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Morgens im Badezimmerspiegel schaut uns eine Frau an, die man irgendwie jünger in Erinnerung hatte. Mittags huschen wir zum Optiker, um eine Lesebrille zu erstehen – die wir zuvor nur von unseren Omas kannten. Und auf dem Nachhauseweg pfeifen einem nicht einmal mehr die Bauarbeiter hinterher. Älterwerden ist scheußlich und wunderbar zugleich. Es kommt nur auf die Perspektive an. Man kann es tragisch sehen oder komisch. Monika Bittl und Silke Neumayer haben sich für den Humor entschieden und bekämpfen die kleinen Einbrüche mit den besten Waffen der Frauen: der Selbstironie und dem Lachen über sich selbst.
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Seitenzahl: 215
Monika Bittl / Silke Neumayer
Ich hatte mich jünger in Erinnerung
Lesebotox für die Frau ab 40
Knaur e-books
Morgens im Bad schaut uns aus dem Spiegel eine Frau an, die wir irgendwie jünger in Erinnerung hatten. Mittags huschen wir zum Optiker, um eine Lesebrille zu erstehen – die wir nur von unseren Omas kannten. Und abends im Biergarten ist plötzlich irgendetwas anders: Für die jüngeren Männer scheinen wir unsichtbar geworden zu sein. Älterwerden ist scheußlich und wunderbar zugleich. Es kommt nur auf die Perspektive an! Man kann es tragisch sehen oder komisch. Monika Bittl und Silke Neumayer haben sich für den Humor entschieden und bekämpfen die kleinen Einbrüche mit den besten Waffen der Frauen: der Selbstironie und dem Lachen über sich selbst.
Ein augenzwinkerndes Buch über das Älterwerden – das perfekte Geschenk für die beste Freundin
Wir haben ja immer gedacht, uns kann das nicht passieren. Aber plötzlich ist es da: das erste Fältchen. Noch plötzlicher kommt das zweite. Und dann vermehren die sich auch noch! Jetzt, wo es uns gerade so gut geht wie nie zuvor, häufen sich die seltsamen Begegnungen im Spiegelbild. Bin ich das? Und wenn ja, warum im Knitterlook? Wie krieg ich das wieder weg? Kann der liebe Gott mich nicht wieder glatt bügeln? Nein, kann er nicht! Und braucht er auch nicht! Denn erstens zählen wir schon länger nicht mehr auf die Rettung durch einen Mann. Und zweitens lassen wir uns nach dem ersten Schock auch nicht mehr einschüchtern. Wir lassen uns nicht mehr ins Bockshorn jagen – und nur noch manchmal zu Botox überreden. Jammern über 40 plus? Nicht mit uns!
Wir haben schon ganz andere Dinge gemeistert – Liebeskummer, Entbindungen, verpatzte Prüfungen, cholerische Chefs, Kleinkinder, Arbeitslosigkeit, Schwiegermütter, Scheidungen, Wasserschäden, verregnete Geburtstage, Steuernachzahlungen und Autoreifenwechsel. Wir sind nun alt genug, um zu wissen, dass der Ernst des Lebens auch Spaß machen kann. Und darüber hinaus wissen wir noch ein paar Dinge mehr: Welcher Mann es verdient, dass wir ihm die richtige Handynummer geben oder gar bei ihm bleiben, welche Schoko-Eiscreme eine Sünde wert ist und welche politische Farbe uns gut steht. Wir wissen, dass alles seinen Preis hat, auch das Älterwerden. Und dass man alles haben kann im Leben – aber leider nicht gleichzeitig. Manchmal fluchen wir auch darüber. Aber wir haben Übung im Vergleichen von Angeboten im Supermarkt – und von Lebensentwürfen. Wir wissen jetzt, worauf es wirklich ankommt.
