Hundeherz. Eine schreckliche Geschichte (Neuübersetzung) - Michail Bulgakow - E-Book

Hundeherz. Eine schreckliche Geschichte (Neuübersetzung) E-Book

Michail Bulgakow

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Beschreibung

Bulgakows "Hundeherz" – Ein haarsträubendes Experiment mit verhängnisvollen Folgen! Ein Straßenköter wird zum Gentleman – mit ungeahnten Folgen! In Bulgakows scharfsinniger Satire "Hundeherz" wagt ein ehrgeiziger Professor ein gewagtes Experiment: Er verpflanzt einem streunenden Hund menschliche Organe. Doch statt eines genialen Fortschritts entsteht das Chaos in Person – oder besser: in Hundegestalt. Der frisch mutierte Scharikow entwickelt sich zum grobschlächtigen Bürokraten, der seinem Schöpfer bald über den Kopf wächst. Die Grenzen zwischen Mensch und Tier, Wissenschaft und Wahnsinn, Fortschritt und Rückschritt verschwimmen – mit ebenso absurden wie erschreckend realistischen Konsequenzen. Eine messerscharfe Gesellschaftssatire Mit beißendem Humor und messerscharfer Gesellschaftskritik hält Bulgakow dem sowjetischen Zeitgeist einen grotesk verzerrten Spiegel vor. Hundeherz ist eine meisterhafte Parabel über Macht, Ideologie und die Hybris des Menschen, die auch heute nichts von ihrer Brisanz verloren hat. Sprachlich brillant, herrlich böse und zeitlos aktuell. Perfekt für Leser, die kluge Gesellschaftskritik, bissige Satire und unvergessliche Literaturmomente lieben! Mit einem Vorwort zu besseren Einordnung des Werkes.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Michail Bulgakow

Hundeherz

Eine schreckliche Geschichte

ins Deutsche übertragen von

Anton Miller

Bibliographische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar.

Russischer Original-Titel:Sobace serdce (1925)Übersetzung: Anton MillerCoverdesign: Karl A. Fiedler

aionas Verlag, Böhlaustr. 9, 99423 Weimar3. Auflage, 2025

ISBN Printausgabe: 978-3-946571-48-3ISBN eBook: 978-3-96545-060-8

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
Epilog

Vorwort

Stellen Sie sich vor, Frankenstein hätte seinen Schöpfergeist nicht im düsteren Genf des 19. Jahrhunderts ausgelebt, sondern im postrevolutionären Moskau, umgeben von ideologischem Überschwang und wissenschaftlicher Hybris. Das Ergebnis wäre wohl nicht minder grotesk und scharfsinnig als „Hundeherz“ von Michail Bulgakow. Dieses Werk ist eine Satire mit scharfen Zähnen und ebenso scharfsinnigen Einsichten – eine literarische Operation am offenen Herzen einer Gesellschaft, die glaubt, die Menschheit neu erschaffen zu können.

Bulgakow fragt in seiner Erzählung, was dabei herauskommt, wenn man einen verwahrlosten Streuner mit den Eingeweiden eines ungehobelten Säufers kreuzt? Seine Antwort: Poligraf Poligrafowitsch Scharikow, ein monströses und zugleich tragikomisches Geschöpf der modernen Literatur. Doch „Hundeherz“ ist weitaus mehr als nur eine absurde Geschichte über ein fehlgeschlagenes Experiment. Es ist eine scharfsinnige Parabel über Macht, Moral und die Irrtümer des Fortschrittsglaubens.

Professor Preobraschenski, der geniale Chirurg, ist ein Mann der Wissenschaft, ein Halbgott in Weiß, der glaubt, mit seinen Operationen das Schicksal der Menschheit verändern zu können. Doch seine Hybris wird ihm zum Verhängnis, als er den streunenden Hund Scharik aufnimmt und ihm die Hypophyse und die Hoden eines kürzlich verstorbenen Kriminellen transplantiert. Sein Ziel: die Schaffung eines Übermenschen, eines Homo superior. Doch was er erschafft, ist ein Monstrum – ein grobschlächtiger, respektloser Emporkömmling, der keine Moral kennt und keinen Anstand besitzt.

