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Die Probleme und Sorgen von Kindern und Jugendlichen in ihrem gewöhnlichen Schulalltag waren das immer wiederkehrende Thema im Religionsunterricht der Autorin. Mit dem Einsatz ihrer Person und ihrer psychologischen Ausbildung half sie den Kindern der Unterstufe in ihren vielfältigen Erwartungen und Schwierigkeiten, die miteinander im Unterricht oder auch privat entstehen mochten, anzusprechen und auch oft zu lösen. Es war eine Begleitung zum "Großwerden", die im Wertehorizont des christlichen Glaubens geschah. Vernetzt und erzogen in den neoliberalen Denkmustern, die heute alle Lebensbereiche umfangen, sollten die Jugendlichen in der Oberstufe denken bzw. reflektieren lernen, ob das Gewohnte, das Angenehme, der hedonistisch Lebensstil schlechthin, als Letzte Antwort auf ihre tiefen Fragen ausreicht. Eine vertiefte Beschäftigung mit dem christlichen Gottes -und Menschenbild, die Vernetzung mit Werken der Kunst und Erkenntnissen der Philosophie sollte mithelfen, die jungen Leute zu selbständigen Persönlichkeiten heranwachsen zu lassen. Sie sollten lernen auf ihre eigenen Gefühle und Urteile immer mehr zu vertrauen und gleichzeitig den eigenen Lebenshorizont immer wieder zu hinterfragen. Dem Sog der menschlichen Trägheit in soziokulturellen Belangen sollten sie offen und furchtlos entgegentreten und dafür sorgen, dass letztlich die Liebe als letzter Grund ihr eigenes Handeln trägt und hält.
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Seitenzahl: 293
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Jesus trat auf sie zu und sagte: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.
Seid gewiss: Ich bin bei euch, alle Tage bis zum Ende der Welt. (Mt28,16-20)
Meinen Schülerinnen und
Schülern gewidmet
Ein holpriger Prozess
Und nun war Schluss
Lehreralltag
Schulanfang
Dienstag in der ersten Schulwoche
Schulmesse
Das Weltbild der Bibel
Pädagogische Feldarbeit
Samstag: neuralgischer Tag
Lebensberatung
Kreuz und Marienbild
Szenen aus der Kirchengeschichte
Gedanken zu unserem Gottesbild
Biblische Realienkunde
Schöpfungsgeschichte
Weltbild/Weltanschauung
Die Frage nach dem Zölibat
Allerheiligen und Allerseelen
Leben nach dem Tod?
Wanderweg Abrahams
Ausflug zum Planetarium mit der vierten Klasse
Heiligenfeste im November
Hl. Martin und Hl. Elisabeth
Tag der offenen Tür
Sel. Franz Jägerstätter
Abhängigkeit
Unerwartete Reaktionen
Feier der hl. Eucharistie
Konfliktbewältigung
Versuch zum Hohelied der Liebe
Pädagogische Feldarbeit
Worte des Propheten Amos
Adventzeit
Zeit der Erwartung und Hoffnung auf den Erlöser
Rosenkranzgebet
Ich und Beten
Maria im Blick der Schüler
Kindheitsgeschichte von Jesus
Pädagogische Feldarbeit
Kindheitsgeschichte Wiederholung
Meine Pfarrkirche
Moralische Überlegungen
5.Gebot: Du wirst nicht morden
6.Gebot: Du wirst nicht die Ehe brechen…
8.Gebot: Du wirst kein falsches Zeugnis ablegen…
Vorbereitung auf Ostern
Fastenzeit
Karwoche
Kreuztragen
Passionsgeschichten
Künstlerische Passionsdarstellungen
Ostern - Auferstehung des Herrn
Wer ist Jesus Christus für dich?
Wiederkehrende Ereignissse im Schulalltag
Sportwochen / Skikurse
Elternsprechtag
Flohmarkt
Maturavorbereitung
Abschied vom Raucherzimmer
Abschließende Gedanken
SchülerInnenarbeiten
Die hl. Messe und ich
Gedanken zum Beten
6. Gebot: Ich werde nicht die Ehe brechen
Auferstehung
Mein „Jesus Christus“ – Fünfte Klasse
Mein „Jesus Christus“ – Achte Klassen
Abbildungsverzeichnis
Eigentlich war ich als Religionslehrerin eine Quereinsteigerin, wie man das heute nennt. Theologie zu studieren, das war in meiner Jugendzeit keine Option für Mädchen. Damals studierten nur Burschen Theologie, und vor allem jene, die Priester werden wollten.
Daher war mein Theologiestudium eine Folge meiner beruflichen Laufbahn und keine ursprüngliche Entscheidung.
Wie es dazu kam?
Meine Schullaufbahn begann mit der Volksschule in meinem Heimatort Eggendorf in Niederösterreich. Anschließend besuchte ich die Hauptschule im Nachbarort Ebenfurth. Obwohl ich immer „lauter Einser“ im Zeugnis hatte, dachte niemand daran, mich ins städtische Gymnasium zu schicken. Ein kluges Mädchen brauchte damals eine vernünftige Berufsausbildung und keine Matura, mit der man „nichts“ hat. „Du wirst Lehrerin! Und wenn du nicht lernst, dann gehst in die Spinnerei!“ Damit war eigentlich alles klar.
Die Spinnerei in meinem Heimatort war damals der Arbeitgeber für viele Männer und Frauen des Ortes. Neben den gelernten Arbeitern, wie z. B. meinem Vater, der als Schlosser die verschiedenen Spinnmaschinen wartete, gab es viele ungelernte Arbeiter. Frauen waren es in erster Linie, die für geringen Lohn Hilfsarbeiterdienste leisteten, wie z. B. das Einschichten von fertigen Garnspulen in Kisten, das damals noch händisch erledigt wurde.
