte graue Katze vorbei und hielt direkt auf ein riesiges Fahrzeug zu, das in der Nähe des Bauernhauses geparkt war. Es war ein wahres Ungetüm von einem Bus, mit verbeulter Karosserie und einer höchst merkwürdigen Lackierung. Beide Seiten des Vehikels waren mit der Abbildung prall gefüllter Bücherregale versehen. Jeweils darüber stand in großen markanten Lettern BÜCHER AUF RÄDERN – BEAS LEIHBIBLIOTHEK geschrieben.
Der Besitzer des Gehöfts, Sven Grüneis, saß an einem langen Tisch im Zentrum seiner gemütlichen Wohnküche und freute sich fast ein Loch in den Bauch. Er hielt ein volles Sektglas in der einen Hand, mit der anderen schaukelte er sanft eine hölzerne Wiege.
»Auf euch, meine lieben Freunde! Auf euch und auf eure Rückkehr!« Er prostete einer bunt gekleideten Frau mit kurzen feuerroten Haaren sowie einem kleinen Mann mit einem gezwirbelten Schnurrbart zu. Die beiden hatten auf der anderen Seite des Tisches Platz genommen und grinsten wie zwei Honigkuchenpferde.
»Wie schön, dass ihr wieder da seid«, pflichtete Sara Grüneis ihrem Mann bei, setzte sich auf den Stuhl neben ihm und erhob ebenfalls ihr Glas.
»Cheers«, rief die rothaarige Frau und kraulte den Kopf eines fidelen Papageis, der so bunt war wie sie selbst und, auf ihrer linken Schulter sitzend, zärtlich an ihrem Ohrring knaubelte.
»Salute«, stimmte auch der Schnurrbartträger mit ein. Dann stießen alle vier miteinander an.
»Suffköppe«, zeterte der Papagei und schlug nun mit seinem krummen Schnabel gegen den Ohrring, als wäre der eine Boxbirne. »Schluckspechte. Trinknasen.« Er plusterte sich auf und legte den Kopf schief, als überlegte er, ob ihm noch weitere Beschimpfungen einfielen.
»Sei nicht so streng mit uns, Dr. Jekyll«, kam ihm Scarabea von Maarstein zuvor und lachte erst leise, dann immer lauter, bis sie auch die anderen damit angesteckt hatte. Selbst der Ara gab schließlich ein zufriedenes Glucksen von sich.
Sven Grüneis musterte Scarabea mit unverhohlener Bewunderung und stellte zufrieden fest, dass sie sich überhaupt nicht verändert hatte. Sie war noch immer so schillernd und flippig, wie er sie in Erinnerung gehabt hatte. So voller Tatendrang und jugendlichem Elan, so charismatisch und lebensfroh, dass sie jedes Herz im Sturm eroberte. Noch immer konnte er nicht glauben, dass sie schon vierundsechzig Jahre alt sein sollte.
Auch Borwin Wandelohe schien seit ihrem letzten Wiedersehen um keinen Tag gealtert zu sein. Im Gegenteil, er sah gesünder aus denn je. Offenbar war dem drallen Halbspanier die Weltreise gut bekommen. Da werden wohl einige im Dorf aufatmen, dachte Sven. Denn Borwin besaß den einzigen Friseurladen im Ort, und er war bei seinen Kunden so beliebt, dass er selbst in den umliegenden Städten und Gemeinden als Geheimtipp galt. Besonders seine ansteckende Fröhlichkeit und die aufgeschlossene Art hatten die Menschen vermisst.
»Kaum zu glauben, dass es bald ein Jahr her ist, seit wir hier das letzte Mal zusammensaßen«, sagte Borwin und strich sich über den schwarzen Schnurrbart.
