Michail Bulgakow, Das Hundeherz. Vollständig neu übersetzt von Alexandra Berlina - Michail Bulgakow - E-Book

Michail Bulgakow, Das Hundeherz. Vollständig neu übersetzt von Alexandra Berlina E-Book

Michail Bulgakow

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Beschreibung

Bello ist ein ganz manierlicher Straßenköter, bis der geniale Chirurg Professor Filipp Preobraschenski auf die Idee verfällt, dem Tier die Hypophyse eines Menschen einzupflanzen. Er möchte damit den Hund nur verjüngen – doch der Versuch misslingt auf grandiose Weise: Aus Bello wird Genosse Bellski, der flucht und säuft und stiehlt. Mit dieser grotesken Fabel, entstanden 1925 in Moskau, nahm Michail Bulgakow die utopisch-verwegene Idee vom proletarischen Sowjetmenschen tierisch satirisch aufs Korn und hat dabei die vielleicht komischste Science-Fiction-Dystopie der Weltliteratur geschaffen, ein Must-read für alle Fans von »Der Meister und Margarita«.

  • »Auch nach 95 Jahren ist das unbedingt eine grandiose Fabel, irgendwo zwischen ›Frankenstein‹ und Fausts Homunkulus« Deutschlandfunk, 2018
  • Genial, urkomisch und messerscharf: Ein russischer Klassiker, immer wieder lesbar

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Seitenzahl: 149

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Michail Bulgakow

Das Hundeherz

Michail Bulgakow

Das Hundeherz

Eine monströse Geschichte

Aus dem Russischen neu übersetzt von Alexandra Berlina

Anaconda

Titel der russischen Originalausgabe Sobatschje serdze.

Die vom Professor immer wieder gesungenen Zeilen entstammen dem Ständchen des Don Juan von Alexei Tolstoi, Übersetzung von Bruno Tutenberg.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 by Anaconda Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagmotiv: Olga_Angelloz/Shutterstock.com; rashadashurov/stock.adobe.com; Morphart/stock.adobe.com; Creative Trendz/stock.adobe.com

Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de

Satz und Layout: Achim Münster, Overath

ISBN 978-3-641-31136-0V001

www.anacondaverlag.de

1

Uuuhu-huuu! Oh schaut mich an, ich verende! Der Schneesturm im Torweg heult mein Trauergebet, und ich heule mit. Vorbei ist es mit mir, aus und vorbei. Dieser Schurke mit der dreckigen weißen Mütze – der Koch der Standardernährungskantine für Angestellte des Sowjetwirtschaftszentralrats, ein Schuft von einem Proletarier – hat mir mit großem Schwung eine Portion siedendes Wasser verpasst. Herrgott, wie weh das tut! Hat sich bis an die Knochen in meine linke Seite gefressen! Also jaule ich was das Zeug hält, aber was hilft das schon?

Was habe ich ihm denn getan? Was? Fress ich den Wirtschaftszentralrat etwa arm, wenn ich in den Abfällen wühle? Geiziges Mistvieh. Schauen Sie sich doch nur mal seine Visage an: breiter als sie lang ist! Dieb mit stumpfer Fresse. Oh Menschen, Menschen! Heute Mittag hat mir die Kochmütze die Verbrühung serviert, und nun ist es dunkel, so um die vier Uhr nachmittags wird’s wohl sein, dem Zwiebelgeruch nach zu urteilen, der von der Feuerwache kommt. Die Feuerwehrleute essen zu dieser Zeit bekanntlich Brei. Aber das ist nun wirklich das Allerletzte, so schlimm wie Pilze. Wobei – ein paar bekannte Hunde haben erzählt, im Restaurant ›Bar‹ an der Neglinnaja sei die Spezialität des Hauses »Pilze Pikant«, drei Rubel fünfundsiebzig die Portion, und das würden die Leute fressen. Na, wer es mag. Da kann man auch gleich eine Galosche lecken. Auuuu …

