Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
So lange sie sich erinnern konnte, hatte Jessica Hedley den Merlyncourt Besitz geliebt – ebenso wie den jungen Marquis von Merlyn. Er war der begehrteste Junggeselle im Umkreis des Prinzregenten und sollte nun plötzlich ihr Ehemann werden. Aber Jessica wusste, daβ er keine Geduld für ein unschuldiges Mädchen haben würde. Er würde bald gelangweilt von ihr sein und sie würde ihn verlieren. Jessica musste sich ändern. Sie war entschlossen, eine Frau zu werden – eine lebenserfahrene Frau von Welt. Sie konnte nicht wissen, daβ eine solche Verwandlung sie und den Marquis in groβe Gefahr bringen würde.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 195
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2017
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
„Bleiben Sie noch ein wenig!“
Die Frauenstimme klang weich und lockend.
Aber der Marquis löste sich aus den Armen, die ihn umschlangen, und erhob sich vom Bett. Er machte einen großen Schritt, um nicht auf ein durchsichtiges seidenes Negligé zu treten, das auf dem Teppich lag, hob sein weißes Halstuch auf und ging zum Frisiertisch hinüber. Vor dem Spiegel band er es sich mit einer Kunstfertigkeit um den Hals, um die ihn seine Freunde beneidet hätten.
Lady Cora Standish, die ihn dabei beobachtete, machte keine Anstalten, ihre Nacktheit zu verhüllen. Man hatte ihr unzählige Male versichert und sie war sich dessen auch bewußt, daß ihr Körper den Gipfel der Vollkommenheit darstellte. Wie sie da in den spitzenbedeckten Seidenkissen lag, nur mit zwei Reihen großer schwarzer Perlen bekleidet, bot sie einen atemberaubenden Anblick.
Blondes Haar, blaue Augen und eine makellos weiße Haut waren die Attribute weiblicher Schönheit, die von den Dandys in den Clubs um St. James gepriesen wurden, und Cora Standish stellte in dieser Hinsicht alle Rivalinnen in den Schatten.
In diesem Augenblick drehten sich ihre Gedanken ausnahmsweise nicht um ihre eigene Person, sondern um den Marquis von Merlyn, der mit dem Rücken zu ihr vor dem Frisierspiegel stand. Von ihrem Bett aus hatte sie Gelegenheit, seine breiten Schultern, die schlanke Taille und die schmalen Hüften zu bewundern. Trotz seines athletischen Körperbaus umgab ihn eine so starke Aura von Lässigkeit, daß seine Bekannten sich oft fragten, wie es kam, daß er gleichzeitig so sportlich wirkte.
Cora Standish mußte sich eingestehen, daß der Marquis auf Frauen eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübte. Seine halbgeschlossenen Lider, sein schleppender Tonfall und vor allem seine spöttische Stimme, bei der man nie recht wußte, ob er etwas ernst meinte oder nur scherzte, nahmen die Damenwelt gefangen. Noch mehr aber war es seine Gleichgültigkeit und Überlegenheit, die viele Frauen magisch anzog.
Der Marquis ordnete gerade sein Haar zu der Windstoßfrisur, die der Prinz von Wales in Mode gebracht hatte, als Lady Cora fragte: „Wann werde ich Sie wiedersehen?“
„Vermutlich heute abend im Carlton House“, erwiderte er. „Dort dürfte es wie üblich unerträglich heiß und viel zu voll sein. Warum der Prinz durch eine derartige, in Kriegszeiten absolut unangebrachte Geselligkeit die öffentliche Kritik auf sich ziehen will, ist mir unerfindlich.“
„Seine Königliche Hoheit langweilt der Krieg“, sagte Lady Cora schmollend. „Mir geht es nicht anders.“
„Das will ich Ihnen gern glauben“, entgegnete der Marquis. „Trotzdem sollten Sie nicht vergessen, daß unser Land in einen unerbittlichen Kampf um seine Freiheit verwickelt ist und es noch viele Jahre dauern dürfte, bis wir uns wieder der Segnungen des Friedens erfreuen können.“
Obwohl sie am Ernst seiner Worte nicht zweifelte, hob Lady Cora verdrießlich die Schultern. Vor einem Jahr war der Waffenstillstand mit Napoleon zu Ende gegangen. England hatte dem Tyrannen den Krieg erklärt, und die Männer, die ihr bis dahin zu Füßen gelegen hatten, fanden es jetzt wichtiger, ihrem Vaterland zu dienen.
