Ich spüre euch! - Jana Lel - E-Book

Ich spüre euch! E-Book

Jana Lel

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Beschreibung

Seit meiner Kindheit bin ich nicht wie andere. Ich spüre sie. Sie alle sind unter uns. Meine Familie und Freunde wollten mir nie glauben und irgendwann habe ich aufgehört, es ihnen beweisen zu versuchen.

Einige Jahre lang wurden mir die Wesen zu Feinden - ich habe nur auf Leben und Tod gelebt. Aber gerade möchte ich einfach ein gewöhnlicher Mensch sein und weiter in dem Restaurant arbeiten, in dem ich gerade angestellt bin.

Ein Traum, ein Wunsch, ein selbst ausgedachtes Märchen.

Ich werde es nie können. Und das weiß auch der Vampir, der mir seit ein paar Jahren schon nachspioniert. So ein Mist auch! Stirbt er durch einen Schlag ins Gesicht?

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Jana Lel

Ich spüre euch!

Ich widme dieses Buch meiner ehemaligen Lesepatin Dorothea Berge, die mir die Liebe zum Lesen und Unterstützung zum Schreiben gegeben hat.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Einleitung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es liegt allein an einem selbst, ob man glücklich ist.

Warum aber muss man es erst lernen,

sich von der Außenwelt nicht beeinflussen zu lassen?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog. Verlorene Erinnerung

 

 

 

 

 

Ich wache durchgeschwitzt auf, mein Atem geht flach und schnell und die Tränen wollen nicht aufhören. Ich kann nicht mehr. Ich kann einfach nicht mehr!

Ich steige voller Wut aus dem Bett, ziehe mir Jeans und Pullover über, mache einen unordentlichen Zopf und eile aus der Wohnung hinaus. Mein Weg mit der Subway ist verdammt lang, doch ich halte an meiner Wut, denn sie ist besser als alle anderen Gefühle, die vorzudringen versuchen. Und dann bin ich endlich draußen, in zehn Minuten stehe ich vor dem riesigen, gläsernen Hochhaus.

Den Mann am Empfang kenne ich nicht, doch offenbar kennt er mich, denn er ruft mir meinen Namen hinterher, als ich einfach über die Einlassschranke springe und die Nottreppe hoch sprinte. In der Vorhalle im letzten Stockwerk stoße ich Cindy zurück, die hinter ihrer Theke hervorkommt, um mich abzuhalten, und das tut mehr als nur gut. „Was sind das für Träume?!“, fahre ich Jocelyne an, als ich in ihr Büro hereinrase.

Sie schaut kalt zu mir auf. „Worüber sprichst du? Du kannst nicht einfach wie eine Furie in mein Büro hereinstürmen!“

„Du weißt es!“ Meine Hände sausen mit einem Knall auf ihren Tisch herunter. „Ich sehe dir an, dass du es weißt. Wann ist das passiert?!“

„Das willst du nicht wissen, Shivens.“, entgegnet sie entschlossen.

„Wenn ich danach frage, dann will ich es auch wissen!“

Sie schießt hoch und ihr teurer Edelholzstuhl fällt nach hinten um. „Hör zu! Du bist heulend zu mir gekommen und hast mich angefleht, die Erinnerungen abzusperren. Du könnest nicht mehr, hast du mir gesagt. Du könnest an nichts anderes denken. Du hättest es immer im Kopf. Du sähest es in deinen Träumen. Es verfolge dich tagsüber in Bildern. Du sähest es jede Minute. Das hast du mir gesagt! Du selbst! Das war so ein Aufwand für Tiryon, du kannst jetzt nicht wie ein Hurrikan ankommen und alles wieder zurückhaben wollen!“

„Es ist aber zurück! Ich will es nicht wiederhaben, aber es ist zurück! Ich sehe es. Nacht für Nacht. Schon wieder...“ Kurz senke ich den Blick, bevor ich erneut fest in ihre Augen starre. „Wer ist das?!“

„Shivens -!“, fängt sie an.

„Nein, wer ist es?!“, unterbreche ich sie verzweifelt. „Wer ist es, der da draußen herumläuft?! Wer ist es?“

„Verdammt nochmal, Alyssa, halt den Mund!“

„Wer ist es?“ Ich falle auf die Knie und breche heulend zusammen. „Wer ist es? Bitte sag es mir...“

Sie fährt sich über die Haare und stöhnt auf. Mit geschlossenen Augen und dem Blick zur Decke murmelt sie: „Oh Thor, lass mich das Ganze überleben...“ Dann kommt sie auf mich zu und geht neben mir in die Hocke, legt den Arm beinahe schon schwesterlich um mich. „Es sind ganze Monate, die dir durch mich verloren gegangen waren.“, meint sie ruhig. „Aber jetzt hast du sie ja wieder. Du musst ihn loslassen, Alyssa. Dann bleibt er auch nur eine Erinnerung, mehr aber nicht. Du kannst ihn niemals für immer haben. Jetzt nicht mehr und früher genauso wenig.“

