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Ein Kind auf der Suche nach Wärme und Geborgenheit. Dabei leidet es sein ganzes Leben lang an dem, was in Kindheit und Jugend versäumt wurde. Das Buch soll zeigen, dass Kinder ohne Hilfe kaum eine Chance im Leben haben.
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Seitenzahl: 344
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Vorwort
Prolog
Eine Kindheit
Die wilden Jahre
Vorwort
Ich bin als drittes von elf Kindern in erbärmlichen, asozialen Verhältnissen aufgewachsen. Mit dreizehn Jahren kam ich in ein Kinderheim, mit neunzehn Jahren ins Gefängnis, und mit einundzwanzig Jahren bin ich nach West-Berlin gezogen.
Bis dahin habe ich immer wieder Misshandlungen, auch Missbrauch und Verachtung ertragen müssen. In mir wuchs in diesen Jahren der Hass auf die Gesellschaft, der ich große Mitschuld an meiner Entwicklung gab. Gleichwohl habe ich versucht, aus eigener Kraft diesem Elend zu entkommen. Ich wollte beweisen, dass man vieles schaffen kann, wenn man nur will. Einige Jahre versuchte ich es, hatte Pläne und setzte davon auch einige um. Aber die Narben der Kindheit brachen immer wieder auf. Das äußerte sich in Brutalität, Alkoholismus, Sexsucht, Depressionen und Selbstmordversuchen.
Meine Aufzeichnungen unter dem Titel „Ich habe noch gar nicht gelebt“ sollten eigentlich in drei Teilen bis in die Gegenwart führen:
Eine Kindheit,
Die wilden Jahre
Die Depression
Für den dritten Teil hatte ich dann nicht mehr die Kraft. Es war für mich aktuell zu belastend, in meiner eigenen Vergangenheit zu wühlen. Deswegen gibt es jetzt (erst einmal?) nur die ersten beiden Teile. Inzwischen bin ich 69 Jahre alt, beziehe eine Rente und lebe mit zwei Katzen zum großen Teil in der Vergangenheit. Das Schreiben hat mir (noch?) nicht geholfen, meine Erlebnisse zu verkraften. Vielmehr leide ich ohne Ende, wenn ich mich mit meinen Erinnerungen beschäftige.
Und doch bin ich ein wenig stolz darauf, dass ich, als ehemaliges Heimkind, nach der 6. Klasse aus der Schule entlassen, heute ohne fremde Hilfe und mit Zwei-Finger-Such-System das Manuskript zu diesem Buch zustande gebracht habe.
Möge die Geschichte von ROBERT STREBEL den Leserinnen und Lesern einen Einblick in die Erlebnisse und mühseligen Verarbeitungsversuche eines ehemaligen Heimzöglings geben und helfen, ihn (und mich) besser zu verstehen.
Jürgen Stahnke, 2019
Prolog
Robert träumte wieder von „ihr“, sie lagen im Bett und liebten sich, und Simone schaute ihm dabei tief in die Augen. „Nie mehr will ich mit einem anderen schlafen, nie wieder einen anderen lieben, nur dich, denn du bist die Liebe meines Lebens!“. Er hat ihre Stimme noch im Ohr, als er erwacht. Wie viele Jahre ist das alles schon her, als er zum letzten Mal verliebt und glücklich war?
Zickchen kuschelt dicht an ihm, und das ganze Elend türmt sich wie ein riesiger Berg vor ihm auf. Wie lange wird das Kätzchen noch bei ihm sein? Und Frederik, der Kater? Werden sie vor ihm sterben, oder setzt er seinem Leben zuvor ein Ende? Aber wer wird sich dann um seine Lieblinge kümmern?
Der Tinnitus macht ihn noch wahnsinnig, es rauscht und pfeift und dröhnt in seinem Schädel, als hätte man Lautsprecher neben seinen Ohren auf volle Lautstärke gestellt. Und diese unerträglichen Kopfschmerzen, Robert ist verzweifelt, alles ist so hoffnungslos, so sinnlos, seine Blase drückt, er müsste aufs Klo, aber es fällt ihm schwer, aus dem Bett zu steigen. Wäre es nicht schön, einfach weiter zu schlafen und nie mehr zu erwachen? Die Tränen laufen über sein Gesicht, diese Scheißdepression, er kriegt das einfach nicht in den Griff und dann die Schmerzen in den Gelenken, ist das die Strafe für seinen Lebenswandel? Keiner ist da, um ihm zuzuhören, mit ihm zu sprechen.
Neulich kam es auch wieder so über ihn, Angst, Panik, er wird nicht gebraucht, ist zu nichts mehr nütze, niemand liebt ihn, er möchte sterben, und will doch leben! Mit aller Kraft zwingt er sich in die Arztpraxis, weint und jammert vor sich hin, bittet um Hilfe. Die Psychiaterin kennt Robert und seine Geschichte schon einige Jahre, sie spritzt ihm ein Beruhigungsmittel, dann verordnet sie ihm wieder Psychopharmaka. "Herr Strebel, mehr kann ich für sie nicht tun, Sie müssen das alleine schaffen, und wenn Sie sich umbringen wollen, bitte, ich kann Ihnen nicht mehr helfen, niemand kann Ihnen helfen!“
Wieder zuhause legt er sich ins Bett und schläft ein. Am Abend geht es ihm etwas besser, er grübelt vor sich hin, denkt an die zurückliegenden Jahre. Immer wieder kommen die Fragen, "warum bin ich so, warum muss ich leiden, warum will ich sterben? Ist dies alles das Erbe meiner Eltern?“ Die Ärztin hat mal zu ihm gesagt, "Ihre Probleme haben vermutlich ihren Ursprung in der Kindheit, vielleicht würde es Ihnen helfen, wenn Sie darüber schreiben. Ihre Erlebnisse würden sicher ausreichen, um ein dickes Buch zu füllen, versuchen Sie es doch einmal, ich traue es Ihnen zu!“
Robert hatte schon vorher alle paar Jahre einige Blätter geschrieben und wieder beiseitegelegt, denn oft war die Erinnerung so schlimm, dass er es einfach nicht mehr ertragen konnte, so stark und heftig kamen die Gefühle über ihn ("die Geister die ich rief, ich werde sie nicht mehr los").