Unerträglich, wie mir die Seite wehtut, und meinen künftigen Werdegang sehe ich sonnenklar vor mir: ­Morgen kommen die Geschwüre, und was soll ich bitteschön dagegen tun? Im Sommer wäre ich rüber in den Sokolniki-Park, da gibt es dieses besondere Kraut, das ist wirklich sehr gut, und außerdem kannst du dich dort gratis mit Wurstzipfeln vollfressen und das schöne fettige Papier ablecken, das die Bürger überall fallenlassen. Wenn die alte Schachtel nicht wäre, die auf der runden Bühne steht und beim Mondschein »Himmlische Aida« singt, dass einem das Herz in den Magen fällt, wäre es dort ganz wunderbar. Doch jetzt, wo soll ich jetzt hin?

Wurde ich etwa nie mit Stiefeln getreten? Doch, natürlich. Einen Ziegelstein in die Rippen? Kenn ich zur Genüge. Alles habe ich erlebt, ich hadere nicht mit dem Schicksal, und wenn ich jetzt weine, dann bloß vor körperlichem Schmerz und vor Hunger; mein Geist ist noch nicht erloschen. Zäh ist der Hundegeist.

Doch mein Leib – mein Leib ist gequält, verkrüppelt, geschändet von Menschen. Das Schlimmste ist ja: Er hat mich so ordentlich verbrüht, so das Fell weggeätzt, dass die linke Seite jetzt ganz ohne Schutz ist. Da kann ich mir nichts, dir nichts eine Lungenentzündung kriegen, und wenn das passiert, liebe Bürger, kratze ich ab vor Hunger. Eine Lungenentzündung muss man kurieren, es sich in einem Hauseingang unter der Treppe gemütlich machen, aber wer soll denn bitteschön für mich bettlägerigen Junggesellen die Mülltonnen durchwühlen? Ja, wenn es an die Lunge geht, verliere ich alle Kraft und krieche auf dem Bauch. Dann haut mich der Erstbeste mit einem Stock tot. Und die Straßenkehrer werden mich bei den Beinen packen und auf einen Karren laden …

Von allen Proletariern sind Straßenkehrer der schlimms­te Abschaum. Menschliche Kartoffelschalen der allerletzten Sorte. Köche, da gibt’s solche und solche. Der Wlas von der Pretschistenka, Gott hab ihn selig, wie viele Leben der gerettet hat! Weil wenn man krank ist, da ist nichts wichtiger als den Magen zu füllen. Und da, haben alte Hunde erzählt, schmeißt der Wlas dir einen Knochen zu, und darauf ein Achtelpfund Fleisch! Ein Mann von Format war das, Koch der Grafen Tolstoi, nichts mit Standardernährung. Was die sich dort bei der Standardernährung leisten, das glaubt doch kein Hund! Die kochen da ihren Borschtsch aus faulem Pökelfleisch, und die armen Leute haben keinen Schimmer! Fressen es nur so auf!

Da bekommt so ein Tippfräulein nach Tarifklasse neun ihre fünfundvierzig Rubel, und dann vielleicht noch von ihrem Kavalier ein paar Kunstseidenstrümpfe geschenkt. Aber was sie für diese Kunstseide alles über sich ergehen lassen muss! Er will ja nicht ganz normal, sondern sie soll es ihm auf die französische Art machen. Diese Franzosen sind schon Saukerle, unter uns gesagt. Auch wenn sie gut zu essen wissen. Jedenfalls trippelt das Tippfräulein also in die Normalkantine, sie kann ja nicht in die »Bar« mit ihren fünfundvierzig Rubeln! Nicht mal fürs Filmtheater hat sie genug, und Filme sind für Frauen ja der einzige Trost im Leben. Da schüttelt sie sich also, und rümpft die Nase, aber fressen muss sie. Kaum zu fassen, vierzig Kopeken für zwei Gerichte, und beide zusammen keine fünfzehn wert; die anderen fünfundzwanzig hat nämlich der Kantinenleiter eingesteckt. Dabei hat sie ganz andere Kost nötig! Oben am rechten Lungenflügel hat sie was, und eine Frauenkrankheit dazu, und Lohnabzug, und das verdorbene Essen im Magen, hier, da läuft sie! Eilt in den Torweg in ihren geschenkten Strümpfen. An den Beinen friert sie, der Wind kommt ihr an den Bauch, sie hat ja nicht mehr Fell als ich an der verbrühten Seite, und ihre Unterhose wärmt kein bisschen, da ist nichts als Schein und Spitze. Lumpen für den Kavalier. Würde sie es wagen, eine Flanellhose drunter zu tragen, na, da wäre das Geschrei aber groß:

»Was bist du denn für eine! Ich hab genug von Flanellunterhosen und von meiner Frau, jetzt ist meine Zeit gekommen! Jetzt bin ich Vorsitzender, und was ich zusammenklaue, gebe ich aus für den Frauenleib, für Krebsschwänze und Sekt! Hab in meiner Jugend genug gehungert, mir reicht es, ich will ein richtiges Leben, und nach dem Tod gibt es keins.«

Sie tut mir leid, die frierende Frau, natürlich tut sie mir leid! Doch ich selbst noch mehr. Ich sage das auch wahrhaftig nicht aus Egoismus, sondern weil es ihr ja wirklich besser geht. Sie hat’s zumindest zuhause warm, und ich? Und ich? Wohin mit mir? Verprügelt, verbrüht, verstoßen, wohin mit mir? Au-u-u-u!

»Oh du Fellnase! Na, was heulst du denn so, du armer Bello? Was ist denn, Süßer? Hat man dir was angetan?«

Der Schneesturm, dieser alte Kobold, ratterte mit dem Tor und versetzte dem Tippfräulein eine Ohrfeige, dass ihr die Worte im Hals steckenblieben. Ihren Rock bauschte er über den Knien hoch, entblößte die fadenscheinigen cremeweißen Strümpfe und einen dünnen Streifen schlecht gewaschener Spitzenwäsche. Den Hund bedeckte er mit Schnee.

»Mein Gott … Was für ein Wetter … Uh, und Bauchschmerzen auch noch. Dieses Fleisch, dieses verdammte Pökelfleisch! Hört es denn niemals auf?«

Das Fräulein senkte den Kopf und stürzte dem Schneesturm entgegen, schaffte es aus dem Torweg und auf die Straße hinaus, wurde herumgewirbelt, zerweht, zerflattert, und dann in einer Schneeschraube außer Sicht gefegt.

Der Hund mit seiner verstümmelten, schmerzenden Seite blieb im Torweg zurück, drückte sich an die kalte Mauer, schnappte nach Luft und beschloss fest, keinen Schritt mehr zu tun; hier in diesem Torweg würde er krepieren. Verzweiflung wuchtete ihn nieder. So bitter und gequält war er, so groß seine Einsamkeit und Angst, dass kleine Tränen aus den Hundeaugen quollen und sogleich austrockneten. Seine wunde Seite war voller filziger gefrorener Klumpen, und dazwischen zeichneten sich bedrohlich rote Flecken ab.

Diese sinnlose, stumpfe Grausamkeit der Köche! Bello hat sie ihn genannt. Er und Bello! Ein Bello ist rund wie ein Ball, flauschig, dumm, Sohn nobler Eltern, frisst Haferbrei zum Frühstück – und er, struppig, schlaksig, dürr, er zerschundener Streuner? Na, jedenfalls hat sie’s gut gemeint.