Uns macht man so schnell nichts mehr vor, und deshalb glauben wir auch nicht an den blöden Satz: »Man ist so jung, wie man sich fühlt!«
Wir sind 40 plus, und das fühlt sich auch so an: souverän, selbstbewusst und sicher – nicht immer, aber immer öfter, und vor allem dann, wenn wir gerade nicht den eigenen Körper kritisch unter die Lupe nehmen. Denn einen kritischen Blick auf unser Äußeres haben wir ja schon seit der Pubertät. Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt, diesen Blick durch einen liebevollen zu ersetzen. Die Frau im Spiegel sagt uns zwar: »Das junge Schneewittchen ist tausendmal schöner als du.« Aber wir wissen zugleich: Das ist auch nur ein Märchen. Geschrieben von Männern. Vergiss die Falten! Die im Gesicht kommen sowieso nur vom Lachen, weil wir jetzt endlich mit Humor die Dinge hinnehmen können, die sich ohnehin nicht ändern lassen. Wir können uns unnütze Rebellionen sparen und hören nun bisweilen sogar auf unsere Mütter, die sagen: »Die schönste Zeit im Leben ist zwischen vierzig und sechzig. Da bist du noch jung und doch noch nicht alt.«
Wir haben verstanden, dass wir Frauen nicht bloß Opferlämmer eines gesellschaftlichen Jugendkults sind. Klar, überall sehen wir die Bilder der jüngeren Ausgaben unserer selbst – und kassieren dabei jedes Mal eine Klatsche in Sachen »Schönheitsideale«. Aber wir wissen um die Industrie dahinter. Viel zu lange glaubten wir, Männer stünden auf Hungermodels, bis sie uns sagten: »Nein, nein, wir wollen nicht mit Knochen spielen, wir wollen Kurven.« Jetzt fallen wir zwar wieder auf ein gesellschaftliches Bild herein, aber nur kurz. Wir lassen uns nicht mehr so leicht blenden und schauen uns Statistiken an, wie die des Bundesamtes für Statistik, in der steht, dass Männer viel mehr Wert auf den Humor einer Frau legen als auf eine schöne Fassade.
Blöd waren wir noch nie, aber jetzt durchschauen wir die Machtspielchen im Großen wie im Kleinen und stehen ihnen nicht mehr ohnmächtig gegenüber. Wir können uns wehren – wenn wir nur wollen – und lassen uns nicht zum Heimchen am Herd oder Opfer des Jugendkults machen. Denn jede, die sich so sieht und auch so benimmt, hat schon verloren.
Älterwerden ist scheußlich und wunderbar zugleich. Es kommt nur auf die Perspektive an. Man kann es tragisch sehen oder komisch. Wir haben uns für den Humor entschieden und bekämpfen die kleinen Einbrüche mit den besten Waffen einer Frau: der Selbstironie und dem Lachen über uns selbst. Und das schon am frühen Morgen, wenn wir die Frau im Spiegel sehen und ihr entgegenhalten: »Fuck the Falten!«
Fuck. Fuck. Fuck. Es ist zum Kotzen. Es ist das Letzte. Es ist eine einzige riesengroße Sauerei. Es ist laut Wecker 4:26 Uhr, und ich liege schweißgebadet im Bett und denke über mein Leben nach. Über mein vergangenes Leben und über mein zukünftiges. Falls ich ein zukünftiges Leben habe. Zukünftiges Leben? Ha! Ich bin knapp über fünfzig! Kann man da überhaupt noch von Zukunft sprechen? Als Frau doch schon mal gar nicht, wollen wir mal ehrlich sein. Männer kommen in die besten Jahre. Aber Frauen werden einfach nur alt.