Jetzt, nach zwanzig Jahren, will er sein Buch fertigstellen. Er weiß ja nicht, wie lange er noch zu leben hat. Vielleicht, wenn er Glück hat, sind es noch zehn, zwölf Jahre. "Ja, denkt er, warum eigentlich nicht, denn ich habe noch gar nicht gelebt!"
Eine Kindheit
Wenn Robert an etwas Angenehmes in seiner Kindheit denkt, so fällt ihm nur Ostern ein. Dann sieht er eine grüne Wiese vor sich und riecht den Duft des Grases und der blühenden Bäume. Unter einem Busch findet er ein Nest, in dem ein Hase aus Schokolade sitzt, umgeben von bunten Ostereiern.
Es bleibt die einzige, schöne Erinnerung an seinen Vater!
Die Geschichte beginnt in einem kleinen Dorf, einige Kilometer von der nächsten Stadt entfernt, dieses wollen wir “Adorf“ nennen:
Der zwölfjährige Robert lungert schon stundenlang im Dorf herum. Er ist klein, schmächtig und unterernährt. Hunger und Kälte machen ihm arg zu schaffen, aber die Angst vor seinem Vater ist noch viel stärker.
Langsam wird es Abend, die Dunkelheit ist sein Freund, nun kann er sich vorsichtig an das Haus heranschleichen, in dem sie wohnen. Es ist das Gemeindehaus, zweigeschossig, links und rechts gesäumt von einem gleich großen Haus, in dem jeweils ein Lehrer aus der Dorfschule mit seiner Familie wohnt. Auf dem kleinen Vorplatz steht ein großer Baum, eine Eiche. Vier große Sandsteine schließen ihn zur Straße hin ab. Robert lebt dort mit den Eltern und sechs Geschwistern im Erdgeschoß. Zwei unbeheizte Räume zum Schlafen, sowie eine Küche, in der sich das “Leben“ abspielt.
Miete zahlen sie schon lange nicht mehr. Der Vater ist oft arbeitslos, was aber auch daran liegt, dass er ein Säufer ist und ein notorischer Faulpelz. Vorgestern z.B. bekam er einen Job als Bauhelfer, nur einen Tag später ließ er sich einen Vorschuss geben, und heute hatte er schon keine Lust mehr zum Arbeiten.
Als Robert an diesem Tag von der Schule kam, ahnte er Übles. Voller Hoffnung auf ein warmes Mittagessen kam er zur Türe herein, als der Alte schon schrie, “du verfluchtes Bankert, wo kommst du jetzt erst her? Sofort gehst du los, zu den Bauern und holst etwas zu trinken, und wage es nicht, ohne Wein zurück zu kommen“. Mit diesen Worten ging der Vater, ein kräftiger untersetzter Mann, auf den Jungen los, riss ihm den Ranzen aus den Händen und trat ihm mit voller Wucht so in den Hintern, dass er fast zu Boden stürzte. “Hoffentlich ist die Narbe am After nicht wieder aufgeplatzt“, denkt Robert.
Sein Vater hatte ihm vor einigen Wochen in einem Wutanfall so zwischen die Pobacken getreten, dass der Darmausgang eingerissen war. Auf dem Küchentisch liegend wurde die Wunde vom Dorfarzt genäht. “Ich werde Sie ins Zuchthaus bringen, wenn Sie nicht aufhören, den Jungen zu misshandeln“, sagte der Arzt. Aber wirklich geändert hat sich doch nichts. Der Alte hat geweint und Robert versprochen, ihn nicht mehr zu schlagen, aber nach ein paar Tagen war alles wieder wie sonst auch.
So schnell er konnte, rannte Robert aus dem Haus und die Straße hinunter zum Bach, um sich erstmal zu beruhigen. Bei den Bauern würde er abends um Wein betteln, jetzt um die Mittagszeit waren alle, die arbeiten konnten, auf den Feldern. Der Alte tobt, “drei Stunden ist der faule Hund schon weg, na warte, wenn der wieder heimkommt, der kann was erleben, wo ist denn der Bettpisser?“, er meint die jüngere Schwester Rosie, die nachts immer noch einnässt. “Hier Papa, hier bin ich“, leise kommt die Stimme von Rosie aus der Ecke. Der Alte stiert sie wütend an und schreit: “Geh los und suche den Drecksack, sage ihm, ohne Wein braucht er nicht mehr heimzukommen“!
Rosie verlässt ganz schnell die Wohnung, sie kann sich denken, wo ihr Bruder ist. Sie halten zusammen, der Junge und das Mädchen, einer hilft dem anderen. Auch bei Erfahrungen im Gebüsch oder im Strohhaufen, wenn Robert Doktor spielen will, sie ist die Kranke, und er fummelt da unten an ihr herum. Bis zum Bahnhof - er liegt am oberen Dorf Ende, gleich dahinter beginnt ein kleines Wäldchen - läuft sie ohne Unterbrechung. In der Schule sagt man, sie hätte Chancen in der Leichtathletik, aber Vater verbietet jede Art von sportlichen Aktivitäten. “Was brauchen die Sport, die sollen arbeiten, damit sie was zum Fressen haben!“
Im Bahnhofsgebäude wohnt auch eine kinderreiche Familie, manchmal treffen sie sich mit den beiden älteren, rothaarigen Schwestern zum Herumtoben im Wald, die machen auch bei den Doktorspielen mit, aber heute ist Robert nicht da. “Vielleicht ist er in seiner Höhle im Wald“, denkt Rosie, “oder soll ich doch besser zum ‚Fluss‘ (ein kleiner Bach) gehen? Aber das ist ja wieder am anderen Ende vom Dorf.“
Robert ist gerne am ‚Fluss‘, hier trafen sich überwiegend die Kinder vom Dorf, oft spielten sie Trapper und Indianer, aber meistens nur die Armen, die Kinder der Reichen durften nicht mit ihnen spielen, für die waren sie asozial. In der Schule hatten sie schon mal Winnetou gelesen. Das war ein Held! So wollte er auch sein, groß und stark, niemand könnte ihm mehr wehtun, alle hätten Angst vor ihm. Bestimmt würde ihn auch die Tochter vom Sportlehrer gernhaben, die ihn jetzt nicht will, weil er so arm und schmutzig ist.