Bea setzte den Papagei auf eine Sitzstange aus Kaffeeholz, die neben dem Tisch aufgebaut war. »Ja, die Zeit verging wirklich wie im Flug.« Sie befestigte einen Hirsekolben an dem Freisitz, und Dr. Jekyll beäugte ihn erst skeptisch, bedankte sich dann aber mit einem kurzen Pfeifen.
Sara Grüneis lächelte. »Wenn man wie ihr durch die Welt tingelt und von einem Abenteuer zum nächsten reist, ist das kein Wunder. Doch hier auf dem Land ticken die Uhren um einiges langsamer.«
Da tauchte unter dem Tisch ein zotteliger Hund auf und legte den klobigen Schädel auf Saras Schoß.
»Na, Krümel, willst du noch ein Leckerli?«, fragte sie, stand auf und ging in eine andere Ecke des Raumes. Der Hund folgte ihr auf dem Fuß.
»Im Ernst, wir haben schon ziemlich oft an euch gedacht«, griff Sven Grüneis den Faden wieder auf. »Besonders an dich, Bea.« Ein sorgenvoller Ausdruck huschte über sein junges Gesicht. »Von Borwin haben wir ja ab und zu eine Postkarte erhalten. Nur von dir kein einziges Wort.« Der Versuch, es nicht wie einen Vorwurf klingen zu lassen, scheiterte kläglich.
»Tut mir leid«, sagte Bea und biss sich schuldbewusst auf die Unterlippe. »Ihr wisst doch, wie schreibfaul ich bin.«
Sven Grüneis verschränkte die Arme. »Nun, dafür erwarten wir jetzt einen ausführlichen Bericht.« Er lockerte seine Haltung wieder und zwinkerte ihr freundlich zu. »Los, erzähl schon, wo bist du gewesen, und was hast du alles erlebt?«
Bea schob den grünen Bambusarmreif an ihrem linken Handgelenk in Richtung Ellenbogen, wodurch auf ihrer hellen Haut ein kleiner tätowierter Drache zum Vorschein kam. »Och, ich habe es erst mal ganz ruhig angehen lassen. Bin eine Weile mit dem Bus gen Süden gefahren und habe hier und da ein paar literarische Kostbarkeiten aufgegabelt. Dann war ich eine Zeit lang als Clown ohne Grenzen in Afghanistan, habe meinen Sohn in Hongkong und meine Tochter in Kuala Lumpur besucht und zwischendurch noch einen kurzen Abstecher nach Lappland gemacht.«
Sven war sprachlos. So viel erlebten andere Menschen nicht in dreißig Jahren.
»Wieso denn ausgerechnet Lappland?«, wollte Borwin Wandelohe wissen.
Bea tadelte ihn mit einem strengen Blick. Offenbar hielt sie die Frage für reichlich dumm. »Na, um Rentiere zu streicheln. Wozu denn sonst?«
Borwin kicherte. »Das kann auch nur dir einfallen, du verrückte Nudel, du.« In dem Moment schrillte ein Küchenwecker, und Borwin wieselte zum Herd. Er war ein leidenschaftlicher Hobbykoch und hatte es sich auch diesmal nicht nehmen lassen, seine Freunde zu beköstigen. Schon vor seiner Reise war es zur Gewohnheit geworden, dass er in der Grüneis’schen Wohnküche regelmäßig die leckersten Gerichte auf den Tisch zauberte.
Es war eine Freude zu sehen, wie anmutig der Halbspanier durch den großen Raum wirbelte. Geschwind schnappte er sich zwei Topflappen und zog einen großen Römertopf aus dem Ofen. Der Duft nach gebratenem Fleisch, vermischt mit dem Aroma von Knoblauch und wilden Kräutern, war nun so intensiv, dass Sven bereits das Wasser im Mund zusammenlief.
