ich hasse Eis am Stiel - Zachi Noy - E-Book

ich hasse Eis am Stiel E-Book

Zachi Noy

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Beschreibung

Dieses Buch erzählt das bewegte Leben des großen Schauspielers und Entertainers Zachi Noy. Er ist das Aushängeschild der Kultfilmreihe "Eis am Stiel". Zudem hat Zachi Noy in mehr als 60 weltweiten Film- und Fernsehproduktionen an der Seite von großen Namen wie Franco Nero, Melanie Griffith, Shelley Winters, Hape Kerkeling, Alan Arkin oder Rock Hudson brilliert. In seinem Heimatland Israel wird er seit Jahren als Filmstar gefeiert. Gleichzeitig ist diese packende Story eingebunden in den historischen Kontext der israelischen Geschichte. Sie beginnt 1945 mit dem Kennenlernen der Eltern in einem deutschen Lager für Displaced People und endet 2023 mit dem Hamas Angriff auf Israel. Zachi Noy lebt das Leben eines traurigen Clowns: glanzvoll und immer lustig im Außen, tragisch und voller Trauer nach innen. Alles, was dem unglücklichen Kind Zachi und dem gedemütigten Jugendlichen an dramatischen Erlebnissen widerfährt, wirkt wie ein Brennglas der Geschichte. Das Ergebnis ist einerseits ein glanzvolles und erfolgreiches Jetset-Leben, aber auch ein unstillbarer Hunger nach Liebe und Anerkennung. "Ich habe seine Filme immer sehr gerne gesehen und erinnere mich oft an ihn. Die Erinnerung sorgt bei mir immer für gute Laune." Marco Huck (15-maliger Boxweltmeister & Super Champion im Cruisergewicht) "Die Geschichte eines bewegten Lebens. Ich freu mich auf sein Buch." Lo Graf von Blickensdorf (Journalist / Autor) "Ich habe Zachi Noy kennengelernt. Ein wundervoller Mensch mit Charisma." Keith Tynes (Sänger, ehem. Mitglied "The Platters") "Ich durfte Zachi Noy persönlich kennenlernen. Er ist fantastisch. Seine Filme habe ich noch immer in Erinnerung, ich liebte sie damals." Gunda Niemann-Stirnemann (Olympiasiegerin Eisschnelllauf)

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Seitenzahl: 180

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Zachi Noy

Shalom du pralles Leben!

Mit Martin Hentschel

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Diese Biografie ist allen Opfern der schrecklichenEreignisse des 07. Oktober 2023 gewidmet.

Ich bete für die Seelen aller verletzten, entführten,vergewaltigten, verbrannten und getöteten Kinder,Frauen und Männer dieses sinnlosen und brutalen Krieges.

© Adobe Stock, Oleksandr

„Mein Kind, ich verspreche dir,einmal mehr schwöre ich dir:Dieser Krieg wird der letzteDer letzte aller Kriege sein”(Hebräisches Volkslied)

Genug ist genug!

Zachi Noy

Herzliya, Israel, der 01. Januar 2024

Ich hasse Eis am Stiel

Shalom du pralles Leben!

Zachi Noy

mit Martin Hentschel

Verlag:

basic erfolgsmanagement, Worms, 2024

www.basic-erfolgsmanagement.de

Alle Rechte vorbehalten

Buch: ISBN 978-3-949217-54-8

Ebook: ISBN 978-3-949217-55-5

Umschlaggestaltung, Layout/Satz:

Michaela Adler, Pfarrkirchen

Titelfotos:

© Reuven Castro

© Park Circus, MGM, Yoni Hamenachem

Made in Germany

Inhalt

ANMERKUNG DES VERLAGS

Ich hasse Eis am Stiel

Filmografie (Auswahl)

Über den Autor

ANMERKUNG DES VERLAGS

Ein Buch, das vordergründig ein lebenslustiges Künstlerleben abbildet, jedoch zu keiner Sekunde aus dem Kontext der Geschichte des jüdischen Volkes herausgelöst gesehen werden kann. Zachis Lebenslust und Lebensleid sind ein Synonym für das Brennglas der Geschichte.

Dieses Buch beginnt mit der Nachkriegszeit im Jahr 1946, kurz vor der Gründung des Staates Israel. Die letzten Zeilen zu diesem Buch wurden wiederum geschrieben, exakt als der verheerende Terroranschlag durch die Hamas am 06. Oktober 2023 das Land und die gesamte Welt erschüttert hat.