Die Drohung mit der Arbeit in der Spinnerei machte keinen großen Eindruck auf mich, weil ich mich in der Schule sehr wohl fühlte, weil ich gerne lernte, stundenlang lesen konnte und alle Voraussetzungen mitbrachte, um in der Schule erfolgreich zu sein. Damit waren die Weichen gestellt, um an der Lehrerinnen-Bildungsanstalt in Wiener Neustadt meine Berufsausbildung zu beginnen. Noch heute erscheint mir dieser Schultyp als eine glückliche Kombination von humanistischer Bildung und pädagogischem Einführungsunterricht. Wir hatten fünf Jahre Lateinunterricht, Musikunterricht, der wie ein Hauptgegenstand bewertet wurde, daneben Instrumentalunterricht und das übliche Programm der realistischen Fächer, mit Ausnahme von Chemie. Dieser Gegenstand fand einfach keinen Platz mehr in der mehr arbeitsaufwendigen Ausbildung. Sport hatte ebenfalls einen hohen Rang im Fächerkanon, wodurch man auch dem antiken Bildungsideal – mens sana in corpore sano – zu entsprechen versuchte. Die pädagogische Ausbildung erfolgte parallel zu den übrigen Fächern während der beiden letzten Jahrgänge, ebenso die Einführung ins Unterrichten an der schuleigenen Volksschule.
Vakante Lehrerstellen in der Nähe meines Heimatortes zu finden, war zur Zeit meines Abschlusses ein Ding der Unmöglichkeit. Daher war ich gezwungen, meine Unterrichtsarbeit in einer zweiklassigen Volksschule in Matzleinsdorf bei Melk, etwa 150 km von meinem Heimatort entfernt, zu beginnen. Obwohl mir die Arbeit mit den Kindern viel Freude machte, überlegte ich bald, was ich mit meiner Freizeit anfangen könnte. Stundenlanges Radfahren, war damals noch nicht in Mode. Auch wollte ich gerne geistig arbeiten. Daher durchsuchte ich das Vorlesungsverzeichnis der Universität Wien nach einem Studium, das man am Nachmittag absolvieren konnte. Ich fand auch eines, Psychologie. Mehrmals die Woche fuhr ich mit dem Zug nach Wien, besuchte Vorlesungen und kam spätabends zurück. Ich suchte mir eine Bleibe in Melk und fuhr jeden Tag etwa fünf Kilometer mit dem Rad nach Matzleinsdorf. An den Wochenenden lernte ich für die Prüfungen und bestand sie auch, sodass ich die beiden ersten Semester, erfolgreich abschließen konnte. Im zweiten Studienjahr gelang es mir, in einer Privatschule in Enzersdorf bei Baden, bei den Schwestern vom armen Kinde Jesu, als Lehrerin für die erste Klasse unterzukommen. Da ich auch im Kloster wohnte und um 21 Uhr abends die Pforte geschlossen wurde, war es auch im zweiten Studienjahr mit einem lockeren Studentenleben nicht sehr weit her.
Etwas angenehmer gestaltete sich mein Studentenleben ab dem dritten Studienjahr, als ich in Wien an der Allgemeinen Sonderschule im 11. Bezirk eine Anstellung erhielt. Das Unterrichten in den Sonderschulklassen war eine Herausforderung für Nerven und Selbstdisziplin. Jedes der Kinder war lieb und – was man so im langläufigen Sinn – als „arm“ bezeichnet. Die einen waren minderbegabt, die anderen aus einem sozialen Umfeld, das ihren schulischen Erfolg nicht nur störte, sondern dem teilweise sogar entgegenarbeitete. Diesen unterschiedlichen Schwächen zu begegnen und das in einer Klassengröße von fünfzehn und mehr Schülern, wenn die Klassen zusammengelegt waren, dieses Unterrichten war mehr psychologische Feldarbeit, als Wissensvermittlung …
Geduld und Humor waren damals die Mittel der Wahl, um mit manchmal sehr bizarr anmutenden Situationen fertig zu werden. Doch erinnere ich mich mit Dankbarkeit an diese Zeit, die mir erlaubte, auf die Befindlichkeiten der Kinder einzugehen und die Wissensvermittlung an die zweite Stelle zu reihen.
Das fünfte Studienjahr verlebte ich großteils im Keller des Psychologischen Institutes, wo ich als wissenschaftliche Demonstratorin beschäftig war. Ich exzerpierte Texte, half bei der Erstellung von Versuchs Aufbauten und deren praktischer Umsetzung, führte Testreihen durch etc. Gleichzeitig arbeitete ich an meiner Dissertation, die Teil einer groß angelegten Untersuchung war, die sich mit gehirnspezifischen Antworten auf unterschiedliche Sinnesreize beschäftigte.
Nach Abschluss des Studiums stellte ich mir die Frage: „Was jetzt?“
Um Geld zu verdienen war ich gegen Ende des Studiums als Interviewerin im Bereich Marktforschung unterwegs. Da ich den Betrieb schon kannte und Geld verdienen wollte, widmete ich mich nun „hauptamtlich“ der Marktforschung, und zwar ungefähr sechs Jahre lang. Im zweiten Jahr meiner beruflichen Arbeit begann ich, mit Zustimmung der psychoanalytischen Gesellschaft, meine Lehranalyse in Wien. Nach vier Jahren intensiver analytischer Arbeit, viermal die Woche, starb mein Analytiker. Damit wurden meine Pläne in Hinblick auf das neue Berufsziel massiv durchkreuzt. Lustlos und müde arbeitete ich in der Marktforschung weiter. Doch ohne Begeisterung und Hingabe kommt man kaum zu guten Ergebnissen. Man macht Fehler und strahlt schließlich mangelnde Kompetenz aus, was den Vorgesetzten nicht verborgen bleibt. Schließlich wurde ich gekündigt, was im Nachhinein betrachtet, ein Glück für mich war.