»Das hört sich nach einer sehr abenteuerlichen Zeit an«, wandte er sich wieder Bea zu. »Wir erwarten natürlich Details.«
Doch Bea schien gerade andere Pläne zu haben. Sie stand auf, ging um den Tisch und trat an die Wiege heran. »Ihr wart aber auch nicht gerade untätig«, wisperte sie mit einem schelmischen Lächeln. Sie beugte sich hinunter und betrachtete das niedliche Baby, das in eine weiche Decke gehüllt war und friedlich schlummerte.
Svens Augen leuchteten. »Ja, es ging auf einmal ganz schnell. Im Januar haben wir geheiratet, und im Februar kam Lotta zur Welt.«
»Was für ein schöner Name!«, freute sich Bea. »Ich finde, sie ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten.« Damit klopfte sie Sven anerkennend auf die Schulter. Zurück auf ihrem Platz, verzog sie jedoch die Lippen zu einem Schmollmund. »Schade, dass ich eure Hochzeit verpasst habe. Da wäre ich wirklich gern dabei gewesen.«
»Es war bloß die standesamtliche Trauung«, sagte Sara, die nun Servietten und Besteck brachte, um den Tisch zu decken. »Wir planen, kirchlich zu heiraten, wenn Lotta etwas älter und aus dem Gröbsten raus ist.«
Beas düstere Miene verschwand augenblicklich. »Au ja, so eine richtig tolle Bauernhochzeit mit allem Tamtam. Wenn ihr möchtet, übernehme ich die Planung der Feierlichkeit.«
»Und ich kümmere mich um die kulinarische Ausgestaltung«, rief Borwin, der vier dampfende Teller heranschleppte.
Sven griff nach einer Serviette und befestigte sie am Ausschnitt seines karierten Hemdes. »Ui, das sieht aber lecker aus!« Er hielt schon das Besteck in den Händen. »Sind das etwa Wachteln?«
Borwin grinste. Dann breitete er die Arme aus und erklärte mit der überschwänglichen Begeisterung eines Zirkusdirektors: »Nein. Das, meine lieben Freunde, sind gebratene Schnepfen.«
Alle beäugten nun neugierig das goldbraun geröstete Geflügel, das auf den ersten Blick tatsächlich an Wachteln erinnerte.
Sven löste eines der Schlegelchen heraus und biss herzhaft hinein. »Mhmm, lecker«, sagte er schmatzend.
Die anderen taten es ihm gleich, und für eine Weile erfüllte eine gefräßige Stille den Raum.
»Was gibt es sonst noch Neues in Hummelstich?«, fragte Bea, nachdem sie ihren ersten Appetit gestillt hatte.
Sven, der noch zu sehr in die Schwelgerei vertieft war, warf seiner Frau einen kurzen Blick zu.
Sara wischte sich die Finger ab und trank einen Schluck Wein. »Die Heinemanns haben das Wirtshaus übernommen, und die freie Pfarrstelle wurde mit einer jungen Pastorin besetzt«, erzählte sie. »Der Apotheker Carl Feigenbaum und seine Frau Frieda waren bei einer Paartherapie, doch so richtig gut läuft es bei den beiden immer noch nicht. Aktuell haben sie eine Beziehungspause eingelegt. Und der Hummelstichler Landfrauenverein feiert nächste Woche sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum.«
Bea machte ein interessiertes Gesicht. »Ach, kann man da Mitglied werden?«
»Ist das dein Ernst?«, fragte Borwin verwundert. »Du ausgeflipptes Huhn willst dich einem Verein anschließen?«
»Ja«, sagte Bea, als wäre es die normalste Sache der Welt. »Ich habe Lust, eine Landpomeranze zu sein.« Vergnügt beobachtete sie, wie sich die anderen über ihren Wunsch amüsierten. »Was macht eigentlich die Kriminalstatistik?«, wechselte sie schließlich das Thema und sah Sven an, der nämlich nicht nur Landwirt, sondern auch der einzige Polizist im Dorf war. »Irgendwelche Morde oder sonstige Kapitalverbrechen, während ich weg war?«
Sven schluckte hastig einen großen Bissen Fleisch herunter. »Zum Glück nicht«, erwiderte er. »Im letzten Monat hatten wir einen Fall von Mundraub, und hin und wieder gab es mal einen Nachbarschaftsstreit.«
»Na ja«, meinte Bea. »Kleinvieh macht ja bekanntlich auch Mist.«
Ein kräftiger Windstoß fegte ums Haus und stieß die angelehnte Verandatür auf. Sofort erloschen auf dem Tisch mehrere Kerzen. Sara sprang auf, durchquerte den Raum und verriegelte rasch die Tür. Dann kramte sie eine Schachtel Streichhölzer aus einer Schublade und entzündete die Kerzen erneut.
