King of Greed - Ana Huang - E-Book

King of Greed E-Book

Ana Huang

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Beschreibung

Sie gehörte zu ihm - doch nun muss er ihr Herz erneut erobern

Einflussreich, brillant und erfolgreich - der Geschäftsmann Dominic Davenport hat sich seinen Weg von ganz unten an die Spitze der Wall Street hart erkämpft. Er hat alles: ein schönes Zuhause, mehr Geld, als er jemals ausgeben kann, und ist mit Alessandra Ferreira, der Liebe seines Lebens, verheiratet. Aber trotz all seiner Erfolge brennt der Ehrgeiz noch immer heiß in ihm. Ohne Unterlass arbeitet er, um seinen Reichtum weiter zu vermehren - und stößt dabei die Frau, für die er schon genug war, als er noch nichts besaß, von sich. Erst als sie ihn verlassen will, erkennt er, dass das Leben aus mehr besteht als Geld und Macht. Doch kann er ihr Herz zurückerobern?

»KING OF GREED ist pure Emotion. Die Geschichte ist voller Dramatik, Einsichten und Enthüllungen, die dafür sorgen, dass man das Buch nicht aus der Hand legen kann!« CURIOUS CHRONICLES REVIEWS

Band 3 der neuen Reihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Ana Huang

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Seitenzahl: 461

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Leser:innenhinweis

Playlist

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Ana Huang bei LYX

Leseprobe

Impressum

ANA HUANG

KING OF GREED

Roman

Ins Deutsche übertragen von Patricia Woitynek

ZU DIESEM BUCH

Seine eindrucksvolle Karriere bis ganz an die Spitze hat sich das einst ungewollte Pflegekind Dominic Davenport hart erkämpft. Ein luxuriöses Zuhause, eine wunderschöne Frau und mehr Geld, als er jemals ausgeben kann, machen den CEO eines führenden New Yorker Finanzkonglomerats zum König der Wall Street. Von geschäftlichem Ehrgeiz angetrieben, immer erfüllt von der Angst, alles zu verlieren und wieder da zu landen, wo er herkommt, arbeitet Dominic ohne Unterlass, um seinen Reichtum und Einfluss weiter zu vergrößern. Dabei vernachlässigt er die Frau, für die er schon genug war, als er noch nichts besaß. Alessandra Ferreira hat keinen offensichtlichen Grund, unglücklich zu sein. Als Ehefrau eines der mächtigsten Unternehmer New Yorks genießt sie Privilegien, von denen andere nur träumen können. Doch der Mann, in den sie sich zehn Jahre zuvor im College verliebte, der ihr Wildblumensträuße pflückte und ihr seine ganze Aufmerksamkeit schenkte, ist längst einem emotionslosen Geschäftsmann gewichen. Erst als die Scheidungspapiere auf dem Tisch liegen, erkennt Dominic, worin der wahre Wert seines Lebens besteht, und setzt alle Hebel in Bewegung, um Alessandras Herz erneut für sich zu gewinnen.

Seid euch eures Wertes immer bewusst, und gebt euch nie mit weniger zufrieden, als ihr verdient.

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

PLAYLIST

»Million Dollar Man« – Lana Del Rey

»Cold« – Maroon 5 feat. Future

»Same Old Love« – Selena Gomez

»Love Me Harder« – Ariana Grande & The Weeknd

»Unappreciated« – Cherish

»Just Give Me a Reason« – Pink feat. Nate Ruess

»Dancing with a Stranger« – Sam Smith & Normani

»Without You« – Mariah Carey

»Love don’t Cost a Thing« – Jennifer Lopez

»We Belong Together« – Mariah Carey

»Revival« – Selena Gomez

»Two Minds« – Nero

»Lose You to Love Me« – Selena Gomez

»Amor I Love You« – Marisa Monte

1

ALESSANDRA

Es gab einmal eine Zeit, da habe ich meinen Mann geliebt.

Ich liebte sein blendendes Aussehen, seinen Ehrgeiz und seine Intelligenz. Ich liebte die Wildblumen, die er nach einer Nachtschicht auf dem Heimweg für mich pflückte, und die zärtlichen Küsse, die er morgens auf meiner Schulter verteilte, wenn ich meinen Wecker hartnäckig überhörte.

Doch diese Zeit liegt schon lange zurück, und als ich ihn jetzt durch die Tür kommen sah, spürte ich dort, wo einst die Liebe wohnte, nur einen tiefen, dumpfen Schmerz.

»Du bist schon früh zu Hause«, bemerkte ich, obwohl es schon auf Mitternacht zuging. »Wie war dein Arbeitstag?«

»So wie immer.« Dominic streifte seinen Mantel ab, unter dem er einen eleganten grauen Anzug und ein blütenweißes Hemd trug – beides maßgeschneidert, beides preislich jeweils im vierstelligen Bereich. Nur das Beste vom Besten für Dominic Davenport, den sogenannten König der Wall Street.

Er küsste mich flüchtig auf den Mund. Ich fing seinen vertrauten Duft auf, eine Mischung aus Zitrusfrüchten und Sandelholz, und mein Herz zog sich zusammen. Er war diesem Eau de Cologne treu geblieben, seit ich es ihm vor zehn Jahren auf unserer ersten Brasilienreise geschenkt hatte. Es gab eine Zeit, da fand ich diesen Zug romantisch, aber mein neues, zynisches Ich flüsterte mir ein, dass er schlichtweg zu bequem war, um einen neuen Duft für sich zu entdecken.

Mein Mann verschwendete seine Energie nicht auf Dinge, die ihm kein Geld einbrachten.

Sein Blick wanderte über mit Lippenstiftabdrücken gemusterte Weingläser und die Pappbehälter vom chinesischen Lieferdienst. Unsere Haushälterin war im Urlaub, und ich hatte gerade aufräumen wollen, als Dominic heimkam.

