Hydorgol - Flucht - Markus Gersting - E-Book

Hydorgol - Flucht E-Book

Markus Gersting

0,0

Beschreibung

Hydorgol - Flucht (Teil 2 der Hünenwelt Trilogie) Die Welt der Hünen ist nicht für Menschen gemacht. Alofan Haragieri, die Bluttrinkende Geißel von Lotus, hat sich nicht aufhalten lassen und ist in die Welt der Hünen gelangt. Dort gerät er als Herr Imbrifer zwischen die Horde der Erneuerung und die aus der Welt der Menschen zurückgekehrte Inquisition der Kontinuität. Herr Imbrifer und seine Tochter Bammel-Midiana müssen das sichere Kloster verlassen, um Kontakt zu den im Konglomerat lebenden Menschen aufzunehmen. Der Weg durch die Welt der Hünen ist nicht ungefährlich, den düstere Schatten erheben sich aus dem Reich der Toten. Die im Weltenfeuer verbrannten Hünen gieren nach Rache ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 356

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Webseite des Autors findet sich unter

www.hydorgol.de

In der Hydorgol-Reihe sind erschienen, bzw. in Vorbereitung:

Hydorgol – Der Alpha Centauri Aufstand

Hydorgol – Inquisition

Hydorgol – Die Hünenwelt – Exil

Hydorgol – Die Hünenwelt – Flucht

Hydorgol – Die Hünenwelt – Erwachen

Hydorgol – Die Zeitkriege Anthologie

Inhaltsverzeichnis

Das Machtwort

Geständnisse

Die offizielle Version

Enttarnt

Im Licht des Morgens

Neue Zeiten

Auf der Jagd

Laute Gespräche

Aufbruch

Neuthing

Inquisitor Walhan

Der Weg zurück

Die Antwort

Schlechte Nachrichten

Auf zur Jagd

Schnelle Strömungen

In der Schwitzhütte

Bei Pleumon

Schlachtfest

Die Zukunft des Reiches

Fragen

Verlorene Fische

Zurück im Labor

Verrückte Ideen

Kontakt

Die Spur

Das Wiedersehen

Die Prüfung

Nacht

Schwitzhütte

Spuren

An der Klippe

Knochenheim

In der Höhle des Meisters

Reise

Unter dem Messer des Meisters

Vertausche Rollen

Kullat-Rena

Geschwister

Die Rückkehr zum Dorf

Beim Entsatz

Die Schlacht der drei Pässe

In Pleumons Resten

Kriegsrat

Zurück im Perimeter

Ansatzpunkte

Auf der Futtersuche

Das Grauen des Morgens

Im Lager des Feindes

Die Schlacht um Flohtor

Bewegungen in der Nacht

Vorverhandlungen

Die Tiefe

Der Heiler

Pleumons Rast oder das Kloster?

Auszug

Heiler und Regenmacher

Sammeln und angreifen

Die Stunde der Verzweiflung

Back online

Ernst und hoffnungslos

Vereinigung

Neue Zeiten, neuer Kurs

1. Das Machtwort

„GENUG!“

Ein Wort nur und es herrschte Stille. Aus einer belagerten Mauer war durch dieses eine Wort eine Rednerbühne geworden. Zwischen den Zinnen stand eine schmächtige Gestalt und schaute auf die mitten im Angriff eingefrorene Horde hinunter.

„Ich bin zurück. Die Delegation der Kläger hat ihr Ziel erreicht. Die Inquisition der Kontinuität hat in der Welt der Verursacher getagt und Recht gesprochen. Horde der Erneuerung, Hünen, Kinder, wir haben unser Ziel erreicht. Feiert! Eine neue Zeit ist angebrochen. Feiert!“

Die schmächtige Gestalt schaute über die Ebene vor der Mauer und winkte der gebannt zu ihr empor blickenden Horde huldvoll zu. Die Horde, die sich vor dieser kurzen Rede angeschickt hatte, die Mauern des neu errichteten Klosters der Kontinuität zu erstürmen, schwieg. So lange, bis eine Stimme von unten rief:

„Wer ist das?“

„Ich bin Inquisitor Fraan. Ihr kennt mich noch als den Füllvater Fraan.“

„Füllvater Fraan? Der war ein gewaltiger, alter und dicker Hüne! Da stimmt doch was nicht!“

„Die Inquisition geht an niemandem spurlos vorüber! Und als Inquisitor frage ich euch: Was hat diese Belagerung zu bedeuten?“

„Wir wollen Rache! Wir wollen Vergeltung! Die Toten fordern ihr Recht!“

„Die Toten fordern ihr Recht? Was ist das für ein Unsinn?

Wer sagt das? Auf wessen Befehl seid ihr hier?“

„Auf Befehl von Ratsherr Hullon, Anführer der Horde der Erneuerung!“

„Ratsherr Hullon?“ Die schmächtige Gestalt des Inquisitors schwankte für einen Moment, dann hatte der Inquisitor sich wieder gefangen.

„Gut. Dann soll Ratsherr Hullon vortreten und selbst sprechen!“

„Ratsherr Hullon ist tot. Er wurde ermordet! Wir verlangen Rache für ...“

„Schweigt!“ Dieses mit Macht gesprochene Wort rollte über die Ebene und erstickte das aufbrausende Geschrei der Menge vor den Mauern im Keim.

„Ratsherr Hullon ist tot und er befiehlt euch diesen Angriff? Tote befehlen nicht! Wer spricht jetzt für die Horde? Bringt ihn zu mir!“

Unten in der Ebene reagierte die Masse der dichtgedrängten Leiber mit kurzen zuckenden Bewegungen. So als ob die Hünen vor der Mauer versuchten, der Aufforderung des Inquisitors nachzukommen, es aber nicht konnten. Niemand antwortete dem Inquisitor, da dessen Befehl zu schweigen noch nachhallte. Der Inquisitor ließ die Massen unter ihm eine Weile schmoren, bevor er seine Stimme erneut erhob.

„Niemand? Niemand führt die Horde und ihr greift trotzdem an? Was war der letzte Befehl des Ratsherrn?

Was hat der Rat mit der Horde zu tun? Weswegen wurde die Horde ausgesandt?“

Das Schweigen in der Ebene wurde drückend. Der Inquisitor wartete noch einen Moment, dann sprach er erneut ein Wort der Macht.

„Sprecht! Beantwortet meine Fragen.“

Einem Dammbruch gleich, schwappte Stimmengeschwirr aus der Ebene gegen die Mauer. Wie durch Zauberhand glichen sich die Ausrufe der Horde aneinander an, bis fast schon so etwas wie eine Hamonie der Gemeinschaft entstand. Der Inquisitor lauschte mit versteinertem Gesichtsausdruck dem Wortteppich, bevor er erneut die Masse unter ihm zum Schweigen brachte.

„Ihr habt keinen Anführer? Sehe ich das richtig?“

Zustimmende Stille erfüllte die Ebene.

