ICF-Praxislehrbuch - Neue Standards in der Versorgung chronisch kranker Kinder - Heike Philippi - E-Book

ICF-Praxislehrbuch - Neue Standards in der Versorgung chronisch kranker Kinder E-Book

Heike Philippi

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Beschreibung

Die Nutzung der ICF für den 360° Grad-Blick auf die Lebensbereiche von Kindern Die bestmögliche Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist eine bedeutende Aufgabe aller Akteure im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen. Das passende Instrument für die Erfassung der gesundheitlichen Situation der Menschen mit Behinderung ist die ICF. Allerdings entpuppt sich die Beherrschung der ICF mit über 1.500 Codes als hohe Hürde für den Einsatz im Alltag, die schwer zu überwinden ist. Dass muss und soll nicht sein, da die ICF genau das richtige Instrument für eine dialogische, partizipative und interdisziplinäre Teilhabeförderung ist. Das Praxishandbuch mit dem Schwerpunkt auf der Unterstützung von Kindern zeigt, wie durch die Anwendung der ICF die Familien und ihr Umfeld besser in Entscheidungen miteinbezogen und Kinder entsprechend ihrer Fähigkeiten besser gestärkt werden können. Es werden zudem in der Praxis erprobte Verfahrensweisen an die Hand gegeben, um mit der ICF den individuellen Teilhabedarf und passgenaue Maßnahmen zu ermitteln. Ein konsequenter ICF-Farbcode, die gut strukturierte Gliederung sowie viele farbige Illustrationen unterstützen einen visuell-intuitiven Zugang zu Anwendung und Dokumentation mit der ICF(-Codierung). Lebendige Fallbeispiele, viele didaktische Tipps und Empfehlungen sowie wertvolle Rückkopplungen aus der Praxis und aus Schulungen runden dieses auch visuell ansprechende Praxislehrbuch ab. Die Autoren haben jahrzehntelange Erfahrung in der Anwendung, Implementierung und Schulung der Teilhabeförderung mit ICF, der Entwicklung von Fachstandards, von Teams und Organisationen sowie in der Unternehmensführung. Sie haben darüber hinaus auch maßgeblich an dem umfassendsten Wirkungsforschungsprojekt zur ICF im deutschsprachigen Raum mitgewirkt, dessen Ergebnisse in das Praxishandbuch eingeflossen sind. Umfangreiche Arbeitsmaterialien zu diesem Buch können nach erfolgter Registrierung von der Hogrefe Website heruntergeladen werden.

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Heike Philippi

Rolf Mayer

(Hrsg.)

ICF-Praxislehrbuch – Neue Standards in der Versorgung chronisch kranker Kinder

Chronisch krank und gefühlt gesund

Unter Mitarbeit von Barbara Guthy

ICF-Praxislehrbuch – Neue Standards in der Versorgung chronisch kranker Kinder

Heike Philippi, Rolf Mayer (Hrsg.)

Programmbereich Medizin

PD Dr. med. Heike Philippi

Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ)

Theobald-Christ-Straße 16

60316 Frankfurt

E-Mail: [email protected]

Rolf Mayer

Frankfurtert Landstraße 5a

61352 Bad Homburg

E-Mail: [email protected]

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

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Authorized translation from the English language edition, entitled INTERNATIONAL TRAUMA LIFE SUPPORT, 9th edition by Roy L. Alson and Kyee H., Han, John E. Campbell published by Pearson Education, Inc. publishing as Prentice Hall, Copyright © 2020 Pearson Education, Inc. All rights reserved. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording or by any storage retrieval system, without permission from Pearson Education Inc.

Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Medizin

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Susanne Ristea

Redaktionelle Bearbeitung: Elisabeth Dominik, Allendorf

Grafik: Angelika Kramer, Stuttgart

Herstellung: Daniel Berger

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Satz: Claudia Wild, Konstanz

Format: EPUB

1. Auflage 2024

© 2024 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96168-2)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76168-8)

ISBN 978-3-456-86168-5

https://doi.org/10.1024/86168-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1. Geleitwort

2. Geleitwort

1 Einleitung

1.1 Warum dieses Buch?

1.1.1 Intention

1.1.2 Hürden bei der Anwendung der ICF

1.2 Wie funktioniert dieses Buch?

1.2.1 Rezepte für die ICF-Praxis

1.2.2 Das Buch als Navigationshilfe

1.3 Für wen funktioniert dieses Buch?

Teil I Grundsätzliche Konzepte

2 Grundlegende Konzepte

2.1 Überblick

2.2 Qualitätsmanagement

2.2.1 Einleitung

2.2.2 Alltagsroutinen und Qualitätssicherung

2.2.3 ICF zur Qualitätssicherung

2.2.4 Standards für QM-Systeme

2.2.5 QM – muss das wirklich sein?

2.2.6 Verantwortung und QM

2.2.7 Qualitätsmerkmale

2.3 Berufsethische Leitlinien

2.4 Teilhabekonzept

2.5 ICF-Konzept

2.5.1 Einleitung

2.5.2 Das Klassifikationssystem ICF

2.5.3 Funktionale Gesundheit

2.5.4 Anwendungsbereiche der ICF

2.6 Motivation und GesprächsführungBarbara Guthy

Teil II Anwendung des teilhabeorientierten Arbeitens nach ICF

3 Best Practice Modell (BPM): Voraussetzungen

3.1 Erste Voraussetzung (1 im BP) Schritt 1

3.1.1 Dimensionen von Teilhabe

3.1.2 Persönliche Verortung zur teilhabeorientierten Versorgung

3.1.3 Persönliche Verortung zum Rollenverständnis

3.1.4 Persönliche Verortung zum Thema Perspektivenvielfalt

3.2 Zweite Voraussetzung (2 im BPM) Schritt 2

3.2.1 Wichtige Begriffe

3.2.2 Teilhabebedarf ermitteln

3.2.3 Teilhabestatus erheben

3.2.4 Die 9 Lebensbereiche der ICF

3.3 Dritte Voraussetzung (3 im BPM) Schritt 3

3.3.1 Interdisziplinarität – eine Notwendigkeit

3.3.2 Verschiedene Disziplinen – verschiedene „Sprachen“

3.3.3 Status quo der Teilhabeorientierung

3.3.4 ICF als gemeinsame Sprache

3.3.5 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

3.4 Vierte Voraussetzung (4 im BPM) Schritt 4

3.4.1 Warum hat die WHO die ICF erfunden?

3.4.2 Wann gilt ein Mensch als behindert?

3.4.3 Funktionale Gesundheit

3.4.4 Grammatik der ICF

3.4.5 Vokabular der ICF

4 Best Practice Modell (BPM): Anwendungspraxis

4.1 Anwendung Schritt 1 + 2

4.1.1 Beschreibung

4.1.2 Anforderungen und Qualitätsmerkmale

4.1.3 Formale Umsetzung

4.1.4 Konkretes Vorgehen

4.1.5 Gesprächsführung: Grundhaltung und FragetypenBarbara Guthy

4.1.6 Stolpersteine

4.1.7 Abgleich Qualitätsmerkmale und Praxis

4.1.8 Beispiele

4.1.9 Anwendungsmaterialien und Dokumente

4.1.10 Übungsaufgaben

4.2 Anwendung Schritt 3

4.2.1 Beschreibung

4.2.2 Anforderungen und Qualitätsmerkmale

4.2.3 Formale Umsetzung

4.2.4 Konkretes Vorgehen

4.2.5 Gesprächsführung: GuidingBarbara Guthy

4.2.6 Stolpersteine

4.2.7 Abgleich Qualitätsmerkmale und Praxis

4.2.8 Beispiele

4.2.9 Anwendungsmaterialien und Dokumente

4.2.10 Übungsaufgaben

4.3 Anwendung Schritt 4

4.3.1 Beschreibung

4.3.2 Anforderungen und Qualitätsmerkmale

4.3.3 Formale Umsetzung

4.3.4 Konkretes Vorgehen

4.3.5 Gesprächsführung: World CafésBarbara Guthy

4.3.6 Stolpersteine

4.3.7 Abgleich Qualitätsmerkmale und Praxis

4.3.8 Beispiele

4.3.9 Anwendungsmaterialien und Dokumente

4.3.10 Übungsaufgaben

4.4 Anwendung Schritt 5

4.4.1 Beschreibung

4.4.2 Anforderungen und Qualitätsmerkmale

4.4.3 Formale Umsetzung

4.4.4 Konkretes Vorgehen

4.4.5 Gesprächsführung: Geschmeidiger Umgang mit WiderstandBarbara Guthy

4.4.6 Stolpersteine

4.4.7 Abgleich Qualitätsmerkmale und Praxis

4.4.8 Beispiele

4.4.9 Anwendungsmaterialien und Dokumente

4.4.10 Übungsaufgaben

4.5 Anwendung Schritt 6, 7 und 8

4.5.1 Beschreibung

4.5.2 Anforderungen und Qualitätsmerkmale

4.5.3 Formale Umsetzung

4.5.4 Konkretes Vorgehen

4.5.5 Gesprächsführung: Change Talk und Confidence Talk Barbara Guthy

4.5.6 Stolpersteine

4.5.7 Abgleich Qualitätsmerkmale und Praxis

4.5.8 Beispiele

4.5.9 Anwendungsmaterialien und Dokumente

4.5.10 Übungsaufgaben

Teil III Querschnittskompetenzen

5 Codieren und dokumentieren

5.1 Notwendigkeit oder freudvolles Gestalten?

5.2 Wozu codieren und dokumentieren?

5.3 Für wen codieren und dokumentieren?

5.4 Was codieren und dokumentieren?

5.5 Wie codieren und dokumentieren?

5.6 Praktische Tools

5.6.1 Protokollierungsschema: TAZ WI HaPla-Schema

5.6.2 ICF-CY-Web-App

5.6.3 ICF-Textbausteine

5.6.4 Karteikarteneintrag

5.6.5 Flipchart oder Magnettafel

5.6.6 Dokumentationsvorlagen

5.7 Kommentierte Beispiele aus dem SPZ

6 GesprächsführungBarbara Guthy

6.1 Auswahl des Gesprächsführungskonzeptes

6.2 Motivational Interviewing

6.2.1 Definition

6.2.2 Stadien der Veränderung

6.2.3 Konzept für anspruchsvolle Gespräche

6.2.4 Haltung und Menschenbild bei MI

6.2.5 Unsere Rolle reflektieren

6.2.6 Motivation und Ambivalenz

6.2.7 Prozessphasen im „MI“-Gespräch

6.2.8 Methoden bei MI

6.2.9 Kurzintervention

6.2.10 Gesprächsführung bei Mehr-Augen-Gesprächen

Teil IV Lernen & Implementieren

7 Lernen & Implementieren für Anwendende

7.1 Erwerb von Wissen und Fähigkeiten planen

7.2 Wissen allein reicht nicht

7.3 PART-CHILD-Studie

7.3.1 Intention der PART-CHILD-Studie

7.3.2 Best Practice Modell der PART-CHILD-Studie

7.3.3 Konzept zukünftiger Schulungen

7.3.4 „Kochrezepte“ für Einsteiger

8 Lernen & Implementieren in der Organisationsstruktur

8.1 Leitungsebene

8.2 Geschäftsführungsebene

8.3 Finanzierende und politisch Verantwortliche

8.3.1 Eingliederungshilfe

8.3.2 Gesetzliche Krankenversicherung

8.3.3 Politik

9 Lernen für Eltern und Kinder

Teil V Anhang

Literatur

Weiterführende Literatur

Glossar

Über die Autoren

Danksagung

Danksagung an wissenschaftliche Mitarbeiterinnen des PART-CHILD-Projekts und ICF-Praxisteams