Mitten in der Nacht habe ich so finstere Gedanken. So finster wie die Nacht um mich herum. Und nur mal so am Rande, ich bin nicht schweißgebadet, weil ich in den Wechseljahren bin. Mein Körper ist nicht das Problem. Mein Kopf ist es. In dem veranstalten nämlich meine Gedanken gerade ein munteres Wettrennen. Bin ich mittendrin im Leben? Oder schon knapp vorbei? Wie viele gute Jahre habe ich noch? Ich meine: echt gute Jahre. Realistisch habe ich mit über fünfzig schon den Zenit überschritten. Der Wahnsinn. Was kommt jetzt noch? Was geht jetzt noch? Seniorenteller? Wärmedecken? Rollator? Und noch mehr Pigmentflecken? Oder muss ich mich jetzt noch mal neu erfinden? Alles auf »Reset« stellen? Mein Leben noch einmal ganz toll von vorne starten? All das machen, was ich schon immer machen wollte?
Och nee, noch eine To-do-Liste! Meine Was-ich-im-Leben-alles-so-noch-machen-will-Liste ist endlos lang. Kein Wunder. Die letzten Jahre bin ich im Grunde genommen nur zwischen Kind und Job hin- und hergehetzt. Für anderes blieb dabei kaum Zeit. Und schon gar nicht für mich oder irgendwelche ausgefallenen Selbstverwirklichungspläne. Aber jetzt! Jetzt, wo Sophie in die Pubertät abrauscht und selbständiger wird, könnte ich endlich mal …
Was ich alles könnte, wenn ich könnte.
Der einzige Vorteil vom Älterwerden ist, dass sich manche Dinge auf der To-do-Liste einfach mittlerweile von selbst erledigt haben. Noch fünf Kinder kriegen geht einfach nicht mehr. Und endlich Supermodel werden war schon immer etwas schwierig.
Aber so eine Neuerfindung, egal in welche Richtung, ist ja ziemlich kräftezehrend. Woher soll ich nur die Energie nehmen? Nix mehr mit Couchsurfen und einem guten Glas Rotwein und Schokolade.
Will ich mich jetzt wirklich noch einmal neu erfinden? Ich glaube, ich will lieber meine Ruhe. Verdammt noch mal, das hab ich mir verdient. Ist ja nicht so, dass ich in meinem bisherigen Leben noch nichts gemacht hätte. Oder nichts gearbeitet hätte. Oder nichts erlebt hätte. Ich bin müüüüüde. Immer müde. Ich kann doch nicht immer flexibel bleiben. Früher habe ich übrigens gedacht, dass ich mit fünfzig ziemlich gesettelt irgendwo mit zwei Kindern, einem Mann und einem Häuschen auf dem Land vor mich hin lebe und vielleicht anfange, aus Langeweile Golf zu spielen oder den Musiklehrer meiner Tochter zu vernaschen. Nun ja, früher hab ich auch gedacht, Anti-Falten-Cremes würden etwas bringen.
Das Leben hält einfach immer Überraschungen für einen bereit.
Ich könnte natürlich auch über Frührente nachdenken. Wäre auch eine Möglichkeit. Einfach loslassen. Sich entspannen und wieder anfangen zu stricken. Alters-Cocooning. Aber um aus dem Hamsterrad auszusteigen, braucht man verdammt noch mal Geld. Rente mit 67 ist ja sowieso der Wahnsinn. Wie soll ich eigentlich bis dahin durchhalten? Und wer bitte gibt mir noch einen Job, wenn ich über sechzig bin?
Ich habe eine schwache Blase – fuck, ich muss schon wieder auf die Toilette. Das zweite Mal heute Nacht. Und es ist die dritte Nacht in dieser Woche, in der mir das so geht. Na, das sind ja schöne Aussichten. Auch das soll mit der Zeit nicht unbedingt besser werden, habe ich gehört.
Als ich endlich im Bad bin und im Halbdunkel vor mich hin pinkele, bemerke ich plötzlich ein kleines, hutzeliges Männchen mit weißem Rauschebart neben mir auf dem Badewannenrand.
Ich träume. Oder halluziniere. Eindeutig. Es tut mir einfach nicht gut, abends noch so viel zu essen.
