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FÜNF JAHRE ZUVOR BRACH ER IHR DAS HERZ. NUN WILL ER ES ERNEUT EROBERN ...
Farrah kann es nicht fassen: Fünf Jahre ist es her, dass Blake Ryan ihr das Herz gebrochen hat und sie ihn aus ihrem Leben verbannte. Nun steht er wieder vor ihr, noch immer so attraktiv wie damals. Er war ihre erste Liebe, jetzt ist er ihr erster Kunde als freiberufliche Innenarchitektin. Und es scheint, als hätte Blake alles: Geld, gutes Aussehen, ein florierendes Sportsbar-Imperium. Doch innerlich wird er von Reue gequält, Farrah vor all den Jahren verloren zu haben. Als sie sich wiederbegegnen, ist er fest entschlossen, die Liebe seines Lebens zurückzugewinnen. Alles in Farrah sehnt sich nach ihm, aber kann sie ihm ihr Herz erneut schenken?
Die herzzerreißende Liebesgeschichte von Farrah und Blake geht weiter
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Seitenzahl: 423
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Epilog
Anmerkungen der Autorin
Danksagung
Die Autorin
Die Bücher von Ana Huang bei LYX
Impressum
ANA HUANG
If The Sun Never Sets
Roman
Ins Deutsche übertragen von Katia Liebig
Ein Auslandssemester in Shanghai – das war Farrah Lins großes Abenteuer. Hier hat sie sich das erste Mal verliebt, und hier wurde ihr das erste Mal das Herz gebrochen. Von Blake Ryan, dem ehemaligen College-Football-Star. Nach Monaten voller Gefühle und leidenschaftlicher Nächte hat Blake Farrah verlassen, und seit sie zurück in den USA sind, haben sie sich nicht mehr gesehen. Farrah hat ihren Traum, Innenarchitektin zu werden, verwirklicht und sich selbstständig gemacht. Als sie ihren ersten lukrativen Job ergattert, kann sie nicht fassen, wer ihr Auftraggeber ist: Blake Ryan, der Mann, den sie aus ihrem Leben verbannt hat. Jetzt steht er wieder vor ihr, noch immer so attraktiv wie damals. Auf den ersten Blick scheint es, als hätte Blake alles: Geld, gutes Aussehen und ein florierendes Sportsbar-Imperium. Doch da ist eine Traurigkeit in seinen Augen, die er mit seinem Charme zu überspielen versucht. Weil Farrah auf das Honorar angewiesen ist, bleibt ihr nichts anderes übrig, als den Job anzunehmen und mit Blake zusammenzuarbeiten. Doch auf keinen Fall wird sie ihr Herz noch einmal riskieren, egal wie entschlossen Blake sich bemüht, die Liebe seines Lebens zurückzugewinnen …
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Hello – Adele
Just A Dream – Nelly
All I Have to Do is Dream – Lauren O’Connell
Show Me the Meaning of Being Lonely – Backstreet Boys
Ain’t It Funny – Jennifer Lopez
Just Give Me A Reason – Pink ft. Nate Ruess
Back to Your Heart – Backstreet Boys
Fallin – Alicia Keys
All of Me – John Legend
Little Do You Know – Alex and Sierra
I Try – Macy Gray
Und da war er. Der Moment, auf den sie die letzten Jahre gewartet hatte.
Auf dem Weg ins Büro ihrer Vorgesetzten strich sich die fünfundzwanzigjährige Farrah Lin mit der Hand die Falten aus dem Rock. Ihre Achselhöhlen waren schweißnass. Zum Glück trug sie heute ein schwarzes Oberteil. Schweißflecken unter den Armen waren so ziemlich das Letzte, was sie bei ihrer Beförderung gebrauchen konnte.
»Hübsches Top.« Matt, GQ-mäßig durchgestylt im schwarzen Helmut-Lang-Blazer mit Diesel-Jeans und einem breiten Grinsen auf dem gutaussehenden Gesicht, schloss sich ihr an.
Farrah lächelte angestrengt. »Danke.«
Matt arbeitete wie sie als Design Associate bei Kelly Burke Interiors, doch im Gegensatz zu ihr hatte er die ersten harten Einstiegsjahre übersprungen und war gleich auf dem mittleren Level eingestiegen – und das alles nur dank seiner Patentante Kelly Burke.
Farrah hätte sich darüber nicht einmal sonderlich geärgert, wenn Matt wenigstens hart gearbeitet hätte, doch der betrachtete seinen Job eher als eine Art Hobby, dem er immer dann nachgehen konnte, wenn ihm gerade langweilig war. Angesichts der Größe seines Treuhandfonds war er allerdings vermutlich auch wirklich nicht viel mehr als ein Hobby.
Ein Beispiel: Bei KBI galt die Regel, dass jeder genau eine Stunde Mittagspause machte, Matt jedoch verschwand regelmäßig für zwei und mehr Stunden, und niemand sagte etwas dazu, denn er war der Sohn von Kelly Burkes bester Freundin und der Liebling der Firmenchefin. Farrah allerdings ärgerte Matts demonstrative Verletzung sämtlicher Regeln maßlos.
Doch sie wusste, wann es besser war, den Mund zu halten.
Farrah klopfte an die Tür ihrer Vorgesetzten und hielt den Atem an, nicht nur, weil sie nervös war, sondern auch, um Matts aufdringlicher Parfümwolke zu entkommen. Der Typ roch wie ein Abercrombie-&-Fitch-Laden auf Steroiden.
»Herein«, hörte sie Jane Sanchez’ Stimme gedämpft durch die dicke Eichentür.
Farrah und Matt traten ein, und Jane zeigte auf die beiden mit elfenbeinfarbenem Leder gepolsterten Messingstühle, die vor ihrem Schreibtisch standen. »Setzt euch.«
Jane war Kellys rechte Hand und dafür verantwortlich, dass der Laden lief. Sie leitete die Projekte, kümmerte sich um die Kunden, managte die zwölf Mitarbeiter und gab jeden Freitag eine Runde Donuts aus, um die Erfolge der Woche zu feiern. Als Chefin war sie wirklich große Klasse.
Und trotzdem wuchs Farrahs Nervosität immer mehr. Nichts malträtierte ihre Nerven so sehr wie ein Meeting mit ihrer Vorgesetzten am Freitagnachmittag.
»Zuerst einmal möchte ich Ihnen beiden für die harte Arbeit am Zinterhofer-Projekt danken. Es war eine große Herausforderung, und wir alle haben viel Zeit investiert, um es rechtzeitig zu schaffen. Aber ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Z Hotels absolut begeistert ist.« Jane strahlte.
Farrah und Matt lächelten zurück. Sie hatten in den vergangenen zehn Monaten nonstop am Flagship-Hotel der Gruppe am Central Park gearbeitet. Landon Zinterhofer, der Erbe der Luxushotelkette, hatte im vergangenen Jahr die Leitung des Mid-Atlantic-Zweigs übernommen, und sein erstes Projekt war die Modernisierung des Hauses in New York City gewesen, um dessen Attraktivität von der alten Garde der High Society auf jüngere Gäste auszuweiten.
KBI ordnete nur selten zwei Associates einem Projekt zu, erst recht nicht, wenn Kelly als leitende Designerin fungierte, doch Z Hotels war ihr größter Kunde.
»Das ist großartig!« Farrahs Haut prickelte vor Stolz. Sie hatte das Projekt zwar nicht geleitet, aber Unmengen an Zeit, Schweiß und kreativer Energie hineingesteckt. Ein ganzes Hotel mit 253 Zimmern und Dutzenden von öffentlichen Räumlichkeiten innerhalb von zehn Monaten neu zu designen, war kein Spaziergang gewesen.
Wie gut, dass Farrah Herausforderungen liebte. Zumal Z Hotels in ihrem Lebenslauf einen grandiosen Eindruck machen und das gesamte Projekt sie fünf Jahre früher als üblich direkt auf die Stelle einer Senior Associate katapultieren würde.
Also, fast direkt.