Nachdem auch die letzte Schnepfe vertilgt war, servierte Borwin kleine Himbeer-Tartelettes und kredenzte dazu selbst gemachten spanischen Orangenlikör. Die vier Freunde prosteten sich ein weiteres Mal zu.
»Borwin, du hast dich wieder einmal selbst übertroffen«, sagte Sven und strich sich über den vollen Bauch. »Vielleicht solltest du deine Schere an den Nagel hängen und dich als Koch selbstständig machen.«
Borwin schüttelte den Kopf. »Nein, dafür liebe ich meinen Beruf zu sehr. Die Kocherei ist doch mehr ein Hobby. Allerdings plane ich, noch in diesem Jahr ein Kochbuch zu veröffentlichen.«
Bea hielt ihm strahlend ihr leeres Likörgläschen unter die Nase. »Das ist ja großartig. Sicher fließen die Erfahrungen deiner langen Reise da mit hinein.«
»Ja, es soll so etwas wie ein Weltatlas für exotische Gerichte werden. Ein Einblick in die Küchen und Kochtöpfe fremder Länder.« Mit verträumtem Blick schenkte er Likör nach. »Ach, es war so inspirierend! Diese vielen neuen Gerüche und Geschmäcke. Die unbekannten Zutaten. Die Farben. Die Leidenschaft, die uns Köche auf der ganzen Welt verbindet.«
»Auf die Leidenschaft!«, rief Sven, dessen Wangen einen rosigen Farbton angenommen hatten. »Auf die Liebe und das Leben!«
Sie lachten und ließen die Gläser klirren.
Mittlerweile hatte sich draußen der Sturm in ein tobendes Unwetter verwandelt. Es blitzte und donnerte, und der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. In der Grüneis’schen Küche war es jedoch so warm und behaglich, dass niemand groß Notiz davon nahm. Zu sehr waren alle in die Freude ihres Wiedersehens vertieft.
Sie erzählten, tranken und lachten. Borwin zeigte Bilder von seiner Reise, Bea streute hier und da einen Schwank aus ihrer bewegten Vergangenheit ein, und Sara kuschelte sich an Svens Schulter. Krümel lag zusammengerollt in seinem Hundekorb, und Dr. Jekyll saß auf dem Rand der Wiege, wo er leise Mozarts Kleine Nachtmusik trällerte. Hin und wieder fielen ihm selbst die Augen zu. Die Glückseligkeit, die den Raum durchzog, war beinahe greifbar.
Sven Grüneis seufzte leise und schaute dankbar in die Runde. Wie sehr hatte er diesen Tag herbeigesehnt! Nun waren sie endlich wieder vereint.
Bea genoss die Gesellschaft ihrer Freunde in vollen Zügen. Sie lauschte ihren Stimmen, lachte über ihre neckischen Anekdoten und freute sich über das Glitzern in ihren Augen. Dabei fiel ihr auf, dass Svens Augen am stärksten leuchteten. Auch schien ihr der junge Mann aufgeschlossener und gereifter als noch vor einem Jahr zu sein, was sicher zum großen Teil Saras Verdienst war. Die beiden wirkten wie ein sehr glückliches Paar. Und Borwin war eben Borwin. Quirlig, rund und einfach unverbesserlich.