Diese Daten sind die historischen Eckpunkte, innerhalb derer sich Zachis unglaubliches Leben bisher abgespielt hat. Seine schrecklichen Erlebnisse und seine Traumata hängen – unausgesprochen und nur für Leserinnen und Leser, die zwischen den Zeilen lesen können – mit dem erlittenen Leid des jüdischen Volkes zusammen. Doch darin liegt auch die unerschöpfliche Quelle für seinen großen Erfolg, in dem er die tragisch komische Rolle des traurigen Clowns als Kompensation seiner leidvollen Erfahrungen bis zur Perfektion in sein Leben und Wirken als Schauspieler adaptiert hat.

Dieser Transfer ist die eigentliche Leistung dieses Buches und macht es neben der Biografie eines berühmten Schauspielers und Lebemannes, zu einem Zeitdokument der Entwicklung der israelisch-deutschen Beziehungen, der subtilen Rolle von Kunst, Kultur, besonders der Filmindustrie in diesem Beziehungsgeflecht und eines psychologischen Mechanismus der Kompensation und schlussendlich zum Beginn einer Aufarbeitungskultur.

Wie fange ich bloß an?

Eines vorweg: Ich hatte nie eine Scheu, im Rampenlicht zu stehen. Heute mehr denn je. Mit diesem Buch möchte ich frei von der Leber weg erzählen und mein Herz ausschütten. Ich werde euch aus meinem Leben berichten, wie es wirklich war. Von meinen Erfolgen bei Theater und Film, sowie auch von meinem privaten Glück und meinem bewegten Leben zwischen Israel, Deutschland und den Metropolen dieser Welt. Aber auch von Fehlern, wie sie jedes menschliche Wesen begeht. Von Sonne und Schatten. Von traumatischen Erlebnissen und Schicksalsschlägen. Von Liebe, Glück, Rückschlägen, Traurigkeit und Hoffnung. Leute sagen zu mir:

„Sind Sie nicht der Dicke aus Eis am Stiel?“

Das ist meine Schuld, weil ich mich damit seit über 40 Jahren selbst vermarkte. Vielleicht ist „Schuld“ das falsche Wort. Ich möchte es gar nicht bewerten. Diese Rolle in der beliebten und berühmten Filmreihe gehört zu mir und nimmt einen großen Stellenwert in meinem Leben ein. Und wenn ich an meine Lebenserinnerungen zurückdenke, erscheinen sie mir selbst wie ein aufregender Film voller Abenteuer, bei dem nicht selten der Zufall selbst Regie führte.

Neben meiner langjährigen Liebe Miri, einer Tochter und einem Sohn, habe ich inzwischen vier Enkeltöchter zwischen acht Monaten und zwölf Jahren. Alles nur Mädchen. Das ist das Beste. Anders als im berühmten israelischen Film „Töchter, Töchter!“ von 1973, bei dem sich der Held – gespielt von Shai K. Ophir – darüber ärgert, dass seine Frau ihm nur Söhne schenkte, woran er schließlich verzweifelt.

Sich zu erinnern bedeutet Wunden aufzureißen, Schmerzen zu erleiden. Man glaubt es nicht, aber ich hatte ein sehr traumatisches Leben und darin viele Tränen vergossen. Noch heute kämpfe ich jeden Tag. Ein Mensch, der – wie ich – die „Siebzig“ erreicht hat, wird sich dessen bewusst, dass er an einem Gipfel seines Lebens angekommen ist. Dennoch stecke ich voller Energie für alles was da noch kommen mag, auch wenn mir ein Blick in die Zukunft verschlossen bleibt. Darum verharre ich bewusst in der Gegenwart, sammle weiterhin Erlebnisse, Erfahrungen, interessante Menschen und Projekte.

Man ist immer so gut wie sein letzter Film.

Das habe ich nach über 50 Jahren im Showbusiness gelernt. Und es ist ein buntes Leben, auf das ich mit euch – liebe Leserinnen und Leser – zurückblicken darf. Doch fangen wir zunächst ganz früh an. Am Anfang. Bevor es mich gab. Mit meiner Familie.