Ich begann über mein Leben nachzudenken und überlegte, was ich wirklich tun wollte. Ich erinnerte mich an meine Tätigkeit als Lehrerin an der Volksschule und später an der Allgemeinen Sonderschule und spürte, dass die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen etwas Besonderes war. Daher wollte ich zurück an die Schule. Aber was tun konkret? In die Volksschule zurück? Dazu hätte ich kein akademisches Studium gebraucht. Eine Anstellung im Bereich Allgemeinbildende Höhere Schule war mir mit meinem Psychologiedoktorat auch verschlossen, das ahnte ich. Um mich einfach genauer zu informieren, besuchte ich den Leiter der Personalabteilung im Stadtschulrat. Als ich ihm meine Situation geschildert hatte, sagte er: „Sind’s katholisch? Gehen Sie auf den Stephansplatz, dort braucht man Leute wie Sie!“
Als ich dem Fachinspektor am Stephansplatz alles noch einmal vorgetragen hatte, fasste er zusammen: „Ausbildung an der LBA, Organistin in der heimatlichen Pfarre, Studium der Psychologie und Lehranalyse nach Siegmund Freud, also, wann wollen Sie anfangen?“
Dann ließ er mich entscheiden zwischen einem Einsatz im 9. Bezirk oder im 22. Bezirk. Ich entschied mich für die Kinder und Jugendlichen im 22. Bezirk, die ich mir offener und natürlicher vorstellte, als jene in den inneren Bezirken. Und es war eine gute Entscheidung!
Ein Empfehlungsschreiben vom Pfarrer meiner Heimatgemeinde ergänzte meine „Qualifikationen“, und ich erhielt die „Missio“ der Erzdiözese Wien. Das bedeutete, dass ich an der Allgemeinbildenden Höheren Schule in Wien Religionsunterricht erteilen durfte. Gleichzeitig verpflichtete ich mich zum Studium der Theologie, das ich gern und manchmal unter großem Zeitdruck schließlich mit einem Lehramtszeugnis für Kombinierte Religionspädagogik (Katholische Religion / Philosophischer Einführungsunterricht) abschließen konnte. Am 9. November 1978 begann ich mit meinem Religionsunterricht am Gymnasium Wien 22, Bernoullistraße 3. Das zu meiner Laufbahn.
Achtundzwanzig Jahre später beendete ich meine Lehrtätigkeit als Religionslehrerin an der Allgemeinbildenden Höheren Schule in Wien-Donaustadt und verließ den „Jahrhundertbau“ des Architekten Roland Rainer als pensionierte Beamtin des österreichischen Staates. Während vieler Jahre hatte ich versucht, jungen Menschen zu helfen, sich zu selbstständigen jungen Erwachsenen zu entwickeln.
Der Gedanke an den Abschied von meinem geliebten Beruf stimmte mich traurig, und ich begann – wie das oft in klugen Lebensbüchern geraten wird – einige meiner Erfahrungen zu notieren. Es waren im Grunde sehr typische Situationen, die ich aus den letzten Jahren meiner Unterrichtsarbeit auswählte und niederschrieb. Diese Notizen fühlten sich anfangs nicht sehr lesenswert an, weil sich das Erlebte lebendiger und vielschichtiger anfühlt als Worte wiedergeben können. Daher blieben die Texte liegen. Inzwischen habe ich mich als Schriftstellerin versucht und eine Reihe von Büchern publiziert, die sich mit dem Leben von Heiligen befassen. Damit wollte ich meinen ehemaligen Schülern ein Geschenk machen. Ich wollte ihnen von den großen Frauen und Männern erzählen, die Gott mit offenem Herzen suchten und schließlich belohnt wurden. Es sind Liebesgeschichten zwischen Menschen und Gott, der sich von jedem finden lässt, wenn er sich ehrlich auf die Suche nach der Wahrheit macht. Faszinierend und unterhaltsam – überraschend und manchmal befremdlich fühlen sich diese Lebensgeschichten an, doch ist ihnen eines gemeinsam, eine spürbare Ahnung von einem geglückten Leben.
Im Zuge meiner literarischen Arbeit kam mir auch das Manuskript meines Lehrertagebuches wieder in die Hände, und ich beschloss, den Text zu redigieren und zu einem Buch zu ergänzen.
Das Ergebnis ist der folgende Text, der mit den letzten Ferientagen beginnt und eigentlich nie aufhört, solange es Schule und gemeinschaftlichen Unterricht gibt.
Es ist Sommer im Jahr 2004 knapp vor Schulbeginn. Noch gibt es einige freie Tage. Noch sind die Tage angefüllt mit Dingen, die ich die ganze Zeit vor mir hergeschoben habe. Noch ist der Lack an der Stiege nicht ausgebessert, und das Scharnier am Küchenkastl klemmt immer noch. Im Keller wäre noch manches zu tun und zu ordnen. Aber es freut mich nicht.
Doch schließlich reiße ich mich zusammen und erledige diese Dinge, mühselig und mit Selbstüberwindung. Doch sie geschehen gleichsam so nebenbei, während meine Gedanken immer wieder um einen Betonbau aus den siebziger Jahren kreisen, der jetzt noch leer und unbelebt wie eine verlassene Ausstellungshalle daliegt. Ich sehe den Schulwart durch die Gänge gehen, die unvermeidliche Zigarette zwischen den Lippen. Ich sehe ihn im Gespräch mit seinen Kollegen ihr hartes Los beklagen, weil die schönen Tage von Aranjuez1 nun bald dahin sein werden und die lästige Gegenwart der Schüler sie wieder mit Arbeit und „Frust“ eindecken wird.
