'Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen' - Marita Krauss - E-Book

'Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen' E-Book

Marita Krauss

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Beschreibung

1848: Der bayerische König Ludwig I. tritt zurück – wegen einer Tänzerin! Ein Skandal! So wie das ganze Leben der Lola Montez (1821 – 1861) für die bessere Gesellschaft ihrer Zeit ein einziger Skandal war. Der Weg dieser Femme fatale, die in Wirklichkeit Tochter eines britischen Offiziers war und Eliza Gilbert hieß, hätte in ganz bürgerlichen Bahnen verlaufen sollen. Doch sie brach von Jugend an mit allen Konventionen und feierte bald als «spanische Tänzerin» Triumphe in den Metropolen Europas wie nach 1851 in Amerika und Australien. Sie war eine markante Persönlichkeit, ausgestattet mit Stolz und Mut, und brachte unverblümt zum Ausdruck, was sie von ihren männlichen Zeitgenossen hielt: «Wenn Gott die Männer mißt, legt er das Maßband nicht um den Kopf.» Für die Biografie zum 200. Geburtstag dieser unzeitgemäßen Frau standen der Historikerin Marita Krauss erstmals die Tagebücher Ludwigs I. zur Verfügung, die einen ganz neuen Blick auf die Beziehung zwischen König und Tänzerin eröffnen.

Lola Montez hatte viele Gesichter und viele Namen. Die Tochter eines britischen Offiziers, die eigentlich Eliza Gilbert hieß, widersetzte sich bereits früh moralischen Konventionen. Was Männer betraf, so hatte sie ihre eigene, kühne und auf jeden Fall unzeitgemäße Agenda: Mit 16 brannte sie durch, heiratete ihren Liebhaber und zog mit ihm nach Indien, mit 22 tingelte sie als «spanische Tänzerin» durch die Hauptstädte Europas, und mit 25 begann sie ihre Affaire mit König Ludwig I. Als man sie deswegen aus München vertrieb, vermarktete Lola Montez ihre Geschichte am Broadway in New York und in den Outbacks Australiens. Das Schicksal der selbstbewussten Tänzerin, die als Geliebte des Königs zur Gräfin Landsfeld erhoben wurde und sich nie von der Männerwelt einschüchtern ließ, inspirierte Filmemacher und Theaterregisseure. Die Historikerin Marita Krauss hat nun – gestützt auf zahlreiche Quellen, darunter auch bislang unzugängliche Tagebuchaufzeichnungen König Ludwigs I. – den Weg der Lola Montez in all seinen Höhen und Tiefen beschrieben. Entstanden ist eine ebenso seriöse wie unterhaltsame Biografie, die zugleich ein facettenreiches Bild der Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert bietet.

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MARITA KRAUSS

«Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen»

Das Leben der

LOLA MONTEZ

C.H.Beck

ZUM BUCH

Lola Montez hatte viele Gesichter und viele Namen. Die Tochter eines britischen Offiziers, die eigentlich Eliza Gilbert hieß, widersetzte sich bereits früh moralischen Konventionen. Was Männer betraf, so hatte sie ihre eigene, kühne und auf jeden Fall unzeitgemäße Agenda: Mit 16 brannte sie durch, heiratete ihren Liebhaber und zog mit ihm nach Indien, mit 22 tingelte sie als «spanische Tänzerin» durch die Hauptstädte Europas, und mit 25 begann sie ihre Affaire mit König Ludwig I. Als man sie deswegen aus München vertrieb, vermarktete Lola Montez ihre Geschichte am Broadway in New York und in den Outbacks Australiens. Das Schicksal der selbstbewussten Tänzerin, die als Geliebte des Königs zur Gräfin Landsfeld erhoben wurde und sich nie von der Männerwelt einschüchtern ließ, inspirierte Filmemacher und Theaterregisseure. Die Historikerin Marita Krauss hat nun – gestützt auf zahlreiche Quellen, darunter auch bislang unzugängliche Tagebuchaufzeichnungen König Ludwigs I. – den Weg der Lola Montez in all seinen Höhen und Tiefen beschrieben. Entstanden ist eine ebenso seriöse wie unterhaltsame Biografie, die zugleich ein facettenreiches Bild der Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert bietet.

ÜBER DIE AUTORIN

Marita Krauss lehrt als Professorin für Europäische Regionalgeschichte sowie Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte an der Universität Augsburg.

INHALT

1.: LOLA MONTEZ – EINE KUNSTFIGUR?

2.:GROSSBRITANNIEN, INDIEN UND ZURÜCK

Frühe Prägungen in Indien

Erziehung in Großbritannien

Mrs James

Das Ende einer Ehe

3.:IM VORMÄRZLICHEN EUROPA

Mrs James und Lola Montez

Auf dem Kontinent:Ebersdorf und ein Operettenfürst

Dresden und Berlin: «Die neueste Melusine» und die Geschichte mit der Reitgerte

Warschau – politische Turbulenzen

Von Warschau nach Dresden: auf der Suche nach Liszt?

Paris – von der Tänzerin zur Salonière

4.: AUF DEM WEG ZUR «KÖNIGIN SEINES HERZENS» – DIE ERSTEN MONATE IN MÜNCHEN

München 1846

Lola und Ludwig – eine keusche Liebe

5.:MACHT UND OHNMACHT DER KATHOLISCHEN PARTEI

Skandalisierungen

Lola Montez und Hans Pechmann – Favoritin gegen Polizei

Auf Lolas Bettkante – die Aufzeichnungen der Frau Ganser

Die Indigenatsfrage und der Sturz Karl von Abels

Volkstumulte und Champagner – Lolas großer Auftritt

6.: AUFSTIEG UND ÄCHTUNG DER GRÄFIN LANDSFELD

Stille Tage in der Residenz

Risse im Seelenbündnis

Die gesellschaftliche Ächtung

7.: HYBRIS UND FALL

Die Zersetzung einer Beziehung

Eskalation und Zusammenbruch

Revolution und Thronverzicht

Fürstlicher Lebensstil als Sucht – Gräfin Landsfeld in der Schweiz

8.: DER WEG IN DIE SELBSTÄNDIGKEIT

Neuorientierungen

Mrs Heald

Übergangszeiten – von Paris nach New York

«Lola Montez in Bavaria»

Im Wilden Westen

Grass Valley – zwei Jahre in den Bergen von Nevada

9.: THEATERUNTERNEHMERIN UND VORTRAGSREISENDE

Auf Welttournee in Australien

Als Vortragsreisende und Buchautorin in den USA und England

Das Ende

10.: NACHLEBEN

ANMERKUNGEN

1. Lola Montez – eine Kunstfigur?

2. Großbritannien, Indien und zurück

3. Im vormärzlichen Europa

4. Auf dem Weg zur «Königin seines Herzens» – die ersten Monate in München

5. Macht und Ohnmacht der katholischen Partei

6. Aufstieg und Ächtung der Gräfin Landsfeld

7. Hybris und Fall

8. Der Weg in die Selbständigkeit

9. Theaterunternehmerin und Vortragsreisende

10. Nachleben

DANKSAGUNG

BILDNACHWEIS

BIBLIOGRAFIE

Ungedruckte Quellen

Spielfilme, Ballett- und Theaterproduktionen

Gedruckte Quellen

Zeitungen

Literatur

PERSONENREGISTER

1.

LOLA MONTEZ – EINE KUNSTFIGUR?

Als Maria de los Dolores Porrys y Montez, spanische Adelige aus Sevilla, im Juni 1843 erstmals in London auftrat, war Elizabeth Rosanna Gilbert, geschiedene James, bereits 22 Jahre alt. Die Kunstfigur Lola Montez übernahm seitdem die Deutung über das frühere und zukünftige Leben von Eliza Gilbert, sie konstruierte Abstammung und Geburtstage, Geburtsorte und Lebensstationen. Erst nach ihrem Tod 1861 ließ Lola Montez los; auf dem Grabstein stand: «Mrs Eliza Gilbert».

An sich stellte die Erfindung der Lola Montez eine Verzweiflungstat dar: Eliza stammte aus einer guten englischen Familie; wie eine Figur eines Jane-Austen-Romans brannte sie aus dem Internat in Bath durch. Nach einer unglücklichen Ehe wurde sie schuldig geschieden. Im hochmoralischen viktorianischen England gab es für sie danach fast keine Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. In ihren Memoiren von 1851 schrieb Lola: «Nur eine einzige Ausflucht schien mir das Schicksal zu lassen. Es war das abenteuerliche Leben einer Künstlerin.»[1]

Für den Erfolg als Künstlerin reichte es aber nicht, die bildschöne, wenn auch moralisch bedenkliche Eliza James zu sein. Spanien war damals in Mode und als spanische Tänzerin Lola Montez erfand sich Eliza neu. Nach dem Identitätswechsel reiste sie ohne gültige Ausweispapiere durch das Europa des Vormärz. Sie galt dort als unerwünschte Ausländerin unbekannter Herkunft und lief jederzeit Gefahr, von der Polizei eingesperrt oder ausgewiesen zu werden. Doch Lola Montez erhob sich bald über ihre Situation, sie tanzte vor dem preußischen König und dem russischen Zaren. Ihr Aufstieg zur Favoritin des bayerischen Königs Ludwig I. sowie die Tumulte in München um ihre Person, die fast unmittelbar in die Revolution von 1848 und in die Thronentsagung Ludwigs I. mündeten, waren es dann vor allem, die sie weltweit bekannt machten: Die Zeitungen berichteten ausführlich; sie selbst brachte die Geschichte seit 1852 als eine Art dokumentarische Revue mit dem Titel «Lola Montez in Bavaria» auf die Bühne und ging damit höchst erfolgreich in den USA und Australien auf Tournee. Lola Montez wurde ein weltberühmter Star, sie füllte spielend die größten Theater ihrer Zeit und verdiente als selbstbestimmte Theaterunternehmerin reichlich Geld, das sie gerne großzügig ausgab. Letztlich wurde sie mit ihren «Lectures» auch noch zur gefeierten Vortragsreisenden. Sie war nicht Opfer, sondern Herrin ihres Schicksals.