Meine Eltern waren mein – aus Ostrov, Polen stammender – Vater Abraham Novogruder, der als Kranführer im Hafen von Haifa arbeitete, und meine Mutter Sarah Schwartz, die aus der polnischen Stadt Chelm kam. Die liebenswürdigen, aber als einfältig geltenden Einwohner von Chelm sind besonders für ihren jüdischen Humor berühmt. So spricht man bei ihnen nicht ohne Ironie von den „Weisen von Chelm“. In Deutschland kann man diese Geschichten am Ehesten mit denen der Schildbürger vergleichen.

Mein Großvater mütterlicherseits, Rafael, war ein streng orthodoxer und brutaler Mann. Mit seinem Gürtel verprügelte er meine Großmutter. Er war aber auch ein begabter Schustermeister. Seinen Fähigkeiten ist es zu verdanken, dass meine Familie mütterlicherseits aus den Wirren des zweiten Weltkriegs entfliehen konnte. Er stellte unter anderem Stiefel für die Nazis her. Mit einem Offizier verband mein Opa eine besondere Freundschaft, so dass dieser meiner Familie (meine Großeltern, meine Mutter und ihre drei Brüder) 1939 bei einer riskanten Flucht in einem schneebedeckten Viehtransporter nach Russland behilflich sein sollte. Dank seiner Warnungen war es ihnen möglich, das Land schnellstens zu verlassen.

„Setzt euch noch heute in diesen Zug, oder ihr existiert morgen nicht mehr!“

Was aus dem Offizier wurde, wissen wir bis heute nicht, doch nach einer harten, lebensgefährlichen Reise kam meine Familie im bitterkalten Sibirien an. Das Thermometer zeigte minus 50 Grad und sie hatten nur noch einen einzigen Laib Brot bei sich. Sie mussten stehlen. Sie waren gezwungen, sich um Essen zu schlagen. Ich glaube, sie hätten dafür sogar gemordet. Keine Seltenheit in jener Nachbarschaft, durch welche des Öfteren die Mongolen ritten und mit der einheimischen Bevölkerung aneinandergerieten. Zu alledem sah man tagtäglich neue Kriegsgefangene eintrudeln, die genauso abgemagert ihrem Schicksal entgegentraten. Es war eine sehr dunkle und schlimme Zeit für meine Familie. Von dort aus zogen sie bald weiter nach Tashkent in Usbekistan, wo das Wetter deutlich angenehmer war und sie als Gärtner arbeiten konnten.

Aufgrund der Wirren nach Ende des zweiten Weltkriegs verschlug es die Familien meiner Eltern unabhängig voneinander in ein Auffanglager für „displaced people“ im niederbayerischen Pocking. Nach einem ersten zufälligen Treffen zwischen meiner Mutter und meinem Vater dauerte es nur eine Woche, bis meine Eltern vor dem Traualtar standen! Tja, so war das damals eben, da wurden schnell Nägel mit Köpfen gemacht.

Alle erhofften sich einen Neuanfang, nach den ganzen Jahren der Flucht, der Demütigungen, Entbehrungen und Opfer. Mein Papa und seine Brüder betrieben einen schwungvollen Handel mit Geld, Gold und Diamanten. Das war nicht ungefährlich. Einer der Brüder meines Vaters, der einmal ein Geschäft in einem Wald abwickeln wollte, wurde dabei ausgeraubt und brutal ermordet! Auch wenn der Krieg vorbei war, musste man wachsam vor schlechten Verlierern bleiben, denn ehe die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, glaubten manche sich wie im Wilden Westen benehmen zu können.

Meine Großeltern zogen 1947 nach Israel bzw. in jene Region, welche ab der Staatsgründung am 14. Mai 1948, in Anlehnung an die Geschichte des jüdischen Volkes, das „gelobte Land“ genannt wurde. Im darauffolgenden Jahr wollten meine Eltern Deutschland ebenfalls verlassen, waren sich jedoch nicht über das Ziel einig. Meine Mutter träumte von einem Leben in Israel, um nah bei ihren Eltern zu sein, mein Vater hingegen bevorzugte Amerika, wofür er sich sogar schon Papiere besorgt hatte. Sie konnte ihn aber letztendlich überstimmen, nahe der kollektiven Heimat unseres Judentums verbleiben zu wollen. Über die Stationen Belgien und Marseille landeten die beiden schließlich in Haifa, wo sie das leer stehende Haus eines Arabers, der nach der Gründung Israels 1948 von der Hagana vertrieben worden war, bezogen. Mein Bruder Dov wurde 1949 geboren, ich erblickte vier Jahre später, am 08. Juli 1953, als Yizhak Novogruder, das Licht der Welt.