Auf der anderen Straßenseite ging die Tür eines grell beleuchteten Ladens auf, und heraus kam ein Bürger. Definitiv ein Bürger, kein Genosse; vielleicht sogar ein Herr. Immer näher, immer klarer, tatsächlich: ein Herr. Sie denken vielleicht, ich gehe da nach dem Pelzmantel? Unsinn. Inzwischen tragen auch jede Menge Proletarier einen. Der Kragen ist natürlich ganz anders, gar kein Vergleich, aus der Ferne könnte es aber schon zu einer Verwechslung kommen. Doch die Augen – die Augen sind nicht zu verwechseln, selbst aus der Ferne nicht! Oh, die Augen, das ist schon was. Wie ein Barometer. Alles kannst du sehen: Wer eine ausgetrocknete Wüste von einer Seele hat, wer dir aus heiterem Himmel einen Tritt unter die Rippen versetzen kann, wer selbst Angst hat und vor jedem kuscht. So einen Kriecher in die Wade zu beißen, das tut gut! Angst hast du? Nimm das! Wer Angst hat, der wird schon was ausgefressen haben. Rrr! Wau!

Zielbewusst überquerte der Herr im Schneewirbel die Straße und steuerte auf den Torweg zu. Ja, da sieht man gleich, was das für einer ist. Der wird kein vergammeltes Pökelfleisch fressen, und wenn er doch welches vorgesetzt bekommt, na, dann gibt’s aber einen fetten Skandal und Briefe an die Zeitungen: mir, Herrn Preobraschenski, wurde verdorbene Nahrung serviert!

Näher kommt er, näher. Dieser eine stiehlt nie und isst reichlich. Er wird dich nicht treten, hat aber auch selbst keine Angst, vor niemandem, denn er kennt keinen Hunger. Einer geistigen Arbeit geht er nach, der Herr mit kultiviertem Spitzbart und grauem buschigem Schnauzer, verwegen wie bei einem französischen Ritter; doch der Geruch, den der Schneesturm von ihm herüberweht, ist übel, nach Krankenhaus, und auch nach Zigarre.

Was will so einer denn zum Henker beim Zentralkonsumverein? Ganz nah ist er jetzt. Wieso ist er hier? U-u-u-u … Was hatte er in diesem elenden Laden zu suchen, sind ihm denn die guten Geschäfte in der Stadt nicht genug? Was? Wurst, Wurst hat er gekauft! Mein guter Herr, wenn Sie nur wüssten, woraus diese Wurst besteht, hätten Sie eine große Schleife um den Konsumverein gemacht. Geben Sie die Wurst doch mir!

Der Hund sammelte seine letzten Kräfte und kroch, getrieben, aus dem Torweg und auf den Bürgersteig. Der Schneesturm knallte wie ein Schuss über seinem Kopf, wirbelte die riesigen Buchstaben eines Stoffbanners hoch: »Ist Verjüngung möglich?«

Definitiv. Der Geruch hat mich verjüngt, mich hochgehoben, meinen seit zwei Tagen leeren Magen in brennenden Krämpfen zusammengedrückt – ein Geruch, stärker als der vom Krankenhaus, der himmlische Geruch von gehacktem Pferd mit Knoblauch und Pfeffer! Ich spüre, ich weiß: Da, in der rechten Manteltasche, hat er die Wurst. Da steht er über mir. Mein Gebieter! Schau mich an. Ich sterbe. Oh, unsere sklavische Seele, unser elendes Los!

Der Hund kroch vorwärts, wand sich weinend auf dem Bauch. Sehen Sie, was der Koch mir angetan hat? Aber natürlich geben Sie mir nichts ab. Ich kenne reiche Menschen nur zu gut. Dabei brauchen Sie die Wurst nun wirklich nicht! Was wollen Sie mit vergammeltem Pferdefleisch? So ranzig kann die Sache sein nur im Zentralkonsumverein … Sie haben heute doch ordentlich gefrühstückt, Sie Wissenschaftler von Weltrang, den männlichen Geschlechtsdrüsen sei dank … U-uhu-u … Ja, was passiert mir denn? Es ist wohl doch zu früh zum Sterben, und Verzweiflung tatsächlich eine Sünde! Ihm die Hände lecken, mehr bleibt mir nicht.

