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Ganz Hummelstich ist aus dem Häuschen: Seit Neuestem darf das Dorf einen Bahnhof sein Eigen nennen. Jedenfalls wird der überdachte Wartebereich neben den Bahngleisen als solcher bezeichnet. Nur Züge halten hier nicht. Nicht einmal die Bummelbahn, die laut Fahrplan um 16:50 Uhr von Hummelstich abfahren soll. Doch dann wird Bea Zeugin eines Mordes. Vom Bahnsteig aus kann sie nur tatenlos zusehen, wie sich im vorbeirauschenden Regionalexpress eine Messerklinge in den Körper eines Mannes bohrt. Die resolute Hobbydetektivin schlägt sofort Alarm und sorgt dafür, dass der Zug gestoppt und durchsucht wird. Aber vom Opfer fehlt jede Spur. Hat Beas Fantasie ihr etwa einen Streich gespielt? Gemeinsam mit ihrem Papagei Dr. Jekyll und ihren Freunden geht sie auf Mördersuche ...
Zur Serie: In Hummelstich scheint die Welt noch in Ordnung zu sein: Die Dächer der niedlichen Fachwerkhäuser funkeln und glitzern unter strahlend blauem Himmel und die Bewohner gehen emsig ihrem Tagewerk nach. Aber der schöne Schein trügt - denn hinter der Bilderbuchfassade tun sich mörderische Abgründe auf ... Aber zum Glück ist die energische Hobbydetektivin Bea von Maarstein vor Ort! Zusammen mit ihrem persönlichkeitsgestörten Papagei Dr. Jekyll und dem Dorfpolizisten Sven Grüneis löst sie jeden noch so verzwickten Fall.
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Seitenzahl: 170
Cover
Grußwort des Verlags
HUMMELSTICH – Die Serie
Über diese Folge
Die Charaktere
Über die Autorin
Titel
1. Eisenbahnromantik
2. Zwei Vögel fahren Zug
3. 16 Uhr 50 ab Hummelstich
4. Mord im Regionalexpress
5. Die Abfahrt verzögert sich
6. Tatort Zugabteil
7. Von A wie Alpaka bis Z wie Zug
8. Wie eine Bahnhofsuhr ohne Zeiger
9. Albtraum auf Schienen
10. Aus der Bahn geworfen
11. Der tote Zugpassagier
12. Gestellte Weichen
13. Volldampf voraus!
14. Rail and Fly
15. Lost and found
16. Dr. Jekyll kommt in Fahrt
17. Ein alter Mann ist kein D-Zug
18. Schaden in der Oberleitung
19. Auf dem richtigen Gleis
20. Bahnnostalgie
21. Auf schiefer Bahn
22. Bahn frei für Bea
23. Endstation Hummelstich
Rezept: Pasteis de Nata
Bisher veröffentliche Folgen
Leseprobe
Impressum
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In Hummelstich scheint die Welt noch in Ordnung zu sein: Die Dächer der niedlichen Fachwerkhäuser funkeln und glitzern unter strahlend blauem Himmel und die Bewohner gehen emsig ihrem Tagewerk nach. Aber der schöne Schein trügt – denn hinter der Bilderbuchfassade tun sich mörderische Abgründe auf … Aber zum Glück ist die energische Hobbydetektivin Bea von Maarstein vor Ort! Zusammen mit ihrem persönlichkeitsgestörten Papagei Dr. Jekyll und dem Dorfpolizisten Sven Grüneis löst sie jeden noch so verzwickten Fall.
