King of Sloth - Ana Huang - E-Book

King of Sloth E-Book

Ana Huang

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Beschreibung

Er kann alles haben, was er nicht will - nur sie nicht ...

Xavier Castillo gehört die Welt. Als milliardenschwerer Erbe führt er ein Leben in Luxus und hält sich an keine Regeln. Vor allem nicht an die, die seine PR-Managerin ihm auferlegt. Die kühle und ehrgeizige Sloane Kensington fasziniert Xavier wie niemand sonst, und um ihr näherzukommen, macht er ihr ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann: Er wird sich ausnahmsweise an ihre Vorgaben halten und sich benehmen, dafür nimmt sie sich mal eine Auszeit - gemeinsam mit ihm. Zähneknirschend lässt sich Sloane auf den Deal ein und bemerkt schnell, dass Xaxier so viel mehr ist als der sorglose Playboy, den er spielt. Aber niemals wird sie seinem Charme verfallen - egal, wie schnell er ihr Herz schlagen lässt ...

»Niemand verwebt Tropes so fantastisch wie Ana Huang. Ich liebe ihre komplexen Charaktere!« SERIESOUS BOOK REVIEWS

Band 4 der KINGS-OF-SIN-Reihe von TIKTOK-Sensation und SPIEGEL-Bestseller-Autorin Ana Huang

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Seitenzahl: 662

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Leser:innenhinweis

Playlist

1

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Bücher von Ana Huang bei LYX

Impressum

ANA HUANG

KING OF SLOTH

Roman

Ins Deutsche übertragen von Patricia Woitynek

ZU DIESEM BUCH

Kühl, intelligent und ehrgeizig – Sloane Kensington führt ein erfolgreiches PR-Business und sorgt dafür, dass der Ruf ihrer Klienten makellos bleibt. Doch niemand bringt sie so sehr aus der Fassung wie ihr wichtigster Kunde: Xavier Castillo. Er ist der Erbe eines milliardenschweren Unternehmens und besitzt mehr Charme, als ihm guttut. Xavier glaubt, sich an keine Regeln halten zu müssen, und seine ausufernden Partys und sein rücksichtsloses Verhalten drohen den guten Ruf ihrer Firma zu zerstören. Was die junge Frau nicht weiß: Xavier ist schon seit ihrer ersten Begegnung von ihr fasziniert und würde alles geben, um die echte Sloane hinter der Fassade der toughen Managerin kennenzulernen. Und so unterbreitet er ihr ein Angebot: Er wird sich ausnahmsweise an ihre Vorgaben halten, dafür nimmt sie sich mal eine Auszeit – gemeinsam mit ihm. Zähneknirschend lässt sich Sloane auf den Deal ein, aber schnell bemerken sie, dass sie beide so viel mehr sind, als sie nach außen hin vorgeben zu sein. Und unter der Sonne Spaniens und Xaviers heißem Blick beginnt Sloanes kaltes Herz schließlich aufzutauen …

Für jede Frau, der schon mal gesagt wurde, sie solle »öfter lächeln«.

Überhört es einfach, und macht, wonach euch ist.

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

PLAYLIST

»Midnight Rain« – Taylor Swift

»Sex, Drugs, Etc.« – Beach Weather

»Top of the World« – Pussycat Dolls

»The Lazy Song« – Bruno Mars

»Flawless« – Beyoncé

»Most Girls« – P!NK

»Talking Body« – Tove Lo

»Rude Boy« – Rihanna

»I Wanna Be Yours« – Arctic Monkeys

»Te Amo« – Rihanna

1

SLOANE

In eine griechische Ferienvilla einzubrechen, die pro Nacht zehntausend Dollar kostete, hatte ich für heute eigentlich nicht geplant, aber manchmal liefen die Dinge eben anders und dann passte man seine Pläne entsprechend an. Besonders wenn es, wie in meinem Fall, um einen Kunden ging, der keine Gelegenheit ausließ, mir das Leben so schwer wie möglich zu machen.

Ich schürfte mir die Knie an der Betonmauer auf, als ich mich zum Rand der Terrasse hinaufzog und über die Brüstung kletterte. Sollte mein nagelneues Stella-Alonso-Kleid hierbei zu Schaden kommen, würde ich den Kerl einen Kopf kürzer machen, ihn von den Toten zurückholen und die Schweinerei beseitigen lassen, um ihn anschließend ein weiteres Mal umzubringen.

Zum Glück für ihn blieb es unversehrt, und ich schlüpfte nach meiner Kletterpartie wieder in meine High Heels, die ich zuvor auf die Terrasse geworfen hatte. Mein Herz raste, während ich zur Glastür schlich und den elektronischen Schlüssel, den ich mir von einem der Zimmermädchen »geborgt« hatte, vor den Kartenleser hielt.

Ich hätte lieber den Vordereingang benutzt, aber dort wäre ich nicht ausreichend vor Blicken geschützt gewesen.

Das Gerät summte, und eine Schrecksekunde lang fürchtete ich, es würde mir den Zugang verwehren. Doch dann leuchtete ein grünes Lämpchen auf, und ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, wenngleich mir das Schlimmste erst noch bevorstand.

Dieser Einbruch war der einfache Teil gewesen. Meine Zielperson vor Sonnenuntergang in ein anderes Land zu verfrachten, dürfte sich hingegen deutlich schwieriger gestalten.

Ich machte einen kurzen Abstecher in die Küche, wo mir beim Anblick der leeren Bierflaschen, die überall herumstanden, die Gesichtszüge entgleisten. Nur mit äußerster Willenskraft konnte ich mich davon abhalten, sie ins Altglas zu werfen, die marmornen Arbeitsflächen zu desinfizieren und Raumspray in der Luft zu verteilen.

Konzentrier dich auf das Wesentliche! Immerhin standen mein professioneller und mein privater Ruf auf dem Spiel.

Ich durchquerte den Wohnbereich der Villa, in der es trotz der Mittagssonne, die durch die Fenster hereinfiel, angenehm kühl war, und betrat das Schlafzimmer. Dort war es sogar noch stiller als im Rest des Hauses.

Ohne zu zögern, ging ich zum Bett, kippte eine große Schüssel eiskaltes Wasser über dem schlafenden Mann darin aus und keuchte überrascht auf angesichts seiner sofortigen Reaktion – was mir kein bisschen ähnlichsah.

Eine starke Hand schoss auf mich zu und packte meinen Unterarm. Die nun leere Schüssel fiel scheppernd zu Boden, und das Zimmer neigte sich seitwärts, als ich mit einem Ruck aufs Bett gezogen und gleich darauf von einem schweren Körper in die Matratze gedrückt wurde.

Xavier Castillo starrte mit einem zornigen Ausdruck auf seinem hübschen Gesicht auf mich herunter.

Der einzige Sohn des reichsten Mannes Kolumbiens und mein am wenigsten kooperativer Klient war normalerweise extrem tiefenentspannt. Allerdings konnte man das in diesem Moment, während er mich mit seinen neunzig Kilo purer Muskelmasse unter sich gefangen hielt und seinen Unterarm gegen meine Kehle presste, nicht gerade behaupten.

Seine grimmige Miene verflog, als er mich erkannte. »Sloane?« Er klang leicht schockiert.

»Ja, das ist mein Name.« Ich streckte das Kinn leicht vor und versuchte, mich nicht darauf zu fokussieren, wie warm er sich im Gegensatz zu dem nassen Laken unter mir anfühlte. »Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du jetzt von mir runtersteigen könntest. Du ruinierst mein Siebenhundert-Dollar-Kleid.«

»Mierda«, fluchte er und rollte sich von mir herunter. »Was zum Teufel machst du hier?«

Ich stand auf. »Nur meinen Job.« Bildete ich mir das bloß ein, oder war es plötzlich deutlich kälter im Zimmer als vor einer Sekunde noch? »Heute ist der Zwölfte. Du weißt genau, wo du jetzt eigentlich sein solltest – und es ist nicht diese Insel.« Ich funkelte ihn herausfordernd an.

»Ich dachte, du wärst ein Einbrecher. Ich hätte dich verletzen können.« Nachdem wir nun klargestellt hatten, dass ich nicht gekommen war, um ihn auszurauben oder zu entführen, wich sein Stirnrunzeln einem mir nur allzu vertrauten Grinsen. Xavier legte sich wieder aufs Bett, die personifizierte Unbekümmertheit. »Im Grunde bist du ein Einbrecher, wenn auch ein ausgesprochen hübscher. Aber wenn du mit mir schlafen willst, warum hast du es nicht einfach gesagt? Das hätte dir viel Mühe erspart.« Er schaute zu der Schüssel auf dem Boden und zog eine Braue hoch. »Wie bist du überhaupt hier reingekommen?«

»Ich habe eine Schlüsselkarte geklaut. Versuch gar nicht erst, mich abzulenken.« Nach drei Jahren als seine PR-Agentin kannte ich seine Tricks. »Es ist ein Uhr mittags. Dein Jet wartet am Flughafen auf uns. Wenn wir innerhalb der nächsten halben Stunde aufbrechen, schaffen wir es noch rechtzeitig zu der Gala in London heute Abend.«

»Klingt nach ’nem Plan.« Xavier streckte gähnend die Arme über den Kopf. »Das einzige Problem ist, dass ich nicht mitkommen werde.«

Ich grub die Fingernägel in meine Handballen, dann riss ich mich wieder zusammen. Atme! Denk daran, dass es unprofessionell wäre, seinen eigenen Klienten abzumurksen.