„Wer ist es, der da draußen herumläuft? Ich habe ihn doch umgebracht. Ich habe ihn umgebracht, warum ist er noch da? Ich dachte, ich hätte ihn...“

„Du hast ihn umgebracht. Er hat eine ganze Stunde nicht mehr gelebt. Aber sein Meister ist stark und wollte in deiner Wunde bohren. Du hast alles richtig gemacht, Alyssa, das hast du wirklich. Doch du musst mit der Wahrheit leben. Du kannst sie nicht so einfach verdrehen und absperren lassen.“

„Sie wollen mich immer noch kriegen, sie alle...?“, flüstere ich zitternd. Ich weiß, was Jocelyne antworten wird. Und das bereitet mir Angst.

„Ich brauche dir nicht zu antworten.“ Eine Weile bleibt sie still. „Schwere Zeiten stehen vor unser aller Türschwelle. Niemand kann sie umgehen... Wir haben unser Bestes getan. Jetzt müssen wir nur noch das Niveau halten, Shivens. Ich kenne dich und du bist stark.“

„Du kennst mich nicht.“

Sie lässt mich los und schaut mir fest in die Augen, ein verstecktes Lächeln voller Entschlossenheit bildet sich um ihre Mundwinkel. „Dann bist du noch viel stärker.“

1. Jaques d'Argent

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Jaques d'Argent

 

 

 

 

 

Als kleines Mädchen mit klischeehaften zwei blonden Zöpfen und blauen, verspielten Augen hatte ich immer riesige Angst vor dem Übernatürlichen – allein die Erwähnung von Geistern, Vampiren oder Hexen konnte mich zum Heulen bringen. Nach zwanzig Jahren mittlerweile nicht mehr. Nach zwanzig Jahren sollten sie sich mal Sorgen machen. Woran mein Selbstbewusstsein liegt? Tja. Und das Beste ist, die meisten Nicht-rein-menschlichen schlagen tatsächlich einen Bogen um mich. Sie spüren mich und ich...

Aus der Außenwelt werden hohe Glocken hörbar. Ich blicke von dem Weinglas hoch, das ich gerade mit einem kleinen weißen Tuch poliert habe, und sehe wie erwartet die Eingangstür sich schließen. Aufgrund der frühen Tageszeit befinden sich nur wenige Gäste in dem ruhigen Restaurant. Der Neuankömmling bewegt sich aber auf einen bestimmten Tisch zu und ragt dabei auch noch eindeutig aus der Menge heraus. Wenn seine Kleidung ihn nicht verraten hätte – er trägt einen großen, schwarzen Männerhut, einen schwarzen, etwas dickeren Mantel und einen schwarzen, wohl maßgeschneiderten Anzug –, dann wäre es das Kribbeln, das sich jetzt über meine Haut ausbreitet. Meine Güte, und ich hatte noch gehofft, dass es heute ruhig bleibt! Jede Woche das Gleiche...

Stumm stelle ich das glänzende Weinglas hinter die Theke, nehme eine Menükarte und laufe auf ihn zu. Der Mann würdigt mich keines Blickes und gibt stattdessen vor, beschäftigt mit seiner Kleidung zu sein. Ich lege die Speisekarte – ein dünnes, längliches Büchlein – vor ihm auf dem Tisch ab und beuge mich dadurch nah an sein Ohr vor. „Ist es Ihnen im Sommer nicht ein wenig zu warm in dieser Aufmachung?“, frage ich leise mit höflicher Freundlichkeit.

Der Mann nimmt die Karte langsam in seine Hände und öffnet sie. Sein Mund verzieht sich zu einem Lächeln. „Nein, Schätzchen, ich fühle mich ausgezeichnet gut. Aber vielen Dank für Ihre Sorge um mein Wohlergehen.“

Ich beiße die Zähne zusammen und zwinge meine Lippen zum Lächeln. „Ich dachte, die Sache mit dem Spritznamen hätten wir bereits hinter uns.“, erwidere ich noch immer so leise, dass die anderen Gäste durch unsere Unterhaltung nicht gestört werden sollten. Es muss aussehen, als würde ich seine Fragen zu der Bestellung beantworten.

Der Mann schnaubt und ich deute es als sein selbstgefälliges Lachen. „Das habe ich, ehrlich gesagt, auch angenommen.“, pflichtet er mich bei, doch es ist noch lange keine Zustimmung. Dafür kenne ich ihn zu gut. Dieser junge Herr vor mir ist mein alter Bekannter. Und zudem ein Vampir... Jaques d'Argent. Ja, welch eine Ironie, wenn man bedenkt, dass argent vom Französischen als Silber übersetzt wird.

An dieser Stelle ist noch wichtig zu erwähnen, dass er zwanghaft zu meinem Bekannten wurde. Seit er einmal in das Restaurant gekommen ist, sehe ich ihn immer wieder irgendwo in meiner Nähe. Wobei spüren da eher passt. Zu den Nicht-rein-menschlichen entwickele ich nämlich ein ganz bestimmtes Gefühl, je öfter ich ein und denselben treffe. Und dieser Vampir hat sich in den zwei Jahren bereits zu gut in meinen Sinnen eingeprägt. Soll er doch bitte endlich verrecken.