„Jedenfalls haben wir Napoleon gezeigt, daß wir es ernst meinen“, erklärte der Marquis. „Im Übrigen ist es durchaus möglich, daß wir noch alle zu den Waffen gerufen werden, wenn uns nicht irgendwelche Idioten davon abhalten.“
Seine Stimme klang verächtlich. Lady Cora wußte, daß er darum gebeten hatte, zu seinem Regiment zurückkehren zu dürfen, das er nach dem Tod seines Vaters und der Unterzeichnung des Waffenstillstandes verlassen hatte, und daß ihm der Prinz von Wales diesen Wunsch abgeschlagen hatte. Sie dachte, daß er seinem Land im Krieg auch auf andere Weise nützlich sein konnte, und fragte sich, warum ein Mann mit unermeßlichen Reichtümern und so vielseitigen Interessen sich ausgerechnet zur Armee drängte.
Er stand am Fußende des Bettes und betrachtete voller Bewunderung die verführerische Frau.
„Kommen Sie und küssen Sie mich“, flüsterte sie.
Kopfschüttelnd ergriff er seinen Rock, der über einem Brokatsessel lag, und schlüpfte hinein. In dem hervorragend geschnittenen, faltenlos sitzenden Kleidungsstück wirkte er so aufregend attraktiv, daß Lady Cora sich nicht länger beherrschen konnte.
Mit leidenschaftlicher Stimme wiederholte sie: „Ich möchte, daß Sie mich küssen, Alexis.“
„In dieser Falle habe ich mich schon öfter gefangen“, erwiderte der Marquis mit amüsiertem Lächeln.
Er wußte aus Erfahrung, wie gefährlich es für einen Mann war, sich zu einer Frau hinunterzubeugen, die auf einem Bett lag, wie leicht sie ihn zu sich herabziehen konnte und wie schwer es dann sein würde, wieder freizukommen.
„Leben Sie wohl, Cora“, sagte er.
Sie stieß einen leisen Schrei der Enttäuschung aus.
„Warum wollen Sie mich schon verlassen?“ fragte sie. „George wird den ganzen Abend bei Watiers verbringen. Als wir uns beim Lunch sahen, zuckten seine Hände förmlich vor Gier nach einem Kartenspiel.“
Schmeichelnd fuhr sie fort. „Ich möchte, daß Sie bleiben.“
„Sie wirken sehr überzeugend“, sagte der Marquis, „aber leider habe ich eine unaufschiebbare Verabredung.“
Lady Cora richtete sich auf.
„Mit wem? Wenn es sich um eine andere Frau handelt, kratze ich ihr die Augen aus.“
„Kein Grund zur Eifersucht“, sagte der Marquis lässig. „Ich treffe mich mit meiner Schwester.“
„Und was wünscht Caroline von Ihnen, das keinen Aufschub duldet?“ fragte Cora wütend.
„Das will ich ja gerade herausfinden. Und deshalb muß ich mich jetzt verabschieden, Cora. Vielen Dank für Ihre Liebenswürdigkeit.“
Als er zur Tür schritt, sprang Lady Cora auf und lief hinter ihm her. Als sie ihn eingeholt hatte, zog sie seinen Kopf zu sich herunter.
„Ich liebe Sie, Alexis“, sagte sie. „Ich liebe Sie. Und dabei habe ich immer das Gefühl, daß Sie sich mir entziehen wollen. Fühlen Sie denn gar kein bißchen Zärtlichkeit für mich?“
„Ich habe Ihnen oft genug versichert, daß Sie die schönste Frau sind, die ich kenne“, erwiderte er.