Sachwortverzeichnis

Hinweise zu Zusatzmaterialien

|11|1.  Geleitwort

Als die Bitte zur Erstellung eines Geleitworts zu diesem Band während der DGSPJ-Klausurtagung in Erfurt Ende Januar 2023 erstmals an mich herangetragen wurde, war ich zunächst erheblich irritiert. „Weshalb braucht es einen Leitfaden zur Anwendung der ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health, von der WHO 2001 verabschiedet)?“ Denn ich erinnerte mich sehr gut, bereits 13 Jahre vorher beim Kongress des BVÖGD (Berufsverband des Öffentlichen Gesundheitsdienstes) in Berlin mit meiner Kollegin Dr. Susanne Stronski-Huwiler, damals schon langjährige Leiterin des Schulärztlichen Dienstes der Stadt Zürich und ausgewiesene Public Health- Expertin, in lebhaftem Austausch über Vorteile, aber auch Hürden in der Anwendung der ICF-CY in Ergänzung zu der damaligen ICD-10 (nicht nur als Kodierungsmodell) gewesen zu sein. Beide hatten wir praktische Erfahrung bei der Erstellung von Gutachten der Eingliederungshilfe, der Frühförderung und der Sonderpädagogik im KJGD (Kinder- und Jugendgesundheitsdienst der Gesundheitsämter). So ging ich selbstverständlich davon aus, dass sich in den Jahren meiner dann folgenden eher theoretischen Tätigkeiten im Sozialministerium in Schleswig-Holstein wie auch als Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die ICF längst in der praktischen Anwendung vollumfänglich etabliert hätte.

Die spannende Lektüre des nun vorliegenden Leitfadens belehrte mich eines Besseren. Obwohl von zukunftsweisendem Vorteil und ebenfalls längst von allgemeiner Gültigkeit, stellt das Arbeiten in interdisziplinären Teams bei der Diagnostik und der Erstellung von Therapieplänen für Kinder und Jugendliche mit chronischer Krankheit oder Behinderung gerade bei der Anwendung der ICF offensichtlich nicht selten eine Hürde dar. Wir wissen zu genau, dass oftmals die Kommunikation der Systeme von Medizin, Psychologie, Sozial- und Heilpädagogik, Jugend- und Sozialhilfe erschwert ist, da neben der jeweils unterschiedlichen systemischen „Kultur“ auch nicht immer eine gemeinsame Sprache gesprochen wird, obwohl das Wohlergehen der Patientinnen und Patienten und deren Familien sowie des sozialen und Bildungsumfelds und deren unterstützende Ressourcen für alle Professionen im bio-psycho-sozialen Modell im Mittelpunkt stehen (sollten). Und dies war wohl nicht die einzige Hürde für eine rasche Implementierung.

Oberstes Ziel jeglichen (inter)professionellen Arbeitens in der Versorgung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher sind Teilhabe, aber mehr und mehr auch Qualitätssicherung, und das nicht nur für die partizipative Arbeit mit dem Patienten/der Patientin und dessen/deren Umfeld, sondern auch der Einrichtung. Das Instrument der ICF kann auf dem Weg dahin für alle Beteiligten ein unumgängliches Schlüsseltool sein, oder wie das Autorenduo schreibt, „die Navigationshilfe“.

Neben einer theoretischen Einführung in die zugrunde liegenden Konzepte (von ICF, Teilhabe, Qualitätsmanagement, Berufsethos) werden die Klassifikationssysteme genauso ausführlich dargestellt wie in Form eines „Kochbuchs“ die Schritt-für- Schritt- Anwendung in der theoriegeleiteten Praxis. Dabei wird sehr detailliert un|12|terschieden zwischen den jeweiligen Voraussetzungen und der Anwendungspraxis unter Aufzeigen der jeweiligen Hürden. Dem Codieren und Dokumentieren wird ein eigenes Kapitel gewidmet genauso wie dem Gesprächsführungskonzept des Motivational Interviewing- wichtige Voraussetzung für die gelingende zielgruppenspezifische Kommunikation.

Dabei bleibt die Vermittlung dieser Kompetenzen trotz aller Fundiertheit und Seriosität nicht staubig-trocken, sondern wird gewürzt (ganz im Sinne der „Kochprofis“) mit Originaltönen aus Interviews der PART CHILD-Studie, was die „Speisen noch deutlich schmackhafter macht“.

Im Blick bleibt dabei aber immer der Nutzen für die Anwenderinnen und Anwender, unabhängig von Herkunft, Profession oder Einrichtung. Dass dem Autorenduo dabei die angestrebte Partizipation und Teilhabe der Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern nicht aus dem Blickfeld gerät, ist in jedem Kapitel deutlich zu spüren.

So bleibt mir neben der Empfehlung dieses „multi-professionellen Kochbuchs“ zum Schluss der Wunsch, dass die „Köchinnen und Köche“ bei der Anwendung der ICF- Zutaten mehr und mehr Erfahrung gewinnen, aber auch Spaß haben mögen, sodass die Produkte im Ergebnis nicht nur den „Köchinnen und Köchen“ selbst, sondern vor allem den „Empfängern“ munden und zu ihrem Wohlbefinden beitragen mögen!

Prof. Dr. med. Heidrun M. Thaiss

Präsidentin der Dt. Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin DGSPJ

|13|2.  Geleitwort

„Ich möchte nicht teilnehmen, ich möchte teilhaben.“

Meinen ersten Diskobesuch werde ich nie vergessen:

Engelsgleich schwebte eine junge hübsche Frau auf der Tanzfläche auf mich zu und fragte: „Brauchst du Hilfe? Hast du Epilepsie? Soll ich einen Krankenwagen rufen?“ Ich stotterte: „Nein. Ich t-t-tanze immer s-so!“ „Ach toll, dass die Behindertenwerkstätten einen Ausflug in die Disco unternehmen.“

Die meisten Menschen machen sich ein Bild von mir, obwohl sie nichts von mir wissen. Sie wissen nicht, wer ich bin, wo ich herkomme, was ich denke, was mich antreibt. Bevor sie das erste Mal etwas über meine Einstellungen, meine Motive und mich erfahren haben, haben sie mich gesehen. Und der optische Sinn ist stark.

Auch bei Ärzt:innen und Therapeut:innen ist das oft so. Leider. Mich hat es als Heranwachsender gestört, dass die behandelnden Personen aufgrund meiner Tetraspastik nur mit meinen Eltern sprachen, so, als wäre ich nicht im Raum. Mich hat es gestört, wenn sie über mich gesprochen haben und nicht mit mir. Mich hat es gestört, dass sie mich nicht ernst genommen haben und mir das Gespräch scheinbar nicht zugetraut haben.

Auch heute noch nehmen mich viele Gesprächspartner*innen erstmal nicht ernst. Erst, wenn ich fallen lasse, dass ich ein Studium, inklusive Abschluss absolviert habe, entwickelt sich ein Gespräch auf Augenhöhe. Als ob der Grad der Bildung der einzige Indikator für Eloquenz wäre – Geschweige denn von dem Recht auf ein faires Gespräch. Keineswegs möchte ich Mitleid, oder eine Bevorzugung. Worauf ich hingegen bestehe, ist eine faire Chance. Ich möchte als Mensch mit tausenden Merkmalen wahrgenommen werden, von denen die Behinderung lediglich eines ist. Dieses wird aber häufig in den Vordergrund gerückt: In den Vordergrund von Betrachtungen meiner Person, in den Vordergrund von Gesprächen, in den Vordergrund von Leistungen.

„Nichts über uns ohne uns“ ist eine zentrale Forderung auf dem Gebiet der Teilhabe. Er lässt sich auch hervorragend auf persönliche Gespräche und Beratungen anwenden, finde ich.

Ich liebe Sprache, ich habe Spaß am Formulieren, ich schreibe gerne, ich lese gerne, ich habe in jeder freien Minute Musik auf den Ohren. Vielleicht kommt nun der Gedanke auf: Wie kann einer, der nicht richtig sprechen kann, Sprache lieben? Aber ich lege noch einen drauf: ich stehe auf Bühnen. Freiwillig. Mal als Comedian, mal als Speaker. Als Inklusionsbotschafter setze ich mich für den Abbau gesellschaftlicher Vorurteile und einen respektvollen Umgang ein.

Viele Menschen denken, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, wäre ich abhängig von anderen. Ja, ich bin abhängig, denn ich hänge oft ab. Am liebsten mit anderen.

Aber ich möchte nicht nur am Leben teilnehmen, sondern teilhaben. Denn: wenn ich bereits habe, muss ich nicht mehr nehmen.

Viel Freude an den Inhalten dieses wichtigen Buchs. Bitte beherzigen sie diese, sodass möglichst alle Kinder teilhaben können.

Kai Bosch

Comedian, Autor, Inklusionsbotschafter

https://www.kaibosch.de/

https://www.youtube.com/watch?v=XzPor2FV84U&t=1s

|15|1  Einleitung

1.1  Warum dieses Buch?

1.1.1  Intention

Die Idee zu diesem Buch ist vor einigen Jahren nach einer Vielzahl von ICF-Schulungen, die uns für die Vermittlung der ICF (siehe Glossar im Anhang) als wertvolles Instrument für die Teilhabeförderung wichtig waren, entstanden. Trotz unserer gut aufbereiteten Materialien, Übungen und Vorträge und durchweg positiven Rückmeldungen der Teilnehmer:innen, insbesondere während des Versorgungsforschungsprojekts PART-CHILD (Kap. 7.3), fiel uns auf, dass sich doch alle letztlich immer noch schwertaten, die geschulten Inhalte in die berufliche Praxis zu überführen.

Ein eindrückliches Beispiel hierfür war eine zweitägige Schulung eines hoch motivierten interdisziplinären SPZ-Teams (Sozialpädiatrisches Zentrum) in einer süddeutschen Universitätsstadt, dessen Mitglieder die Schulungsinhalte intensiv und mit Schwung bearbeiteten, sie in guter, kollegialer und sehr wertschätzender Atmosphäre angeregt diskutierten, aber in der morgendlichen Feedbackrunde des zweiten Tages vor allem über die Kopfschmerzen nach dem Ende des ersten Tages berichteten. Diese Rückmeldung der kollektiven Kopfschmerzen hat alle erleichtert, da bis dahin jedes Team-Mitglied dachte, nur ihm sei es so ergangen, trotz großer Anstrengung das Gefühl zu haben, mit dem Verstehen der ICF nicht wirklich weitergekommen zu sein.