Die Bildikone. Porträt der Lola Montez von Joseph Karl Stieler, 1847

Die Frage nach Wahrheit oder Lüge führt mit Blick auf die bereits von Lola selbst in jeder Lebensphase neu justierte Biografie in die Irre. Obwohl ihre Behauptung, Lola Montez zu sein, immer wieder ins Wanken geriet, so war diese Figur doch die Form, in die sie sich weiterhin fasste. Als sie im August 1847 von König Ludwig I. von Bayern zu Marie Gräfin von Landsfeld erhoben wurde, trug diese Kunstfigur sogar einen legalen Adelstitel. Selbst bei ihrer zweiten Heirat mit dem viele Jahre jüngeren, steinreichen George Trafford Heald behielt sie den Titel bei und nannte sich Marie de Landsfeld-Heald; in einem Bigamieprozess wurde die Ehe annulliert, da Lolas vorhergehende Scheidung nach englischem Recht keine zweite Heirat erlaubte. Später nutzte sie den Namen Mrs Heald, wenn sie inkognito reisen wollte. Doch als Lola Montez war sie berühmt geworden, dieser Name zog das Publikum ins Theater und war ihre Geldquelle. Wie gut sich Lola Montez verkaufen ließ, zeigen auch zeitgenössische Satiren und Parodien, die Theater von London bis San Francisco füllten. Den Anfang machte der 1848 in London aufgeführte Einakter von J. Sterling Coyne, «Lola Montes, or a Countess for an Hour», der wohl nach der Intervention des bayerischen Botschafters vom Spielplan verschwand, jedoch mit geändertem Namen als «Pas de Fascination, or, Catching a Governor» wiederauferstand und in der englischsprachigen Welt viel gespielt wurde, oft gleichzeitig mit Lolas Auftritten in den entsprechenden Städten. Nach ihrem Tod wurde sie in New York auch noch von einer evangelikalen Gruppe vereinnahmt, die aus ihr eine reuige Sünderin machen wollte; die Broschüre mit ihren angeblichen religiösen Tagebuchaufzeichnungen erlebte sieben Auflagen. Lolas Marktwert war und ist hoch.[2]

Zur Legendenbildung um Lola Montez trug nicht nur sie selbst aktiv bei. Sie war ein Star und bereits zu ihren Lebzeiten wie nach ihrem Tod fügten weltweit hunderte Journalisten, Romanciers, Filmemacher und Historiker neue Details und Facetten zur Lebensgeschichte dieser Frau hinzu, übernahmen alte Berichte und schmückten sie aus, versuchten die «Wahrheit» herauszufinden und empörten sich über die fast undurchdringlichen Gespinste aus Erfindungen und Halbwahrheiten, die sie nicht zuletzt in Lola Montez’ autobiografischen Texten wie ihren Memoiren von 1851 und auch noch in der «Autobiography» von 1858 vorfanden.[3] Viele kapitulierten und glaubten, die Geschichte der Lola Montez nur als Roman erzählen zu können. In mancher Hinsicht sagen diese Produktionen jedoch mehr über Frauenbilder und Moralvorstellungen der jeweiligen Entstehungszeit aus als über Lola Montez.

Sie selbst gab dazu in ihrer «Autobiography» von 1858 die Richtung vor: «Also wenn ich Lola Montez wäre, würde ich zu zweifeln beginnen, ob ich jemals einen Vater hatte und ob ich überhaupt geboren wurde, ausgenommen vielleicht auf die Art, in der Minerva dem Haupt Jupiters entsprungen sein soll: Lola Montez kam und kommt sogar noch komplizierter auf die Welt, da sie wieder und wieder im Kopf jedes Menschen geboren werden muss, der den Versuch unternimmt, ihre Geschichte zu schreiben.»[4] Das stimmt: Die Erkenntnis über die Subjektivität und Zeitbezogenheit des eigenen Blicks muss jede Lola-Montez-Biografie wie überhaupt jede biografische Arbeit begleiten. Von Lola Montez’ Zeitgenossen bis heute gab es faszinierte, moralinsaure, sensationslüsterne, leichtgläubige, aber auch gründliche Autoren und Autorinnen, die sich aus sehr unterschiedlichen Perspektiven dem Leben dieser außergewöhnlichen Frau näherten. Es ist daher nötig, viele Schichten von Projektionen abzutragen, bevor man Lola Montez wieder neu erfinden kann. Auch hier ist zu berücksichtigen, was Barbara Stollberg-Rilinger in ihrer Biografie über Kaiserin Maria Theresia schrieb: Es gilt, jede falsche Komplizenschaft zu vermeiden und die Andersartigkeit der historischen Situation, ihrer Regeln, Konventionen, sozialen Unterscheidungen und Selbstverständlichkeiten in den Blick zu nehmen, denn nur vor diesem Hintergrund ist das Handeln der betrachteten Personen zu deuten.[5] Für Lola Montez bedeutet dies: Erst vor diesem Hintergrund ist das Ausmaß ihrer Regelverletzungen und Konventionsbrüche zu erkennen.

Zieht man nur die seriösen Biografien der letzten dreißig Jahre heran,[6] so fällt auf: Die Biografen waren meist Männer und nicht primär Historiker. Die in ihrer Gründlichkeit alle anderen überragende Publikation stammt von Bruce Seymour: Dieser kalifornische Rechtsanwalt befasste sich nach dem Gewinn eines Preisausschreibens sechs Jahre lang mit Lola Montez, er war der Erste, der Licht in das Dunkel um etliche ihrer Lebensstationen brachte, auf seine akribische Vorarbeit stützen sich alle, die sich nach ihm des Themas annahmen und annehmen. Zusammen mit dem ersten deutschen Lola-Montez-Biografen Reinhold Rauh edierte Seymour auch erstmals Teile des in der Bayerischen Staatsbibliothek in München aufbewahrten Briefwechsels zwischen König Ludwig I. und Lola Montez; dieser wurde größtenteils in Spanisch geführt, das beide Briefpartner nicht gut beherrschten.[7] Seymour stellte seine Arbeitsmaterialien der Forschung zur Verfügung, teilweise frei zugänglich im Internet mit dem ausdrücklichen Auftrag, dort weiterzuarbeiten, wo er aufgehört hatte. Dazu gehören eine Art Lola-Montez-Personenlexikon, in dem alle, die ihr begegneten, biografisch erfasst und eingeordnet werden, sowie eine kommentierte Bibliografie mit erfrischend deutlichen Bewertungen.[8] Seymours Arbeit ist eine zentrale Grundlage für jede Lola-Montez-Biografie.

Gibt es also 200 Jahre nach ihrer Geburt noch etwas zu entdecken, das über neue Perspektiven und Interpretationen hinausgeht? Ja, es gibt Quellen, die bisher nicht zugänglich waren: die Tagebücher König Ludwigs I. in der Bayerischen Staatsbibliothek. Bisher konnten sie nur Heinz Gollwitzer für seine Biografie Ludwigs I. und Hubert Glaser für die Edition des Briefwechsels zwischen Ludwig I. und Leo von Klenze einsehen.[9] Großzügig ermöglichte Herzog Franz von Bayern nun die Einsichtnahme für Ludwigs Beziehung zu Lola Montez.[10] Die Tagebücher bieten Innensichten dieser so oft beschriebenen Beziehung zwischen dem König und der Tänzerin. Sie zeigen aus der Perspektive des Königs Lolas große Strahlkraft wie ihre Grenzüberschreitungen, ihre zugewandte Liebe wie ihr Machtstreben. Diese Tagebücher sind eine besondere Quelle; eilig, in nicht orthografisch korrekten oder grammatikalisch durchgeformten Satzfetzen, notierte sich Ludwig die Tagesereignisse als eine Art persönlichen Rechenschaftsbericht über das am jeweiligen Tag Geleistete, ergänzt durch Kurzkommentare zu seinen Gefühlen und Gedanken. In den Jahren 1846 bis 1849 spielte Lola bei Ludwig und daher auch in den Tagebüchern eine Hauptrolle.

Ludwigs Tagebücher zeichneten ein positives, unermüdlich idealisierendes Bild von Lola Montez, dem die meisten Zeitgenossen ebenso wie spätere Historiker heftig widersprachen. Viele sahen sie nur, wie noch in den 1990er Jahren Heinz Gollwitzer, als eine Abenteurerin, habgierig und herzlos, «ordinär und arrogant, niederträchtig und verlogen […], exzentrisch bis zur Verrücktheit und ganz gewiß, wie man heute sagen würde, ein Fall für den Psychiater».[11] Lola Montez polarisierte und polarisiert bis heute: War sie eine der großen Kurtisanen der Weltgeschichte, die man Frauen wie Madame de Pompadour an die Seite stellen sollte?[12] War sie eine freche, eitle, indiskrete und machtgierige Hochstaplerin, die nicht einmal als Tänzerin Qualität hatte und nur von ihren Skandalen lebte? War sie ein Opfer der Presse oder eine Meisterin der Selbstvermarktung? Oder war sie eine selbständige und emanzipierte Frau, die nur nicht in das Weiblichkeitsbild ihrer Zeit passte und daher von Frauen gemieden und von Männern verleumdet wurde? Die Urteile divergieren enorm, nur ihre Schönheit und ihr bezaubernder Charme werden nicht einmal von den erbittertsten Gegnern bestritten. Doch neben allem anderen war Lola Montez auch noch blitzgescheit, sie verfügte über ein breites Spektrum an Fähigkeiten und Verhaltensmöglichkeiten, war großzügig, begabt und eloquent: Lola Montez war und ist ein Phänomen.