Das war nicht die erhoffte Antwort. Da sie jedoch nur zu gut wußte, daß sie ihn nicht zu einer Liebeserklärung zwingen konnte, gab sie sich damit zufrieden. Ihre Lippen, hungrig nach seinen Küssen, öffneten sich. Ihre Augen waren halb geschlossen; die langen dunklen Wimpern betonten die Blässe ihrer Wangen.
„Küssen Sie mich“, bat sie noch einmal und schmiegte sich an ihn.
Der Marquis küßte sie ohne Leidenschaft. Als sie sich immer enger an ihn drängte, hob er sie hoch und trug sie zum Bett zurück.
Dort bettete er sie in die Kissen und sagte mit einem Anflug von Lachen in der Stimme: „Versuchen Sie sich mit einiger Schicklichkeit zu benehmen, Cora. Wenn ich Sie morgen nicht besuchen kann, werde ich mich bemühen, Donnerstag zu kommen, es sei denn, George ist zu Hause.“
„So lange kann ich ohne Sie nicht sein“, rief Lady Cora mit flehender Stimme.
Immer noch leise lachend verließ der Marquis das Zimmer. Als die Tür hinter ihm zugefallen war, ließ sich Lady Cora ärgerlich in die Kissen zurückfallen. Sie wäre sehr überrascht gewesen, wenn sie gewußt hätte, daß sich der Marquis auf der Fahrt von ihrem Haus am Berkeley Square zum Merlyn House in der Park Lane in Gedanken mit ihr beschäftigte.
Er fand sie amüsant, und es schmeichelte ihm, daß sie seinetwegen ihre anderen Liebhaber aufgegeben hatte. Cora Standish hatte ihren Mann bereits kurz nach der Hochzeit betrogen. Nach Verlassen der Schule hatte sie einen gutmütigen und reichen Peer geheiratet, der bald bemerkt hatte, daß ihn das Kartenspiel mehr aufregte als die Launen seiner Frau.
Mit fünfundzwanzig Jahren war Cora Standish zu einer atemberaubenden Schönheit erblüht, und ein unstillbarer Hang nach Liebe erfüllte sie. Sie hatte unzählige Skandale verursacht, bis ihr klar wurde, daß sie klüger daran tat, ihre Liebhaber nicht zu offen zu präsentieren. In der Gesellschaft, in der sie glänzen wollte, war es von Nachteil, von den Frauen geschnitten zu werden.
Diese neue Einstellung, in der Öffentlichkeit den Schein zu wahren, hatte es ihr ermöglicht, den Marquis einzufangen, auf den sie schon seit langem ein Auge geworfen hatte.
Seitdem er die Armee verlassen hatte, genoß der Marquis das Leben in der eleganten Welt, die ihn mit offenen Armen aufgenommen hatte. Daß man sich um ihn riß, war nicht erstaunlich. Er sah hervorragend aus, besaß einen stolzen Titel und ausgedehnte Ländereien.
Der verstorbene Marquis war ein Spieler gewesen. Er hatte die Clubs von St. James in Gesellschaft von James Fox und anderen leidenschaftlichen Spielern in solchem Maße frequentiert, daß die Familie zu fürchten begann, von dem gewaltigen Vermögen ihrer Ahnen würde bald nichts mehr übrigbleiben. Glücklicherweise hatte sein frühzeitiger Tod seinem Sohn den Titel eingetragen und einen Teil des Familienbesitzes gerettet.
Aber auch ohne einen Pfennig hätte sich der Marquis der Zuneigung schöner Frauen erfreut. Und er hätte ein Narr sein müssen, wenn er sich seiner Anziehungskraft nicht bewußt gewesen wäre.