»Hattest du Gäste?«, erkundigte er sich und klang dabei nur mäßig interessiert.

»Nur die Mädels.« Meine Freundinnen und ich hatten einen wichtigen finanziellen Meilenstein meines kleinen Trockenblumenhandels gefeiert, den ich vor knapp zwei Jahren gegründet hatte. Ich machte mir nicht die Mühe, Dominic von meinem Erfolg zu berichten. »Eigentlich wollten wir essen gehen, haben uns dann aber kurzfristig entschieden hierzubleiben.«

»Klingt nach einem netten Abend.« Er konzentrierte sich bereits wieder auf sein Handy. Da er es sich verbot, außerhalb des Büros E-Mails zu lesen, nahm ich an, dass er die asiatischen Aktienmärkte checkte. Ich spürte einen Kloß im Hals.

Mit den dunkelblonden Haaren, den tiefblauen Augen und den meist ernsten, perfekten Gesichtszügen war er immer noch so atemberaubend attraktiv wie an dem Tag, an dem ich ihn in der Bibliothek unseres Colleges zum ersten Mal sah. Er lächelte nicht oft, aber das mochte ich an ihm. Denn wenn er es tat, dann kam es aus vollem Herzen.

Wann hatte zuletzt einer von uns den anderen so angelächelt wie früher?

Wann hatte er mich zuletzt berührt? Nicht im Zusammenhang mit Sex, sondern als beiläufige Geste der Zuneigung?

Meine Kehle wurde noch enger, das Atmen fiel mir schwer. Ich schluckte und zwang meine Mundwinkel, sich zu heben. »Apropos Abendessen. Vergiss bitte nicht unseren Trip nach D. C. kommendes Wochenende. Ich habe für Freitagabend einen Tisch reserviert.«

»Das werde ich nicht.« Er tippte auf dem Display herum.

»Dom«, sagte ich mit fester Stimme. »Es ist wichtig.«

Im Lauf der Jahre hatte ich mich mit Dutzenden versäumten Rendezvous, abgesagten Reisen und gebrochenen Versprechen abfinden müssen, aber unser zehnter Hochzeitstag war etwas Besonderes. Da durfte er mich nicht enttäuschen.

Endlich schaute er hoch. »Ich gebe dir mein Wort darauf, dass ich es nicht vergessen werde.« Ich bemerkte ein fast unmerkliches Flackern in seinen Augen. »Kaum zu glauben, dass es schon zehn Jahre sind.«

»Ja, das stimmt.« Mir taten die Wangen weh von meinem gezwungenen Lächeln. Nach kurzem Zögern fügte ich hinzu: »Hast du Hunger? Ich könnte dir rasch etwas aufwärmen, während du mir von deinem Tag erzählst.«

Mein Mann besaß die schlechte Angewohnheit, nicht ans Essen zu denken, wenn er arbeitete. Wie ich ihn kannte, hatte er seit der Mittagspause außer Kaffee nichts mehr zu sich genommen. Am Anfang seiner Karriere hatte ich ihn regelmäßig im Büro besucht, um sicherzustellen, dass er etwas zu sich nahm, doch das gehörte ebenfalls der Vergangenheit an, seit Davenport Capital auf Erfolgskurs und Dominic beruflich zu stark eingespannt war.

»Nein, ich muss mich noch um einige Kundenbelange kümmern. Ich werde später eine Kleinigkeit essen.« Er sah wieder auf sein Handy, die Stirn in tiefe Falten gelegt.

»Aber …« Ich dachte, du wärst für heute mit der Arbeit fertig. Ist das nicht der Grund, warum du zu Hause bist?

Ich hielt mich mit einer Reaktion zurück. Es war sinnlos, Fragen zu stellen, auf die ich die Antwort längst kannte.

Für Dominic gab es keinen Feierabend. Sein Job war die anspruchsvollste Geliebte überhaupt.

»Warte nicht auf mich. Ich werde noch eine ganze Weile in meinem Büro sein.« Er hauchte mir einen Kuss auf die Wange, als er an mir vorbeiging. »Gute Nacht.«

»Gute Nacht«, erwiderte ich, aber er hatte den Raum bereits verlassen.

Meine Worte hallten in unserem prunkvollen, leeren Wohnzimmer wider. Zum ersten Mal seit Wochen war ich noch wach, als er heimkam, trotzdem hatte unser Gespräch geendet, ehe es richtig beginnen konnte.

Beschämenderweise traten mir Tränen in die Augen. Ich blinzelte sie weg. Was machte es schon, dass mir mein Ehemann vorkam wie ein Fremder? Manchmal, wenn ich mich im Spiegel betrachtete, war sogar ich selbst mir fremd.

Letztlich lief es doch darauf hinaus, dass ich mit einem der reichsten Männer an der Wall Street verheiratet war, in einem wunderschönen Penthouse lebte, für das die meisten Menschen einen Mord begehen würden, und ein kleines, aber florierendes Geschäft betrieb, das mich erfüllte. Es gab für mich keinen nachvollziehbaren Grund, traurig zu sein.

Also reiß dich zusammen.

Ich holte tief Luft, straffte die Schultern und räumte die fast leeren Essensbehälter vom Couchtisch. Als ich mit Aufräumen fertig war, hatte sich der Druck hinter meinen Augen verflüchtigt, als wäre er nie da gewesen.

2

DOMINIC

Es gab diese Redewendung, der zufolge negative Ereignisse stets in Dreierketten passierten, und wäre ich nicht ein erbitterter Gegner jedweden Aberglaubens gewesen, hätte ich den heutigen Scheißtag womöglich als ein Paradebeispiel dafür angesehen.