»Jedenfalls, wir alle wissen, warum wir heute hier sind.« Janes Blick hinter ihrer roten Brille wurde ernst. »Letztes Jahr habe ich versprochen, dass einer von Ihnen zum Senior Associate befördert wird, je nachdem, wie er oder sie sich bei diesem Projekt schlägt. Und obwohl Senior Associates normalerweise mindestens acht Jahre Berufserfahrung vorweisen sollten, sind Kelly und ich uns einig, dass Sie beide das Talent haben, diese zusätzliche Verantwortung zu übernehmen. Zumal wir lieber unsere eigenen Mitarbeiter befördern möchten, statt jemanden von außen auf diese Stelle zu setzen. Z Hotels war also Ihr Test.«
Farrah unterdrückte den Impuls, nach ihrer Kette zu greifen, und umklammerte die Armlehnen, bis ihre Knöchel weiß hervorstachen. Matt lümmelte sich neben ihr selbstsicher in seinem Stuhl.
»Sie beide haben erstklassige Arbeit geleistet und uns mit Ihrer Sorgfalt, Ihrer Kreativität und Ihrem Arbeitseinsatz beeindruckt. Ich wünschte, ich könnte Sie beide befördern, aber wir sind nur eine kleine Firma und haben dafür aktuell nicht die Kapazität.«
Nun mach schon. Farrah schätzte Janes lobende Worte, aber wenn ihre Vorgesetzte nicht bald zum Punkt kam, würde sie noch ohnmächtig werden.
»Vor diesem Hintergrund gratuliere ich …«
Oh mein Gott. Jetzt kommt’s. Farrah würde endlich bekommen, wofür sie in den vergangenen Jahren so hart gearbeitet hatte. Sie würde …
»… Matt als neuem Senior Design Associate bei Kelly Burke Interiors. Herzlichen Glückwunsch.« Jane richtete ihre Brille und klang dabei nicht sonderlich begeistert.
Senior Associate im zarten Alter von … Was?
Eiswasser ersetzte das Blut in Farrahs Adern. Sie musste sich verhört haben.
Unmöglich. Matt, der sich nicht einmal die Namen der einzelnen Lieferanten merken konnte und ständig jammerte, die Entwürfe zu studieren würde ihm nur Kopfschmerzen bereiten, konnte unmöglich anstelle von Farrah diese Beförderung bekommen haben.
Das kann nicht sein.
»Wow. Danke.« Matt grinste und wirkte nicht im Mindesten überrascht. »Was für eine Ehre.«
Jane lächelte mit schmalen Lippen. »Es war Kellys Entscheidung. Matt, ich möchte bitte noch kurz mit Farrah allein sprechen.«
»Natürlich.« Matt klopfte Farrah auf die Schulter und verließ das Büro. »Nächstes Mal hast du bestimmt mehr Glück.« Seine Worte trieften förmlich vor Überheblichkeit.
Farrah wusste nicht, ob sie sich lieber übergeben oder Matt ins Gesicht schlagen sollte.
Nein. Du bist nicht gewalttätig. Tief einatmen: eins, zwei, drei. Und aus: eins … Aaargh!
Jane betrachtete Farrah besorgt. »Wie fühlen Sie sich?«
Was denken Sie denn, wie ich mich fühle? Farrah verbiss sich ihre sarkastische Bemerkung und zwang sich zu einem Lächeln. »Gut. Ich freue mich für Matt.«
Jane seufzte. »Farrah, wir wissen beide, dass Sie unglaublich talentiert sind. Deshalb haben wir Sie auch so schnell schon auf eine höhere Position befördert. Bei Z Hotels haben Sie ausgezeichnete Arbeit geleistet. Wirklich ausgezeichnete Arbeit.« Sie schüttelte den Kopf. »Bitte verstehen Sie es nicht als eine negative Rückmeldung auf Ihre Leistung oder Ihre Rolle hier bei KBI. Sie sind ein hochgeschätztes Mitglied unseres Teams.«
»Nicht hoch genug, um befördert zu werden.«
Jane zögerte. »Die letzte Entscheidung lag nicht bei mir.«
»Ich weiß. Es war Kellys Entscheidung.« Farrahs und Janes Blicke trafen sich. »Sagen Sie mir die Wahrheit: Hat der Umstand, dass Matt Kellys Patensohn ist, bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt?«
Jane antwortete nicht, doch ihr Blick sagte alles.
Enttäuschung schlängelte sich durch Farrah. Seit ihrer Jugend war Kelly für sie ein Idol, und sie war vor Glück außer sich gewesen, als sie den Studentenwettbewerb der National Interior Design Association gewonnen hatte und ein Praktikum bei KBI hatte machen dürfen. Sicher, als Mensch war Kelly distanzierter, fordernder und deutlich weniger auf Teamarbeit bedacht gewesen, als sie erwartet hatte – nicht unbedingt so, wie sie sich eine Mentorin gewünscht hätte –, aber schließlich war Kelly eine der besten Innendesignerinnen Amerikas. Sie musste also hohe Ansprüche stellen.
Doch Farrah hatte immer gedacht, sie würde Talent schätzen. Harte Arbeit. Leistungsbereitschaft. Es war eine Sache, Matt bei seinem Einstieg in einer höheren Position einzustufen, aber eine ganz andere, ihn anstelle von jemandem zu befördern, der in den vergangenen Jahren alles für ihr Unternehmen gegeben hatte.
Matt war das Projekt bei Z Hotels buchstäblich am Hintern vorbeigegangen. Für ihn war es nicht mehr gewesen als die Möglichkeit, einen Hotelerben zu umschmeicheln und einen berühmten Namen zu seinem Lebenslauf hinzuzufügen, ohne ernsthaft zu arbeiten. Es war Farrah gewesen, die regelmäßig bis spät in die Nacht im Büro gesessen hatte, um das Projekt zum Erfolg zu führen. Sie war es gewesen, die stundenlang am Telefon gehangen hatte, um mit den Baufirmen alle Probleme und Missverständnisse zu klären, und die dafür gesorgt hatte, dass sie rechtzeitig großartige Ergebnisse lieferten, auch wenn Kelly allen Ruhm einheimste.
Farrah war klar, dass sie kein Recht auf eine Beförderung hatte, aber verdammt, sie hatte es verdient.
»In zwei Jahren wird es eine weitere Gelegenheit geben«, sagte Jane. »Haben Sie ein wenig Geduld. Ihre Zeit wird kommen. Versprochen.«
Schon möglich. Doch Farrah wusste, dass sie in einem Spiel, in dem Vetternwirtschaft regierte, niemals gewinnen konnte. Sie war nicht der Typ, der gern etwas riskierte, weshalb die Worte, die nun aus ihrem Mund kamen, sie selbst ebenso überraschten wie ihre Vorgesetzte.
»Ich kündige.«
»Wahnsinn.« Blake Ryan betrachtete den matt geölten Parkettboden, die hohen Decken und die gigantische Fensterfront, die einen spektakulären Blick auf den Hudson River und die Skyline bot. »Danke, dass du an mich gedacht hast.«
»Gern. Schön, dich jetzt endlich in der Stadt zu haben.« Sein ältester und bester Freund Landon Zinterhofer klopfte ihm auf den Rücken. »Außerdem habe ich das Ding ja nicht bezahlt.«
Blake lachte. Seine neue Dreizimmerwohnung im West Village direkt am Fluss hatte ihn ein Vermögen gekostet, aber das war es wert. Viel zu lange war er durch die Welt getingelt, nie mehr als ein paar Monate an einem Ort geblieben. Anfangs hatte es noch Spaß gemacht, aber nun sehnte er sich nach Beständigkeit, und es gab keinen besseren Ort als New York City, um sich niederzulassen.
»Wie ist das Hotel geworden?«, fragte er.
Landon hatte einen harten Kampf mit seiner Mutter ausfechten müssen, um ihr geliebtes Flagship-Hotel in New York grundüberholen zu dürfen, doch am Ende hatte er gewonnen und das vergangene Jahr geschuftet wie ein Wahnsinniger. Dank dieses Projekts und Blakes beständiger Reisen sahen sich die beiden Freunde heute zum ersten Mal seit einem halben Jahr wieder von Angesicht zu Angesicht.