Als er merkte, daß Lady Cora Standish sich für ihn interessierte, hatte er nachgegeben, einerseits weil er sie begehrte, andererseits weil er feststellen wollte, ob ihre so hoch gerühmten Qualitäten den Tatsachen entsprachen.
Sie war die leidenschaftlichste Frau, die ihm je begegnet war. Man sagte dem Marquis nach, daß er beinahe jede Frau zu höchster Leidenschaft zu entflammen vermochte. Doch Lady Cora übertraf ihn in dieser Hinsicht.
Er wußte, daß er sie nicht liebte, und daß selbst bei ihren leidenschaftlichen Begegnungen sein Herz niemals beteiligt war. Keine Frau hätte sich ihm bereitwilliger hingeben oder ihn stärker erregen können. Schon bei der leisesten Berührung erhob sich die Flamme des Begehrens und schlug über ihnen zusammen. Trotzdem beschloß er, als er seinen Wagen vor der Säulenvorhalle seines Hauses zum Stehen brachte, sie am nächsten Tag nicht aufzusuchen.
Beim Betreten der Marmorhalle stellte er befriedigt fest, daß die Van Dycks, die er zurückerworben hatte, nachdem sein Vater sie verkaufen mußte, im Licht der Abendsonne zauberhaft aussahen.
„Ist Mylady eingetroffen?“ fragte er den Butler.
„Ja, Mylord. Mylady befindet sich im Blauen Salon.“
Der Blaue Salon war ein eindrucksvoller Raum. Seine weißgoldenen Wände bildeten einen idealen Hintergrund für eine Sammlung von Gemälden französischer Meister. Dazwischen gab es einige leere Stellen. Der Marquis war immer schlechter Laune, wenn er sie bemerkte. Im Augenblick hatte er jedoch nur Augen für seine Schwester, die am Fenster stand und in den Garten hinausblickte.
„Alexis“, rief sie bei seinem Eintreten aus. „Ich dachte schon, du hättest mich vergessen.“
„Verzeih mir meine Verspätung, Caroline“, entschuldigte er sich. „Ich bin aufgehalten worden.“
„Den Grund dafür kann ich mir vorstellen“, stellte die Gräfin von Brora lächelnd fest.
Sie war fünf Jahre älter als er und eine elegante, gutaussehende Frau. In ihrem neuen Frühjahrshut und dem großen Muff konnte sie sich mit der Mehrzahl der eleganten Damen durchaus messen.
„Ich dachte gerade daran, daß in Merlyncourt jetzt die Stiefmütterchen blühen“, sagte sie, während sie auf einem kleinen Sofa Platz nahm. „Du weißt, wie zauberhaft sie im Frühjahr aussehen. Da es so warm für die Jahreszeit ist, werden sie rechts und links der Einfahrt wie ein riesiger, goldener Teppich wirken.“
Ihr Bruder sah sie zunächst mit belustigter Miene an.
Doch dann sagte er: „Ich habe das Gefühl, daß du mit mir über Merlyncourt sprechen willst.“
„Allerdings“, erwiderte sie überrascht. „Woher weißt du das?“
„Du bist leicht zu durchschauen, meine Liebe. Und ich hatte gehofft, du wolltest mich um meiner selbst besuchen.“
„Was ich zu sagen habe, betrifft weitgehend deine Person.“ Sie legte den Muff neben sich auf das Sofa und fuhr fort: „Weißt du eigentlich, was dort vor sich geht, Alexis?“
„In welcher Beziehung?“ erkundigte er sich.
„Ich meine, was Jeremy dort anstellt.“
„Jeremy?“ fragte er scharf. „Ich habe seine Schulden erst vor einem Monat bezahlt. Er kann doch unmöglich schon wieder alles ausgegeben haben. Wenn dem so sein sollte, kann er diesmal meinetwegen in den Schuldturm gehen.“
„Es handelt sich nicht um Geld“, sagte die Gräfin. „Jedenfalls nicht unmittelbar.“
„Sprich nicht länger in Rätseln, Caroline“, befahl ihr Bruder. „Komm zur Sache. Was hat Jeremy getan, das dich so beunruhigt?“
„Er prahlt überall herum, und ich vermute mit Recht, daß er die Absicht hat, Jessica Hedley zu heiraten.“
Einen Augenblick schien der Marquis nicht zu verstehen.
