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In dem Text entwirft Wätzold Plaum die Grundzüge einer formalen Ontologie. Im Zentrum steht dabei ein Kategoriensystem.
Das E-Book Ideen zu einer fomalen Ontologie wird angeboten von Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Ontologie, Kategorien, Kultur, Soziologie
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Seitenzahl: 161
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Über den Autor:
Wätzold Plaum studierte Physik und promovierte 2009 in Mathematik an der Universität Regensburg. Er arbeitet im Bereich und Software- und Fahrzeug-Entwicklung. 2012 erschien sein Buch „die Wiki-Revolution“ zum Thema Digitalisierung und Politik. Seit 2013 betreibt er den YouTube-Kanal „Wätzolds Welt“. 2019 promovierte er im Fach Philosophie zu einem eigenen geschichtsphilosophischen Modellentwurf. Wätzold Plaum betätigt sich auch als Musiker.
für Anne-Catbrin
1 Vorwort zur zweiten Auflage
Vorwort
Einleitung
2 Das System der Kategorien
2.1 Allgemeine Bemerkungen
2.1.1 Einzelwissenschaften und Philosophie
2.1.2 Allgemeine Eigenschaften des Systems
2.1.3 Weiterführende Möglichkeiten des Systems
2.2 Das System im Einzelnen
2.2.1 Subsistenz und Relation
2.3 Metahorizont und Subhorizont
2.4 Analogie und Rationalität
3 Teil B: Kulturelle Deduktionen
3.1 Kultur des Dinghaften
3.1.1 Kultur und Dmghaftigkeit
3.1.2 Hochkultur und Wert
3.2 Die Deduktion der Kulturdisziplinen
3.3 Weitreichendere Analogien
3.4 Abschließende Bemerkungen
3.5 Kultur des sozialen Beziehens
4 Nachwort
Anhang Glossar wichtiger Begriffe des formalontologischen Denkens
Mein Dank gilt Mathis und den Beitragenden zur ersten Auflage
Diese Ausgabe ist die Neuauflage eines Textes, der 2001 im Eigenverlag gedruckt wurde. Da die elektronische Version dieses Textes verloren gegangen war musste der Text basierend auf der Druckversion neu digitalisiert werden. Dabei sind Fehler nicht auszuschließen. Davon abgesehen wurde die Orthographie aktualisiert. Der Text blieb ansonsten inhaltlich unverändert.
Der Text entstand noch während meines Studiums. In den zwei Jahrzehnten seit jenen Jahren blieb das Denken des Autors nicht stehen. Eine ausführlichere Darlegung des hier in Kurzform niedergelegten Fundamentes einer systematischen Philosophie steht noch aus.
Gifhorn, Dezember 2022
Bei diesem Text handelt es sich um die erste Formulierung eines Teilbereiches meines selbständigen philosophischen Denkens. Da ich es als schwer genug erachte, dieses Denken aus seinen intuitiven und anschaulichen Eingebundenheiten zu befreien und in eine klare sprachliche Form zu bringen, habe ich weitgehend darauf verzichtet, zusätzliche Literatur zu verwenden. Aus diesem Grunde wird an den wenigen Stellen, an denen ich mich auf Literatur beziehe, lediglich in den Fußnoten darauf hingewiesen, und ein Literaturverzeichnis am Schluss des Textes fehlt. Zur Erleichterung des Verständnisses findet sich am Ende der Arbeit dafür ein Glossar wichtiger Begriffe, die im Text verwendet werden.
Wenngleich das meiste aus eigenem Gedankenschweiß gegoren ist, so bin ich dennoch zu vielfachem Dank verpflichtet: Zunächst wäre Herr Priv.-Doz. Dr. Sigmund Bonk zu nennen, dessen großzügiges Entgegenkommen mich dazu veranlasst hat, in dem von ihm veranstalteten Seminar „Monadisches Denken in Geschichte und Gegenwart“, das im Wintersemester 2000/2001 an der Universität Regensburg stattfand, ein Referat über meine Gedankenentwürfe zu halten. Der Inhalt des Referates umfasste in groben Zügen die hier dargestellten Gedanken des Teiles A „Das System der Kategorien". Die Seminararbeit zu diesem Referat lieferte den Grundstock dieser Darstellung. Darüber hinaus war Herr Dr. Bonk so freundlich, auch die fertige Fassung des Textes noch einmal durchzusehen, wofür ich ihm besonders danke.