Auch uns, den Dozent:innen der ICF-Schulungen, hatte der Umgang der ICF in der beruflichen Praxis und in der Entwicklung von Schulungsveranstaltungen immer wieder Kopfzerbrechen bereitet. Deshalb hatten wir das Konzept der ICF und ihrer Anwendung in eine Vielzahl ansprechender grafischer Darstellungen, ICF-Schlüsselwortlisten und Praxisbeispiele übersetzt, die die Grundlage der praxisorientierten Seminare bildeten. Wir wussten aus eigener Erfahrung, dass mit der Schulung der WHO-Materialien für die Praxis kein Blumentopf zu gewinnen war. Auch fanden wir in der ICF-Literatur keine Publikationen, die die Komplexität der ICF und ihrer Praxisanwendung umfassend, anschaulich und leicht zugängig darstellen. Um beim Verständnis der ICF und ihrer Anwendung im Rahmen einer guten Teilhabeförderung weiterzukommen, haben wir – die Autor:innen des vorliegenden Buches – uns deshalb entschieden, ein solch fehlendes Praxisbuch selber zu verfassen.

Die ICF ist auf dem Weg, sich aufgrund ihrer wertvollen Eigenschaften als internationale Klassifikation für das Erfassen der Körper- und Lebenswelt von Menschen als Standardinstrument der Bedarfserstellung in der Teilhabeförderung zu etablieren.

Die ICF ist allgegenwärtig und wird nicht selten als ein eingeständiges Subjekt wahrgenommen. In häufig anzutreffenden Formulierungen (wie z. B. „Die ICF beschreibt, was Kinder können“ [17] wird die ICF nicht als Instrument, das von Nutzer:innen angewendet werden kann, aufgefasst. Es scheint so, als würde die ICF das Wissen selbst beinhalten und die Beschreibung der gesundheitlichen Situation einer Person nicht von Anwender:innen mit der Hilfe der ICF |16|erarbeitet und dargestellt. Eine solche Wahrnehmung des Instruments ICF ist nachvollziehbar, weil die ICF im Sozial- und Gesundheitswesen als zentraler Bezugspunkt der Teilhabeförderung akzeptiert ist, diese Akzeptanz meist unhinterfragt geschieht und an allen Ecken und Enden an ihrer Implementierung gearbeitet wird.

Und das ist auch gut so, weil die Bereitschaft und Notwendigkeit, die ICF als Klassifikation einzusetzen, unmittelbar mit einer grundsätzlich stärkeren Hinwendung zu den Bedürfnissen und Bedarfen von Menschen mit Behinderungen sowie der Förderung ihrer Teilhabe verbunden ist. Aber es entsteht allein durch den Vorgang der Vergabe von ICF-Codes noch keine Teilhabe für Kinder. Es handelt sich um eine zusätzliche, administrative Arbeit, für die wir im Versorgungsalltag anders als in Forschungsprojekten keine „Studynurse“ haben. Diese administrative Zusatzarbeit löst deshalb verständlicherweise bei den Expert:innen der Alltagsversorgung Verdruss und Abwehr aus.

Die nachstehenden Zitate von ICF-Schulungsteilnehmer:innen verdeutlichen die Hürden beim Verständnis und der Anwendung der ICF.

„Ja, guck mal, ICF-CY, das müssen wir, glaube ich, irgendwann machen, da kommen wir nicht dran vorbei.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

„Und das war, wie soll ich sagen, wie so ein Damoklesschwert.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

Worum geht’s?

Es bedarf zunächst einer Analyse des von der WHO verfassten ICF-Konzepts bezüglich dessen, wie dessen Teile und Aspekte für die Versorgung chronisch kranker Kinder den Praktiker:innen nützlich und hilfreich sein könnten. Erst durch diese Übersetzung des ICF-Konzepts auf die Situation der Anwendung im Versorgungsalltag können wir es guten Gewissens als Standard für die Praxisanwendung empfehlen.

Wir, die Autor:innen, verfügen über eine mehrjährige Nutzenanalyse und Erprobung des ICF-Konzepts im Praxisalltag und haben in diesem Buch die Ergebnisse für alle Anwender:innen zusammengestellt.

Das vorliegende Buch befasst sich somit anhand der ICF-CY ausführlich mit allen Themen rund um die ICF, aber auch mit den Hürden, die mit der ICF und ihrer Anwendung in der Alltagspraxis verbunden sind. Es führt systematisch und konkret in die mit der ICF verbundenen Aufgabenstellungen ein. Wo immer möglich zeigen wir Wege auf, wie die Hürden überwunden werden können.

PART-CHILD-Projekt: Das Versorgungsforschungsprojekt PART-CHILD (Kap. 7.3) war für uns der praktische Prüfstein, ob und wie unsere bis zum Start des Projekts im Jahr 2018 erarbeiteten ICF-Kenntnisse in bundesweit 18 (3 davon in der Pilotphase) SPZ (Sozialpädiatrische Zentren) gewirkt haben: einerseits hinsichtlich der erfolgreichen Vermittlung der ICF-Inhalte in Teamschulungen sowie andererseits hinsichtlich der Verbesserung der Lebensqualität von Kindern und ihren Familien, die durch diese geschulten Teams unterstützt wurden. Es hat uns in der grundsätzlichen Befassung mit der ICF und ihrer alltäglichen Anwendung bestärkt. Die seit Herbst 2022 dokumentierten und für unser Thema relevanten Ergebnisse von PART-CHILD konnten wir vollständig in das Praxislehrbuch einarbeiten.

1.1.2  Hürden bei der Anwendung der ICF

1.  Hürde

Das akademische Konzept der ICF

Eine erste Hürde bei der Anwendung der ICF ist ihr akademisches Konzept als solches. Wer sich die im Internet verfügbaren Unterlagen für die ICF angeschaut oder sich die entsprechenden Publikationen besorgt hat, stellt schnell |17|fest: so einfach wie am Anfang der Lektüre das Konzept der ICF erscheint, so schwer und anspruchsvoll ist seine Durchdringung und seine Übersetzung in den beruflichen Alltag. An dieser ersten Hürde geben schon viele Interessierte auf, weil ihnen dieser Aneignungsprozess zu aufwendig erscheint.

„Dann habe ich mir eine ICF-CY bestellt erstmal, als sie neu rauskamen damals, und habe gedacht: oh Gott.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

„ … ein ganz neuer Bereich, den wir alle schon irgendwie mittun wollten, aber noch nicht wussten, wie es geht. Aber für uns war das immer ein Monstrum. Und wir haben da mal reingeschnuppert, haben das gleich wieder zugeklappt sozusagen. Dieser Atlas, oder dieses Riesenwerk.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

Die gute Nachricht für das Praxislehrbuch ist, dass wir nicht als erstes dieses akademische Konzept vorstellen und zu erläutern versuchen, sondern den Fokus auf die Bedeutung und den Einsatz in der Praxis der Teilhabeförderung richten. Uns leitet dabei die systemische Einsicht, dass der Kontext (die Teilhabeförderung in der beruflichen Praxis) wichtiger ist als der Text (das akademische Konzept der ICF).

2.  Hürde

Der Expertenstatus der Fachkräfte

Eine zweite Hürde bilden tradierte Sichtweisen und Rollenverständnisse der Akteure im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen. Gut ausgebildete Fachexpert:innen verfügen über viele Fachkenntnisse und Erfahrungen, sodass sie davon ausgehen, mit diesem Fachwissen auch den Bedarfen von Kindern mit chronischen Erkrankungen und ihrer Familien gerecht zu werden. Einen ICF-basierten Rundumblick auf die Lebenssituation und die Interessen und Wünsche der Kinder und ihrer Familien sehen sie nicht als ihre Aufgabe.

„Naja gut, ich denke, also hier im Haus ist es so, dass wir alle schon sehr lange im Beruf sind und wie gesagt, diese alten Muster kommen halt wieder hoch, weil man es ganz anders gelernt hat. Man hat das Pferd halt früher ganz anders aufgesattelt.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

„Ich glaube, es hat nichts damit zu tun, dass sie ICF nicht haben wollen, sondern sie möchten nichts, was nicht auf ihrem eigenen Mist gewachsen ist, sie sind der Meinung, dass sie sowieso schon alles optimal machen.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

„Das ist meine Meinung zu diesem Thema, dass alte Muster einfach unfassbar stark sind. Wenn diese alten Muster, wie überall, immer wieder wachsen und wenn man sie versucht, auszureißen, immer noch irgendetwas das, wieder durchwuchert und eben sich an diesen Stellen doch wieder durchsetzt und man geneigt ist, das man ebenso zu machen, wie man es schon immer gemacht hat. Das neu überlegen und das neu zu tun, erfordert doch sehr viel kognitive Willens- und Zeitressource.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

Da die Teilhabeförderung in der Regel angesichts komplexer Lebenssituationen und vielfältiger Bedarfe interdisziplinär erfolgt, erleichtert ein gemeinsamer begrifflicher Standard, diese Sachverhalte zu erfassen und zu dokumentieren, die entsprechende Kommunikation mit den verschiedenen Beteiligten sehr. Die ICF ist ein solcher Standard. Erfolgt der Austausch zur Teilhabeförderung mit nur einer geringen Anzahl von Beteiligten oder geht es um vergleichsweise unkomplizierte Sachverhalte, kann die Teilhabeförderung auch ohne Anwendung der ICF gelingen.

3.  Hürde

Diskrepanz zwischen dem postulierten hohen Stellenwert der ICF und der geringen erfolgreichen Praxisanwendung

Eine dritte Hürde besteht in der bislang nur punktuell stattfindenden praktischen Anwendung der ICF. Viele Fachkräfte kennen das Kon|18|zept und die Bedeutung der ICF vom Hörensagen und von Ankündigungen, aber sie erleben ihre Anwendung nicht im Alltag – falls doch, dann in der Regel als bürokratische Dokumentationsaufgabe. Die spärliche ICF-Praxis kontrastiert derzeit noch stark mit der Allgegenwärtigkeit des Themas. Dieses Phänomen hat damit zu tun, dass die Aneignung der ICF, ihre Anwendung im beruflichen Alltag und ihre Verankerung in den Organisationen eine anspruchsvolle Aufgabe ist. Aus diesem Grund basieren auch die meisten Publikationen zum Thema ICF nicht auf einer eigenen, langjährig fundierten und systematischen ICF-Anwendungspraxis der Autor:innen. In diesen Publikationen werden vorrangig das Konzept der ICF als solches dargestellt und aus der Fachsicht der Autor:innen bewertet und höchstens anhand von Codierungsbeispielen veranschaulicht. Eine konkrete Gebrauchsanleitung des ICF-Konzepts für die Praxisanwendung im Kontext der Teilhabeförderung fehlt.