Als Erstes wurde heute Morgen durch eine lächerliche technische Störung unser E-Mail- und Kalendersystem zurückgesetzt, sodass wir Stunden darauf verschwenden mussten, alles wieder korrekt einzurichten.

Anschließend kündigte einer meiner Tophändler mit der Begründung, er sei »ausgebrannt« und habe seine »wahre Berufung« als – man glaubt es nicht – Yogalehrer gefunden.

Und jetzt, eine Stunde, bevor die amerikanischen Kapitalmärkte schließen würden, sickerte auch noch die Nachricht durch, dass ein Unternehmen, an dem Davenport Capital beträchtliche Anteile hielt, ins Visier der Börsenaufsicht geraten war. Die Kurse befanden sich im freien Fall, unsere Aktien verloren mit jeder Minute weiter an Wert, und mein Plan, heute früher nach Hause zu gehen, löste sich schneller in Wohlgefallen auf als ein Papiertaschentuch in einer Waschmaschine. Als CEO eines führenden Finanzkonglomerats konnte ich es mir nicht erlauben, andere mit dem Krisenmanagement zu betrauen.

»Nennen Sie mir sämtliche Fakten«, forderte ich Caroline, meine Stabschefin, auf, während ich von meinem Büro zu der Dringlichkeitssitzung hetzte, die drei Türen weiter stattfand. Ich hatte innerhalb weniger Minuten Millionen verloren und keine Zeit, um den heißen Brei herumzureden. Meine Muskeln waren extrem angespannt, und es grenzte an ein Wunder, dass ich keine Krämpfe bekam.

»Man munkelt, dass die Börsenaufsicht in diesem Fall schwere Geschütze auffährt.« Caroline passte sich meinem Tempo mühelos an. »Der neue Vorsitzende will einen triumphalen ersten Eindruck hinterlassen. Und wie könnte das besser gelingen als durch eine Machtprobe mit einer der größten Banken des Landes?«

Schöne Scheiße! Warum mussten Newcomer sich in ihrem ersten Jahr immer aufführen wie ein Elefant im Porzellanladen? Ich war mit dem alten Vorsitzenden gut klargekommen, aber sein Nachfolger entpuppte sich als ein ständiges Ärgernis, dabei hatte er den Posten seit gerade mal drei Monaten inne.

Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr, als ich die Tür zum Konferenzraum öffnete. Viertel nach drei. Um sechs sollte ich mit Alessandra nach D. C. fliegen. Wenn ich die Besprechung so kurz wie möglich halten und direkt zum Flughafen fahren würde, anstatt einen Zwischenstopp im Penthouse einzulegen, wie ursprünglich geplant, dann könnte ich es theoretisch immer noch schaffen.

Verdammter Mist. Ausgerechnet an meinem Hochzeitstag musste mir die Börsenaufsicht Ärger machen.

Ich nahm meinen Platz am Tischende ein und holte instinktiv und aus alter Gewohnheit mein Feuerzeug heraus. »Geben Sie mir die Zahlen.«

Jeder Gedanke an den geplanten Wochenendtrip verflüchtigte sich aus meinem Gehirn, als ich mein Feuerzeug an- und wieder ausschnippte, während mein Team darüber debattierte, ob es ratsamer wäre, unsere Anteile an der Bank zu verkaufen oder zu versuchen, dem Sturm zu trotzen. In Notfällen wie diesem blieb kein Raum für persönliche Bedenken, und das tröstliche Gewicht des schweren, silbernen Feuerzeugs in meiner Hand half mir dabei, mich auf das Problem zu fokussieren, anstatt mich von hinterhältigen Stimmen in meinem Kopf ablenken zu lassen.

Sie waren immer da und wollten mir einreden, dass ich nur eine schlechte Entscheidung davon entfernt sei, alles zu verlieren. Sie riefen mir ins Gedächtnis, dass ich für alle Zeiten die Zielscheibe des Spotts sein würde, ein in einer Pflegefamilie aufgewachsener Junge, der von seiner leiblichen Mutter im Stich gelassen worden war und zweimal die sechste Klasse wiederholen musste.

Ein »Problemschüler«, schimpften meine Lehrkräfte.

Ein »Volltrottel«, stichelten meine Klassenkameraden.

Ein »Faulpelz«, seufzte meine Schulberaterin.

Nie waren die Stimmen so laut wie in Krisensituationen. Ich regierte ein Multimilliarden-Dollar-Imperium, trotzdem begleitete mich auf Schritt und Tritt der Gedanke, dass ein drohender Crash wie ein Damoklesschwert über mir hing.

An. Aus. An. Aus. Der Rhythmus meines Schnippens entsprach dem zunehmend schneller werdenden Takt meines Herzschlags.

»Sir?«, drang Carolines Stimme durch das Summen in meinen Ohren. »Wie lautet Ihre Entscheidung?«

Ich blinzelte die lästigen Erinnerungen fort, die am Rand meines Bewusstseins lauerten. Mein Blick wurde wieder scharf und registrierte die ängstlichen, erwartungsvollen Gesichter meines Teams.

Jemand hatte in der letzten Minute eine Präsentation hochgeladen, obwohl ich schon häufig sehr deutlich gemacht hatte, dass ich Foliensätze hasste. Auf der rechten Seite stand eine beruhigende Kombination aus Tabellen und Zahlen, auf der linken Seite waren jedoch mehrere viel zu lange Stichpunkte aufgeführt.

Die Sätze verschwammen mir vor den Augen. Irgendetwas stimmte nicht damit. Ich war mir fast sicher, dass mein Gehirn einige Worte hinzufügte, während es gleichzeitig andere ausradierte. Mein Nacken wurde heiß, und mein Herz hämmerte so wild, als wollte es mir aus der Brust springen und die Worte mit einem Streich vom Bildschirm wischen.