Bulgakows „Hundeherz“ ist mehr als nur eine groteske Erzählung. Es ist ein literarisches Röntgenbild einer Gesellschaft, die in der Euphorie des Fortschritts die Menschlichkeit verliert. In der Figur des Scharikow vereinen sich alle Auswüchse des Neuen Menschen: Respektlosigkeit, Anmaßung und eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit an die Bürokratie. Ausgestattet mit der Dreistigkeit des Proletariers und der Macht des aufsteigenden Apparatschiks wird Scharikow zum Alptraum seines Schöpfers – und zum lebendigen Symbol der neuen Machtverhältnisse in der Sowjetunion.

Dabei spielt Bulgakow meisterhaft mit den Gegensätzen. Preobraschenski, der kultivierte Intellektuelle, wird von seiner eigenen Schöpfung tyrannisiert und schließlich von der Gesellschaft als Relikt einer vergangenen Epoche verurteilt. Scharikow hingegen, das rohe Produkt seiner Operation, steigt in der sowjetischen Hierarchie auf und wird zu einem einflussreichen Mitglied der „Hausverwaltung“ – eine groteske Satire auf die neue Elite, die ohne Wissen und Moral zu Macht und Einfluss gelangt.

Bulgakows Humor ist so bissig wie Scharikows Zähne und ebenso scharf wie Preobraschenskis Skalpell. Mit präziser Beobachtungsgabe und scharfsinniger Ironie seziert er die Absurditäten des sowjetischen Alltags. Seine Figuren sind keine bloßen Karikaturen, sondern lebendige Porträts einer Welt, die in ihrem eigenen Widerspruch gefangen ist.

Der Dialog zwischen dem gebildeten Professor und seinem primitiven Geschöpf ist von einer grotesken Komik, die gleichzeitig zum Lachen und zum Nachdenken anregt. Scharikows vulgäre Ausdrucksweise prallt auf die feine Diktion Preobraschenskis, während die banalen Phrasen der Bürokraten die hohlen Ideale der neuen Zeit entlarven. Bulgakows Sprache ist geschliffen, pointiert und voller satirischer Anspielungen – eine wahre Meisterleistung der literarischen Kunst.

„Hundeherz“ ist jedoch nicht nur eine Satire auf die sowjetische Bürokratie oder die Ideale des Neuen Menschen. Es ist auch eine philosophische Parabel über die Grenzen des Fortschritts und die Hybris der Wissenschaft. Preobraschenski glaubt, den Menschen neu erschaffen zu können, doch sein Versuch, die Evolution zu beschleunigen, endet in einer Katastrophe.

Bulgakow zeigt auf brillante Weise, dass die Natur sich nicht manipulieren lässt und dass der Mensch nicht zum besseren Wesen gemacht werden kann, indem man ihm einfach andere Organe einpflanzt. Scharikow bleibt trotz seiner menschlichen Gestalt ein Hund – getrieben von Instinkten und unfähig zu moralischem Denken. Damit stellt Bulgakow die Frage, ob es überhaupt möglich ist, den Menschen durch äußere Veränderungen zu verbessern, oder ob Moral und Kultur nicht vielmehr eine Frage der Erziehung und des individuellen Bewusstseins sind.

„Hundeherz“ ist auch ein Werk von erstaunlicher Aktualität. Es war zur Zeit seiner Entstehung ein brisanter Kommentar zur politischen und gesellschaftlichen Lage der Sowjetunion, der zensiert nur in einer stark bearbeiteten Fassung veröffentlicht wurde, und bleibt auch heute eine scharfsinnige Analyse der menschlichen Natur und der Gefahren des ideologischen Fortschrittswahns. Bulgakow versteht es wie kein anderer, das Groteske mit dem Philosophischen zu verbinden, das Komische mit dem Tragischen zu verweben und die Absurdität der Realität in eine satirische Allegorie zu verwandeln. Seine Figuren sind lebendige Symbole, seine Sprache ist voller Witz und Weisheit, und seine Geschichte bleibt auch nach fast einem Jahrhundert eine kraftvolle Mahnung vor den Gefahren der Hybris.