Bernoulligymnasium von außen
Doch vor meinem geistigen Auge entstehen noch andere Bilder. Horst, wie er mit dumpfem Schädel vor den Mathematikheften des vergangenen Jahres sitzt, darin blättert und nichts mehr begreift. Er weiß, dass es jetzt darauf ankäme „reinzubeißen“– wie es im Jargon heißt – alles noch einmal zu wiederholen, um für die Nachprüfung einigermaßen vorbereitet zu sein. Doch die Angst vorm Versagen macht seinen Kopf nebelig und trüb. Er beginnt zu träumen: Ferienbilder blättern sich auf. Er sieht seine Freunde, die jetzt irgendwo mit den Rädern unterwegs sind und ihm zuwinken. Doch er muss hierbleiben, vor dem Mathematikheft und weiterkämpfen.
Wozu? Wofür?
Ich wünsche dir eine verständnisvolle Hand, mein Kleiner, die dir über den Scheitel streicht und dich für einige Zeit aus dem selbsterrichteten Gefängnis entlässt. Eine Stimme, die dir sagt: „Nimm dein Fahrrad und drehe ein paar Runden! Wenn du willst, kannst du auch eine Zeitlang mit dem Blechkameraden spielen! Aber mach etwas, was dir Freude macht! Weißt du, das Geheimnis ist „machen“! – „Na, ich weiß nicht…“ (Weiß nicht mit langem „eiiiii „)
„Glaubst du, dass du nur vor den Aufgaben dasitzen und die Zeit totschlagen brauchst? Die Zeit die vergeht von alleine ... Glaub mir!“
„Und darf ich auch Computerspielen?“ fragst du mich. „Na, was glaubst du? Glaubst du, dass es dir wirklich helfen könnte? Ja? Ehrlich?“
„Na, Jaaaa!“ – „Könnte es nicht sein, dass dich das Computerspiel noch weiter in das: ‚Ich kann nicht! Und ich will überhaupt nicht!‘ hineinziehen könnte? Ehrlich?“
Also, was tun?
Vielleicht einmal eine Rechnung vornehmen, die du ganz sicher kannst. Und dann, wenn sie gelungen ist, eine schwierigere vornehmen und ... Ja, wenn der tote Punkt kommt, und du wirklich nicht weiterkannst, irgendetwas anderes machen. – Den Schreibtisch ein bisschen ordnen! Den Geschirrspüler ausräumen! Den Mist hinuntertragen.
„Ich bin ja nicht blöd!“ höre ich dich flüstern.
Ja, aber der Lohn, der dir winkt? Ein Aufleuchten in deiner Mutter Augen. Das „coole“ Gefühl, etwas Sinnvolles gemacht zu haben. Glaub mir, das ist ein gutes Mittel, um den Nebel in deinem Gehirn zumindest ein wenig zu lichten. Und wenn du etwas zustande gebracht hast, dann belohne dich mit ... Doch das wirst du am besten wissen. Nur den Computer lass dunkel. Es sei denn, du hast wirklich gearbeitet und kennst Spiele, die dich ablenken, aber nicht völlig in ihren Bann ziehen …
Und du Theresa? Wie geht es dir? Du lernst schon seit Mitte Juli und hast das Gefühl, du kannst überhaupt nichts? Schau dich hin und wieder in den Spiegel und sag dir, welch ein liebenswürdiges Mädchen du bist!
Du lachst mich jetzt aus, das weiß ich, aber probiere es einmal! Und vielleicht ein anderes Mal wieder. Das Gefühl, dass wir selbst etwas wert sind, dass wir etwas können, das scheint mir so notwendig, wie das Wasser für die Pflanzen und Blumen. Draußen, in Gottes freier Natur bekommen die Pflanzen meist genug Wasser zum Überleben. Nur wenn wir die Pflanzen ins Zimmer stellen, müssen wir sie mit diesem lebenswichtigen Element versorgen. Und wie eine trockene Pflanze aussieht, ist selbst den Kindern unserer Zeit ein Begriff.
Also was folgt daraus? Menschenkinder brauchen Lob und Anerkennung zum Wachsen. Wir suchen Zeit unseres Lebens nach Anerkennung und nach Selbstbestätigung; jeder von uns, auch die Erwachsenen. Oder ist dir das ganz unbegreiflich?
Es ist uns vielleicht nicht immer so klar, so oben im Kopf. Wenn uns aber die Anerkennung versagt wird und wir hören müssen, dass wir an allem selbst schuld sind – egal, was es ist – dann ist ein Fünfer in Französisch ein gewaltiger Vorwurf. Dann bedeutet es eine harte Herausforderung für unser Selbstwertgefühl. Vielleicht sind es im Augenblick gar nicht so sehr deine mangelnden Französischkenntnisse, die dich bedrücken, als das Gefühl, versagt zu haben. Und die Angst, wieder zu versagen! Also, mein Mädchen, du bist liebenswert, du hast viele Freunde, die jetzt an dich denken. Auch wenn sie es dir nicht sagen. Die meisten finden es blöd, darüber zu reden, wenn man einen anderen gernhat. Um aber über die Schwächen der Anderen herzuziehen, da können wir plötzlich sehr viele Worte finden. Warum das so ist? Darüber ein anderes Mal ...
Sei jetzt ganz tapfer! Das Ganze wird gelingen! Glaub mir! Die Lehrer wollen, dass ihr durchkommt, und in dieser Atmosphäre wirst du dein Selbstvertrauen mir nichts dir nichts wiederfinden, obwohl es sich vorher ganz anders angefühlt hat.
Und du, großer Gerhard! Hast wieder übersehen, dass Menschen nach Zeit und Kalender leben und in vier Tagen Nachprüfungstermin ist? Ich weiß, wenn man so jung ist wie du, hat man das Gefühl, dass die Zeit ohnehin nur im Schneckentempo vergeht. Was sie nur immer haben, die Alten. So ein Ferientag ohne „action“ zieht sich wie ein Strudelteig, man könnte aus der Haut fahren vor Langeweile? Ja, ich weiß ...und das Fernsehen hängt einem schon bei den Augen und Ohren heraus… Und überhaupt spielt es lauter Blödsinn ...