„Euer letzter Befehl war es, die Entstehung des Klosters und die erneute Anbindung der Hünen an die Wege der Kontinuität zu verhindern?“

Stummes Nicken hier und da war die Antwort.

„Ich stelle fest: Ihr seid zu spät! Das Kloster der Kontinuität ist errichtet. Der Anker ist gesetzt. Und ich sehe nichts dort unten bei euch in der Ebene, was sich gegen den Golem Hydors stellen könnte. Kommen wir zu meiner letzten Frage: Was hat der Rat mit dieser Angelegenheit zu tun?“

Undeutliches Gemurmel erklang. Wortfetzen von einer Untersuchungsdelegation schafften es die Mauer empor.

Ein Räuspern vom Wehrgang ließ den Inquisitor herumfahren. Eine Gruppe von Hünen unter Führung eines gewaltigen Mönches hatte sich ihm unbemerkt genähert.

„Herr oder Frau Inquisitor? Eine Delegation des Rates weilt im Kloster der Kontinuität. Wir, die Guardians des Ordens, danken Euch für Euer Eingreifen. Damit habt Ihr unnötiges Blutvergießen verhindert. Die Untersuchung der Delegation dauert aber noch an, und ein Ergebnis der Untersuchung ist noch nicht in Sicht.“

„Ah, ich danke Euch für diese Erklärung.“

Der Inquisitor deutete eine Verbeugung an und gebot mit einer sanften Handbewegung Geduld, bevor er sich wieder der wartenden Horte zuwandte.

„Habt ihr das gehört? Eine Delegation des Rates ist hier im Kloster und noch mit Untersuchungen beschäftigt.

Warum wollt ihr dann angreifen? Angreifen ohne Anführer, der die Horde zum Sieg lenken kann? Ergibt das Sinn?“

Als Antwort kam nur ein Murren. Ein Ausdruck gütiger Strenge breitete sich auf dem Gesicht des Inquisitors aus.

„Kinder der Horde der Erneuerung. Eine Horde kann niemals ohne Anführer sein. Bis ihr euch im Thing einen neuen Anführer gewählt habt, wird euch derjenige Anführer, der euch in drei Zeitaltern von Sieg zu Sieg geführt hat, leiten. Ich, euer zurückgekehrter Füllvater Fraan, werde die Horde lenken, bis sie sich wieder gefangen hat.

Schlagt eure Lager auf! Morgen wird der Füllvater zu euch kommen und euch anhören. Jede Stimme soll gehört werden. Füllvater Fraan wird zu euch kommen und von der Inquisition der Verursacher berichten. Die Horde hat gesiegt!“

Erst vereinzelt, und dann immer stärker werdend, wurden Fraan-Rufe laut, bis sie sich schließlich zu einem gewaltigen rhythmischen Stampfen der Horde steigerten.

Der Inquisitor schaute nicht ohne Stolz auf die Ebene hinunter. Einzelne Ausdrücke der Missbilligung beobachtete er dennoch mit etwas Sorge. Es würde Widerstand geben. Das zeigte sich durch einige Rufe, sofort zur Horde hinunterzusteigen. Diese gingen von den Misstrauischen aus und mischten sich in das rhythmische Stampfen der Horde. Jemand zog im Hintergrund seine Fäden. Der Inquisitor hob seine Hand und brachte mit einem Wort der Macht die Horde erneut zur Ruhe.

„Kinder! Füllvater Fraan ist gerade erst aus der Welt der Verursacher angereist. Es war eine lange und zermürbende Reise. Gebt eurem Füllvater einen Moment der Rast. Gebt dem, nein eurem, Inquisitor die Gelegenheit, einen ersten Blick auf das zu werfen, weswegen ihr alle hier seid.

Rastet. Morgen werden wir uns alle in Ruhe beraten. Die Zeit der schnellen Entscheidungen ist vorbei. Die Große Chance ist vorbei. Ein neues Zeitalter ist angebrochen.

Ruht euch aus. Ich kann spüren, dass ihr tagelang ohne Rast und Schlaf unterwegs wart, um euch dann gleich in die Schlacht zu werfen. Ruht, rastet. Ihr habt euer Ziel erreicht. Errichtet ein Lager, entzündet die Feuerstellen, esst, trinkt, feiert und schlaft. Morgen wird es eine neue Geschichte für die Lagerfeuer geben. Lang lebe die Horde!“

„Fraan!“

„Lang lebe die Horde!“

„Fraan!“

Der Inquisitor führte das richtige Zeichen für das Aufschlagen des Nachtlagers aus und die Menge zerstreute sich. Aus dem Sturmangriff war erst eine Belagerung und nun ein einfaches Lager geworden.

Eine ruhige Stimme veranlasste den Inquisitor, sich umzudrehen und von den Zinnen zu steigen.

„Inquisitor Fraan?“

„Eine Stimme der Ruhe und Ordnung. Ihr seid einer der Guardians dieses Klosters?“

„Der Guardian des Ordens. Wenn Ihr wünscht, kann ich Euch und Eurer Delegation sofort eine Unterkunft zuweisen lassen, wenn Ihr zunächst ruhen wollt.“

„Delegation?“

„Ich meine Euch und Euren etwas schüchternen Begleiter.“

Der riesige Hüne verbeugte sich vor dem Inquisitor und deutete auf einen der Zugänge zu dem unter dem Wehrgang liegenden Entwässerungstunnel.

„Gehen wir erst zurück zum Anker“, bat der Inquisitor.

„Der Golem Hydors wartet noch dort. Dort wäre der richtige Ort, um die Heimkehrer der Delegation der Ankläger zu begrüßen und auch um die Delegation des Rates zu empfangen. Wir treffen uns dort und befolgen dann den üblichen Ablauf.“

„Natürlich, wie Ihr wünscht. Benötigt Ihr zuvor einen Moment für Euch selbst?“

„Ich möchte noch eine Weile die Horde beobachten und ein paar Worte mit meinem Begleiter wechseln. Er ist wirklich sehr schüchtern.“

„So sei es.“ Der gewaltige Guardian verbeugte sich und scheuchte dann einzelne Ordensmitglieder mit Aufträgen in unterschiedliche Richtungen, bevor er sich mit dem Rest der Gruppe auf den langen, offiziellen Weg zum Ort des Konventes aufmachte. Bald darauf war der Wehrgang nahezu verlassen.

„Herr Imbrifer, warum versteckst du dich in einem Ablaufrohr? Komm da raus!“

„Komm lieber rein. Es wäre nicht so gut, wenn die Horde mich hier oben sehen würde.“

„Was hast du angestellt?“

„Das ist eine lange Geschichte. Hast du dafür denn Zeit?“

„Die werde ich mir wohl oder übel nehmen müssen.

Männer! Kann man euch denn nicht für vier Zeitalter alleine lassen, ohne dass ihr Unsinn anstellt?“

„Offenbar nicht, Herr oder Frau Inquisitor.“

2. Geständnisse

Der Inquisitor hatte sich durch den Wartungszugang zur Entwässerung gezwängt und dabei seine Robe beschmutzt. Nun stand er seinem schüchternen Begleiter in einem fast schon geräumigen Tunnel gegenüber.