»Genial.« Landon fuhr sich mit der Hand durch die schwarzen Haare. »Wir haben eine großartige Presse bekommen, und das neue Design ist einfach grandios. Noch viel besser, als ich es mir vorgestellt habe. Die Innenarchitekten haben wahre Wunder vollbracht. Ich kann sie dir nur empfehlen.«
»Das Design für die Bar steht schon fest«, erinnerte Blake seinen Freund. Neben der Entscheidung, sich eine Wohnung zu kaufen und sein Nomadenleben zu beenden, gab es auch noch einen weiteren Grund für seine Rückkehr nach New York: Manhattan würde ein Legends bekommen.
Seit Blakes erste Legends Sportsbar vor vier Jahren in Austin, Texas, eröffnet hatte, hatte er die Marke in Überschallgeschwindigkeit zu einer internationalen Kette aufgebaut. Von London bis L. A. – an Spieltagen ging man ins Legends. Und selbst wenn nicht gespielt wurde, war der Laden dank Bar Olympics, Themen- und Quizabenden und prominenten Gast-Barkeepern eigentlich immer voll. Mittlerweile war es zu einer Art Initiationsritus für alle NFL-, NBA- und MLB-Stars geworden, wenigstens einen Abend hinter der Theke ihres örtlichen Legends zu stehen. Im vergangenen Jahr hatte Blake sogar Landons ursprüngliche Anteile an den Bars zurückkaufen können.
Sie waren immer gleichwertige Partner gewesen, und der Name Zinterhofer sowie Landons Verbindungen in die Gastronomie hatten ihre Bars überhaupt erst so weit nach oben katapultiert, doch Landons Startkapital war ein Freundschaftsdienst gewesen, und je tiefer er ins Business seiner Mutter eingebunden wurde, desto weniger Zeit hatte er für die Legend Bars, sodass die Entscheidung, auszusteigen, in gegenseitigem Einvernehmen gefallen war.
Ja, das Legends-Empire pulsierte, und die New Yorker Bar sollte nicht bloß eine typische Sportsbar werden, sondern anders. Besser. Und Blake konnte es kaum erwarten, sie im Oktober der Öffentlichkeit zu präsentieren.
T minus sechs Monate.
Mittlerweile konnte Blake es sich leisten, einem ganzen Team die Details und die Arbeit zu überlassen, die er in den ersten Jahren selbst geschultert hatte, doch er war immer gerne vor Ort und überwachte die letzten Vorbereitungen vor der Eröffnung.
New York würde das größte Opening in der Geschichte aller Legends werden, und er würde jeden Schritt dorthin begleiten.
»Ich meine nicht die Bar.« Landon ging zum Kühlschrank und reichte seinem Freund ein Bier, als wäre er zu Hause. Er hatte Blake mit dem Verkäufer der Wohnung zusammengebracht – einem berühmten Modedesigner, der des Stadtlebens überdrüssig geworden und nach Südfrankreich gezogen war –, und Blake konnte sich eigentlich nicht beschweren. »Ich meine die Wohnung hier.«
»Was stimmt nicht mit ihr?«
»Nichts. Die Wohnung ist super. Die Einrichtung ist das Problem.«
Stirnrunzelnd öffnete Blake sein Bier. »Jetzt hör aber mal auf. Ich hab das Ding doch gerade mal eine Woche.«
Landon zog skeptisch eine Augenbraue hoch. »Du willst also alles selbst machen?«
Blake verzog das Gesicht. Er wollte gern eine schön eingerichtete Wohnung haben, doch hatte er weder das Verlangen noch die Geduld oder die Zeit, sich selbst darum zu kümmern. Und außerdem brauchte man doch nicht mehr als eine Couch, einen Couchtisch und einen Fernseher im Wohnzimmer. Oder?
»Bro. Ich schick dir die Nummer der Innendesigner, die das Hotel gemacht haben. Die übernehmen auch private Projekte. Eine davon war besonders gut und dazu noch viel netter als die anderen beiden.«
Bei dem Wort »Innendesigner« zuckte ein heftiger Schmerz durch Blakes Brust. Schon traurig, dass selbst die kleinsten Dinge ihn auch nach einem halben Jahrzehnt immer noch an sie erinnerten.
Er fragte sich, wie es ihr wohl ging. Auf den sozialen Internetplattformen waren sie nirgendwo miteinander vernetzt, und ihre Accounts waren ausschließlich privat, doch hin und wieder gelang es ihm, von Sammy ein bisschen was zu erfahren. Seine letzte Information war, dass auch sie mittlerweile in New York lebte.
Blakes Magen machte einen albernen kleinen Hüpfer, als ihm bewusst wurde, dass sie jetzt nur noch maximal etwa fünfzehn Meilen voneinander entfernt wohnten. Er hatte sich nicht wieder bei Farrah gemeldet, nachdem er sich von Cleo getrennt hatte – zum einen, weil es ihm in den ersten Jahren nicht besonders gut gegangen war, und zum anderen, weil er das Gefühl hatte, weder ihre Vergebung noch ihr Mitleid zu verdienen.
Aber nun, da sie in derselben Stadt lebten …
Blakes Mund wurde ganz trocken. Er sollte das nicht tun. Er wollte nicht einfach nach fünf Jahren wieder in ihr Leben marschieren und es auf den Kopf stellen, aber er vermisste sie einfach so sehr. Es war egoistisch, aber er wollte sie wiedersehen. Vielleicht hasste sie ihn nun, nach all der Zeit, nicht mehr ganz so sehr.
»Blake?«, fragte Landon. »Was sagst du zu der Idee mit den Innendesignern?«
»Meinetwegen.« Blake war noch zu sehr von seinen Erinnerungen an warme schokoladenbraune Augen und goldene Haut gefangengenommen, um mit Landon zu diskutieren. »Ich lasse die Wohnung von einem Innendesigner machen.«
Gedankennotiz: Sammy schreiben und um Farrahs Nummer bitten.
»Wunderbar.« Landon strahlte. »Ich organisiere ein Treffen. Die werden dir deine Wohnung in null Komma nichts in ein Zuhause verwandeln.«
Zuhause.
Es war so lange her, seit Blake ein Zuhause gehabt hatte. Er wusste gar nicht mehr, wie das war. Seine Besuche in Austin waren zu selten, um sie zu zählen.
Nachdem sie ihr Bier ausgetrunken hatten, holten Blake und Landon sich Nachschub und begaben sich auf den Balkon, um den Sonnenuntergang zu betrachten. In der Ferne ragte die stolze Silhouette von New York City auf – das Grau und Braun des Häusermeers, weichgezeichnet vom sanften Schein des Sonnenuntergangs. Die Lichter in den Fenstern flackerten wie winzige Hoffnungsschimmer, und die berühmte Antenne des Empire State Buildings stieß mit typischer New Yorker Arroganz in den Himmel.
Blake saugte den Anblick in sich auf und spürte erneut einen schmerzhaften Stich. Manhattans Wald aus Wolkenkratzern, seine pulsierende Energie und glitzernden Lichter erinnerten ihn an eine andere Stadt, die er ebenso geliebt hatte, vor langer Zeit und Tausende von Meilen entfernt.
Damals war er noch ein Junge gewesen, unsicher und voller Angst vor dem, was die Zukunft wohl für ihn bereithielt.
Jetzt war er der Besitzer eines Multimillionen-Dollar-Imperiums. Sein Traum hatte sich erfüllt, und meistens reichte ihm das. Wenn er bei der Eröffnung einer neuen Bar dabei war, seine Gäste begrüßte oder neue Ideen entwickelte, wie er Legends noch größer und besser machen konnte, spürte er das Adrenalin in seinen Adern und fühlte sich, als könnte er es mit der ganzen Welt aufnehmen.
Doch manchmal, wenn er spätabends in sein seelenloses Hotelzimmer zurückkehrte oder am Morgen neben einer Frau aufwachte, die er nie wiedersehen würde, öffnete sich ein riesiges Loch in seinem Innern und saugte all seine Gefühle aus ihm heraus, bis nur noch eine leere Hülle von ihm übrig war.
Trotzdem. Alles war besser, als wieder in Austin zu sein.
Quietschende Reifen. Verbogenes Metall. Blut. So viel Blut.
Eine wohlvertraute Welle aus Dunkelheit kroch in Blakes Brust und drohte ihn zu ersticken. Er biss die Zähne zusammen und zwang die Dunkelheit zurück in die Truhe, in der sich auch all seine anderen Dämonen befanden – sicher geschützt vor neugierigen Blicken, einschließlich seiner eigenen.