»Was sagte ich in Bezug auf die Form einer Präsentation?« Ich konnte meine Stimme durch das Rauschen meines Blutes kaum hören. Es verstärkte sich mit jeder Sekunde, und nur mein Klammergriff um das Feuerzeug bewahrte mich davor, die Nerven zu verlieren. »Keine. Stichpunkte.«, stieß ich hervor.

Totenstille trat ein.

»E-es tut mir leid, Sir.« Die Analystin, die die Folien präsentierte, wurde so blass, dass ihre Haut fast durchscheinend wirkte. »Mein Assistent …«

»Ihr Assistent interessiert mich einen Scheiß.« Ich benahm mich wie ein Arsch, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, mich deswegen schlecht zu fühlen. Mein Magen rebellierte, und hinter meinen Schläfen bahnte sich eine Migräne an.

An. Aus. An. Aus.

Ich wandte den Kopf und richtete meine Aufmerksamkeit stattdessen auf die Tabellen. Dieser Fokuswechsel in Kombination mit dem leisen Klicken des Feuerzeugs beruhigte mich zumindest so weit, dass ich wieder fähig war, klar zu denken.

Die Börsenaufsicht. Einbrechende Aktienkurse. Was sollen wir mit unseren Anteilen tun?

Ich konnte zwar das Gefühl nicht ganz abschütteln, dass ich eines Tages im großen Stil versagen und alles verlieren würde, was ich mir aufgebaut hatte, aber dieser Tag war noch nicht heute.

Ich wusste, was zu tun war, und während ich meine Strategie darlegte, wie wir es schaffen konnten, an unseren Aktienpositionen festzuhalten, blendete ich sämtliche Stimmen in meinem Kopf aus – einschließlich der, die mich warnte, dass ich gerade etwas furchtbar Wichtiges vergaß.

3

ALESSANDRA

Er würde nicht kommen.

Ich spürte eisige Kälte auf meiner Haut, während ich im Wohnzimmer saß und zusah, wie die Minuten heruntertickten. Es war schon nach acht. Wir hätten vor zwei Stunden im Flugzeug nach D. C. sitzen sollen, aber ich hatte von Dominic nichts mehr gehört, seit er heute Morgen in die Firma gefahren war. All meine Anrufe waren auf der Mailbox gelandet, und ich weigerte mich, sein Büro zu kontaktieren wie eine Bittstellerin, die darum ersuchte, dass der große Dominic Davenport ihr einen Moment seiner kostbaren Zeit opferte.

Ich war seine Frau, verflixt noch mal. Ich sollte nicht gezwungen sein, ihm hinterherzutelefonieren und nach seinem Verbleib zu forschen. Andererseits musste man kein Genie sein, um zu wissen, was er gerade machte.

Arbeiten. Was sonst? Und das sogar an unserem zehnten Hochzeitstag, und obwohl ich ausdrücklich betont hatte, wie wichtig mir diese Reise war.

Endlich hatte ich einen triftigen Grund zu weinen, doch die Tränen wollten nicht fließen. Ich fühlte mich einfach nur … wie betäubt. Insgeheim hatte ich ja damit gerechnet, dass mein Mann den Trip vergessen oder verschieben würde. Und das war im Grunde das Traurigste an der Sache.

»Mrs Davenport!« Unsere Haushälterin Camila kam ins Zimmer, die Arme beladen mit frischer Wäsche. Sie war gestern Abend aus dem Urlaub zurückgekehrt und hatte den heutigen Tag damit verbracht, im Penthouse klar Schiff zu machen. »Müssten Sie nicht längst weg sein?«

»Doch.« Meine Stimme klang seltsam tonlos. »Aber ich fürchte, aus meinen Plänen für das Wochenende wird nichts.«

»Aber wieso …« Sie verstummte mitten im Satz, als ihr aufmerksamer Blick das Gepäck neben der Couch erfasste und dann meine Hände, deren Knöchel weiß waren, so fest umklammerte ich meine Knie. Ihr rundes, mütterliches Gesicht wurde weich vor Mitgefühl und Bedauern. »Oje. Na, wenn das so ist, werde ich Abendessen für Sie kochen. Wie wäre es mit Moqueca? Das ist doch Ihr Leibgericht, nicht wahr?«

Ironischerweise hatte die Haushälterin meiner Familie diesen Fischeintopf immer für mich zubereitet, wenn ich als Teenie Liebeskummer wegen eines Jungen gehabt hatte. Ich war zwar nicht hungrig, hatte aber nicht die Kraft, Einwände zu erheben.

»Danke, Camila.«

Sie eilte in die Küche, und ich versuchte, meine chaotischen Gedanken zu sortieren.

Soll ich sämtliche Reservierungen stornieren oder noch warten? Verspätet er sich nur, oder werden wir den Trip komplett abblasen? Will ich überhaupt noch mit Dominic verreisen?

Wir hatten geplant, das Wochenende in D. C. zu verbringen, der Stadt, in der wir uns seinerzeit kennengelernt und geheiratet hatten. Ich hatte alles akribisch ausgearbeitet. Dinner in dem Restaurant, wo wir unser erstes Date gehabt hatten. Eine Suite in einem schnuckeligen Boutique-Hotel. Telefone und Arbeit waren verboten. Dieses Wochenende sollte nur für uns sein, und ich hatte gehofft, dass es unsere in Auflösung begriffene Beziehung wieder festigen und wir uns neu ineinander verlieben würden.

Doch jetzt begriff ich, dass das unmöglich war, weil wir beide uns im Lauf der Zeit stark verändert hatten. Dominic war nicht mehr der Junge, der sich Dutzende Male am Papier schnitt, während er für meinen Geburtstag Origami-Versionen meiner Lieblingsblumen bastelte. Und ich war nicht mehr das Mädchen, das sich mit Sternchen in den Augen durchs Leben träumte.