Lola gehört mit ihrem abenteuerlichen Leben auch zu den wenigen Frauen ihrer Zeit, die ihr Leben weitgehend auf Reisen verbrachten. Das allein war unerhört, sensationell, ja unanständig: Die bürgerliche oder adelige Frau blieb generell auf das eingesperrte Dasein innerhalb von «Gehäusen» beschränkt, sei es das Haus oder das rollende Heim der Kutsche. Beim Betreten oder Verlassen dieser Gehäuse überschritt sie tabuisierte Grenzen.[13] Lola schrieb dazu in ihren Memoiren: «Von den ersten Tagen meiner Geburt an führte ich ein unstätes Leben, voller Romane, Dramen und Wechselfälle. Die Vorsehung scheint in Wirklichkeit mich zu einem rastlosen Umherirren verdammt zu haben. Von Natur zart und schwächlich, ist dennoch die Veränderung mein Element. Ich habe mir stets eingebildet, daß im Momente meiner Geburt irgend eine Fee Rollen an meiner Wiege befestigt hat, um mich so ununterbrochen von einem Ende der Welt zum anderen zu bringen.»[14] Als sie die Memoiren 1851 veröffentlichte, hatte Lola bereits in Indien, Schottland, England und Spanien, Paris, München sowie Genf gelebt und halb Europa bereist, es sollten Jahre in den USA und in Australien folgen. Sie beherrschte mehrere Sprachen und verfügte über eine Welterfahrung, die sie auch weit über die meisten Männer ihrer Zeit hinaushob. Wie die wenigen anderen weitgereisten Frauen ihrer Zeit war auch sie immer weniger bereit, sich den von ihr als unnötig beengend und einschränkend empfundenen Regeln kleiner europäischer Residenzstädte wie München zu fügen. Das trug sicher dazu bei, dass sie als «Fremde» angefeindet wurde.

Doch Lola Montez war wehrhaft: Pistolen, Dolch und Reitgerte wurden zu ihren Requisiten; Zeitgenossen sahen in ihr daher eine grausame Frau, eine Domina.[15] Sie nahm sich viele Freiheiten, um ihre Unerschrockenheit und Unabhängigkeit zu demonstrieren. Gegenüber Männern in Uniform oder auch in Zivil, die Autorität über sie ausüben wollten, reagierte sie mit Ohrfeigen oder mit der großen Theaterszene als «Furie» gegenüber dem Gesetz: Das war die Rolle einer Frau, die nicht bereit ist, die bürokratische Ordnung für sich als Maßstab und Autorität zu akzeptieren.[16] Sie war aber nicht nur physisch wehrhaft. Wie nicht zuletzt an ihren oft witzigen Leserbriefen und autobiografischen Texten zu sehen ist, konnte sie auf den Punkt formulieren und sich auch verbal kenntnisreich wehren. Wenn sie mit dem Rücken zur Wand stand, machte sie sich nicht klein, sondern ging offensiv und aggressiv nach vorne. Diese unbekümmerte Selbstsicherheit wurde zeitgenössisch oft als «Frechheit» bewertet. Doch es war mehr als das: Ihre ungezügelten Temperamentsausbrüche standen quer zu den gesellschaftlichen Tugenden von Disziplin und Selbstbeherrschung; manchmal benahm sie sich wie ein trotziges und ungezogenes kleines Mädchen. Bei einer Frau, besonders bei einer Fremden, wurde solches Verhalten nicht akzeptiert.

Lola Montez galt bereits bevor sie nach München kam als berüchtigt, als unmoralisch, als eine Frau, die Skandale auslöst. Geht man diesen Gerüchten nach, so bleibt wenig übrig; es ist nicht einmal klar, ob hinter den Zeitungsmeldungen, sie habe in Berlin einem Polizisten einen Schlag mit der Reitgerte gegeben, in Warschau dem zischenden Publikum ihr Hinterteil zugewandt und in Baden-Baden einem Herrn den Dolch in ihrem Strumpfband gezeigt, tatsächliche Ereignisse stehen. Als skandalös galt bereits, dass sie als Tänzerin auftrat und allein reiste, dass sie in einem Strafprozess öffentlich zugab, in Paris mit einem Mann zusammengelebt zu haben, dass Gerüchte über Liebhaber kursierten. «Skandale sind streitlustige Rituale der Gesellschaft, die Einigung in Aussicht stellen, indem sie Abweichung thematisieren», schrieb der Soziologe und Skandalforscher Stefan Joller.[17] Mit der Ablehnung gegenüber Lola Montez konnte sich die jeweilige Gesellschaft über die eigenen Werte und Normen verständigen. Das war umso leichter, als Lolas Ruf viele unterdrückte Phantasien und Wünsche aktivierte. Zu sehen ist das zeitgenössisch an den «Memorabilien» des Münchner Stararchitekten Leo von Klenze, der Lolas Einfluss auf Ludwig I. neidete und jede schmutzige Einzelheit notierte, die er irgendwo erfahren hatte.[18] Auch heute noch nehmen manche Biografen jedes Skandalgeschwätz auf.[19] Das Biografie-Genre lebt ohnehin von Skandalisierung – Skandale erhöhten damals wie heute den Marktwert.

Lola Montez im samtroten Reitkostüm mit Reitgerte und Federhut. Gemälde von Jules Laure, Paris 1844, Vorlage für eine weitverbreitete Lithografie von 1846

Am Schluss ihrer Memoiren schrieb Lola, sie habe «dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen und ihm gezeigt, wie wenig Recht es hat, sich in moralischer Hinsicht über uns Frauen zu erheben. Ich habe den Frauen gezeigt, daß, – wenn sie verständen, die Schwächen der Männer zu nützen, sie überall aufhören würden, das schwache Geschlecht zu sein.»[20] War sie eine Vorkämpferin der Frauenbewegung? Wohl eher nicht: Sie versprach sich viel von der individuellen Stärke von Frauen, wenig indes von organisierten Zusammenschlüssen. Ihr Ausspruch war aus der Erfahrung geboren, dass die gesellschaftliche Doppelmoral Frauen besonders hart trifft und dass Frauen Strategien brauchen, um einen Ausgleich zu schaffen. Ihrem Schönheitsratgeber «The Arts of Beauty» stellte sie 1858 als Widmung voran: «Allen Männern und Frauen aller Länder gewidmet, die sich nicht vor sich selbst fürchten und die genügend Zutrauen zu ihrer eigenen Seele haben, mit der Kraft ihrer eigenen Persönlichkeit aufzustehen und das Wagnis einzugehen, sich den Gezeitenströmen der Welt auszusetzen.»[21]

Lola Montez spiegelt in allen Farben. Auch sie selbst könne nicht, wie sie in ihrer «Autobiography» schrieb, das «Rätsel Lola Montez» lösen.[22] Doch man kann sich ihm multiperspektivisch annähern.

2.

GROSSBRITANNIEN, INDIEN UND ZURÜCK

Frühe Prägungen in Indien

Eliza Rosanna Gilbert, die spätere Lola Montez, kam wohl am 17. Februar 1821 zur Welt.[1] Die Eltern hatten am 29. April 1820 im irischen Cork geheiratet. Der Vater Edward Gilbert, ein Fähnrich der englischen Armee, gehörte einem Polizeiregiment an, das die aufrührerischen Iren im Zaum halten sollte. Er entstammte vermutlich, ob legal oder illegal, dem Adel. Die bei Elizas Geburt gerade 15-jährige Mutter, Elizabeth Oliver, war das jüngste von vier unehelichen Kindern, die Charles Silver Oliver, renommierter Parlamentsabgeordneter aus einer wohlhabenden und einflussreichen Familie, mit seiner Geliebten Mary Green in die Welt gesetzt hatte, bevor er eine standesgemäße Frau heiratete und mit ihr weitere Nachkommen zeugte. Er sorgte dennoch auch für seine unehelichen Kinder: Sie trugen seinen Namen, konnten eine Lehre machen und er vererbte jedem Kind die stattliche Summe von 500 Pfund. Elizabeth Oliver, ein hübsches Mädchen mit dunklen Augen und tiefschwarzem Haar, machte eine Lehre zur Putzmacherin – was man heute als Modistin bzw. Hutmacherin bezeichnen würde – in Cork. Dort lernte sie Edward Gilbert kennen und lieben. Am 6. Mai 1820 stand die Heirat im irischen Ennis Chronicle: «Edward Gilbert, wohlgeboren, 25. Regiment, mit Eliza, der Tochter von Charles Silver Oliver, wohlgeb., aus Castle Oliver, Mitglied des Parlaments».

Nach der Eheschließung zog das Paar mit dem Regiment von einer Stadt zur anderen. So wurde die Tochter Eliza zufällig im irischen Grange nahe Sligo geboren. Lola Montez schrieb 1858 in ihrer «Autobiography», die im Rahmen ihrer «Lectures» entstanden: «Lola wurde im zweiten Jahr dieser Ehe geboren. Sie vollzog ihr kleines Debüt auf dieser irdischen Bühne in der Mitte der Flitterwochen der jungen Leute, zu einem Zeitpunkt, als diese wenig gestimmt waren für den angemessenen Empfang einer so außergewöhnlichen Persönlichkeit.»[2] Sie beklagte ihr Leben lang, dass ihre Mutter sie vernachlässigt habe. Die sehr junge Frau war vermutlich mit ihrer Aufgabe überfordert, sie war lebenslustig und entwickelte zunehmend auch gesellschaftlichen Ehrgeiz.

Als Eliza zwei Jahre alt war, wechselte der Vater, sei es aus finanziellen Überlegungen oder aus Abenteuerlust, zur britischen Kolonialarmee in Indien, zum 44. Regiment, und trat mit der kleinen Familie die vier Monate dauernde Überfahrt an. Im Sommer 1823 landeten die Gilberts in Kalkutta. Edward Gilberts neues Regiment hatte sich bereits nach Danapore, 600 Meilen den Ganges aufwärts, eingeschifft. Auch die Gilberts traten diese beschwerliche Reise an. Doch Captain Edward Gilbert infizierte sich mit der Cholera und erreichte Danapore nur, um dort zu sterben. Die 17-jährige Witwe stand nun mit ihrer zweijährigen Tochter allein da. Im November trat sie die Rückreise nach Kalkutta an. Viele Möglichkeiten blieben ihr nicht, da das Geld für die Rückkehr nach Großbritannien nicht reichte: Ihr Ziel musste es sein, sich möglichst schnell wieder zu verheiraten. Und das gelang ihr auch: Mit dem 24-jährigen Leutnant Patrick Craigie, den sie 1824 ehelichte, hatte sie Glück. Er gehörte dem Einheimischen-Infanterieregiment der Ostindienkompanie an und entstammte einer guten Familie aus dem schottischen Montrose. Als fähiger Verwaltungsoffizier war er beliebt, verfügte über beste Verbindungen und stieg im Laufe der Jahre in der Kolonialhierarchie weit nach oben. Der Stiefvater war der kleinen Eliza sehr zugetan. Doch als sie fünf Jahre alt war, wurde sie, wie für Offizierskinder üblich, zur Erziehung nach England geschickt.