Doch genug der Vorrede – betreten Sie die groteske Welt von Professor Preobraschenski und Scharikow und lassen Sie sich verführen von einer Satire, die so scharf und zeitlos ist wie ein Biss in die Hand, die einen füttert.

1

Ahuuuh a-hu-hu-huuuh! Oh, schauen Sie her, ich verrecke. Der Schneesturm jault mir hier im Torweg eine Totenmesse vor, und ich jaule mit. Ich bin am Ende. Dieser Bastard mit der schmierig weißen Haube – der Koch der Kantine für Ausgewogene Ernährung der Mitglieder des Volkswirtschaftsrats – hat mich mit kochendem Wasser verjagt und mir meine linke Flanke verbrüht. Dieses Drecksschwein, so was nennt sich Proletarier. Herr im Himmel, wie das brennt! Bis auf den Knochen bin ich verbrüht. Und ich jaule, jaule und jaule, warum hilft das denn nicht?

Was hab ich dem denn getan? Hab ich den Volkswirtschaftsrat etwa arm gefressen, wenn ich um seine Mülleimer streune? Geiziges Schwein! Sehen Sie sich nur mal seine Fresse an! So fett wie hoch! Eine Schweinsvisage von Gauner. Ach, die Menschen, die Menschen!

Es war Mittag, als mich dieser Trottel mit kochendem Wasser überschüttete. Jetzt ist es dunkel. Es muss so um vier Uhr nachmittags rum sein, wenn ich dem Zwiebelgestank nach urteile, der aus der Feuerwache der Pretschistenka Straße herweht. In der Feuerwache gibt's Grütze zu Abend, müssen Sie wissen. Nicht, dass mich das juckt. Grütze ist das Allerletzte, genauso wie Pilze. Die Hunde aus der Pretschistenka erzählten mir von einem Restaurant in der Neglinny, das Restaurant Bar, wo sie Pilzragout mit pikanter Soße für 3 Rubel 75 pro Portion als Tagesgericht verdrücken. Das ist was für Feinschmecker! Als würde man an einem Paar Galoschen schlecken. ­A-huuuuuuhhh ...

Meine Flanke brennt wie die Hölle. Wie das weitergeht, weiß ich jetzt schon. Morgen brechen die Geschwüre aus, und wie soll ich sie heilen? Im Sommer kann man in den Sokolniki Park huschen, wo ein ganz spezielles Gras wächst. Da gibt's auch Wurstzipfel umsonst und Butterbrotpapier kannst du abschlecken, das die Leute weghauen. Und wenn da nicht dieses alte Luder herumlungern würde, das im Mondlicht ›Oh himmlische Aida‹ schmettert, bis du irrewirst, wäre das ein perfektes Fleckchen. Aber, wo soll ich jetzt hin? Hat dir schon mal jemand in den Arsch gelatscht? Aber hallo! Hat dir schon mal jemand 'nen Backstein in die Rippen gedonnert? Haufenweise! Ach, was hab ich schon alles durchgemacht! Was ich alles einstecken kann! Und ich will auch gar nicht jammern wegen des Schmerzes und wegen der Kälte, ich bin noch nicht ganz am Ende. Da muss schon Schlimmeres kommen, dass ich vor die Hunde gehe.