»Los, steh auf.« Meine Stimme war frostig genug, um die verbliebenen Wassertropfen auf seiner Haut zu Eis erstarren zu lassen. »Du wirst gefälligst in diesen Flieger steigen, mit einem strahlenden Lächeln auf dieser Gala erscheinen und bis nach der Preisverleihung bleiben, wie man es von einem anständigen Repräsentanten der Familie Castillo erwartet. Ansonsten werde ich es nämlich zu meiner Lebensaufgabe machen, dafür zu sorgen, dass du nie wieder eine Sekunde Ruhe hast. Ich werde bei jeder Party auftauchen, zu der du gehst, jede Frau vor dir warnen, die so dumm ist, in deinen Dunstkreis zu geraten, und jeden deiner Freunde, der deine destruktiven Impulse fördert, von der Gästeliste meiner Events streichen. Ich kann dir das Leben zur Hölle machen, daher willst du mich ganz sicher nicht zur Feindin haben.«

Xavier gähnte erneut.

Wir trieben dieses Katz-und-Maus-Spiel schon, seit sein Vater mich vor drei Jahren engagiert hatte, kurz bevor Xavier von Los Angeles nach New York umgezogen war. Aber mittlerweile war ich es leid, ihm seine Faxen durchgehen zu lassen.

»Sie sind also meine neue Agentin.« Xavier lehnte sich lässig auf seinem Stuhl zurück und legte die Füße auf meinen Schreibtisch. Seine weißen Zähne leuchteten nahezu im Kontrast zu seiner gebräunten Haut, und das durchtriebene Funkeln in seinen Augen bewirkte, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten.

Ich hasste meinen lukrativsten Kunden schon zehn Minuten nach unserem Kennenlernen.

»Nehmen Sie Ihre Füße vom Tisch, und setzen Sie sich hin wie ein Erwachsener.« Es war mir egal, dass Alberto Castillo mir das Dreifache meines üblichen Honorars bezahlte, damit ich seinen Sohn unter meine Fittiche nahm. Ich duldete in meinem eigenen Büro kein respektloses Verhalten. »Sonst können Sie gleich wieder gehen und Ihrem Vater erklären, warum Sie direkt am ersten Tag aus dieser Agentur rausgeflogen sind. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass sich das negativ auf Ihre jährlichen Bezüge auswirken wird.«

Er gab schmunzelnd nach, aber mir entging nicht, wie sein Blick hart wurde, als ich seinen Vater erwähnte. »Ah, Sie sind eine vom Typ Gouvernante. Alles klar. Hätten Sie sich doch gleich so vorgestellt, anstatt mit Ihrem Namen.«

Meine Finger übten so viel Druck auf meinen Lieblingsstift aus, dass er in zwei Teile zerbrach.

Ich war nie ein abergläubischer Mensch gewesen, aber sogar ich wusste, dass das kein gutes Omen in Bezug auf meine Zusammenarbeit mit Xavier sein konnte.

Und ich sollte recht behalten.

Bei gewissen Dingen drückte ich ein Auge zu, weil Alberto Castillo nun mal mein wichtigster Auftraggeber war, aber sie hatten mich angeheuert, um den makellosen Ruf der Familie zu wahren, und nicht, um ihrem Erben den Hintern zu küssen.

Xavier war ein erwachsener Mann. Höchste Zeit, dass er anfing, sich wie einer zu benehmen.

»Das ist mal eine Drohung«, kommentierte er trocken. »Meinst du jede Party und jede Frau? Du scheinst mich wirklich sehr zu mögen.«

Mit der geschmeidigen Anmut eines leicht schlaftrunkenen Panthers stieg er aus dem Bett. Seine tief auf den Hüften hängende graue Jogginghose gab den Blick auf goldene Haut und einen Waschbrettbauch frei, den man nicht erwartet hätte bei jemandem, der den Großteil seiner Tage mit Feiern und Schlafen zubrachte. Ein kunstvolles Tattoo zog sich in verschnörkelten dunklen Linien über seine Brust, seine Schultern und seine Arme.

Bei jedem anderen Kerl hätte ich den einzigartigen Anblick dieser puren männlichen Schönheit absolut genossen, aber dies war Xavier Castillo. Der Tag, an dem ich noch irgendetwas anderes an ihm bewundern würde als seine Entschlossenheit, jegliche Verantwortung abzulehnen, würde auch der Tag sein, an dem ich endlich wieder weinen konnte.

»Keine Sorge, Luna«, bemerkte er mit dem Anflug eines Lächelns, als er mich dabei ertappte, wie ich ihn anglotzte. »Ich werde deinen anderen Kunden nicht verraten, dass ich dein heimlicher Liebling bin.«

Meistens sprach er mich mit meinem richtigen Namen an, aber manchmal nannte er mich Luna. Das war weder mein Spitzname oder mein zweiter Vorname, noch gab es sonst irgendeinen Bezug zu mir. Doch Xavier weigerte sich beharrlich, mir den Grund dafür zu nennen, und ich hatte schon vor langer Zeit aufgehört, ihn um eine Erklärung zu bitten oder darum, es zu unterlassen.

»Sei ausnahmsweise mal ernst«, bat ich ihn. »Diese Gala findet zu Ehren deines Vaters statt.«

»Ein Grund mehr, nicht hinzugehen. Es ist ja schließlich nicht so, als würde mein alter Herr dort erscheinen, um seine Auszeichnung in Empfang zu nehmen.« Sein Lächeln geriet nicht ins Wanken, aber in seinen Augen flackerte ein warnender Ausdruck auf. »Er liegt im Sterben, falls du dich erinnerst.«

Die Worte blieben zwischen uns in der Luft hängen und schienen den ganzen Sauerstoff im Zimmer zu verschlingen. Wir starrten einander an – Xavier der Inbegriff unerschütterlicher Ruhe, an dem mein wachsender Frust einfach abprallte.

Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war bekanntermaßen schwierig, aber Alberto Castillo hatte mich engagiert, damit ich mich um die PR der beiden kümmerte, und nicht um ihre persönlichen Differenzen – zumindest war das die Abmachung, bevor einiges von dem, was hinter verschlossenen Türen passierte, an die Öffentlichkeit gelangte.

»Die Leute halten dich ohnehin schon für einen nichtsnutzigen reichen Schnösel, der sich vor seiner Verantwortung drückt, seit dein Vater seine Diagnose bekommen hat.« Ich nahm kein Blatt vor den Mund. »Falls du diese Veranstaltung schwänzt, auf der er als Philanthrop des Jahres geehrt werden soll, wird dich die Presse in der Luft zerreißen.«

»Das tut sie sowieso schon. Und warum sollte man ihn ehren?« Xavier taxierte mich mit hochgezogenen Brauen. »Der Mann stellt nur jedes Jahr einen Scheck über ein paar Millionen aus. Das bringt ihm nicht nur Steuervorteile ein, sondern man rühmt ihn auch noch als großen Wohltäter. Du weißt genauso gut wie ich, dass diese Auszeichnung einen Scheiß bedeutet. Jeder, der über das nötige Kleingeld verfügt, kann sie bekommen. Abgesehen davon …« Er lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. »Mykonos ist wesentlich reizvoller als dieses steife Event. Du solltest bleiben. Die Meeresluft wird dir guttun.«

Verflixt, ich kannte diesen Ton. Er sagte mir: Du kannst mir eine Knarre an den Kopf halten, und ich werde trotzdem nicht nachgeben – nur um dich zu ärgern. Ich hatte ihn schon öfter gehört, als ich zählen konnte.

Ich dachte kurz nach.

Ich hatte es karrieretechnisch nicht so weit gebracht, indem ich mich auf Kämpfe einließ, die unmöglich zu gewinnen waren. Ich musste um jeden Preis heute Abend in London sein, aber uns lief rapide die Zeit davon, um noch pünktlich zu starten. Meine Verabredung zu versäumen, stand nicht zur Debatte, aber falls Xavier in Griechenland bliebe, wäre ich gezwungen, ebenfalls zu bleiben, um ihn im Auge zu behalten.

Da ich zu spät dran war, um ihn so wie sonst zum Einlenken zu bewegen, indem ich Schuldgefühle bei ihm weckte, ihm drohte oder wahlweise gut zuredete, gab es nur einen Ausweg.

Einen Deal.

Ich ahmte seine Haltung nach und verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. »Lass hören.«

Er zog die Brauen noch höher.

»Deine Bedingung«, erklärte ich. »Sag mir, was du dafür verlangst, dass du an dieser Preisverleihung teilnimmst. Alles, was Sex, Drogen oder illegale Aktivitäten beinhaltet, kannst du vergessen. Ansonsten lasse ich mit mir handeln.«

Xavier kniff die Augen zusammen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ich so schnell das Handtuch werfen würde. Und das würde ich auch ganz sicher nicht, müsste ich nicht um acht in London sein. Aber ich durfte meinen Termin nicht versäumen, darum musste ich wohl oder übel einen Pakt mit dem Teufel schließen.