„Wir kennen ja auch schon einzeln Therapieberichte, beispielsweise aus Frühförderstellen oder von Reha-Einrichtung, die als auch ICF-verpflichtet sind und wo man dann auf zwei oder drei DIN-A4-Seiten lauter ICF-Codes liest. Keiner weiß, was ist eigentlich mit dem Kind?“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

„Dass man eher betont, dass es eine andere Denkweise oder eine andere Herangehensweise ist und nicht darum geht, jetzt endlich mal wieder das 25. neue Verschlüsselungssystem zu haben. Also ich habe auch schon vorher Schulungen zu dem Thema besucht, und bevor ich begriffen habe, warum es eigentlich geht, habe ich mir bestimmt 20-mal die 25 Untergruppen von ICF schlag mich tot und dann noch eine Liste und noch ein Video, noch ein Bild, was erklärt, Organigramm, was wozu gehört, und das macht schnell müde, und ist dann, glaube ich, auch schade, weil es am Inhalt, also Lebensinhalt vorbeigeht.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

4.  Hürde

Teilhabeförderung mit ICF als Gemeinschaftsaufgabe

Die vierte Hürde besteht in den vielfältigen Herausforderungen der Teilhabeförderung von Kindern, da viele Akteure in vielfältigen Handlungsfeldern einbezogen werden müssen und es eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe ist, gemeinsam an einem Strang abgestimmt in die gleiche Richtung zu ziehen. Diese Herausforderungen gehen weit über die Aneignung der ICF als Instrument der Teilhabeförderung hinaus und betreffen die gesamte Art und Weise, wie Kinder unterstützt werden müssen.

„Wobei man eigentlich eine Krankheit hat, die sehr dominierend ist, auf die Selbstbestimmung, dass man da auch versucht Lösungen zu finden, wie man vielmehr mit den Betroffenen arbeitet an der Therapie. Und vor allen Dingen auch mit dem Umfeld. Weil, letztendlich ist Krankheit nie etwas Persönliches, sondern immer etwas, was im Umfeld und Zuhause, in der Schule, und mit anderen sozialen Begleitern stattfindet. (…) Auch die Erkrankung und die Belastung ins Umfeld zu kommunizieren und eben auch dafür zu sorgen, dass es wirklich möglich ist, sozusagen nicht krank zu sein mit einer Erkrankung, sondern einen gesunden Umgang mit einer Erkrankung zu erreichen.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

„Und dann gibt es noch ein großes Ärger-Thema für mich, das ist wirklich die Geschichte mit den Versorgungsämtern. Das ist eigentlich ein ganz schlimmes Problem, was momentan – also sicher zwei Drittel meiner behinderten Patienten liegen vor dem Sozialgericht mit einem Klageverfahren, weil das Versorgungsamt dieses ressourcenorientierte Arbeiten so grandios missversteht und dann aus einzelnen Sätzen – oder vielen in meinen Briefen – den Leuten die Schwerbehinderung reduziert. Sodass das, was wir eigentlich wollen, das ressourcenorientierte Arbeiten und auch das ressourcenorientierte Beschreiben von Zielen und Erreichen, |19|gerade bei den Patienten, wo das –, also bei den Behinderten, auch sehr viele von den Schwerbehinderten, ginge das natürlich am besten. Wo ich dann doch wieder defizitorientierte Berichte schreiben muss, damit bloß nicht wieder der GdB (Grad der Behinderung) abgesenkt wird.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

|20|1.2  Wie funktioniert dieses Buch?

Dieses Buch dient als Navigationshilfe bei der Anwendung der ICF im Praxisalltag bei der teilhabeorientierten Versorgung von chronisch kranken Kindern und in der Handhabung wie ein Kochbuch.

Wir haben dieses Buch aus der Praxis der Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) mit seinen intensiven und umfassenden Unterstützungsprozessen für chronisch kranke Kinder entwickelt, weil dort alle relevanten Themen und Aspekte der Teilhabeförderung vertreten sind. Andere Akteure im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen haben es häufig nur mit Teilprozessen oder Einzelaspekten dieser Unterstützung zu tun. Sie können aus den Modellprozessen die für Sie relevanten Schritte und Themen wählen.

1.2.1  Rezepte für die ICF-Praxis

Angesichts der vielfältigen Themenbereiche, die mit der ICF verbunden sind, stellt sich die Frage, wie die ICF im Alltag angewendet wird. So, wie das Konzept einer gesunden und schmackhaften Ernährung in der täglichen Essenzubereitung verwirklicht wird und es für diesen Zweck Kochbücher gibt, die als Anregung und fundierte Anleitung die Zubereitung unterstützen und uns durch die Vielfalt der Speisen, ihrer Zutaten und Zubereitungen navigieren, so möchten wir auch mit dem vorliegenden Praxishandbuch die Anwendung der ICF anregen und anleiten.

Dies bedeutet, dass Sie, die Leser:innen, das Buch nicht linear von vorne nach hinten durcharbeiten müssen, sondern das Buch wie ein Kochbuch durchblättern können, um dann in den für Sie interesseranten Kapiteln in das Thema einzusteigen.

Für diejenigen unter Ihnen, die sich erstmal in das Thema einlesen möchten, sei die Lektüre des Grundlagenkapitels empfohlen.

Wer sich anregen lassen will, wie die Kochkunst zu Teilhabe mit ICF am besten je nach eigenem Wissensstand und beruflicher Position erlernt wird, dem seien die Kapitel im Buchteil IV „Lernen & Implementieren“ empfohlen.

Wer gleich ein Rezept ausprobieren möchte, kann im Kapitel Anwendung (Kap. 4) direkt mit dem Kochen beginnen. In diesem Kapitel sind die einzelnen Anwendungsschritte wie bei einem ausführlichen Rezept mit den Zutaten, den benötigten Utensilien sowie dem Ablauf der Zubereitung jeweils detailliert beschrieben. Wie auch beim Kochen entwickelt jede Köch:in im Laufe der Zeit eigene Rezepturen, auch wenn sie sich dabei an den erlernten Standards orientiert.

Von dieser Kreativität lebt auch die Anwendung der ICF im Alltag und wir sind auf Ihre zukünftigen neuen Rezepturen gespannt.

1.2.2  Das Buch als Navigationshilfe

Wirgehen von dem Arbeitsprozess aus, in dem die Teilhabeförderung organisiert wird. Das sind die einzelnen Prozessschritte, die Sie und wir im Alltag gehen, wenn wir uns mit der Diagnostik und Förderung von Kindern mit chronischen Erkrankungen befassen. Wir zeigen Ihnen auf der Grundlage einer mittlerweile mehr als zehnjährigen Anwendungspraxis detailliert, wie die Anwendung der ICF zur Teilhabeförderung im Alltag funktioniert.

Wir zeigen Ihnen auch im Detail den Lernprozess, den es benötigt, um sich die ICF für den beruflichen Alltag anzueignen. Unsere langjährigen Erfahrungen in einer Vielzahl von ICF-Schulungen sowie unsere eigenen Lernerfahrungen bilden die Grundlage hierfür.

Damit die ICF vollumfänglich genutzt wird, ist es zwingend erforderlich, dass in den Organisationen die Voraussetzungen dazu im Alltag der Fachkräfte geschaffen werden. Wir beschreiben deshalb auch den Implementierungsprozess der ICF in Organisationen (Kap. 8), da |21|ohne entsprechende Unterstützung von Geschäftsführungen, Leitungskräften und sonstigen Verantwortlichen die Anstrengungen der Fachkräfte, sich die ICF anzueignen und anzuwenden, Stückwerk bleiben.

Auch wenn wir als Expert:innen über das Knowhow zur Anwendung, zum Erlernen und zur Implementierung der ICF verfügen, haben wir erst einmal den Anwender:innen, ihren Bedürfnissen und Bedarfen, ihren Sichtweisen und Erfahrungen zugehört. Dabei konnten wir außer auf unsere vielfältigen persönlichen Kontakte, Gespräche und Diskussionen auch auf die wissenschaftlich dokumentierten ausführlichen Rückmeldungen innerhalb der PART-CHILD-Studie von über 40 Anwender:innen zurückgreifen, die sich in offen geführten Interviews zu allen relevanten Aspekten der ICF-Anwendung geäußert haben. Diese auf vielen hundert Seiten dokumentierten Gespräche bilden wichtige Bezugspunkte unserer Navigationshilfe.

Bei unserer Navigationshilfe haben wir auch im Blick, dass unsere Leser:innen über sehr unterschiedliche Kenntnisse zu diesem Thema verfügen. Wir haben deshalb großen Wert darauf gelegt, dass Sie sich entsprechend ihres Wissensstands orientieren können. Wenn Sie ganz am Anfang Ihrer Befassung mit der ICF stehen, sollen Sie einen guten Überblick und Einblick erhalten, worauf es grundlegend ankommt. Wenn Sie schon sich länger mit dem Thema befasst haben, werden Sie sich vermutlich in vielem, was Sie bereits praktizieren, bestätigt sehen, sicherlich aber auch Aspekte entdecken, die neu und anregend sind – genauso wie die vielen hundert Fachkräfte in unseren Schulungen.

Wir stellen Ihnen auch die Konzepte und Grundlagen dar, die aus unserer Sicht für das Verständnis der ICF von großer Bedeutung sind. Dies sind das Konzept der ICF selbst, die Konzepte von Teilhabe, von Qualitätsmanagement und von Gesprächsführung. Eingebettet sind diese Konzepte in unsere Menschenbilder, in unsere beruflichen Ethiken sowie in die gesellschaftlichen Forderungen und Diskurse zu gesellschaftlicher Teilhabe, zu Diskriminierungs- und Barrierefreiheit.

Wir begreifen unsere ICF-Navigationshilfe auch als grundlegenden Beitrag für einen noch zu vereinbarenden ICF-Expertenstandard. Ein solcher Expertenstandard zeichnet sich durch transparente Verfahren aus, die einerseits auf allgemein anerkannten methodischen Grundlagen wissenschaftlich fundiert und unabhängig erstellt und andererseits in planmäßiger Schrittfolge sowie in fachlicher Abstimmung mit den beteiligten Akteuren in der Praxis und in Modellen erprobt wurden.

Mit unserem Verständnis der ICF als einem kreativ zu nutzenden Instrument für die Teilhabeförderung unterscheiden wir uns nicht zuletzt von den Ansätzen, die die ICF als eine umfängliche Checkliste im bürokratischen Sinne verstehen.

Unser Buch ist eine Einladung, in der Teilhabeförderung voneinander zu lernen, zur Diskussion von Erfahrungen und Erkenntnissen. Es ist ein work in progress, mit dem wir die wichtigen Sachverhalte und Zusammenhänge im Dialog erfassen, einordnen und bewerten möchten. Dass dies nicht abschließend möglich ist, liegt in der Natur der Sache, so wie auch die Anwendung der ICF nicht zu festgefügten Ergebnissen führt. Und aus diesem Grund organisieren wir über dieses Buch hinaus bundesweit ICF-Netzwerke zum fachlichen Austausch und zum voneinander Lernen. Und sicherlich werden aufbauend auf das vorliegende Praxislehrbuch weitere Publikationen folgen, die sich mit der ICF-Praxis befassen werden.

|22|1.3  Für wen funktioniert dieses Buch?