„Aber ich glaube, wir sehen die Lösung Ihres kleinen Problems aus unterschiedlichen Blickwinkeln.“, fügt Jaques hinzu und hebt den Blick von der kleinen Schrift, sodass sich unsere Augen begegnen. Seine Pupillen sind so dunkel, dass ich sie nicht von der Iris unterscheiden kann. Ob sie tatsächlich schwarz sind oder von einer anderen sehr dunklen Farbe, hätte ich nur sagen können, wenn ich mich Nase an Nase zu ihm vorgebeugt hätte. Doch darauf kann ich ruhig verzichten.

Ich verdrehe die Augen. „Da liegen Sie verdammt richtig, Sherlock.“ Wie ich schon längst bemerkt habe, scheint ihn mein Ärger zu amüsieren. Genauso wie jetzt. Aber ich kann es wirklich nicht verbergen, so sehr ich es auch gewollt hätte.

Einige Kunden sehen sich suchend nach mir um, weshalb ich schnell fachmännisch werde. „Haben Sie sich schon entschieden?“ Diese Frage ist so überflüssig wie eh und je, weil Jaques einmal die Woche hierherkommt und immer nur dasselbe bestellt: ein blutiges Steak mit einem Glas roten, süßen und teuren Wein.

„Ja, sicher.“, antwortet er mit einem überheblichen Tonfall als würden wir uns gar nicht kennen. Und dann bestellt er genau das, was ich mir schon auf ein kleines Zettelchen gekritzelt habe, um es in der Küche abzugeben.

„Ihr Wein kommt sofort.“, beende ich unsere Unterhaltung und eile davon.

In der Küche ist es wie immer laut, heiß und aufgeregt. „Bestellung Tisch 1.“, rufe ich. Ich wedele mir mit einer Hand warme Luft zu und spüre, wie ein Schweißtropfen seitlich von meiner Stirn läuft.

Ein junger Koch in weißer, befleckter Arbeitskleidung kommt auf mich zu und lächelt aufmunternd. „Na, wieder dein Spezialgast?“

Ich zucke hilflos mit den Schultern. „Es ist Mittwoch um eins, was erwartest du noch, Max?“

Der Koch lächelt schief und nimmt mir den Zettel ab. „Komm, anderthalb Stunden die Woche überlebst du es.“

Max ist so etwas wie mein Arbeitsfreund. Ich habe ihn hier in der Küche immer kurz gesehen und als unser Restaurant vor mehr als einem Jahr seine fünfzehn Jahre gefeiert hat, saßen wir am Tisch nebeneinander und haben uns besser kennengelernt. Seitdem schreiben wir miteinander und mindestens einmal die Woche gehen wir zusammen aus. Max ist so...

Ich lächle zurück. „Das sagst du jeden Mittwoch. Komm, ab an die Arbeit.“

Er schüttelt grinsend den Kopf. „Hey, hey, hey! Dass dich der Chef vorne an die Bestellungsannahme gestellt hat, heißt noch lange nicht, dass du mich hier rumkommandieren kannst.“

„Natürlich nicht.“, lache ich und verlasse die Küche.

Dann gehe ich zurück an die Theke und gebe dem Barmen Eric die Weinbestellung weiter. Ich bin keine Kellnerin, ich muss zum Glück nichts zu den Tischen bringen. Ich nehme nur die Bestellung auf und verteile sie an alle anderen. Manchmal, wenn hier kaum was läuft, stelle ich mich zu Eric und poliere die schon glänzenden Gläser – wie auch heute, bevor Jaques aufgetaucht ist. Mit ihm werde ich noch verrückt! Ich weiß wirklich nicht, was er von mir will. Ich verstehe nicht, warum er mich verfolgt, und mir fällt auch nach zwei Jahren kein triftiger Grund dafür ein. Ich habe auch bereits versucht, den Vampir danach zu fragen, doch er hat mir nur ein wages Wirst du früher oder später selbst verstehen als Antwort gegeben. Am liebsten hätte ich ihn angebrüllt.

Jaques lässt sich noch zweimal melden: einmal, um seinen Wein nachzufüllen, und ein zweites Mal, um ein Dessert zu bestellen. Auch das ist mir nicht neu, das tut er nämlich jeden Mittwoch. Ob er nicht langsam genug von demselben Essen hat? Macht es für Vampire geschmacklich überhaupt einen Unterschied, was sie zu sich nehmen? Ich frage mich immer wieder, wie weit denn mein Wissen über Übernatürliches wirklich geht. Schließlich hatte ich früher auch gedacht, dass Vampire kein normales Essen zu sich nehmen würden, und doch tauchen sie mal heute, mal morgen im Restaurant auf. Die Werwölfe bevorzugen, meines neusten Wissens, ein Rudel, gehören jedoch nicht immer einem an. Geister können, wenn sie wollen, bei einem richtigen Lichteinfall eine beinahe menschliche Form annehmen. Hellseher sind nicht alle verrückt. Und nicht jede Hexe ist böse oder benutzt ihre Kräfte. Mir fallen noch zig andere Beispiele ein, wo sich mein klischeehaftes Wissen geirrt hat, doch die möchte ich hier nicht ausführen, um nicht völlig dumm zu erscheinen.