»Ja, es tut dir nicht gut, abends noch so viel zu essen. Vor allem die Schokolade. Und dann noch zwei Gläser Rotwein. Kinder, Kinder, ihr wisst doch, was euch guttut. Warum könnt ihr euch nicht einfach daran halten? Das mit der Eigenverantwortung bekommt ihr seit Jahrtausenden einfach nicht auf die Reihe.«
Mit einem Satz springe ich auf. Das heißt, ich würde gerne, aber auf der Toilette mit runtergelassener Pyjamahose ist das etwas schwierig.
Seit wann sind Träume so real?
Nie wieder Rotwein und Schokolade in diesen Mengen.
Ich schwöre es.
»Ich bin kein Traum. Ich bin Gott. Und ich bin heute Nacht auf meiner Zufallsstichproben-Besuchstour für Problemkinder. Du hast Glück, du hast zwei Minuten mit mir.«
Ich starre den Typen an.
Fuck. Ein Einbrecher.
»Nehmen Sie alles, was ich habe, es ist nicht allzu viel, kann ich Ihnen gleich sagen, solange dieses Buch nicht fertig geschrieben ist und ein Mega-Bestseller wird. Aber lassen Sie mich und mein Kind am Leben! Ich flehe Sie an!«
Das Männchen schüttelt den Kopf.
»Genau das geht leider nicht – du kannst alles behalten, was du hast, zumindest für jetzt, aber ich kann dich nicht am Leben lassen – zumindest nicht für immer. Das scheint ja gerade dein Problem zu sein, das ganze Älterwerden. Deshalb bin ich hier. Und ich bin kein Einbrecher. Ich bin Gott. Das hab ich doch schon gesagt. Wie viel Zeit die Leute heutzutage immer vergeuden, bis sie mir glauben! Früher war auch das viel einfacher. Kaum war ich da, sind schon alle auf die Knie gefallen und fingen an zu beten.«
Ich starre das Männchen an. Gott? In meinem Badezimmer? Nachts um 4:48 Uhr?
Warum nicht?
»Ich will einen Beweis. Sonst rufe ich doch die Polizei«, sage ich, stehe auf und ziehe schnell meine Pyjamahose hoch. Falls der Typ doch nicht Gott ist, könnte ich ihm vielleicht mit meinem Föhn eins überziehen. Und falls es doch Gott ist, macht es ihm sicher nichts aus, meinen nackten Po zu sehen.
Das Männchen seufzt und verwandelt sich vor meinen Augen in meine Großmutter. In meine verstorbene Großmutter, versteht sich.
»Nun, zufrieden?«, murmelt meine Großmutter kopfschüttelnd. »Kind, du hast noch eine Minute und zwölf Sekunden. Nutze die Zeit.«
Fuck. Mir fällt die Kinnlade runter. Und dann fängt mein Gehirn an zu rasen. Hier sitzt Gott, und ich kann ihn endlich mal alles fragen, was ich schon immer wissen wollte. Alles, was mir in letzter Zeit auf der Seele liegt und was mich nachts nicht schlafen lässt. Und dann auch noch alles, was die Menschheit schon immer wissen wollte und nie erfahren hat.