Langsam schlendert er am Wasser entlang, manchmal kann man einen kleinen Fisch sehen oder eine Wasserratte, richtig friedlich ist es hier. “Was mache ich bloß bis heute Abend?“, sinniert er vor sich hin. Vielleicht wäre es besser, ins Dorf zu gehen, zu Klaus, seinem älteren Freund, der hat immer die neuesten Tarzan- und Sigurd-Hefte. Klaus ist auch aus armen Verhältnissen, aber die Mutter arbeitet täglich bei den Bauern und ernährt ihn und seine vier Geschwister. Ihnen geht es besser als Roberts Familie, sie müssen nicht hungern. Sein Vater, der “Schorsch” treibt sich als Säufer im Dorf herum, wenn er nicht gerade mal wieder im Gefängnis sitzt, weil er keinen Unterhalt zahlt für Frau und Kinder.
Voriges Jahr hatte Roberts Vater eine kleine Hündin gekauft, einen Spitz, der Schorsch hat sie manchmal geholt zum Spazieren gehen. Einmal hat er sie über Nacht bei sich im Schuppen gehalten, wo er hauste. Am nächsten Tag lief das Hündchen schwer mit weit gespreizten Hinterbeinen. Seitdem sagt sein Vater immer, wenn er betrunken ist, “Hundeficker“ zu ihm.
Es ist früh Herbst geworden, die Bäume verlieren schon ihr Laub, und wenn die Sonne weg ist, denkt man an den Winter. So ungemütlich ist es. Auf dem Weg ins Dorf trifft Robert kaum auf Menschen. Seine Mutter ist auch im Feld bei der Kartoffelernte, bestimmt ist sie voller Sorge, was der Alte wieder mit den Kindern anstellt. Sie hat in letzter Zeit oft bereut, ihn geheiratet zu haben - Robert hat ein Gespräch mitgehört, das sie mit einer Tante geführt hatte - aber wer hätte sie denn genommen, mit den zwei unehelichen Kindern? Und schon wieder ist ihr Bauch angeschwollen!
Auf der Hauptstraße sieht er Fritz Arnold, der mit dem Traktor, samt Anhänger, vollgeladen mit Kartoffeln nach Hause kommt. Er ist der einzige Sohn vom Bauern, bei dem auch Robert oft arbeitet. Diese Leute behandeln ihn gut, er geht gerne zu ihnen. Über den Sohn wird gemunkelt, er wäre nicht ganz richtig im Kopf. Er ist anders als die Jungen im Dorf, schon über zwanzig Jahre alt, und hat noch keine Freundin. Außerdem geht er in der großen Stadt ins Theater und er hört Operetten!
„Vielleicht gibt er mir eine Flasche Wein“, denkt Robert und öffnet das Tor zum Bauernhof. Er kommt aber nicht weit, weil Harras, der Schäferhund, frei umherläuft. Der Hund ist sehr bissig, schnell schließt Robert das Tor und macht sich davon.
Rosie geht langsam heim, sie konnte ihren Bruder nicht finden. “Hoffentlich lässt der Vater seine Wut nicht an mir aus“, denkt sie, “er ist ja unberechenbar, wenn er nichts zu saufen hat. “Auf dem Platz vor dem Haus stehen einige Leute an den Ecksteinen herum und genießen den Feierabend. Es sind alles Verwandte von ihr, aber schon was “Besseres”, vor allem haben sie Arbeit und Essen.
Eine Tante hat sogar einen Fernseher! Sie wohnen alle im Gemeindehaus, insgesamt sechs Familien. Die einzelnen Wohnungen sind sehr klein, jeder Haushalt verfügt über einen Wasseranschluss, aber nicht alle haben einen Abfluss. Zwei Plumpsklos auf dem Hof für alle, sowie ein Misthaufen, auf dem morgens die Nacht-Eimer entleert werden. Und dann gibt es noch hinter der Scheune ein kleines Gärtchen, wo der Vater ein Schwein hält und Stallhasen. Robert und Rosie sind für die Tiere verantwortlich, sie müssen Futter besorgen, was oft genug von den Feldern der Bauern stammt und mehrfache, harte Bestrafung nach sich zieht, wenn sie erwischt werden: vom Bauern, vom Vater, vom Lehrer und manchmal auch vom Pfarrer. Trotzdem freuen sich alle auf den Tag, wenn geschlachtet wird, dann gibt es endlich wieder Fleisch und Wurst zu essen. Aber sehr oft verkauft Vater das Schwein und die Hasen und versäuft das Geld, dann ist “Schmalhans“ wieder Küchenmeister.
Als sie die Treppe zur Wohnung hochgeht, hört sie schon Palaver und Gegröle, also hat der Alte Besuch, das ist gut, da hält er sich etwas zurück. Rosie öffnet die Küchentür und tritt ein. Der Schorsch, dieser Taugenichts, ist zu Besuch und hat etwas zum Saufen mitgebracht. Sie mag ihn nicht, er tatscht oft an ihr herum oder macht heimlich mit den Fingern und Daumen ein Zeichen, sie weiß was er von ihr will. Und dabei grinst er noch so schmierig. “Papa, ich habe den Robert nicht gefunden, ich gehe jetzt in den Stall und füttere die Tiere“, so ruft sie und macht sich davon, noch bevor er etwas sagen kann.
Robert trifft auf dem Marktplatz einen Schulfreund, sein Ulkname ist “Spitzer”, ein gutmütiger etwas einfältiger Junge, der oft mit ihm zusammen ist. Er hat Respekt vor Robert, der zwar klein und schmächtig ist, der aber keine Angst kennt unter seinesgleichen. Sie trotten gelangweilt aus dem Dorf in die Weinberge, Spitzer hat Zigaretten dabei, die wollen sie paffen. Die Weinlese war prächtig, es würde ein guter Wein werden, sagten die “Alten”. “Am Wochenende werden wir wieder stoppeln müssen“, denkt Robert. Stoppeln bedeutet, dass man nach der Weinlese, wenn die Weinberge offen, d.h. von jedermann zu betreten sind, nachsieht, ob noch irgendwo Trauben hängen. Die darf man ernten und verkaufen, mit etwas Wasser gepanscht kann man schon etliche Märker verdienen. Das Geld kassiert aber der Alte! Oft haben wir Kinder bei der Weinlese etliche Eimer voll Weintrauben unter dem Laub verbuddelt und später halt “gefunden”. Bei der Kartoffelernte war es ähnlich, aber wehe, wenn die Bauern es gemerkt haben!