»Also gut.« Xaviers Lächeln brachte seine Grübchen zum Vorschein, doch noch immer spiegelte sich leiser Argwohn in seiner Miene. »Da du so entgegenkommend bist, werde ich deinem Beispiel folgen. Ich verlange einen Urlaub.«

»Du bist doch schon im Urlaub.«

»Ich spreche nicht von mir. Sondern von dir.« Er stieß sich von der Wand ab, kam auf mich zugeschlendert und blieb ganz nah vor mir stehen. »Ich lasse mich auf der Preisverleihung blicken, wenn du versprichst, anschließend drei Wochen mit mir in Spanien zu verbringen. Ohne Arbeit. Nur Spaß.«

Diese Forderung kam dermaßen unerwartet, dass mir der Kopf schwirrte und ich einen Moment brauchte, um sie zu verarbeiten. »Ich soll mir drei Wochen freinehmen?«

»Ganz genau.«

»Du hast ja den Verstand verloren.«

Seit ich Kensington PR, meine kleine Public-Relations-Agentur, vor sechs Jahren gegründet hatte, war ich an genau zwei Tagen nicht im Büro erschienen. Das eine Mal wegen der Beerdigung meiner Großmutter, das andere Mal weil ich mit einer Lungenentzündung (so was kann passieren, wenn man im tiefsten Winter Jagd auf Paparazzi macht) in die Notaufnahme musste. Aber selbst da habe ich mich via Handy um meine E-Mails gekümmert.

Meine Arbeit war mein Leben. Allein bei der Vorstellung, sie auch nur für eine Minute ruhen zu lassen, bekam ich Bauchschmerzen.

»Das ist mein Angebot.« Xavier zuckte die Achseln. »Nimm es an oder nicht.«

»Vergiss es. Das ist unmöglich.«

»Ganz, wie du willst.« Er drehte sich zum Bett um. »Dann werde ich mich wieder aufs Ohr hauen. Bleib hier, oder flieg nach Hause. Mir ist es egal.«

Ich biss die Zähne aufeinander.

Dieser Mistkerl. Er wusste genau, dass ich ihn hier niemals zurücklassen würde, damit er in meiner Abwesenheit Chaos stiften konnte. Wie ich ihn kannte, würde er nicht davor zurückschrecken, heute Abend eine öffentliche Orgie am Strand zu veranstalten, nur um die Klatschpresse auf den Plan zu rufen und die ganze Welt wissen zu lassen, dass er nicht auf der Gala erschienen war.

Ich warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Wenn wir es noch rechtzeitig schaffen wollten, mussten wir in fünfzehn Minuten los.

Wäre da nicht meine Verabredung um acht in London gewesen, hätte ich es vielleicht darauf ankommen lassen, aber …

Gottverdammt.

»Ich kann dir zwei Tage anbieten«, feilschte ich. Ein Wochenende würde mich schon nicht umbringen, oder?

»Zwei Wochen.«

»Eine.«

»Abgemacht.« Erneut blitzten seine Grübchen auf, und da begriff ich, dass er mich ausgetrickst hatte. Er hatte sein Angebot extra höher angesetzt, um Luft zum Verhandeln zu haben.

Leider war es nun zu spät für einen Rückzieher, und als er mir die Hand entgegenstreckte, hatte ich keine andere Wahl, als einzuschlagen und unseren Deal zu besiegeln.

Das Schlimmste an Xavier war, dass er wirklich ein kluger Kopf war, ihn jedoch nicht sinnvoll nutzte.

»Schau mich nicht so böse an. Wir machen zusammen Urlaub. Das wird lustig. Vertrau mir.«

Er quittierte meinen eisigen Blick mit einem breiten Grinsen.

Eine Woche in Spanien mit der größten Nervensäge auf diesem Planeten. Was konnte da schon schiefgehen?

2

XAVIER

Es gab nichts, was mir den Tag mehr versüßte, als Sloane auf die Palme zu bringen. Ihre Reaktionen waren komplett vorhersehbar, und sie war einfach umwerfend, wenn sie wütend war. Ich liebte es zu beobachten, wie ihr flammender Zorn ihre Fassade zum Schmelzen brachte und die wahre Sloane hinter der Eisköniginfassade durchschimmerte.

Das kam nicht oft vor, aber wenn es doch einmal geschah, archivierte ich diese Momentaufnahme in meiner geistigen Datenbank, in der ich alle Informationen über sie verwahrte.

»Ah,SiesindeinevomTypGouvernante.«IchmustertemeineneuePR-Agentinvonobenbisunten,denstrengenHaarknoten,dasmaßgeschneiderteKostüm. »Allesklar.HättenSiesichdochgleichsovorgestellt, anstatt mit Ihrem Namen.«

Der vernichtende Blick, mit dem sie mich durchbohrte, hätte einen ganzen Häuserblock zum Einsturz bringen können.

ObjektivbetrachtetwarSloaneeinederschönstenFrauen,diemirjebegegnetwaren.BlaueAugen,langeBeine,ebenmäßigeGesichtszüge.Michelangelo höchstpersönlich hätte das nicht besser hinbekommen.

Zu schade, dass sie absolut keinen Sinn für Humor besaß.

Sie gab irgendeine scharfe Antwort, aber ich hatte sie bereits ausgeblendet.

Ich war stinkwütend auf meinen Vater, weil er mich zu diesem dämlichen Arrangement gezwungen hatte. Müsste ich nicht um mein Erbe fürchten, würde ich ihm sagen, dass er sich aus meinem Leben verpissen soll.

PR-Agenten waren im Grunde nichts anderes als überbezahlte Babysitter, und ich wollte und brauchte ganz sicher niemanden, der auf mich aufpasste. Sloane war unbestritten eine Augenweide und gleichzeitig – das erkannte ich sofort – eine Spaßbremse vor dem Herrn.

Das war unser erstes Treffen gewesen. Meine ursprüngliche Feindseligkeit ihr gegenüber war im Lauf der Jahre verpufft und bedauerlicherweise in wesentlich kompliziertere Gefühle umgeschlagen, nämlich Neugier, Anziehung und Frustration.

Keine Ahnung, wann das passiert war, jedenfalls wünschte ich, ich könnte es rückgängig machen. Ich würde sie viel lieber hassen, als von ihr fasziniert zu sein.

»Steh gerade«, ermahnte sie mich, ohne die Augen von dem Mann abzuwenden, der soeben schnurstracks auf uns zukam. »Dies ist eine Galaveranstaltung und keine Strandparty. Tu wenigstens so, als wolltest du hier sein.«

»Es gibt hier Alkohol und Essen, und ich bin in Begleitung einer umwerfenden Frau. Natürlich will ich hier sein.« Während der erste Satz absolut der Wahrheit entsprach, war der zweite eine faustdicke Lüge.

Ich nahm sie rasch und ohne, dass sie es bemerkte, in Augenschein und prägte mir das Bild ein. An jeder anderen Frau hätte das schlichte Abendkleid langweilig gewirkt, aber Sloane würde sogar in einem Müllsack jegliche Konkurrenz ausstechen.

Die schwarze Seide umschmeichelte die schlanken Konturen ihres Körpers und betonte ihre glatte, makellose Haut und die nackten Schultern. Sie hatte ihre Haare zu einer eleganteren Version ihres üblichen Dutts frisiert, so gut wie kein Make-up aufgelegt, und sie trug nur ein Paar dezente, tropfenförmige Diamantohrringe als Schmuck. Ganz offensichtlich wollte Sloane sich den anderen Gästen optisch anpassen, aber ebenso gut könnte ein Edelstein versuchen, nicht aus einem Kiesbett herauszustechen.

Offen gestanden, hatte ich nicht damit gerechnet, dass sie sich auf meinen Deal mit dem Urlaub in Spanien einlassen würde. Ich hatte zwar darauf gehofft, aber sie war mit ihrem Job verheiratet, und so wichtig war dieses Event nun auch wieder nicht. Es war eine Nullachtfünfzehn-Veranstaltung zu Ehren meines Vaters, und nicht der Legacy Ball oder eine königliche Hochzeit.

Die Tatsache, dass sie eine ganze Woche ihrer kostbaren Zeit gegen meine Anwesenheit bei dieser Gala eingetauscht hatte, stank regelrecht zum Himmel, aber ich war niemand, der einem geschenkten Gaul ins Maul schaute.

Ich hatte schon seit einer Weile fieberhaft nach einem Weg gesucht, Sloane eine Auszeit von ihrer Arbeit zu verschaffen. Sie stand dermaßen unter Druck, dass sie über kurz oder lang explodieren würde, und ich wollte lieber nicht in der Nähe sein, wenn das passierte. Sie musste sich unbedingt mal entspannen. Darüber hinaus würde mir dieser Trip die perfekte Gelegenheit bieten, sie dazu zu verleiten, sich endlich mal locker zu machen, sich zu amüsieren und die Sau rauszulassen. Ich würde, wenn nötig, sogar dafür bezahlen, sie wie einen normalen Menschen am Strand chillen zu sehen, anstatt zuzuhören, wie sie ihre Gesprächspartner am Telefon zum Heulen brachte.

Sloane Kensington hatte einen Urlaub dringender nötig als irgendwer sonst, und ich brauchte —

»Xavier!«, riss mich Eduardos Stimme gerade noch rechtzeitig aus meinen Gedanken, bevor sie in eine gefährliche Richtung abdriften konnten. »Ich hatte nicht erwartet, dich heute hier zu sehen, mijo.« Er schlug mir auf die Schulter.

»Ich auch nicht«, antwortete ich trocken. »Schön, dich zu sehen, tío.«

Eduardo war nicht mein biologischer Onkel, doch das machte keinen Unterschied. Er und mein Vater waren seit ihrer Kindheit beste Freunde, und er hatte bis zu Albertos Erkrankung zu dessen engsten Ratgebern gehört. Zurzeit fungierte er als Interimsgeschäftsführer der Castillo Group und würde das Unternehmen leiten, bis der Vorstand entschieden hätte, ob es sinnvoller wäre, einen neuen CEO einzusetzen oder abzuwarten, ob mein Vater sich erholte.