Doch mein armer geschundener Körper ist von den Leuten wohl schon einmal zu viel geprügelt worden. Das Schlimme ist ja, das kochende Wasser hat mir den Pelz verbrüht, und jetzt ist da nichts mehr auf meiner linken Flanke, das mich vor der Kälte schützen kann. Mit Leichtigkeit hol ich mir jetzt eine Lungenentzündung. Und wenn ich sie habe, Bürger, dann krepiere ich vor Hunger. Denn wenn du eine Lungenentzündung hast, kannst du dich nur noch vor die Haustreppe kauern. Und wer wird schon um die Mülleimer herumschleichen, um Futter für einen kranken Junggesellenköter zu besorgen? Wenn es die Lunge erwischt, kannst du nur noch auf dem Bauch kriechen, bis du so schwach bist, dass dich selbst der letzte Hausierer mit einem Knüppel erschlagen kann. Und dann packen mich die Hauswarte an den Beinen und schmeißen mich auf ihre Schubkarre ...

Hauswarte sind von allen Proletariern das schlimmste Pack. Der Abschaum der Menschheit, das Dreckigste auf Erden. Aber Köche gibt es ganz verschiedene. Da gab es den verstorbenen Wlas aus der Pretschistenka zum Beispiel. Der hat wer weiß wie vielen Hunden das Leben gerettet. Denn wenn du krank bist, musst du vor allem einen Happen zu fressen kriegen, damit du nicht vom Fleisch fällst. Und wenn Wlas dir einen Knochen zuwarf, dann pflegte dort immer noch ein Kanten Fleisch dran zu hängen. Der war eine große Persönlichkeit, Gott hab ihn selig, ein Koch des Herrn, der für die Familie des Grafen Tolstoi, nicht für den Rat für Ausgewogene Ernährung gearbeitet hatte. Doch diese Dreckskerle richten dir einen Fraß an, der selbst einen Hund verstören würde. Sie brauen dir aus faulem Pökelfleisch ein Süppchen zusammen und gaukeln dir sonst was vor. Und die armen Idioten, die das fressen sollen, wissen nicht, was ihnen da aufgetischt wird. Sie kommen, schlürfen und schlucken.

Eine Schreibsekretärin der Gehaltsstufe 9 verdient nur etwa fünfzig Rubel im Monat, auch wenn sie ihr Liebhaber ab und zu mit Strümpfen aus persischer Seide aushält. Doch bedenken Sie, was sie für das Entgelt aus persischer Seide alles erleiden muss! Er wird wohl nicht die übliche Art von Liebe mit ihr machen wollen, sie soll es Französisch mit ihm treiben. Das sind Schweine, diese Franzosen, wenn Sie mich fragen, auch wenn sie wissen, wie man sich vollstopft und mit Rotwein volllaufen lässt. Nun gut, da kommt diese kleine Schreibsekretärin und will eine Mahlzeit zu sich nehmen. Bei fünfzig Rubel kann sie es sich eigentlich nicht leisten, in das Bar zu gehen, geschweige denn ins Kino. Obwohl das Kino der einzige Trost im Leben einer Frau ist. Voller Qual wählt sie sich ein Gericht aus ... Nun denken Sie: 40 Kopeken für zwei Gänge! Zusammen kosten die nicht mehr als 15, weil sich der Betriebsleiter 25 Kopeken in die eigene Tasche wirtschaftet. Kann ihr dieses Gericht bekommen? Ihre rechte Lungenspitze ist angegriffen, sie hat ihre Periode, das Gehalt wurde ihr gekürzt, und dann füttert man sie mit diesem alten Dreck aus der Kantine. Das arme Mädchen ... Dort läuft sie gerade, da im Torweg, in den Seidenstrümpfen ihres Verehrers. Die Beine frieren ihr, der Wind bläst ihr auf den Bauch, wo ihr Fell nicht anders ist als auf meiner Flanke, weil sie nur ein dünnes Spitzenzeug von Höschen trägt, mit dem sie ihren Liebhaber beglücken will. Zöge sie eine Flanellhose über, würde er sie anbrüllen, was für eine Schlampe sie sei. »Mein Mädchen«, würde er sagen, »will mich langweilen! Ich hab diese Flanellschlüpfer von ihr satt, zum Teufel mit ihr. Ich bin Vorsitzender jetzt, und was ich zusammenraffe, das geht für Titten, Hummer und Champagner drauf. In meiner Jugend hab ich genug gehungert, und an die Auferstehung nach dem Tode glaube ich nicht.«

Sie tut mir leid, armes Ding. Doch noch mehr bedaure ich mich selbst. Ich sag das nicht aus Selbstsucht, nicht im Geringsten, denn wir leben doch auf ganz verschiedene Weise. Sie kann sich wenigstens in ein warmes Stübchen retten, doch wie steht's da bei mir? Wohin kann ich mich stehlen? A-huuuh-hu-huh!