»Ich habe noch nicht das Geld, um dir all die Blumen zu kaufen, die du verdienst«, sagte er und klang dabei so förmlich und ernst, dass ich unwillkürlich lächeln musste, weil sein Ton so gar nicht zu dem Gefäß voller farbenfroher Papierblüten in seinen Händen passte. »Darum habe ich sie selbst gemacht.«

Mir stockte der Atem. »Dom …«

Es mussten Hunderte sein. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie lange er dafür gebraucht hatte.

»Herzlichen Glückwunsch, amor.« Seine Lippen berührten meine in einem langen, süßen Kuss. »Eines Tages werde ich dir tausend echte Rosen kaufen. Das verspreche ich.«

Dieses Versprechen hatte er gehalten – und dafür seitdem unzählige andere gebrochen.

Endlich löste sich eine salzige Träne aus meinem Auge. Sie kullerte meine Wange hinunter und riss mich aus meiner Starre.

Ich stand auf und flüchtete mich, während mein Atem mit jedem Schritt flacher wurde, ins nächstgelegene Bad. Camila und das restliche Personal waren zu beschäftigt, um meinen lautlosen Zusammenbruch zu bemerken, aber ich ertrug den Gedanken nicht, einsam und allein im Wohnzimmer zu weinen, umgeben von Gepäckstücken, die nicht auf Reisen gehen würden, und von Hoffnungen, die zu oft zunichtegemacht worden waren, als dass sie immer wieder aufs Neue belebt werden konnten.

Du bist so unglaublich naiv.

Warum bloß hatte ich geglaubt, dass heute irgendetwas anders sein würde als sonst? Unser Jubiläum bedeutete Dominic vermutlich nicht mehr als jeder andere Tag.

Der dumpfe Schmerz wurde scharf wie eine Klinge, als ich die Badezimmertür hinter mir schloss. Ich betrachtete die Person, die mir aus dem Spiegel entgegenstarrte. Braune Haare, blaue Augen, gebräunte Haut. Ich sah aus wie immer, trotzdem erkannte ich mich kaum wieder. Mir war, als sähe ich eine Fremde mit meinem Gesicht.

Wo war die junge Frau geblieben, die sich hartnäckig gegen den mütterlichen Wunsch, sie möge eine Modelkarriere anstreben, gewehrt und stattdessen darauf bestanden hatte, aufs College zu gehen? Die Frau, die von kompromissloser Lebensfreude und unbändigem Optimismus erfüllt gewesen war? Diese Frau hatte einmal ihrem Freund den Laufpass gegeben, weil er nicht an ihren Geburtstag gedacht hatte, und sie würde niemals herumsitzen und auf einen Mann warten. Sie hatte Ziele und Träume gehabt, aber irgendwo entlang des Weges waren sie auf der Strecke geblieben, verschluckt vom unersättlichen Ehrgeiz ihres Ehemanns.

Ich war ihm nützlich, weil ich seine Bedürfnisse befriedigte, die richtigen Gäste zu Dinnerpartys einlud und lohnende Kontakte für ihn knüpfte. Ich hatte ihm jahrelang geholfen, seine Träume zu verwirklichen, und dabei lediglich als Mittel zum Zweck gedient, anstatt mein eigenes Leben zu gestalten.

Alessandra Ferreira war verschwunden, ersetzt durch Alessandra Davenport – Ehefrau, Gastgeberin, Mitglied der besseren Gesellschaft. Eine Frau, die sich ausschließlich über ihre Ehe mit dem Dominic Davenport definierte. Ich hatte die vergangenen zehn Jahre einzig und allein ihm gewidmet, und er machte sich noch nicht einmal die Mühe, mich anzurufen und mir mitzuteilen, dass er sich an unserem Hochzeitstag verspäten werde.

Da brachen alle Dämme.

Aus der einzelnen Träne wurden zwei, dann drei und schließlich eine ganze Flut. Ich sank zu Boden und weinte bitterlich. All meine aufgestauten Gefühle – der Kummer, die Enttäuschung, der Groll und die Traurigkeit – flossen in einer Welle des Schmerzes und der Wut aus mir heraus. Ich hatte über die Jahre so vieles in mich hineingefressen, dass ich fürchtete, in der Flut meiner Empfindungen zu ertrinken.

Als ich mir jetzt zum ersten Mal seit einer Ewigkeit erlaubte zu fühlen, überfiel mich eine glasklare Erkenntnis.

Ich konnte so nicht weitermachen.

Ich konnte nicht für den Rest meiner Tage in diesem Trott verharren und dabei vorgeben, glücklich zu sein. Es wurde Zeit, dass ich die Kontrolle über mein Leben zurückeroberte, auch wenn ich dafür mein jetziges aufgeben musste.

Ich fühlte mich wie ein leeres Gefäß, das in eine Million Stücke zersprungen war. Sie aufzusammeln, würde zu sehr schmerzen.

Mein Schluchzen nahm allmählich ab, bis die Tränen vollständig versiegten. Ohne noch länger nachzudenken, erhob ich mich von dem kalten, harten Fliesenboden und trat in den Flur. Obwohl die Wohnung das ganze Jahr auf angenehme zweiundzwanzig Grad Celsius temperiert war, zitterte ich leicht am ganzen Körper, während ich im Schlafzimmer zusammensuchte, was ich noch brauchte. Das Nötigste wartete ja ohnehin schon fertig gepackt im Wohnzimmer.

Ich gestattete mir nicht, nachzudenken. Wenn ich es täte, würde ich den Mut verlieren, und das durfte nicht passieren.

Ich schloss die Finger um den Griff meines Koffers, dabei fiel mein Blick auf meinen Ehering. Er funkelte mich an, als wollte er mich anflehen, es mir noch einmal anders zu überlegen.