Könnte es sein, mein großer Freund, dass Selbstüberwindung ein Wort ist, dessen Bedeutung du erst im Wörterbuch nachschauen müsstest? Ja, Selbstüberwindung im Schnellverfahren, die ist dir bekannt. So fünf Minuten vor Zwölf, so im letzten Augenblick, mit deiner hohen Intelligenz etwas zu erfassen, zu begreifen und redegewandt wiederzugeben. Das ist deine Art; praktisch gewiss. Aber bist du mit dir dabei zufrieden?
Einigermaßen schon – aber manchmal könntest dich selber „abwatschen“, weil du nicht ein bisschen früher daran gedacht hast, Biologie oder Physik und ähnliche Fächer ernst zu nehmen. Jetzt ist dir leider eines dieser Fächer übriggeblieben. Doch um dich braucht sich niemand Sorgen zu machen. Du schaffst es wahrscheinlich noch während der letzten drei Tage vor Schulbeginn den Stoff in deinen Kopf einzuspeichern. Und alle werden stolz sein auf dich, weil du so ein intelligenter Bursch bis! Dennoch …
Die Tage vor euren Nachprüfungen kann ich nur sehr schlecht schlafen. Zwar weiß ich, dass euch damit nicht geholfen ist, aber ich kann es nicht ändern. Vielleicht nimmt euch ein ANDERER ein bisschen von eurer Angst und ersetzt sie durch Mut und Zuversicht. Auf jeden Fall werde ich im Schulhaus sein und mir irgendwelche nötigen oder besser unnötigen Arbeiten suchen, weil konzentrieren und eine sinnvolle Arbeit anzufangen traue ich mir nicht zu, wenn ich weiß, dass ihr euch plagt und aufgeregt nach Lösungen und Antworten sucht, die ihr gestern noch alle ganz genau gewusst habt. Vielleicht erwische ich den einen oder anderen von euch DANACH und darf mich freuen an euren strahlenden Augen, die das Schönste sind, was uns Lehrer dieser Beruf zu schenken hat.
Dann werden wir ...
Nein, wir werden gar nichts Besonderes tun oder reden. Wir werden uns aber bald wiedersehen, in wenigen Tagen, wenn der alltägliche Schulbetrieb wieder beginnt.
Die ersten Tage im neuen Schuljahr erlebe ich wie schwimmend in einem von sanften und großen Bewegungen getragenen Chaos. Noch ist nichts fest, umgrenzt oder klar. Noch fließt alles. Noch weiß man nicht, wo man hingehört. Kennt nicht die Lage der alten und der neuen Klassen. Der Stundenplan ist offen und voller Löcher. Die Resopal-Flächen der Tische im Lehrerzimmer schimmern noch glatt und weiß in ihrer unbedeckten Weitläufigkeit. Erst langsam werden sie zuwachsen, verschwinden unter Heften und Kartontürmen, worin wir mühselig die Unterrichtshilfen unterzubringen suchen, die in den Ferienzeiten ganze Arbeitszimmer belegen.
Doch noch ist es nicht soweit. Noch leben wir zwischen Tag und Traum. Nicht mehr in den Ferien, aber noch nicht völlig im Dienst. Dieser Zustand ist typisch für unser Lehrerleben wie die Schulglocke, die unsere Lebenszeit in Stunden hackt.
Erste vorsichtige Kontakte mit der Schulatmosphäre. Am schuleigenen Parkplatz ist kein Feld mehr frei. Ich bin wie immer ganz knapp vor Stundenbeginn, d.h. heute, vor Konferenzbeginn gekommen. Wann werde ich endlich lernen früher aufzustehen, um mich auf das Kommende einzustimmen wie einige meiner Kollegen, die noch gemütlich ihren Kaffee trinken, bevor sie in den Unterricht eilen. Das schaffe ich nie. Doch bin ich nicht allein mit meinem mangelnden Zeitbegriff. Viele meiner Oberstufenschüler leiden unter derselben Krankheit. Auch ihr Zeitbegriff entbehrt jeder praktischen Rückkoppelung. Psychologen nennen es das Gefühl „Zeitdehnung“, worüber Jugendliche verfügen, und das geht uns Älteren ab. Ob sich bei mir eine zu enge Bindung an meine Schüler abzeichnet? Ich sollte mich vielleicht für einen entsprechenden Selbstfindungskurs anmelden.
Als äußeres Zeichen meiner mangelnden Selbstorganisation trinke ich meinen Kaffee fast immer im Stehen, eine Minute vorm Läuten und stelle das Häferl wieder hin. In der nächsten Pause ist er wieder kalt. Aber er schmeckt nach Kaffee, und das genügt. Während ich trinke, rede ich, organisiere etwas oder bespreche Alltags- oder sonstige Probleme.
Es läutet.
Ich atme noch einmal durch und raffe meine Unterlagen zusammen. Manchmal vergesse ich etwas und muss noch einmal zurücklaufen. Völlig in meine Gedanken an die nächste Unterrichtsstunde eingesponnen, haste ich den langen Gang entlang, steige über Stiegen hinunter und wieder hinauf. Oft werde ich noch einmal aufgehalten. Ein Schüler, ein Kollege will noch dies und das. Und danach eile ich weiter.
Doch heute, am ersten Unterrichtstag, ist es noch alles anders. Ich lege meine Unterlagen auf der sauberen Arbeitsfläche meines sechzig Zentimeter breiten Schreibtisches ab. Maturafotos, die ich für Kollegen mitgebracht habe, liegen herum: Eine leere Mappe, mit dem Pickerl vom Libro drauf, Zeichenkartons, die ein Locher in brauchbare Ringbucheinlagen verwandeln soll.
Langsam füllt sich das Konferenzzimmer. Ich schüttle Hände, umarme Freunde und freue mich, dass ich wieder hier sein darf – im Murmeln dieses menschlichen Gewässers, das mich so vertraut, so sicher umgibt.