Des weiteren danke ich meinen „philosophischen Freunden“ Horst Schnappauf, Sepideh Ravahi, Alexander Lisse und Thomas Lichtenberger, die stets ein offenes Ohr für meine Gedanken hatten und hoffentlich noch lange haben werden. Insbesondere Horst Schnappauf machte sich durch ausführliche Bemerkungen zum vorliegendem Text verdient. Wertvolle Anregungen lieferte auch Goda Plaum, die mir durch ihre sehr gründliche Textkritik half. Für die soziologischen Aspekte, also insbesondere Teil B, Abschnitt II, haben mich Anregungen aus zwei Sommerakademien der Studienstiftung des Deutschen Volkes nachhaltig beeinflusst. Neben allen Teilnehmer der von mit besuchten Kurse danke ich dabei insbesondere den Herren Prof. Dr. Alois Hahn und Prof. Dr. Ulrich Oevermann. Weitere verdienstvolle Korrekturarbeiten leisteten meine Eltern, Dr. Gisela Plaum und Dr. Emst Plaum, der mich auf viele ungenaue oder sprachlich mangelhafte Textpassagen aufmerksam machte. Nicht zuletzt danke ich all jenen, die hier keine Erwähnung fanden, aber dennoch durch wichtige Impulse zu diesem Text beitrugen.
Im Text kommen sowohl gesperrte wie kursive Markierungen vor. Diese haben folgende Bedeutungen: Gesperrte Textpassagen sind Textteile, die definitorischen Charakter tragen. Demgegenüber entspricht die kursive Markierung einer sprachlichen Emphase.
Regensburg, im August 2001
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine Ideenschrift, das heißt: ihr vorrangiges Ziel ist es, philosophische Ideen und Gedanken ein erstes Mal in eine ausformulierte Form zu bringen. Es handelt sich also um eine Art Skizzenbuch in Schönschrift, bei dem das Bemühen, die vorhandenen Skizzen zu einer Einheit zu formen, nur von zweitrangigem Interesse ist. Im Laufe der denkerischen Entwicklung ist dieser Schritt eine unumgängliche Notwendigkeit, insbesondere wenn die Gedankengänge ein gewisses Maß an Komplexität erreicht haben. Es ist die erste ausgesprochene Bestandsaufnahme gewisser eigener philosophischer Ideen, und als solche sollte der Text auch gelesen werden. Insbesondere wird man einen angemessenen Dialog mit anderen philosophischen Denkpositionen und eine ausgearbeitete Systematik vermissen. Das erstere ist von mir allein schon deshalb nicht zu leisten, weil ich als Nichtfachmann nur sporadische Kenntnisse der Philosophiegeschichte besitze, insbesondere nahezu keine philosophische Primärliteratur kenne. Das letztere ist Aufgabe der weiteren Denkentwicklung und gestaltet sich aufgrund des weitreichenden Ansatzes nur sehr langwierig und mühevoll.
Dieses Vorgehen ist unorthodox und mag nicht so recht in die akademischen Gebräuche passen. Man mag mir zurufen: „Lerne doch erst mal das Handwerk, bevor du dir anmaßt, mit eigenen Gedanken aufzutreten!“ Dem kann ich nur entgegenhalten, dass Wissenschaft, gleich welcher Art, ohne selbständiges, kreatives Denken nicht auskommt. Diese Tugend zu pflegen tut sich der akademische Lehrbetrieb allein seiner Natur nach schwer, weil Kreativität nun mal nicht lehrbar ist. Und da es genügend studierte Philosophen gibt, die das Handwerk beherrschen, ohne sich in gleichem Maße durch Kreativität auszuzeichnen, mag mein Versuch, das Pferd der philosophischen Denkaneignung einmal von hinten aufzuzäumen, zumindest interessant erscheinen. Dies umso mehr, als es ein Grundzug der deutschen Gegenwartsphilosophie ist, Philosophie zunehmend auf Philosophiegeschichte zu reduzieren. Arbeiten nach dem Schema „Die Rezeption des A-Begriffs des B-Philosophen beim C-Philosophen“ gibt es viele. In Luhmannschen Begriffen mag man die akademische Philosophie so als selbstreferenzielles, funktional ausdifferenziertes System identifizieren. Tatsächlich läuft dies aber häufig auch auf ihre konsequente Kontextfreiheit hinaus, so dass sie in dieser gänzlichen Unberührtheit nur allzu oft auch gänzlich nutzlos geworden ist, etwa in der Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Kultur der Gegenwart.