Ganz Hummelstich ist aus dem Häuschen: Seit Neuestem darf das Dorf einen Bahnhof sein Eigen nennen. Jedenfalls wird der überdachte Wartebereich neben den Bahngleisen als solcher bezeichnet. Nur Züge halten hier nicht. Nicht einmal die Bummelbahn, die laut Fahrplan um 16:50 Uhr von Hummelstich abfahren soll. Doch dann wird Bea Zeugin eines Mordes. Vom Bahnsteig aus kann sie nur tatenlos zusehen, wie sich im vorbeirauschenden Regionalexpress eine Messerklinge in den Körper eines Mannes bohrt. Die resolute Hobbydetektivin schlägt sofort Alarm und sorgt dafür, dass der Zug gestoppt und durchsucht wird. Aber vom Opfer fehlt jede Spur. Hat Beas Fantasie ihr etwa einen Streich gespielt? Gemeinsam mit ihrem Papagei Dr. Jekyll und ihren Freunden geht sie auf Mördersuche …
Bea von Maarstein, 67 Jahre, kosmopolitische Hobbydetektivin, verwitwet, exzentrisch, lebensfroh, liebt Zugreisen, fährt einen alten Bücherbus, den sie zu einem mobilen Detektivbüro umgebaut hat.
Dr. Jekyll, Beas persönlichkeitsgestörter Papagei, ein hellroter Ara, smart und kratzbürstig, äußerst sprachbegabt.
Sven Grüneis, 34 Jahre, Dorfpolizist und Landwirt, verheiratet, lebt mit seiner Familie in einem großen Bauernhaus, naiv, pflichtbewusst und stets korrekt, hat das Herz am rechten Fleck.
Borwin Wandelohe, 61 Jahre, Halbspanier, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Friseurskunst, quirlig, fröhlich, verbreitet stets gute Laune, exzellenter Hobbykoch.
Kurt Pfeiffer, 59 Jahre, Kommissar der Bad Frankenberger Mordkommission, wollte nie zur Polizei, hat ein Talent für die Ölmalerei, kann kein Blut sehen.
Katharina Schendel wurde an der Küste geboren, hat fränkische Vorfahren und mag alles, was schief ist. Nach ihrer Schulzeit verbrachte sie mehrere Jahre in Metropolen wie Tokio und London. Heute lebt sie mit ihrer Familie in einer thüringischen Kleinstadt und geht mit Leidenschaft dem Schreiben von Kriminalromanen nach.
Die Autorin bedankt sich bei der VG WORT und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) für die Förderung im Rahmen des Förderprogramms NEUSTART KULTUR.
Mord im Regionalexpress
Ein leichtes Flirren lag in der Luft. Die Sonne brannte wie ein riesiger Heizstrahler auf Hummelstich herab und ließ die Dächer der niedlichen kleinen Häuser funkeln und glitzern.
Nach einem kühlen und verregneten Frühjahr hatte der Sommer nun endlich vollständig Einzug gehalten. Die Tage waren lang, und in den Nächten konnte man Glühwürmchen beobachten, die feengleich durch die Gärten tanzten.
Mensch und Tier zog es ins Freie hinaus. Das Leben vibrierte in den schillerndsten Farben. Das ganze Dorf war von Wärme und Licht erfüllt.
Eine Schar kleiner weißer Schäfchenwolken wanderte gemächlich am blauen Himmel entlang. Niemand war in Eile. Greifvögel zogen weite Kreise, und auf den klatschmohnbewachsenen Wiesen stimmten Zikaden ein Konzert an. Bienen schwirrten aus, um in den prallen Blütenkelchen Nektar zu sammeln. Goldene Ähren rauschten im lauen Wind. Es roch nach Sonnencreme und Erdbeereis.
Die ganze Welt wirkte froh und friedlich. Durchdrungen vom Wunsch nach Harmonie schienen Mord und Totschlag so weit entfernt wie Frost und Schnee zu sein.
Auf einem grasgrünen Hügel etwas außerhalb von Hummelstich und durch den Schatten einer großen Birke geschützt, saß Bea von Maarstein auf einer blau-weiß gestreiften Picknickdecke und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Unten im Tal, durch das ein schmaler, silbrig glänzender Fluss verlief, trottete eine Herde Schottischer Hochlandrinder. Die kräftigen Tiere mit den großen ausladenden Hörnern und dem zotteligen, matschbraunen Fell sahen selbst auf die Distanz Respekt einflößend aus. Doch Bea, die die Rinder auch schon aus der Nähe begutachtet hatte, wusste um ihren ruhigen und sanftmütigen Charakter.