„Also, Herr Imbrifer, schieß los. Warum sollen dich die anderen Hünen nicht sehen?“

„Kann ich vor Inquisitor Fraan sprechen? Die Horde dort draußen hat mich schon einmal getötet. Ich würde gerne Missverständnisse vermeiden.“

„Fraan hat seine Rede gehalten, ich bin es, Linia. Den Inquisitor lassen wir erst mal aus dem Spiel. Du wurdest getötet und lebst dennoch? Wie kann das sein?“

„Kullat Nunu. Wir sind anscheinend beide nicht alleine in unseren Körpern. Es war mit einigem Aufwand verbunden, in die weiten Länder der Hünen vorzudringen. Es war nicht einfach, in dieser fremden Welt zu überleben. Wir haben erst kürzlich einen Weg gefunden, jemanden in die weiten Länder der Hünen zu entsenden. Jemand hat mich, uns, dann wohl als Sündenbock benutzt.“

„Die Horde dort draußen ist deinetwegen hier?“

„Nein, ich wurde von denen gelyncht. Die haben nur nach einem Vorwand gesucht, um anzugreifen. Jemand hat schnell geschaltet und eine Gelegenheit beim Schopf gepackt. Alles andere muss von langer Hand vorbereitet gewesen sein.“

„Möglich. Fraan sagt, in einem großen Jahr kann viel geschehen sein.“

„Was hat es mit Fraan auf sich?“

„Das ist ebenfalls eine lange Geschichte, die zudem beim offiziellen Empfang und bei der Horde der Erneuerung ausgiebig erläutert werden wird. Die Kurzfassung lautet, dass Hünen und Menschen eine Art Symbiose eingehen können. Friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit sind möglich. Und falls es für dich noch von Interesse ist: Wir haben die Schlacht von Epsilon Eridani und den Krieg gewonnen!“

Freude und Stolz überzog das Gesicht des Herrn Imbrifer, um dann gleich wieder ernst zu werden.

„Was hat das mit dieser Inquisition der Verursacher auf sich?“

„Habt ihr hier in einer Blase gelebt? Nach allem, was Fraan erzählt hat, ist es hier hoch hergegangen. Die Horde hat die Mauer der Ratskammer eingerissen und Hydorgol selbst musste den Rat retten.“

„Meine Kurzfassung hierzu: Ja, wir leben immer noch in einer Blase. In einer äußerst zerbrechlichen Blase und wir haben nur die eine. Ich würde mich hier gerne äußerst bedeckt halten. Aber erzähl weiter, was ist alles in Alpha-Centauri geschehen, was machen die Kids? Wie ist es dir ergangen?“

„Den Kids geht es soweit gut. Higra hat eine eigene Restaurant-Kette, nachdem Jolan Kaiser von Lotus wurde und die Arkologien als Reparationszahlungen abreißen musste. Midiana ist Chefin der Wächter geworden und die Zwillinge sind jetzt deutlich pflegeleichter, nachdem sie von der Tschako-Gang mit Hilfe der Hünen während der Schlacht um Nova Delhi getötet wurden. Ach ja, und nicht zu vergessen, ich musste die letzten zwölf Jahre in Gelb herumlaufen.“

„Die Harlon und Hadam sind tot und du sagst, den Kids geht es gut? Jolan hat die Arkologien abgerissen und Midiana ist jetzt bei den Wächtern? Was hat das mit dem Gelb auf sich? Sind alle während meiner Abwesenheit verrückt geworden?“

„Die Zwillinge sind aus ihren Backups wiederauferstanden und der Rest ist eine spannende Geschichte für den offiziellen Empfang. Und das ist deine Schuld! Niemand hat dir erlaubt, in der Schlacht von Epsilon Eridani verschollen zu gehen.“

„Der reale Olywn King ist nie wieder aufgetaucht.“

„Das meinst auch nur du! Der war passend als Inquisitor der Kontinuität zur Stelle.“

„Ich hätte ihn damals doch die Klippe hinunterwerfen lassen sollen. Aber ich vermute, die Geschichte kommt auf dem Empfang auch zur Sprache.“

„In der offiziellen Version. Die ohne Frau Lakshmi und Herrn Vamana.“

„Wer ist Frau Lakshmi?“

„Jetzt sag nicht, du kennst Vamana.“

„Weitere lange Geschichte.“

„Fraan wird ungeduldig. Bleibst du in der Nähe?“

„Ich versuche es. Die offizielle Version würde ich mir ungern entgehen lassen.“

„Lass dich nicht erwischen.“

„Ich bemühe mich.“

3. Die offizielle Version

Der Ort der Konklave hatte sich erneut verändert. Der Ort, der zuerst eine offene Waldlichtung gewesen war, dann eine offene Ebene mit einem Untergrund aus Stein und danach die Umgebung für einen Quellbrunnen mit einem in einen Wasserfall mündenden Kanal. Jetzt war es eine große, gotisch anmutende Halle, in der sich der Quellbrunnen unter gewaltigen Stützsäulen verlor.

Diese Halle war nun mit Hünen angefüllt. Die verbliebenen Mönche des Konsiliums, der Untersuchungsdelegation des Hünenrates und dann mit einer stetig anwachsenden Menge von Hünen, die aus dem Quellschacht des Brunnens stieg, den Mitgliedern der Delegation der Ankläger. Mit jedem der Ankläger, der aus dem Brunnen stieg, schien die Halle noch ein Stück größer zu werden.

Dessen ungeachtet stand die schmächtige Gestalt des Inquisitors Fraan-Linia vor der überragenden Gestalt des Golem Hydors und berichtete von der Reise der Delegation der Ankläger.

„Geehrte Mitglieder des Rates, ehrwürdige Brüder der Kontinuität. Wir sind aus der Welt der Menschen zurückgekehrt. Die Delegation der Ankläger erreichte den dortigen Ort der Anklage. Es war bereits ein Inquisitor der Kontinuität vor Ort. Die Klagen wurden eingereicht, angenommen und untersucht. Es kam zu Zwischenfällen, die mit gemeinsamen Anstrengungen von Hünen und Menschen erfolgreich angegangen werden konnten. Die Untersuchung der Vorfälle um die Zerstörung des Ankers der Kontinuität wurde auf der Seite der Menschen abgeschlossen und es wurden Bußen verhängt. Es wurden schwerwiegende Versäumnisse der dortigen Wächter festgestellt und Maßnahmen zur Korrektur angewendet. Auf Anordnung des Inquisitors wurde der Ort des Ankers auf der Seite der Menschen in das Hauptsystem der Menschen verlegt. Diese Verlegung führte zu der verzögerten Rückkehr der Delegation der Ankläger. Und zu einer verzögerten Aufnahme der Untersuchungen der Vorfälle um die Zerstörung des Ankers der Kontinuität aufseiten der Hünen.“

Der letzte Satz sorgte für laute Zwischenrufe der versammelten Hünen. Besonders eine Stimme aus der Delegation des Meisterrates tat sich hervor: Ratsherr Farron.