Es ist so der Entstehungszusammenhang dieser Arbeit schon durch das gekennzeichnet, was sich das darin entwickelte Denken als ein denkerisches Zielobjekt vorgenommen hat: die gedankliche Aufarbeitung der Moderne. Suchen wir für deren soziologische Aspekte ein Modell, so finden wir es in Niklas Luhmanns Systemtheorie. Seine „Welt“ zeichnet sich dadurch aus, dass es in ihr keinen ausgezeichneten Beobachter gibt, welcher als Garant für eine „einheitliche Welt“ angesehen werden könne.1 Ein solcher Garant wäre etwa in der anerkannten Autorität einer Religion, einer Staatspartei oder einer allgemein anerkannten Leitwissenschaft zu sehen. Das Zerfallen der „einheitlichen Welt“ in nicht zu übersehende Teilperspektiven, die Zergliederung der Gesellschaft in unzählige Subsysteme, die zwar gemeinsame Schnittmengen haben mögen, aber niemals zur Deckung gebracht werden können, ist eine, wenn nicht die Schlüsselerfahrung der Moderne, die ich im folgenden mit dem Schlagwort Verlust der Vollständigkeit ansprechen möchte. Schlüsselerfahrungen der Moderne zu reflektieren und sie als Folge einer weitreichenden „Rationalisierung“ herauszustellen, ist ein Ziel des hier vorgetragenen Denkansatzes, führt derselbe doch auf einen hinreichend allgemeinen Begriff von „rational“, welcher den vielfältigen Ausformungen der „Modernisierung“ gerecht werden kann. Gleichwohl beschränken wir uns in diesem Text auf die grundlegenden begrifflichen Klärungen, welche hoffen lassen, eine angemessene Behandlung dieser Thematik zu ermöglichen.
Erkenntnis theoretisch bedeutet der Verlust der Vollständigkeit zunächst so etwas wie die Übernahme eines aus der Logik wohlbekannten Sachverhaltes als epistemisches Prinzip, nämlich dass sich aus Existenzaussagen a priori keine Allaussagen machen lassen. Demnach sind Allaussagen über der Erfahrung zugängliche Dinge gänzlich unmöglich, da unserer Erfahrung nur begrenzte und damit unvollständig Bereiche der Gegenstandswelt zugänglich sind. Ferner lassen sich diese Dinge nur unter bestimmten Rücksichten endlicher Anzahl in Erwägung ziehen, somit können wir also auch bezüglich eines einzelnen Dinges niemals sicher sein, ob die Zahl der relevanten Rücksichten vollständig ist und der Gegenstand durch unser Denken adäquat erfasst wird. Den gegenständlichen Dingen also so etwas wie ein Wesen als eine dem subsistenten Sein einer Seinsheit (Entität) erschöpfende wissenschaftliche, d.h. begrifflich definitorische Beschreibung unterstellen zu wollen, ist unter dieser erkenntnistheoretischen Prämisse nicht länger möglich.
Wird nun aber der Mensch selbst in der erkenntnistheoretischen Urteilsfindung Objekt des Denkens, so muss das Fehlen eines Wesensbegriffes vom Menschen dazu führen, dass die von demselben an die Wirklichkeit herangetragenen Rücksichten als abhängig von seiner je kontingenten Eigenart begriffen werden. Erkenntnis jeder Art ist dann nur durch mannigfaltige, vom erkennenden Einzelsubjekt abhängende Teilperspektiven möglich, deren Korrelation in hohem Maße fragwürdig erscheint. Ein ausgezeichneter Beobachter, welcher die Definitionsmacht dessen, was als wirklich zu gelten hat, für sich in Anspruch nehmen könnte, ist so nicht zu rechtfertigen.
In der Sprache gesellschaftlicher Systeme gesprochen heißt dies folgendes: Es gibt kein gesellschaftliches System, welches in der Weise ausgezeichnet ist, über andere gesellschaftliche Systeme mit exklusivem Wahrheits- und Wirkungsanspruch gestellt zu sein. Dies bedeutet aber nichts anderes, als ein Ende der Politik, da ein konkretes politisches System gerade den Anspruch erhebt, auf eine solche Weise ausgezeichnet zu sein. Ansonsten wäre es nicht zu rechtfertigen, wie es diesem System zukommen soll, über andere Systeme eine exklusive Herrschaft auszuüben, etwa durch das Rechtsmonopol.