Inzwischen hat Rosie die Tiere gefüttert und sitzt in der Küche. Alle Kinder sitzen in der Küche (es ist der Aufenthaltsraum, ein Wohnzimmer haben sie nicht), wenn sie nicht gerade Wein, Tabak oder Lebensmittel schnorren oder bei den Bauern arbeiten. Spielen oder Sport ist verboten. Immer ist jemand unterwegs, der Alte hält alle auf Trab. Mama ist noch nicht zuhause, aber es kann nicht mehr lange dauern, bis sie kommt. Alle warten schon auf sie. Der Alte wegen dem Geld, das sie heute verdient hat und die Kinder, weil sie Hunger haben und froh sind, dass der Vater dann etwas gnädiger ist. Der Onkel Hans ist auch noch vorbei gekommen, er haust sonst oben, unterm Dach. Der Vater hatte den Rotkreuz-Suchdienst eingeschaltet, weil er durch den Krieg seine Familie aus den Augen verloren hatte. Der Onkel Hans hatte sich daraufhin aus der Sowjetzone gemeldet. Er war dort Volkspolizist und kam eines Tages ganz überraschend zu Besuch. Als kurze Zeit danach in Berlin die Mauer gebaut wurde, blieb er für immer bei ihnen. Sehr viele Jahre später haben wir erfahren, dass er Frau und Kind zurückgelassen hat. Er hat mit Robert aber nie darüber gesprochen.
Sie sitzen am Küchentisch und spielen Skat. Es ist sehr laut im Raum, vor allem Vater stänkert immerzu, er kann nicht gut spielen, und wenn er verliert, wird er sehr böse. Sie sind alle schon ziemlich betrunken. Der Alte hat mächtig verloren, “arme Mama“, denkt Rosie, “da bleibt von deinem Geld nicht mehr viel übrig!“
„Rosie!!“, der Alte brüllt nach ihr, obwohl sie ihm fast gegenüber sitzt. Er sieht schlecht auf einem Auge, durch den Zigarettenrauch und das schwache Licht hat er sie nicht bemerkt, “geh Wein holen, der Schorsch gibt Dir Geld. “Sofort springt sie auf und stellt sich mit offener Hand vor den Mann hin, der grinst schmierig und drückt ihr das Geld in die Hand. Dabei tätschelt er Rosie den Hintern. “Eine Mark für den Wein“, sagt er “und der Groschen ist für dich, wenn du schnell wieder zurück bist.“ Sie läuft los, hoffentlich hat Vater das mit dem Groschen nicht mitbekommen, sonst muss sie ihn abgeben. Draußen ist es schon dunkel, aber sie braucht nur ein paar Häuser weit zu laufen zum Huber, dem Weinbauern. Ein widerlicher Geizhals, er verkauft ihnen immer den billigsten Wein, kaum genießbar, aber er steigt schnell in den Kopf.
Sie rennt die Haustreppen herunter, über den kleinen Platz zur Straße. Dabei wäre sie beinahe mit Robert zusammen gestoßen, er hatte sich hinter der großen Eiche versteckt. Hier wartete er auf eine Gelegenheit, um vom Vater unbemerkt ins Haus zu kommen. Es geht ihm nicht so gut, das Rauchen ist ihm wohl nicht bekommen, auch hat er großen Hunger. Zum letzten Mal hatte er in der Frühe ein paar Stullen gegessen, die hatte er einem Bauernjungen weggenommen. Morgen in der Schule wird es wohl wieder eine Tracht Prügel dafür geben, wie so oft, aber das ist ja schon fast normal für ihn. Nun steht er also auf dem Platz und wartet, bis sein Vater eingeschlafen ist, dann wird er sich ins Haus schleichen und schlafen gehen. Rosie hat eben Wein geholt und ihm gesagt, dass der Alte sehr wütend ist, weil er beim Skat verliert. Als er nun so vor sich hin sinniert, kommt seine Mutter von der Arbeit beim Bauern zurück. Ganz aufgeregt drängt Robert sich an sie und erzählt das Neueste vom Tage. Sie fängt an zu weinen und gibt ihm ein belegtes Brot, es war ihre Mahlzeit vom Bauern, während der Arbeit im Felde. Sie bringt fast immer ihr Brot mit nach Hause, für die Kinder.
„Ich werde dir nachher das Fenster von der Stube aufmachen“, sagt sie, “dann kannst du reinklettern.“
Und so geschieht es dann auch. Robert klettert ins Zimmer und legt sich in eines der beiden Betten zu den schon schlafenden Geschwistern.
Robert ist oftmals wachgeworden, vom Gebrülle der Skatspieler und als Rosie sich an ihn kuschelt. Außerdem ist es sehr kalt, das Zimmer ist ungeheizt, die Betten feucht und durchgelegen. Als Decken dienen auch alte Mäntel und Jacken. Gerade hat er geträumt, von schöner Bekleidung und ganz viel Essen, als er ängstlich hochschreckt, sein Vater steht vor dem Bett und schüttelt ihn wach. Morgens ist er meistens friedlich, trotzdem hat Robert immer Angst vor ihm. “Leeb, aufstehen“, sagt er, “guck mal, ob du etwas zum Trinken holen kannst, bei der Wiegand oder sonstwo“.
(Der Vater hat die Kinder ganz selten mit dem richtigen Namen angesprochen, meistens waren es Schimpfnamen, die dann von anderen Leuten übernommen wurden und oft das ganze Leben gültig waren, das tat sehr weh.) Robert war also der Leeb (von Löwe, weil er als kleines Kind immer so laut gebrüllt hatte, wenn der Hunger ihn überkam.)
Schnell zieht Robert seine Hosen an, die Rosie hat ihn wieder voll gepinkelt in der Nacht, aber das Hemd ist schon trocken, er besitzt ja nur dieses eine, die anderen liegen schmutzig auf dem Wäschehaufen.