Der geheimnisvolle Herr beugte sich zum Hund hinunter, wobei seine Brille golden aufschimmerte, und holte ein längliches weißes Paket aus der rechten Manteltasche. Ohne die braunen Handschuhe abzunehmen, wickelte er das Papier ab, das ihm der Schneesturm sogleich aus den Händen riss, brach ein Stück von der Wurst ab, die den Namen »Krakauer Spezial« trug – und warf es dem Hund hin. Welch Selbstlosigkeit! Uhu-u-u!

»Hüüüit, hüüüit!«, pfiff der Herr und fügte sehr streng hinzu, »jetzt nimm! Na, du, Bello?«

Bello! Schon wieder dieser Name! Aber bitte, bitte. Nennen Sie mich ganz wie Sie belieben, wo Sie so außerordentlich gütig sind.

Der Hund riss die Pelle ab, versenkte mit einem Schluchzer die Zähne in der Wurst und verputzte sie in Sekundenschnelle. Dabei verschluckte er sich an der Krakauer und am Schnee so schlimm, dass ihm die Tränen kamen – aus Gier hätte er beinahe den Strang gefressen. Und wieder lecke ich Ihre Hand! Ich küsse Ihnen die Hose, mein Gönner!

»Das reicht erst mal.« Der Herr sprach abrupt, als gäbe er ein Kommando. Noch einmal beugte er sich zu Bello hinunter, schaute ihm forschend in die Augen, und ein Handschuh strich ihm auf einmal intim und zärtlich über den Bauch.

»Aha«, sagte der Herr bedeutungsvoll, »kein Halsband, sehr schön, genau, was ich brauche. Komm mit!« Er schnippte mit den Fingern und pfiff den Hund heran.

Mit Ihnen? Bis ans Ende der Welt! Selbst wenn Sie mich jetzt mit Ihren Filzstiefeln in die Fresse treten!

Laternen strahlten entlang der ganzen Straße. Die Seite tat höllisch weh, doch Bello vergaß immer wieder den Schmerz, allein von dem Gedanken besessen, die wundersame Vision im Pelzmantel nicht im Gemenge aus den Augen zu verlieren und irgendwie seine Liebe und Loyalität zum Ausdruck zu bringen. Ein halbes Dutzend Mal fand er unterwegs die Gelegenheit dazu. Er küsste den Stiefel des Gönners, jaulte ein paar Mal, damit sein Mitgefühl nicht abebbte, und heulte einmal so wild auf, um den Weg freizuräumen, dass eine Dame vor Schreck auf einen Prellstein niedersank.

Irgendein Mistvieh von einem Straßenkater, ein vorgeblicher Sibirier, lugte hinter einem Regenrohr hervor und witterte trotz des Schneesturms die Krakauer. Bello wurde es ganz übel bei dem Gedanken, dass der reiche Exzentriker, der verletzte Hunde in Torwegen aufsammelt, auch diesen Gauner mitnehmen könnte, und das Erzeugnis des Zentralkonsumvereins dann zu teilen wäre. Also schnappte er in Richtung des Katers so mit den Zähnen, dass dieser wie ein durchlöcherter Schlauch zischte und am Regenrohr eine Etage hochschoss.

Frrrr …! Wuff! Weg hier! Wenn man jedes zerlumpte Straßenvieh füttert, müsste man ja den ganzen Zentralkonsumverein leerkaufen!

Der Herr würdigte die Loyalität des Hundes und honorierte sie am Fenster der Feuerwache, aus dem das angenehme Brummen einer Tube erklang, mit einem weiteren, kleineren Stück Krakauer. Er will wohl dafür sorgen, dass ich auch weiter mitkomme, der gute Mann. Da können Sie ganz beruhigt sein; mich werden Sie so schnell nicht los. Ihnen folge ich, wohin es Ihnen beliebt!