Dann fragte er: „Hedley? Meinst du ...“
„Ich meine“, wurde er von seiner Schwester unterbrochen, „das Mädchen, das mit ihrem Vater in Dower House lebt und dem nicht nur das Haus gehört, das seit Generationen in unserer Familie war, sondern auch noch 250 Hektar Land, die mitten in unserem Besitz liegen.“ Nachdem sie Atem geschöpft hatte, fuhr sie fort: „Weißt du eigentlich, Alexis, was das bedeutet? Jeremy wird sich direkt vor unserer Haustür breitmachen, und du kannst abwarten, bis er erklärt, ihm gehöre ein Teil von Merlyncourt. Das glaubt er ja sowieso bereits. Wenn er das Mädchen heiratet, kann ihn nichts davon abhalten. Das kannst du nicht leugnen.“
„Warum hat man mir das nicht schon längst erzählt?“ fragte der Marquis.
„Weil du niemals das geringste Interesse an dem zeigst, was außerhalb der Stadt vor sich geht. Und ich war mit William im Norden.“ Sie sah ihren Bruder bittend an. „Das wirst du doch nicht zulassen. Es war schon ein Unglück, daß Vater diesem Hedley das Haus überlassen hat, und jetzt soll auch noch Jeremy dort leben.“
Die Geschwister konnten ihren Cousin Jeremy Rooke nicht leiden, da dieser nicht nur alle gesellschaftlichen Tabus verletzte, sondern auch ständig verschuldet war. Der Marquis hatte ihn schon mehrere Male vor dem Gefängnis gerettet. Es gab keine Laster, dem er nicht verfallen war, und keine finanzielle Klemme, in die er nicht geraten konnte.
Der Marquis wußte, daß seine Schwester nicht übertrieb, wenn sie besorgt war, und daß es ungute Konsequenzen nach sich ziehen würde, wenn ihr Vetter in Dower House lebte.
„Erzähl mir genau, was passiert ist“, bat er mit ruhiger Stimme.
„Die Herzogin von Devonshire erstattete mir Bericht, kaum daß ich in London eingetroffen war“, begann sie. „Daraufhin habe ich mich bei verschiedenen anderen Bekannten umgehört, und alle wußten dasselbe zu berichten. Jeremy prahlt überall damit, daß ihm bald ein Teil Merlynland gehören wird und daß er dann ausgesorgt hätte.“
„Soviel ich weiß, ist Sir Joshua Hedley ein vermögender Mann.“
„Er ist unglaublich reich“, rief die Gräfin. „Seine Tochter ist noch sehr jung. Ihr dürfte nicht klar sein, was für ein Mensch Jeremy ist. Vielleicht strebt auch die Familie noch engere Verbindungen zu Merlyncourt an.“
Als der Marquis schwieg, rief sie weinend: „Wie konnte Papa nur so dumm sein und Dower House verkaufen. Das werde ich nie verstehen.“
„Ich nehme an, daß er einen hohen Preis dafür bekam“, erwiderte der Marquis.
„Ich war damals völlig außer mir“, fuhr die Gräfin fort. „Als ich dir davon schrieb, war deine Antwort zwar nicht besonders ausführlich, ich glaubte aber doch sicher zu sein, daß du meine Gefühle teiltest.“
Der Marquis ging durch den Salon und sah aus dem Fenster. Caroline hatte recht. Der Frühlingssonnenschein würde die Stiefmütterchen in Merlyncourt herauslocken, und das Haus würde sich wie ein Märchenschloß in den umliegenden Teichen spiegeln.
„Verdammt“, rief er zornig. „Ich werde nicht zulassen, daß Jeremy hinter jedem Baum lauert und sich benimmt, als ob das alles sein Eigentum wäre.“
„Ihm wird ein Teil davon gehören“, wandte seine Schwester verbittert ein.