Die Lehrerkonferenz beginnt. Der Direktor ergreift das Wort, und ich versinke im Zuhören, im Nachträumen der bekannten Informationen: Die Klassenvorstände werden gebeten, die Listen für die Schulbücher am ... abzugeben, die Klassenbücher werden heuer anders geführt, die Zeugnisse der ...
Am Schluss werden wir nochmals herzlich willkommen geheißen, und das Arbeitsjahr beginnt. Ich begrüße noch den einen oder anderen Kollegen und beginne meine erste Aufgabe: die Vorbereitung der Schulmesse. Ich suche konzentriert nach den Liedtexten, die mir junge Freunde am Schulende übergeben haben und … finde sie auch. Später sitzen wir zusammen, mein Kollege und ich und besprechen die Einzelheiten.
Ich bin nicht ganz bei der Sache. Meine kleinen und großen Freunde sitzen jetzt bei den schriftlichen Nachprüfungen, und ich kann ihnen nicht helfen, kann nur an sie denken ...
Die Nachprüfungen sind vorbei. Und sie haben es alle geschafft, meine Schützlinge. Auch Theresa, die mit zwei Nachprüfungen zu kämpfen hatte. Alles scheint wieder ins Lot zu kommen ...
Chorprobe für die Schulmesse. Bevor ich zur Schule komme, habe ich schon den Verstärker und die beiden großen Lautsprecher, die sich die Burschen aus der achten Klasse für ihre Privatband ausgeliehen haben, organisiert. Das bedeutet, den Zettel zu suchen, wo die Adresse der Burschen aufgeschrieben ist. Dort anrufen, ob überhaupt jemand zu Hause ist. Dann suche ich auf meinem alten zerknüllten Wien-Plan nach der Adresse und mache mich auf den Weg. Natürlich fahre ich zunächst auf der entgegengesetzten Einbahn die ganze Straße ab, bevor ich die Adresse ausfindig mache. Und wie das meistens ist, liegt das Haus gerade am Beginn eines weitläufigen Platzes, den ich vergeblich umrunde. Endlich stehe ich vor dem Haus, und zu meinem Glück ist der Jüngling des Hauses gerade heimgekommen und zeigt sich bereit, den schweren Verstärkerkasten in meinem Kofferraum zu verstauen. Es ist heiß, und ich schleppe mich mit den riesigen Musikboxen ab, die ebenfalls mitkommen sollen. Bepackt mit dem überdimensionierten Gepäck fahre ich zur Schule. Dort wartet etwas ratlos eine Gruppe von Mädchen, die versuchen, die Lieder zu probieren, wozu es von mir vorbereitete Texte gibt. Andere Texte, die von den Schülern versprochen wurden, fehlen. Doch ich atme nur tief durch und denke, bis Samstag sind noch zwei Tage Zeit ...
Die ersten zwei Unterrichtsstunden. Ich bin das erste Mal in einer siebenten Klasse, die ich neu übernehmen muss. Ein gütiger und verdienter Kollege hat sie mir übergeben. Alle sitzen erwartungsvoll da, wie wird sie anfangen?
Ich beginne die Stunde mit einem „Vater unser“. Keiner betet mit. Auch gut. Halte ich aus. Als Lehrerin bin ich es gewohnt, Einzelkämpferin zu spielen. Spielen ist vielleicht nicht das richtige Wort. Wir sind eigentlich immer Einzelkämpfer, wenn es um Ideale geht, womit sich unsere SchülerInnen nicht anfreunden können. Doch sie spüren unser angestrengtes Bemühen, und weil wir ihnen leidtun, ziehen sie oft mit. Und so kann es geschehen, dass sie sich überzeugen lassen, zu Mitkämpfern werden, sodass wir zu einem Team zusammenwachsen, das sich zumindest hier und jetzt zu gemeinsamen Zielen aufmacht. Zu Zielen, die oft weit entfernt sind, von jenen, die draußen in einer Konsum – und leistungsbestimmten Welt gefragt sind.
Doch im Moment muss ich allein kämpfen und springen ohne Netz. Ich nehme einen Anlauf und rede von der Unmöglichkeit, Religion zu unterrichten. Religion ist eine Sache der Seele und kann nicht gelehrt werden. Lernen und üben können wir nur das, was wir mit unseren Sinnen und unserem Verstand erfassen können. Und diese Art zu denken führt uns zu uns selbst und kann eine Brücke zu den Wahrheiten entstehen lassen, die in unserem Inneren immer schon da sind.
Ich erzähle von meinem Werdegang, wie ich zu dem schwierigen, herausfordernden und schönsten aller Berufe gekommen bin, über die Erfahrung mit der Erwachsenenwelt, die viel Geld und Macht anbietet, die Früchte unserer Arbeit aber nicht selten zu Eintagsfliegen macht ...
Ich rede und rede, mache kaum Pausen. Alleinunterhalterin bleiben! Von den guten Dingen reden! Von Lob und von Anerkennung, die uns Menschen so selten geschenkt wird. Die Mechanismen ankratzen, die unsere alltägliche Lebenswelt bestimmen.
Den Einfluss der allgegenwärtigen Medien genauer anschauen, die uns eine eigene Kategorie des Erlebens vorspielen, die nicht viel mit unserem wirklichen Leben zu tun hat, weil alle Informationen gerafft und auf Dramatik und Unterhaltung ausgerichtet werden müssen ....
Und es kommt der erste Zwischenruf: „Aber wir brauchen die Unterhaltung zur Entspannung!“ Gewiss, aber wir schweben in der Gefahr, dass zu viele Dinge zur Unterhaltung werden, unter anderem auch die täglichen Nachrichtensendungen, wo meist nur dramatische, schwierige oder auch schreckliche Situationen berichtet werden, die aber oft so fern, so weitab von unserem täglichen und wirklichen Leben liegen, dass sie uns kaum berühren.