Auf der anderen Seite des malerischen Tales wand sich ein rostroter Regionalzug wie ein Lindwurm zwischen den Hügeln entlang. Er folgte der Strecke, die Bad Frankenberg und Tannenglück miteinander verband, und es war nur noch eine Frage von Stunden, bis auch Hummelstich dabei eine Rolle spielen würde.
Vergnügt wandte Bea ihr Gesicht der Sonne zu und atmete den honigsüßen Duft der unzähligen sie umgebenden Blüten ein. Wie glücklich sie sich doch schätzen konnte, hier inmitten dieser paradiesischen Idylle ein Zuhause und eine Familie gefunden zu haben! Ja, sie hatte das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, und auch der Mann, der ihr Gesellschaft leistete, passte erstaunlicherweise ganz gut dazu.
Schmunzelnd betrachtete sie Kurt Pfeiffer, der, mit Hawaiihemd, Shorts und einem ausgefransten Strohhut bekleidet, vor seiner Staffelei stand und emsig Farbe auf eine quadratische Leinwand tupfte. Beim Malen legte er bedingungslose Hingabe und bisweilen sogar Besessenheit an den Tag – Eigenschaften, die er als Kriminalhauptkommissar leider nie zu zeigen im Stande war. Was ihm als Kriminalist fehlte, machte er als Künstler wieder wett. Seine Bilder, insbesondere die Landschaftsgemälde, sprühten vor Lebendigkeit, und gerade weil sie nicht perfekt waren, sondern hier und da kleine Macken hatten, gefielen sie Bea ganz ausgezeichnet.
Sie und »Kurti«, wie sie ihn zu nennen pflegte, waren kein Liebespaar – zumindest nicht im klassischen Sinne. Ihre Freunde würden zwar behaupten, dass sie auf dem besten Weg zu einer romantischen Beziehung waren, wobei Bea den Gedanken vehement bestritt, jedoch keineswegs als unangenehm empfand. In Kurti sah sie vor allem einen guten Freund, den sie gerne um sich hatte. Sie genoss die Aufmerksamkeit, die er ihr zuteilwerden ließ. Die spontanen Einfälle und Überraschungen. Die Wertschätzung, die er vor allem den kleinen Dingen entgegenbrachte.
Auch das heutige Picknick war seine Idee gewesen. Er hatte sie damit überrascht und sich, wie sie fand, dabei selbst übertroffen.
Zum einen hatte er einen fabelhaften Ort ausgewählt: ein schattiges Plätzchen auf einem Hügel, von dem man weit ins Land schauen konnte. Zum anderen war es ihm gelungen, ihr eine Reihe von Delikatessen zu kredenzen, die ihresgleichen suchten. Das Brett mit den verschiedensten Käse- und Wurstspezialitäten hatten sie bereits vollständig leer gegessen, und auch das knusprige Walnuss-Feigen-Baguette hatten sie schon verzehrt. Lediglich von den frischen, saftigen Erdbeeren und den köstlichen Waldfrucht-Puddingtörtchen waren noch ein paar Reste übrig.
Rasch verscheuchte Bea einige Wespen, die über den noch verbliebenen Törtchen kreisten. Eigentlich war sie ja satt. Aber die kleinen Backwerke sahen zu appetitlich aus. Und es wäre doch jammerschade, wenn sie bei der Wärme am Ende noch verdarben. Ohne weiter zu zögern, angelte sie sich eines und biss genüsslich hinein.
»Schmeckt es dir?«, fragte Pfeiffer, der sich zu ihr umgedreht hatte.