So weit eine nüchterne Beschreibung einer Kindheit voller Verluste, Trennungen und großer Reisen. Diese Zeit verlangte sicherlich viel Selbstbehauptungswillen von der kleinen Eliza, wollte sie nicht untergehen. Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr war sie fast immer unterwegs, musste sich mit unbekannten Menschen und Situationen zurechtfinden. Auch die Kinderfrauen, die Ayas, die engsten Bezugspersonen des kleinen Mädchens, wechselten: Erst war es wohl eine junge Irin, dann betreuten ab dem dritten bis zum fünften Lebensjahr indische Ayas das Kind. Sie sei verhätschelt und verzogen worden, schrieb Lola später.[3]

Als Tochter und später Stieftochter eines britischen Offiziers gehörte Eliza zur europäischen Oberschicht in Indien. Dort wurden die Handelsinteressen der British East India Company durch reguläre britische Truppenkontingente und durch Eingeborenenregimenter unter britischer Leitung gesichert. Die Kompanie führte in Indien eine Art expansiver privatwirtschaftlicher Kolonialherrschaft: Es ging um den Handel mit Tee, Baumwolle, Salpeter, Seide und Indigo-Farbstoff, später dann auch vor allem um Opium. Sie hatte quasistaatliche Rechte, durfte Münzen prägen und über Krieg und Frieden bestimmen; für ihr brutales Vorgehen gegen die Einheimischen war sie berüchtigt. In Handelsdingen weitgehend selbständig, wurde sie jedoch seit dem 18. Jahrhundert zunehmend unter staatliche Verwaltung gestellt. 1823 verlor sie ihr Handelsmonopol, 1858 wurde British India zur Kronkolonie.[4] Die Offiziere der Kompanie mussten sich ihre Offizierspatente nicht wie in anderen Regimentern kaufen; das eröffnete Karrierechancen jenseits der ständischen Strukturen. Dieses Angebot bestand zur Kompensation der widrigen Lebensbedingungen mit Hitze, Seuchen, kriegerischen Auseinandersetzungen und staubigen Außenposten, die vielen Soldaten das Leben kosteten.

Dem kleinen Mädchen präsentierte sich Indien in seiner unendlichen Fülle von Blumen, Tieren, Gerüchen. Lola beschrieb in ihren Memoiren die Maßnahmen gegen die Hitze: An den hohen Decken waren große Fächer, «ponkas», befestigt. Die «Beira», Diener, hielten die Fächer auf dem Rücken liegend mit Schnüren unaufhörlich in Bewegung.[5] Selbst ein einfacher Offiziershaushalt beschäftigte über zehn Diener; dazu gehörte auch eine einheimische Aya. Gegen die Schmerzen der durchbrechenden Zähnchen kaute das Kind wie die Einheimischen Betelkraut, sie wurde mit Ananas, Bananen und Mangos aufgepäppelt, man aß auf dem Boden sitzend aus einer gemeinsamen Schüssel Reis. Gekleidet war sie nur in ein leichtes Hemd aus Gaze. Die Rückreise von Danapore nach Kalkutta über den Ganges führte vorbei an Kokospalmen, in denen Affen spielten, und an Krokodilen. Einmal fiel Eliza ins Wasser und wurde wieder herausgefischt.[6] Sie beschrieb sich als ein Kind, das immer hüpfen, tanzen und klettern musste. Auch die Tänze der jungen Inderinnen mit ihren «wunderlichen Windungen» der Körper hätten sie sehr beeindruckt. Diese unbeschwerte Lebensphase ging jedoch früh zu Ende: «So verließ ich denn mein erstes Vaterland, voll der poetischen Erinnerungen, der zauberhaften Schauspiele, der berauschenden Tänze, schied aus der Mitte derjenigen, bei welchen ich meine Kindheit verlebt hatte.»[7]

Erziehung in Großbritannien

Mit Patrick Craigies früherem Kommandanten, Oberstleutnant William Innes, und seiner Familie trat die fünfjährige Eliza Gilbert auf dem Segelschiff «Malcolm» am 26. Dezember 1826 die lange Rückreise nach England an. Nach einem Halt in Madras (heute Chennai) und einer Fahrt quer über den Indischen Ozean umfuhr man die südlichste Spitze Afrikas. Nach fünf Monaten auf See erreichte die «Malcolm» London am 19. Mai 1827. Die Verwandten des Stiefvaters nahmen Eliza in Obhut und brachten sie nach Schottland.

Eliza lebte die nächsten fünf Jahre im schottischen Montrose. Patrick Craigies Vater – auch er hieß Patrick Craigie – war als Apotheker und langjähriger Bürgermeister von Montrose ein angesehener Mann in der Stadt; er wurde später geadelt. Das jüngste seiner insgesamt neun Kinder war nur sieben Jahre älter als Eliza. Lola Montez überliefert mit Blick auf das Kind Eliza in ihrer «Autobiography», dass «die Ankunft dieses sonderbaren, eigensinnigen kleinen indischen Mädchens sofort in ganz Montrose bekannt war. Die Eigentümlichkeiten ihrer Kleidung und, wie ich zu sagen wage, die nicht geringe Exzentrizität ihres Benehmens machten sie zu einem Objekt von Neugierde und Gerede und vermutlich nahm das Kind wahr, dass es so etwas wie eine öffentliche Person war, und mag sogar schon in diesem frühen Alter begonnen haben, ein eigenes Verhalten und eigene Gewohnheiten anzunehmen».[8] Sie habe weder ordentlich sprechen noch lesen oder schreiben können und nur den Gott Brahma gekannt, berichtete sie.

Über die Zeit in Montrose ist wenig überliefert. Eliza besuchte offenbar eine lokale Boarding School mit Französischklassen für Mädchen, hörte Vorträge über Astronomie und ging für den Religionsunterricht in die Samstagsschule. Sie war eine Rebellin, die sich immer wieder gegen das viktorianische Ideal des gehorsamen Kindes auflehnte. Eine von Elizas damaligen Schulkameradinnen, Mary Thompson, später verheiratete Buchanan, überlieferte: «Sie war störrisch und eigensinnig, aber gleichzeitig warmherzig und impulsiv; die harte Behandlung, die Teil des schottischen Erziehungssystems jener Zeit war, scheint sehr unklug und unglücklich in seinen Auswirkungen auf ein Temperament wie ihres gewesen zu sein.»[9] Die Neunjährige soll sich im Sommer 1830 in einem Wutanfall die Kleider vom Leib gerissen haben und nackt durch die historische High Street von Montrose gelaufen sein, um ihre Gastfamilie zu provozieren oder um gegen das disziplinierte Leben, das sie führen musste, aufzubegehren.[10] Sie selbst schrieb in ihren Memoiren: «Die kalte Temperatur zwang mir wärmere Kleidung und Fußbedeckung auf. Jedoch die Gewohnheiten meiner ersten Jugend, während welcher ich fast vollständig unbekleidet ging, übten einen solchen Einfluß auf mich, daß ich mir in meiner warmen, bequemen Bekleidung wie in einem Gefängnisse erschien.»[11] Sie sei als «anders», als exotisch und fremd wahrgenommen worden. Ihre Aussagen, sie sei anfangs immer noch von ihrer indischen Aya getragen worden und habe daher nicht richtig gehen können und es sei ihr unmöglich gewesen, gerade auf einem Stuhl zu sitzen, sind wohl auch als Chiffren dafür zu lesen, dass sie nicht «passte», als «unzivilisiert» und ungebildet galt, dass viele Blicke auf sie gerichtet waren und sie nicht genügen konnte.

Als Zehnjährige verließ Eliza die Familie Craigie. Lola vermutete in ihrer «Autobiography», dass ihre Eltern meinten, sie werde dort zu sehr verhätschelt und verwöhnt.[12] Sie wurde von der älteren Schwester ihres Stiefvaters, Mrs Catherine Rae, und deren Mann William nach England mitgenommen; das Paar eröffnete eine kleine Internatsschule in Durham. Solche Schulen waren von höchst unterschiedlicher Qualität. Meist wurde hier eine kleine Gruppe Mädchen zwischen zehn und 18 Jahren nach selbst erarbeiteten Lehrplänen unterrichtet; im Mittelpunkt stand der Erwerb von als weiblich angesehenen Fertigkeiten wie Handarbeiten, Zeichnen und Tanzen. Oft waren Mädchenpensionate erweiterte Familieneinrichtungen, die nicht mehr als sieben oder acht Mädchen beherbergten. Mädchenerziehung bedeutete in diesen Jahren auch meist Erziehung zum geltenden Weiblichkeitsbild, zu Anpassung und Unterwürfigkeit. Als weiblich galten Güte, Mitgefühl, Demut, Bescheidenheit, Sittlichkeit, Geduld, Feinfühligkeit und Takt. Darauf richtete sich dementsprechend die Erziehung.[13] Körperliche Züchtigung war Teil des Alltags, Rebellion wurde streng bestraft. Es gehörte zu den pädagogischen Glaubenssätzen der Zeit, dass man den starken Willen eines Kindes «brechen» müsse, bevor man ihn nach eigenen Vorstellungen wiederaufbauen könne.