Schließlich landen wir bei der Dieselwerbung. Die SchülerInnen beschreiben den Ablauf des Werbespots. Sie erzählen von jungen Darstellern, die auf der Straße tanzen und Gefühle von Unbeschwertheit, Freiheit und Freude entstehen lassen. Die Analyse dieser Bilder gelingt leicht und gleichsam nebenbei. Gemeinsam gelangen wir zur Einsicht, dass unsere mitteleuropäische Gesellschaft Arbeit, Geldverdienen und Leistung auf ihre Fahnen schreibt, und das „dolce far niente“, das Tanzen auf der Straße als Ausbruch von Verrücktheit deklassiert. Obwohl wir alle uns nach dieser Art von Verrücktheit sehnen.
1Aranjuez ist eine königliche Sommerresidenz in Spanien. Durch die Umleitung eines Armes des Tajos, der direkt am Palast vorbeilfließt, entstand eine Insel mit einem wunderschönen Schlosspark. Darauf spielt der berühmte Beginn des Dramas Don Carlos von Schiller an: „Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende.“ Das Gebiet war ausschließlich dem Hof und seinen Bediensteten vorbehalten.
Ich betrete die Klasse – fünf Schüler sind anwesend. Alle anderen haben es nicht einmal der Mühe wert gefunden, während der ersten Stunde anwesend zu sein. Schon in der ersten Klassenvorstandsstunde hatten sie die Abmeldungen vom Religionsunterricht in der Hand. Obwohl es unheimlich weh tut, und ich tagelang an dieser Niederlage leide, weil es so furchtbar schmerzt, das, was ich so mit dem Herzen rüberbringen will, einfach abgelehnt zu sehen. Dagegen hilft auch keine gut gemeinte Beschwichtigung von Seiten der Kollegen, die meinen, dass es sicher viel schwerer wäre, auch nur einige Begeisterte für Mathematik oder Geschichte, etc. zu finden ...
Es ist meine Niederlage, die ich Jahr für Jahr von neuem erlebe und ich wünsche keinem Lehrer das Gefühl, das mich jedes Jahr am Schulanfang schüttelt. Da hilft kein vernünftiges Argumentieren. Ich muss es ertragen, das Gefühl des Versagens. Ich kann noch so viele Worte des Trostes bekommen! Es hilft nichts! Man lernt es nur eines Tages zu akzeptieren, dass es für die Schüler einfacher ist, zwei Freistunden zu gewinnen, anstatt sich mit Fragen herumzuschlagen, die sie vielleicht in ihrer angenehmen Selbstzufriedenheit stören könnten.
Dass diese Fragen in jedes Menschen Herz eines Tages entstehen und nach Antwort verlangen – das erkennen meine jungen Leute noch nicht. Ich verstehe ihre Motive, aber mir, mir persönlich tut es furchtbar weh, wenn ich ihnen nicht von dem erzählen kann, womit sie ihr Leben ein bisschen innerlicher und tiefer machen könnten.
Wieder eine Botschaft, die mir hart zusetzt. Die neue siebente Klasse hat sich bis auf neun Schüler abgemeldet. Die Administratorin, so der Titel unserer Kollegin, die den Stundenplan ausarbeitet und am Schulanfang immer gekräuselte Nerven bekommt, weil in unserer Riesenschule jede Stundenplanänderung ein Netzwerk von Zusatzverschiebungen zur Folge hat, bittet mich, in der Klasse um einen Schüler zu werben, damit ich weiter zwei Stunden pro Woche bei ihnen unterrichten kann. Also hinüberlaufen zu den unbekannten Gesichtern und sie bitten: „Nehmt doch bitte an meinem Unterricht teil! Wenigstens einer!“ -und tatsächlich nimmt Brigitte ihre Abmeldung zurück. Ich freue mich und tanze aus der Klasse. Brigitte lächelt über mich – über die verrückte Lehrerin – aber ich werde ihr das nie vergessen.
Doch der Tag ist noch nicht zu Ende. Noch steht die Schulmesse als unerledigte Aufgabe vor mir. Doch wie es oft geht, wenn ich mich um eine Aufgabe besonders sorge und mir viele, man kann sagen, unnötige Gedanken mache, lösen sich die Schwierigkeiten von selbst. Im gegenwärtigen Fall greifen einige meiner jungen Freunde aus der achten Klasse ein und übernehmen völlig selbstständig die Zusammenstellung und die Organisation der musikalischen Begleitung. Sie suchen die Kabel zusammen, die Mikrophone etc. Ich brauche die Sachen nur zu transportieren, weil Lukas mittlerweile auch den Schlüssel für den Lift organisiert hat und die nächstbesten Burschen, die vorbeikommen, zum Mittragen auffordert.
Chor und Musiker bei der Schulmesse
In der Kirche üben die Mädchen selbstständig mit dem kompletten Notenmaterial, das wie durch ein Wunder, auch in zehn Exemplaren vorliegt, und langsam beginnt sich meine innere Spannung ein wenig zu lockern. Christian hat die Niederschrift des Gesamtablaufes der Schulmesse übernommen, und so kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen. Ich versuche noch da und dort mitzuhelfen, die zweite Stimme zu stärken und hoffe, dass bei der Messe alles gut gehen wird. Und es geht gut. Ein bisschen zu viel Text und ein bisschen zu viele Lieder werden es sein. Doch am Schulanfang sind alle noch geduldig, und wir können zufrieden sein.
Dass so wenige SchülerInnen von den Oberstufen in der Messe waren, die doch ihre ureigenste Messe ist, macht mich traurig. Doch offenbar ist die Stunde Schlaf am Morgen wichtiger, als die Bitte an den Herrgott, dass er uns während des Schuljahres begleitet, und wenn es nötig ist, tröstet und unterstützt.