Heute hat er Glück: obwohl es noch sehr früh ist, bekommt er eine Flasche Wein. Die Bauern haben viel zu tun mit dem Weinkeltern, deshalb sind sie schon so zeitig auf den Beinen. Außerdem arbeitet sein Onkel Hans bei der Frau Wiegand.
Robert hat ihn sehr lieb, er steht ihm oftmals bei, wenn der Alte ihn verprügelt, und er gibt der Mama immer Geld und Essen für die Kinder. Der Onkel mag Mama auch sehr! Im letzten Jahr war der Vater einige Monate im Gefängnis, weil er ihn - seinen Bruder - im Streit so schwer verletzt hat, dass dieser ins Krankenhaus musste. Robert hat das Messer dann unter den Küchenschrank geschoben und versucht, dem Onkel zu helfen. Aber er war ja klein und schwach gegen den Vater, da hat er sich geschworen, wenn er mal groß ist, dann schlägt er ihn tot, falls er weiterhin den Onkel und die Mutter und die Geschwister verprügelt.
Während der Alte weg war, hat der Onkel oft bei Robert im Bett geschlafen. Einmal sagte er nachts zu ihm, “mach mal ein bisschen Platz“ und schlaftrunken rückte Robert zur Seite, wurde aber auf einmal ganz wach vom Stöhnen und Keuchen neben sich. Langsam kroch er aus dem Bett, tastete sich zum Lichtschalter, knipste ihn an und was er dann sah, würde er sein Leben lang nicht mehr vergessen, die Mutter, seine anständige, liebe Mama lag mit gespreizten Beinen unter dem Onkel und er hatte seinen Schwanz in ihr!
Weinend rannte Robert aus dem Zimmer und in die Küche. Obwohl er seinen Vater hasste konnte er nur schreien, “das darf man nicht, ich sag es Papa, ich sag es Papa!“
Die Mutter und Onkel Hans liefen ihm nach, die Mama weinte und sagte, “wenn du das deinem Vater erzählst, dann gehe ich ins Wasser, ich ertränke mich und ihr kommt ins Heim.“
Robert hat es dann für sich behalten. Viel später und nach ähnlichen Vorfällen, (die beiden haben vor den Kindern all die Jahre nur selten ihre Gefühle zueinander verborgen) hat er aber geahnt, wer der wirkliche Vater der kleineren Geschwister sein könnte. Sie waren anders geartet, auch äußerlich passten sie nicht zu den anderen Kindern.
Wie so oft schon ging Robert auch an diesem Tag ohne Schularbeiten zum Unterricht, wann hätte er sie denn machen sollen? Als er in die Schule kam, war er natürlich wieder der letzte, die anderen Kinder standen schon in Reih und Glied und mussten ein Gedicht vorsagen. Als er die Tür öffnete, verstummten alle und sahen zu ihm hin. Da stand er nun mit rotem Kopf, er schämte sich sehr, er war schmutzig, er stank und er hatte Angst. (Vor einer Woche war es ähnlich, da schenkte ihm die Lehrerin vor der ganzen Schulklasse ein Stück Seife zum Waschen. Am liebsten wäre er damals vor Scham im Erdboden versunken).
„Strebel!“ der Lehrer ruft es mit lautem, drohenden Tonfall, “nach vorne zu mir.“
Langsam geht Robert an den kichernden Kindern vorbei, bis er vor dem Lehrer steht. “Hoffentlich wird es nicht zu schlimm“, denkt er. Mit spitzen Fingern der linken Hand, so, als würde er in Scheiße greifen, fasst ihn der Lehrer ans Ohr und zieht ihn zu sich heran, um ihm eine “Kopfnuss” zu verpassen.
Dabei ist die Faust geballt und der Knöchel des Mittelfingers steht etwas gekrümmt hervor. Mit dieser rechten Faust schlägt ihm der große, schwere Mann so auf den Kopf, dass er vornüber fällt. “Das war für das zu spät Kommen“ sagte der Lehrer “und nun leg dich über die Bank, jetzt kommt die Strafe für gestern, als du dem Klaus die Stullen weggenommen hast.“ Mit diesen Worten schlägt er wie ein Wahnsinniger mit dem Rohrstock auf Robert ein!
Das Jahr neigt sich dem Ende zu, in einer Woche ist Weihnachten. Roberts Schulklasse war in Mainz im Theater gewesen. “Peterchens Mondfahrt“ wurde gespielt. Ursprünglich sollte er auch mitfahren, die Mutter hatte es fest versprochen. Aber dann war wieder kein Geld da, und er hatte auch keine ordentliche Kleidung, obwohl Robert an allen Tagen der Herbstferien von früh bis spät beim Bauern gearbeitet hatte. Alles schwer verdiente Geld wurde ihm vom Vater weggenommen.
Und nun sollte es Weihnachten Geschenke geben, aber er wusste, es würde so sein wie jedes Jahr. Der Weihnachtsmann würde an ihrem Haus vorbeifahren.
Der Vater hatte mal wieder keine Arbeit, die Familie lebte vom Kindergeld und dem, was die Mutter und die Kinder bei den Bauern verdienten. Aber jetzt im Winter hatte niemand Arbeit für sie.
Gelegentlich kamen Dieter und Gaby am Wochenende zu Besuch, es waren die älteren Geschwister. Sie hatten eine Beschäftigung in anderen Dörfern gefunden, sie schliefen auch bei ihren Arbeitgebern. Die beiden brachten auch immer etwas Geld mit, das meiste davon wurde aber vom Alten aufgebraucht, für Tabak und Alkohol.
Heute war es sehr kalt. Robert hatte keine richtige Winterkleidung, die Schuhsohlen hatten Löcher, sodass die Nässe eindringen konnte, er fror jämmerlich. Seit dem Mittag lief er von einem Bauern zum anderen und bettelte um ein paar Kartoffeln. Sie hatten daheim nichts mehr zu essen. Die Geschwister weinten vor Hunger, und der Alte wurde immer böser. Gestern war er wieder mal betrunken, und als die kleine Elke schrie, nahm er sie an den Füßen und schleuderte sie gegen die Wand. Rosie stand zufällig im Weg, konnte das Kind auffangen und so Schlimmeres verhindern.