„Untersuchung auf der Seite der Hünen? Wir sind die Opfer des Weltenbrandes geworden! Wie könnt Ihr es wagen, die Gemeinschaft der Hünen zu beschuldigen ...“

„Schweigt!“ Die schmächtige Gestalt des Inquisitors gebot dem Ratsherrn Stille.

„Der Weltenbrand hätte nicht stattfinden dürfen, und wir werden nicht die Gemeinschaft der Hünen befragen, sondern die Organisation, die auf der Seite der Hünen dafür zuständig war, für die Kontinuität zu handeln.

Habt Ihr dagegen etwas einzuwenden, Ratsherr? Wie immer auch Euer Name lauten mag.“

„Ratsherr Farron. Der Rat der Hünen selbst hat eine Delegation zur Untersuchung der Gegebenheiten hierher entsandt. Natürlich sind wir daran interessiert, weitere Weltenbrände zu verhindern, indem wir nicht zulassen, dass ... Gemeinschaften schwerwiegende Versäumnisse begehen.“

„So, und warum lagert dann die Horde der Erneuerung vor den Mauern dieses Klosters? Auf Befehl eines Ratsherrn war sie kurz davor, zum Sturm auf das Kloster anzusetzen. Sind das die Ergebnisse Eurer Untersuchung?“

„Nein, die Untersuchung durch die Delegation des Rates ist noch nicht abgeschlossen.“

„Interessant. Warum befahl Ratsherr Hullon dann den Angriff auf dieses Kloster?“

„Das weiß ich nicht, er hielt die Horde für den Fall bereit, in dem der Rat sie benötigen würde. Ratsherr Hullon und ich sind nicht besonders enge Freunde, daher kann ich Euch nicht sagen, was ihn dazu bewogen hat.“

„Ratsherr Hullon ist nach Aussage der Horde tot.“

Diese Aussage schien Ratsherr Farron etwas aus dem Konzept zubringen.

„Das sind betrübliche Nachrichten. Ich werde sofort eilen, um die Horde nicht führerlos umherirren zulassen.“

„Das ist nicht nötig. Ich selbst habe das Kommando über die Horde übernommen, bis ein neuer Anführer aus den Reihen der Horde von ihr selbst gewählt worden ist.“

„Das ist eine Angelegenheit des Rates. Die Horde ...“

„Warum? Sollte nicht jede Gruppe ihre eigenen internen Angelegenheiten selbst regeln dürfen?“

„Wenn es um das Wohl des Größeren geht, dann muss zum Wohl des Größeren gehandelt werden. Der Rat hat das Recht und die Verpflichtung ...“

„Haltet ein! Ihr sprecht nicht für den gesamten Rat der Hünen, noch seid Ihr der Anführer und Sprecher der Delegation. Merkt Ihr Narr denn nicht, dass Ihr mit einem Inquisitor der Kontinuität sprecht? Merkt Ihr nicht, dass Ihr uns alle in eine Lage manövriert, indem Ihr Vereinbarungen zum Schutz kleinerer Gruppen für nichtig erklärt?“

Jemand trat nach vorn und zog den Ratsherrn in die Gruppe der Delegation zurück. „Verzeiht, Inquisitor. Mein Name ist Ratsherr Omaleui, und ich wurde vom Rat zum Anführer dieser Delegation ernannt. Unsere Untersuchungen sind bei weitem noch nicht abgeschlossen und Ratsherr Hullons Befehl zum Angriff auf das Kloster basiert definitiv nicht auf den Ergebnissen der Untersuchungen dieser Delegation.

Vielmehr ist sie selbst eine Sache, die einer Untersuchung durch den Rat bedarf.“

„Ihr tretet spät hervor, Ratsherr. Zu spät, um die Worte Eures Ratsherrn Farron oder gar den Befehl Eures Ratsherrn Hullon ungeschehen zu machen.

Der Rat der Hünen scheint sich nicht an seine eigenen Regeln und Gepflogenheiten zu halten. Was glaubt Ihr, wäre mit der Delegation des Rates passiert, wenn die Horde dieses Kloster in ihrem wilden Rausch eingenommen hätte, Ratsherr Omaleui?“

„Die Delegation wäre in einer noch unangenehmeren Situation, als sie es jetzt schon ist. Ratsherr Farron mag schneller beim Wort sein, als es weise ist, aber ich selbst habe noch keine schwerwiegende Verfehlung gegen den Rat sehen können. Die Aufgabe des Rates ist es, sich zu beraten und dabei auch unangenehme Punkte und Meinungen zu erörtern und gegebenenfalls auch wieder zu verwerfen. Daran ist nichts Ungewöhnliches, das ist eine der Aufgaben des Rates.

Im Fall der Horde sieht es natürlich anders aus. Da Ratsherr Hullon Euren Worten zufolge verstorben ist, besteht die Möglichkeit, dass der Befehl zum Angriff nicht von Ratsherr Hullon selbst stammt, oder er daran gehindert wurde, diesen Befehl zu widerrufen. Es kann keinen offiziellen Befehl des Rates zum Angriff auf dieses Kloster gegeben haben.

Der Rat kann erst dann einen Beschluss bezüglich des Klosters treffen, wenn ihm die Ergebnisse der Untersuchung dieser Delegation vorliegen. So hat der Rat beschlossen. Der Angriff der Horde kann also nicht vom Rat befohlen worden sein.“

Der Inquisitor nickte dem Ratsherrn zu und entließ ihn wieder in seine Delegation.

„Nun, Ihr scheint mir ein redlicher Vertreter Eures Rates zu sein. Es gibt vieles zu untersuchen, was im letzten großen Jahr mit der Horde geschehen ist. Diese Untersuchung wird morgen beginnen. Die Horde ist keine Angelegenheit des Rates, noch hätte sie als Mittel des Rates eingesetzt werden dürfen. Ich, Fraan, werde das untersuchen. Mein Stellvertreter Hullon hätte nur für eine kurze Zeit der Anführer der Horde sein sollen, während der Vater der Horde unterwegs war, um ihre Interessen in der Delegation der Ankläger zu vertreten.

Aber jetzt würde mich der Anlass interessieren, der den Rat bewogen hat, diese Delegation zu diesem Kloster der Kontinuität zu entsenden. Ratsherr Omaleui?“

„Es ging darum, zu untersuchen, ob die Errichtung eines Klosters der Kontinuität statthaft ist. Nach dem Weltenbrand lag es erst am Rat der Gilden und Meister und später am erweiterten Rat der Hünen, für die Angelegenheiten der Hünen mit der Kontinuität zu sprechen.“

„Nun, mir scheint, Ihr seid wieder spät. Das Kloster ist errichtet und die Kontinuität selbst hat, mit dem Setzen des Ankers, diesen Ort voll legitimiert. Selbst wenn dies nicht der von den Hünen gewählte Ort ist. Das Setzen des Ankers kann nicht einmal von der Kontinuität ohne Weiteres rückgängig gemacht werden.