„Wie kann dieses Mädchen einen Mann wie Jeremy heiraten wollen?“ fragte der Marquis.
„Ich nehme nicht an, daß das ihren Wünschen entspricht“, erwiderte seine Schwester. „Vermutlich arrangiert ihr Vater die ganze Geschichte. Jeremy dürfte für jemand, der ihn so gut kennt wie sie, eine gute Partie sein. Wenn du nicht heiratest, ist er eines Tages der fünfte Marquis von Merlyn.“
„Ich kann dir versichern, daß ich nicht die Absicht habe, Jeremy das Erbe zu überlassen“, versicherte ihr Bruder nach kurzem Schweigen.
Die Gräfin stieß einen leisen Schrei aus und erhob sich.
„Oh Alexis, genau das habe ich von dir zu hören gehofft. Das ist natürlich die einzige Lösung. Ich fürchtete nur, du würdest nicht zustimmen.“
„Was meinst du damit?“ fragte der Marquis überrascht.
„Du mußt das Mädchen heiraten.“
„Wen heiraten?“ fragte ihr Bruder, obwohl er die Antwort kannte.
„Jessica Hedley natürlich“, erwiderte seine Schwester. „Ich habe mich über sie erkundigt und erfahren, daß sie sehr hübsch sein soll. Und was immer wir über Sir Joshua denken mögen, sie hat gutes Blut in den Adern. Ihre Mutter war eine geborene Rathlin.“
„Das muß eine Mesalliance für die Tochter eines Herzogs gewesen sein“, bemerkte der Marquis.
„Unsinn!“ widersprach seine Schwester. „Der Herzog hat mit Sicherheit einen reichen Schwiegersohn von Herzen begrüßt. Die Rathlins bewegten sich ständig am Rande des Bankrotts, und außerdem habe ich gehört, daß Mary Hedley ihren Mann abgöttisch liebte.“
Als der Marquis nicht antwortete, fuhr seine Schwester fort: „Die Hedleys sind Landedelleute aus dem Norden. Als aber Sir Joshua riesige Plantagen auf Jamaika erbte, war zu erwarten, daß er in den Hochadel einheiraten würde.“
Der Marquis hatte seinen Platz am Fenster verlassen und trat neben seine Schwester.
„Gibt es keine andere Möglichkeit, Jeremy davon abzuhalten, in Dower House einzuziehen? Muß ich wirklich dieses Mädchen heiraten? Das scheint mir eine absurde Idee.“
„Findest du?“ fragte die Gräfin. „Eines Tages mußt du eine Ehe eingehen und einen Erben zeugen, wenn du Jeremy nicht als deinen Nachfolger sehen willst. Und auf diese Weise bekämen wir Dower House und Grund und Boden zurück.“
„Im Tausch für meine Freiheit“, meinte der Marquis.
„Als Ausgleich dafür, Jeremy mit einem Fußtritt aus unserer Nachbarschaft zu befördern“, verbesserte ihn Caroline. „Ich kann mich einfach nicht damit abfinden, sein widerwärtiges Gesicht durch die Büsche von Merlyncourt spähen zu sehen.“
Der Marquis lachte ohne eine Spur von Belustigung.
„Du haßt ihn von ganzem Herzen.“
„Ich verachte ihn“, sagte sie. „Aber ich muß zugeben, daß er sich bei dieser Gelegenheit recht schlau gezeigt hat.“
„Inwiefern?“
„Immerhin hat er eine vermögende Erbin aufgetrieben. Jessica Hedley ist das einzige Kind, und ich weiß aus gut unterrichteter Quelle, daß Sir Joshua jedes Jahr reicher wird. Nach Aussage von Jeremy soll sich die Mitgift in einer Höhe von 500 000 Pfund bewegen.“
„Guter Gott!“
Der Marquis schien einen Augenblick seinen Gleichmut zu verlieren.