»Es ist himmlisch!«, schwärmte Bea mit vollem Mund. Sie schloss kurz die Augen, um den herrlichen Geschmack noch intensiver wahrnehmen zu können. »Wenn ich geahnt hätte, dass du so gut backen kannst …«
Er lächelte zufrieden und zwinkerte ihr zu. »Das Beste ist gerade gut genug für dich!«
Sie warf ihm eine Kusshand zu. Wer hätte gedacht, dass dieser Mann mal so weit über seinen Schatten springen und über sich hinauswachsen würde? Und dann konnte er auch noch backen wie Gott in Frankreich! Wer weiß, welche verborgenen Talente er noch besaß?
»Mit diesen Törtchen kannst du sogar Borwin Konkurrenz machen«, rief sie ihm zu. »Und das will schon wirklich etwas heißen!«
Pfeiffer, der sich wieder seinem Gemälde zugewandt hatte, winkte ab. »Ich verzichte lieber auf den Wettstreit und genieße stattdessen das Hier und Jetzt.«
»Eine sehr weise Einstellung«, lobte Bea.
Er trat von der Staffelei zurück, sodass sie freie Sicht auf das Gemälde hatte, und breitete schwungvoll die Arme aus. »Wie findest du es?«
Neugierig reckte Bea den Hals. Es war alles da: das Tal, die Hügel, der silbrig glänzende Fluss, die zotteligen Rinder, der rostrote Regionalexpress.
»Großartig!«
Kurt Pfeiffer nahm einen Lappen und wischte damit den Pinsel ab. »Sei ehrlich.«
»Das bin ich immer!«, entgegnete Bea empört. »Warum sollte ich dir etwas vormachen? Du kannst mir ruhig glauben: Das Bild gefällt mir.«
»Es ist noch nicht ganz fertig.« Pfeiffer deutete auf den Kriminalroman, der neben ihr im Gras lag und in dem sie bereits einige Zeit geschmökert hatte. »Wie liest sich eigentlich das Buch?«
»Unterhaltsam und spannend!«, antwortete sie und grinste. »Man entdeckt immer wieder etwas Neues. Selbst beim zwölften Mal.«
Pfeiffer blickte sie verwirrt an. »Wie kann man denn ein Buch zwölf Mal lesen? Man weiß doch schon nach dem ersten Mal, wer der Mörder ist.«
Ein ungeduldiger, ja fast schon tadelnder Ausdruck trat in Beas Gesicht. »Das ist nicht irgendein x-beliebiger Kriminalroman, mein Lieber! Das ist Agatha Christies Mord im Orientexpress! Meiner Meinung nach eines der bedeutendsten Werke der gesamten Kriminalliteratur.« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Es würde dir nicht schaden, auch mal einen Blick hineinzuwerfen.«
»Was willst du denn damit andeuten?«, fragte Pfeiffer und verschränkte die Arme vor der Brust.
Bea schüttelte seufzend den Kopf. »Nichts.« Was Mordermittlungen anging, war bei Kurti einfach kein Blumentopf zu gewinnen. »Gar nichts.«
In dem Versuch, sich zu erklären, setzte Kurt Pfeiffer eine entschlossene Miene auf. »Wenn ich mich im echten Leben schon andauernd mit den Abgründen der menschlichen Natur auseinandersetzen muss, dann will ich nicht auch noch in meiner Freizeit Bücher darüber lesen.«
Na klar, dachte Bea. Er würde am liebsten überhaupt nichts mit Mord und dergleichen zu tun haben. Weder theoretisch noch in der Praxis. In dieser Beziehung war er noch immer ein richtiger Feigling!
»Wenn du daran Spaß hast, bitte!« Pfeiffer zuckte mit den Schultern. »Aber für mich ist das nichts.«
Bea, die bereits oft genug mit ihm über diese Angelegenheit diskutiert hatte, entschied, das Thema zu wechseln. »Freust du dich auch schon auf die Einweihung des Bahnhofs heute Nachmittag?«
Es war das Ereignis, auf das halb Hummelstich seit Wochen hinfieberte.