Ich erlebte meine Eltern anfangs voller Liebe und Verständnis füreinander. Doch als ich älter wurde und viel mehr begreifen konnte, merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Auch wenn sie ihr vergangenes Leid in Deutschland gelassen glaubten, schien es so, als ob sie es nie ganz abwerfen konnten. Meine Mutter war sehr jähzornig. Es gab oft Streit. Und ich spreche hier nicht von rein verbalen Meinungsverschiedenheiten. Schuld gebe ich nicht meinem Vater, sondern meiner Mutter. Sie schlugen sich. Sie gingen mit dem Messer aufeinander los. Einmal kauften meine Eltern meinem Bruder und mir Kebab und setzten uns in einem Kino ab, nur um sich dann zu Hause die Köpfe einzuschlagen.

Als meine Mutter noch klein war, riss sie lebenden Hühnern die Köpfe ab, um sie zu quälen. Sie quälte auch uns. Deshalb verbrachte ich als Kind viel Zeit bei meinen Großeltern, die gegenüber von uns wohnten. Mein Großvater besaß in der Nähe eine Schusterei und meine Oma war Hausfrau. Sie stammte aus Ungarn und konnte fantastisch kochen. Ich liebte ihre Gerichte: den Geruch, den Anblick und vor allem: den Geschmack! Heute vermisse ich die Aromen und das Essen jener Zeit. Meine Frau kann leider nicht kochen. Aber Liebe geht ja nicht nur durch den Magen. Einige leckere Mahlzeiten später passierte es:

Ich wurde „der kleine Dicke”.

Ich hatte ständig Hunger, wollte immer essen, war bequem. Ich erinnere mich, dass ich einmal im Ferienlager von den anderen Kindern aus einem Paddelboot ins Wasser geworfen wurde, weil ich zu faul war, mit zu paddeln und stattdessen die Verpflegung der anderen futterte. Leider stellte sich später heraus, dass das Wasser in diesem Kishon-Fluss hochgradig krebserregend und ungesund ist. Er gilt als einer der am stärksten verschmutzten Flüsse Israels, da die Industriebetriebe ihr Abwasser dort hinleiten. Wasser geriet in mein Ohr und ich bekam in der Folgezeit immer mehr Probleme. Eines Tages ging ich mit meiner Mutter zum Arzt. Er stach in mein Ohr. Ich dachte ich müsse sterben, solche Schmerzen verspürte ich.

Zuhause stapelten sich auch immer mehr Probleme. Meine Mutter war eine schwerkranke Frau, im Kopf. Deswegen musste sie unter anderem ein ganzes Jahr in eine psychiatrische Klinik. Das alles ging los, als mein Vater noch lebte. Sie warf einfach ständig Müll und Abfälle aus dem Fenster. Das tat sie sogar, als wir noch in der Nähe des muslimischen Friedhofs wohnten. Vom Balkon aus warf sie Essensreste auf den Friedhof. Die Nachbarn organisierten sich und ließen sie mit der Zwangsjacke abholen. Hilflos wie ich als Kind noch war, flehte ich sie vergebens an, damit aufzuhören. Ich ahnte was geschehen würde, wo sie hingebracht werden sollte. Ich wusste, dass sie dort Elektroschocks und Schlimmeres bekommen würde. In unserer kleinen Gemeinde sprachen sich besonders solche Neuigkeiten im Eiltempo herum und meine Schulkameraden zogen mich einmal mehr damit auf, ich war für sie ein gefundenes Fressen.

Später, als ich schon berühmt war, wurde es nicht besser. Wenn ich mit Dreharbeiten beschäftigt war und sie anrief, machte sie mir ständig ein schlechtes Gewissen. Das hatte zur Folge, dass ich oft schlecht gelaunt am Set zugegen war. Ich konnte meinen Ärger nicht verbergen, was sich negativ auf den Umgang mit Kollegen und meine Arbeit auswirkte. So mancher Take kam den Regisseuren daher tollpatschiger als vorgesehen vor, worunter mein Selbstbewusstsein ordentlich gelitten hatte.