… für die Kinder und Jugendlichen, in allererster Linie – so hoffen wir.

Wir haben uns bemüht, alle Herangehensweisen, Methoden und Leitbilder aus der Sicht der Kinder und Jugendlichen zu denken. Insofern müssten alle Fachkräfte, die an der Versorgung, Förderung, Unterstützung, Begleitung und Bildung von Kindern und Jugendlichen direkt oder indirekt beteiligt sind, von der Lektüre dieses Buches bei der Organisation von Teilhabe profitieren. Also funktioniert dieses Buch …

… für alle Fachkräfte, in zweiter Linie – so hoffen wir.

Dabei denken wir, wie im Buchteil IV Lernen & Implementieren aufgefächert, sowohl an die Fachkräfte in der direkten Klienten- und Patientenversorgung wie Ärzt:innen, Erzieher:innen, Kinderpfleger:innen, Lehrer:innen, (Sozial-, Heil- und Sonder-) Pädagog:innen, Psycholog:innen, Therapeut:innen als auch an Leitende und übergeordnet Verantwortliche, wie Geschäftsführer:innen und Verantwortliche der Kostenträger und Ministerien sowie Politiker:innen.

Je weiter weg eine Fachkraft von der Kinderversorgung ist, desto mehr geht es darum, ein Grundverständnis für die Organisation von Teilhabe zu entwickeln, um passende Entscheidungen für einen qualitätssichernden Rahmen zur Durchführung einer teilhabeorientierten Versorgung mit ICF zu schaffen.Für dieses Grundverständnis sind folgende Inhalte von besonderem Interesse: die grundlegenden Konzepte in Kap. 2, die jeweiligen Beschreibungen der Anwendungsschritte und der Abgleich der Qualitätsmerkmale mit der Praxis in Kap. 4 sowie die Ausführungen zum Lernen & Implementieren der ICF in Kap. 7. Die indirekt Mitwirkenden werden sich – im Bild des Kochbuchs gesprochen – mit den Prinzipien des Kochens, den geeigneten Zutaten und der Küchenausstattung befassen.

Je näher eine Fachkraft an der Kinderversorgung arbeitet, desto mehr wird sie sich konkret mit einzelnen Anwendungsrezepten befassen und sich in der Zubereitung einzelner schmackhafter „Speisen“ ausprobieren, um im Bild des Kochbuchs zu bleiben.

Insofern möchten wir die mancherorts geführte separierende Diskussion über die scheinbare Notwendigkeit einer jeweils andersartigen Anwendung der ICF für Erzieher:innen, für Ärzt:innen oder für Pädagog:innen gerne zusammenführen. Wenn alle Beteiligten die ICF vom Kind und den Eltern aus zu denken, wird deutlich, dass eine solche Auffächerung keinen Sinn ergibt. Denn, die Logik der ICF beinhaltet naturgemäß die diversen Perspektiven, die dann im gemeinsamen Diskurs zugunsten der Kinder ausgeschöpft werden.

Trotz unserem großen Bemühen, die Anwendung der ICF aus Sicht des Kindes und zudem aus dem Blickwinkel der einzelnen Fachdisziplinen zu beleuchten, wird unsere eigene fachliche Herkunft sehr wahrscheinlich durch die Verwendung spezieller uns gebräuchlicher Begriffe spürbar bleiben. Wir würden uns freuen, wenn uns Leser:innen aus anderen Fachgebieten ihre Rückmeldungen über für sie missverständlich benutzte Begrifflichkeiten zukommen lassen könnten.

|23|Teil I Grundsätzliche Konzepte

|25|2  Grundlegende Konzepte

2.1  Überblick

Förderung der Teilhabe und Anwendung der ICF sind die zentralen Themen dieses Buches. Um die Anwendung der ICF gut zu verstehen, sie zu lernen und in der Arbeitsorganisation zu verankern, ist es hilfreich, einige Konzepte und Grundlagen, die für die ICF-Praxis relevant sind, zu kennen, einzuordnen und zu bewerten.

So wie die ICF die gesundheitliche Situation aus den verschiedenen Blickwinkeln von Körperfunktionen, Körperstrukturen, personenbezogenen Faktoren, Aktivitäten, Teilhabe und Umwelt regelhaft erfassbar macht, so blicken auch wir aus unterschiedlichen konzeptionellen Perspektiven auf die ICF. Wichtige Sichtweisen auf die ICF ergeben sich insbesondere aus den Konzepten der Teilhabeförderung, der berufsethischen Leitlinien, der Gesprächsführung und des Qualitätsmanagements.

In diesem Kapitel möchten wir uns deshalb explizit mit diesen Konzepten und Grundlagen befassen, da vieles, was die Anwendung der ICF betrifft, eng mit diesen Grundlagen zusammenhängt und in einer Wechselbeziehung mit ihnen steht. Die ICF-Anwendung wird beispielsweise ohne durchdachtes Qualitätsmanagementsystem nicht zufriedenstellend funktionieren, ebenso wenig wird ein Qualitätsmanagementsystem im Sozial- und Gesundheitswesen ohne eine durchdachte ICF-Anwendung auskommen können.

Diese grundlegenden und ineinandergreifenden Konzepte (Abbildung 2-1) bilden das Gerüst für ein umfassendes Verständnis der ICF-Praxis und der Teilhabeförderung und sind unentbehrlich für eine strukturierte und kreative Teilhabeförderung. Es lohnt also, sich einen orientierenden Einblick in die Konzepte und ihre Verbindungslinien zu verschaffen und dadurch ein ICF-praktisches Verständnis dieses konzeptionellen Gerüsts zu gewinnen.

Uns geht es bei dieser Skizzierung der Konzepte nicht um eine dogmatische Richtigkeit und Vollständigkeit, sondern um Anregungen für ein vertieftes Verständnis der ICF und ihrer Anwendung. Skizzen können umfassende Konzeptdarstellungen nicht ersetzen, sie sind aber zur Orientierung durchaus nützlich. Auch sind sie immer eine Einladung zur Diskussion und zum voneinander Lernen in diesen Diskussionen.

Abbildung 2-1:  Konzepte als Basis für Teilhabeförderung.

Im Folgenden skizzieren wir wesentliche Verbindungslinien zwischen den fünf genann|26|ten Themenkomplexen: ICF, Teilhabe, Berufsethos, motivierende Gesprächsführung und Qualitätsmanagement.

1. ICF – Gesprächsführung: Die ICF ist keine stur abzuarbeitende Checkliste für die Beschreibung der gesundheitlichen und sozialen Situation einer Person, sondern sie ist eingebettet in den partizipativen Dialog zwischen Kindern, Familien und Fachkräften. Um diesen Dialog erfolgreich führen zu können, bedarf es einer kompetenten motivierenden Gesprächsführung.

„Ja, also es ist ganz klar so, dass wir seitdem versuchen, noch mal mehr schon von Anfang an Eltern und Kinder einzubeziehen in die Therapieplanung. Ob uns das immer gelingt, das werden Ihnen die Fragebögen sagen. Aber schon das mal mehr in den Fokus zu nehmen, wirklich genau abzufragen, wer will was. Und auch die Kinder mehr zu fragen: Was wollt ihr eigentlich erreichen? Wo hakt es? Und wo wollt ihr hin? Das hat sich schon verändert, weil einfach diese Idee (MI) noch mal mehr in den Köpfen ist. (PART-CHILD-Studie, Interviews)

2. ICF – Qualitätsmanagement: Die Struktur der ICF als internationale Klassifikation weist viele Merkmale auf, die auch der internationalen Norm für Qualitätsmanagementsysteme (ISO 9001:2015) entsprechen. Hierzu gehören als explizite gemeinsame Merkmale beispielsweise die Aufforderung zur klar strukturierten Erfassung von Kontextinformationen, die Anforderungen einer konsequenten Personen-/Kundenorientierung und die regelgeleitete Erhebung von Informationen.

Für uns sind ICF und Qualitätsmanagement nicht voneinander zu trennen. Die Anwendung der ICF, ihr Erlernen sowie ihre Implementierung in der Arbeitsorganisation benötigen gut funktionierende übergreifende Qualitätsmanagementsysteme, um die damit verbundenen Anforderungen realistisch einzuschätzen und angemessen zu erfüllen. Umgekehrt benötigt ein übergreifendes Qualitätsmanagementsystem im Sozial- und Gesundheitswesen u. a. als Instrument für die Diagnostik und Teilhabeförderung eine gut implementierte Anwendung der ICF.

3. ICF – Berufsethik: Eine berufsübergreifende berufsethische Leitlinie ist der Respekt vor der Autonomie der Einzelnen, der Unterstützung ihrer Selbstbestimmung durch bestmögliche Information und Aufklärung. Wichtige Bezugspunkte der professionsspezifischen berufsethischen Leitlinien sind insbesondere auch die aktuellen fachlichen Standards des jeweiligen Aufgabenbereichs. Zu diesen Standards gehört auch die ICF. Die Beachtung berufsethischer Leitlinien ist somit mit einer guten Anwendung der ICF unmittelbar verknüpft. Wer berufsethische Leitlinien ernst nimmt (und nur dafür sind sie da), muss sich schon allein aus dieser Verpflichtung heraus eingehend mit der Anwendung der ICF befassen.

4. ICF – Teilhabeförderung: Die innere konzeptionelle Logik der ICF ist unmittelbar mit der Förderung von Teilhabe verbunden. Die Begründung der WHO für die Entwicklung der ICF als Instrument der Bedarfsermittlung basiert u. a. auf der UNO-Kinderrechtskonvention und deren Verpflichtung, die Würde des Kindes zu wahren, seine Selbstständigkeit zu fördern und seine aktive Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu erleichtern [1]. Umgekehrt ist die im BTHG rechtlich normierte Förderung der Teilhabe mit der Verpflichtung verbunden, die dafür erforderliche Bedarfsermittlung ICF-orientiert zu gestalten.