Der Verlust der Vollständigkeit zieht also zunächst einmal einen profunden Skeptizismus nach sich. Und obwohl es uns so unmöglich ist, rational über die Welt gebildet, d.h. aufgeklärt zu werden, ist das Weltbild des Skeptizismus dennoch in hohem Maße rational, da es der Logik wie dem methodischen Zweifel höchste Priorität einräumt. Dennoch ist das Verhältnis des erkenntnistheoretischer Rationalismus zum Skeptizismus ein zwiespältiges. Denn noch eine andere Gesinnung vermag den Titel „rational“ für sich in Anspruch zu nehmen, nämlich der Dogmatismus. Während der Dogmatismus bestimmte Aussagen als wahr setzt, zieht der Skeptizismus die Möglichkeit wahrer Aussagen überhaupt in Frage. Der Dogmatismus betreibt gerade das, was sich der Skeptizismus verwahrt, nämlich sich von der Welt ein rationales Bild zu machen. Diese beiden Grundpositionen des epistemischen Rationalismus sind, obgleich sie zunächst als Gegensätze erscheinen, dennoch zutiefst verwandt, und enthalten sich gegenseitig
Der Dogmatismus hat es deswegen nötig, Aussagen als wahr zu setzen, weil die Einsichtigkeit dieser Aussagen fragwürdig und zweifelhaft ist. Niemand würde auf die Idee kommen, Aussagen, die für jeden unmittelbar einsichtig sind, durch ein Dogma festschreiben zu wollen. Dogmen kann es also nur dort geben, wo unser naturgegebenes Erkenntnisvermögen als getrübt und unzulänglich angesehen wird.
Umgekehrt ist jeder argumentativ praktizierte Skeptizismus ein Dogmatismus. .Argumentativ praktizierbar ist ein Skeptizismus dann, wenn er sich auf Argumentationen einlässt, es sich also zum Ziele setzt, alle Argumentationen, die darauf abzielen, zu wahren Aussagen zu führen, zu demontieren. Dieses Ansinnen kann aber nur durch einen dogmatisch gesetzten Skeptizismus widerspruchsfrei geschehen, da der Skeptizismus sich ja nicht als eine wahre Aussage argumentativ einsichtig machen kann.
Man mag nun leicht auf den Gedanken kommen, der Skeptizismus stünde grundsätzlich mit sich in Widerspruch, da er sich, gegen die eigene Position gewendet, stets aufhebe. Dennoch lässt sich der Skeptizismus widerspruchsfrei setzen, etwa durch den dogmatischen Satz: „Die einzig gewisse Aussage, die wir treffen können, ist diejenige, dass alle Aussagen, außer dieser, grundsätzlich zweifelhaft sind und somit nicht als gewiss wahr anerkannt werden können." 2
Wir haben von argumentativ praktizierbaren Skeptizismus gesprochen, da es zur Abwehr des Skeptizismus nicht ausreicht, ihn im streng wissenschaftlichen Sinne zu widerlegen, was auch gar nicht möglich ist, sobald er sich zu seinem Dogmatismus bekennt. Denn es gibt über den Skeptizismus als theoretischen Standpunkt hinaus eine skeptizistische Grundhaltung, welche sich möglicherweise noch gar nicht ernsthaft auf eine rationale Diskussion einlassen möchte. Dennoch wird durch diese Haltung, die Wissenschaften insgesamt bzw. deren Erkenntnisansprüche aus einem prinzipiellen Zweifel heraus in Frage gestellt. Als Grundhaltung, die durch bestimmte Erlebnisse geprägt sein mag, ist dieser Skeptizismus erst recht nicht widerlegbar, sondern lediglich überwindbar. Die Überwindung einer skeptizistischen Grundhaltung ist insbesondere durch das Anbieten attraktiver Alternativen möglich, was auch durch die Philosophie geschehen kann.
Das komplementäre Verhältnis von Skeptizismus und Dogmatismus ist auch der Grund, weshalb sich beide Geisteshaltungen auf den Verlust der Vollständigkeit berufen können, der zunächst eigentlich nur einen Skeptizismus nahelegt. Dieser liegt insoweit nahe, als der Rationalismus methodisch verstanden wird. Strebt man aber ein rationales System an, so kann dies nicht geschehen, ohne auf dogmatische Weise die Anfangsgründe dieses Systems zu setzen. Beide Positionen aber sind Zeugen des Elends des Nationalismus, denn beide stiften mehr Unruhe als sie beseitigen. Es scheint so, dass die Neuzeit nach Jahrhunderten der Rationalitätsbegeisterung an einem Punkt angekommen ist, an dem es für sie Zeit wird, auch die negativen Seiten der Rationalität mit aller Entschiedenheit und Konsequenz zu reflektieren. Insofern dies für den Aspekt der Rationalität, welcher unmittelbar das Denken betrifft, schon geschehen sein sollte, gilt es nun den Blick zu schärfen, um die kulturellen, soziologischen und sozialpsychologischen Involvierungen einer solchen Rationalitätskritik nachzuvollziehen. Ein dazu benötigter allgemeiner Rationalitätsbegriff soll im vorliegenden Text entwickelt werden.