Wieder spürte ich einen schmerzhaften Stich in der Brust und wäre fast eingeknickt, doch dann biss ich die Zähne zusammen, zog den Ring von meinem Finger und legte ihn neben Dominics und mein Hochzeitsfoto auf den Kaminsims.

Anschließend tat ich, was ich schon vor langer Zeit hätte tun sollen.

Ich ging.

4

DOMINIC

»Ále!« Meine Stimme hallte durch die Wohnung. »Ich bin zu Hause.«

Stille.

Ich runzelte die Stirn. Normalerweise hielt Alessandra sich im Wohnzimmer auf, bis es Zeit fürs Bett war, und so früh ging sie nie schlafen. Die erste Krisensitzung im Büro hatte eine zweite nach sich gezogen, als mehrere Anleger anriefen, die wegen der fallenden Aktienkurse in Panik geraten waren. Trotzdem war es erst halb neun. Meine Frau sollte hier sein, es sei denn, sie wäre mit ihren Freundinnen ausgegangen.

Ich hängte meinen Mantel an den Garderobenständer aus Bronze, der einem Baum nachempfunden war, und lockerte meine Krawatte. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte, aber wegen des Adrenalinschubs, den mir der heutige Arbeitstag beschert hatte, fiel es mir schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.

Als Alessandra das erste Mal mit Vivian um die Häuser gezogen war, ohne mich vorzuwarnen, hätte ich fast einen Herzinfarkt erlitten. Ich war früh nach Hause gekommen, hatte sie nicht in der Wohnung angetroffen und mir sofort das Schlimmste ausgemalt. Ich hatte jede einzelne Person von meiner Kontaktliste angerufen, bis meine Frau sich dann endlich gemeldet und mir versichert hatte, dass es ihr gut gehe.

Ich zog mein Handy heraus, als mir im selben Moment wieder einfiel, dass der Akku seit dem Nachmittag leer war. Wegen des ganzen Chaos hatte ich nicht die Zeit gefunden, es aufzuladen.

Verdammter Mist.

»Ále!«, rief ich erneut. »Wo bist du, amor?«

Noch immer keine Reaktion.

Ich durchquerte das Wohnzimmer und stieg die Treppe hinauf. Für vierzig Millionen Dollar bekam man sogar in Manhattan eine Bleibe mit diversen Vorzügen, wie zum Beispiel elfhundert Quadratmeter auf zwei Etagen verteilt, einen privaten Aufzug und einen Panoramablick über den Hudson River im Süden, die George-Washington-Brücke im Norden und New Jersey im Westen.

All dem schenkte ich kaum jemals Beachtung. Wir würden nicht für immer hier wohnen. Tatsächlich hatte ich schon ein noch größeres und teureres Penthouse im Visier, das sich derzeit unter Federführung der Archer Group in der Entwicklungsphase befand. Es spielte keine Rolle, dass ich nur einen Bruchteil meiner Zeit daheim verbrachte. Eine Immobilie war ein Statussymbol, und wenn sie nicht das Beste vom Besten war, hatte ich kein Interesse daran.

In der Erwartung, Alessandra entweder im Bett oder mit einem Buch in der Sitzecke vorzufinden, öffnete ich die Tür zum Hauptschlafzimmer. Es war ebenso verwaist wie der Wohnbereich.

Mein Blick fiel auf den Koffer neben dem Kleiderschrank. Es war der, den ich in der Regel für Kurztrips benutzte. Warum …

Mein Blut gefror zu Eis.

D. C. Hochzeitstag. Achtzehn Uhr. Kein Wunder, dass schon den ganzen Abend diese ungute Ahnung auf mir lastete. Ich hatte unseren verdammten Hochzeitstag vergessen.

»Scheiße.« Ich holte erneut mein Handy heraus, bevor ich mich wieder daran erinnerte, dass der Akku leer war.

Ich stieß eine Salve von Verwünschungen aus und riss auf der Suche nach einem Ladekabel mehrere Schubladen heraus, während ich im Kopf unser Gespräch am Mittwochabend Revue passieren ließ.

Dom. Es ist wichtig.

Ich gebe dir mein Wort darauf, dass ich es nicht vergessen werde.

Mein Magen krampfte sich auf unheilvolle Weise zusammen. Ich hatte schon früher Verabredungen versäumt – darauf war ich nicht stolz, aber kurzfristige Notfälle waren in meinem Beruf an der Tagesordnung, und Alessandra hatte sich bisher immer verständnisvoll gezeigt. Doch ich hatte das Gefühl, dass es dieses Mal anders war, und zwar nicht nur, weil es um unseren Hochzeitstag ging.

Endlich fand ich ein Kabel und steckte mein Handy ein. Es dauerte ewig, bis es genügend Saft hatte und zum Leben erwachte.

Zwischen siebzehn und zwanzig Uhr hatte ich sechs Anrufe von Alessandra verpasst. Danach Funkstille.

Als ich versuchte, sie zurückzurufen, sprang sofort die Mailbox an. Während ich nur mühsam einen weiteren Fluch unterdrückte, beschloss ich, es stattdessen bei ihren Freundinnen zu probieren. Zwar hatte ich deren Nummern nicht, doch zum Glück kannte ich jemanden, der mir weiterhelfen konnte.

»Hier ist Dominic«, sagte ich brüsk, als Dante ranging. »Ist Vivian da? Ich muss sie sprechen.«

»Dir auch einen guten Abend«, erwiderte er in gedehntem Tonfall. Dante Russo war ein Freund und langjähriger Kunde von mir, der CEO des weltweit größten Luxusgüterkonzerns und außerdem mit Vivian verheiratet. Sie und Alessandra hatten im Lauf des letzten Jahres ein ziemlich enges Band geknüpft, wenn also jemand wusste, wo meine Frau steckte, dann Vivian. »Würdest du mir freundlicherweise erklären, warum du sie an einem Freitagabend um diese Uhrzeit sprechen musst?«

Ein misstrauischer Unterton lag in seiner Stimme. Dante hatte im Hinblick auf seine bessere Hälfte einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, was recht ironisch war, wenn man bedachte, dass er Vivian ursprünglich gar nicht heiraten wollte, nachdem sie sich verlobt hatten.