Dann hole ich tief Luft und lege los:
»Warum muss ich alt werden? Und warum muss ich sterben? Warum werden überhaupt nur Frauen alt, und Männer kommen in die besten Jahre? Und warum hast du dir das mit der begrenzten Fruchtbarkeit bei Frauen einfallen lassen? Das ist furchtbar ungerecht. Und machomäßig. Kein Wunder, dass dich alle für einen Mann halten. Das mit dem Älterwerden ist nicht lustig. Das kann ich dir sagen. Wenn du wirklich allmächtig bist, bist du, mit Verlaub, ein Arschloch. Wollte ich dir schon immer mal sagen. Und wir wollen hier nicht nur über das Älterwerden sprechen, sondern über das ganze Elend der Welt. Das geht so nicht, wenn man allmächtig ist. Das ist eine Zumutung und eine Schweinerei! Das musst du ändern, und zwar sofort. Ich dachte, wir sind nach deinem Ebenbild geformt! Wirst du etwa älter??? Nein, nein, für dich ist die Ewigkeit gedacht und für uns der Rollator! Wahrscheinlich kannst du sowieso jede Gestalt annehmen, auch die von einer 25-jährigen Gisele Bündchen! Das ist eine Gemeinheit. Eine einzige Schweinerei! Ich fordere die sofortige Überarbeitung des ganzen Systems und ein Ende des Welthungers und …«
In diesem Moment tönt eine Stimme aus meiner Regendusche herab: »Ihre Zeit ist leider um. Danke, dass Sie unseren Service Zufallsstichproben-Besuchstour für Problemkinder genutzt haben.«
Ich blicke meine Großmutter verblüfft an. Das klang jetzt wie eine Durchsage am Bahnhof. Das kann doch wohl nicht wahr sein? Meine Großmutter verwandelt sich vor meinen Augen erneut, diesmal in einen lässigen Typen mit Nerd-Vollbart, und steht auf:
»Tut mir leid, ich muss jetzt leider zum Nächsten. Das mit dem Bevölkerungswachstum der letzten Jahre macht mir echt verdammt viel Arbeit. Von den dauernden Überstunden will ich gar nicht reden. »Seid fruchtbar und mehret euch!« – wenn ich gewusst hätte, wohin das führt, hätte ich das wahrscheinlich einfach weggelassen. Aber hinterher ist man ja immer schlauer.«
Der Typ mit dem Nerd-Vollbart beginnt langsam zu verblassen, ab und zu flackert dazwischen das Bild meiner Großmutter auf.
»Ja, aber? Meine Fragen! Du hast doch noch gar keine beantwortet! Was soll das? Du kannst jetzt noch nicht gehen! Warum müssen wir älter werden? Warum muss ich älter werden? Warum müssen wir sterben? Und was ist mit dem Welthunger?«
Der Typ kichert in seinen Nerd-Bart.
»Ach ja, das Älterwerden – denk doch einfach mal über die Alternative nach. ›Live fast – die young‹ wird bei dir ja wohl nix mehr. Diesen Zug hast du echt verpasst. Und Unsterblichkeit ist für euch einfach nicht vorgesehen – im jetzigen System zumindest. Ich arbeite ja an einem Update – aber das ist alles ziemlich kompliziert, wie du dir vielleicht vorstellen kannst. Du weißt schon, kaum wird die Software aktualisiert, stürzt das ganze System ab.«
Noch bevor ich etwas sagen kann, ist er verschwunden.
Echt jetzt?
Das war’s?
Zwei Minuten?
Und ich hab die Hälfte davon mit Pinkeln verbracht. Typisch!
Ich muss schon wieder pinkeln. Als ich mich wieder auf die Toilette setze, wird mir klar, das war alles nur ein Traum. Was soll Gott auch nachts in meinem Badezimmer? Der hat ja nun wirklich Besseres zu tun! Oder?
Verschlafen schlurfe ich wieder ins Bett, und dann fällt mir ein Spruch meiner Großmutter ein: »Ändere das, was du ändern kannst, und mit dem Rest musst du dich einfach anfreunden.« Gut, das mit dem Älterwerden lässt sich nun mal nicht ändern. Und die Alternative ist ja wohl noch bescheuerter. Da hat der liebe Gott schon recht.
Meine Großmutter war übrigens eine sehr gemütliche alte Dame, die mit dem Älterwerden nicht so viele Probleme hatte. Sie hat weder ihrer Jugend hinterhergeweint noch versucht, mit über sechzig so auszusehen wie mit dreißig. Ab und zu hat sie über ihre Knie gejammert, und ansonsten hat sie es sich ziemlich gemütlich gemacht. Und nebenher hat sie fünf Kinder bekommen und zwei Weltkriege überlebt – da wäre es doch wirklich lächerlich, sich über seine nicht mehr ganz so straffe Gesichtshaut aufzuregen.