Der Ort ist gesetzt, die Verbindung zur Kontinuität ist vollständig wiederhergestellt. Damit ist dies eine Angelegenheit der Kontinuität geworden und keine, über die die Hünen alleine entscheiden können.“

„Als Anführer der Delegation lege ich für den Rat formalen Protest gegen diese Einschätzung des Inquisitors ein.“

„Das ist keine Einschätzung, das ist eine Feststellung der Tatsachen. Anker können nur zur Zeit der Großen Change gesetzt oder gelöst werden. Selbst wenn Ihr nach einem Großen Jahr immer noch der Meinung sein solltet, dass dies notwendig ist, so bezweifle ich, dass die Kontinuität gewillt ist, die Nebenwirkungen des einzigen bekannten Lösens eines Ankers in Kauf zu nehmen.

Meint Ihr nicht, Ratsherr? Der Ort ist gesetzt, der Orden der Kontinuität aufseiten der Hünen hat seine Aufgabe erfüllt. Dennoch scheint es den Hünen nach Erklärungsbedarf zu geben. Die Kontinuität war sich sicher, dass dieser Ort ein legitimer Ort der Hünen ist.

Abt des Klosters, was habt Ihr zu diesem Fall zu sagen?“

Der Inquisitor schaute erstaunt auf die riesige Gestalt des Mönches, der sich nun in den freien Raum zwischen die Gruppen schob. Es war der Mönch von der Mauer.

„Der Orden ist nach den verheerenden Ereignissen bei der Zerstörung des Ankers wieder in der Lage, seine Aufgaben zu erfüllen. Es hat vier große Jahre gedauert, bis der Blutzoll an Brüdern ausgeglichen war, um wieder den Dienst am Portal aufnehmen zu können. Der Orden hat diese Aufgabe für Tausende von Großen Jahren würdig gemeistert. Nun gilt es, den Dienst wiederaufzunehmen und aus den Fehlern zu lernen, die zu dem katastrophalen Versagen geführt haben. Als in einem ordentlichen Konklave des Ordens gewählter Abt dieses Klosters bitte ich um Untersuchung durch die Inquisition der Kontinuität. Untersucht und richtet über uns.“

Der Abt erhob die Hände zum Gebet und warf sich vor dem Inquisitor nieder.

„Erhebt Euch, Abt. Zumindest Euer Geist scheint treu der Kontinuität ergeben zu sein.

Der Ort ist legitimiert. Eure Bauten erfüllen ihren Zweck und sind daher legitimiert. Was Eure Gemeinschaft angeht, so werden Mitglieder der Kontinuität an diesem Ort verbleiben und wir werden beobachten, ob die Interessen sowohl der Kontinuität als auch der Hünen in ausreichendem Maße berücksichtigt sind.

Danke, Abt. Gibt es noch weitere anwesende Parteien, deren Rechte berücksichtigt sind? Wenn ja, dann tretet vor und sprecht!“

Die letzten Worte hatte der Inquisitor mit Macht gesprochen und es gab noch eine Meldung. Erst raschelte es im Gebüsch an einem Fenster der Halle und dann kletterte eine kleine Gestalt über den Sims. Zeternd bahnte sie sich ihren Weg zwischen den Hünen hindurch.

Es war Herr Imbrifer.

Ein Raunen und Murren ging durch die Reihen der Hünen. Nicht nur Ratsherren verlangten zu wissen, wer und was dieser Hüne sei. Der Inquisitor bedeutete der Menge, den Winzling zu ihm durchzulassen.

„Nun, ein schüchternes Wesen, das um seines und das Leben aller seiner Art fürchtet, scheint mir. Für die Dauer dieser Untersuchung sei Euch Schutz gewährt.

Niemandem in diesen Gemäuern sei es erlaubt, Euch und den Euren für die Dauer dieser Untersuchung Schaden zuzufügen. Was ist Euer Begehr?“

Die kleine Gestalt wand sich, bis aus ihr herausplatzte:

„Wir wollen sicher und unbeschadet nach Hause!“

„Wer ist wir?“

„Wir sind die hier gestrandeten Menschen.“

„Nun, das hört sich nach einem legitimen Wunsch an, wir werden das untersuchen. Steht bequem.“

Der Zwang fiel von dem kleinen Wesen ab. Dafür stemmten sich einige der anwesenden Hünen gegen den vom Inquisitor auferlegten Zwang.

„Er ist ein Verursacher? Wir wünschen, ihn zu töten!“

„Wie lange verstecken sich Verursacher hier? Waren sie vielleicht sogar hier, um das Portal auf dieser Seite zu sabotieren?“

„Erzählt uns alles!“

Der Inquisitor sah dem Treiben eine Weile zu, dann gebot er mit erhobener Hand Ruhe.

„Ihr alle habt gute Fragen gestellt und die Inquisition wird versuchen, diese in ihre Untersuchung mit einzubeziehen. Und nun bedrängt das Wesen nicht länger! Die ersten Fragen sind gestellt, kümmert euch nun um die Rückkehr der Delegation der Ankläger, findet Unterkunft und Verpflegung für sie, und ich bin mir sicher, viele eurer Fragen werden von den zurückkehrenden Hünen geantwortet werden.

Guardian?“

„Natürlich, Inquisitor. Brüder, erfüllen wir unsere Pflichten als gute Gastgeber.“

4. Enttarnt

Diese Nachricht würde sich wie ein Lauffeuer auf der Welt der Hünen verbreiten. Es gab seit langem Verursacher in der Heimstatt der Hünen. Er würde sie finden und den richtigen Hünen diese Information zukommen lassen.

Eigentlich müsste er dem Inquisitor dankbar sein, dass er die Verursacher in den Grenzen des Klosters schützte.

Diese Narren hätte diesen einen Verursacher getötet und damit verhindert, dass sich über diesen Menschen eine Spur zu den anderen Verursachern finden ließ. Zu einer riesigen Senke von Verursachern, die sich womöglich dort vermehrten und irgendwann über die Welt der Hünen ausschwärmen würden.

Es war eine schockierende Enthüllung, aber bei Weitem nicht so schockierend wie die Hünen, die aus der Welt der Verursacher zurückkamen. Diese trugen Verursacher in sich. Verursacher. Freiwillig! Womöglich war auch der Inquisitor mit einem dieser Verursacher befleckt. Die Aura des Inquisitors schützte den Inquisitor und außer dieser Aura ließ sich nicht viel erkennen. Viele der anderen waren ebenfalls Inquisitoren, aber diese Aura wirkte nur, wenn eine offizielle Untersuchung der Kontinuität anberaumt war und jene einen offiziellen Auftrag zur Untersuchung erhalten hatten. Wenn der Inquisitor auch einen Verursacher in sich trug, dann war die Horde verloren.

Er würde jetzt handeln müssen, oder alles wäre zu spät.