»Es geht um Alessandra.« Nähere Details gab ich nicht preis. Meine Ehe ging ihn einen feuchten Kehricht an.

»Bleib dran«, entgegnete er nach einer kurzen Pause.

»Hallo?«, meldete sich Vivian wenige Sekunden später mit ihrer vornehmen, wohlklingenden Stimme.

Ich hielt mich nicht mit Begrüßungsfloskeln auf, sondern kam direkt zum Punkt. »Ist Alessandra bei dir?« Sollte sie mich ruhig für unhöflich halten. Ich wollte meine Frau finden, mehr interessierte mich nicht. Es war spät, sie war aufgebracht und die Stadt voller zwielichtiger Gestalten. Vielleicht hatte sie sich verletzt oder verlaufen.

Erneut krampfte sich mein Magen schmerzhaft zusammen.

»Nein«, antwortete Vivian nach viel zu langem Zögern. »Warum fragst du?«

»Sie ist nicht zu Hause, und es sieht ihr nicht ähnlich, um diese Uhrzeit noch unterwegs zu sein.«

Von unserem Hochzeitstag sagte ich nichts. Wie bereits erwähnt, ging unsere Ehe nur Alessandra und mich etwas an.

»Vielleicht ist sie ja mit Isabella oder Sloane zusammen.«

Sie sprach von Alessandras anderen Freundinnen. Ich kannte die beiden nicht so gut wie Vivian, aber das war egal. Ich würde mich sogar an die verdammte Katze wenden, die regelmäßig in der Lobby des Gebäudes ein Nickerchen hielt, wenn die Chance bestünde, dass sie etwas über Alessandras Verbleib wüsste.

Leider hatten Isabella und Sloane auch keine Ahnung, wo meine Frau sein könnte, und als ich es nach meinen Telefonaten mit ihnen erneut auf Alessandras Handy versuchte, landete ich ein weiteres Mal nur auf der Mailbox.

Verdammt noch mal, Ále, wo steckst du?

Ich lief die Treppe wieder hinunter und wäre fast mit Camila zusammengestoßen.

»Mr Davenport!« Sie schaute mich aus großen Augen an. Ich hatte ganz vergessen, dass sie aus dem Urlaub zurück war. »Willkommen …«

»Wo ist sie?«

»Wer?«

»Meine Frau«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich hörte mich an wie eine kaputte Schallplatte, aber Camila musste hier gewesen sein, als Alessandra die Wohnung verließ.

»Ah. Nun ja, Mrs Davenport war wegen des verpassten Flugs ziemlich aufgebracht.« Ihre geschürzten Lippen ließen keinen Zweifel daran, was sie von meiner Unzuverlässigkeit hielt. »Ich habe ihr Lieblingsessen gekocht, um sie aufzumuntern, aber als ich aus der Küche kam, war sie bereits weg.«

»Sie haben nicht mitbekommen, wann sie gegangen ist?« Meine Stimme war kalt und ausdruckslos.

»Nein.« Ihre Augen huschten nach rechts und nach links.

Ich mochte Camila. Sie war kompetent und diskret, und Alessandra schätzte von unseren Hausangestellten niemanden so sehr wie sie. Aber falls sie mir etwas verheimlichte und Alessandra deshalb zu Schaden käme …

»Ich frage Sie jetzt noch ein letztes Mal.« Mein Ton war bedrohlich ruhig, und ich konnte die Worte selbst kaum verstehen, so laut rauschte das Blut in meinen Ohren. »Wo ist meine Frau?«

Camila schluckte schwer, sie war sichtlich nervös. »Ich weiß es ehrlich nicht, Sir. Wie ich schon sagte, war sie fort, als ich aus der Küche kam. Ich machte mich auf die Suche nach ihr und dabei fand ich …«, sie fasste in ihre Rocktasche, »den hier auf dem Kaminsims.«

Ein mir nur allzu bekanntes Schmuckstück funkelte in ihrer Handfläche: Alessandras mit einem Diamanten besetzter Ehering.

Mich überrollte eine Welle der Übelkeit.

»Ich wollte ihn ins Schlafzimmer legen, aber …«

»Wann haben Sie ihn gefunden?«

»Vor etwa einer halben Stunde.«

Sie hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, als ich mir den Ring schnappte und an Camila vorbei zum Aufzug stürmte. Mein Puls raste vor Furcht, Panik und noch etwas anderem, das ich nicht benennen konnte.

Eine halbe Stunde. Inzwischen war es neun, und Alessandra hatte um acht zuletzt versucht, mich zu erreichen. Weit konnte sie also noch nicht sein.

Ich schloss die Finger so fest um den Ring, dass der Diamant schmerzhaft in meine Handfläche schnitt. Alessandra hätte ihn niemals abgelegt, außer …

Nein. Sie war wütend, und dazu hatte sie jedes Recht. Aber sobald ich sie aufgespürt und ihr die Sache erklärt hätte, würde alles wieder seinen gewohnten Gang gehen. Meine Frau war der verständnisvollste Mensch, den ich kannte. Sie würde mir vergeben.

Alles wird gut. Das musste es. Eine andere Option gab es nicht.