Eduardo wandte sich Sloane zu und begrüßte sie, den kolumbianischen Gepflogenheiten entsprechend, mit einem Kuss auf die Wange.

»Sloane, Sie sehen zauberhaft aus. Ich nehme an, ich habe es Ihnen zu verdanken, dass dieser Bengel sich hier blicken lässt? Ich weiß, wie schwer es ist, ihn an die Leine zu legen. In seiner Kindheit nannten wir ihn pequeño toro, weil er so dickköpfig war wie ein junger Stier.«

Keine Spur mehr von Gereiztheit, als sie ihn mit einem freundlichen Lächeln ansah. »Das ist mein Job. Und den mache ich gern.«

Im Lügen war sie genauso geschickt wie ich.

Wir plauderten noch ein paar Minuten, ehe ein anderer Gast Eduardo wegführte. Da ich mich geweigert hatte, würde er den Preis für den Wohltäter des Jahres stellvertretend für meinen Vater entgegennehmen, doch niemanden schien dieses Thema zu interessieren, alle wollten nur Geschäftliches mit ihm besprechen.

Typisch.

Auf dem Weg zu unserem Tisch ertappte ich Sloane dabei, wie sie auf ihre Armbanduhr schaute.

»Das ist jetzt schon mindestens das zwölfte Mal, dass du nachsiehst, wie spät es ist«, kommentierte ich. »Wenn du so scharf darauf bist, von hier zu verschwinden, können wir diese langweilige Veranstaltung meinetwegen gern schwänzen und uns an der Bar abschießen.«

»Ich schieße mich nie ab, und, wenn du es genau wissen willst, treffe ich mich in einer Stunde mit jemandem. Ich verlasse mich drauf, dass du dich benimmst, nachdem ich weg bin.«

Die sichtbare Anspannung in ihren Schultern und ihrer Kieferpartie strafte ihren nonchalanten Tonfall Lügen.

»Du hast heute Abend noch eine Verabredung in London?« Wir nahmen unsere Plätze ein, als im selben Moment der Moderator die Bühne betrat und Applaus aufbrandete. »Sag mir nicht, dass es sich um ein heißes Rendezvous handelt.«

»Das geht dich rein gar nichts an.« Sie griff nach der kunstvoll gestalteten Speisekarte, vermutlich um sie auf Hinweise auf Walnüsse zu prüfen. Aus irgendwelchen Gründen – nein, keine Allergie, so viel hatte ich herausgefunden – stand sie auf Kriegsfuß mit ihnen.

»Es überrascht mich nur, dass du Zeit findest, jemanden zu daten.« Der Moderator begann mit seiner Begrüßungsrede. Mein gesunder Menschenverstand riet mir, das Thema fallen zu lassen, aber ich konnte es nicht. In Sloanes Gegenwart war mein Denkvermögen außer Gefecht gesetzt. »Wer ist der Glückliche?«

Sie ließ die Karte sinken und sah mich an. »Das gehört jetzt nicht hierher, Xavier. Wir wollen doch nicht das Cannes-Debakel wiederholen.«

Ich verdrehte die Augen. Nur weil ich ein einziges Mal dabei erwischt wurde, wie ich bei einer wichtigen Preisverleihung eingeschlafen war, wurde mir das immer sofort unter die Nase gerieben. Wären diese Events nicht so verdammt langweilig, würde es mir vielleicht nicht so schwerfallen, wach zu bleiben.

Die Leute verstanden sich heutzutage einfach nicht mehr darauf, ihr Publikum zu unterhalten. Wer legte schon Wert auf biedere Fahrstuhlmusik und dieselben öden Drinks, die bei jeder Veranstaltung serviert wurden? Niemand. Wäre es mir wichtig genug gewesen – was nicht der Fall war –, hätte ich den jeweiligen Organisatoren ein paar nützliche Tipps geben können.

Das Servicepersonal servierte das Essen, aber ich rührte es nicht an, sondern trank stattdessen noch mehr Champagner, während sich der Festakt dahinschleppte.

Ich schaltete ab und grübelte darüber nach, was dieser Mann, mit dem Sloane verabredet war, für ein Typ sein könnte. In all den Jahren unserer Zusammenarbeit hatte ich sie nie mit einem Date gesehen oder auch nur von einem gehört. Aber offenbar gab es da jemanden in ihrem Leben.

Sie war der Inbegriff von streitlustig, aber zudem war sie schön, klug und kultiviert. Sogar jetzt zog sie begehrliche Blicke von den Männern an den umliegenden Tischen an.

Ich leerte mein Glas und funkelte einen von ihnen an, bis er mit hochrotem Gesicht den Blick senkte. Sloane war zwar nur meine Pro-forma-Begleitung, nichtsdestotrotz zeugte es von schlechten Manieren, sie in meiner Gegenwart derart anzugaffen. Hielt sich denn heute niemand mehr an Anstandsregeln?

Plötzlich setzte der bisher lauteste Applaus des Abends ein. Eduardo stand auf, und ich begriff, dass mein Vater soeben zum Wohltäter des Jahres gekürt worden war.

»Klatsch gefälligst«, forderte Sloane mich mit einem angespannten Lächeln auf. Sie würdigte mich keines Blickes. »Die Kameras haben dich im Visier.«

»Ist ja mal ganz was Neues.« Ich spendete verhalten und ausschließlich Eduardo Beifall.

»Es ist mir eine Ehre, diese Auszeichnung heute im Namen von Alberto in Empfang nehmen zu dürfen«, begann er. »Wie viele von Ihnen wissen, ist er schon länger, als ich denken kann, mein Freund und Geschäftspartner …«

Sowie er seine erfreulich kurze Ansprache beendet hatte, checkte Sloane erneut die Uhrzeit und packte ihre Sachen zusammen.

Ich setzte mich gerade hin. »Du willst schon los? Es sind erst fünfzig Minuten vergangen. Du sagtest, in einer Stunde.«

»Nur für den Fall, dass viel Verkehr ist. Ich vertraue darauf, dass du dich in meiner Abwesenheit am Riemen reißt.« Sie unterstrich den letzten Satz mit einem warnenden Blick.

»Eigentlich hatte ich vor, einem anderen Gast meinen Drink ins Gesicht zu schütten und die Musikanlage zu kapern, sobald du weg bist. Bist du sicher, dass du nicht lieber bleiben willst?«

Sie wirkte nicht amüsiert.

»Wenn du das tust, ist unser Deal vom Tisch«, entgegnete sie ausdruckslos. »Ich werde gegen Ende der Veranstaltung noch mal wiederkommen.«

Sie erhob sich möglichst unauffällig von ihrem Stuhl und verschwand in Richtung Ausgang. Ich war so sehr darauf konzentriert, ihr hinterherzuschauen, dass ich Eduardo, der zu mir getreten war, erst bemerkte, als er seine Hand auf meine Schulter legte.

»Hast du einen Moment? Es gibt da etwas, worüber wir reden sollten.«

»Sicher.« Jetzt, wo Sloane weg war, würde ich alles lieber tun, als weiterhin mit den langweiligsten Tischnachbarn aller Zeiten hier herumzuhocken.

Ich folgte Eduardo hinaus auf den Flur. Niemand schenkte uns groß Beachtung, denn die anderen Gäste hatten sich nach dem Ende der Preisverleihung wieder ihren Drinks und Gesprächen zugewandt.

»Ich hatte vor, dich anzurufen, aber ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht ist natürlich viel besser.« Da wir außer Sichtweite der Fotografen waren, gestattete Eduardo es sich, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammenzupressen. Mein Puls beschleunigte sich. »Xavier …«

»Lass mich raten. Es dreht sich um meinen Vater.«

»Nein. Doch. Nun ja …« Er zögerte, was untypisch für ihn war, und rieb sich mit der Hand übers Gesicht. »Sein Zustand ist unverändert stabil.«

Eine Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung bewirkte, dass sich der Knoten in meiner Brust löste. Es war echt nicht normal, dass diese an sich gute Nachricht solch widersprüchliche Gefühle in mir hervorrief.

»Das bedeutet, dass es weder bergab noch bergauf mit ihm geht«, fuhr Eduardo fort. »Du hast ihn seit Monaten nicht besucht. Dabei könnte ihm das helfen. Die Ärzte sagen, wenn er seine Liebsten um sich hätte …«

»Genau das ist der springende Punkt. Da meine Mutter nicht mehr da ist, hat er wohl ein Problem.«

Sie war der einzige Mensch, aus dem Alberto sich wirklich jemals etwas gemacht hatte.

»Er ist immer noch dein Vater.« Ein grimmiger Zug erschien um seinen Mund. »Deja de ser tan terco. Haz las paces antes de que sea demasiado tarde.« Hör auf, so stur zu sein. Schließe Frieden, bevor es zu spät ist.

»Nicht ich bin derjenige, der einlenken sollte«, erwiderte ich. Ich hatte oft genug versucht, auf meinen Vater zuzugehen, bevor ich es vor ein paar Jahren schließlich aufgegeben hatte. »Es war nett, mal wieder mit dir zu reden, aber ich muss jetzt los.«

»Xavi…«

»Ich wünsche dir eine gute Heimreise.« Ich wandte mich ab. »Grüß alle von mir.«

»Es ist die Firma deiner Familie«, rief Eduardo mir mit resigniert klingender Stimme hinterher. Er hatte den Posten des Interimsgeschäftsführers nur angenommen, weil ich ihn abgelehnt hatte, und ich wusste, dass er sich an der Hoffnung festklammerte, ich würde eines Tages »zur Besinnung kommen« und das Traditionsunternehmen der Castillos fortführen. »Du kannst nicht ewig vor deiner Verantwortung weglaufen.«

Ich ging weiter, ohne meine Schritte zu verlangsamen.