Bea atmete tief ein, als könnte sie das Glück auf diese Weise in sich aufsaugen. In all den Jahren, in denen sie nun schon durch die Welt streifte, hatte sie heute zum ersten Mal wirklich das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein.
Sie spürte aber auch, dass ihre Freunde ihr die plötzliche Landflucht nicht so ganz abkauften. Dabei hatte sie das mit dem Beitritt zum Landfrauenverein völlig ernst gemeint. Nach den aufregenden Abenteuern der letzten Monate sehnte sie sich nach einer ruhigen und friedlichen Auszeit. Das harmonische Landleben war jetzt genau das Richtige für sie.
Da ihr Häuschen, das sich unweit der Dorfkirche befand, in einem bedauernswerten Zustand war, hatte sie beschlossen, es von Grund auf renovieren zu lassen. Sara und Sven hatten ihr daraufhin vorgeschlagen, so lange bei ihnen zu wohnen, und ihr ein geräumiges Zimmer zur Verfügung gestellt. Dieses Angebot wusste Bea sehr zu schätzen und hatte es unter der Bedingung, in Haus und Hof mit anpacken zu dürfen, dankend angenommen. Im Geiste legte sie bereits eine Liste mit all den Dingen an, die sie in nächster Zeit unbedingt tun wollte. Darunter waren so vollkommen unspektakuläre Betätigungen wie Blumen gießen, Kühe melken, durch Felder und Wiesen streifen, im Heu baden, Traktor fahren und Bücher lesen.
Die Musik war längst verklungen, die Kerzen heruntergebrannt und der Orangenlikör bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken. Draußen zeichnete sich bereits ein dünner violetter Streifen am Himmel ab und kündigte die nahende Morgendämmerung an. Das Unwetter hatte sich beruhigt, und auch die vier Freunde, die noch immer um den Küchentisch herum saßen, zeigten erste Anzeichen von Müdigkeit. Bevor sich jedoch auch nur ein Einziger in Richtung seines Bettes verabschieden konnte, läutete es unvermittelt an der Eingangstür.
»Nanu, wer mag das denn sein?«, fragte Sven.
Schon klingelte es erneut. Krümel hob träge den Kopf und blinzelte schläfrig. Obwohl er noch ein sehr junger Rüde war, schien er kein besonders enthusiastischer Wachhund zu sein. Dr. Jekyll und die kleine Lotta schliefen weiterhin tief und fest.
Sven marschierte hinaus in Richtung der Eingangstür und kehrte nach nur wenigen Augenblicken mit einem schlaksigen und völlig durchnässten Bauern zurück, dessen schlammige Gummistiefel hässliche braune Abdrücke auf dem hellen Küchenboden hinterließen. Er schien etwa in Svens Alter zu sein, doch machte er den Eindruck eines zutiefst verstörten und niedergeschlagenen Mannes. Sein leicht gebeugter Gang und die bekümmerte Miene verrieten seine Seelenpein.
»Schimanski hat’s erwischt«, murmelte er und ließ sich mit ausdruckslosem Blick auf einen freien Stuhl fallen. »Er wurde vom Blitz getroffen.«
Sara holte ein großes Handtuch, das sie dem triefenden Bauern reichte. »Mein Gott, wie furchtbar!«
Während sich der Mann notdürftig trocknete, machte sich im Raum Betroffenheit breit.
»Warum hast du ihn denn, als das Gewitter losging, nicht in den Stall geholt?«, wollte Sven wissen.
Der Bauer schnäuzte kräftig in das Handtuch. »Weil ich Hornochse den ganzen Abend durch die Gegend gefahren bin.«
»Hattet ihr wieder Streit?«, fragte Sara.
Der Bauer nickte. »Ich weiß, das ist keine Entschuldigung, doch ich war so sehr in Gedanken. Als ich vorhin zur Weide kam, lag er da und …«