 

2. Der Brief 1

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Der Brief 1

 

 

 

 

 

Meine Wochen vergehen ganz einfach: Montag bis Freitag, von neun bis fünfzehn Uhr arbeite ich im Restaurant, dann gehe ich am Nachmittag einkaufen, jogge mehrere Runden im Park und versuche, mich abends mit einer Tasse Tee zu Hause vor dem Übernatürlichen zu verstecken. Der Samstag ist mein Shopping- und Freundetrefftag und ich habe mich bereits mit meinen besten Freundinnen verabredet, bei mir etwas Wein zu trinken, Sushi zu bestellen und kitschige Liebesfilme zu schauen. Manchmal muss man einfach abschalten können und den ganzen Quatsch vergessen, der sich um einen dreht.

Bettany beendet zurzeit ihr Medizinstudium und versucht nebenbei, in ihrem Job als Aushilfe im örtlichen Krankenhaut Ansehen zu erlangen. Ihre Mitarbeiter benehmen sich ziemlich grässlich ihr gegenüber, doch sie wird sich nicht unterkriegen, da bin ich mir völlig sicher. Ihre Kindesjahre als Gymnastiktänzerin haben sie Standhaftigkeit gelehrt und jetzt geht es nur voran, die Ziele zu erreichen. Ich kenne sie seit der High-School und mit jedem Jahr ist sie nur stärker geworden.

Caroline hat dagegen ein Studium zum Architekten abgeschlossen, arbeitet gerade für eine große Firma, die vollkommen irrsinnige Gebäude in ganz USA errichtet, und verkauft eigene Gemälde auf Etsy. Ich beneide sie um ihre Fähigkeit, so wundervoll mit Farben und Stiften umzugehen, denn ich selbst kann nur digital zeichnen – und sogar da finde ich mich nicht besonders toll. Carol aber ist die talentierteste Zeichnerin aus meiner Uni, die ich je kennenlernen durfte.

Die beiden sind mir ans Herz und Seele gewachsen, doch ich bringe es bis heute nicht über mich, ihnen von meiner Fähigkeit und von der Hinterwelt zu erzählen. In mir wohnt die Angst, dass dann etwas geschieht... wofür ich mich mein ganzes Leben verfluchen würde. Und ich weiß nicht, woher diese Furcht kommen mag.

„Und wisst ihr, da traut er sich noch, mir zu schreiben! Wir haben uns seit der High-School nicht mehr gesehen – ich verstehe nicht, was er von mir erwartet. Dass ich ihm in die Arme laufe und schreie, wie sehr ich ihn und unsere Beziehung doch all die Jahre vermisst habe?! Meint ihr, es ist berechtigt, ihn zu blockieren?“ Bett kommt wie immer sehr schnell auf ihr Liebesleben zurück, anstatt sich den Kopf über die Arbeitsprobleme zu zerbrechen. Das ist mein Mädchen, so ist das richtig.

Carol nickt schnell. „Ja, mach das sofort. Ich sag dir, ich hatte bis jetzt zwar nur eine Beziehung, doch seitdem Jon wusste, dass mir ein Kommilitone sympathisierte, hat er sich wie ein verdammter Stalker benommen bis ich ihn zum Teufel geschickt habe, weil er angefangen hat, mich wieder anzurufen.“

„Oh ja“, stimme ich zu. „Den Männern musst du alles eindeutig und voller Bestimmtheit sagen – Andeutungen gibt es in ihrer Welt wohl nicht.“

So läuft das immer bei uns. Nach einiger Zeit fangen wir an, über die Zukunft nachzudenken, über Veränderungen, die wir auf jeden Fall noch durchmachen wollen,

und ein Leben, das uns nur in Träumen wahr erscheinen kann. Manchmal braucht man so etwas. In solchen Momenten vergesse ich immer, wer und wo ich bin, dass um mich herum so viele Nicht-rein-menschliche sind und dass diese Art von Leben für mich leider immer unter Normalität fallen wird. In solchen Momenten wünsche ich mir jedes Mal, ich könnte meine Fähigkeit wie Kleidung ablegen.

„Wie geht’s eigentlich deinem Vater?“, frage ich und schaue Carol an.