Da mit dem Ende der Preisverleihung die Gala im Grunde vorbei war, konnte ich jetzt verschwinden, ohne gegen meine Abmachung mit Sloane zu verstoßen.

Der Gedanke an sie und daran, wo sie in diesem Moment vermutlich war – nämlich auf einem Date mit irgendeinem Wichser –, trug nicht dazu bei, meine düstere Stimmung aufzuhellen.

Normalerweise tendierte ich dazu, die positiven Aspekte des Lebens zu sehen, aber auch ich hatte verdammt noch mal das Recht, hin und wieder Trübsal zu blasen.

Ich holte meinen Mantel aus der Garderobe und stieg in eins der schwarzen Taxis, die vor dem Gebäude warteten.

»Zum Neon«, sagte ich. Das war der Name des angesagtesten neuen Londoner Nachtclubs. »Wenn Sie es in weniger als fünfzehn Minuten dorthin schaffen, bekommen Sie hundert Pfund extra.«

Der Wagen setzte sich in Bewegung. Ich starrte aus dem Fenster, während die Lichter der Stadt an mir vorbeizogen, und konnte es kaum erwarten, die Erinnerungen an Eduardo, meinen Vater und eine gewisse PR-Agentin, die viel zu viel Raum in meinen Gedanken einnahm, in Alkohol zu ertränken.

3

SLOANE

Ich ignorierte die rote Fußgängerampel und eilte über die Straße, ohne mich um die dröhnende Hupe eines sich nähernden Lastwagens zu kümmern.

Ich war spät dran, und wenn ich nicht bald meine Schuhe auszöge, würden mich die blutenden Blasen an meinen Füßen schneller umbringen als jeder Verkehrsunfall. Zehn Zentimeter hohe Absätze sahen toll aus, aber sie waren nicht für einen kilometerlangen Marsch durch die Stadt gemacht.

Leider war der Verkehr in London eine einzige Katastrophe, darum war ich aus meinem Taxi ausgestiegen, nachdem es sich zwanzig Minuten lang kaum von der Stelle bewegt hatte.

Als ich endlich das Hotel erreichte, war ich schweißgebadet und spürte meine Füße fast nicht mehr, trotzdem schaffte ich es ohne Zwischenfälle – von den entgeisterten Blicken der anderen Gäste einmal abgesehen – bis zu der Suite im elften Stock.

Bitte, schlaf nicht.

Ich klopfte mit ungestüm pochendem Herzen an die Tür.

Bitte, schlaf nicht. Bitte, schlaf …

Ich stieß erleichtert den Atem aus, als mir eine Frau öffnete, deren rundes Gesicht mir wohlvertraut war.

»Ah, da sind Sie ja.« Rhea ließ mich eintreten, und ich sah, wie ihr Blick anschließend immer wieder nervös in Richtung Eingang huschte, als befürchtete sie, dass George und Caroline jede Sekunde auftauchen könnten. Sie lief jedes Mal Gefahr, ihren Job zu verlieren, wenn sie mich benachrichtigte, aber wir gingen beide ein Risiko ein, und das aus demselben Grund. »Ich war schon in Sorge, Sie würden es nicht schaffen.«

»Ich steckte im Verkehr fest, aber um nichts auf der Welt hätte ich mir diese Gelegenheit entgehen lassen.« Ich zog meine Schuhe aus und seufzte. Viel besser.

Rhea half mir, meine blutigen Füße zu säubern, bevor ich ins Wohnzimmer ging. Mein Herz zog sich zusammen, als ich Pen sah, die auf dem Fußboden saß und einen Zeichentrickfilm mit Ballerinas guckte. Sie hatte schon immer eine Vorliebe für Sendungen gehabt, die sich ums Tanzen oder andere Sportarten drehten.

Sie hatte mir den Rücken zugewandt, doch anscheinend verfügte sie über einen sechsten Sinn, denn sie drehte sich zu mir um, kaum dass ich den Raum betreten hatte.

»Sloane!« Sie sprang auf und rannte zu mir. »Du bist wirklich gekommen!«

»Selbstverständlich bin ich gekommen.« Ich schloss sie in die Arme.

Gott, sie war so groß geworden, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte.

Sie klammerte sich an mich und drückte ihr Gesicht an meinen Bauch, und hätte ich die Fähigkeit besessen zu weinen, wären mir in diesem Moment die Tränen gekommen. Bestimmt war sie heute noch von niemandem außer Rhea umarmt worden.

Nachdem ihre Nanny das Zimmer verlassen hatte, damit wir ungestört waren, löste ich mich schließlich widerstrebend von Pen, um das Geschenk für sie aus meiner Tasche zu holen.

»Alles Gute zum Geburtstag, Pen. Das ist für dich.«

Ihre Eltern nannten sie Penelope, alle anderen Penny, aber für mich würde sie immer Pen sein. Meine kleine Halbschwester war die Schwester, von der ich nicht gewusst hatte, dass ich sie brauchte. Sie hatte bitterlich geweint, als ich damals fortging, und war das einzige Mitglied der Kensingtons, das ich seit dem Tod meiner Großmutter noch als Familie betrachtete.

Sie nahm das Geschenk mit leuchtenden Augen entgegen und wickelte es vorsichtig aus dem silbergestreiften Papier. Ich musste lächeln, als sie vor Entzücken nach Luft schnappte.

»Die neue American-Sports-Puppe!« Pen drückte sie wie einen kostbaren Schatz an ihre Brust. »Wie hast du sie ergattert?«

»Ich kenne eben die richtigen Leute. Deine große Schwester ist nämlich eine ziemlich coole Socke.«

Die Puppe war Teil einer limitierten Sonderedition und zählte zu den begehrtesten Spielwaren weltweit. Es existierten nur zwei Dutzend davon, aber der Ehemann meiner Freundin Vivian hatte seine Beziehungen spielen lassen und mir rechtzeitig zu Pens Geburtstag ein Exemplar besorgt.

Die Vernachlässigung durch ihre Eltern brachte ausnahmsweise einmal einen Vorteil mit sich, und zwar, dass sie nicht fragen würden, woher Pen die neue Puppe hatte, falls sie sie überhaupt bemerkten.

»Also, wie fühlt es sich an, neun zu sein?« Ich setzte mich neben sie auf den Boden. »Du bist jetzt schon fast zweistellig.«

»Ganz schrecklich. Bald werde ich eine alte Frau sein, so wie du – ah!« Ich kitzelte ihre Seite, und sie fing wie wild an zu kichern. »Hör auf! Es tut mir leid! Ich nehm’s zurück!«, japste sie. »Du bist gar nicht so alt.«

»Wer mir frech kommt, muss bestraft werden.« Aber ich hörte auf, sie zu kitzeln, um sie nicht zu überanstrengen. Es war immer ein schmaler Grat, sie einerseits wie ein normales Kind zu behandeln, während ich gleichzeitig wusste, dass sie das nicht war, zumindest nicht im Hinblick auf ihre körperliche Belastbarkeit.

Nachdem Pen vor zwei Jahren ungewöhnlich lange am Pfeifferschen Drüsenfieber gelitten hatte, wurde bei ihr das Chronische Erschöpfungssyndrom, kurz CFS, diagnostiziert. Die unter anderem mit extremer Müdigkeit, Schlafstörungen sowie Gelenk- und Muskelschmerzen einhergehende Erkrankung war weder heil- noch therapierbar. Es war schwierig, die genaue Ursache festzustellen, wenngleich die Ärzte vermuteten, dass sie bei Pen durch eine veränderte Reaktion ihres Immunsystems auf Infektionen ausgelöst worden war.

Obwohl kein empfohlenes Behandlungskonzept existierte, gab es unzählige Quacksalber, die eine »Heilung« durch spezielle Vitamine, antiretrovirale Medikamente und andere vermeintliche Wundermittel versprachen. Pens Eltern hatten auf der vergeblichen Suche nach irgendetwas, das ihr helfen würde, Unsummen zum Fenster hinausgeworfen, bevor sie schließlich kapituliert und ihre Tochter in die Obhut einer Nanny gegeben hatten, um sich nicht länger mit ihr befassen zu müssen.

Zum Glück litt Pen an einer leichten Form von CFS, sodass sie alltägliche Aktivitäten noch gut verkraftete. Trotzdem konnte sie zu ihrem Leidwesen weder Sport treiben noch die Schule besuchen, und an schlechten Tagen hatte sie Probleme beim Gehen. Sie wurde zurzeit zu Hause unterrichtet, und Rhea blieb praktisch rund um die Uhr an ihrer Seite, für den Fall, dass sie zusammenklappte.

»Ich hab was für dich gebastelt.« Pen klang atemlos, aber meine Besorgnis schwand, als sie zum Couchtisch ging und ohne verschnaufen zu müssen wieder zu mir zurückkam. Ich spürte einen Kloß im Hals. Sie hatte heute einen guten Tag, und den hatte sie an ihrem Geburtstag auch verdient. »Es ist ein Freundschaftsarmband.« Sie legte es vorsichtig in meine Hand. »Für mich hab ich auch eins gemacht. Siehst du?«

Die Armbänder bestanden aus fünf kleinen, an einer Schnur aufgefädelten Herzen. Pens waren rosa, meine blau.

Ich musste schwer schlucken. »Es ist wunderschön. Vielen Dank, Pen.« Ich legte meins an. »Aber eigentlich solltest du an deinem Geburtstag Geschenke bekommen, anstatt welche zu verteilen.« Erst recht nicht, wenn es sie womöglich eine Menge Energie kostete.