„Ich werde noch mal zu Herrn Richter gehen,“ denkt Robert, das ist der Bauer, bei dem Mama immer arbeitet, ein Schulfreund von ihr.
Vor einigen Wochen war Mama spät abends von der Arbeit nach Hause gekommen. Sie hatte ein schönes Kleid an und eine Tasche mit Würsten und ein Brot dabei, das hatte sie von der Frau des Bauern bekommen. Der Alte war total besoffen, brüllte sie an, das Kleid wäre von einem anderen Mann, sie wäre ein Hure, dann schmiss er Wurst und Brot auf die Erde und trampelte darauf herum. Als Mama ihn daran hindern wollte, verprügelte er sie, und als sie am Boden lag, hat er ihr das Kleid mit den Zähnen vom Leib gerissen, bis sie nur noch die Unterwäsche anhatte. Dabei hat er geknurrt wie ein Hund. Die Kinder standen mit hungrigen Mägen dabei und haben geschrien vor Angst.
Robert geht über den Bauernhof zur Küche, wo schon Licht brennt und klopft zaghaft an die Türe. “Herein“, ruft eine Männerstimme und ein Hund fängt an zu bellen. Vorsichtig macht er die Tür auf, die ganze Familie sitzt beim Abendessen.“ Was willst du“, herrscht der Altbauer den Jungen an. “Lieber Herr Richter“, bitte geben Sie mir ein paar Pfund Kartoffeln, wir haben nichts mehr zu essen, die Mama lässt bestellen, im Frühjahr kommt sie auch wieder zum Arbeiten. “Nichts gibt’s“, sagt der Bauer und geht auf Robert zu, “Euer Vater soll arbeiten gehen, dann habt ihr auch zu essen. Du warst doch erst gestern hier und hast wieder Wein geholt ohne Geld, außerdem habt ihr schon genug Schulden bei mir. Wer weiß ob ihr mir das jemals zurückzahlt.“ Mit diesen Worten schiebt er den Jungen aus dem Raum und macht die Türe zu. Traurig steht Robert draußen im Hof und denkt, “ihr Mistbauern, ihr werdet immer dicker und reicher und wir müssen hungern.“ Am liebsten würde er den Bauernhof anzünden, so groß ist der Hass in ihm.
Robert denkt an den Sommer zurück. Damals hatte er einen Strohhaufen angezündet, es hat wunderschön gebrannt. Die Strohballen gehörten mehreren Bauern, sie waren aufgetürmt und groß wie ein Haus. Aus allen umliegenden Dörfern kamen die Feuerwehren, aber sie konnten nur noch Schlimmeres verhindern, der Strohhaufen selbst brannte vollständig nieder. Aber eigentlich war es keine Absicht, sondern ist nur durch Dummheit passiert.
Onkel Hans hat einen Kumpel aus dem Dorf, der ist als Ganove bekannt und sein Spitzname ist Messer-Paul, weil er ständig ein Messer dabei hat und wahrscheinlich damit auch zustechen würde. Auch war er schon öfter im Gefängnis wegen Diebstahl und Schlägereien. Neuerdings macht der Onkel mit diesem Kumpel krumme Sachen. Sie haben Zigarettenautomaten aufgebrochen und den Inhalt bei Roberts Familie in der Scheune versteckt, nur die Mutter und Robert wissen davon.
Und von diesen Zigaretten hatte er nun ein Päckchen genommen und wollte mit Spitzer in ihrer Höhle im Strohhaufen einige davon qualmen. Auf dem Weg dahin trafen sie einen Bauernsohn, er hatte einen sogenannten “Pferdefuß“ ( das eine Bein ist kürzer und er trägt deshalb einen großen Spezialschuh), Karl hatte auch Lust auf Zigaretten und so ging er mit ihnen. In der Höhle kam Robert dann dummerweise auf die Idee, ein Lagerfeuer zu machen, wie die Indianer. Na ja, auf jeden Fall brannte der Haufen ab, und nur weil der Karl dabei war, brauchte niemand für den Schaden aufzukommen. Die Bauern regelten das unter sich. Aber Robert wurde von seinem Vater halbtot geschlagen!
„Was mache ich denn nur“, denkt Robert, “komme ich ohne Kartoffeln nach Hause, verprügelt mich der Alte. Besser wird sein, ich warte mal ab.“ Langsam geht er zum Gemeindehaus. Unterwegs trifft er Doris, sie ist die Tochter einer entfernten Verwandten. Sie wohnen ein paar Straßen weiter, ihr Vater säuft auch, aber er geht trotzdem immer arbeiten. Er hat nicht viel Schönes vom Leben gehabt, Mama sagte einmal, er hätte die Kriegserlebnisse nicht verkraftet, er war Matrose auf einem Schiff. Als er in Rente ging, bekam er kurz hintereinander beide Beine amputiert. Mama sagte, das käme vom vielen Zigarettenrauchen (er ist dann auch bald gestorben).
Doris lässt sich gerne von den Jungen befummeln, aber sie tut immer so, als wenn sie es gar nicht wollte. Fast immer lässt sie ihn ran. Sie ist ein Jahr jünger als Robert, hat kleine, feste Brüste und unten an der Muschi sind schon viele Haare dran. “Na, Doris, wollen wir uns nachher noch mal treffen, hinten im Hof?“ Wie üblich ziert sie sich noch etwas, aber Robert kann sie überreden. “Und bring mir was zu essen mit, ich habe großen Hunger“, sagt er.
Im Hof ist es stockdunkel, aber Robert könnte blind laufen, alles ist ihm sehr vertraut. In der verfallenen Scheune hat er schon unzählige Male geschlafen, wenn er sich aus Angst vor seinem Vater versteckte oder wenn die Kopfschmerzen mal wieder so schlimm waren, dass er es kaum noch ertragen konnte. Und immer war Pussi, die kleine Katze bei ihm, kuschelte sich an ihn, wärmte ihn.