Sie nimmt einen großen Schluck Wein aus ihrem Glas und seufzt betrübt. „Er kämpft. Aber der Krebs kämpft halt gegen ihn. Wir hoffen alle, dass die Chemo was bringen wird. Er sieht so schwach aus, dass ich nicht zu ihm schauen kann, wenn meine Mom und ich ihn besuchen kommen. Aber er lächelt immer und streichelt meine Hand. Ich habe mich schon daran gewöhnt, Mädels. Irgendwann wird er wieder nach Hause kommen.“

Ich greife nach ihrer Hand und drücke sie leicht. Bett legt ihr den Arm um die Schultern und gibt ihr einen Kuss auf die Wange.

„Er wird es schaffen.“, versichere ich ihr. So denke ich das auch.

„Die Medizin ist heutzutage hochentwickelt und vor allem wir hier in New York haben eine große Möglichkeit, gesund zu werden und es auch zu bleiben. Ich spreche aus Erfahrung, das weißt du.“, fügt Bett aufrecht hinzu.

Wir quatschen so lange, bis uns die Lider zufallen und wir schließlich zwischen Schokolade, Gummibärchen und Chips auf meinem Bett einschlafen. Samstag – mein allerliebster Tag. Ein Tag, wo ich einfach nur ein gewöhnlicher Mensch sein kann.

 

Am nächsten Tag frühstücken Bett, Carol und ich zusammen im gemütlichen Café gegenüber meinem Haus. Gegen zwölf verabschieden wir uns voneinander und ich kehre in meine kleine Wohnung zurück, um den Tag wie gewohnt zur Erholung zu nutzen, soweit es zumindest geht. Manchmal kommt auch etwas dazwischen. Genauso wie heute.

„Lyssi, würdest du bitte bei uns vorbeikommen? Es ist so ein schöner Tag, den darf man doch nicht zu Hause absitzen.“ Meine Oma ist zwar schon alt, doch sie ist verhältnismäßig wahrscheinlich sogar sportlicher als ich. Sie hält den Tag für verschwendet, wenn man nicht mindestens einmal rausgegangen ist. Dadurch war ich in meiner Kindheit ständig mit meinen Großeltern unterwegs, während sich meine Eltern täglich in ihren Büros verbarrikadierten. Und irgendwie blende ich immer die Nicht-rein-menschlichen aus, wenn ich bei meinen Großeltern bin.

„Ja, natürlich. Ich mache mich schon fertig.“ Ich lege das Handy beiseite, schalte meinen Laptop aus, ziehe mich um, packe die Tasche und verlasse meine süße Einzimmerwohnung im siebten Stockwerk.

Meine Großeltern wohnen am anderen Ende der Stadt und ich muss leider viel fahren – vor allem durch das Zentrum. Genau dort wird das Kribbeln auf meiner Haut am stärksten. Wie immer. Ich ignoriere es mit selbstbewusst erhobenem Kinn und weiß, dass ich damit gleichzeitig ein Zeichen dafür gebe, dass ich ihn wahrnehme. Ihn. Mit einer plötzlichen Woge kriecht dieses Kribbeln hoch zu meinem Kopf, als würde es das habe ich gesehen sagen. Ich laufe kochend ein wenig weiter auf die Bushaltestelle zu, knurre dann und bleibe schließlich mit verschränkten Armen mitten auf dem Weg stehen.

„Dann haben Sie mich also doch bemerkt.“, ertönt eine männliche Stimme. Die männliche Stimme.

„Jaques, langsam stressen Sie aber.“, entgegne ich. Dass ich als Mensch so frech zu einem Vampir bin, liegt nur daran, dass ich erstens tatsächlich genug von ihm habe und es zweitens leid bin, ständig Angst zu haben. Außerdem ist es Jaques. Er war schon immer mein Stalker gewesen, doch er hat sich noch nie wie mein Mörder aufgeführt, weshalb ich irgendwann die Ehrfurcht vor ihm verloren habe. Ich weiß, das könnte irgendwann sehr gefährlich für mich werden, da er schließlich ein Vampir ist... Bis jetzt habe ich diese Tatsache aber erfolgreich ignoriert.

„Ich möchte Ihnen nur Gesellschaft leisten auf Ihrem langen, einsamen Weg.“ Er tritt um mich herum wie ein Panther, sodass ich jetzt sein scheinheiliges Lächeln zu Gesicht bekomme. Der Rest bleibt im Schatten seines Hutes verborgen und mir dadurch erspart. „Sehen Sie ein, Sie sind völlig schutzlos und wenn Sie jemand angreifen sollte, werden Sie zugrunde gehen.“

Ich verdrehe die Augen. Ich bin nicht schutzlos! „Danke, dass sie so optimistisch denken. Und jetzt verraten Sie mir mal, warum mich jemand angreifen sollte. Auch noch mitten in der Stadt am helllichten Tag. Ich weiß nämlich nichts davon, dass ich Feinde hätte.“ Er dreht sich elegant und ein bisschen zu schnell um und tut, als würde er nach jemandem Ausschau halten. Es vergeht ein Augenblick, ein zweiter, ein dritter. „Und? Wie sieht's aus?“