»Ich bin an deinen Geburtstagen doch nie dabei«, flüsterte sie.

Traurig, aber wahr. Wir sahen uns nur, wenn Rhea mich zu ihr schmuggeln konnte, und das kam nicht öfter als ein paarmal pro Jahr vor. George und Caroline waren gehässig genug, dass sie Pen eher in einen Tresor sperren würden, als mir zu erlauben, sie zu besuchen. Und mir verbot mein Stolz, mich für etwas zu entschuldigen, das nicht auf mein Konto ging. Ich hatte darüber nachgedacht, aber ich konnte es nicht – noch nicht mal für Pen.

»Nun, jetzt sind wir ja zusammen«, sagte ich und verdrängte die Gedanken an die Vergangenheit. »Worauf hast du Lust? Wir könnten einen Film gucken, mit deiner neuen Puppe spielen oder …«

»Ich möchte mir die Partie Blackcastle gegen Holchester anschauen.« Ein flehentlicher Blick aus großen Rehaugen. »Bitte.«

Meine Begeisterung für Sport hielt sich in Grenzen, aber Pen liebte Fußball, darum willigte ich ein, mir die Aufzeichnung mit ihr anzusehen. Das Match hatte Anfang des Jahres Schlagzeilen gemacht, weil es das erste Mal gewesen war, dass Asher Donovan, der Liebling der Premier League, nach seinem Transfer zu Blackcastle gegen seinen ehemaligen Verein angetreten war.

Asher war neben Xavier mein schwierigster Klient, aber zudem war er Pens Idol. Als meine Agentur ihn seinerzeit unter Vertrag genommen hatte, hatte Pen so laut gejubelt, dass mir fast das Trommelfell geplatzt wäre.

Apropos Xavier …

Während Pen an mich gekuschelt völlig gebannt das Spiel verfolgte, checkte ich kurz auf meinem Handy, ob es irgendwelche neuen Klatschgeschichten gab. Ich ignorierte die Nachricht eines Typen, mit dem ich kurz mal was gehabt hatte und der mich gern wiedersehen wollte – anscheinend war er wirklich schwer von Begriff –, und überflog die aktuellen Nachrichten.

Ich hatte eine App installiert, die mich auf sämtliche Meldungen über meine Kunden aufmerksam machte, allerdings gab es nur zwei Namen, bei denen mein Blutdruck schlagartig anstieg, wenn sie auf meinem Display auftauchten. Einer davon hatte die Initialen XC.

Nichts. Gott sei Dank. Anscheinend benahm er sich. Rheas Job, sich um Pen zu kümmern, war ein Kinderspiel verglichen damit, Xavier unter Kontrolle zu halten.

Pen und ich schwiegen, während sie das Spiel schaute, doch das war nicht schlimm. Obwohl wir uns nicht oft sahen, fühlten wir uns einfach wohl miteinander. Manchmal quatschten wir ununterbrochen, aber ebenso gut konnten wir in behaglichem Schweigen einfach nur fernsehen.

Nach etwa einer halben Stunde regte sie sich. Mein Puls schnellte in die Höhe, als ich erschrocken feststellte, dass ihr Gesicht ganz blass war und ihre Augen glasig wirkten. Sie war kurz davor zusammenzubrechen.

»Es geht mir gut«, versicherte sie mir, als ich nach Rhea rief, die Sekunden später mit besorgter Miene ins Zimmer geeilt kam. »Bleib hier.« Pen klammerte sich an meinem Ärmel fest. »Wir sehen uns so selten.«

Ihre Stimme glich am Ende des Satzes nur noch einem Flüstern. Dieser Abend forderte seinen Tribut, und dass sie nicht protestierte, als ich ihr einen Abschiedskuss auf die Stirn hauchte, zeigte mir, wie müde sie war.

»Ich werde dich bald wieder besuchen«, beteuerte ich. »Versprochen.«

Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit miteinander gehabt, aber Pens Gesundheit hatte Vorrang vor allem anderen.

Rhea und ich brachten sie zu Bett, und sie schlief augenblicklich ein. Ich hoffte inständig, dass sie die Nacht durchschlafen würde, andernfalls würde der morgige Tag hart für sie werden.

Meine Kehle war wie zugeschnürt, als ich ihr die Haare zurückstrich. Meine Besuche bei ihr dauerten nie so lange, wie ich es gern hätte, trotzdem waren sie in Anbetracht der Umstände immer noch besser als nichts.

»Es war gut, dass Sie heute hier waren«, sagte Rhea, nachdem wir ins Wohnzimmer zurückgekehrt waren. »Mr und Mrs Kensington haben ihr nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt, bevor sie ausgegangen sind.«

Ich hatte nichts anderes erwartet. Meinem Vater und meiner Stiefmutter war Pens Erkrankung peinlich, darum hielten sie ihre Tochter nach Möglichkeit vor der Öffentlichkeit verborgen.

»Danke, dass Sie mir Bescheid gegeben haben«, entgegnete ich. Rhea hatte mich letzte Woche angerufen, um mich zu informieren, dass Pen und ihre Eltern heute in London sein würden. George und Caroline hatten für diesen Abend einen Restaurantbesuch geplant und würden sich danach eine Show ansehen, was mir ein ausreichend großes Zeitfenster gab, um meine Schwester zu besuchen. »Ich weiß das wirklich zu …«

Ich brach abrupt ab, und mir rutschte das Herz in die Hose, als von der anderen Seite der Tür eine vertraute Stimme zu hören war.

»… absolut grauenvoll. Im Ernst, George, das war der schlechteste Hummer, den man mir je vorgesetzt hat.«

Rhea und ich starrten uns mit schreckgeweiteten Augen an.

»Sie sind zwei Stunden zu früh zurück«, wisperte sie mit zitternden Lippen. »Wenn sie Sie entdecken …«

Dann wären wir erledigt. Rhea liebte Pen wie ihr eigenes Kind. Würde sie gefeuert, wäre das für beide eine Katastrophe, und ich könnte meine Schwester nicht mehr sehen …

Unternimm etwas! CEOs und Promis bezahlten mir exorbitante Summen, damit ich ihnen bei Bedarf aus der Patsche half, aber ich stand wie versteinert da und konnte mich nicht rühren. Mir war, als würde ich einer Schauspielerin dabei zusehen, wie sie mich in dieser Hotelsuite spielte, während mein reales Ich in eine Abwärtsspirale unwillkommener Erinnerungen hinabgezogen wurde.

Ebenso gut könnte ich mit einem Eisklotz zusammen sein … Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob du mich überhaupt magst …

Kannst du ihm wirklich verübeln, was er getan hat?

Wenn es dir wirklich so viel ausmacht, dann würdest du weinen oder zumindest irgendeine Gefühlsregung zeigen.

Blamiere uns nicht, Sloane.

Wenn du aus dieser Tür gehst, gibt es kein Zurück.

Hinter meinen Augen baute sich ein Druck auf, der verzweifelt nach einem Ventil suchte und wie immer keines fand.

Das Kartenlesegerät gab einen summenden Ton von sich.

Beweg dich!, schrie eine Stimme in meinem Kopf. Bist du völlig verrückt? Sie werden dich erwischen!

Das leise Klicken der Tür riss mich schließlich aus meiner Trance, und ich schaltete in den Krisenmanagement-Modus.

Ohne groß nachzudenken, schnappte ich mir meine blutigen Schuhe und suchte das Wohnzimmer rasch nach irgendwelchen Spuren ab, die auf mich hinweisen könnten. Als ich keine fand, schlüpfte ich hinter die bodenlangen Samtvorhänge. Im letzten Moment sah ich noch einen Schopf grauer Haare im Türrahmen. Meine Handflächen waren schweißnass.

Ich war auf ein Zusammentreffen mental nicht vorbereitet gewesen. Obwohl ich kein sonderlich religiöser Mensch war, schickte ich jetzt ein Stoßgebet zum Himmel, dass die beiden so müde waren, dass sie direkt schlafen gehen würden.

»Wir hätten nichts Neues ausprobieren sollen.« Carolines kühle Worte hallten zusammen mit dem rhythmischen Klackern ihrer Absätze durch den Raum. »Das hat man davon, wenn man sogenannten aufsteigenden Sternen eine Chance gibt. Sie halten selten, was sie versprechen.«

»Du hast recht.« Die vertraute Bassstimme meines Vaters, die ich seit Jahren nicht mehr live gehört hatte, hallte in mir wider wie ein Donnergrollen, wenn ich früher gemütlich mit einem Buch im Bett gelegen hatte. Sie hatte eine gleichermaßen tröstliche und beängstigende Wirkung auf mich und hinterließ Risse in der Wand, die ich vor langer Zeit zwischen ihm und mir errichtet hatte, sodass mich leichte Nostalgie überkam.

»Nächstes Mal gehen wir wieder in den Club«, fuhr er fort. »Rhea, bestellen Sie uns etwas zu essen beim Zimmerservice. Wir haben in dem Restaurant kaum etwas angerührt.«

»Ja, Sir.«

»Warum sind die Vorhänge offen?«, fragte Caroline in barschem Ton. »Sie sollen sie doch schließen, sobald die Sonne untergeht. Weiß der Himmel, wer uns vielleicht gerade beobachtet.«

Niemand, weil du dich im elften Stockwerk befindest undes gegenüber kein anderes Gebäude gibt, hätte ich meiner Stiefmutter am liebsten schnippisch geantwortet, als das Geräusch ihrer Schritte direkt vor mir erstarb. Ich stand ganz still und starrte mit einem metallischen Geschmack im Mund auf den roten Samt, der das Einzige war, das in diesem Moment eine Katastrophe verhinderte.