Wenn meine Mutter und ich uns schlussendlich trafen, schlug sie immer die unmöglichsten Zeiten dafür vor – 05.00 Uhr früh zum Beispiel. Zeiten, zu denen sich kein normaler Mensch verabredet.

Einmal erzählte sie mir, ein Araber hätte sie morgens beim Spaziergang am Strand vergewaltigt. Ich darauf: „Was hast du überhaupt zu solch einer Zeit am Strand zu suchen?!“ Sie wollte nicht näher darauf eingehen und auch ich machte keine Anstalten, mehr zu erfahren – womöglich hatte sie sich diese grausige Geschichte nur ausgedacht, damit ich wieder zu ihr zurückziehen würde.

Die Schocktherapie hatte ihre Spuren hinterlassen.

Für uns wurde es schwer, Realität und Fantasie bei ihr auseinanderzuhalten. Sie war zum Beispiel zeitweise davon überzeugt, dass die Nachbarn sie vergiften wollten, und wies mich ständig an, Essen von außerhalb mitzubringen, obwohl wir sparen mussten, wo wir nur konnten. Das Schlimmste daran war aber, dass sie nur selten mehr als die Hälfte des Bestellten aufessen wollte und ich quasi als „Müllschlucker“ herhalten musste. „Ich schaff das nicht alles. Iss’ du das auf, bei mir bleiben die Tische sauber!“ Das hielt sie jedoch nicht davon ab, mir mein ständig wachsendes Gewicht auch noch vorzuhalten.

Als ich noch klein war, entsprach ich nicht dem Klischee eines jüdischen Kindes. Neben meiner gesunden Statur war ich blond und hatte immer ein Lächeln auf dem Gesicht. In der Schule war ich bereits ein Unterhalter, ein Klassenclown, wenn man es so nennen will. Ich war ein schlechter Schüler. Für Sprachen und Kunst konnte ich mich begeistern, für Naturwissenschaften weniger.

Die Lehrer standen mit mir auf Kriegsfuß, auch weil ich – zur Belustigung meiner Klassenkameraden – das Talent hatte, jeden zu parodieren, vom Direktor bis zum Mathematiklehrer. Einmal warf mein Pauker vor Zorn meine Schulmappe aus dem Fenster. Ich eilte hinunter, aber nicht etwa, um meine Bücher zu holen, sondern um mein Pausenbrot zu retten. Als „Dank“ schmiss er auch dieses zum Fenster hinaus.

Ich wechselte die Schule. An der neuen Lehranstalt lief es besser und die Pädagogen erkannten mein Potenzial. Ich spielte erstmals im Schultheater im Stück „Till Eulenspiegel“ mit, wo ich erste Erfahrungen im „Showbusiness“ sammelte. Es dauerte nicht lange und meine Lehrer schickten mich in die Theaterwerkstatt für Kinder. Dort blühte ich auf!

Ich habe die Bühne vom ersten Augenblick an geliebt.

Ich konnte mich nicht erinnern, dass mir – neben dem Essen – bisher etwas so viel Spaß gemacht hat. Mein erstes wirkliches Theaterstück war „Aschenputtel“, in dem ich die böse, hässliche Schwester(!) spielte. Danach verkörperte ich „Tom Sawyer“ von Mark Twain.

Ich identifiziere mich bis heute mit diesen Protagonisten, die den Erwachsenen und ihrem Alltag zu entkommen versuchten, dabei vielerlei Abenteuer erlebten, gleichwohl an jeder Ecke Gefahren und dubiose Menschen warteten.

Auch wenn ich den Hunger meines Magens in den frühen Jahren Israels stillen konnte, meldete sich mein Lebenshunger immer öfter zu Wort.

Ich trage viele Farben in mir.

Meine Lieblingsfarbe ist türkis und beinhaltet Licht, Sonne, Hoffnung, Ruhe. Ich verabscheue schwarz und rot. Schwarz ist Tod, rot ist Blut. Da ich etwas mehr auf den Rippen habe, trage ich aber ab und zu schwarz, weil es mich schlanker macht. Türkis ist für mich vergleichbar mit einem alten Disney-Film. Ich bin ein Kind geblieben. Ich schaue mir noch heute gerne die Klassiker wie „Mary Poppins“ oder „Das Dschungelbuch“ an.