Ich stehe vor der Klasse und versuche mich mit altbewährten Methoden durchzusetzen. Eine neue Klasse fühlt sich manchmal an wie ein bewegter See, wo Wirbelwinde die Wellen in verschiedenen Richtungen treiben. Diesen aufgeregten See gilt es zu beruhigen, bevor überhaupt an Unterricht zu denken ist. Und es gibt verschiedene Methoden der Beruhigung: aufgeregtes Hineinschreien bis zur Androhung von Prüfungen und Strafen, geduldiges Herumstehen und Warten oder ironisierendes oder gütiges Zureden. Wie lang dann die Sammlung und Aufmerksamkeit der Schüler anhält, das steht allerdings auf einem anderen Blatt.
In der Klasse begrüßt mich die in den Oberstufen übliche ungeordnete Ordnung. Auf den Tischen die gesammelten Werke der ersten Unterrichtsstunden, dazwischen Schreibunterlagen aus Papier, verziert mit den Ergebnissen mühsam verhehlter Langeweile. Zwei Mädchen arbeiten noch an einer Hausübung, einige stehen plaudernd nebeneinander. Einer wischt noch katzenartig bei der halboffenen Tür herein; einige sitzen einfach da und lauschen den Ausführungen eines Mitschülers.
Ich betrete die Klasse zum ersten Mal als offizielle Lehrerin. Viele kenne ich vom Schulhof, wo sie rauchend oder nur plaudernd ihre Pausen zubringen. Den einen oder anderen hatte ich in der Unterstufe als Schüler. Insgesamt sind wir uns halbvertraut. Ich lege meine Unterlagen ab, gehe durch die Bankreihen, um meine Lehrerautorität in kleinen Portionen zu verteilen ...
Und dieses Vorhaben, das langsame Herbeiholen der einzelnen Schüler gelingt. Sie merken, dass ich „Da bin“, und darum geht es im Augenblick. Als ich gleichsam alle Wellen einzeln ein bisschen geglättet habe, bekomme ich Raum zum Sprechen und Ansprechen der ganzen Gruppe. Die gelernten Mechanismen setzen ein, und die jungen Leute beginnen sich auf mich zu konzentrieren. Ich versuche die Fäden ihrer Konzentration zu umschlingen und stelle mich an ihre Seite und bitte sie aufzustehen. Ich mache das Kreuzzeichen und beginne ein Vaterunser zu beten. Noch bete ich allein, doch vielleicht werden sie eines Tages mitbeten. Das Klima ist entspannt, und wir können beginnen.
Wir beginnen, d.h. ich beginne mit der Frage, welche Möglichkeiten uns zur Verfügung stehen, um unsere Welt zu begreifen. Wir einigen uns auf die beiden Möglichkeiten der Fragen: vom einzelnen zum Ganzen fortzuschreiten und ausgehend von gesicherten experimentellen Ergebnissen zur wissenschaftlichen Theorie zu führen. Dann beginnen wir das Wissenspferd auch umgekehrt aufzuzäumen. Ich stelle die Frage nach der ganzen Wirklichkeit und welche Fachrichtungen in unserem Schulalltag sich mit dieser Frage abgeben, und wir erarbeiten das hermeneutische Wissenschaftsmodell, das davon ausgeht, die richtigen Fragen zu stellen. Wie nicht anders zu erwarten landen wir bei der Klage, dass wir in der Schule zu viele unterschiedliche Wissensfelder bebauen müssen, während uns persönlich ganz andere Dinge interessieren.
Spätestens in diesem Augenblick wandelt sich die Diskussion in den allzu bekannten Klagegesang, wie viel und vielerlei man in der Schule lernen müsse, obwohl einen nur ganz wenig interessiere, und wir sind wieder beim Thema Numero eins:
„Wie stelle ich es an, dass ich möglichst angenehm leben kann und gleichzeitig spüre, dass ich geliebt werde und Anerkennung finde“.
Vielleicht ist diese Überschrift zu grob und nur durch die mühseligen Auseinandersetzungen, die ich seit Jahren immer wieder entstehen lasse, so einfach geworden. Auch kann ich meinen Einfluss nicht abzuschätzen, bzw. nicht erkennen, inwieweit ich diese Themen immer wieder provoziere. Mir ist nur klar, dass in der Klasse ein interaktiver Prozess stattfindet, der vom Lehrer oder von den Schülern ausgehen kann, aber sehr von der Bereitschaft des Lehrers abhängt, die Gespräche und die Auseinandersetzungen, die von Seiten der Schüler kommen, im Keim zu ersticken oder auf sie einzugehen. Gewiss geht es nicht immer an, die Klagemauer für die Leiden der Jugendlichen während der Unterrichtsstunden zu errichten. Doch wenn es notwendig ist, dann gebe ich jede Zeit dafür her, egal, ob Pause oder Freizeit, weil sie nichts so dringend brauchen wie Menschen, die ihnen zuhören.
Und das Zuhören ist gerade für uns Lehrer eine äußerst schwierige Angelegenheit, denn eigentlich möchten wir unser Wissen ausbreiten, in der Erwartung, dass unsere SchülerInnen bereit sind, dieses Wissen auch in ihren Köpfen zu speichern. Doch vielleicht wäre es besser, manchmal zu warten, bis sie wirklich dazu bereit sind und nicht um jeden Preis Dinge vorzutragen, die sie aus verschiedenen persönlichen Gründen nicht annehmen können.
Die ersten Stunden im neuen Schuljahr sind in fast jeder Klasse aufregend. Man betritt z. B. eine altbekannte Klasse, und da sitzen zwei oder auch mehr neue Schüler drin. Plötzlich ist das Spannungsfeld der Klasse verändert. Zwei unbekannte Größen mitten im Netz von charakteristischen Reaktionen. Das heißt, dass jedes Kind ein Umfeld von Lebensäußerungen um sich aufbaut, das uns LehrerInnen nach langem Zusammensein mit ihnen vertraut ist und worauf wir fast automatisch reagieren.