„Gewiss haben Sie Feinde, jeder hat sie.“ Sein Ton wirkt beinahe schon beiläufig. „Und Sie sind ziemlich bekannt unter uns, auch wenn Sie nichts davon mitkriegen.“

Ich – bekannt? Ich ignoriere die meisten nicht-rein-menschlichen Wesen, ich mache mit Absicht weiter, als würde es sie nicht geben. Ich habe gar nichts mehr mit ihnen zu tun, ich helfe ihnen nicht, ich störe sie nicht. Und das ist auch das Einzige, was ich für oder gegen sie tun möchte. Ich habe mich vollkommen von dieser Seite der Welt abgeschottet. „Weil ich euch erkenne, oder was?“ Ich funkele ihn böse an und auch wenn er es nicht direkt sieht, müsste der Vampir es ganz bestimmt spüren. „Wissen Sie, ich hab nicht danach gebeten – ich meine mein Gespür. Ich will mich in eure Welt nicht einmischen, also seid ihr mal alle so gütig und lasst mich in Ruhe.“

„Warum sprechen Sie denn in Mehrzahl, Schätzchen?“

Will er mich eigentlich verarschen? Er weiß doch besser als ich, dass sich hier auf dem Platz eine Menge seiner Leute befindet, die unser Gespräch allesamt aufmerksam mitverfolgen. Und wer zur Hölle hat ihm erlaubt, mich Schätzchen zu nennen?!

Mein Körper ist schneller als mein Verstand und so schießt meine rechte Faust bereits hervor, bevor ich es realisiert habe. Doch diese Gestalt, die vor mir stand, in einem langen Sommermantel, einem stylischen Anzug, teuren polierten Schuhen und mit einem dunklen Hut auf dem Kopf, ist in einem Herzschlag schon verschwunden.

„Wie leichtsinnig.“, lacht Jaques leise in mein Ohr. „Vergessen Sie nicht Ihre Vergangenheit.“

Meine Vergangenheit? Ich wirbele herum, aber niemand steht hinter mir. So etwas macht er draußen ständig! Als würde er mit mir wie mit einem Welpen oder kleinem Kind spielen. Vielleicht kann er sich auch nicht zu lange in der blendenden Sonne aufhalten. Soweit mir bekannt, ist es kein Klischee, dass Vampire tagsüber eigentlich schlafen. Wenigstens muss ich Jaques dadurch nicht lange ertragen.

Den Rest des Weges spüre ich ihn nicht in meiner Nähe, bin aber ziemlich aufgewühlt, da sich zu viele Nicht-rein-menschliche um mich herum aufhalten. Habe ich ehrlich Feinde? Und wenn ja, wann werden sie angreifen? Wie soll ich mich überhaupt schützen? Ich bin gezwungen, viel unterwegs zu sein. Und ich hatte keinen Selbstschutzkurs besucht. Na ja, nicht direkt. Wie dem auch sei, ich bin schon längst aus der Übung und sollte mich tatsächlich jemand unvorbereitet angreifen, bin ich geliefert. Es sei denn, dieser Jaques d'Argent schnuppert wie auch sonst in meiner Nähe herum und ist wirklich bereit, mich zu beschützen. Aber warum sollte er? Wir kennen uns nicht einmal richtig, ich hatte ihm auch noch nie geholfen und habe es in Zukunft ebenfalls nicht vor. Ich nehme allein seine Bestellungen im Restaurant auf. Und was meinte er damit, ich solle meine Vergangenheit nicht vergessen?

 

Bei meinen Großeltern angekommen, trinke ich erst einmal ein Glas Wasser, da es draußen langsam heiß wird und ich komplett ausgedurstet bin. Als ich dann ins Wohnzimmer zu meiner Oma trete, reicht sie mir eine weinrote Rose. „Die hat mir heute ein Postbote gebracht. Ich habe mich zuerst gewundert, wer mir denn noch Rosen zuschicken könnte – von deinem Opa kann ich das ja längst nicht mehr erwarten! –, aber dann habe ich deinen Namen vorne auf der Karte gesehen.“

Sie dreht die Blume und zeigt mir die geschwungene, goldene Aufschrift auf der Karte.

 

Alyssa Shivens

 

Das bin ja wirklich ich! Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Wer will mich durch die Adresse meiner Großeltern erreichen und warum?

Ich nehme vorsichtig die Rose aus den Händen meiner Oma und öffne die Karte, während sie sich umziehen geht.

 

Es ist ein gutes Gefühl, mich nicht geirrt zu haben, Alyssa Schätzchen. Seien Sie vorsichtig. So leicht, wie ich mich über Sie informieren konnte, können sich auch andere Informationen verschaffen.