Was ich nicht mag ist die dunkle, schwarze Nacht. Ich kann nachts nicht alleine sein, brauche jemanden bei mir. Ohne Schlaftabletten bekomme ich kein Auge zu. In der Nacht fühle ich mich wie das ängstliche kleine Kind von damals. Das hat viel mit meiner Kindheit zu tun, wo ich physische wie psychische Gewalt erfahren musste. Die langen Schatten der Shoa? Ich weiß es nicht und glaube doch.

Aber wo Schatten ist, findet sich zum Glück auch Licht. Als Kind ging ich mit meinem Bruder immer auf den Balkon unserer Großmutter, wo wir teilweise stundenlang herumalberten und sogar die Fußgänger von oben ärgern konnten. Was wunderte sich meine Mutter, wo die ganzen Eier immer hin verschwunden waren! Meistens trug ich aber ein Unterhemd auf dem Kopf und trällerte einige Lieder.

Nebenan wohnte eine arabische Frau, die sich von unseren Späßen ablenken ließ. Sie mochte Kinder und hatte auch selber welche, die aber schon erwachsen waren und nur selten zu Besuch kamen. In einem unbemerkten Moment klaute ich ihr ein Kebab, was sie gebacken und zubereitet hatte. Sie bemerkte nichts. Mein Bruder stellte sich sehr dämlich an und musste hungern. Ich gab ihm nichts ab. Heutzutage würde ich mich hüten, so egoistisch mit meinen Mitmenschen umzugehen, doch wer weiß, wo mich das Leben ohne derartige Frechheiten letztendlich hingetrieben hätte?

Später ging ich auf eine Schule namens „Shalva“, was so viel wie „Frühling“ oder „Ruhe“ bedeutet. Mein Gymnastik- bzw. Sportlehrer war Abraham Klein, der neben seiner Tätigkeit als Pauker auch als Schiedsrichter für Fußballspiele tätig war. Er leitete sehr bedeutende Duelle bei mehreren Weltmeisterschaften und olympischen Turnieren. Meine Mitschüler fürchteten sich vor seinem Unterricht. Er hatte den Ruf weg, beim Militär ein schroffer Zahn gewesen zu sein und sogar einige Methoden aus Kriegszeiten ins Programm übernommen zu haben. Was die Kinderseele sich halt so ausdenkt … unwahrscheinlich war‘s nicht! Falls aber wieder mal ein großer Lauf anstand, sagte er meistens zu mir: „Ich lasse die anderen Schüler laufen. Du kannst hier bei mir stehen bleiben und mich unterhalten. Du bist so lustig!“ „Kein Problem“ dachte ich mir. Also erzählte ich ihm ein paar Witze und brachte ihn zum Lachen.

„Du solltest Schauspieler werden!“ meinte er nicht selten zu mir.

Kurz bevor der Lauf dann zu Ende ging, versteckte ich mich und reihte mich unauffällig in die letzten Meter wieder ein. Niemandem fiel auf, dass ich überhaupt nicht gelaufen war. Bei meinem Gewicht kam ich allerdings auch für die kurze Strecke schon wie die anderen ins Schwitzen, weshalb niemand Verdacht schöpfte.

Auch meinen Eltern fiel zusehends auf, dass Talent in mir schlummert. Sie organisierten einen Akkordeonlehrer, der mich privat unterrichtete. Ich übte bis zur Besessenheit das Titellied des Films „Doktor Schiwago“. Ich liebte den Film, ich liebte die Musik. Komponist Maurice Jarre bekam den „Oscar“ dafür. Diese Melodie ist mir bis heute im Ohr geblieben: „Da-da-dadaaaa“.

Ich verbrachte ganze Nachmittage auf dem Balkon und probte das Stück. Zu dieser Zeit war unsere arabische Nachbarin schon nicht mehr gut zu Fuß – dennoch konnte ich einige Male aus den Augenwinkeln erkennen, dass sie bei meinen Übungen ebenfalls auf ihrem Balkon stand und andächtig mithörte. Wenn ich bei meinem Akkordeonlehrer zu Hause war, dann zeigte er mir Filme auf Super-8. Meistens waren das schwarz-weiße Stummfilme mit Laurel & Hardy, Charlie Chaplin, Harald Lloyd und Buster Keaton. Ich lernte in dieser Zeit weniger Noten, sondern schaute mehr auf die Filme an sich.

Tief im Inneren wusste ich bereits zu diesem Zeitpunkt, welcher Weg für mich bestimmt war.