„Ich denke, dass die Medizin, die wir früher gemacht haben, nicht mehr der Zeit gemäß ist. Dass Medizin eigentlich bedeutet, dass man sehr viel mehr auf auch Teilhabe guckt. Das ist vor allen Dingen für mich (…) wichtig. Wobei man eigentlich eine Krankheit hat, die sehr dominierend ist, auf diese –, oder die Selbstbestimmung, dass man da auch versucht Lösungen zu finden, wie man vielmehr mit den Betroffenen arbeitet an der Therapie. Und vor allen |27|Dingen auch mit dem Umfeld. Weil, letztendlich ist Krankheit nie etwas Persönliches, sondern immer etwas, was im Umfeld und zuhause, in der Schule, und mit anderen sozialen Begleitern stattfindet. Und ich glaube, dass da noch ganz viel Luft nach oben ist, auch aus Sicht von Ärzten. Da können wir auch noch ganz anders denken und gerade hier ist mein Schwerpunkt (…). Also nochmal einen ganz anderen Ansatz zu haben in der Behandlung (…). Viel genauer auch (…) auf die komorbide Störung zu achten. Auch die Erkrankung und die Belastung ins Umfeld zu kommunizieren und eben auch dafür zu sorgen, dass es wirklich möglich ist sozusagen nicht krank zu sein mit einer Erkrankung, sondern einen gesunden Umgang mit einer Erkrankung zu erreichen.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

5. Qualitätsmanagement – Berufsethik: Für ein normgerechtes Qualitätsmanagement steht die Ermittlung der Kontextfaktoren der jeweiligen Organisation im Zentrum der Bemühungen. Kontextfaktoren sind die externen und internen Themen, die für den Zweck und die strategische Ausrichtung relevant sind und die sich auf Fähigkeit der Organisation auswirken, die beabsichtigten Ergebnisse ihres Qualitätsmanagementsystems zu erreichen. Hierzu gehören externe Themen, die sich aus dem gesetzlichen, technischen, wettbewerblichen, marktbezogenen, kulturellen, sozialen oder wirtschaftlichen Umfeld ergeben, ob international, national, regional oder lokal. Interne Kontextfaktoren sind die Werte, die Kultur, das Wissen und die Leistung der Organisation. Zu den externen und internen Kontextfaktoren zählen auch die berufsethischen Leitlinien der in der Organisation beschäftigten Fachkräfte. Diese Leitlinien müssen bei der Berücksichtigung der Ausgestaltung des Qualitätsmanagements berücksichtigt werden. Umgekehrt können solche berufsethischen Leitlinien umfassend und regelgerecht nur durch ein gut funktionierendes Qualitätsmanagementsystem umgesetzt werden.

6. Qualitätsmanagement – Teilhabeförderung: Die Förderung der Teilhabe von chronisch kranken Kindern ist eine vielschichtige Aufgabe mit einer Vielzahl von Beteiligten, die ohne gut durchdachte und transparente Arbeitsorganisation nicht erfolgreich bewältigt werden kann. Eine solche Arbeitsorganisation zu schaffen und aufrechtzuerhalten, wird durch ein normgerechtes Qualitätsmanagement, dessen Augenmerk systematisch auf allen wesentlichen Themen und Zusammenhänge liegt, sehr erleichtert. Umgekehrt ist ein Qualitätsmanagement im Sozial- und Gesundheitswesen ohne Fokussierung auf die Teilhabeförderung der Menschen als zentraler Zwecksetzung der Kundenorientierung nicht denkbar.

„Wir haben das in geringen Ansätzen schon immer gemacht. Aber nicht in dem Umfang und nicht mit der Klarheit und auch nicht mit den angeglichenen Worten. Es hat jeder bisschen vor sich hingekruschtelt, so wie ich vorhin gesagt habe, seine eigene Suppe. Aber es ist standardisiert jetzt und jeder weiß dann vom anderen, wovon er spricht. Sozialpädiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie benutzen ja häufig die gleichen Wörter, aber jeder meint etwas anderes. Und das in diesem Bereich ICF, haben wir zu über 90 Prozent das Gefühl, wenn der eine von dem erzählt, dann versteht der andere das auch.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

7. Qualitätsmanagement – motivierende Gesprächsführung: Ein normgerechtes Qualitätsmanagementsystem erfordert auch die Festlegung der für die erfolgreiche Leistungserbringung notwendigen Kompetenzen der Mitarbeiter:innen. Hierzu gehört unabdingbar die Fähigkeit, auch schwierige kommunikative Situationen gut zu bewältigen, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Sich gut verständlich zu machen und die Aussagen, Gedanken und Gefühle des Gegenübers angemessen zu erfassen, ist in Verbindung mit adressatengerechter Sprache ein Schlüsselfaktor für wirksame Leistungen im Sozial- und Gesundheitswesen.

Umgekehrt entfaltet die motivierende Gesprächsführung ihre Wirkung in einer klar und transparent strukturierten Arbeitsorganisation.

|28|8. Berufsethik – Teilhabeförderung: siehe oben unter Punkt 3.

9. Berufsethik – motivierende Gesprächsführung: Die grundlegenden Haltungen in berufsethischen Leitlinien zu Selbstachtung, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung erfordern eine dazu passende Kommunikation der Fachkräfte mit den Patient:innen und Klient:innen.

Motivierende Gesprächsführung ist ein Konzept, das durch seine Prinzipien einer partnerschaftlichen, nicht bevormundenden Zusammenarbeit, eine akzeptierende Grundhaltung fördert, die am Leben und Erleben der Patient:innen und Klient:innen teilnimmt und bei diesen die Motivation zu Änderungen wachruft und stärkt. Motivierende Gesprächsführung ist dadurch in besonderer Weise geeignet, berufsethische Grundsätze in Alltagshandeln umzusetzen.

10. Motivierende Gesprächsführung – Teilhabeförderung: Motivierende Gesprächsführung ist als Konzept und Methode auf die Bewältigung komplexer und auch durch Ambivalenzen belastete Gesprächssituationen ausgerichtet, wie sie im Sozial- und Gesundheitswesen alltäglich erfahren werden. Damit gehört die Motivierende Gesprächsführung zu den Schlüsselqualifikationen in der Teilhabeförderung.

„Wie gesagt, ich denke, wichtig ist, selber dieses System oder auch diesen Grundsatz der Teilhabe zu haben und auch die verschiedenen Bereiche, um die einfach genauer abzufragen und auch dieses Bild zu haben, wie hängt alles zusammen. Und ich glaube, dadurch erklärt man Sachen anders oder geht auch anders auf die Patienten zu und sagt, das und das brauchen wir jetzt noch viel mehr als das andere, wir müssen doch da und da jetzt erst –. Also wir müssen zum Beispiel jetzt erst im Kindergarten zusehen, dass er nicht sprechen kann, aber dass er kommunizieren kann, dass er jetzt auf das Klo muss oder so. Wie machen wir das? Wie kann er sich da mitteilen? Wie kriegen wir das mit allen zusammen hin? So. Und dann verstehen die –, also haben die ja nicht unbedingt dieses Modell von dem ICF vorliegen, was auch viel zu kompliziert wäre für die in dem Moment, aber sie haben verstanden, ah, ich muss irgendwie hinkriegen, dass mein Kind auch sagen, also zeigen kann, dass es irgendwo hin muss. Das ist das ja eigentlich auch. Und ich denke, das ist, wie gesagt, durch diese Schulung einfach nochmal sehr viel bewusster geworden, sehr viel klarer geworden, sehr viel geordneter geworden und somit auch besser anpassungsfähig für die speziellen Leute, die wir dann immer wieder haben.“ (PART-CHILD-Studie, Interviews)

Da aus unserer Sicht ein normgerechtes Qualitätsmanagement nach DIN 9001:2015 das umfassendste Grundlagenkonzept für die ICF-Praxis darstellt, steht es am Beginn der nachfolgenden Ausführungen, gefolgt von den Konzepten der berufsethischen Leitlinien, der Teilhabe, der ICF und der Motivierenden Gesprächsführung.

Zusammenfassung

Fassen wir bezüglich des Nutzens einer teilhabeorientierten Versorgung mit ICF aus unseren Schulung- und Anwendungserfahrungen zusammen, so kommen wir zu folgender Essenz:

Zufriedene Kinder und Eltern, weil sie einen Nutzen und Sinn der Maßnahmen für ihr Zurechtkommen im Alltag erkennen und erleben.

Entlastung von Familien, weil anliegenfokusiert familiäre und systemische Ressourcen geschont werden.

Reduktion auf das Praktikable, Notwendige und Passende im Alltag, was die Versorgung einfacher und schneller macht. Dazu ein Zitat von Kristin Blawert (ICF-Referentin): „Es wird basaler, aber nicht banaler.“

Für alle Beteiligte ein transparenteres und nachvollziehbareres Vorgehen, was die interdisziplinäre Zusammenarbeit nachhaltig fördert.

|29|2.2  Qualitätsmanagement

2.2.1  Einleitung

Wir beziehen uns systematisch auf die Anforderungen eines modernen Qualitätsmanagementsystems (QM-Systems), weil das Wissen um solche Anforderungen für eine gute Berufspraxis unerlässlich ist. Mit unserem Buch liegen Ihnen damit auch schon wesentliche Teile eines Qualitätshandbuchs zur Anwendung der ICF vor, die Sie als konkrete Anregungen und Muster für Ihre qualitätsgestützte Arbeit nutzen können.

Wir wissen, dass zum Thema Qualitätsmanagement (QM) sehr unterschiedliche Wissensstände und auch sehr kontroverse Auffassungen existieren. Deshalb werden wir an dieser Stelle zu Ihrer Orientierung aufzeigen, welche Themen des Qualitätsmanagements aus unserer Sicht relevant sind und wir werden wesentliche Aspekte eines solchen Qualitätsmanagementsystems benennen.

2.2.2  Alltagsroutinen und Qualitätssicherung

Jeder folgt in seiner Arbeit Strukturen und Routinen, die er gut beherrscht, die sich für ihn bewährt haben und die die Qualität seiner Leistungen sichern. Diese Routinen des Handelns sind im Alltag so selbstverständlich, dass die diesen Routinen zugrundeliegenden Leitideen, Strategien, Ziele, Aufgaben und Maßnahmen meist nicht explizit benannt werden. Sie sind erst einmal einfach und selbstverständlich da. Dies betrifft auch den in der jeweiligen Praxis bewährten Umgang mit der Situation und den Anliegen chronisch kranker Kinder und ihrer Familien.

Diese Routinen kommen auf den Prüfstand, wenn – aufgrund welcher inneren oder äußeren Gründe und Herausforderungen auch immer – darüber nachgedacht wird oder werden muss, ob sie tatsächlich den Anforderungen einer guten Qualität der Leistungen genügen. Bei einer solchen Prüfung stellt sich zugleich auch die Frage, auf welcher fachlicher Grundlage eine Qualitätsprüfung durchgeführt werden kann und soll und welche Konzepte und Standards dafür einschlägig sind.

2.2.3  ICF zur Qualitätssicherung

Für die Teilhabeförderung bietet die ICF als anerkannter Klassifikationsstandard zur Erfassung der gesundheitlichen Situation eines Menschen den passenden Bezugsrahmen, um die bestehenden Routinen der Diagnostik, der Hilfeplanung etc. daraufhin zu prüfen, inwiefern sie tatsächlich einer angemessenen Erfassung der gesundheitlichen und sozialen Situation der Kinder als zentraler Grundlage einer guten Teilhabeförderung genügen.

So verstanden ist die ICF selbst ein zentrales Instrument der Qualitätssicherung für die Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung, das wissenschaftlich fundiert ist und in seiner inneren Logik den Ansprüchen eines modernen Qualitätsmanagements entspricht.