»Hier, Hündchen, na komm! Komm, Scharik! Komm ... Warum winselst du, mein kleiner Freund? Hat dir jemand wehgetan? Oh je ...«

Der grauenvolle Schneesturm heulte durch den Torweg und schlug dem Mädchen um die Ohren. Er hob ihr den Rock bis zu den Knien, entblößte ihre cremefarbenen Strümpfe und einen kleinen Streifen schlecht gewaschener Spitzenunterwäsche, erstickte ihre Worte und begrub den Hund mit Schnee.

»Herrgott ... was für ein Wetter ... Huh ... Und mein Bauch tut weh. Das muss dieses entsetzliche Pökelfleisch sein. Wann hat das nur ein Ende?«

Den Kopf gesenkt, blies das Mädchen zum Angriff und flitzte aus dem Torweg hinaus. Auf der Straße schubste sie der heftige Sturm herum, ein Wirbel aus Schnee erhob sich, und sie entschwand.

Der Hund aber blieb im Torweg. Seine verbrühte Flanke schmerzte ihn so sehr, dass er sich an die kalte Wand presste, japste und beschloss, hier nicht mehr fortzugehen. Hier wollte er sterben. Die Verzweiflung drückte ihn nieder. Es war ihm so bitter, er war so betrübt, so einsam und verängstigt, dass ihm kleine Hundetränen von seinen Augen rollten und im Nu vertrockneten. Seine verletzte Seite war voller gefrorener Haarsträhnen und verkrusteter Blutgerinnsel und dazwischen kamen bedrohliche rote Flecken der Verbrennung zum Vorschein. Diese Köche, wie grausam, herz- und hirnlos sie doch sind. Scharik hatte sie ihn genannt ... Warum zum Teufel Scharik? Scharik ist ein Name für einen verwöhnten, fetten und verblödeten, Hafergrütze fressenden Hund aus gutem Hause. Er aber war ein zerlumpter, abgemagerter und dreckiger Streuner mit verbrühter Flanke.

Auf der anderen Straßenseite schellte die Tür eines hell erleuchteten Ladens und ein Bürger trat hervor. Kein Genosse, nein, ein Bürger oder, noch wahrscheinlicher, ein Herr. Als er sich näherte, war es ganz offensichtlich, dass es ein Herr war. Sie nehmen sicher an, ich hätte ihn an seinem Mantel erkannt? Das ist Quatsch. Schon heute tragen viele Proletarier einen Mantel. Ja gut, die haben einen ganz anderen Kragen, geschenkt, doch auf diese Entfernung kann man sich auch täuschen. Nein, es waren die Augen: Ob nah oder fern, Augen täuschen nicht. Augen sind äußerst markant. Wie ein Barometer. Sie erzählen alles, sobald sie auf dich blicken, sie erzählen, wer ein Herz aus Stein hat, wer dir mir nichts dir nichts die Stiefelspitzen in die Rippen bohrt und wer Angst vor wem auch immer hat. Den Feiglingen, denen schnappe ich am liebsten in die Beine. Wenn sie feige sind, dann haben Sie's verdient. Geschieht ihnen recht ... grrr ... wauwau.

Kühn überquerte der Herr die Straße, in eine Säule wirbelnden Schnees gehüllt, und ging auf den Torweg zu. Ja, bei dem ist alles ganz richtig. Der würde kein faules Pökelfleisch fressen, und wenn ihm rein zufällig irgendjemand welches andreht, schlägt er gehörig Krach und schreibt in die Zeitung: Ich, Filipp Filippowitsch, sollte vergiftet werden.