Im zeitgenössischen Roman «Jane Eyre» von Charlotte Brontë wird die Ich-Erzählerin als Kind nach einem Temperamentsausbruch, mit dem sie sich gegen ungerechte Behandlung auflehnte, stundenlang allein in einen Raum eingesperrt, in dem vor vielen Jahren ihr Onkel gestorben war. Sie erlebt dort einen traumatischen Schrecken und fällt in eine tiefe Ohnmacht. Die Dienstboten beschuldigen sie, böse und hinterhältig zu sein, die Tante nennt sie lügnerisch und droht, Gott werde das Kind bei einem Wutanfall mit dem Tod bestrafen. Oliver Twist, der Held von Charles Dickens’ gleichnamigem Roman, wird im Armenhaus eine Woche im Kohlenkeller eingesperrt.[14] Ähnliche Bestrafungen erlebte Eliza. Ein Zeichenlehrer aus der Schule in Durham, J.G. Grant, schilderte das junge Mädchen: «Tatsächlich gaben die Heftigkeit und Halsstarrigkeit ihres Wesens ihrer gutmütigen, freundlichen Tante nur allzu häufig Anlaß zu schmerzlicher Besorgnis; ich erinnere mich, daß Eliza einmal erst aus ihrer Einzelhaft entlassen werden mußte, in der sie den ganzen vorherigen Tag wegen eines rebellischen Ausbruchs von Leidenschaft gehalten worden war, damit sie den Unterricht besuchen konnte. Die Tür wurde aufgeschlossen und heraus kam bereits eine kleine Lola Montez, die wie eine junge Tigerin aussah, die gerade von einer Höhle in die andere entkommen war.»[15] Nein, Eliza wurde nicht ohnmächtig in Einzelhaft wie Jane Eyre, doch diese Willensstärke galt als Makel. Der Zeichenlehrer beschrieb sie als anmutig und hübsch, ihr Charme sei jedoch beeinträchtigt worden «von einem Ausdruck von dreister Selbstgefälligkeit – ich würde fast sagen von hochmütiger Ungeniertheit […] in völliger Übereinstimmung mit dem Ausdruck ihres sonst schönen Antlitzes, nämlich dem des unbezähmbaren Eigenwillens – eine Eigenschaft, die sich, glaube ich, schon seit ihrer frühen Kindheit gezeigt hatte. Ihre Züge waren regelmäßig, konnten jedoch ihren Ausdruck rasch und stark verändern. Ihr Teint war orientalisch dunkel, aber durchscheinend klar, die Augen waren tiefblau und, wie ich mich genau erinnere, von außerordentlicher Schönheit, strahlten hell und gaben wenig Hinweis auf die sanften und zarten Gefühle ihres Geschlechts als vielmehr auf stürmischere und leidenschaftliche Erregungen»; man sei sehr schnell zu der Überzeugung gekommen, «daß sie sehr eigenwillig und schwierig war». Auch von der 1819 geborenen späteren Königin Victoria von England wird berichtet, dass sie als willensstark galt und als Kind gelegentlich Tobsuchtsanfälle hatte. Sie wurde vom Personal als «Miniaturherkules» bezeichnet.[16] Später vertraute sie ihrer ältesten Tochter an, sie habe eine unglückliche Jugend gehabt: Es fehlte ihr ein vertrauensvolles Verhältnis zur Mutter, sie hatte keine Brüder und Schwestern. Vor allem habe ihr aber ein «Auslauf für meine starken Gefühle und Zuneigungen» gefehlt. Das Problem bestand also für englische Mädchen aller Gesellschaftsschichten.

Ein temperamentvolles, phantasiebegabtes und eigenwilliges Kind wie Eliza, das sich bereits sehr früh auf sich allein gestellt sah und einen großen Selbstbehauptungswillen entwickelte, um nicht unterzugehen, passte nicht in den Rahmen konventioneller englischer Erziehung. Die Lehrer sahen sich im Einklang mit den zeitgenössischen Gesellschaftsentwürfen, wenn sie alles unterdrückten, was nach Rebellion oder Unangepasstheit aussah. Der Zeichenlehrer gab überdies, das zeigt die Namensnennung als «kleine Lola Montez» und nicht als Eliza Gilbert, sein Statement zu einem Zeitpunkt ab, zu dem aus Eliza schon die berüchtigte Lola Montez geworden war. Dies bestimmte sicher seine Erinnerung mit.

In strenger Verantwortung für Eliza. Generalmajor Sir Jasper Nicolls, Gemälde, um 1827

Eliza blieb nur ein Jahr in Durham. Als Hauptmann Craigies ehemaliger Kommandeur, Generalmajor Sir Jasper Nicolls, nach England zurückkehrte, bat ihn Craigie, für eine bessere Erziehung seiner Stieftochter zu sorgen: Nicolls, ein Offizier alter Schule, hatte selbst etliche Töchter. Als Mrs Rae und Eliza am 14. September 1832 bei ihm in Reading eintrafen, machte die elfjährige Eliza auf den strengen Mann keinen guten Eindruck. «Heute kam aus Durham Hauptmann Craigie’s Schwester mit Mrs C’s Tochter an, die wir, ihrer Bitte gemäß, in eine Schule geben sollten. Wenn das so weitergeht, werde ich eine hübsche Anzahl von Kindern haben, auf die ich aufpassen muss.»[17] In ihren Memoiren schrieb Lola Montez über ihn: «Der alte General mit seinen noblen und strengen Sitten imponierte durch seine stolze Kälte erwachsenen Personen, und flößte den kleinen Furcht ein. Seine Züge waren durch die Gewohnheit der Macht, welche er in seinen Händen gehabt, und die große Verantwortlichkeit, mit welcher sie ihn belastet hatte, sehr strenge geworden. Sein Aufenthalt in Indien, die Gewohnheit des Befehlens, die beständige Berührung mit dem eingebornen Militär hatten den General zu einem Haustyrannen gemacht.»[18] Sie habe, so Lola, bei ihrem Aufenthalt das ganze Haus auf den Kopf gestellt und «die Dienerschaft in eine wahre Revolution versetzt». Ihre vielen Mutwilligkeiten hätten den General dazu gebracht, «sogar den Mund zu öffnen und sich über mich zu erzürnen». In seinem Tagebuch schrieb Nicolls später von Elizas «Eitelkeit und Lügen», er prognostizierte diesem Mädchen keine gute Zukunft. Doch wie mit Patrick Craigie vereinbart, brachte er sie in einem vornehmen Internat in Bath unter.[19]

Englands starre Klassengesellschaft spiegelte sich in seinem Erziehungswesen:[20] Schulen waren Geldsache. Den Unterschichten standen nur rudimentäre Möglichkeiten zur Verfügung, die Analphabetenquote war vor allem bei den Frauen hoch. Eine Ausbildung erhielten Mädchen mit Blick auf ihre Rolle für die nächste Generation, galt doch die Erziehung durch die Mutter als wichtigster Faktor der kindlichen Sozialisation. Meist wurden Töchter der wohlhabenden Mittelschicht, die im früh industrialisierten Großbritannien entstanden war, ebenso wie Kinder der Oberschicht von Gouvernanten zu Hause erzogen oder eben in eines der vornehmen und anspruchsvolleren Pensionate, z.B. in Bath, gegeben.[21] Bath war dank seiner heißen Quellen bereits in der Antike bei den Römern beliebt und entwickelte sich seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts immer mehr zum mondänen englischen Kurort. Die Internate dort waren teuer, oft teurer als die Erziehung durch eine Gouvernante.[22] Ein Platz in einem dieser Mädchenpensionate in Bath kostete jährlich zwischen 70 und 80 Pfund. Patrick Craigie muss deutlich mehr für die Erziehung seiner Stieftochter aufgewendet haben; Nicolls schreibt in seinem Tagebuch, Elizas Ausbildung habe insgesamt rund 1000 Pfund gekostet.[23]

Die Aldridge Academy im vornehmen Camden Place (heute Camden Crescent), geführt von den Schwestern Eliza und Caroline Aldridge, bot auch tatsächlich mehr als andere Mädchenpensionate. Hier wurden 15 Internatsschülerinnen zwischen zehn und 18 Jahren unterrichtet.[24] Neben dem Kanon weiblicher Fertigkeiten gab es Unterricht in Sprachen, Latein und Französisch. Lola Montez berichtete in ihren Memoiren, dass den Mrs Aldrigde gelang, was vorher gescheitert war: «Ich war weniger wild, ich begann mich in eine Europäerin umzuwandeln. Ich zeigte mich wohlmeinenden Worten zugänglich und noch mehr den guten Beispielen.»[25] Zu den Usancen der Schule gehörte die Regel, dass die Schülerinnen unter der Woche nur Französisch miteinander sprechen durften. Wenn ihnen ein englisches Wort entschlüpfte, mussten sie dafür von ihrem Taschengeld Strafen zugunsten der Armen bezahlen. Nur sonntags war englische Konversation erlaubt. Lola betonte, dass sie zwar Fortschritte im Gehorsam gemacht habe, aber immer noch zu Regelverstößen neigte. «Mein Hang zu Neckereien, Possen und losen Streichen machten mich stets zur Anführerin aller Verschwörungen gegen das Reglement.» Als Strafe musste «eine alte Magd […] mit ihrem Lederriemen mir einige tüchtige Fuchtelhiebe aufzählen». Danach erfand sie neue Streiche. «Um diesen maurischen Charakter, welcher unbeugsam wie Eisen wurde, zu dämpfen, befahl Mistreß dem ganzen Hause mit der größten Strenge gegen mich zu verfahren.» Sie sei leidenschaftlich und wissensdurstig gewesen, stets in Bewegung und ausgelassen. Auch eine destruktive Seite erkannte sie selbst: Auf der Suche nach nicht Benennbarem habe sie zum Entsetzen ihrer sanften Freundin Fanny Nicolls, der jüngsten Tochter von Sir Jasper und nur ein Jahr älter als sie selbst, Spielzeug zertrümmert und Puppen den Körper und den Kopf aufgerissen. Sonntags gingen alle gemeinsam in die Kirche. Da knüpfte Eliza auch erste zarte Bande zu einem Jungen aus dem benachbarten Knabenpensionat: Sie sei damals zwölf gewesen, er 17 Jahre alt.