Liebhaber des postmodernen Lebensgefühles mögen den Verlust der Vollständigkeit als befreiend und erleichternd feiern, kann man in ihm doch die Vollendung einer pluralistischen und demokratischen Gesinnung sehen. Dies kann jedoch so weit gehen, dass der Verzicht
auf Vollständigkeit seit im normativen Sinne eingefordert wird, wodurch sich diese Ausformung des modernen Skeptizismus selbst ad absurdum führt. Unvollständigkeit kann nämlich immer nur durch – zumindest gedankliche – Vervollständigung erkannt werden. Denn der Begriff „Unvollständigkeit“ ist ein Mangelbegriff, welcher ohne den Begriff „Vollständigkeit“ nicht gedacht werden kann. Damit ist aber der Begriff „Unvollständigkeit“ nur dann sinnvoll, wenn eine bestimmte inhaltliche Bestimmung dessen, was Vollständigkeit ausmacht, und damit eine gewisse Vollständigkeit der Erkenntnis möglich ist.
Auch in den Wissenschaften kommt man ohne den Glauben an die Vervollständigbarkeit des Wissens nicht aus. Ohne die Zuversicht, sich mit seinem Streben berechtigter Weise um Erkenntnis der Realität - im Sinne von Wahrheit-zu bemühen, wenngleich alle Wissenschaft unvollkommenes Gleichnis auf die Wahrheit bleiben kann, ohne den Glauben, sich im wissenschaftlichen Dialog prinzipiell einigen zu können, ist Wissenschaft in der Praxis nicht möglich. „Sich einigen können“ bedeutet dabei mehr, als nur einen Konsens zu finden wie Viehhändler auf dem Markt, sondern meint die Möglichkeit, eine von allen Beteiligten gebilligte Annäherung an die Wahrheit gefunden zu haben, d.h. ein Sich-Einigen in Hinsicht auf das Ideal der Wahrheit über die Welt.
Die in diesem Vorwort ausgeführten Gedanken mögen eine gewisse antimoderne Grundstimmung vermuten lassen. Stellt sich für uns nach fünfhundert Jahren im Zeichen der Rationalität diese als eigentliches Übel der Menschheit heraus? Gewiss nicht! Es ist gerade im Interesse meines Ansatzes Rationalität nicht einfach sein zu lassen. Doch Rationalität ist nicht alles. Und so sind wir in der Pflicht, ihren Gegenspieler beim Namen zu nennen. So sehr ich mich also gegen einen einseitigen Rationalismus wehre, so sehr wollen wir nicht die entgegengesetzte Einseitigkeit begehen, und der folgende Teil I zeigt hoffentlich, dass mein Denken die Moderne durchaus nicht unverdaut gelassen hat. Die formale Natur meines Denkansatzes bleibt freilich von solchen Bemerkungen unberührt, wozu im folgenden Kapitel 1.1 „Allgemeine Bemerkungen“ genaueres ausgeführt wird.
1 Man beachte die Paradoxie dieses Satzes!
2 Es besteht allerdings immer noch die Gefahr, dass dieser Satz sinnlos ist.
2.1.1 Einzelwissenschaften und Philosophie
Die Frage, womit in der Philosophie zu beginnen sei, ist selbst eine philosophische Frage. Man könnte dadurch auf den Gedanken kommen, Philosophie sei allein deshalb nicht möglich, weil sich dieses .Anfangsproblem nicht lösen lasse, ohne selbst schon Philosophie zu betreiben. Dennoch ist diese Feststellung bereits eine philosophische, und wir befinden uns mitten in der Philosophie, noch ehe wir in der Frage des Anfangs eine Lösung gefunden haben. Dass sich uns das Anfangsproblem in der Philosophie so drastisch stellt gehört zu ihrer Eigenart, wird doch jede andere Wissenschaft im weitesten Sinne des Wortes philosophisch begründet, so dass man sich in der entsprechenden Wissenschaft selbst nicht weiter mit der Anfangsfrage herumschlagen muss.