Pfeiffer strich sich über das Kinn. »Lass mich überlegen. Wie laufen solche Einweihungen üblicherweise ab? Langweiliges Politikergeschwätz, eine gehörige Portion Selbstbeweihräucherung, das Durchschneiden eines Absperrbandes, Menschenmassen, Trubel. Nein, danke! Ich verzichte.« Er blickte zu den Schäfchenwolken hinauf. »Ich werde lieber noch ein wenig weitermalen, wenn es dir recht ist.«
»Nur zu!«, sagte Bea. »Dem Drang nach Kreativität sollte man immer nachgeben.«
»Schön, dass du mich verstehst.« Pfeiffer lächelte. »Dann sehen wir uns am Abend? Du kannst mir ja später erzählen, wie es mit dem Bahnhof gelaufen ist.«
Bea runzelte nachdenklich die Stirn. »Denkst du, es wird Probleme geben?«
»Ach was!«, rief Pfeiffer und lachte. »Was soll da schon schiefgehen?« Er winkte ab. »Ich meine, vielleicht sitzt bei einem der Hochoffiziellen der Schlips nicht richtig. Oder die Schere zum Durchschneiden des Bandes ist stumpf. Aber Schlimmeres ist da nicht zu erwarten.«
Hauptsache, es gibt keine Leiche, dachte Bea. Zwar konnte sie, im Gegensatz zu Pfeiffer, dem Kriminalisieren einiges abgewinnen und war mit ihrem mobilen Detektivbüro auch durchaus in der Lage, sich den verzwicktesten Fällen zu widmen. Doch aktuell vermisste sie weder Gefahr noch Aufregung. Das ruhige, beschauliche Leben in Hummelstich war alles, was sie momentan brauchte.
Sie nahm ihr Buch und stand auf. »Ich werde dir heute Abend alles über die Bahnhofseröffnung berichten.« Sie trat neben Pfeiffer und stellte erstaunt fest, dass er schon wieder ganz in die Malerei versunken war.
Sven Grüneis kniete auf dem Teppichboden und betrachtete verzückt die kleine Dampflokomotive in seiner Hand. Sie war kaum größer als eine handelsübliche Packung Zellstofftaschentücher und so schwarz wie Kohlenstaub. Fasziniert fuhr er mit dem Finger über das kastenähnliche Führerhaus, berührte den langen, kegelförmigen Schlot und sah sich die vielen winzigen Kolben, Zylinder und Hebel an. Die perfekte, maßstabsgetreue Nachbildung ließ sein Herz höherschlagen.
Mit einem Mal fühlte er sich zurückversetzt in seine Kindheit, als es noch einige echte Dampflokomotiven auf den Schienen gegeben hatte. Er erinnerte sich, wie er einmal mit seinem Vater, der einen Bekannten bei der Eisenbahn hatte, eine kurze Strecke in einer solchen Lok mitgefahren war. Und plötzlich fiel ihm alles wieder ein: die sengende Hitze, die vom Heizkessel ausging; die riesige Dampfwolke, die wie ein fauchender Drache aus dem Schornstein schoss; die vielen verschiedenen Schalter und Ventile; das laute, volltönende Pfeifen und Zischen; das Donnern, Keuchen und Rattern; und nicht zuletzt ihre rußgeschwärzten, aber fröhlichen Gesichter. Was für ein Abenteuer das damals für ihn gewesen war!
So vorsichtig, als handelte es sich um ein rohes Ei, setzte Sven die Lok auf den Schienen ab. Das Streckennetz der funkelnagelneuen Modelleisenbahn, die er seiner Tochter Lotta zum Geburtstag gekauft hatte, war in eine pittoreske, hügelige Landschaft aus Pappmaschee eingebettet und nahm fast den gesamten Fußboden des kleinen Bibliothekszimmers ein. Es gab einen Bahnhof, vor dem eine bunte Figurenschar auf die Ankunft des nächsten Zuges wartete. Es gab Weichen und Bahnschranken, die man steuern und bedienen konnte. Kühe und Schafe, die auf den grünen Pappwiesen weideten. Einen aufgemalten Fluss, auf dem kleine Holzboote schipperten.