„Das ist ein Vermögen, Alexis“, fuhr seine Schwester fort. „Und das könntest du ebenfalls gebrauchen. Wie ich sehe, fehlen in diesem Zimmer immer noch diverse Bilder. Deine Ställe sind halbleer und dein Jagdrevier in Leicestershire ist verpachtet.“
„Führe mich nicht in Versuchung“, erwiderte der Marquis.
Seine Schwester machte eine ungeduldige Handbewegung.
„Wie kann ich dich sonst davon überzeugen, daß es deine Pflicht dir selbst und der Familie gegenüber ist, die Merlyncourt liebt und es nicht ertragen kann, daß Jeremy auch nur einen Zentimeter Grund sein eigen nennt?“
„Ich werde es mir überlegen“, sagte der Marquis nachdenklich.
„Du darfst keine Zeit verlieren“, rief seine Schwester.
„Angeblich soll Jeremys Verlobung sehr bald verkündet werden.“
„Da wäre immer noch die Möglichkeit, daß meine Anziehungskraft nicht ausreicht, um Jeremy aus dem Sattel zu heben. Vielleicht liebt das Mädchen ihn wirklich.“
Die Gräfin sah ihn verächtlich an.
„Alexis, sei kein Narr. Jedes Mädchen würde dich einem Jeremy Rooke vorziehen. Wenn allerdings dein vielgerühmter Charme nicht ausreichen sollte, ein dummes, kleines Schulmädchen zu bezaubern, dann müßte ich wirklich verzweifeln.“
Lächelnd fügte sie hinzu.
„Schließlich hast du doch Erfahrung mit Frauen.“
„Da hast du recht“, stimmte der Marquis zu. „Lieber Himmel! Caroline, kannst du dir deinen Bruder als Ehemann eines Schulmädchens vorstellen? Was soll ich bloß mit ihr reden?“
„So jung ist sie auch wieder nicht“, beruhigte ihn die Gräfin. „Sie hat den letzten Winter in Bath und einen Teil der Saison in London verbracht.“
„Du scheinst eine Menge über sie zu wissen. Vielleicht wäre es angebracht, mich ebenfalls zu informieren.“
„Ich hielt es für meine Pflicht, mich über sie zu erkundigen. Sie soll sehr attraktiv sein, aber unglücklicherweise ist sie dunkelhaarig.“ Sie warf ihrem Bruder einen ironischen Blick zu. „Deine Vorliebe für Blondinen ist nur allzu bekannt.“
Als der Marquis nicht reagierte, fuhr sie fort: „Du erinnerst dich vermutlich daran, daß die Herzogin von Rathlin, Lady Marys Mutter, Französin war. Daher kommt wohl auch das dunkle Haar des Mädchens. Jessica Hedley soll wohlerzogen und gebildet sein und einiges vom Verstand ihres Vaters mitbekommen haben. Du magst ihn vielleicht nicht, aber ...“
„Ich habe ihn nie kennengelernt“, unterbrach sie ihr Bruder. „Wir beschlossen, oder vielmehr du hast das getan, die Familie zu schneiden, nachdem Vater gestorben war. Wir waren zu der Überzeugung gekommen, daß Vater durch Sir Joshuas Schuld Dinge getan hat, die wir nicht gutheißen konnten.“
„Ich weiß“, sagte die Gräfin hastig. „Aber ich habe Sir Joshua noch zu Vaters Lebzeiten kennengelernt. Er sieht gut aus und ist erstaunlicherweise ein Mann mit Kultur. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich es vorziehen, daß er in Dower House lebte und nicht Jeremy.“
„Das steht außer Frage. Es hat bisher keinerlei Schwierigkeiten gegeben, außer daß Hedley mehr Leute beschäftigt und höhere Löhne zahlt, als ich es mir je leisten könnte.“
„Das würde anders werden, wenn du Jessica heiratest.“
„Du scheinst überzeugt zu sein, daß ich deinem verrückten Plan zustimme“, entgegnete der Marquis verärgert.