JdA

3. Maurice Dubois

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3. Maurice Dubois

 

 

 

 

 

Die Worte aus der Karte begleiten mich den ganzen Tag über. Sogar während des Ausfluges in den Park mit meinen Großeltern schaffe ich es nicht, sie aus dem Kopf zu werfen. Als ich mich nachts dann in mein Bett lege, kann ich auch nicht einschlafen, doch etwas anderes habe ich nicht erwartet. Dieser Jaques weiß jetzt wahrscheinlich alles über mich. Wie wär's mit ein bisschen Privatsphäre? Aber... so etwas kennt er bestimmt gar nicht. Das Einzige, wo ich mir hundertprozentig sicher sein kann, ist, dass er die Informationen nicht in meinem Kopf gelesen hat. Ich habe zwar nie einen Vampir danach gefragt – so blöd bin ich nicht, ich brauche kein Vampirheer vor meinem Fenster, das mich gern umbringen würde – aber gewisse andere Bekannte lassen sich ebenso als vertrauenswürdige Quellen bezeichnen.

Aber da wäre ich zurück bei der Frage, welche Feinde ich denn hätte. Vampire sind listig, woher soll ich wissen, dass mich Jaques nicht einfach auf seine Seite bringen möchte? Ich habe zwar keine Vorstellung davon, wofür – ich besitze keinen Tropfen Macht in ihrer Welt –, aber heißt es nicht immer, Vampire würden große geheime Ziele verfolgen? Hört sich nach Kindergarten an. Feinde... diese Zeit ist schon längst vorbei.

Ich schaue das letzte Mal auf mein Handy, dessen Helligkeit mich für einige Augenblicke blendet. 02:31. Eine Whatsappnachricht. Max...! Wir müssen morgen arbeiten, warum schläfst du denn nicht?! Ich entsperre meinen Bildschirm.

Hey Lyssi! Sry, dass ich jetzt so spät schreibe, aber hättest du morgen nach der Arbeit vlt Zeit?

In der Küche herrscht immer so viel Tumult – ich verstehe gar nicht, wie er nach seiner Schicht überhaupt noch Kraft hat, irgendwohin zu fahren.

Klar!, antworte ich, mache das WLan aus, lege mein Handy weg und drehe mich zum Fenster um. Ich soll Feinde haben? Von mir aus. Es gibt keinen Grund, mich zu ängstigen, denn bis jetzt habe ich schließlich auch überlebt, obwohl ich mich nicht so passiv den Nicht-rein-menschlichen gegenüber verhalten habe. Außerdem habe ich ausreichend Kontakte, die ich gegebenenfalls um Hilfe bitten kann.

 

Als ich am Morgen auf dem Weg zum Restaurant bin, meldet sich das Kribbeln in meinem Kopf und breitet sich als spinnenartige Gänsehaut über meinen ganzen Körper aus. Irgendwas stimmt hier nicht. Es ist mir nicht bekannt, wer in meiner Nähe ist, doch er folgt mir den ganzen Weg lang und diese Tatsache stört mich. Ich sehe mich mehrfach um, doch meine Augen stellen keinen Nicht-rein-menschlichen fest, durch den ich das äußerst unangenehme, aber gewöhnliche Gefühl in mir hätte bekommen können.

Und dann, als ich schon nicht mehr erwarte, den Störfaktor ausfindig zu machen, rumpelt mich an einer Ampel gegenüber dem Italiener ein Mann an und es durchzuckt mich wortwörtlich. „Warten Sie!“, rufe ich aus und laufe ihm hinterher, wobei ich mich von meinem Ziel leider abwenden muss.

Etwas abseits der Straße bleibt der Mann schließlich stehen und dreht sich zu mir um. Es ist nicht Jaques, das habe ich bereits an seiner Statur festgestellt. Der Mann ist etwas kleiner, schlanker, hat haselnussbraune Augen, die mir bei derzeitigem Lichteinfall sofort durch ihre Leuchtkraft auffallen, einen Stoppelbart und hellbraune Haare. Außerdem trägt er wohlgemerkt keinen Hut, der sein halbes Gesicht verdeckt. Und auch keinen langen, schwarzen Mantel, sondern einen völlig gewöhnlichen Pullover. Er blickt mir ruhig entgegen und hatte offenbar schon von Anfang an vorgehabt, mich auf ein Gespräch unter vier Augen zu locken. Soweit es jedenfalls mitten auf der Straße geht. Was ist er? Warum weiß ich nicht, was er ist?!

Anstatt länger in seinem Gesicht zu forschen und auf eine Antwort von meinem Körper zu warten, entscheide ich mich, es einfach direkt zu fragen. Ich hasse Ratespiele. „Was sind Sie?“

Ein sachtes Lächeln umspielt seine Lippen. „Ich habe gehört, Sie könnten das selbst bestimmen.“

Ich schnaube. Dieses Arschloch hat eindeutig etwas mit Vampiren am Hut. Bin ich zufällig ein Pechvogel? Vampire sind das Letzte, was ich zurzeit brauche. Ich habe doch überhaupt keine Erfahrung mit ihnen. „Nun, nicht wenn ich das Wesen nicht kenne. Also nochmal: Was sind Sie? Sie können kein Vampir sein, aber etwas nicht allzu weit Entferntes sind Sie durchaus. Ah, und was noch interessanter wäre: Was wollen Sie von mir?“

Das Lächeln wird deutlicher. Der Mann wirkt nun sehr zufrieden und dann nickt er leicht. „Man hat mir aufgetragen, Ihnen nicht zu verraten, was ich bin. Es tut mir leid. Aber ich bin begeistert.“

Ich stocke. Was heißt, man habe ihm aufgetragen, es mir nicht zu verraten? Wer?