Dort lungerten sie dann herum, lauerten, schmiedeten Pläne und kratzten mit ihren knorrigen, giftigen Nägeln an der Innenseite der Truhe. Irgendwann würden sie sich befreien, und Blake konnte nur hoffen, dass er allein war, wenn es passierte, denn er wollte niemanden mit sich in den Abgrund reißen.
»Wir sind weit gekommen.« Landon hob seine Bierflasche. »Von Texas nach New York. Was für eine Reise.«
»Wie wahr.« Blake schob seine finsteren Gedanken beiseite und setzte ein Lächeln auf. »Und sie ist noch nicht vorbei.«
»Nicht einmal annähernd.«
Sie stießen an.
Blake schob die Truhe mit seinen Dämonen noch tiefer in die hintersten Winkel seines Bewusstseins. Eines Tages würden sie ausbrechen. Aber nicht heute.
Heute würde er aufhören, an die Vergangenheit zu denken. Dieses Kapitel seines Lebens war vorbei.
Es wurde Zeit, ein neues zu beginnen.
Farrah verschickte achtzig Bewerbungen in einer Woche.
Und erhielt? Keine einzige Rückmeldung.
Sicher, es war noch früh. Der Arbeitsmarkt in New York war brutal, und es konnte Wochen und Monate dauern, bis sie etwas hörte.
Das war die hässliche Wahrheit, und ganz sicher nicht die, die sie ihrer Mutter mitteilen wollte, weshalb Farrah ihr wöchentliches Telefonat mit einem schlechten Gewissen beendete.
Es ist besser so.
Cheryl Lau legte viel Wert auf Beständigkeit; sie würde ausflippen, wenn sie erfuhr, dass ihre Tochter einfach gekündigt hatte, ohne einen neuen Arbeitsvertrag in der Tasche zu haben.
»Hier.« Farrahs Mitbewohnerin und beste Freundin Olivia Tang schob einen großen Milk Tee über den Küchentresen. »Das hilft.«
»Danke«, murmelte Farrah. Sie nahm einen Schluck von der Zuckerbombe und versuchte, nicht daran zu denken, was für einen riesigen, entsetzlichen Fehler sie begangen hatte. Sie hatte sich so machtvoll gefühlt, als sie spontan gekündigt hatte, und so befriedigt, zu sehen, wie Jane mühsam versuchte, sie zum Bleiben zu bewegen. Jane hatte sogar Kelly angerufen, die sich bis Labor Day in die Hamptons zurückgezogen hatte, und diese war, wie zu erwarten, ausgerastet und hatte Farrah ein selbstsüchtiges, undankbares Gör genannt, das immer noch Baupläne kopieren würde, wenn KBI sich ihrer nicht angenommen hätte.
Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, dass sie Farrah nicht davon hatte überzeugen können zu bleiben.
Jetzt allerdings zweifelte Farrah ernsthaft daran, ob sie eine weise Entscheidung getroffen hatte. Sicher, sie hatte genügend Ersparnisse, um ein paar Monate lang die Miete zu zahlen, doch New York gehörte zu den teuersten Städten der Welt, und selbst wenn Farrah sich nur noch auf das Allernötigste beschränkte, würden die Ausgaben ihre Ersparnisse so schnell aufzehren, dass ihr nur noch ein oder zwei Monate blieben.
»Es ist erst eine Woche her, und du bist so gut in dem, was du machst. Du wirst einen neuen Job finden.« Olivia sprühte förmlich vor Zuversicht. »Mach dich nicht verrückt, Süße.«
»Du hast recht.« Farrahs Lebenslauf vor ihr auf dem aufgeklappten Laptop zwinkerte ihr zu.
Einser-Abschluss der California Coast University. Gewinnerin des NIDA-Studentenwettbewerbs. Drei Jahre Arbeitserfahrung mit zunehmender Verantwortung bei Kelly Burke Interiors, wo sie an diversen bedeutenden Projekten im Gastgewerbe gearbeitet hatte, unter anderem Z Hotels.
Sie war ein guter Fang. Wenn doch nur jemand den Köder schlucken würde …
»Du hast recht«, sagte sie noch einmal. »Ich sollte mir keinen Kopf machen. Ich muss einfach nur Geduld haben.«
»Ganz genau. Und nun, da du jede Menge Zeit hast, wie wäre es mit einem Date mit Ken?« Olivia wackelte mit den Augenbrauen.
Farrah stöhnte. Ihre Freundin nervte sie schon seit Monaten mit der fixen Idee, Farrah mit ihrem Kollegen zu verkuppeln.
»Du weißt genau, dass ich Blind Dates hasse.«
»Ja, das weiß ich. Aber ich weiß auch, dass du seit einer Ewigkeit keinen Sex mehr hattest. Wie lange ist es jetzt her?« Olivia tippte sich ans Kinn.
Farrah funkelte sie böse an. Ein Jahr, das wussten sie beide. Und es lag nicht daran, dass Farrah nicht gewollt hätte – sie hatte einfach nur furchtbar viel gearbeitet, und in New York jemanden kennenzulernen, war verdammt schwer. Es war lange her, dass sie einen Mann attraktiv und erträglich genug gefunden hatte, um mit ihm ins Bett zu gehen.
Und wenn sie ehrlich war? Der letzte Mann, der sie wirklich überzeugt hatte …
Nein. Hör sofort auf damit.
Farrah schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und wickelte sich ihre Kette um den Finger, während sie krampfhaft jeden Gedanken an blonde Haare und dämonische blaue Augen beiseiteschob. Der Schmerz in ihrer Brust war nicht mehr ganz so entsetzlich wie früher, doch er war immer noch da, eine beständige Erinnerung an den Jungen, den sie einfach nicht vergessen konnte.
Vielleicht war das der Grund, warum Farrah so hohe Ansprüche stellte. Sie hatte erfahren, wie es war, wenn es zwischen zwei Menschen so richtig funkte, und im Vergleich dazu verblasste alles andere.
»Ah ja, richtig. Ein Jahr.«Olivia schnippte mit den Fingern. »Zwölf Monate Trockenzeit, und nein, dein batteriebetriebener Freund zählt nicht. Wenn du deine Trockenphase nicht bald unterbrichst, explodierst du in eine Million verpasste Orgasmen, und das ist nicht gut. Ich habe gerade erst unsere Wohnung tiefengereinigt.«
»Du tiefenreinigst unsere Wohnung jede Woche.«
Die beiden Freundinnen hatten ihre Pflichten und Aufgaben klar geteilt – Olivia putzte und kümmerte sich um die Rechnungen (zwei ihrer größten Freuden im Leben waren der Geruch von Lysol und das Wissen, dass alle Rechnungen bezahlt waren), während Farrah den Einkauf übernahm.
»Ganz genau.«
Farrah seufzte. »Okay. Organisier ein Date.«
Sie würde es bereuen. Aber wenn Olivia sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann war sie wie ein Pitbull mit einem Knochen.
Und vielleicht wurde es wirklich Zeit, ein wenig aktiver zu werden. Schließlich würde sie niemals erfahren, ob es zwischen ihnen gefunkt hätte, wenn sie es nicht ausprobierte, richtig?
»Jay!« Olivia warf ihren leeren Boba-Becher in den Müll und klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Ich kann es kaum erwarten. Höchste Zeit, dass deine Vagina ein wenig Liebe bekommt.«
Farrahs Tee geriet in die falsche Kehle, und sie hustete eine volle Minute lang, bevor sie keuchte: »Lass meine Vagina in Ruhe.«
»Süße, deine Vagina hatte ein ganzes Jahr lang Ruhe. Was allein deine Schuld ist, nebenbei bemerkt.«
»Du bist als beste Freundin gefeuert.«
»Ich nehme die Kündigung nicht an«, antwortete Olivia fröhlich. »Mir hat noch nie jemand gekündigt, und heute ist nicht der Tag, das zu ändern.«
Das habe ich nun davon, dass ich mit meiner besten Freundin zusammenwohne.