Schau nicht hinter den Vorhang. Schau nicht hinter …

Ihre Hand ergriff den Stoff. Ich presste meinen Rücken gegen das Fenster, aber Caroline und mich trennten nur noch wenige Zentimeter, und ich hatte keine Fluchtmöglichkeit.

Wumm.

Wumm.

Wumm.

Das panische Hämmern meines Herzens verstärkte sich mit jeder verstreichenden Sekunde. Ich legte mir bereits verschiedene Notfallpläne zurecht, was ich sagen, was ich tun und bei wem ich mir Hilfe suchen würde, sollte Caroline mich entdecken und Pen an irgendeinen abgelegenen Ort verfrachten, wo ich sie nicht besuchen könnte.

Der Vorhang wurde noch fester gepackt, und eine Schrecksekunde lang dachte ich, das Spiel wäre aus.

Doch Caroline zog ihn einfach nur zu, sodass ich komplett dahinter verborgen war, und fuhr fort, über das Abendessen zu nörgeln.

»Ich kann einfach nicht begreifen, wieso die Vogue ihn als einen der besten neuen Köche des Jahres rühmt …« Das Klappern ihrer Absätze wurde leiser, und ich hörte noch, wie mein Vater eine Antwort murmelte, bevor die Tür ins Schloss fiel.

Keiner von beiden hatte sich bei Rhea nach Pen erkundigt oder sie überhaupt noch mal angesprochen.

Ich bekam vor Erleichterung weiche Knie, aber als Rhea den Vorhang beiseitezog, trödelte ich nicht lange herum. Die beiden konnten jeden Moment zurückkommen.

Sie lächelte mich mit besorgtem Blick an, doch ich drückte zum Abschied nur wortlos ihre Hand und stahl mich aus der Suite. Erst, als ich auf den Gehsteig vor dem Hotel trat, bekam ich wieder richtig Luft.

Ich stand immer noch ein wenig unter Schock wegen der unerwarteten Beinahebegegnung mit meinem Vater, aber die kühle Oktoberluft war wie eine kalte Dusche und verschaffte mir einen klaren Kopf. Als ich um die Ecke bog, war das Rauschen in meinen Ohren verstummt und das Licht der Straßenlaternen flimmerte nicht mehr.

Es ist alles in Ordnung. Ich war nicht erwischt worden, ich hatte an Pens Geburtstag Zeit mit ihr verbringen können, und jetzt würde ich …

Mein Handy vibrierte, weil eine neue Nachrichtenmeldung einging. Ich warf einen Blick darauf, und zum zweiten Mal an diesem Abend rutschte mir das Herz in die Hose, als ich das unverwechselbare Logo von Perry Wilsons Blog sah.

Ich klickte auf den Artikel, und schlagartig verdrängte rot glühender Zorn mein nachklingendes Unbehagen, weil ich nur so knapp aus der Hotelsuite entkommen war.

Du willst mich wohl verarschen.

Zwei Stunden. Ich hatte Xavier gerade mal zwei Stunden allein gelassen, und er konnte sich nicht mal an die einfachsten Anweisungen halten?

Ich warf das Handy in meine Handtasche und winkte ein Taxi heran. »Zum Neon.« Ich knallte die Tür mit solcher Wucht zu, dass der Fahrer zusammenzuckte. »Sie bekommen von mir das üppigste Trinkgeld dieses Monats, wenn Sie es schaffen, mich in zehn Minuten vor dem Club abzusetzen.«

Ich musste einen meiner Klienten erwürgen, darum zählte jede Sekunde.

4

SLOANE

Die Gesellschaftsjournalisten nannten sie den modernen Jetset, wohingegen die Klatschpresse sie als verzogene Sprösslinge reicher Eltern herabwürdigte, die ihre Zeit mit Feiern verschwendeten, anstatt etwas Sinnvolles mit ihrem Leben anzufangen. Für mich waren sie einfach nur Xavier und Konsorten.

Acht Minuten, nachdem ich das Hotel verlassen hatte, kämpfte ich mich im Neon zum VIP-Bereich durch, in dem Xavier und seine Freunde es sich bequem gemacht hatten. Die Szene, die sich mir bot, war mehr oder weniger die lebendige Version der Fotos, die Perry Wilson in seinem aktuellen Blogbeitrag gepostet hatte.

Einer von Xaviers Kumpels schnupfte Kokain aus dem Bauchnabel einer Kellnerin, während eine ihrer Kolleginnen einem anderen Kerl einen Lapdance spendierte und in der Ecke ein spärlich bekleidetes Pärchen rummachte.

Inmitten dieser hedonistischen Kulisse thronte Xavier mit einer Flasche Tequila in der Hand auf einer samtbezogenen Sitzbank wie ein König, der Hof hielt.

Obwohl er eigentlich auf einer Preisverleihung sein müsste.

Obwohl er sein Image noch dringender als sonst aufpolieren müsste, nach Perry Wilsons Enthüllungsgeschichte über Xaviers Party anlässlich seines neunundzwanzigsten Geburtstags, die vor ein paar Monaten in Miami völlig aus dem Ruder gelaufen war.

Und obwohl er mir fest versprochen hatte, keinen Nachtclub zu betreten, bis wir seinen Ruf wiederhergestellt hatten.

Ich spürte meine schmerzenden Füße kaum noch, als ich auf ihn zumarschierte und so dicht vor ihm stehen blieb, dass ich ihm die Sicht auf die Menge nahm. Die Frauen, die um ihn herumschwirrten, schienen mir meine Mordlust anzusehen, denn sie stoben auseinander wie Herbstlaub an einem windigen Tag.

Xavier trank einen ausgiebigen Schluck Tequila. »Erst Mykonos und jetzt das?« Ein lässiges Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Stalkst du mich etwa, Luna?«

»Wenn ich es täte, würdest du es mir zumindest leicht machen.« Ich hielt ihm mein Handy vor die Nase und zeigte Xavier das reißerische Foto, auf dem er mit einer hübschen Blondine auf seinem Schoß einen Shot kippte. Castillo-Erbe lässt Gala zu Ehren seines im Sterben liegenden Vaters sausen! »Wir hatten vereinbart, dass du keinen Fuß in einen Club setzen wirst, bis wir deinen beschädigten Ruf repariert haben, und dass du bis zum Ende der Gala bleibst. Das war unser Deal.«

»Nein, unser Deal war, dass ich bis zum Ende der Preisverleihung bleibe. Hab ich gemacht. Von der ganzen Veranstaltung war nie die Rede. Und was die Club-Sache betrifft …« Ein gleichgültiges Achselzucken. »Vielleicht hättest du das schriftlich festhalten sollen.«

Ich nahm ihm die Flasche aus der Hand, obwohl ich ihn eigentlich viel lieber am Kragen gepackt und durchgeschüttelt hätte. Aber ich war mir der vielen »unauffällig« auf uns gerichteten Kameras bewusst. Die Leute hielten sich für subtiler, als sie waren.

»Steh auf«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wir fahren zurück zum Hotel.« Wo ich dir in aller Ruhe ein bisschen Vernunft einbläuen kann.

Xavier ignorierte meine Aufforderung. »Wie war dein Rendezvous?« Er sah mir forschend ins Gesicht, dann ließ er den Blick an meinem Kleid hinunterwandern. Eine kleine Falte bildete sich zwischen seinen Brauen.

»Fantastisch.« Ich ließ ihn weiterhin in dem Glauben, dass ein Date der Grund für meinen vorzeitigen Aufbruch gewesen war. »Weit weniger fantastisch war hingegen Perry Wilsons neueste Meldung über dich.«

Ein seltsam zufriedenes Funkeln trat in seine Augen. »Hat sie deine Verabredung gestört?«, fragte er mit seidenweicher Stimme. »Wie bedauerlich.«

Ohne die Miene zu verziehen, machte ich einen Schritt nach vorn und trat ihm mit einem meiner höllisch spitzen Absätze auf den Fuß. Der Tisch schützte mich dabei vor unerwünschten Blicken, sodass mein Angriff aus der Entfernung nicht zu beobachten war.

Xaviers selbstgefälliger Ausdruck rutschte ihm aus dem Gesicht, als er es zu einer Grimasse verzog.

»Wenn du nicht in dreißig Sekunden aufgestanden bist, wirst du nicht nur einen Zeh verlieren, sondern außerdem noch ein wesentlich wichtigeres Körperteil.« Ich legte den Kopf schief und klopfte mit dem Finger gegen die Tequilaflasche. »Wusstest du, dass es im Internet praktisch für alles Tutorials gibt? Man findet sogar Anleitungen dafür, wie man einen Einbrecher mit gewöhnlichen Haushaltsgegenständen kastrieren kann.«

Er blinzelte noch nicht mal. »Lass mich raten. Du Streberin hast dir jedes Einzelne davon angeschaut.« Er lehnte sich in der Sitzbank zurück. »Entspann dich, Luna. Es ist Freitagabend. Zieh den Stock aus deinem Hintern, und amüsier dich ein bisschen.«

Ein Nerv zuckte unter meinem Auge. Schnapp nicht nach dem Köder. »Ich bin nicht hier, um mich zu amüsieren.« Es klang eher wie ein Knurren.