Elizas Schule Camden Place Nr. 4. Die Aldridge Academy im südenglischen Bath, Stahlstich von T.H. Shepherd, 1829

Die Schülerinnen kamen mit dem gesellschaftlichen Leben des Kurortes oder überhaupt mit der Außenwelt kaum in Berührung. Auch in den Memoiren steht nichts darüber. Lola gab an, dass sie die Ferien jeweils bei der Familie Nicolls verbrachte. Mrs Nicolls sei mit Fanny und Eliza sogar nach Paris gefahren. In Sir Jasper Nicolls’ Tagebüchern findet sich dafür jedoch keine Bestätigung.[26] Sie knüpfte mit ihren Pensionatsgenossinnen offenbar auch keine dauerhaften Freundschaften, auf die sie später hätte zurückgreifen können. Insgesamt scheint Eliza in der Aldrigde Academy aber trotz mancher Konflikte recht glücklich gewesen zu sein. Sie erhielt hier eine für ein Mädchen ihrer Zeit sehr gute Ausbildung, die ihr später noch zugutekommen sollte. Das galt für die Sprachen, vor allem für Französisch, sie lernte aber auch Literatur, Kunst und Philosophie kennen. Sticken und Klavierspielen blieben lebenslang ihre Hobbys. Lola Montez resümierte jedoch in ihren Memoiren, man habe sie zur Salondame erzogen, nicht zur Familienmutter, sie sei zu Eitelkeit und Luxus ermutigt worden. «Anstatt uns auf die Fallstricke der Welt aufmerksam zu machen, hatte man es vorgezogen, sie unter Blumen zu verbergen. Anstatt uns gegen den Feind zu bewaffnen, hatte man uns ihm schutzlos in die Hände geliefert.»[27]

Hier findet sich ein Bild, das bereits früh Elizas und dann auch Lolas Leben prägte: das Bild des Kampfes, für den man Waffen braucht. «Der Feind» ist an dieser Stelle nicht näher bestimmt: Ist es der Mann? Die Gesellschaft mit ihren als unangemessen empfundenen Forderungen? Wenn sie am Schluss ihrer Memoiren schrieb, sie habe «dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen»,[28] so war nicht zuletzt dieser Kampf gemeint.

Die Abschottung im Pensionat war jedenfalls fast komplett. Von den Spannungen, den politischen und sozialen Verwerfungen und dem Wandel im England dieser Zeit bekamen die Mädchen nichts mit. Die wachsenden Industriestädte griffen in ihre Umgebung aus, brach liegende Felder, Kuhställe, Dunghaufen und Schuttgruben bestimmten die Vorstädte; Fabriken, Werkstätten, Arbeitersiedlungen, Tavernen und Bäckereien drängten in die ländliche Umgebung und verwandelten ihr Gesicht. Ausgehend von Slums wie dem Londoner Jacob’s Island überzog 1832 die Cholera die Stadt. Charles Dickens schilderte das London der Kinderarbeit und der niederdrückenden Gefängnisse, von Schmutz und Elend.[29] Mit den ersten Eisenbahnlinien begann 1834 der Einbruch der Moderne, es entstanden Schienen, Bahnhöfe, Maschinenschuppen, Reparaturwerkstätten. Kaum eine Phase der britischen Geschichte war so aufgewühlt:[30] Die Arbeiterklasse wie die Mittelschicht verlangten einen fundamentalen Wandel. Es ging um Parlamentsreform und um politische Rechte. 1832 kam, begleitet von gewalttätigen Protesten, der erste Reform Act mit einer Wahlrechtsreform zustande, der die Zahl der Wähler immerhin auf 435.000 verdoppelte. Viele Konservative betrachteten diese Beteiligung der Mittelklasse an der Macht als Revolution, ihnen ging die Reform bereits viel zu weit. Doch die politische Spannung löste sich nicht mit dem Reform Act; dazu waren zu viele Wünsche offengeblieben. Gefordert wurde eine grundlegende Gesellschaftsreform: allgemeine und geheime Wahlen, ein nationales Erziehungssystem ohne finanzielle Barrieren, Aufhebung der diskriminierenden Armengesetzgebung, Rechtsreformen, die Abschaffung der Todesstrafe, der Sklaverei und der gewaltsamen Rekrutierung für das Militär.[31]

Im beschaulichen Bath war von all dem wenig zu sehen. Für die Internatsschülerinnen der gehobenen Mittelklasse waren traditionelle Lebensentwürfe vorgesehen. Als Eliza zur jungen Frau heranwuchs, versuchte Sir Nicolls, ihre Mutter in Indien für ihre Zukunft zu interessieren. Nachdem er sechs Briefe nach Indien geschrieben hatte, erhielt er endlich eine Antwort. Unter dem 14. Februar 1834 steht in seinem Tagebuch: «Schließlich haben wir doch von Mrs Craigie gehört, die sich vermutlich gezwungen sah, unsere zahlreichen Briefe zu beantworten […] Ich war sehr überrascht – und ziemlich verärgert – und irgendwie bereute ich es, so leichtfertig eine unangenehme und offensichtlich undankbare Aufgabe übernommen zu haben. Ich verglich sie mit einer Schildkröte, die ihre Eier nur leicht im Sand vergräbt und sie der Sonne und dem Schicksal überläßt.»[32]

In einem nächsten Schritt sollte für Eliza eine vorteilhafte Heirat arrangiert werden. Für Frauen der Mittel- und Oberschicht gab es keine erstrebenswerte Alternative zur Heirat, nur als verheiratete Frau konnte man einen Platz in der Gesellschaft einnehmen. Darauf war auch die Mädchenbildung ausgerichtet. Die englische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft kritisierte dies bereits Ende des 18. Jahrhunderts scharf: Diese Art der Ehe sei legale Prostitution.[33] Zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahmen nonkonformistische Reformer die Kritik an diesem System auf, an einem System, das Frauen von intellektueller und kultureller Tätigkeit ausschloss und ihnen alle Rechte nahm. In seinem Artikel «On the Condition of Women in England» geißelte William Bridges Adams im April 1833 in der nonkonformistischen Zeitung «Monthly Repository» die Situation in England: Englische Frauen seien mit wenigen Ausnahmen ebenso Sklavinnen wie türkische Haremsdamen. «Besteht die Erziehung von Frauen der höheren Klassen nicht fast ausschließlich aus dem, was als Fertigkeiten bezeichnet wird und wodurch die Aufmerksamkeit derjenigen Männer erregt werden soll, die als genügend reich oder adelig angesehen werden, um als Ehemänner in Frage zu kommen? Werden sie nicht sorgfältig belehrt, dass es bei der Heirat nicht um Liebe, Gefühl oder gesunden Menschenverstand geht, sondern dass es sich dabei um einen Kaufvertrag handelt, mit dem Ziel, so viel Wohlstand oder soziale Position oder beides zu erhandeln wie möglich? Der weibliche Rang oder die ‹Achtbarkeit›, wie es bezeichnet wird, nötigt die Frauen dazu, sich in ihrer Jugend einer Art gesetzlich abgesegneter Prostitution zu unterziehen.»[34] Ganz ähnliche Gedanken finden sich an verschiedenen Stellen in Lola Montez’ Memoiren. Sie legte dies einer Mrs Brown in den Mund, bei der ihre Mutter nach dem Tod des Vaters angeblich gewohnt hatte. Diese habe die Ehe als «goldene Sklaverei» und als «Geschäft» bezeichnet: «Die Ehe schien ihr nur dazu da zu sein, um die Frau in eine gute Lage zu versetzen.» Sie sagte, «daß die Männer heut zu Tage die Frauen nur wie Sachen, wie niedliche Kleinigkeiten betrachten, mit denen sie sich amüsieren und spielen».[35] Nach dem Ende der Schulzeit begann für die höheren Töchter normalerweise mit der «Einführung in die Gesellschaft» die Phase der Bälle und Gesellschaften, deren wichtigstes Ziel es war, einen potentiellen Ehemann zu finden und an sich zu binden. Eben dafür waren sie ja erzogen worden.

Im April 1937 kam Mrs Craigie nach einer anstrengenden Reise von fünf Monaten und elf Tagen in England an; ihm sei damit eine große Last abgenommen, schrieb Sir Jasper Nicolls.[36] Sie war eine Dame von Welt, 31 Jahre alt. Ihr Ziel war es, Eliza mit nach Indien zu nehmen und dort gut zu verheiraten. Von der Wiederbegegnung mit der Mutter, die sie seit über einem Jahrzehnt nicht gesehen hatte, überlieferte Lola in ihren Memoiren wiederum ihr Gefühl, der Mutter nicht genügen zu können. Mrs Craigie habe, als sie sie umarmen wollte, gerufen: «wie schlecht bist Du frisiert»![37] Das Verhältnis der beiden Frauen verschlechterte sich vollends, als Mrs Craigie ihrer Tochter mitteilte, es sei für sie die Heirat mit einem über 60-jährigen Mann geplant. In ihren Memoiren nennt Lola Montez als potentiellen Heiratskandidaten einen Sir Lumley. Es gab einen 64-jährigen Witwer namens Sir James Rutherford Lumley, Generaladjutant von Bengalen und Hauptmann Craigies Vorgesetzter; vielleicht stand aber auch einer seiner Söhne zur Debatte.[38]

Die 16-jährige Eliza war von dem Projekt entsetzt, sah aber zunächst keinen Ausweg. Der bot sich jedoch auf unerwartete Weise: Mrs Craigie hatte auf ihrer Reise einen 29-jährigen Offizier der Ostindienkompanie, der «Ehrenwerten Gesellschaft», kennengelernt, der aus Indien zur Genesung nach Hause fuhr, Leutnant Thomas James. Sie bat ihn, sie nach dem Besuch bei seiner Familie in Bath zu besuchen. Er kam, begleitete Mrs Craigie überallhin und begann bald, Elizas Sympathien zu gewinnen: «Seine Physiognomie war nicht unangenehm, er hatte eine mittelmäßige Taille, braunes, ziemlich schönes Haar, blaue Augen, eine niedrige, gedrückte Stirne.»[39] Eliza war in fast klösterlicher Abgeschlossenheit aufgewachsen und hatte bisher keine Männer außerhalb des Pensionats kennengelernt. Zunächst erschien ihr der fast doppelt so alte Leutnant viel zu alt, doch als er ihr anbot, sie vor dem ungeliebten Heiratsprojekt zu retten, stimmte sie einer Entführung zu. «Sie werden mich doch gewiß wie mein Vater lieben? fragte ich schluchzend. Statt aller Antwort küßte er mir die Hände, und entfernte sich. Am Abend hielt er Wort. Ein Wagen stand vor unserer Tür bereit. Wir fuhren zusammen fort. Und am anderen Morgen, dreißig Meilen hinter Bath war er schon nicht mehr mein Papa! – – – Das junge Mädchen […] war nicht mehr unschuldig. Sie erwachte von einer Schuld befleckt, welche sie weder gesucht, noch verstanden hatte.»[40]