Für Sven bedeutete die Modellbahnanlage die Erfüllung eines Kindheitstraumes. Wenn er genügend Zeit gehabt hätte, hätte er am liebsten den ganzen Tag damit gespielt. Anders als Lotta, die sich nur kurz damit beschäftigt hatte und dann wieder zu ihren Puppen und Plüschtieren gelaufen war. Seine Frau Sara hatte nur die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Wie er auf die Idee komme, dass in ihrem Haus genug Platz für so ein monströses Ding sei, hatte sie ihn gefragt. Und ob er nicht ein wenig zu alt dafür sei.
Zu alt! Sara hatte keine Ahnung. Als könnte man je zu alt für eine Modelleisenbahn sein!
Ein lautes Krächzen riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah zur Tür, durch die Beas Papagei Dr. Jekyll hereinmarschiert kam. Mr Hyde, der Gelbhaubenkakadu, folgte dem roten Ara, als wäre er dessen Schatten.
»Na, Jungs?«, begrüßte Sven die beiden Vögel. »Wollt ihr wieder eine Runde drehen?« Die zwei liebten es nämlich, auf den ratternden Zugwaggons im Kreis zu fahren.
»Aber immer!«, krächzte Dr. Jekyll, und Mr Hyde hieb mit dem Schnabel auf den Boden, was wohl ebenfalls Zustimmung bedeuten sollte.
Rasch koppelte Sven die Wagen an die Lok und setzte die dunkelblaue Schaffnermütze auf. »Alles einsteigen, bitte!«
Er wartete geduldig, bis die Papageien auf die Waggons geklettert waren. »Achtung! Zurücktreten von der Bahnsteigkante!«
Sven zog eine kleine, silberne Trillerpfeife aus der Hosentasche, setzte sie an die Lippen und blies kräftig hinein. Ein hoher, schriller Ton erklang, den Mr Hyde sogleich eifrig nachzuahmen versuchte.
Sven beugte sich zu dem kleinen Bedienfeld in der Ecke herunter, legte den Schalter um, und der Zug setzte sich geräuschvoll in Bewegung.
Mr Hyde schlug kurz mit den schneeweißen Flügeln, und Dr. Jekyll plusterte sein buntes Gefieder. Dazu gaben sie kurze, zufrieden klingende Laute von sich. Ganz offensichtlich genossen die beiden die Fahrt.
Grinsend schaute Sven ihnen zu. Es war schon sonderbar, dass er ausgerechnet in den schrägen Vögeln Gleichgesinnte gefunden hatte.
Als der kleine Zug eine Kurve nahm und schnaufend zwischen den Pappmaschee-Hügeln hindurchkroch, duckte sich Dr. Jekyll so plötzlich, als rauschte die Bahn in einen Tunnel hinein. »Achtung, Achtung!«, krächzte er. Auf dem Waggon hinter ihm schlug Mr Hyde erneut mit den Flügeln, diesmal jedoch heftiger, als wollte er damit das Tempo erhöhen. »Mörder an Bord!«, krakeelte der rote Ara aufgeregt. »Mörder an Bord!«
Schon seit ein paar Tagen ließ Dr. Jekyll Bemerkungen wie diese fallen. Faselte ständig von irgendeinem Mord, der bald passieren würde. Aber besaß der Vogel tatsächlich die Gabe der Vorahnung? Oder plapperte er nur wirres Zeug? Sven entschied sich für Letzteres. Man musste ja nicht immer das Schlimmste denken. Wo doch gerade alles so schön ruhig und friedlich im Dorf war.
Zugegeben, etwas ungewohnt war die anhaltende Abwesenheit jeglichen Verbrechens schon. Der letzte Mord lag immerhin beinahe zehn Monate zurück! Aber er wollte es nicht beschreien. Denn Harmonie und Eintracht waren durchaus etwas, an das Sven sich gewöhnen konnte.
Er wartete, bis der Zug seine Runde beendet hatte. Dann betätigte er erneut den Schalter. »Endstation, meine Herren. Alles aussteigen!«
Die Papageien protestierten kreischend, und da keiner der beiden Anstalten machte, sich vom Fleck zu bewegen, hob Sven sie behutsam von den Zugwaggons herunter.