Der große Sturmangriff auf das Kloster war wegen des Inquisitors gescheitert. Aber auch ein Inquisitor konnte nicht überall sein. Sie würden aus dem Schatten angreifen und sich schnell wieder zurückziehen, bevor der Rat oder die Inquisition würden handeln können.

Dafür war die Horde vollkommen ungeeignet. Ihre besten Kämpfer würden jetzt alleine und auf eigene Faust handeln müssen. Die Zeit, in der die Horde nützlich war, war endgültig vorüber.

Er würde den Boten zur Horde entsenden müssen. Es war Zeit, die Jäger zu entsenden. Den Toten würde vielleicht sogar schlussendlich Gerechtigkeit widerfahren.

Fast wünschte er sich, seinen Posten hier endgültig aufgeben zu können und sich an der Jagd zu beteiligen.

Er hatte das Leben als wandernder Mönch mit einigem Widerwillen ertragen, aber nun fest in das Korsett eines Klosters eingezwängt? Vier Große Jahre mussten genug sein.

Aber was wäre, wenn sich die Menschen genau hier in den Mauern des Klosters versteckten? Wenn der Inquisitor mit den Verursachern unter einer Decke steckte oder von ihnen korrumpiert worden war, was gäbe es für ein besseres Versteck als den Ort, der durch die Inquisition der Kontinuität geschützt war? Waren nicht kleine Gestalten schon vor Ort gewesen, als der Guardian diese Stelle zum Bau des Klosters bestimmte?

Der Guardian? Nein, der Guardian war eigen, aber über jeden Zweifel erhaben. Er würde sich nicht korrumpieren lassen. Aber das hatte er auch über die Inquisition der Kontinuität gedacht. So war es denn, seine Wacht würde in das fünfte Jahr gehen. Allein dafür hatten die Verursacher ihre Vernichtung verdient.

Nun, die Pflichten riefen. Es galt, das Kloster zu erweitern und die neuen Gäste unterzubringen und zu verköstigen.

Vielleicht sollte jemand anregen, auf der vom Kloster abgewandten Seite des Konvents ein großes Gästehaus zu errichten. Der Platz im Kloster wurde eng und vielleicht ließ sich so der Bann des Inquisitors aushebeln.

Einen Versuch wäre es wert. Er würde ein paar Anmerkungen in die richtigen Ohren fallen lassen müssen. Aber vorher galt es, seinen Boten zu finden.

*

„Du musst dich sputen! Eile in das Lager der Horde und triff dich dort mit dem Hünen, der deine Nachricht an den Anführer der Horde weitergeleitet hat. Berichte ihm, dass diese Welt von Verursachern beschmutzt ist.

Verschmutzt und in der Gefahr, einer Plage anheimzufallen. Die Delegation der Ankläger ist ebenfalls befleckt. Möglicherweise sogar der Inquisitor selbst!

Überzeuge ihn, sich von der Horde abzusetzen und so viele reine Hünen mit sich zu nehmen, wie er kann. Ist er überzeugt, dann eile zu deinem regulären Kontakt und gib dort meine Worte weiter. Er soll ein paar Fühler in der Horde zurücklassen. Jeden, der nicht für den Kampf im Schatten taugt und ein paar wenige, die dafür taugen.

Sag ihm, sie sollen sich in alle Winde zerstreuen, so dass sie sich nicht einmal selbst wiederfinden können. Und das so schnell, dass der Inquisitor nicht mehr eingreifen kann.“

„Aber wie wollen wir dann handeln, wenn es an der Zeit ist?“

„Gedenkt der Toten, betet, und sie werden antworten, wenn es an der Zeit ist.“

„Ihr wollt diese Sache den Toten überlassen?“

„Die Toten verdienen Respekt und Gedenken. Eile dich, bevor unsere Leute in der Horde verloren sind! Wenn alle Stricke reißen, dann kann immer noch der Ruf des Gedenkens an die Toten erschallen. Rette in der Horde, was noch zu retten ist!“

„Gut, Eure Wünsche sind auch meine Wünsche. Ich eile.

Was wird aus Euch? Seid Ihr nicht in Gefahr, wenn Ihr hier im Kloster bleibt und in der Nähe des Inquisitors?“

„Mach dir um mich keine Sorgen! Ich werde mich bedeckt halten. Ich führe dieses Leben unter den Augen der Mönche und des Guardians seit vier Zeitaltern, ein fünftes ist daher nicht unmöglich. Aber nur, wenn du dich jetzt sputest. Berichte mir nicht sofort! Ich werde dich erst wieder kontaktieren, wenn dafür einen offiziellen Grund gibt! Und nun lauf!“

*Der Bote hatte schnell und unauffällig das Kloster verlassen. Das Kloster war immer noch wie unter Belagerung abgeriegelt und so hatte der Bote einen Durchschlupf im Lager des Cellerars genutzt.

Nach dem Ende seiner Arbeiten im Kloster wagte der Schläfer in den Reihen der Mönche einen Blick von den Zinnen der Mauer auf die davor lagernde Horde. Soweit sein Auge blicken konnte, sah er Lagerstellen, in deren Mitte ein Feuer brannte. Dann, mit einem Mal, fingen erst wenige, dann immer mehr Feuer an, weißen, dichten Rauch auszustoßen. Bald lag das Lager der Horde unter einem dichten Nebeltuch. Die Lagerfeuer spendeten noch immer Licht und er konnte schemenhaft umherhuschende Gestalten erkennen. Die Auflösung der Horde hatte begonnen. Der Schläfer zuckte zusammen, als sich Schritte von hinten näherten.

„Betrachtet Ihr Euer Werk, Magister?“

„Was?“

Der Magister drehte sich um und musste seinen Blick nach unten richten. Eine kleine Gestalt hatte sich vor ihm aufgebaut. Es war der Verursacher.

„Mein Werk? Mein Tag war erfüllt von Arbeit. Ich wollte meine Augen und Seele etwas über die Ebene schweifen lassen und schauen, was vor den Mauern des Klosters liegt. Was wollt Ihr mir sagen?“

„Eine Krähe erkennt eine Krähe, wenn er eine sieht. Ich sah Euch lange und eindringlich mit einem Hünen sprechen, der Euer Vieh hütet.“

„Ich sprach heute mit vielen Hünen. Es gab viele Dinge zu bereden, Rat einzuholen und Rat zu geben. Viele neue Dinge sind mit der Rückkehr der Delegation der Hünen in unsere Welt gekommen. Es gibt viel Neues zu erfahren und zu verstehen. Nicht alles ist leicht. Gebt einem alten Lehrer etwas Zeit, das Neue zu verarbeiten.“

„Ich muss Euch ein Geständnis machen, Magister. Ich war dabei, als Euer Bote eine Nachricht und einen Befehl an die Horde weitergab. Ich habe ihn genau gesehen und hier wiedererkannt. Ich war dabei, als ein anderer Bote den Weg ins Lager der Hünen nahm, und ich war dabei, als ein Unschuldiger für einen Mord gelyncht wurde.“