Da kommt er, näher und näher. Das ist ein Mann, der gut isst und nicht klaut, ein Mann, der dich nicht tritt, der vor niemandem kuscht und Angst hat, weil er immer genug zu essen hat. Dieser Herr ist ein Intellektueller. Er trägt einen bestens getrimmten Spitzbart und einen grauen Schnurrbart, kühn und buschig wie der eines französischen Ritters aus alter Zeit. Aber der Geruch, den der Schneesturm von ihm herüberwehte, der ist übel! Das ist eine Mischung aus Krankenhaus und Zigaretten.

Ich frage mich, was der zum Teufel in diesem staatlichen Einkaufsschuppen zu suchen hat? Jetzt ist er schon ganz nahe ... Was hat er vor? Ahuuuh, ahuuuh... Was wollte der denn in dieser Drecksbude kaufen, er hätte doch ins Ochotny Riad gehen können? Was hält er da in der Hand? Wurst! Schauen Sie, mein Herr, wenn Sie wüssten, was die in diese Wurst hineinschnippeln, Sie würden einen weiten Bogen um diese Bude machen. Das ist eher was für mich.

Der Hund sammelte seine letzten Kräfte und kroch wie ein Irrer aus dem Torweg auf die Straße. Der Schneesturm ratterte wie Geschützfeuer über seinem Kopf hinweg und rüttelte an den riesigen Lettern eines Werbebanners, auf dem ›Ist Verjüngung möglich?‹ stand.

Und wie das möglich ist! Der bloße Wurstgeruch hat mich verjüngt, hat mich auf die Beine gebracht, hat heiße Wellen in meine seit zwei Tagen leere Magengrube entsendet. Dieser Geruch, der den Krankenhausgestank übertüncht, hat ein himmlisches Aroma aus zerhacktem Pferdefleisch mit Knob­lauch und Pfeffer. Ich spüre es, ich weiß, in seiner rechten Manteltasche hat er eine Wurst. Jetzt steht er über mir. Oh, mein Gebieter! Schaut auf mich hernieder. Ich sterbe. Mir ist so elend. Ich bin euer Knecht, das ist mein elendiges Los!

Der Hund kroch wie eine Schlange auf dem Bauch. Schauen Sie nur, was dieser Koch mir angetan hat. Sie geben mir bestimmt nie etwas. Sei's drum. Ich kenn die Reichen! Aber was wollen Sie damit? Was wollen Sie mit diesem alten faulen Pferdefleisch? Im staatlichen Moskauer Lebensmittelhandel verkaufen sie nur solchen Rotz. Sie hatten doch schon ein gutes Frühstück, Sie sind doch eine Koryphäe von Weltrang dank der männlichen Geschlechtsdrüsen ... U-hu-hu-hu ... Ach, was kann ich schon ausrichten? Zum Sterben ist es noch viel zu früh für mich und Jammern, das ist eine Sünde. Ich habe keine Wahl, ich leck ihm die Hände.

Der ominöse Mann beugte sich zu dem Hund hinunter, seine goldumrandete Brille funkelte, und dann zog er ein länglich weißes Päckchen aus seiner Manteltasche. Ohne die braunen Handschuhe auszuziehen, wickelte er das Papier aus, das sogleich der Schneesturm entführte, und brach ein Stück Wurst ab, die ihm als »Krakauer Spezial« verscherbelt wurde, und gab es dem Hund. Oh, edelmütiger Gebieter! Ahu-ahu!

»Fitt-fitt«, pfiff der Herr und fügte streng hinzu: »Komm her! Hol sie dir, Scharik!«

Auch er tauft mich Scharik. Nenn mich, wie du willst. Für diese Edeltat!

Im Nu riss der Hund die Wurstpelle ab, biss in die Krakauer und würgte sie eilends hinunter. Tränen schossen ihm in die Augen, als er fast an der Schnur erstickte, die er voller Gier mit hinuntergewürgt hatte. Lassen Sie mich nochmals Ihre Hand lecken, ich will Ihre Stiefel küssen, mein Lebensretter!