Mr Hyde stellte die gelben Haubenfedern auf – so, wie er es immer tat, wenn er besonders ungehalten war.
»Saftladen!«, krächzte Dr. Jekyll und schüttelte sich empört.
Sein Kumpan Mr Hyde verlieh mittels Scharren seiner Missbilligung Ausdruck.
»Sorry«, meinte Sven und grinste. »Kommt doch einfach morgen wieder.«
Dr. Jekyll stieß weiter unflätige und wüste Bemerkungen aus. »Bummelbahn! Trödelverein!«
Zeternd und gackernd wie zwei alte Gänseriche watschelten die zwei Papageien schließlich wieder zur Tür hinaus.
Seufzend schaute Sven ihnen hinterher. Die beiden würden sich schon wieder beruhigen. Er sah sich nach dem Babyfone um. Wo hatte er es vorhin nur hingelegt? Ach ja, auf den kleinen Beistelltisch. Er stand auf und holte es sich. Es war an der Zeit, mal wieder nach Lilly zu sehen.
Keine zwei Minuten später betrat Sven auf Zehenspitzen das Kinderzimmer. Lilly, die vor sieben Monaten das Licht der Welt erblickt hatte, schlummerte noch immer friedlich in ihrem Babybett. Lächelnd betrachtete er die Kleine. Anders als Lotta, die mehr nach ihm kam, war Lilly Sara wie aus dem Gesicht geschnitten. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob er all das Glück auch wirklich verdient hatte. Sara, Lotta und Lilly waren alles für ihn! Noch vor ein paar Jahren hätte er davon nur träumen können. Was für ein ausgesprochener Glückspilz er doch war!
Da schlug Lilly die kleinen Augen auf, und als sie ihren Vater sah, streckte sie fröhlich glucksend die Ärmchen nach ihm aus.
»Hallo, mein süßer Fratz«, raunte Sven und nahm sie vorsichtig auf den Arm.
Lilly lachte zufrieden.
»Wollen wir mal schauen, was draußen so los ist?« Das Baby schaukelnd, trat Sven ans Fenster und spähte hinaus. Vom Kinderzimmer aus hatte man einen herrlichen Blick in den Garten, und man konnte sogar die Kuhweiden sehen. Sven entdeckte Lotta, die mit dem Hund Krümel zwischen den Gemüsebeeten tobte. Hinten auf der Weide stand eine Kuh. Bestimmt Trudi. Dann entdeckte er etwas weiter rechts ein zweites Tier. Aber was war das? Es war zierlich wie ein Reh, hatte jedoch dickes, zotteliges Fell und war so braun wie ein Teddybär.
Mit Lilly auf dem Arm lief er in die Küche hinunter. Dort traf er auf seine Frau, die gerade ein Kuchenblech in den Ofen schob.
»Hallo, ihr zwei«, rief Sara fröhlich.
Sven ging direkt zum Küchenfenster, von dem man ebenfalls zur Weide sehen konnte. »Weißt du, was das neben Trudi für ein Tier ist? Eine Kuh ist es jedenfalls nicht.«
Sara wuschelte ihm liebevoll durchs Haar. »Der Kandidat erhält hundert Punkte.«
Vorsichtig reichte er ihr das Baby, das sie sogleich in die Arme schloss. Sven schnappte sich währenddessen ein Fernglas und spähte damit erneut in Richtung Weide. »Ist das etwa … ein Alpaka?«
»Und noch mal hundert Punkte obendrauf«, lobte Sara.
Sven sah sie fragend an. »Könntest du mir freundlicherweise erklären, was ein Alpaka auf unserer Weide verloren hat?«
Während sie ihre kleine Tochter liebkoste, nahm Sara auf einem der Küchenstühle Platz. »Eigentlich sind es drei.«
»Was?« Sven stöhnte auf. »Bitte sag mir, dass sie nur zu Besuch sind.«