Farrah und Olivia teilten sich noch immer dasselbe winzige Apartment in Chelsea, das sie bezogen hatten, als sie beide nach ihrem Uniabschluss nach New York gekommen waren. Für seine Größe war es wahnsinnig teuer, aber die Lage war unschlagbar. Und es bot etwas, wofür jeder New Yorker über Leichen gegangen wäre: eine eigene Waschmaschine mit Trockner.
Olivia, die ein Jahr älter war als Farrah, hatte dort bereits zehn Monate gemeinsam mit einer Rockerbraut gelebt, die sie nicht hatte ausstehen können, doch dann war besagte Braut nach Brooklyn entflohen und Farrah eingezogen. Bereits während ihres gemeinsamen Auslandsstudiums in Shanghai waren die beiden gute Freundinnen gewesen, doch im Laufe der letzten Jahre hatte sich ihre Freundschaft zu einer unzertrennlichen Verbindung verfestigt. Die meisten von Farrahs Studienfreunden waren in Kalifornien geblieben und ihr mittlerweile nicht mehr so nah wie früher, auch wenn sie in Kontakt geblieben waren. Olivia war ihr ride or die, und Farrah hätte es sich nicht besser wünschen können.
Abgesehen von einzelnen Situationen, in denen sie versucht war, den die-Teil ein wenig zu beschleunigen.
Farrahs Handy klingelte und unterbrach ihre Vorstellung davon, wie sie Olivia erwürgte – auch wenn ihre Freundin natürlich absolut recht mit dem hatte, was sie sagte.
Farrah kannte die Nummer des Anrufers nicht. Wahrscheinlich war es irgendein Werbeanruf, doch selbst eine Kaltakquise war immer noch besser als eine Diskussion über ihre einsame Vagina. »Hallo?«
»Hi, ist dort Farrah?«
Sie runzelte irritiert die Brauen. »Ja. Wer ist denn da?« Der tiefe Bariton kam ihr irgendwie bekannt vor.
»Hier ist Landon Zinterhofer.«
Die Antwort löste bei Farrah beinahe den nächsten Hustenanfall aus.
»Wer ist da?«, fragte Olivia tonlos.
Farrah schüttelte den Kopf, während ihr Hirn auf Überschallgeschwindigkeit schaltete. Warum rief Landon Zinterhofer sie auf ihrem privaten Handy an? Gab es ein Problem mit dem Hotel? Aber sie hatten das Projekt abgeschlossen, und Jane hatte gesagt, er sei begeistert gewesen.
»Hallo?«
Farrah merkte, dass sie ihm noch gar nicht geantwortet hatte. »Ja. Ich meine, nein. Ich meine: Hi.« Sie schlug Olivia spielerisch gegen den Arm, als deren Gesichtsausdruck bei Farrahs Gestotter von neugierig zu amüsiert wechselte. »Woher haben Sie meine Nummer?«
Sie zuckte zusammen. Die Frage hatte schroffer geklungen, als sie gemeint war.
»Ich hab bei KBI angerufen und erfahren, dass Sie dort nicht mehr arbeiten. Also habe ich darum gebeten, mir Ihre private Nummer zu geben.« Landon klang entschuldigend. »Mir ist bewusst, dass ich damit möglicherweise eine Grenze überschritten habe, und bitte entschuldigen Sie, dass ich so spät an einem Freitagabend noch anrufe.«
»Kein Problem. Ich … habe mich entschlossen, mich anderen Herausforderungen außerhalb von KBI zuzuwenden.« Nichtexistenten Herausforderungen. Aber das brauchte er nicht zu wissen. »Ist mit dem Hotel etwas nicht in Ordnung?«
»Nein, das Hotel ist perfekt. Ehrlich gesagt haben Sie dort so gute Arbeit geleistet, dass ich Sie fragen wollte, ob Sie Interesse hätten, einem Freund von mir auszuhelfen. Er ist gerade erst nach New York gezogen, und seine Wohnung sieht noch ein wenig traurig aus. Der Mann hat keine Ahnung von Inneneinrichtung.« Landon lachte. »Also, jedenfalls braucht er eine Expertin, und ich dachte, Sie wären die perfekte Wahl. Nur wenn Sie Zeit haben, natürlich.«
Farrah umklammerte ihr Handy so fest, dass sie ein Knacken hörte. Jedes Wort von Landon jagte sie in einen neuen Tunnel aus Schock, Unglauben und Aufregung.
»Sie wollen mich? Nicht KBI?«
Was tust du da?, schrie ihr Verstand. Sabotier dich doch nicht selbst!
Doch sie verstand wirklich nicht, warum der Erbe einer der landesweit größten Hotelketten ausgerechnet bei ihr anrief. KBI hatte zahlreiche großartige Designer, und Privatwohnungen waren nicht einmal Farrahs Schwerpunktthema.
»Es ist ein wenig unorthodox«, bestätigte Landon. »Aber wie ich schon sagte, bei dem Hotelprojekt waren Sie wirklich herausragend, und Ihre Persönlichkeit ist … ähm … ein wenig passender für diesen Auftrag als die Ihrer Kollegen.«
Okay. Das glaubte sie gern. Weder Kelly noch Matt zeichneten sich durch besonderen Charme aus.
»Mir ist bewusst, dass die Anfrage sehr kurzfristig kommt, aber mein Freund ist bereit, zwanzig Prozent über dem üblichen Honorar zu zahlen, und …«
»Ich mach’s!«
Farrahs Ausruf ließ Olivia, die sich mit ihrem neuesten Erotikroman auf die Couch zurückgezogen hatte, ruckartig den Kopf heben.
Farrah räusperte sich. »Ich meine, ich denke, ich könnte es noch unterbringen.«
»Großartig. Hätten Sie vielleicht am Montag Zeit für ein Lunch Meeting? Um eins im Aviary? Dann mache ich Sie beide miteinander bekannt. Das Essen geht aufs Haus.«
Das Aviary war das Signature-Restaurant des Z am Central Park – demselben Hotel, bei dessen Umgestaltung Farrah mitgeholfen hatte. Ein durchschnittliches Essen dort kostete mehrere Hundert Dollar pro Kopf.
»Ja. Klingt gut.«
Farrah legte auf und kniff sich selbst. Au.
Heiliges Vanilletörtchen. Das war kein Traum. Landon Zinterhofer hatte gerade angerufen und ihr ein Designprojekt angeboten – zwanzig Prozent über ihrem üblichen Honorar.
Sie hatte keine Ahnung, wie hoch genau ihr Honorar eigentlich war, aber sie würde es herausfinden.
Farrah hatte eigentlich nicht vor, sich ausschließlich als Freelancerin niederzulassen, aber das hier klang nach einem perfekten Projekt, während sie auf Rückmeldungen zu ihren Bewerbungen wartete.
Ich werde nicht pleite sein und wieder nach Hause zurückziehen müssen!
Farrah konnte sich nicht länger beherrschen. Sie kreischte und vollführte einen kleinen Freudentanz, sodass Olivia sie anstarrte, als wäre ihr gerade ein zweiter Kopf samt Antenne gewachsen.
»Wer war das? Ist alles in Ordnung?«
»Ja.« Farrah strahlte von einem Ohr zum anderen, atemlos vor Aufregung. »Alles ist einfach perfekt.«
Das Wochenende verbrachte Farrah damit, sich die Basics eines Freelancer-Daseins anzueignen, vom üblichen Stundenhonorar einer Innendesignerin bis zur Vertragsgestaltung. Daneben erstellte sie auch ein Portfolio, das sie am Montag mit zum Lunch Meeting nehmen wollte. Landon hatte ihr den Auftrag zwar bereits garantiert, doch sie wollte vor dessen Freund einen guten Eindruck machen. Schließlich würde er es sein, der sie später bezahlte.
Und dann war es Montag. Farrah betrat das Aviary. Tageslicht fiel durch die große Glaskuppel und die riesigen Fensterfronten, die den Central Park überblickten. Das Restaurant gehörte zu ihren Lieblingsörtlichkeiten im Hotel und war der Raum, auf den sie am meisten Zeit und Energie verwendet hatte.