Ich schiebe meinen linken Jackenärmel zurück und werfe einen Blick auf die schwarze Armbanduhr. Noch habe ich Zeit. „Wer sind Sie? Für wen arbeiten Sie und was wollen Sie von mir?“

Lässig steckt er die Hände in die Taschen seines Pullovers. „Auch hat man mir gesagt, Sie würden sich nicht für unsere Welt interessieren. Aber das war wohl eine Fehlerquelle.“ Ein sachtes Schulterzucken „Welche Meister kennen Sie? Ich bin mir nicht sicher, ob meine Antwort Ihnen etwas bringt.“

Soweit ich weiß, nennen Vampire ihre... uhm... Herrscher Meister. Aber ich kenne keinen, weder vom Hören noch vom Sehen. Den Begriff habe ich aber auch schon aus dem Mund einer Hexe und dem eines Magiers gehört. Mir bekannte Werwölfe pflegen ihren Rudelführer anders zu bezeichnen, Ulfrig nennen sie ihn, doch manchmal ist ihnen im Gespräch mit mir auch Meister über die Lippen gerutscht. Und dass ich mich nicht mehr einmische, bedeutet noch lange nicht, dass ich mich nicht interessiere. Es steht nur nicht in meinen Plänen, ständig in Schwierigkeiten zu stecken, wie es der Fall war, als ich sechzehn wurde. Zu der Zeit war ich voll in dem Übernatürlichen drin, dafür aber wusste noch keiner von mir Bescheid. Na ja, ein paar Jahre lang. Ich rate bis heute, wie ich überhaupt überlebt habe. Ich hatte niemanden auf meiner Seite und auch keinen blassen Schimmer, wie ich meine Fähigkeiten beherrschen sollte. Wahrscheinlich bin ich noch am Leben, weil ich mit sechzehn alles war, nur nicht schlau.

Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Ihre Taktik ist gut, doch mir ist bewusst, dass Sie sowohl mein Wissen als auch mein Unwissen gegen mich anwenden können. Sagen Sie einfach, wer Sie geschickt hat. Tatsächlich habe ich ausreichend einflussreiche Kontakte in der Hinterwelt.“

So kenne ich beispielsweise die Meisterin der weißen Hexen von New York. Ich hatte die Ehre, Jocelyne oft genug zu treffen, doch in den letzten zwei Jahren – seit ich eben mein Leben im Griff habe – haben wir uns nicht mehr gesehen. Das stört mich kein bisschen. Ich bin gar nicht erpicht darauf, sie auch nur noch einmal zu besuchen. Jocelyne ist eine Führungskraft und das bedeutet, dass sie knallhart sein muss. Und wer sich jahrzehntelang knallhart gibt, vergisst, wie es ist, mal weich zu sein und anderen das Wort und den Willen zu lassen. Kann ich vollkommen nachvollziehen, heißt aber nicht, dass ich mich damit zufriedengebe.

Zudem habe ich viel vom Führer des Weißen Rudels gehört. Mein Bekannter Liceu, den ich an der Uni kennengelernt habe, gehört ihm an. Wie er mir erklärt hat, entstehen Rudel für gewöhnlich – was heißt für gewöhnlich, es ist immer der Fall – nicht durch das Beitreten von Mitgliedern mit gleicher Fellfarbe. Doch der Weiße Rudel spricht bereits für sich. Liceu hat auch irgendwas von wegen im Gegensatz zu Vampiren gesagt, doch diesen Einschub verstehe ich bis heute nicht. Vampire haben kein Fell und wenn sie durch Haarfarbe an einem Meister festhalten würden... Jedenfalls ist das der komplette Schwachsinn. Außerdem weiß ich, dass Vampire an ihren Meister gebunden sind, weil er sie gewandelt hat. Dabei endet aber auch mein Wissen über Vampire, da niemand von meinen nicht-rein-menschlichen Bekannten jemals über sie sprechen wollte. Drücken wir es mal so aus: sobald ich damit anfing, hieß es VAMPIRE???!!!. Bei Liceu kann ich das ja noch nachvollziehen, Werwölfe und Vampire sind verfeindet. Doch wenn ich diesen Ausruf von einem Magier höre, der sich beinahe auf Meisterniveau befindet...

Der Mann, der sich mir übrigens noch immer nicht vorgestellt hat, nickt kalt. Und es ist nicht sein Auftreten, das mir dieses abweisende Gefühl gibt, sondern seine eigene Gefühlslage. „Eine sehr geschickte Antwort, Madame. Ich stelle die Frage anders: Haben Sie Bekanntschaft zu Meistervampiren genossen?“