»Das reicht fürs Erste!« Der Herr sprach zack-zack, als würde er befehlen. Er beugte sich zu Scharik, stierte ihm mit forschendem Blick in die Augen und strich dem Hund unerwartet freundlich und zärtlich mit der behandschuhten Hand über den Bauch.

»Aha«, sprach er bedeutungsschwer. »Kein Halsband. Ausgezeichnet. Du bist genau das, was ich suche. Folge mir!« Er schnippte mit dem Finger. »Braver Hund!«

Ihnen folgen? Bis zum Ende der Welt folg ich. Treten Sie mich mit ihren Filzstiefeln, ich sag kein Wort.

Die ganze Pretschistenka war von Straßenlaternen erleuchtet. Seine Flanke brannte unerträglich, doch Scharik verdrängte für einen Augenblick den Schmerz, weil ihn ein bestimmter Gedanke fesselte: Um Himmelswillen, bloß nicht diese bepelzmantelte Erscheinung in diesem Sturmtoben aus den Augen verlieren und ihr irgendwie meine Liebe und Hingabe erweisen. Diese erwies er ihr von der Pretschistenka bis zur Obuchowgasse ganze sieben Mal. Auf der Mjortwigasse leckte er ihr die Stiefel, beräumte den Weg, indem er eine Dame ankläffte, und erschrak sie dabei derart, dass sie sich auf den Bordstein setzen musste. Dann winselte er zwei Mal, um das Mitleid seines Herrn wachzuhalten.

Ein räudiger, auf sibirisch machender Straßenkater kroch hinter einer Regenrinne hervor. Trotz des Schneesturms hatte er die Krakauer gewittert. Da ließ ein Gedanke Scharik vor Wut erblinden, dass dieser exzentrische Wohltäter, der verbrühte Hunde in Torwegen aufsammelt, auch mit diesem Räuber Mitleid haben könnte und er das Erzeugnis aus dem staatlichen Lebensmittelhandel mit ihm teilen müsste. Da fletschte er seine Zähne derart wild, dass der Kater, zischend wie ein undichter Schlauch, die Regenrinne hinauf ins erste Stockwerk kuschte. Grrr! Wuff! Verpiss dich! Man kann doch nicht den ganzen staatlichen Lebensmittelhandel aus Moskau für all diese Streuner in der Pretschistenka verplündern.

Der Herr wusste die Hingabe des Hundes überaus zu schätzen. Direkt vor dem Fenster der Feuerwache, aus dem die wohlklingende Stimme eines Waldhorns erschallte, belohnte er ihn mit einem zweiten Stück, das etwas kleiner war als das erste. Komischer Kauz. Er winkt mir. Seien Sie beruhigt, ich werde nicht davonlaufen. Ich folge Ihnen, wohin es Sie auch treibt.

»Fitt-fitt-fitt. Hier lang!«

In die Obuchowgasse? Na gern. Hier kenn ich mich bestens aus.

»Fitt-fitt!«

Hier hinein? Mit Vergnüg ... Häh, nein, warten Sie eine Minute. Nein. Es gibt einen Portier in diesem Wohnhaus. Meine schlimmsten Feinde, diese Portiers, schlimmer noch aus Hauswarte. Welch schreckliches Los. Schlimmer als Katzen. Schlächter in Livree.

»Hab keine Angst, fitt-fitt, hierher!«

»Einen schönen guten Abend, Filipp Filippowitsch!«

»Guten Abend, Fjodor!«

Was für eine Persönlichkeit! Bei Gott, was für ein Glück. Wer ist diese Geistesgröße, die sogar Straßenköter an einem Portier vorbeilotsen kann! Schauen Sie sich diesen Bastard an, kein Wuff, keine Regung! Er schaut zwar grimmig, sonst aber unter seiner goldbeschnurten Mütze keine Regung.

---ENDE DER LESEPROBE---