Mit dieser Entführung begann die Geschichte, die aus einer wohlgebildeten höheren Tochter die Abenteurerin Lola Montez werden ließ. Lola nutzte in ihren Memoiren, die 15 Jahre nach diesem Geschehen geschrieben wurden, den Blick auf ihre beste Freundin Fanny Nicolls zur Reflexion über die unterschiedlichen Lebenswege: «Sonderbare Laune des Geschickes, welches jetzt zwei junge Mädchen trennt, die in denselben Grundsätzen, in denselben Ideen, in denselben Gegenständen erzogen worden sind. Das eine der beiden Mädchen ist der Laufbahn gefolgt, welche ihm sein milder Charakter, seine ruhige und zarte Natur vorgezeichnet. Sie ist der Devise einer wahrhaften Frau gefolgt, welche heißt: Lebe in Bescheidenheit! Sie ist jetzt eine sehr vornehme Dame in London. Umso mehr aber bin ich physisch und moralisch, ich weiß nicht durch welch ein unglückliches Verhängnis, umhergeworfen worden, und es ist Alles anders gekommen, als die trügerischen Illusionen, welchen wir uns so gerne anstatt der Wirklichkeit hingeben, mir versprochen hatten.»[41]

Mrs James

Ob sich Thomas James wirklich die Konsequenzen seines Handelns überlegt hatte, als er kurzerhand mit Eliza durchbrannte, ist zu bezweifeln. Die Entführung und Verführung einer 16-Jährigen aus gutem Hause war eine Verfehlung, die im puritanischen England unweigerlich zur gesellschaftlichen Ächtung führen musste. Eine nachfolgende Eheschließung konnte diese «Schande» nur bedingt bereinigen und Lola meinte später, er habe selbst diesen Schritt eher mit Rücksicht auf seine eigene Reputation als auf sie unternommen.[42] Elizas Name wurde auch während ihrer kurzen Ehe mit Thomas James immer mit diesem Verstoß gegen Sitte und Anstand verbunden. Sie galt dadurch nur noch bedingt als gesellschaftsfähig und auch ihre Familie war mitbetroffen. Ein Vergleich mit Romanen von Jane Austen macht dies deutlich: So scheint in «Pride and Prejudice», erstveröffentlicht 1813, das Durchbrennen der jüngsten Schwester Lydia Bennet mit einem mittellosen Offizier die Chancen ihrer älteren Schwestern auf vorteilhafte Heiraten zu ruinieren, und nur dank der großzügigen finanziellen Arrangements eines der beiden Zukünftigen, Mr Darcy, kann für Lydia eine Heirat zustande gebracht werden. Danach wird in Familie und Nachbarschaft lange darüber diskutiert, ob das nun getraute Paar in der Familie überhaupt noch einmal empfangen werden dürfe oder ob man dadurch nicht dem Laster Vorschub leiste. Schließlich schiebt die Familie die beiden in den Norden Englands ab, wo sie mehr oder weniger unglücklich miteinander werden: Auf so einer Grundlage könne eine Ehe nicht funktionieren, lautet die implizite Moral.[43]

Eine Heirat war also auch für Thomas James unabdingbar. Doch zunächst mussten er und Eliza Gilbert jemanden finden, der sie ohne die Zustimmung der Mutter und ohne Sondergenehmigung traute. In der Nähe von Dublin war Thomas James’ älterer Bruder anglikanischer Pfarrer. Die beiden Ausreißer segelten daher nach Irland und überredeten ihn, sie zu trauen. So wurde Eliza am 23. Juli 1837 in Rathbeggan nach anglikanischem Ritus, wenn auch ohne behördliche Erlaubnis, Mrs James. Danach quartierte sie sich mit ihrem Ehemann in Dublin ein.

Sir Jasper Nicolls kommentierte den Skandal in seinen Tagebüchern unter der Überschrift «Unglückselige Person Gilbert»: «Ich bin kein schlechter Prophet, wenn es darum geht, sich vorzustellen, was junge Leute aus ihrem Leben machen werden. Ich habe immer vorhergesagt, daß die ‹Eitelkeit und Lügen› von EG sie in Schande bringen würden – Sie hat sehr schlecht, wenn nicht noch schlechter angefangen, denn sie heiratete, nachdem sie die Schule im Juni verlassen hat, einen Offizier der Gesellschaft ohne einen Pfennig Geld, bereits nach zwei oder drei Wochen – Ihre Mutter, fürchte ich, ist daran nicht schuldlos – die 1800 oder 2000 Pfund, die für ihre Erziehung und die Reisen ihrer Mutter aufgewendet wurden, sind verloren.»[44] Hier wird das Konzept sehr deutlich: Die kostspielige Ausbildung sollte, wie es Bridges Adams vier Jahre zuvor angeprangert hatte, die Basis für eine vorteilhafte Heirat werden. Wenn diese nicht stattfand, war das Geld fehlinvestiert. Nicolls notierte im August weiter: «Wir haben nun von EGilbert von drei Quartieren gehört – alles sehr sehr unbefriedigend, sowohl was sie als auch ihren Ehemann angeht – dennoch, Mrs Craigie hat den jungen Mann eingeführt und muß die Konsequenzen, so gut sie kann, tragen – Sie bat Lady N durch Mrs Rae um Rat, und wir haben ihr gesagt, sie sollte zwar ihrer Tochter schreiben, aber sie nicht sofort wieder selbstgewiß werden lassen – noch sie sehen – Sie sind bereits voller Reue – aber ich fürchte, daß sie dadurch nur an Craigies Gelder kommen wollen, wovor wir sie gewarnt haben.»[45] Wie in Jane Austens Roman sollte das Paar für die «Schande», die es über sich und die Familie gebracht hatte, distanziert und bestraft werden. Die indirekte Anfrage der Mrs Craigie bei Lady Nicolls über ihre Schwägerin macht deutlich, dass auch die Mutter durch das Durchbrennen der Tochter an gesellschaftlichem Standing eingebüßt hatte und es daher nicht wagte, sich direkt an die Nicolls zu wenden. Drei Monate später resümierte Nicolls bitter die Angelegenheit: «Mrs Craigie beabsichtigt, da sie durch die Betrügereien ihres törichten Kindes all ihre innere Ruhe verloren hat & von Craigie ermutigt worden ist, in wenigen Tagen wieder nach Kalkutta zurückzukehren. Sie muß wegen vielem bedauert werden – ein freundlicher Stiefvater hat 1000 Pfund an die Erziehung des Kindes verschwendet & das niederträchtige undankbare Balg hat alles an den erstbesten Mann, den sie traf, weggeworfen – Der Tag ihrer Bestrafung wird sicher – aufgrund ihrer Falschheit & Betrügerei und der ihres Ehemannes – nicht auf sich warten lassen.»[46] Verständnis oder Hilfe konnte man von diesem typischen Vertreter der besseren englischen Gesellschaft nicht erwarten.

Als Nächstes sollte Eliza der Familie ihres Angetrauten vorgestellt werden. Der Schwiegervater lebte im Familiensitz Ballycrystal in der irischen Grafschaft Wexford, 130 Kilometer südlich von Dublin. Er war durch den Leinenhandel vermögend geworden und hatte mehrere Ämter inne, so als Magistrat und als Mitglied der «Grand Jury» in Wexford. Er war Witwer und gehörte dem niederen protestantischen Adel an.[47] Die Familie bestand aus drei Töchtern und vier Söhnen. Nur mit der jüngsten Tochter verstand sich Eliza gut, mit den anderen und ihren Ehepartnern konnte sie wenig anfangen. Der bis ins Letzte geregelte Lebensrhythmus in diesem irischen Landhaus zwischen Jagd, Essen und Teestunde war der lebenshungrigen 16-Jährigen bald tief zuwider.[48] Auch ihr Ehemann erwies sich als ein Fehlgriff: Er begann sie zu misshandeln, wenn er schlecht gelaunt war, und er langweilte sie: «Ich träumte wohl zuweilen, ich wünschte nichts sehnlicher, als noch einmal entführt zu werden, aber nicht durch einen provisorischen Ehemann, sondern durch einen glücklichen Zufall, welcher mich gerettet hätte von der tödlichen Einförmigkeit eines sich ewig wiederholenden Lebens, vor diesem kalten englischen Gesichte, auf welchem sich niemals das Geringste von dem zeigte, was anzieht, was die trüben Wolken am Ehehimmel scheucht; kein Lächeln, keine zärtliche Miene, kein liebendes Wort, nichts von jenen kleinen Mitteln endlich, welche das sich nach Ausfüllung sehnende Herz von Abwegen zurückhält.» Als das Paar nach Dublin zurückkehrte und sich dort wieder in der Westmoreland Street einquartierte, verbesserte sich die Situation: Eliza konnte nun Gäste einladen und ihrerseits Gesellschaften besuchen.[49] In der Stadt waren die Eheleute auch nicht in gleicher Weise aufeinander angewiesen wie auf dem Land.

Im Rückblick von 1858 schrieb Lola in ihrer «Autobiography»: «Über die Flucht vor einer Heirat mit einem geisterhaften und gichtigen Alten verlor das Kind die Mutter und gewann etwas, was sich nur als die äußere Hülle eines Ehemannes erwies, der weder einen Verstand hatte, den sie hätte respektieren können, noch ein Herz, das sie lieben konnte. Durchgebrannte Paare enden wie durchgebrannte Pferde fast sicher in einem Zusammenbruch. Mein Rat an alle jungen Mädchen, die über so etwas nachdenken, lautet, sie sollen sich lieber, eine Stunde bevor es losgeht, aufhängen oder ertränken.»[50]

Über kurz oder lang musste Thomas James wieder nach Indien zu seinem Regiment zurückkehren. Am 18. September schifften sich Mr und Mrs James in Liverpool an Bord der «Bland» mit Ziel Kalkutta ein.[51] Die Reise war lang und langweilig, der Ehemann verbrachte seine Zeit «zwischen Porterflaschen und Schlaf». «Er trank wie ein Deutscher und schlief wie ein Bär. Er wurde launisch, störrisch, tyrannisch; ich muß jedoch frei bekennen, daß es mir nicht einmal aufgefallen sein würde, hätten mich die Frauen nicht darauf aufmerksam gemacht. Ich bemerkte wohl, daß er mißlaunig und langweilig war, aber ich glaubte, daß die Ehemänner alle so wären.»[52] Immerhin gab es Gesellschaft an Bord, Tanz, Musik und Geselligkeit. Es war, schrieb Lola, eine Salongesellschaft wie in London oder Paris, mit Flirt und Geheimnissen. Hier erprobte die bildschöne junge Frau auch erstmals ihre Anziehungskraft auf das andere Geschlecht. Glaubt man ihren Memoiren, so wurde sie auf dem Schiff von mehreren Männern umschwärmt. Bereits während des Aufenthalts in Dublin hatte sie erste Erfahrungen gesammelt. Noch war es wohl ein unschuldiges Spiel aus Langeweile und Enttäuschung. Sie schrieb, an Bord von mehreren Männern Liebesbriefchen erhalten zu haben: «Mögen doch die Frauen, wenn ihnen so närrische Käuze, welche ihnen dergleichen zärtliches Zeug schreiben, nahe sind, einen Riegel vor ihr Herz legen und ihre Türe verbarrikadieren!»[53]