Er wartet fast eine halbe Stunde bis Doris kommt. “Papa wollte mich nicht weglassen, weil es schon dunkel ist“, sagt sie und gibt ihm ein Wurstbrot. Gierig stopft Robert sich die Backen voll und fängt an, ihr zwischen die Beine zu greifen. Er hat schon ein steifes, hartes Schwänzchen, es ist noch nicht groß gewachsen, und ein wenig schämt Robert sich deswegen. Klaus, sein Freund hat einen ganz großen, wie ein Mann und wenn sie wichsen, kann er schon spritzen. Doris legt sich in der Scheune auf das Stroh. Robert zieht ihr die Unterhose runter, macht die Beine auseinander und legt sich auf sie.
Sie ist ganz nass zwischen den Beinen und er denkt, “kann sie denn nicht warten mit dem Pullern, bis wir fertig sind?“ Schnell schiebt er ihr sein Schwänzchen in die Muschi und zappelt hin und her, bis bei ihm da unten ein wunderbares Gefühl entsteht, unbeschreiblich schön!
Robert macht es mit den Mädchen, sooft wie es möglich ist. Am Anfang waren es ja nur “Doktorspiele”. Als er dann gesehen hat, wie es Papa mit Mama und Onkel Hans mit Mama gemacht haben, da hat er es mal mit der Rothaarigen vom Bahnhof probiert, sie war schon etwas älter, das hat ihm mit ihr sehr gefallen. Allerdings ist die Auswahl nicht groß, mit Doris macht er es nicht so gerne, weil sie nicht so hübsch ist, und doof ist sie auch. An die Töchter der “besseren Leute“ kommt er nur selten ran. Die dürfen ja nicht mit ihm gesehen werden, weil er asozial und schmutzig ist. Außerdem gibt es immer schlimme Prügel, vom Lehrer und vom Pfarrer, wenn er doch mal bei den “Schweinereien“ erwischt wird.
Doris ist gerade gegangen, als noch jemand über den Hof schleicht und leise seinen Namen ruft. Es ist Rosie, sie kennt ja alle Verstecke von ihrem Bruder. “Du kannst reinkommen“, sagt sie, “Onkel Hans hat einen Sack Kartoffeln und eine Flasche Wein mitgebracht, Papa ist jetzt gut gelaunt!“ Schnell klettert Robert vom Heuboden hinunter und geht mit Rosie in die Küche, wo der Alte auch schon losbrüllt. “Du verfluchter Bankert, du wirst eines Tages im Zuchthaus landen, stundenlang treibst du dich da draußen herum, ab ins Bett mit dir, ohne Essen“. Langsam geht Robert auf ihn zu, er muss an ihm vorbei, um in das Schlafzimmer zu kommen. Er hätte es beinahe geschafft, als er von hinten einen Schlag ins Genick bekommt und mit dem Gesicht gegen die Tür schlägt. Sofort schießt ihm das Blut aus der Nase und er fällt zu Boden. Der Alte tritt noch mal mit den Füßen zu, bevor Onkel Hans ihn festhalten kann.
Heute Morgen haben sie doch noch einen Weihnachtsbaum gekauft. Er ist krumm und schief, aber es gab nichts Besseres für die paar Mark, die ihnen zur Verfügung standen. Der Alte will ihn “verschönern”, dort wo keine Zweige sind, bohrt er Löcher in den Stamm und steckt dann Zweige rein, die er woanders wegnimmt. Meistens ist er nach getaner Arbeit besoffen und der Baum sieht schlimmer aus als vorher!
Die Oma und Tante Astrid aus der Ostzone haben ein Paket geschickt, mit Gebäck und Bonbons. Das Paket war ziemlich zerfleddert. Onkel Hans sagt, das hätten die Grenzer gemacht, die durchsuchen alles, was aus der Zone rein und raus geht.
Vor ein paar Tagen haben sie sehr viel Geld bekommen, Nachzahlungen vom Kindergeld. Der Alte hat sich wie ein Gockel geputzt und ist einkaufen gegangen. Der Weg zu den Geschäften führt an zwei Kneipen vorbei, da blieb er hängen und soff sich die Kutte voll. Anschließend hat er dann im Lebensmittelgeschäft einen Teil der Schulden bezahlt, und dann war das Geld auch schon wieder weg.
Oft verkaufen ihm die Leute auch Dinge, die Roberts Familie nicht unbedingt braucht, z.B. Zuchthasen für viel Geld, die dann doch geschlachtet werden, oder eine Wäscheschleuder ohne Waschmaschine?! Sie nutzen halt seine Blödheit und den Suff aus. Mama sagt, dass man ihnen den Strom abstellen wird, weil die Rechnung mal wieder nicht bezahlt ist. Aber hoffentlich erst nach Weihnachten!
Wenn es möglich ist, dürfen die Kinder sich einmal in der Woche baden Am späten Nachmittag hatte sich der Alte besoffen hingelegt und da nutzten sie die Gelegenheit zum Waschen, alle nacheinander im gleichen Wasser! Ist auch sehr umständlich, das Wasser muss ja erst topfweise auf dem Herd heiß gemacht werden.
Es war durchaus die Regel, dass sie nur lauwarmes Wasser zum Baden hatten, weil der zweite Topf erst heiß wurde, nachdem das erste Wasser in der Zinkwanne schon wieder kalt war, usw. usw. Ansonsten wusch man sich nur kalt. “Das härtet ab“, sagte der Alte. “Und überhaupt, zu viel Waschen ist ungesund und zu teuer“.
Die Mutter hat in der Zwischenzeit einen Kuchen gebacken und will den Kindern ein Stück zum Probieren geben, als der Vater aus dem Schlafzimmer stürzt. Er hat nicht ausgeschlafen und ist noch halb betrunken, da ist er besonders eklig. “Was ist das hier“, schreit er, “seid ihr immer noch am Fressen“? Und mit einer Armbewegung wischt er alles vom Tisch. Kuchen, Kaffee und Geschirr, alles fällt zu Boden, und rasend vor Wut treibt er die Kinder in die Schlafstube. Sie schreien vor Angst, und er tobt, sie sollen sich ja nicht rühren, keinen Mucks will er hören. “Na dann frohe Weihnachten“, denkt Robert.