Ihr Selbstvertrauen wuchs, als sie den Blick über die eleganten grauen Stühle, wohlgeformten Tische und strategisch platzierten Pflanzen gleiten ließ. Ein Indoor-Wasserfall aus glattem schwarzem Schieferstein lieferte ein beruhigendes Hintergrundrauschen für Geschäftsmeetings und Plauderstündchen der High Society. Hinter den Fenstern konnte sie den Central Park sehen – einen gigantischen grünen Teppich, der mit einzelnen Teichen gesprenkelt und von einem Wald aus sonnenbeschienenen Wolkenkratzern umgeben war.
Ich kann das, sagte sie sich. Auch wenn sie noch nie ein Projekt von Anfang bis Ende allein betreut hatte – sie würde es schaffen. Schließlich wusste sie, worauf es beim Design ankam, und das war das Wichtigste.
Farrahs Blick erfasste Landon, der allein am besten Tisch in der Ecke saß.
Als er sie sah, erschien ein breites Lächeln auf seinem Gesicht. »Farrah. Danke, dass Sie gekommen sind.«
»Sehr gern, Mr Zinterhofer.« Sie schüttelte ihm die Hand. Mit seinen schwarzen Locken, den tiefbraunen Augen und der bronzefarbenen Haut – ganz zu schweigen von seinem großen, muskulösen Körper – hätte Landon auch als Model durchgehen können. Farrah sah all das, spürte jedoch keinerlei erotisches Prickeln. Vielleicht musste sie ihre Libido mal reparieren lassen. »Danke, dass Sie an mich gedacht haben.«
»Bitte, nennen Sie mich Landon. Und es ist doch selbstverständlich, denn Sie sind eine der besten Innendesignerinnen, mit denen ich bisher das Vergnügen hatte, arbeiten zu dürfen.« Landon zwinkerte ihr zu. »Aber sagen Sie es nicht Kelly. Sie mag es nicht, wenn andere besser sind als sie.«
Er hielt sie für besser als Kelly Burke?
Farrah verstärkte den Griff um ihre Mappe, um nicht wie verrückt loszuschreien.
Zum Glück war Landon eher der Typ, der gern selbst mit anpackte. Er hatte das Projekt zwar nicht im Detail gemanagt, es sich aber dennoch zum Prinzip gemacht, alle mit Namen zu kennen und sich ihre Ideen anzuhören, egal wie neu oder erfahren sie waren.
Landon Zinterhofer, Sie sind ein wahrer Segen für mich.
»Warten wir auf Ihren Freund?« Farrah strich über das glatte Leder der Mappe auf ihrem Schoß. Sie hoffte inständig, Landons Freund war ebenso freundlich und entspannt wie er selbst. Bei KBI hatte sie diverse Kunden betreuen müssen, die ein wahrer Albtraum gewesen waren. Manchmal wachte sie nachts noch immer schweißgebadet auf, während es in ihrem Kopf schrie: »Ich sagte Eierschale, nicht Ecru!«
»Er ist schon hier. Er war nur noch schnell … Ah, da ist er ja.« Landon wies mit dem Kinn auf jemanden hinter Farrah.
Diese schaltete ihr professionellstes Lächeln an und drehte sich um, bereit, ihren neuen Kunden aus den Socken zu hauen.
Doch als sie den großen, blonden Mann sah, der auf ihren Tisch zutrat, blieb ihr die Begrüßung buchstäblich im Halse stecken.
Nein.
Eiskalte Schocktentakel schlängelten sich an Farrahs Wirbelsäule entlang, und die Temperatur im Raum schien plötzlich um dreißig Grad zu fallen. Nein. Das bildete sie sich nur ein. Es konnte unmöglich sein. So grausam war das Universum nicht.
Doch diese eisblauen Augen gab es nur einmal. Die scharf geschnittenen Wangenknochen. Die tiefen Grübchen, die allmählich verschwanden, als Ungläubigkeit sein Lächeln ersetzte. Er wirkte ebenso erschrocken wie sie selbst.
Farrahs Herz zog sich schmerzhaft zusammen und bestätigte somit, was ihr Verstand nicht wahrhaben wollte.
Er war es.
Der erste – und einzige – Mann, den sie je geliebt hatte.
Der Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte.
Der Mann, von dem sie geglaubt hatte, dass sie ihn nie wiedersehen würde.
Blake Ryan.
Das Murmeln der Gespräche um ihn herum verebbte und wurde vom tosenden Rauschen seines Blutes ersetzt. Sein Magen befand sich im freien Fall … und alles, was Blake noch tun konnte, war, wie ein Idiot auf die Frau zu starren, die seinem besten Freund gegenüber am Tisch saß.
Ich halluziniere.
Sein Gehirn musste den Begriff »Innendesignerin« mit der einzigen Innendesignerin verbunden haben, die er kannte, und diese Illusion heraufbeschworen haben, um ihn zu martern. Diese tiefgründigen schokoladenbraunen Augen, die weichen roten Lippen und der schwache Duft von Vanille und Orangenblüten … Sie wirkte grausam echt.
Wie oft hatte Blake von ihr geträumt, nur um in einem leeren Bett zu erwachen und sich damit zu quälen, was hätte sein können?
Eine tödliche Python aus Emotionen schlang sich um seinen Brustkorb und ließ Gift in seine Adern tropfen, sodass seine Füße wie festgeklebt auf dem Boden standen. Das ohrenbetäubende Bumm-Bumm-Bumm seines Herzschlags übertönte jedes andere Geräusch im Raum.
Ich werde verrückt.
»Blake, das ist Farrah. Farrah, das ist mein Freund Blake.« Landons Stimme segelte durch Blakes Nebel. Sie klang weit entfernt, wie in einem Traum. Wie die Stimmen, die dich aus dem Schlaf wecken wollen, während du selbst nur immer tiefer in deiner Illusion versinken willst.
Landon sah Blake irritiert an, als wollte er fragen: Was soll das? Warum reagierst du so seltsam?
Farrah saß da, die Augen weit aufgerissen, und krallte die Hände um ihre schwarze Ledermappe auf ihrem Schoß. Ihr Gesicht war so weiß wie das Tischtuch.
Blake atmete zischend aus. Das hier war keine Illusion.
Millionenmal hatte er sich vorgestellt, wie er ihr wiederbegegnete, aber nun, da es so weit war, hatte er keine Ahnung, was er tun sollte.
Er stand einfach nur da und starrte sie an.
Sag was. Irgendwas.
»Du bist keinen Tag älter geworden.«
Alles bis auf so was.
Landon verschluckte sich an seinem Wasser, und Blake errötete. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal so verlegen gewesen war. Er fühlte sich wie ein verliebter Schuljunge, ein Schuljunge, der fünf Jahre lang darauf gewartet hatte, das Mädchen seiner Träume wiederzusehen, nur um ihr zu sagen … Du bist keinen Tag älter geworden.
Er wollte sterben.
Landons Schultern zuckten vor unterdrücktem Lachen, doch Farrahs Gesichtsausdruck blieb regungslos.
»Danke«, sagte sie. Null Emotion. Nicht einmal Ironie.
Die Farrah, die Blake kannte, hätte ihm seine lahme Begrüßung schneller um die Ohren gehauen, als ein Teenager im Unterricht eine Handynachricht hätte tippen können. Doch die Farrah, die er kannte, hatte ihn auch angesehen, als hätte er persönlich die Sterne in den Himmel gehängt – bis er alles zerstört hatte.
»Ihr kennt euch?«, fragte Landon, der seine Belustigung gerade lange genug unterdrückt hatte, um diese offensichtlichste aller Fragen zu stellen.
Blake zwang seine Beine, sich wieder zu bewegen. Er ließ sich in den Sessel neben Landon fallen und versuchte, nicht allzu sehr zu zittern, während er ein Glas Wasser an seine Lippen führte. »Wir waren damals zusammen an der Uni in Shanghai.«
Er spürte, wie Landon neben ihm scharf einatmete. Blake hatte ihm in einer betrunkenen Nacht, nachdem Cleo und er sich endgültig getrennt hatten, von Farrah erzählt. Damals war Blake in Schuldgefühlen, Reue und Alkohol ertrunken, und seine üblichen Schutzschilde hatten sich gesenkt, sodass die ganze Geschichte mit Farrah und was damals geschehen war, aus ihm herausgesprudelt war. Er hatte Farrahs Namen nicht genannt, doch Landon war nicht dumm. In seinen Augen konnte Blake sehen, dass sein Freund die Puzzleteile bereits zusammengefügt hatte.