Im Alter von elf Jahren war ich mit meinen Eltern in einem Dorf in Aschdod namens Gan Hadarom zu Besuch. Das heißt so viel wie „Garten des Südens“. Wir waren bei der Familie meines Vaters zum Mittagessen eingeladen, was man sich wie ein einziges Festmahl vorstellen konnte. Zusammen mit meinen Cousinen Rivka und Raya besuchte ich ein kleines nahegelegenes Dorf namens Bnaya. Wir spazierten herum, spielten und verbrachten viel Zeit miteinander. Einmal riefen sie nach mir: „Yzackerle!“ Sie lockten mich in einen Kuhstall mit frischen gelben Maiskolben in ihrer Hand. Diesen Geruch und diesen Anblick werde ich nie vergessen. Ich lief auf beide zu. Dabei bemerkte ich nicht, dass sich auf dem Boden ein riesiges Loch voller Kuhmist befand. Ich stolperte und fiel hinein. Nur noch mein Kopf schaute heraus. Ich stand bis zum Hals in Kuhscheiße. Ich schrie wie am Spieß! Sie zogen mich heraus und lachten dabei wie gackernde Hühner. Ich war ihnen in die Fäkalien-Falle gelaufen! Meine Eltern und die Verwandten versuchten in der Folge tagelang, mich von diesem Gestank zu befreien. Riyka und Raya bekamen im Gegenzug nur wenig Anschiss. Im Gegenteil, die Mischpoke freute sich, dass auch die Mädels einmal Quatsch machen konnten und drückte ihnen heimlich Bonbons in die Hand, während mein Vater mich mit dem Gartenschlauch sauber spritzte und sich dabei selber vor Lachen halten musste. Ich trug damals eine goldene Uhr, die mein Vater mir geschenkt hatte. Diese Uhr roch noch Jahre später nach Bauernhof. Doch ein altes Sprichwort in Israel besagt:

„Scheiße bringt Glück!“

Und so war es: Am Abend in Gan Hadarom gab es Maiskolben zu Essen. Herrlich!

Bei uns im Mehrfamilienhaus lebte im zweiten Stock unter uns eine Familie holländischer Juden. Mit dem Sohn spielte ich oft, da wir fast gleich alt waren. Eines Tages waren meine Eltern zu Hause, als ich die Treppe herunterging und an die Haustür meiner Nachbarn klopfte. Was ich nicht wusste: Die Familie lebte zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr da. Sie waren ausgezogen und wohnten längst in einem anderen Appartement. Sie müssen bei Nacht und Nebel verschwunden sein. Die Wohnungsgesellschaft hatte Renovierungen angeordnet.

Ein Mann, den ich nie zuvor gesehen hatte, öffnete die Tür. Er hatte eine dunkle Haut, schwarze Augen, krauses Haar und seine ganze Kleidung war mit weißer Farbe bekleckert. In seiner Hand eine Malerrolle. Die ganze Wohnung war mit Zeitungspapier ausgelegt.

„Madha Turidu?“ sagte er. Also „Was willst du?“. Er war ein Araber. Ich sagte: „Wer sind Sie? Ich wollte spielen.“ Er erkannte meine Unsicherheit und meine Angst. Er hielt mir den Mund zu. Ich war wie gelähmt. Er zog mich einfach in die Wohnung. Dann vergewaltigte er mich.

Ich war zu diesem Zeitpunkt elf Jahre alt. Ich hatte so große Angst. Diese Schmerzen werde ich nie vergessen. Die Tränen kullerten meine Wange herunter. Ich ging wortlos in die Wohnung meiner Eltern zurück. Sie bemerkten nichts. Ich musste mich waschen. Ich schrubbte mich über eine halbe Stunde lang ab, um den ganzen Dreck, den Schmutz wegzuwaschen. Die Scham konnte ich jedoch nie bereinigen.

Dieser Mann raubte mir meine Seele.

Damals waren solche Dinge nicht bekannt. Man wusste nicht, dass es derart kranke Leute gibt, die so etwas machen – sich an einem Kind vergehen. Im Krieg wurden Frauen mehr oder weniger zum Freiwild erklärt – in Friedenszeiten wurde es aber keineswegs besser, zumal die Araber uns Juden als Eindringlinge sahen, uns das Leben vielerorts zur Hölle machten.