Mit diesen Gedanken drehe ich mich noch mal im Bett um und denke: »Fuck the Falten – es gibt wahrlich Schlimmeres im Leben.«
Und dann schlafe ich endlich ein.
Der geburtenstärkste Jahrgang war 1964. Doch komischerweise hat diese Generation keinen eigenen, schönen Namen bekommen so wie die 68er oder die Generation Praktikum, die Generation Maybe oder die Generation Y. Wir heißen nur ganz schnöde »geburtenstarke Jahrgänge« oder »Babyboomer«. Als wäre es nicht schon gemein genug, dass wir massenweise Monika, Andreas, Sabine, Stefan, Susanne, Michael oder Petra heißen, bezieht sich unser Generationenname auch nur auf die Masse. Namen, die in der Masse untergehen. Was verbindet man dagegen nicht alles mit den 68ern! Revolution, Aufbruch, Weltveränderung. Und wir? Wir sind die Epigonen.
Nur die Werbung hat uns jetzt als Zielgruppe für scheinbar nette Ausdrücke, in Wahrheit aber wenig schmeichelhafte Etiketten entdeckt. Wissen Sie, wie die über uns reden? Hier ein Auszug aus einem Papier der Reisebranche:
»Dies gilt besonders für die Gruppe der über Fünfzigjährigen, der sogenannten Best Ager, auch Generation 50plus, Silver Ager, Third Ager, Mid Ager oder Master Consumer genannt. Wichtig, Best Ager sind keine Senioren! Meist fühlen sich Best Ager rund zehn Jahre jünger, als sie tatsächlich sind. Best Ager stehen mitten im Leben, sind aktiv und offen für Neues. Oft stehen sie noch mit beiden Beinen im Berufsleben oder haben die Berufstätigkeit erst vor kurzem beendet. Ihre Interessen sind vielschichtig. Die Themen Abenteuer, Fitness und Gesundheit haben einen hohen Stellenwert. Nie waren Best Ager fitter und erlebnishungriger als heute.«
Nicht bloß beim »Master Consumer« rollen sich mir die Zehennägel auf. Das muss man sich mal vorstellen! In meinem Abiturjahrgang war nur ein Einziger (soweit ich mich erinnere), der nicht gegen Atomkraft, amerikanischen Imperialismus und »Konsumterror« wetterte. Es war schick, Orchideenfächer zu studieren, und Betriebswirtschaftsstudenten hatten den Ruch, korrupt zu sein. Wie kann man nur Karriere machen wollen? Was waren denn das für Leute? Volkswirtschaft ging ja gerade noch, aber meine beste Freundin, die sich auf einen Banker einließ, wurde kaum mehr auf Feten (so hieß das damals) eingeladen. Vielleicht waren wir durch die heile Welt amerikanischer Kinderserien geprägt? Daktari und Bonanza liefen am Wochenende, als wir klein waren und als das Kinderprogramm gegen die Sportschau anzukämpfen hatte. Vielleicht waren wir auch durch unsere Selbständigkeit geprägt? Denn nie und nimmer im Leben wäre es meiner Mutter oder den Müttern meiner Freunde eingefallen, mit uns Hausaufgaben zu machen oder mit uns zu lernen. Trotzdem entwuchsen gerade unserer Generation oft die ersten weiblichen Akademikerinnen der Familie. Wir studierten in den blauen Tag hinein – was später mal ein Beruf werden sollte, war zweitrangig.