Uns ist diese Einordnung der ICF in das Qualitätsmanagement der Arbeit wichtig, weil über das grundsätzliche Verständnis, wofür Qualitätssicherung gut ist und wie sie funktioniert, die innere Logik der ICF und ihre Einbettung in die Qualitätssicherung der Alltagsarbeit besser verstanden und damit der Umgang mit ihr erleichtert werden kann. Als integraler Bestandteil der Qualitätssicherung ist die ICF dann nicht mehr etwas komplett Neues, Fremdes und Zusätzliches, da sie als Hilfsmittel die Informationen systematisiert, die für gute Arbeitsergebnisse benötigt werden.

2.2.4  Standards für QM-Systeme

So wie die ICF als internationale Klassifikation und Standard eine gute Navigationshilfe ist, um sich in den komplexen Lebensverhältnissen chronisch kranker Kinder und ihrer Familien zu |30|orientieren, so sind die internationalen Standards der DIN ISO EN 9001:2015 für das Qualitätsmanagement eine gute Orientierungshilfe für eine erfolgreiche Organisation von Arbeit und die Entwicklung von Organisationen. [2, 3]

Auch die Navigationshilfe in diesem Buch orientiert sich an den Anforderungen des Qualitätsmanagements.

2.2.5  QM – muss das wirklich sein?

Wir wissen, dass das Thema Qualitätsmanagement oftmals Widerstände hervorruft. Anforderungen des Qualitätsmanagements erscheinen häufig als äußerliche und bürokratische Auflagen für die alltägliche Arbeit, die von fachfremden Überlegungen durchdrungen sind, weil sie von Akteuren, die der praktischen Arbeit fernstehen, entwickelt wurden. Diese Bürokratie geht mit vermehrten Dokumentationspflichten einher, deren Sinnhaftigkeit sich für die eigene Arbeit nicht erschließt, und durch die die sowieso schon knappen zeitlichen Ressourcen für die eigentliche inhaltliche Arbeit noch zusätzlich geschmälert werden. Auf solchen Erfahrungen basierende Widerstände sind gut nachvollziehbar, da Qualitätsmanagementsysteme nicht selten praxisfern und unnötig arbeitsbelastend organisiert werden.

Mit einer solchen bürokratiegetriebenen Praxis wird allerdings ein gutes Qualitätsmanagement klar verfehlt. Genauso hemmen die häufig anzutreffenden umfänglichen und bürokratielastigen ICF-Checklisten, die vergleichbar einem Steuererklärungsformular durchzuarbeiten sind, eine kreative Anwendung der ICF, ohne die eine gute Teilhabeförderung nicht möglich ist.

In einem Qualitätsmanagement, das systematisch die Frage stellt, woran eigentlich zu erkennen ist, dass in allen Belangen verantwortlich gehandelt wird, steckt sehr viel produktive Energie. Es fordert damit alle Beteiligten zur Stellungnahme heraus. Das ist aufgrund der damit verbundenen Spannungsfelder oder auch Konflikte oftmals nicht einfach. Die dabei gewonnen Erkenntnisse sind jedenfalls wertvoll und tragen zur Nachdenklichkeit bei. Und diese ist der erste produktive Schritt, Verbesserungsmöglichkeiten denken zu können.

In Tabelle 2-1 wurden den einzelnen Normabschnitten der DIN ISO EN 9001:2015 als Bezüge zum Anwendungsteil des Buches die entsprechenden Kapitel zugeordnet.

|31|Tabelle 2-1:  Übersicht über die Dimensionen des Qualitätsmanagements aus unserer Sicht.

Normabschnitte

Anwendungsbeispiele im Buch

1 Kontext der Organisation

Verstehen der Organisation und ihres Kontextes

Verstehen der Erfordernisse und Erwartungen interessierter Parteien

Festlegen des Anwendungsbereichs des Qualitätsmanagementsystems

Qualitätsmanagement und seine Prozesse

Verstehen der Kontextfaktoren bzw. Handlungsbedingungen eines Kindes (Anwendung Schritt 4: ICF-Profil erstellen und Ressourcen ermitteln, Kap. 4.3)

Verstehen des Teilhabebedarfs und der Teilhabepräferenzen (Voraussetzung Schritt 2: Teilhabebedarfsermittlung verstehen, Kap. 3.2, & Anwendung Schritt 3: Teilhabebedarf/Aktivitätskompetenzen erfassen, Kap. 4.2)

Festlegen, für welche Alltagsthemen eine Teilhabebedarfsbestimmung nach ICF vorgenommen werden soll (Anwendung Schritt 1+2: Themen/Anliegen klären und Alltagssituation nach ICF beschreiben, Kap. 4.1)

Prozessübersicht (Voraussetzung Schritt 4: Das ICF-Konzept verstehen, Kap. 3.4, & Anwendungspraxis: Was es zu können und zu tun gilt, Kap. 4)

2 Führung

Führung und Verpflichtung (Allgemeines und Kundenorientierung)

(Qualitäts-)Politik

Rollen, Verantwortlichkeiten und Befugnisse in der Organisation

Voraussetzung Schritt 1: Teilhabeorientierung, Rollen- und Perspektivwechsel nachvollziehen, Kap. 3.1

Voraussetzung Schritt 3: Interdisziplinarität gestalten, Kap. 3.3

3 Planung

Maßnahmen zum Umgang mit Risiken und Chancen

Qualitätsziele und Planung zu deren Erreichung

Planung von Änderungen

Verstehen der Kontextfaktoren bzw. Handlungsbedingungen eines Kindes (Anwendung Schritt 3: Teilhabebedarf/Aktivitätskompetenzen, Kap. 4.2, & Anwendung Schritt 4: ICF-Profil erstellen und Ressourcen ermitteln, Kap. 4.3)

Teilhabeziele formulieren (Anwendung Schritt 5, Kap. 4.4)

Maßnahmen verabreden (Anwendung Schritt 6, Kap. 4.5)

4 Unterstützung

Ressourcen: Allgemeines, Personen, Infrastruktur, Prozessumgebung, Ressourcen zur Überwachung und Messung, Wissen der Organisation

Kompetenz der Mitarbeiter

(Qualitäts-)Bewusstsein der Mitarbeiter

Kommunikation

Dokumentierte Information

Anwendung Schritt 6-8: Maßnahmen verabreden, Handlungsplan erstellen und Umsetzung begleiten, Kap. 4.5

Voraussetzung Schritt 1: Teilhabeorientierung, Rollen- und Perspektivwechsel nachvollziehen, Kap. 3.1

Voraussetzung Schritt 3: Interdisziplinarität gestalten, Kap. 3.3

Gesprächsführungskonzept MI (Buchteil III) und diese in den jeweiligen Anwendungskapiteln

ICF-Codes anwenden und dokumentieren, Kap. 5

|32|5 Betrieb/Behandlung

Betriebliche Planung und Steuerung

Anforderungen an Dienstleistungen:

Kommunikation mit den Kund:innen/Patient:innen

Bestimmen, Überprüfen und Änderung von Anforderungen an Dienstleistungen

Entwicklung von Dienstleistungen

Steuerung von extern bereit gestellten Prozessen, Produkten und Dienstleistungen

Dienstleistungserbringung

Freigabe von Produkten und Dienstleistungen

Steuerung nichtkonformer Ergebnisse von Dienstleistungen

Im Kontext von Netzwerken planen, Kap. 4.4.6

6 Bewertung der Leistung

Dies erfolgt durch das erneute Durchlaufen des Anwendungsprozesses (oder von Teilen davon) mit dem erneuten Erfragen von Themen und Anliegen, was das Kind jetzt im Alltag macht, welche Faktoren eine Rolle spielen (erneutes ICF-Profil) welche Teilhabeziele erreicht wurden, welche Teilhabepräferenzen es jetzt gibt, welche Teilhabeziele weiter verfolgt werden sollen, welche neuen Ziele es gibt und bei der Planung von Maßnahmen darüber zu sprechen, was hat welchen Effekt gehabt, was wäre fortzusetzen, was anzupassen und was neu zu veranlassen. Dieser Evaluationsprozess könnte vorzugsweise im Rahmen von Runden Tischgesprächen mit allen Beteiligten nach ICF erfolgen.

Überwachung, Messung, Analyse und Bewertung

Interne Audits

Managementbewertung

7 Verbesserung

Allgemeines

Nichtkonformität und Korrekturmaßnahmen

Fortlaufende Verbesserung

2.2.6  Verantwortung und QM

Zentrales Ziel des Qualitätsmanagements im Sozial- und Gesundheitswesen ist eine qualitativ hochwertige Leistungserbringung, die den Nutzer:innen nützt und sie zufriedenstellt. Die Anforderungen, die sich aus dieser Zielsetzung für die Arbeit ergeben, müssen von den Aufsichtsorganen über die Geschäftsführungen und Leitungskräfte bis zu den Fachkräften in den einzelnen Arbeitsbereichen verlässlich erfüllt werden. In großen und stark gegliederten Organisationen sind die zuvor genannten beruflichen Rollen auf verschiedene Personen verteilt. In kleinen Organisationen werden diese Rollen unter Umständen von nur ein bis zwei Personen wahrgenommen, die zugleich für die Organisation der Rahmenbedingungen und Ressourcen wie auch für die praktische Durchführung der Leistungen verantwortlich sind. Unabhängig von der Größe der Organisation, sei es eine Behörde, eine Schule, ein SPZ, eine Frühförderstelle oder eine therapeutische Praxis, bleiben die qualitätsbezogenen Grundaufgaben gleich. In der weiteren Darstellung beziehen wir uns auf stärker gegliederte Organisationen, da uns das durchgängige Verantwortungsprinzip wichtig ist und wir oftmals die Erfahrung machen, dass diese nicht teilbare Verantwortung nicht durchgängig wahrgenommen wird. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Geschäftsführung einer größeren Organisation die Einführung der ICF nicht auch als ihre Aufgabe und Verantwortung wahrnimmt und das Thema ohne klaren und durchdachten Auftrag an die Fachabteilungen verweist und diese gleichzeitig nicht mit den dafür notwendigen Entscheidungsbefugnissen und Ressourcen ausstattet.

Mit diesem Ziel und den damit verbundenen Aufgaben, verlässlich gute Leistungen im Alltag für die Nutzer:innen zu erbringen, ist die Sicherstellung eines funktionierenden Qualitätsmanagements eine der wichtigsten strategischen Aufgaben der für den Betrieb einer Einrichtung verantwortlichen Personen. Diese Verantwortung betrifft nicht nur die unmittelbar für die einzelnen Bereiche verantwortlichen Fachkräfte, sondern in besonderer Weise die Verantwortlichen der Organisation wie z. B. Gesellschafter, Aufsichtsrat und Geschäftsführung. Alle für die Organisation Verantwortlichen müssen durch ein gut funktionierendes Qualitätsmanagementsystem ein zutreffendes Bild der Verhältnisse vor Ort haben. Dieser Überblick über die Zustände in ihrem Verantwortungsbereich ist unerlässlich, damit sie ein realistisches Bild der Leistungen der Einrichtungen sowie gute Kenntnisse darüber haben, ob Verbesserungen erforderlich sind und wie diese notwendigen Verbesserungen umgesetzt werden. Nur so können sie Ver|33|antwortung in ihrem Zuständigkeitsbereich übernehmen.