Die Chemie etwa hat es mit den materiellen Stoffen zu tun, insoweit sie sich durch Verschiedene Arten der Verbindung ihrer Bestandteile in einander umwandeln lassen. Diese Definition, ob nun geglückt oder nicht, enthält verschiedene Begriffe, wie etwa Stoff, Verbindung oder umwandeln, die alle philosophische Relevanz besitzen. Bei Stoff schließt sich die Frage an, was die letztendliche Grundlage der Welt ist, oder bei umwandeln kommt das Problem des Werdens in Betracht. Es ist wichtig festzustellen, dass diese Probleme keineswegs allein den Einzelwissenschaften überlassen sind, da diese immer auf Einzeldinge verwiesen bleiben müssen, die eben genannten Fragen aber auf die Welt als Ganzes und an sich abzielen, demnach metaphysische Fragen bilden, und sie also auch in den Einzelwissenschaften letztlich nur philosophisch diskutiert werden können.3 Die Sprechweise „Welt als Ganzes“ mag in Bezug auf die Metaphysik gerechtfertigt sein. In Bezug auf die Philosophie insgesamt ist sie problematisch, da viele Philosophien diese nicht als Gegenstand ihrer Disziplin anerkennen würden. Im Verhältnis von Philosophie zu Einzelwissenschaft sei dieser Sprechweise Vorhäufigkeitscharakter zugesprochen, welche im Abschnitt „Kultur des Dinghaften“ durch eine allgemeinere Begrifflichkeit aufgehoben wird. Ebenso vorläufig ist das Sprechen von der „Welt der Einzeldinge“ im Zusammenhang mit den Einzelwissenschaften. Darin wollen wir Philosophie vorläufig bestimmen als Wissenschaft von der Welt als Ganzes und eine Einzelwissenschaft als Wissenschaft von Einzeldingen.
Wenn wir also feststellen, dass viele Begriffe, wie sie im Diskurs über Einzelwissenschaften und Wissenschaft im allgemeinen gebraucht werden, letztlich philosophische Begriffe sind, so sollte es auch ein Anliegen der Philosophie sein, sich über solche Begriffe Klarheit zu verschaffen. Dies heißt aber nicht, dass wir unüberlegt die Grundbegriffe der Einzelwissenschaften systematisieren sollten, da es sich bei den Einzelwissenschaften um Erscheinungsformen menschlicher Kultur handelt, wir also insbesondere Termini zur Reflexion auf Kultur benötigen, da ansonsten einzelwissenschaftliche Vorurteile unbedacht übernommen werden. Als eine Zielvorgabe sollte es möglich sein, grundlegende Begriffe des kulturreflexiven Diskurses zu finden. Damit diese Begriffe als wissenschaftlich gelten können, muss ihr Gebrauch eindeutig durch Definitionen geregelt sein.
Ich sehe einen gewissen Mangel der gegenwärtigen Philosophie darin, die Chancen, welche die Fortschritte in den Einzelwissenschaften liefern, nicht zu nutzen. Ihrer Natur nach wäre sie insbesondere dazu berufen, sich in den kulturwissenschaftlichen Diskurs einzuschalten. Was sie leisten kann ist die Bereitstellung einer allgemeinen Begrifflichkeit, welche eine einzelne Kulturwissenschaft über die engen Grenzen ihrer selbst hinaus hebt. Es geht uns also darum, globale Perspektiven zu eröffnen, die insbesondere dazu dienen könnten, die Mosaiksteine der vielen wertvollen Einzelerkenntnisse so aufeinander zu beziehen, dass sich daraus Erkenntnis gewinne für die Frage nach der Natur des menschlichen Geistes ergeben.
Es ist klar, dass man mit dem Bemühen, grundlegende Begriffe zu finden, an ein Ende kommen, es also Definitionen geben muss, deren Termini ihrerseits nicht mehr definiert werden können. Der allgemeinste mögliche Terminus, der des Seins, ist nun gänzlich nicht mehr definierbar Denn Sein kann nicht der Spezialfall von etwas sein, das Sein als einen Fall enthält, ohne selbst zu sein.4 Damit ist zugleich ein bestimmtes Seinsverständnis ausgesprochen, nämlich Sein gerade als der allgemeinst mögliche Begriff überhaupt, welcher somit auch von allem, was in Betracht kommen mag, in irgendeiner Weise ausgesagt werden kann.5
Begriffe, die nun aber eine erste Ausfaltung dessen liefern, was Sein ausmacht bzw. ausmachen kann, nennt man Kategorien