„Das solltet Ihr dem Guardian oder meinetwegen auch dem Inquisitor erzählen. Dieses Wissen scheint von akuter Dringlichkeit zu sein. Ihr sollet dieses Wissen nicht an denjenigen richten, den Ihr für einen ... wofür haltet Ihr mich denn?“

„Für jemanden, der seine eigenen Fäden zieht. Seid Ihr wirklich der Meinung, Ihr würdet dem Inquisitor entgehen, wenn er morgen die Horde besucht und feststellen muss, das sich viele aus dem Staub gemacht haben?“

„Ihr meint Füllvater Fraan? Ein Vater vergibt seinen Kindern. Besonders, wenn die Kinder in seinem Auftrag handeln. Mein Gewissen ist rein, ich fürchte die Untersuchung des Inquisitors nicht. Aber Ihr scheint Dinge zu verbergen. Die Neugierde der Hünen ist nun geweckt. Vielleicht ist Euer Gewissen nicht rein, vielleicht müsst Ihr eine Untersuchung fürchten. Schauen wir, was der morgige Tag bringt. Ihr entschuldigt mich? Der kommende Tag wird seine eigenen Herausforderungen mit sich bringen, die man besser ausgeruht angeht.

Gehabt Euch wohl.“

Der Magister ließ den Verursacher stehen. Was hatte dieser Narr mit seinem Auftritt bezweckt? Schlug er auf die Büsche, um das Wild aufzuscheuchen? Der Magister hatte getan, was zu tun gewesen war. Alles andere würde sich fügen. Er würde heute der Toten gedenken. Er hoffte, dass auch jemand seiner gedachte, wenn es so weit war.

5. Im Licht des Morgens

Der Nebel hatte sich verzogen, aber der Geruch nach Kampfer war geblieben. Es herrschte Katerstimmung im Lager der Horde. Viele Feuer waren verlassen. Die Hälfte der Horde fehlte, aber es waren noch Massen von Hünen versammelt, als sich die einzelnen Hüter der Feuer um den Inquisitor einfanden.

Der Inquisitor war nicht alleine gekommen, die Delegation des Rates, eine Delegation der Ankläger und der Guardian des Ordens der Kontinuität waren mit ihm im Lager der Hünen erschienen. Der Inquisitor trat in die Mitte des Platzes, der für das Thing ausgesucht worden war, und erhob seine Stimme ohne Zwang:

„Brüder und Schwestern der Horde. Die Delegation der Ankläger ist in diese Welt zurückgekehrt. Auf der anderen Seite ist vieles geschehen. Aber ich kann euch versichern, über die Verursacher wurde geurteilt. Es wurden Strafen verhängt, der Scheiterhaufen der Läuterung brannte Übles aus der Welt. Mich selbst seht ihr als geläuterten Diener der Kontinuität. Läuterung jener, die sich läutern lassen, das ist das Motto der Inquisition der Kontinuität. Die Inquisition der Kontinuität zieht nicht wie ein verheerendes Weltenfeuer durch das Universum.

Erkenntnis, Reue, Läuterung, das ist der rechte Weg.

Dieser Weg ist auch der eure. Dass ihr euch nicht in den Nebeln der Nacht in den Schatten geschlagen habt, weist euch als im Herzen rechtschaffen aus. Berichtet mir, was genau in der letzten Nacht hier im Lager geschehen ist.“

Einer der Leutnants der Horde trat hervor. Ein drahtig ergrauter Veteran. Fraan erinnerte sich an den Muskelberg, der immer in vorderster Reihe gestanden hatte.

„Mein Name ist Boldon. Ich kannte den Füllvater. Wenn Ihr der Füllvater seid, dann seid Ihr als jemand anderes aus der Welt der Verursacher zurückgekehrt. Füllvater Fraan war eine gewaltige Gestalt. Gleich einem Berg. Ich sah, wie die Mauer des Rates unter seinem Aufprall zerbarst. Verzeiht mir, Inquisitor, aber Ihr seid kein Berg.“

„Boldon, immer noch der Erste, der in die Schlacht stürmt. Sag mir, wo sind deine gewaltigen Muskeln hin?

Ich erinnere mich noch an die Schlacht bei der Windsenke im Zweiten Zeitalter, als ein junger Heißsporn die falsche Höhle erstürmte und dabei einen Bären weckte. Hast du immer noch den abgebrochenen Reißzahn, den der Schamane aus deinem Fleisch gezogen hat? Den mit der Markierung: Wegfinder?“

„Ihr wolltet nie wieder darüber sprechen.“

„Und du wolltest danach einen neuen Speer.“

Leutnant Boldon lachte laut auf.

„Ihr seid es wirklich! Was ist Euch geschehen? Ihr seid nur noch ein Bruchteil Euer Selbst und Ihr seid verändert. Ich erkenne Teile von Euch, aber vieles an Euch ist neu und fremd.“

„In einem Großen Jahr kann viel geschehen. Die Horde hat den Kampf in die Reihen der Verursacher getragen.

Es sah so aus, als hätte die Inquisition die Hünen verraten. Kämpfst du in fremden Tälern, so suche dir kundige Verbündete. Hüte dich aber vor den Bewohner des Tales. Nur Übel will Übel dem eigenen Tal. Ja, auch Füllvater Fraan ist in die falsche Höhle gestürmt und hat den Preis dafür bezahlt. Was du vor dir siehst, ist der im Scheiterhaufen geläuterte Füllvater Fraan. Sag mir, Boldon, was hat die Horde veranlasst, in diese Höhle stürmen zu wollen? Was waren Stellvertreter – nein, Ratsherr – Hullons Gründe für den Angriff?“

„Er sagte mir einmal, die Toten würden verlangen, dass wir eine weitere Katastrophe wie den Weltenbrand nie wieder zulassen dürfen. So mächtig und kompetent die Hüter der Macht auch erscheinen mögen. Er sagte, die Mönche würden übereilt Realität schaffen. Ohne die Hünen dieser Welt mit einzubeziehen, getrieben von ihrer eigenen Art der Verblendung. Der Rat der Hünen entsandte eine Delegation und der Rat entsandte die Horde. Dann wurde Anführer Hullon mitten in der Horde ermordet. Den Angriff auf die selbstherrliche Gefahr hatte er schon vorher befohlen und seine letzten Worte trieben die Horde weiter an.“

„Was genau waren die letzten Worte Hullons? Wer war bei ihm, als er starb?“

„Onkel Koljika vom Feuer Mama Kochlöffels. Er überbrachte uns die Worte Hullons.“

„Dann lass Onkel Koljika vom Feuer Mama Kochlöffels für sich selbst sprechen.“

„Das Feuer Mama Kochlöffels ist leer. Viele Feuer leerten sich, als die Inquisition die Führerschaft über die Horde an sich riss. Ein Bote brachte die Nachricht, die Verursacher weilten schon vor dem Weltenbrand auf der Welt der Hünen und Ihr selbst, Inquisitor, sollt von den Verursachern befleckt sein. Die Toten würden verlangen, vor der Befleckung zu fliehen. Einige flohen wegen dieser Worte. Viele mehr nutzten den Nebel der Letzten Chance, um nach Hause aufzubrechen. Der Angriff sei erfolgt und damit dem letzten Willen des Anführers genüge getan.