Am 25. Januar 1839 gingen die Passagiere in Kalkutta von Bord. Lola Montez beschrieb in ihren Memoiren eindrucksvoll die Menschen und die Vegetation, die exotischen Tiere, die Musik. Sie berichtete auch, dass sie Bälle und Gesellschaften besuchte, wie sie hofiert wurde, sich verliebte und vielleicht auch bereits die Grenzen zur Untreue überschritt und wie der «böse Leumund […] mit seiner giftigen Zunge» sie angriff: «Eine junge Frau, welche das Unglück hat, schön und gesucht zu sein, hat in der Regel zwei schlimme Feinde, welche sie erbittert verfolgen. Es sind die Männer, welchen es nicht gelingt, ihr Fallstricke zu legen. Es sind die Mädchen, welchen es nicht gelingt, Männer zu finden.»[54] Es waren aber auch die Damen der Gesellschaft, die sofort zu reden begannen, wenn die schöne junge Frau mehr als einmal mit einem Mann tanzte. Lola Montez stellte in ihren Memoiren zwei erfahrene Frauen, ihre Ratschläge und ihr Vorbild einander gegenüber, die sich wie zwei Teile ihrer eigenen Seele lesen lassen. Die eine betrachtete den Ball als freundliche Zerstreuung und antwortete Eliza, die bekannte, dass der Ball sie fieberhaft aufrege: So sei das, wenn eine Frau mehr Eitelkeit als Vernunft besitze. Die andere war eine schöne junge Gattin, die ihren alten Mann höchst diskret betrog und aus dem Ball verschwand, um sich mit ihrem Liebhaber zu treffen. Lola resümierte: «Es mag der Eitelkeit der Männer wenig zusagen, aber es ist wahr, Rath und Beispiel sind die größten Verführer.»

Leutnant James musste bald zu seinem Regiment aufbrechen, das in Karnal stationiert war, 1600 Kilometer von Kalkutta entfernt. Auf der Reise, die zunächst den Ganges aufwärts führte, stritt sich das Ehepaar ständig. Thomas James hatte in ein Buch all die Verfehlungen eingetragen, die er Eliza vorhielt, sie entriss ihm das Buch. «Wir warfen nun die constitutionellen Formen bei Seite und der Bürgerkrieg schlug in helle Flammen auf.»[55] Die Weiterreise von Bernares aus, das Eliza sehr beeindruckte, legten die beiden in unterschiedlichen Sänften, von Parias getragenen Palankins, zurück.

Die Garnison von Karnal, 115 Kilometer nördlich des heutigen Neu-Delhi auf der östlichen Haryana-Ebene gelegen, war ein kleiner, heißer und staubiger Ort ganz in der Nähe eines malariaverseuchten Feuchtgebiets; sie musste daher einige Jahre später aufgegeben werden und vermutlich hat sich Eliza hier mit der Malaria infiziert, die sie ein Leben lang begleiten sollte.[56] Die Gesellschaft bestand aus einigen Offizieren mit ihren Frauen, mit denen sich Eliza anfreundete. Im September fuhr sie auf Einladung ihrer Mutter in den beliebten kühleren Kurort Simla. Dort traf sie auf Emily Eden, die Schwester von George Eden, Lord of Auckland, Generalgouverneur von Bengalen. Emily Eden schrieb ihrer Mutter und ihrer Schwester am 8. September 1839: «Simla ist im Augenblick in Aufregung über die Ankunft einer Mrs J.[ames], von der es schon das ganze Jahr über hieß, sie sei eine große Schönheit. Dies beunruhigt jede andere Frau, die in dieser Hinsicht selbst Ehrgeiz entwickelt, sehr. […] Mrs J. ist die Tochter einer Mrs C[raigie], noch immer selbst sehr hübsch, deren Ehemann stellvertretender Generaladjutant oder eine vergleichbare militärische Autorität ist. Sie hat ihr einziges Kind zur Erziehung nach Hause geschickt und fuhr vor zwei Jahren selbst in die Heimat, um sie zu sehen. Im selben Schiff reiste auch Mr J., ein armer Fähnrich, der zur Erholung nach Hause unterwegs war. Mrs C. pflegte ihn und kümmerte sich um ihn, und schließlich nahm sie ihn zu ihrer Tochter mit, einem 15-jährigen Schulmädchen. Er erzählte ihr, er sei verlobt, befragte sie über seine beruflichen Aussichten und heiratete in der Zwischenzeit heimlich dieses Schulmädchen. Das war wirklich genug, um jede Mutter zu reizen, aber da es jetzt nicht mehr geändert werden kann, haben wir alle das ganze letzte Jahr sie davon zu überzeugen versucht, sich damit abzufinden, da sie sich schrecklich über ihr einziges Kind aufregt. Sie hat dagegen bis jetzt Widerstand geleistet, aber schließlich stimmte sie zu, sie für einen Monat einzuladen, und sie kamen vor drei Tagen. Der Auflauf auf der Straße war bemerkenswert und eine oder zwei der Ladys waren sehr aufgeregt. […] Mrs J. sah wunderhübsch aus und Mrs C. hat ihr eine sehr vornehme Sänfte besorgt, mit Trägern in feinen orangefarbenen und braunen Livreen, das Gleiche auch für sich selbst; und Mr J. ist ein gut aussehender Mann mit hellen Westen, weißen Zähnen und einem auffälligen Pferd. Er ritt neben der Sänfte in einer Haltung respektvoller Aufmerksamkeit für seine ‹Belle mère›. Alles zusammen war ein eindrucksvoller Anblick, und ich sehe keinen anderen Ausweg als großmütige Bewunderung. Sie besuchten uns gestern, als ich bei den Wasserfällen war, und F. hält sie für sehr hübsch.»[57]

In ihren Memoiren beschrieb Lola die erste Wiederbegegnung mit ihrer Mutter nach ihrer Heirat: Die Mutter habe sie freundschaftlich, aber etwas kalt aufgenommen. Sie trauerte immer noch der geplanten Heirat mit dem älteren Herrn nach und bezeichnete es als lächerlich, dass Eliza einen vermögenslosen Mann geheiratet hatte, den sie nicht einmal liebte.[58] Ganz ähnlich sah dies Emily Eden: «Dienstag, 10. September. Wir hatten gestern ein Dinner. Mrs J. ist unzweifelhaft sehr hübsch und so ein fröhliches und ungekünsteltes Mädchen. Sie ist jetzt erst 17 und sieht jünger aus, und wenn man daran denkt, dass sie an einen Junior-Leutnant der Indischen Armee verheiratet ist, 15 Jahre älter als sie, und dass sie 160 Rupien im Monat haben und ihr ganzes Leben in Indien verbringen müssen, so wundere ich mich nicht über Mrs C.s Ärger darüber, dass sie von der Schule weggelaufen ist.»[59]

Die Bewertung dieser «unklugen» Heirat war bei beiden Damen gleich: Es ging vor allem um die finanziellen Möglichkeiten des Bräutigams. Hätte Mr James ein Vermögen besessen, wäre Eliza vermutlich alles verziehen worden. Ziel der Eheschließung war für diese Damen der Gesellschaft eben jener günstige Geschäftsabschluss, den William Bridges Adams so heftig kritisiert hatte.[60]

Am 13. November traf Emily Eden Eliza noch einmal in Karnal: «Wir waren am Abend zu Hause und es gab eine riesige Party, aber außer der hübschen Mrs James, die in Simla war und wie ein Stern unter den anderen wirkte, waren die Frauen alle hässlich.»[61] Emily Eden nahm großen Anteil an Eliza James und ihrem Schicksal. Nachdem sie Karnal verlassen hatte, schrieb sie am 17. November: «Die kleine Mrs J. war so unglücklich über unsere Abreise, dass wir sie einluden, den Tag mit uns zu verbringen, und sie hierher mitnahmen. Sie ging von Zelt zu Zelt, plauderte den ganzen Tag und besuchte ihre Freundin Mrs–, die mit im Camp ist. Ich gab ihr ein pinkfarbenes Seidenkleid und es war alles in allem offensichtlich ein glücklicher Tag für sie. Er endete mit ihrer Rückreise nach Karnal auf meinem Elefanten, E. N. saß neben ihr und Mr J. hinter ihr. Sie hatte vorher noch nie auf einem Elefanten gesessen und fand das wunderbar.» Prophetisch wirken ihre Überlegungen zu Elizas Zukunft: «Sie ist sehr hübsch und ein gutes kleines Ding, offenbar, doch sie sind sehr arm und sie ist sehr jung und lebhaft, und wenn sie in schlechte Hände fällt, wird sie sich bald in verrückte Klemmen bringen. Im Augenblick sind Mann und Frau einander noch sehr zugetan, aber ein Mädchen, das mit 15 heiratet, weiß kaum, was ihr gefällt.»[62]

Das Ende einer Ehe

Leutnant James wurde im Februar 1840 befördert und war fortan in der Garnison Bareilly für die Rekrutierung und Ausbildung von Indern für das Eingeborenenregiment zuständig. Die Ehe von Mr und Mrs James hatte sich jedoch immer weiter verschlechtert. Was der letzte Auslöser der Trennung war, ist nicht mehr herauszufinden, doch es wird vermutet, dass Thomas James seine Frau körperlich missbrauchte.[63] Die inzwischen 19-jährige Eliza verließ ihren Mann und unternahm erneut die über 1200 Kilometer lange Reise nach Kalkutta zu Mutter und Stiefvater.