Gaby arbeitet als “Mädchen für alles“ in einem kleinen Hotel in der Stadt. Sie ist sehr fleißig, bescheiden und überall beliebt. Auch in der Schule war sie eine der Klügsten. Mit Freude hätte sie einen richtigen Beruf gelernt, aber der Alte wollte das nicht. Seiner Meinung nach reichte es, wenn eine Frau den Haushalt beherrscht, und später würden die Weiber sowieso heiraten und Kinder kriegen. Und besser ist es allemal, wenn die “unnützen Fresser“ endlich aus dem Haus sind und Geld verdienen!
Über Weihnachten darf sie heimfahren und sie freut sich auch auf ihre Mutter und die Geschwister, für jeden hat sie ein kleines Geschenk dabei. Groß ist ihr Verdienst ja nicht, aber sie ist sehr sparsam. Als sie über den kleinen Platz zum Elternhaus geht, hört sie schon den Alten brüllen. Am liebsten würde sie sich wieder umdrehen und weggehen, aber er weiß ja, dass sie kommt und wartet schon auf sie. Gaby öffnet die Küchentür und tritt ein.
Der Vater ist ganz gerührt und drückt sie an sich, er fängt an zu weinen, aber das ist meistens so, wenn er betrunken ist oder ein Geschenk bekommt. “Kannst du mir mal 10 Mark leihen?“, sagt er zu Gaby, kaum, dass sie den Mantel ausgezogen hat. Das fängt ja gut an, denkt sie, und widerwillig gibt sie ihm das Geld. Dann geht sie in die Schlafstube, um die Geschwister und die Mutter zu begrüßen. Hinter ihr drängt sich der Vater durch die Tür und schreit nach Robert. “Leeb“, sagt er, “hier hast du Geld, hole ein paar Flaschen Bier und ein Päckchen Tabak, aber mach schnell, sonst ist Weihnachten für dich vorbei!“
Als Robert zurückkommt, ist der Alte dabei, den Weihnachtsbaum zu schmücken. Er steckt ein paar weiße Kerzen auf die Zweige, und vom letzten Jahr sind noch einige Kugeln heil geblieben. Dann gegen Abend fällt ihm ein, dass noch etwas Lametta fehlt, also muss Robert nochmals losrennen und welches besorgen. (Bei den Läden im Dorf durfte man auch außer den Kaufzeiten über den Hof kommen oder klingeln.)
Nun ist der Baum endlich fertig, und die Kinder warten auf den Weihnachtsmann. Da klopft es an der Tür. Alle sind ganz erstaunt, nur Fremde klopfen an oder die Polizei, aber am Heiligabend kommt doch niemand vom Amt, wer kann das sein?
Der Alte ist inzwischen wieder besoffen, und als sich die Tür öffnet und er fremde Menschen sieht, fängt er auch schon an zu brüllen, “wir kaufen nichts, ihr dreckigen Zigeuner, haut ab“, mit diesen Worten wirft er eine leere Bierflasche nach den Leuten, die sich ganz schnell in das Treppenhaus zurückziehen. Er trifft mit der Flasche aber nur die Wand, wo sie zersplittert. Die Mutter ist dann rausgegangen und hat mit den Fremden gesprochen, es waren Theologiestudenten, die von der Not der kinderreichen Familie gehört hatten und ihnen ein paar Spielsachen und Lebensmittel schenken wollten. Außer dem Alten waren wir alle sehr beschämt.
Dann kam die Bescherung: Der Baum erstrahlte im Kerzenlicht, die Kinder standen in Reih und Glied und mussten Weihnachtslieder singen. Der Alte grölte auch mit, “schmierte“ aber öfters seine Stimmbänder mit Bier, und dann war er total besoffen. Alle sollten nun Gedichte aufsagen und wer keines auswendig vortragen konnte, der musste ins Bett gehen, ohne Abendbrot! Die kleineren Geschwister greinten und plärrten vor sich hin, vor Hunger und Müdigkeit, der Alte tobte, da ging die Tür auf und Onkel Hans betrat die Küche, er war auch betrunken. Vor einigen Wochen hatten sie sich wieder mal geprügelt. Der Vater muss gemerkt haben, dass Mama und Onkel Hans etwas miteinander hatten. “Du Hurenbock verschwindest sofort aus meiner Wohnung“, mit diesen Worten stürzt sich Roberts Vater auf den Onkel und schlägt auf ihn ein. Im nächsten Augenblick ist die schönste Keilerei im Gange.
Die Kinder schreien vor Angst, wegen dem Vater oder wegen dem Onkel, ihre Mutter will dazwischen gehen, da schlägt ihr der Alte mit der Faust ins Gesicht und schreit, “Du Hure bist an allem Schuld“. Das Blut schießt ihr nur so aus der Nase, sie hält sich ein Handtuch davor und bringt die Kinder in die Schlafstube. Draußen im Treppenhaus stehen die anderen Nachbarn - die Verwandtschaft - und schauen dem Treiben in der Küche zu. Dann fällt der Weihnachtsbaum um und fängt an zu brennen. Jetzt endlich gehen die Männer zwischen die Streithähne und löschen den Brand. Den Onkel nehmen sie mit und werfen in aus dem Haus. Robert hat er sehr leidgetan!
Nach Neujahr hat die Gemeinde einen neuen Pfarrer bekommen. In der ersten Predigt hat er gesagt, er wünscht sich mit seiner jungen Frau und Gottes Hilfe viele Kinder, die haben sie auch bekommen. An mindestens fünf konnte Robert sich erinnern. Er denkt, “wenn solche Leute viele Kinder bekommen, ist es ein Geschenk Gottes, bei armen Leuten ist es asozial“.
Für die armen Leute war beim Pfarrer keine Herzlichkeit vorhanden, aber Robert durfte jeden Samstag die Straße vor seinem Haus fegen, es war ein großes Gartengrundstück. Der Lohn war ein belegtes Brot und ein Glas Apfelsaft! Verprügelt hat der Mann Gottes ihn auch oft, weil er z.B. im Religionsunterricht fehlte oder ungepflegt daher kam, was aber nicht seine Schuld war. Bei seinem Vater hat der Pfarrer sich nicht beschwert, da hatte er Angst. Der findet die Kirche überhaupt verlogen, und die Pfaffen wären die schlimmsten Heuchler. Die verlangen vom Volk alles was “gottgefällig“ ist, sie selbst richten sich aber nicht danach.