Die Bedienung erschien und nahm ihre Wünsche entgegen. Blake hatte sofort wieder vergessen, was er bestellt hatte. Es war ihm auch egal. Er war zu sehr damit beschäftigt, Farrah anzustarren.
Fünf Jahre war es mittlerweile her, und Gott, sie war sogar noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Erwachsener und selbstbewusster. Die Zeit hatte ihre Gesichtszüge zu einem wahren Meisterwerk geformt und ihre schlanke Figur mit genau den richtigen Kurven gekrönt. Sie war nicht länger ein Mädchen, sondern eine Frau – eine Frau, die Verlangen in ihm emporsteigen ließ, auch wenn sein Herz vor Schmerz fast verging.
Farrah hingegen hatte ihn kaum eines Blickes gewürdigt, seit er sich gesetzt hatte.
»Also«, Landons Stimme brach das Schweigen. »Farrah, wie ich bereits am Telefon sagte, sucht Blake eine Innenarchitektin für seine neue Wohnung. Zwei Schlafzimmer, zwei Bäder im West Village. Sie wird von nun an seine Hauptwohnung sein, er braucht also jemanden, der ihr ein wenig Leben einhaucht, sie zu einem Zuhause macht.« Er stieß Blake an. »Richtig?«
»Was? Oh, ähm, ja.«
Reiß dich zusammen, Mann.
»Richtig.« Landons Blick glitt zwischen Blake und Farrah hin und her. »Nun zum Honorar. Da es so kurzfristig ist, zahlt Blake zwanzig Prozent über …«
»Ich kann das nicht.« Farrahs stille Weigerung brachte das Gespräch quietschend zum Halten. Den Blick fest auf Landon gerichtet, erklärte sie: »Tut mir leid, wenn ich Ihre Zeit vergeudet habe. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie an mich gedacht haben, und ich werde Ihnen das Essen bezahlen. Aber mir ist gerade eingefallen, dass ich … ähm … noch ein anderes Projekt habe, das meine ganze Aufmerksamkeit erfordert, und ich werde nicht die Zeit haben, mich um dieses hier zu kümmern. Tatsächlich sollte ich …«
»Das Doppelte.«
Farrah erstarrte. »Was?«
»Ich zahle dir das Doppelte, wenn du dich bereiterklärst, mit mir zusammenzuarbeiten«, sagte Blake.
»Das wird nicht …«
»Das Dreifache.«
Farrahs Blick kollidierte mit seinem. Ihre Augen glühten ungläubig, und Blake konnte das winzige siegessichere Lächeln nicht ganz unterdrücken, das sich auf seinem Gesicht ausbreiten wollte. Endlich. Eine Reaktion.
»Du weißt doch gar nicht, wie hoch mein Honorar ist.«
»Wie hoch ist es?«
Zögernd erklärte sie: »Dreihundert Dollar die Stunde.«
»Ich zahle dir neunhundert Dollar die Stunde. Aber ich erwarte, dass du während dieses Projekts ausschließlich für mich arbeitest.«
»Himmel, Blake«, flüsterte Landon neben ihm.
Von der anderen Seite des Tisches starrte Farrah ihn mit offenem Mund an.
Neunhundert Dollar die Stunde war verdammt viel Geld, doch Blake konnte es sich leisten. Er war nicht so reich wie Landon, doch dank des Erfolgs seiner Bars und ein paar klugen Investitionen hatte er im Lauf der Jahre ein ordentliches Polster angehäuft. Außerdem war Geld ihm egal. Aber Farrah war ihm nicht egal.
Er hatte in den sauren Apfel gebissen und Sammy nach ihrer Nummer gefragt. Der hatte Blakes plötzliches Verlangen, wieder mit ihr in Kontakt zu treten, zuerst mit Vorsicht zur Kenntnis genommen, doch guter Freund, der er war – und zudem der einzige aus ihrer alten Shanghaier Clique, der die Wahrheit über Blakes Gefühle für Farrah und die Sache mit Cleo kannte –, hatte er die Nummer schließlich rausgerückt.
Das ganze Wochenende lang hatte Blake auf die zehn Ziffern gestarrt und vergeblich versucht, den Mut aufzubringen, sie anzurufen. Und jetzt saß sie hier, direkt vor ihm.
Beinahe so, als hätte das Universum sein armseliges Hin und Her nicht länger mitansehen können und ihm den Tritt in den Hintern verpasst, den er brauchte.
Das war ein Zeichen.
Von allen Innendesignern dieser Welt hatte Landon ausgerechnet sie hierher eingeladen.
Zwei Menschen in einer Stadt mit acht Millionen Einwohnern. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet sie sich wiedertrafen?
War es Zufall? Oh nein.
Es war Farrah gewesen, die Blake gelehrt hatte, an das Schicksal zu glauben, und wie alles andere aus ihrer Beziehung hatte er auch diesen Glauben all die Jahre nah an seinem Herzen getragen.
»Haben wir einen Deal?«, fragte Blake ruhig, während in ihm ein Sturm tobte.
Sag Ja. Gott, wenn sie Ja sagt, werde ich dich nie wieder um etwas bitten. Höchstens vielleicht darum, dass endlich mal ein anderes Team als die Patriots den Super Bowl gewinnen, aber da lasse ich mit mir reden.
Farrah spielte mit ihrer Halskette, und Unentschlossenheit flackerte über ihr Gesicht. Nach einer halben Ewigkeit schließlich presste sie hervor: »Ja.«
Blake ließ die angehaltene Luft aus seinen Lungen und schickte ein rasches Dankesgebet nach oben.
»Abgemacht.« Er grinste, und dabei zeigten sich seine vertrauten Grübchen in all ihrer Pracht. Er streckte die Hand aus.
Und nach kurzem Zögern schlug Farrah ein.
Ein elektrischer Stromschlag prickelte durch Blakes Körper, als ihre Hände sich berührten, und so, wie Farrahs Nasenflügel sich blähten, war er eindeutig nicht der Einzige, dem es so ging.
Blakes Grinsen wurde noch breiter.
Das Universum hatte ihm eine zweite Chance auf dem Silbertablett serviert, und diesmal würde er es garantiert nicht vermasseln.
Farrah kam genau zwei Blocks weit, bevor ihre Selbstbeherrschung sie im Stich ließ.
Nach dem Essen, das sie wie versteinert hinter sich gebracht hatte, war sie wie ein Bulldozer in ein nahegelegenes Kaufhaus gestürmt, hatte sich zu den Toiletten durchgekämpft und war dort schluchzend zusammengebrochen.
Verflucht sei Blake Ryan.
Nach fünf Jahren, in denen er jede Menge Zeit gehabt hatte, wieder in ihr Leben zu treten, musste er es ausgerechnet jetzt tun, da sie a) arbeitslos war und somit nicht in der Lage, sein großzügiges Angebot abzulehnen, und b) sexuell so frustriert, dass ein einziges Händeschütteln ausgereicht hatte, um ihre Libido erwachen zu lassen.
Schaudernd dachte sie an Blakes warmen, kräftigen Griff, mit dem er ihre Hand geschüttelt hatte, und den elektrischen Schlag, der prompt ihren Arm hinauf und bis in ihr Herz geschossen war, sodass es auf eine Art und Weise geschlagen hatte, von der Farrah gar nicht gewusst hatte, dass es das noch konnte.
Natürlich war sie nach Shanghai mit anderen Männern ausgegangen. Ein paar davon hatte sie gemocht, andere nicht. Aber keiner konnte sie in ein lebendes Stromkabel verwandeln, so wie Blake.
Erinnerungen an lange Nächte, leidenschaftliche Küsse und leise geflüsterte Geheimnisse krochen in Farrahs Kopf und rissen sie in die Vergangenheit zurück.
Ich denke, du bist eine Klugscheißerin, die sturer ist, als ihr guttut. Ich denke, du machst mich wahnsinniger, als irgendein Mensch es tun sollte. Und ich denke, ich werde vermutlich sterben, wenn ich nicht mit dir zusammen sein kann.
Was auch immer geschieht, gemeinsam stehen wir das durch.