Seine Schwester schlug die Hände zusammen.
„Was gibt es sonst für eine Alternative?“ fragte sie. „Es sei denn, du willst Jeremy freie Bahn lassen, damit er Merlyncourt erobern kann.“
„Der verdammte Kerl! Das werde ich nicht zulassen“, rief der Marquis.
„Das dachte ich mir“, sagte die Gräfin. „Eines laß dir gesagt sein, Alexis. Es ist keine Zeit zu verlieren. Du mußt auf der Stelle um das Mädchen anhalten, bevor Jeremy dir zuvorkommt.“
Als Caroline sah, wie ihr Bruder die Lippen zusammenpreßte, war sie befriedigt. Offensichtlich war er entschlossen, die Pläne seines Cousins zu durchkreuzen. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm.
„Es tut mir leid, daß du jemand heiraten sollst, den du nicht liebst. Andererseits weißt du selbst, mein lieber Bruder, daß du kaum in Kreisen verkehrst, wo du passende junge Mädchen triffst.
„Die Zusagen strömen nur so“, rief Elisabeth aufgeregt. „Anscheinend kommt die ganze Grafschaft, und der Ball wird noch größer als derjenige, den Mutter für meine Schwester Anne gegeben hat.“
„Papa hat mir von diesem glänzenden Fest erzählt“, sagte Jessica lächelnd.
„Es werden über fünfhundert Gäste kommen“, schwärmte ihre Freundin. „Nur der gelangweilte Marquis hat natürlich wieder abgesagt.“
„Der Marquis von Merlyn?“ wollte Jessica wissen.
„Dein Nachbar“, bestätigte Elisabeth. „Ich hatte gehofft, daß er vielleicht kommen würde. Andererseits hätte ich mir denken können, daß eine derartige Gesellschaft unter seiner Würde liegt.“
„Warum wohl?“
„Das kann ich dir sagen“, erwiderte ihre Freundin. „Mama legte seinerzeit größten Wert darauf, daß er Annes Ball besucht, weil sie ihn für einen passenden Bewerber hielt. Als er die Einladung ablehnte, veranlaßte sie meinen Bruder, ihn in seinem Club anzusprechen.“
„Was hat er gesagt?“
„Er sagte: Mein lieber Henry, wenn es etwas gibt, was mich zu Tode langweilt, sind es zahme Pferde, nicht ausgereifter Wein und unerfahrene Mädchen.“
Jessica lachte.
„Ich kann mir nicht vorstellen, was dein Bruder darauf erwidert hat.“
„Nichts. Und Mama war wütend. Schließlich bekleidet Papa eine beachtliche Stellung in der Grafschaft. Man hätte also annehmen dürfen, daß der Marquis ein gewisses Entgegenkommen zeigen würde.“
„Und trotzdem war deine Mutter großmütig genug, ihn ein zweites Mal einzuladen?“
„So kann man das wohl nicht nennen“, erwiderte ihre Freundin. „Sie hofft, ihn für mich interessieren zu können. Die arme Mama war schon immer überoptimistisch, wenn es um ihre Töchter ging.“
„Und warum sollte er nicht?“ fragte Jessica. „Du bist doch sehr hübsch.“
„Aber noch unerfahren“, sagte Elisabeth. „Ich kann dir versichern, daß ich nicht die leiseste Absicht habe, den gelangweilten Marquis zu heiraten. Kannst du dir etwas Schlimmeres vorstellen als einen Ehemann, der dir ständig ins Gesicht gähnt?“ Elisabeth machte eine Pause, bevor sie fortfuhr: „Andererseits wird er irgendwann heiraten müssen, wenn nicht der üble Jeremy Rooke Merlyncourt erben soll.“
Sie fuhr mit der Hand zum Mund.
„Das hätte ich nicht sagen sollen. Es tut mir leid, ich habe vergessen, daß er ein Freund von dir ist.“