Eine Belagerung eines von der Kontinuität legitimierten Orts sei eine ungute Sache und nicht im Ruf der Sammlung enthalten. Die Realität hat den Zwist überholt und damit ist die Bindung an die Schlachtreihe aufgehoben.“

„Die letztere Gruppe hat recht, aber es wäre eine Angelegenheit für das Thing gewesen. So erscheint es mir eher der Wunsch zu sein, der Untersuchung zu entgehen.“

„Der Nebel der Letzten Chance ist verbrieftes Recht der Horde. Das war die Bedingung der Horde für die Zusammenarbeit mit dem Rat. Im Großen Jahr ist eine Menge geschehen und wir hatten einen neuen Anführer, der uns gut durch ein ganzes Zeitalter gebracht hat.

Auch ein neuer Anführer kann dieses Recht nicht wieder entziehen. Ob Ihr jetzt wirklich Füllvater Fraan seid oder ein von Verursachern Befleckter. Ihr könnt der Horde der Erneuerung dienen oder der Inquisition der Kontinuität.

Nicht beiden gleichzeitig. Entscheidet Euch. Ich sage, Ihr habt die Horde für ein Großes Jahr verlassen und damit Euren Anspruch aufgegeben. Die Horde kann nicht für ein Großes Jahr ohne Anführer sein.“

„Die Sorge um die Horde und die einzelnen Brüder und Schwestern der Horde ehrt dich, Boldon. Als Inquisitor habe ich die Führung über die Horde übernommen, bis die Horde einen neuen Anführer bestimmt hat. Meine Aufgabe, der Horde zu dienen, hat mich in die ferne Welt der Menschen geführt. Ich werde über mein Tun auf dem Thing der Hünen Rechenschaft ablegen und damit meine Aufgabe für die Horde abgeschlossen haben. Du hast recht, kein Hüne sollte zwei Herren gleichzeitig dienen.

Meine neue Aufgabe ist es, Buße und Kompensation für meine Taten zu leisten. Ebenso teile ich die Auffassung, dass wir eine weitere Katastrophe wie den Weltenbrand nie wieder zulassen dürfen. Aber das ist die Aufgabe der Instanzen der Kontinuität. Nicht die der Toten oder der Horde.

Und ja, ich bin kein reiner Hüne mehr. Ich habe die Welt der Hünen verlassen und ein Großes Jahr in der Welt der Menschen gelebt. Mein Blick auf das Universum hat sich erweitert. Dinge, die mir fremd waren, sind mir nun vertraut. Das wird nicht einfach für jemanden zu verstehen sein, der nur eine Welt kennengelernt hat. Ja, in dem Sinne mag ich befleckt sein. Und ich sage dir, ich bin stolz darauf. Ich habe Berge und Hügel bestiegen und mehr als ein Tal geschaut. Das ist das, was ein wahres Mitglied der Horde tut. Lebt ihr nur in einem Tal, seid ihr nur einfache Bewohner eines Tals, wollt ihr mit der Horde ziehen, dann müsst ihr Berge besteigen und viele Täler sehen und durchwandern. Und mit jedem Tal, das ihr seht und wieder verlasst, nimmt die Horde neue Mitglieder auf. Ist es nicht das, was die Horde drei Zeitalter lang getan hat, Boldon?“

„Gut gesprochen, Anführer Fraan. Ihr überzeugt mit Euren Worten, nicht mit der Macht der Inquisition.

Berichtet uns von diesen anderen Tälern. Die Horde wird lauschen und dann wählen. Eröffnen wir das Thing!

Thing! Thing!“

Der Ruf nach dem Thing wurde von den umstehenden Hütern der Feuerstellen aufgegriffen und bald strömte die Horde zum Thing zusammen.

6. Neue Zeiten

Sie hatten die Ebene verlassen und sich in die Tiefe außerhalb des Tales durchgeschlagen. Die Außenseite eines jeden Tales war kein heimeliger Ort, aber als Truppe von Mama Kochlöffels Feuer waren sie Härten gewohnt. Niemand in der Truppe war jünger als fünf volle Große Jahre. Sie alle hatten das Weltenfeuer miterlebt und überlebt. In dem folgenden Großen Jahr hatte es keine stabilen Täler oder Berge gegeben. Überleben war nur in flüchtigen, selbst erschaffenen Senken möglich gewesen.

Kopeumi saß verborgen in seiner eigenen kleinen Halbsenke und schob Wache. Die Gemeinschaft des Feuers rastete innerhalb der Lagersenke. Die Enthüllungen aus dem verfluchten Hort der Weltenfeuerzulasser hatten ihn bis ins Mark erschüttert.

Verursacher. Sie waren überall. Sie hatten die Rückkehrer der Delegation der Ankläger befleckt und fielen mit der Kontinuität in diese Welt ein. Und das schon seit langer Zeit. Denn seit Langem versteckten sich Verursacher auf dieser Welt. Sie hatten den Weltenbrand entfacht und dazu den Orden der Kontinuität unterwandert und so das Portal sabotiert. Was für widerliche und gefährliche Kreaturen! Es war die Pflicht eines jeden wahren Hünen, diese Gefahr von der Welt zu tilgen. Er würde ...

„Kopeumi! Man hört dich bis zur Außen des nächsten Tales denken! Schwelgst du schon wieder in Tagträumen?“

Kopeumi zuckte zusammen. Onkel Koljika hatte sich mit seiner Halbsenke an seine angeschlichen und ihn überrascht.

„Wir hätten dich besser im Lager der Horde zurückgelassen und dort vom Inquisitor peinlich befragen lassen sollen. Die Toten würden sich schämen, wenn sie sehen würden, wie wenig du sie mit deiner Nachlässigkeit ehrst.“

„Es wird nicht wieder vorkommen. Das schwöre ich bei den Toten! Koljika, sag es nicht Mutter Kochlöffel, bitte!“

„Es wird nicht wieder vorkommen, Kopeumi. Mutter Kochlöffel werde ich dein Versäumnis nicht melden. Aber du wirst den Toten beichten müssen.“

Kopeumi entspannte sich, er war noch einmal glimpflich davon gekommen. Auf Wache abgelenkt zu sein zog empfindliche Strafen nach sich. Mutter Kochlöffel hätte ihn dafür weichgeklopft. Kopeumi wollte sich bei Koljika für seine Güte bedanken, als der Arm Onkel Koljikas plötzlich verschwamm und ein stechender Schmerz Kopeumi paralysierte.

Er konnte sich nicht mehr bewegen. Er konnte nicht mehr atmen und er spürte seinen Herzschlag nicht mehr.

Dunkelheit umfing ihn. Das Letzte, was Kopeumi noch hörte, war die Stimme Onkel Koljikas.