Du hast mal gesagt, dass jede Sekunde zählt, und ich will nicht, dass auch nur eine einzige weitere Sekunde verstreicht, ohne dass du weißt, wie absolut, total und einhundertprozentig ich dich liebe.
Farrah schluchzte und presste sich rasch die Faust vor den Mund, um weitere Schluchzer zu unterdrücken, bevor sie sich in ein »Mädchen heult auf der öffentlichen Toilette wegen eines Jungen«-Klischee verwandelte. Auch wenn ihre Augen bereits in Tränen schwammen. Auch wenn ihre Brust so sehr brannte, dass sie sich wie ein Embryo auf dem Boden zusammenrollen wollte, egal wie viele Bazillen und Cholerainfektionen sie sich damit einfing.
Sie liebte Blake nicht mehr. Liebe gründete auf Vertrauen, und er hatte ihres vor langer Zeit verloren. Aber verdammt, er konnte noch immer mit einem einzigen Lächeln ihr Herz rasen lassen und mit einer einzigen Berührung ihren Körper in Flammen setzen. Die knisternde Spannung zwischen ihnen hatte schon immer jede Skala gesprengt, und das Feuer zwischen ihnen loderte ganz offensichtlich noch.
Ein Anruf von Olivia ließ ihr Handy aufleuchten und riss ihre Gedanken fort von den gefährlichen Pfaden, auf denen sie gerade wandelten.
Farrah schluckte und atmete tief durch, bevor sie den Anruf annahm.
»Hallo?« Ein leichtes Zittern, aber sonst ziemlich gut im Hinblick auf den Rotz und die Tränenspuren in ihrem Gesicht. Farrah riss ein paar Stücke von dem dünnen, beinahe durchsichtigen Toilettenpapier ab und wischte sich damit übers Gesicht. Es fühlte sich an wie Schmirgelpapier.
»Hey! Wie war dein Lunch Meeting?«, fragte Olivia.
»Gut. Wieso rufst du aus dem Büro an?« Farrah zögerte und überlegte, ob sie Olivia sofort ins Bild setzen oder lieber warten sollte, bis sie sich sahen.
Jetzt, beschloss sie. Ihre beste Freundin würde ausrasten. Sie hasste Blake, seit er damals in Shanghai mit Farrah Schluss gemacht hatte, und Farrah bereitete sich innerlich schon auf den Hurrikan vor, der sie erwartete, wenn sie ihrer Freundin von seinem Angebot erzählte.
»Ich habe gerade eine kurze Pause«, sagte Olivia, was Farrah in etwa so sehr überraschte wie Blakes Anblick kurz zuvor im Aviary. Olivia schuftete wie ein Tier als Analystin für die prestigeträchtigste Private-Equity-Company der Wall Street und machte nie eine Pause. »Ich habe noch sechs Minuten und siebenundzwanzig Sekunden, also mach’s kurz.«
»Okay.« Farrah atmete tief ein. »Kurz gesagt: Ich habe den Auftrag, und sie zahlen mir neunhundert Dollar die Stunde.«
Immer mit den guten Dingen anfangen.
»Oh mein Gott!«, rief Olivia flüsternd. »Das ist Wahnsinn! Neunhundert Dollar die Stunde?Das müssen wir feiern! Ich werde es heute Abend nicht zur Happy Hour schaffen – der Deal, an dem wir gerade arbeiten, ist ein Fluch, ich sag’s dir –, aber ich besorge auf dem Rückweg Eiscreme und Wein, und am Wochenende gönnen wir uns ein angemessenes Dinner.«
»Klingt gut.«
Stille. »Warum hörst du dich so unaufgeregt an? Ist es der Kunde? Er ist ein Arschloch, stimmt’s? Oder ist er so ein gruseliger alter Perverser? Vergiss nicht: Wenn er dich anfasst, nimmst du einen von deinen Stilettos und rammst ihn …«
»Es ist Blake.«
»Blake wer?«
»Blake Ryan.«
Wieder war es kurz still. Dann: »Dein neuer Kunde ist Blake Ryan?«
Olivias Stimme zertrümmerte beinah Farrahs Trommelfell. Sie zuckte zusammen und hielt ihr Handy möglichst weit weg, während ihre Freundin eine Fluchtirade vom Stapel ließ, die so lebendig und deren Mordfantasien so bildlich waren, dass sie einer Horror-Autorin alle Ehre gemacht hätten.
Als sie Luft holen musste, sagte Farrah rasch: »Ich weiß. Die Situation ist nicht unbedingt ideal.« Milde ausgedrückt. Doch Farrah wollte nicht noch mehr Öl in Olivias Flammen gießen. »Aber ich weiß nicht, wann ich etwas anderes bekomme, und ich brauche das Geld. Er zahlt so gut, Liv. Wenn ich es klug anstelle, kann ich mich damit bestimmt ein halbes Jahr über Wasser halten.«
Stille. Farrah konnte es im Kopf ihrer Freundin förmlich arbeiten hören. »Hast du dich mal gefragt, warum er dir so viel zahlt?«
Farrah runzelte die Stirn. Sie war von Blakes plötzlichem Erscheinen so überrascht gewesen, dass sie über die Hintergründe seines Angebots nicht weiter nachgedacht hatte. »Nein …«
Misstrauen sickerte durch ihre Adern. Warum war Blake so scharf darauf gewesen, dass sie für ihn arbeitete? Nachdem er sie damals für seine Ex einfach abserviert hatte, hatte zwischen ihnen fünf Jahre lang absolute Funkstille geherrscht. Und für das, was er ihr jetzt zahlte, hätte er sich jeden Designer der Stadt aussuchen können.
Sie waren in den sozialen Medien nirgendwo miteinander vernetzt, aber Farrah hatte im Laufe der Jahre immer mal wieder einen Artikel über ihn gelesen. Seine Sportsbars liefen gut. Extrem gut sogar. Farrah konnte nicht verhindern, dass ein kleiner Funken Stolz in ihr aufflammte.
Sie hatte ursprünglich 150 Dollar Stundenhonorar verlangen wollen, da es schließlich ihr erster Auftrag als Freelancerin war. Als sie dann festgestellt hatte, dass Blake ihr Kunde sein würde, hatte sie den Betrag auf 300 Dollar verdoppelt in dem verzweifelten Versuch, einen Grund zu finden, ihn nicht wiedersehen zu müssen. Doch als er nicht nur zugestimmt, sondern den Betrag auch noch verdreifacht hatte, hatte Farrah fast einen Herzinfarkt bekommen. Nicht einmal Kelly Burke verlangte 900 Dollar pro Stunde.
»Er hat irgendwas vor. Pass lieber auf«, warnte Olivia. »Der Junge ist dein Kryptonit. Mach bloß keine Dummheiten.«
Nur dass er kein Junge mehr ist.
Farrah lief das Wasser im Mund zusammen, als sie daran dachte, wie gut Blake ausgesehen hatte. Der Student Blake war echt heiß gewesen, doch auf eine jungenhafte Art, die unter Zweiundzwanzigjährigen häufig zu finden war. Der erwachsene Blake jedoch, mit seinen Bartstoppeln, den sehnigen Muskeln und diesem selbstbewussten, pantherähnlichen Gang … Er wirkte rauer, ungezähmter und verströmte eine unverhohlene, harte Männlichkeit, die Farrahs Knie in Wackelpudding verwandelten.
»Was soll er vorhaben? Ich gestalte seine Wohnung, das wird ein paar Monate dauern, und Ende.« Die Worte klangen selbst in ihren eigenen Ohren falsch.
»Hm, hm.« Olivia blieb skeptisch. »Ich meine es ernst, Farrah. Halt dich so weit es irgend geht von ihm fern. Ich habe Fotos von ihm in Zeitschriften gesehen. Er ist immer noch wahnsinnig scharf, und das macht ihn gefährlich. Geh bloß nicht mit ihm ins Bett, und um Gottes willen, verknall dich ja nicht nochmal in ihn.«
Jetzt musste Farrah lachen. »Ich werde mich nicht wieder in ihn verlieben.« Sie war scharf auf ihn, aber nicht dumm. Ihr Körper mochte sich nach Blake sehnen, aber sie hatte mittlerweile genügend Festungsmauern um ihr Herz errichtet, um eine ganze Armee in Schach zu halten.