Die Verantwortlichen können ihrer Aufgabe im Sinne des Qualitätsmanagements nur dann wirkungsvoll gerecht werden, wenn sie für die Leistungssicherung und Leistungsentwicklung angemessene Ressourcen bereitstellen und die dafür notwendigen Planungen systematisch unter Einbeziehung der Mitarbeiter:innen organisieren. Hierfür müssen alle Verantwortlichen vom Aufsichtsrat über die Geschäftsführung und die Leitungskräfte in den Abteilungen die erforderlichen strategischen und operativen Entscheidungen treffen. Sie müssen sich als erste selbst auf die Grundsätze des Qualitätsmanagements verpflichten und das Qualitätsmanagement aktiv unterstützen, mit Informationen bedienen und für Entscheidungsfindungen etc. benutzen. Die Ziele der Einrichtung und der Mitarbeiter:innen müssen für alle transparent und verständlich sein und in enger Wechselwirkung mit dem Leitbild, der Strategie und den Konzepten der gesamten Einrichtung stehen. Nur so können alle verantwortlich handeln (Abbildung 2-2).

Abbildung 2-2:  Zusammenwirken von Leitbild, Strategie, Konzepte und Ziele auf den verschiedenen Ebenen.

Die Einführung und die Aufrechterhaltung eines Qualitätsmanagementsystems liegen in der Verantwortung der obersten Leitung der Organisation. Sie sind aber auch eine Anstrengung für die gesamte Organisation über alle Abteilungs- und Hierarchiegrenzen hinweg und betreffen damit alle Mitarbeiter:innen.

Diese Zusammenarbeit gelingt nur in einem Klima, das von Vertrauen und Wertschätzung geprägt ist. Nur dann können die Mitarbeiter:innen ihr Wissen und ihre Informationen ohne Einschränkung zur Verfügung stellen. Und nur mit diesem Expertenwissen und diesen Fachinformationen können wichtige inhaltliche Grundlagen geschaffen werden.

Qualitätsentwicklung erfolgt immer im prozessorientierten Arbeiten. Prozessorientierung bedeutet, dass die Einrichtung ihre für die Patient:innen zentralen und relevanten Prozesse benennt und diese in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellt. Alle anderen Prozesse, wie z. B. die Führungsprozesse, sind daran auszurichten.

Diese Prozesse zu planen und zu organisieren, erfordert ein ständiges, reflektiertes und systematisches Arbeiten. Für ein solches Arbeiten steht der PDCA-Zyklus als Herzstück aller Qualitätsmanagementsysteme (Abbildung 2-3):

Plan: umsichtig planen.

Do: das Geplante sorgfältig im Betrieb umsetzen.

Check: die Ergebnisse der Umsetzung kritisch auswerten und Verbesserungsmöglichkeiten erkennen.

Adjust: Verbesserungen in Angriff nehmen.

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Abbildung 2-3:  PDCA-Zyklus des Qualitätsmanagements.

Die Sicherung von Leistung bedarf der sorgfältigen Planung; die Umsetzung muss auf der Basis dieser Planung erfolgen, da sonst diese Planung überflüssig wäre. Nach erfolgter Umsetzung muss ein Abgleich von Planung und Ergebnissen erfolgen um zu prüfen, ob die angestrebten Ziele auch tatsächlich erreicht wurden. Die festgestellten Abweichungen müssen erfasst und bewertet werden, damit sie für die nächste Planungsphase genutzt werden können. Damit beginnt dieser Zyklus von vorne mit derselben Logik des Planens, Handelns, Auswertens und Verbesserns.

Diese Grundlagen des Qualitätsmanagements hören sich einfach an, sie sind aber nur dann auch in ihrer Einfachheit wirksam, wenn sie konsequent und systematisch auf lange Frist gehandhabt werden. Organisationen, die heute einen guten Ruf haben, weil sie nachprüfbar gute Leistungen erbringen, haben hierbei jahrzehntelange Erfahrungen gesammelt. Häufig waren es zentrale Leitungskräfte und Verantwortliche, die sich in diesem Sinne für eine nutzergerechte qualitätsgesicherte Leistung auf den Weg gemacht haben und persönlich immer Sorge getragen haben, dass dieser Weg in ihren Verantwortungsbereichen stetig beschritten wurde. Eine wichtige Voraussetzung für den unerlässlichen Einsatz solcher engagierten Kräfte ist, dass sie wissen, dass sich ihr Einsatz auch deswegen lohnt, weil er wertgeschätzt wird und erwünscht ist.

2.2.7  Qualitätsmerkmale

In Qualitätsmerkmalen führen wir aus, welche einzelnen Merkmale für die Qualität der Leistungen relevant sind. Sie sind als Ankerpunkte hilfreich, um zum einen zu diskutieren, welche Qualitäten in der Teilhabeförderung eigentlich wichtig sind, und um zum anderen auch eine Standortbestimmung vornehmen zu können, wie die Qualität der eigenen Leistungen gemessen an diesen Merkmalen einzuschätzen ist.

In der folgenden Übersicht nennen und erläutern wir die Qualitätsmerkmale, die uns als Anregungen für die Diskussion, welche Qualität angestrebt wird wie auch für die Einschätzung der eigenen Leistungen relevant erscheinen. Uns ist bewusst, dass wir mit einem solchen Vorschlag durchaus Neuland betreten. Deshalb ist uns wichtig, dass Sie die nachfolgenden Ausführungen als Anregung wahrnehmen und nicht als festgefügtes System. Wir gehen auch nicht davon aus, dass es irgendwann ein festgefügtes System von Qualitätsmerkmalen geben wird. Dafür ist die Entwicklung zu dynamisch und es würde dem Qualitätsverständnis widersprechen, wenn man bestimmte Elemente stark fixieren wollte. Wie gesagt, es geht um eine lebendige Diskussion, was wichtig ist und was verantwortet werden kann und muss.

Auch zeichnen sich diese Qualitätsmerkmale durch eine gewisse Abstraktheit aus. Wie aus solchen abstrakten Merkmalen dann konkrete Hinweise für die Arbeit entstehen, können Sie den einzelnen Prozessschritten entnehmen (Buchteil II). Dort werden jeweils einem gesonderten Abschnitt ausgeführt, welche Qualitätsmerkmale für diesen Prozessschritt relevant sind.

A. Übergreifende Qualitätsmerkmale

Für Klient:innen und Patient:innen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen – im Folgenden Kinder genannt.

1. Schutz der Kinder vor Über-/Unter-/Fehlversorgung: Über-/Unter-/Fehlversorgung sind im Gesundheitswesen verbreitet. Zu dieser dringenden Problematik wurde deshalb eine Leitlinie „Schutz vor Über- und Unterversorgung – gemeinsam entscheiden“ erarbeitet. Ori|35|entiert an dieser Leitlinie kann man prüfen, ob die eigenen Leistungen den Standards dieser Leitlinie entsprechen. [4]

2. Entlastung der Kinder und ihrer Angehörigen: Kinder mit chronischen Erkrankungen und ihre Familien sind aus vielerlei Gründen psychosozial belastet und in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe vielfach behindert. Leistungen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen müssen deshalb ihrer psychosozialen Entlastung dienen und helfen, Behinderungen abzubauen.

3. Wohlfühlen der Nutzer:innen: Die Gestaltung der Orte und Räume sowie der organisationskulturelle Umgang mit den Kindern und ihren Eltern hat zu deren Wohlbefinden beizutragen, damit diese sich angenommen und wertgeschätzt erleben können.

4. Barriere- und Diskriminierungsfreiheit: Einrichtungen des Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesens sind als Leistungserbringer den sozialstaatlichen Normen zur umfassenden Teilhabeförderung der von ihr betreuten Kinder verpflichtet. Darüber hinaus müssen sie auch den vielfältigen Normen zur Gleichbehandlung bzw. zur Verhinderung und Beseitigung von ungerechtfertigten Benachteiligungen der Kinder, der Mitarbeiter:innen sowie der Kooperationspartner:innen nachkommen. Deshalb müssen sie prüfen, ob ihre jeweiligen Werte und Ziele, Strukturen und Prozesse, Methoden und Prüfroutinen den Anforderungen an Teilhabeförderung, Barriere- und Diskriminierungsfreiheit genügen.

B. Merkmale der Leistungserbringung

5. Kinder- und kindzentriert:Kinder- und kindzentriert arbeiten heißt, partnerschaftlich mit den Kindern und ihren Eltern Probleme zu bearbeiten, Entscheidungen zu treffen und Handlungspläne zu erstellen. Häufig wird in diesem Zusammenhang von Personenzentrierung gesprochen. Da die Kinder und ihre Eltern ein soziales Gefüge bilden, reicht es nicht, sich nur auf die eine hilfebedürftige Person zu zentrieren und zu beschränken. Sie muss in diesem sozialen Zusammenhang verstanden werden und dieser muss in der gemeinsamen Arbeit immer mitbedacht werden.

6. Trialogisch: Die Vorstellungen der Kinder und ihrer Eltern haben in der von den Fachkräften organisierten Kommunikation zum Verstehen der Situation, zu möglichen Perspektiven und Entwicklungen sowie zu den Vereinbarungen der Maßnahmen der Teilhabeförderung ihren gleichberechtigten Platz.

7. Wertschätzend, offen, authentisch: Die Leistungen in der Teilhabeförderung werden immer von Personen als Dienstleistung erbracht. Ihre persönliche Art zu kommunizieren hat einen großen Einfluss auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Kindern und ihren Familien. Diese müssen wissen und spüren, woran sie sind. Dazu gehört auch eine an die Kinder und Eltern angepasste Sprache der Fachkräfte, die von ihrem Gegenüber tatsächlich verstanden wird.

8. Kompetenzen der Kinder anerkennend: Expert:innen eines Faches fällt es häufig schwer anzuerkennen, dass ihr Gegenüber auch bei unter Umständen nur eingeschränkten sprachlichen und mentalen Fähigkeiten über wichtige Kompetenzen zur Lebensbewältigung verfügt. Diese Kompetenzen dürfen nicht durch eine schematische Defizitwahrnehmung übersehen oder geringgeschätzt werden.

9. Auf Teilhabe ausgerichtet: In der fachlichen Arbeit bedeutet die Ausrichtung auf Teilhabe das (selbst-) kritische Prüfen, was die angedachten, geplanten und vereinbarten Maßnahmen und Leistungen für die Teilhabe der Kinder konkret beitragen können und sollen. Alles, was erkennbar dieser Ausrichtung entgegensteht, sollte unterlassen werden.

|36|10. Auf Heilung/Linderung/Vermeidung von Verschlimmerung ausgerichtet: Im Alltag und in der Teilhabeplanung