Es war geradezu spießig, mit 25 Jahren schon an den Arbeitsmarkt, eine Familiengründung oder gar einen Hausbau zu denken. Eltern, die vorschlugen: »Denk doch mal an die Zukunft«, hielten wir entgegen, dass wir vielleicht gar keine Zukunft mehr hätten, wenn es mit dem Waldsterben, dem Ozonloch und der Überbevölkerung so weiterginge. Trotzdem ließen wir uns von der drohenden Apokalypse nicht einschüchtern. Wir trampten nach Italien, lernten, dass man Pasta ganz und gar nicht mit Eiernudeln verwechseln darf, dass sie al dente gehören und nur ganz schreckliche Deutsche Spaghetti mit Gabel UND Löffel essen. Wir entdeckten den Espresso, der nicht mit deutscher Brühe verglichen werden durfte. Wir importierten italienisches Designgefühl und Toscana-Wein.
Das Waldsterben blieb aus, das Ozonloch füllte sich wieder, die Energiewende sorgte für abgeschaltete Atomkraftwerke, und aus den ersten Bioläden wurden Supermarktketten. Einige haben doch noch eine gute Karriere gemacht, andere Familien gegründet und nicht wenige ein Haus gebaut. Unseren Kindern erzählen wir von der unvorstellbaren Zeit, als es weder Internet noch Handys gab. Ja, wie haben wir es eigentlich geschafft, uns damals zurechtzufinden? Und wieso leben wir überhaupt noch, wo doch damals, als wir klein waren, in jedem Wohnzimmer gequalmt wurde und Warnhinweise noch nicht erfunden waren? Ich erinnere mich tatsächlich noch an Medikamente meiner Oma, denen keine Packungsbeilage zugefügt war!
Und jetzt sollen wir »Best Ager« oder so ein Zeug sein?! Nein, wir haben einen besseren Namen verdient. Ich nenne uns nun einfach »Generation al dente« – denn nicht nur unsere Nudeln sind bissfest, sondern auch wir selbst immer noch knackig. Wir haben uns nicht weichkochen lassen.
»Eine Frau kann mit 19 entzückend, mit 29 hinreißend sein, aber erst mit 39 ist sie absolut unwiderstehlich. Und älter als 39 wird keine Frau, die einmal unwiderstehlich war!«
Gemäß diesem Zitat von Coco Chanel brüte ich am Küchentisch über einem Einladungsschreiben zu meinem »39. + x Geburtstag«. (Um die mathematische Variable nicht zu spannend zu machen: Es handelt sich bei dem »x« um eine Elf). Soll ich die Leute wirklich zu meinem »39. Geburtstag« einladen? Fühlen sich dadurch nicht ältere Freundinnen verarscht? Oder rufen entfernte Bekannte, die ich schon länger nicht mehr gesehen habe, dann enttäuscht: »39? Du siehst aber viel älter aus!« Soll ich das Zitat von Coco Chanel dazustellen, damit es auch wirklich jeder kapiert?
Ich verwerfe die Idee wieder und bastle eine »Fifty-Party«-Einladungskarte mit vielen Luftballons. Aber wie albern wirkt das eigentlich, eine Einladung zum Fünfzigsten mit Luftballons zu garnieren! Das ist doch kein Kindergeburtstag! Aber was soll ich denn stattdessen bildlich gestalten? Meine Falten vielleicht? Zu so einer Grufti-Veranstaltung kommt doch kein Mensch! Ich zerknülle das Papier und überlege, ob ich diesen Geburtstag überhaupt feiern soll. Ist es nicht schrecklich, plötzlich eine »5« vorne stehen zu haben? Es ist schließlich überhaupt kein Spaß, plötzlich so alt zu werden, schon gar nicht als Frau! Urplötzlich fünfzig – und da soll frau auch noch witzig sein? Ach was, ich mache gar kein Fest, ich werde mich an dem Abend einfach in mein Bett verkriechen und meine Wunden lecken!
»Was ist denn mit dir los?«, fragt meine Tochter, die am Küchentisch vorbeikommt.
»Nichts!«, antworte ich knapp.