»Hüüüit-hüit, hier, komm!«

In die Obuchow-Gasse? Mit Vergnügen! Hier kennt sich unsereiner aus.

»Hüüüit-hüüit!«

Hier rein? Aber natür – o nein, mit Verlaub. Nein. Da ist ein Pförtner. Nichts schlimmer als das. Viel gefährlicher noch als Straßenkehrer. Eine verhasste Menschenrasse! Widerlicher als Katzen. Tierschänder in Uniform.

»Keine Angst, komm schon.«

»Einen guten Tag wünsch ich Ihnen, Herr Preobraschenski!«

»Guten Tag, Fjodor.«

Wahrhaftig ein Mann von Format! Wen hast du mir da beschert, mein Hundeschicksal? Was ist das für eine Persönlichkeit, die Straßenhunde direkt vor der Pförtnernase in ein Genossenschaftshaus führen darf? Schauen Sie sich diesen Mistkerl nur an! Kein Laut, keine Regung. Blickt zwar etwas düster, aber viel tut sich im Gesicht unter der goldbetressten Kappe nicht. Als würde es sich so gehören. Respekt hat er, jawohl, jede Menge Respekt! Tja, und ich gehöre zu dem Herrn. Und? Nichts kannst du mir! Jetzt mal die Zähne in deine Proletarierwade versenken, das wäre was! Für all die Schikanen des ganzen Pförtner­geschlechts. Wie oft habt ihr mir mit dem Besen die Schnauze entstellt, eh?

»Komm, komm.«

Natürlich, natürlich, gerne doch. Führen Sie, ich komme nach. Sie brauchen mir nur den Weg zu zeigen, ich werde schon folgen, egal, wie es um meine Seite steht.

Von der Treppe hinunter:

»Gibt es Post für mich, Fjodor?«

Von unten ehrerbietig zurück:

»Heute nicht, Herr Preobraschenski!« Und dann vertraulich, halblaut: »Über Ihnen wurden jetzt Wohngenossen einquartiert.«

Der große Hundegönner drehte sich abrupt auf der Treppe um, beugte sich hinunter und fragte entsetzt:

»Tatsächlich?«

Seine Augen waren rund, und sein Schnurrbart bauschte sich auf.

Der Pförtner legte den Kopf in den Nacken, hielt sich die Hand seitlich an den Mund und sagte:

»Jawohl. Vier Stück!«

»Meine Güte! Ich kann mir schon denken, was nun aus der Wohnung wird! Und, was machen sie?«

»Nichts, Herr Preobraschenski.«

»Und Herr Sablin?«

»Der ist jetzt unterwegs, Paravents kaufen, und Ziegelsteine. Eine Trennwand will er bauen.«

»Eine Schande ist das.«

»In jeder Wohnung werden Genossen einquartiert, außer bei Ihnen, Herr Preobraschenski. Da war gerade eine Versammlung, und das neue Hauskomitee hat’s so beschlossen. Das alte, das hat man jetzt rausgeschmissen.«

»Du meine Güte. Meine Güte … Hüüüit!«

Ich komme, ich komm ja schon! Meine elende Seite, wissen Sie … Jetzt Ihnen noch mal den Stiefel lecken!

Die Mütze des Pförtners verschwand in der Tiefe, auf dem marmornen Treppenabsatz wehte es warm von den Heizungsrohren, man bog noch einmal ab und betrat das Hochparterre.

2

Lesen zu lernen ist ganz und gar überflüssig, Fleisch kann man ja eh meilenweit riechen. Und doch, wenn Sie in Moskau leben und nicht ganz hirnlos sind, werden Sie das Lesen wohl oder übel bald beherrschen, und das ohne jeden Alphabetisierungskurs. Unter den vierzigtausend Hunden der Hauptstadt gibt es höchstens ein paar ­Idioten, die das Wort »W-u-r-s-t« nicht zu entziffern wüssten.