»Offensichtlich.« Er musterte mich abermals von oben bis unten. »Es ist eine Schande, dass du dein hübsches Kleid an einen solch langweiligen Abend verschwendest. Apropos – wie hat deine Verabredung reagiert, nachdem du früher als erwartet gehen musstest?«

»Einsichtig.« Ich trat noch fester auf seinen Fuß und lächelte ihn an, als er erneut das Gesicht verzog. »Da mein Abend ja so schrecklich langweilig ist, hätte ich tatsächlich größte Lust, ihn etwas unterhaltsamer zu gestalten. Natürlich kann ich nicht garantieren, dass sich meine Vorstellung von Spaß mit deiner deckt. Zumal deine Clique anwesend ist und die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass du dich bis auf die Knochen blamieren wirst.« Mein Lächeln schwand. »Verlass dich drauf, dass ich dich aus diesem Club schleifen werde wie einen ungezogenen Jungen, der einen Trotzanfall hat. Und nein, es macht mir nichts, dass ich die Suppe hinterher selbst auslöffeln muss. Diesen Preis bin ich gern bereit zu zahlen dafür, dass du dir diese Geschichte für den Rest deines Lebens von deinen Freunden wirst anhören können. Falls du darauf keinen Wert legst, solltest du jetzt besser aufstehen.«

Xavier lauschte meiner Tirade mit unbekümmerter Miene, bevor er gähnend auch den zweiten Arm auf die Lehne der Bank legte und dann einen vielsagenden Blick auf den Absatz warf, der sich in seinen fünftausend Dollar teuren Schuh bohrte.

»Ich kann nicht aufstehen, solange du meinen Fuß zerquetschst, Zuckerpuppe.«

Ich ließ ihn nicht aus den Augen, als ich ihn schließlich freigab. Seine plötzliche Gefügigkeit machte mich argwöhnisch.

Xavier richtete sich auf und musterte mich mit leicht belustigtem Blick. Trotz meiner Jimmy Choos überragte er mich um fast zehn Zentimeter.

Das gefiel mir ganz und gar nicht.

»Zu meiner Verteidigung möchte ich noch einmal betonen, dass ich meinen Teil der Abmachung eingehalten habe. Wie bereits gesagt, hatte ich mich lediglich dazu verpflichtet, während der Preisverleihung anwesend zu sein, und die war in dem Moment vorbei, als Eduardo seine Ansprache beendet hat. Zufälligerweise bist auch du zu diesem Zeitpunkt verschwunden. Also versuch gar nicht erst, die Sache als Rechtfertigung zu benutzen, um dich vor unserem Urlaub zu drücken.«

»Das ist Haarspalterei.«

»Mag sein«, räumte er in gedehntem Tonfall ein. »Aber es ist außerdem die Wahrheit.«

»Und was ist mit deinem Versprechen, keine Clubs zu besuchen, bis wir deinen Ruf wiederhergestellt haben?«

»Das ist er längst. Es gab seit Wochen keine peinliche Geschichte mehr über mich.« Schalk blitzte aus seinen Augen. »Du hast nie genauer erklärt, was du unter einem wiederhergestellten Ruf verstehst, Luna. Was kann ich dafür, dass deine Definition von meiner abweicht?«

Gott, der Kerl war unerträglich. Aber das Ärgerlichste war, dass er recht hatte. Allerdings würde ich mich eher vom Big Ben stürzen, als das zuzugeben.

»Jetzt halt die Klappe, und komm mit«, fauchte ich, weil mir dummerweise kein pfiffiger Konter einfallen wollte.

»Ja, Ma’am.« Seine Grübchen verspotteten mich. »Ich liebe es, wenn eine Frau das Kommando übernimmt.«

Ich ignorierte die sexuelle Anspielung und drehte mich auf dem Absatz um. Xavier folgte mir, ohne sich von seinen Leuten zu verabschieden.

Keine Ahnung, ob er es einfach satthatte, sich mit mir herumzustreiten, oder befürchtete, ich könnte meine Drohung, ihn bloßzustellen, wahrmachen – wobei ich Letzteres bezweifelte. Aber es spielte auch keine Rolle, was ihn zu seiner Kehrtwende veranlasst hatte, Hauptsache er tat, was ich sagte, und handelte sich keinen weiteren Ärger ein.

»Was hat es mit dem Armband auf sich?«, fragte er und deutete mit dem Kinn auf das Freundschaftsarmband an meinem Handgelenk, während wir mit dem Aufzug nach unten fuhren. »Auf der Gala hast du es noch nicht getragen.«

Ich verspannte mich. Nur meine engsten Freunde wussten von meinen Besuchen bei Pen, und Xavier würde ganz sicher nicht Teil dieses innersten Zirkels werden.

»Es ist ein Geschenk«, erklärte ich, ohne das näher auszuführen.

»Hmm.« Ein wissender Ausdruck flackerte über sein Gesicht. Dafür, dass er den ganzen Abend getrunken hatte, war er verblüffend aufmerksam.

Zum Glück ritt er nicht weiter auf dem Thema herum, sondern verfiel genau wie ich in Schweigen, während wir auf den Ausgang zusteuerten.

Allerdings hätte ich ahnen müssen, dass die Ruhe nicht lange anhalten würde.

»Ich habe eine neue Bedingung«, teilte er mir mit, als wir auf den Rücksitz eines Taxis glitten. »Sie lautet, dass du während unseres Urlaubs keine solche Spaßbremse bist.«

»Niemand zwingt dich, mich mitzunehmen«, erwiderte ich, ohne aufzusehen, weil ich gerade eine E-Mail bezüglich eines potenziellen neuen Kunden beantwortete – in New York war noch nicht Geschäftsschluss.

»Netter Versuch. Einerseits stalkst du mich, andererseits legst du anscheinend keinen gesteigerten Wert auf meine Gesellschaft.« Er presste mit gespielt gekränkter Miene die Hand auf die Brust. »Das tut mir echt in der Seele weh.«

»Es täte dir noch viel mehr weh, wenn dein Vater dir den Geldhahn zudrehen würde.«

Xavier würde nach dem Tod seines Vaters ein Milliardenvermögen erben. Bis dahin hielt er sich mit einer äußerst großzügig bemessenen jährlichen Zuwendung über Wasser, die ihm allerdings sofort gestrichen würde, falls er gegen eine der folgenden Konditionen verstieße. Erstens: Er musste mich als seine PR-Beraterin behalten. Zweitens: Er durfte sich nichts zuschulden kommen lassen, das den Ruf seiner Familie beschmutzen könnte.

Hinsichtlich der zweiten Bedingung waren ihm drei Verstöße gestattet, und aus unerfindlichen Gründen musste ich darüber entscheiden, wann der Fall X eintrat. Xavier war ausgerastet, als er davon erfahren hatte, doch mittlerweile hatte er sich schmollend damit abgefunden.

Ich missbrauchte meine Macht nicht, aber heute war ich kurz davor, eine zweite Verwarnung in seiner Akte zu vermerken. Die erste war der Skandal um seine Geburtstagsparty in Miami gewesen.

»Ja, kann sein.« Es klang gänzlich unbesorgt. »Unabhängig davon, darfst du das da nicht, wenn wir in Spanien sind.« Er deutete mit dem Kinn auf mein Handy.

»Was, meine E-Mails checken?«

»Genau. Es ist ja kein Urlaub, wenn du die ganze Zeit arbeitest.«

Ich schnaubte abfällig. »Falls du glaubst, dass ich mich eine ganze Woche nicht um meinen Job kümmere, bist du dümmer, als ich dachte. Ich leite eine Firma, Xavier, und wenn du willst, dass ich mitkomme, wirst du meine Regeln respektieren müssen.«

»Verstehe.« Er zog spöttisch eine Braue in die Höhe. »Ich hätte dich nie für eine Lügnerin gehalten, Sloane. Unsere Reise hat noch nicht mal begonnen, und du wirst jetzt schon wortbrüchig.«

Ebenso gut hätte er mir eine Ohrfeige verpassen können. »Wie bitte?«

Man hatte mich in meinem Leben schon vieles genannt, aber noch nie eine Lügnerin. Sicher, gelegentlich musste ich die Wahrheit ein wenig verbiegen – das ließ sich in meiner Branche nun mal nicht vermeiden –, aber wenn ich ein Versprechen abgab, dann hielt ich es ein. Ohne jede Ausnahme.

Das war einer der Gründe, warum ich mich überhaupt erst auf diesen idiotischen Deal eingelassen hatte. Ich hatte Pen versprochen gehabt, sie heute Abend zu besuchen, und das war nur realisierbar gewesen, wenn ich Xaviers Forderungen akzeptierte.

»Keine Arbeit, sondern ausschließlich Spaß«, sagte er. »Wenn ich mich recht erinnere, war das eine der Bedingungen, denen du zugestimmt hast. E-Mails gehören zu deiner Arbeit, was bedeutet, dass du unsere Vereinbarung nicht einhältst.«

Verdammter Mist, er hatte schon wieder recht. Ich hatte diesen Teil unserer Abmachung verdrängt – vermutlich, weil er einfach zu absurd war. Ich konnte unmöglich eine ganze Woche meine Nachrichten ignorieren, aber nicht zu meinem Wort zu stehen, kam auch nicht infrage.

»Wie wär’s mit einer Modifizierung?«, schlug ich mit gepresster Stimme vor. »Ich darf meine privaten E-Mails jederzeit checken und die, die meinen Job betreffen, zumindest an mein Team weiterleiten.«

Xavier kniff die Augen zusammen, doch nach ein paar Sekunden entspannten sich seine Gesichtszüge wieder, und er lächelte. »Einverstanden. Und jetzt …«