»Komm schon, Mama!«
Meine Tochter kennt mich manchmal besser als mein Mann. Also gut. Ich gestehe ihr alles und füge hinzu, dass man das in ihrem Alter einfach noch nicht verstehen kann. Mit fünfzehn wäre ich auch viel lieber älter gewesen.
Eva grinst. Sie hat eine Idee. Kein Mensch auf der Welt könne mir vorschreiben, welchen Geburtstag ich nachfeiere. Ob ich denn den 29. Geburtstag damals gefeiert hätte? Ich überlege, kann mich nicht mehr erinnern, rechne nach: Nein, da war ich gerade im Prüfungsstress, da konnte ich nicht feiern. Na also!
Meine 29. Geburtstagsfeier wird der Hit. Wir feiern lustig bis in den frühen Morgen. Nicht nur weil die »29« ein tolles Gesprächsthema ist und Geschenkideen liefert (29 Rosen, 29 Früchte, 29-Euro-Gutscheine), nein, sie kann auch gleich als Vorbild für das nächste Fest genommen werden. Und die durchgemachte Nacht stecke ich weg, als wäre ich tatsächlich 29!
Neulich bei der Führerscheinstelle: Der Warteraum ist überfüllt. Um mich herum überwiegend junge Leute. Wird denn nur älteren Leuten wie mir die Handtasche mitsamt Führerschein gestohlen? Bin ich jetzt am Ende vielleicht schon ein altes Mütterlein und bevorzugtes Diebesopfer? Ach was! Der Handtaschendiebstahl hatte Methode, das meinte auch der Polizist! Er (und er war geschätzte 25!) hätte es bei dieser Raffinesse auch nicht gleich bemerkt, wenn man ihn so hinterhältig ausgetrickst hätte.
Zurück zur Führerscheinstelle: Zehn Sitzplätze für gefühlt tausend Wartende. Ich wünsche mir Benzinpreise um die fünf Euro, bis mir einfällt, dass ich dann ja auch nicht mehr tanken könnte.
Direkt neben mir steht ein Mann auf, der nun an der Reihe ist. Ich lasse mich auf dem Sitzplatz nieder, hole mein Notizbuch aus der Tasche und arbeite. So kann ich die Wartezeit, die ich auf gut zwei Stunden schätze, wenigstens nutzen.
Arbeiten. Warten. Abschweifen. Warum gibt es Führerscheine und warum noch viel mehr Führerscheinstellen? Könnte man das nicht irgendwie anders regeln? Fahrrad fahren darf doch auch ein jeder, der es einfach kann! Ja, Auto fahren ist weitaus gefährlicher. Ich weiß schon. Aber auf welche Gedanken würden Sie so kommen, wenn Sie in einem Amt sitzen und warten und arbeiten und abschweifen? Bei jedem Ton, der die nächste Wartenummer aufruft, wandert mein Blick vom Notizbuch auf die Anzeigetafel. Das Ziel rückt näher, aber ist immer noch unendlich weit entfernt.
Ich muss aufs Klo. Meine neue Handtasche werde ich ganz bestimmt nicht liegen lassen, um mir den Sitzplatz zu reservieren. Aber vielleicht mein Notizbuch? Nein! Wie viel mehr ist mein Geist denn wert. Die schriftlichen Ergüsse dieses, meines Geistes. »Die Jacke!«, fällt mir ein, und ich lasse einfach meine Jacke liegen und suche die Toilette.
Als ich zurückkomme, faucht gerade ein junger Mann eine junge Frau im Warteraum an: »Haste einen an der Klatsche, die alte Frau zu verjagen, du doofe Tusse?«
Wo ist die alte Frau? Ich sehe keine.
Verdammt! Die junge Frau wollte sich auf meinem Sitzplatz niederlassen – sie schob meine Jacke zur Seite. Der junge Mann lächelt mich siegessicher an. Die junge Frau stellt sich an den Rand.