5

ALESSANDRA

Anstatt mich bei einer meiner Freundinnen einzuquartieren, checkte ich in einem Hotel ein und zahlte für eine Woche im Voraus in bar. Ich wollte nicht, dass Dominic meinen Aufenthaltsort über meine Kreditkarte herausfand. Zum Glück verfügte ich dank Floria Designs über eigenes Geld. Außerdem hatte ich bei Gründung meines Geschäfts die Weitsicht besessen, für Notfälle einen gewissen Betrag in Banknoten daheim zu bunkern. Es war genug, um die Kosten für das Zimmer abzudecken und mich über Wasser zu halten, während ich mir überlegte, wie es nun weitergehen sollte.

War es feige von mir, ohne ein Wort zu verschwinden? Ja, vermutlich. Aber ich brauchte Zeit, um in Ruhe nachzudenken, was auch der Grund dafür war, warum ich meinen Freundinnen nicht sofort Bescheid gesagt hatte.

Ich hatte mein Handy gleich nach meiner Flucht aus dem Penthouse ausgeschaltet und beließ es dabei, während ich auspackte, duschte und die vergangenen Stunden samt dem quälenden Schmerz in meiner Brust auszublenden versuchte.

»Dom!«, protestierte ich lachend, als er die Dusche betrat und mir von hinten die Arme um die Taille schlang. »Du solltest doch beim Zimmerservice unser Essen bestellen.«

»Ist erledigt.« Er strich mit den Lippen über meine Schulter und an meinem Hals entlang. Trotz des warmen Dampfs im Bad bekam ich eine Gänsehaut. »Aber ich habe beschlossen, mit dem Dessert anzufangen.«

»Undwennichdamitnichteinverstandenbin,sondernlieberdieklassischeReihenfolgeeinhaltenmöchte?«,neckteichihn.»NichtjederMenschistdazugeschaffen,dieRegelnzubrechen.«

»In dem Fall …« Dominic küsste meinen Mundwinkel, während seine eine Hand meine Brust umfing und die andere langsam zwischen meine Beine glitt. Verlangen flutete meinen Körper, und ich konnte mir ein leises Stöhnen nicht verkneifen. »Werde ich wohl einen Weg finden müssen, um dich zu überzeugen.«

Ich schloss die Augen, und das warme Wasser spülte meine Tränen fort. Obwohl gefühlt Lichtjahre zwischen unserem ersten Wochenendtrip als Paar und dem Heute lagen, konnte ich seine kraftvolle Umarmung beinahe immer noch spüren. Wir hatten uns damals zweimal unter der Dusche geliebt. Unterdessen war unser Essen eingetroffen und kalt geworden, doch das hatte uns nicht gestört. Wir hatten es genossen, als käme es frisch aus der Küche.

Ich blieb sehr lange unter der Dusche und gab mich dem warmen Wasser auf meiner Haut und dem Aufruhr meiner Gefühle hin. Anschließend ging ich zu Bett und schlief ein, kaum dass mein Kopf das Kissen berührte.

Am nächsten Morgen schaltete ich mein Handy an, und es meldete Dutzende verpasste Anrufe sowie Text- und Sprachnachrichten von meinen Freundinnen und Dominic. Anscheinend hatte er sie kontaktiert, als er bei seiner Heimkehr feststellen musste, dass ich spurlos verschwunden war.

Ich schickte eine kurze Nachricht in meinen Gruppenchat mit Vivian, Isabella und Sloane, um sie wissen zu lassen, dass mit mir alles okay war, bevor ich tief Luft holte und Dominics Sprachnachrichten abhörte.

Der Klang seiner Stimme, die von Mitteilung zu Mitteilung panischer wurde, versetzte mir einen Stich ins Herz.

Dominic: Wo bist du?

Dominic: Ále, das ist nicht witzig.

Dominic: Es tut mir leid, dass wir unseren Flieger verpasst haben. In der Firma gab’s ein Problem, um das ich mich kümmern musste. Wir können das Wochenende trotzdem noch in D. C. verbringen.

Dominic: Verdammt noch mal, Alessandra. Ich verstehe, dass du sauer bist, aber lass mich doch wenigstens wissen, dass es dir gut geht. Ich habe keine … Verdammt!

Seine Flüche mischten sich mit dem unverwechselbaren Trommeln von Regentropfen auf Asphalt im Hintergrund. Laut Zeitstempel hatte er die Nachricht um drei Uhr neunundzwanzig hinterlassen. Was um alles in der Welt hatte er so spät noch draußen gemacht?

Nach dir gesucht.

Ich verbannte den Gedanken sofort aus meinem Kopf. Zum Teil, weil ich nicht glaubte, dass der neue Dominic so etwas tun würde, aber vor allem weil die Vorstellung, es könnte so sein, zu schmerzhaft war.

Seine letzte Nachricht war vor zwei Stunden eingegangen, um sechs Uhr dreiundzwanzig.

Dominic: Bitte melde dich.

Die Enge in meiner Brust wurde unerträglich. Einerseits war ich noch nicht bereit, ihm gegenüberzutreten, andererseits hatte der Schlaf den emotionalen Nebel aus meinem Kopf vertrieben, und die Verzweiflung in Dominics Stimme ließ mich meinen Vorsatz, ihm aus dem Weg zu gehen, bis ich einen Plan gefasst hatte, noch einmal überdenken. Es war besser, mich mit ihm zu treffen und das Pflaster, bildlich gesprochen, mit einem schmerzhaften Ruck abzuziehen, anstatt die Ungewissheit zu ertragen.

Ich rief ihn an. »Hotel Violet. Lower East Side«, teilte ich ihm mit und legte auf, ehe er die Chance hatte, etwas zu erwidern.

Mein Magen verkrampfte sich vor Nervosität, und obwohl ich gestern Abend nichts zu mir genommen hatte, wurde mir schlecht, wenn ich nur an Essen dachte. Trotzdem würgte ich ein bisschen Studentenfutter aus der Minibar hinunter. Ich würde die Energie brauchen, denn es gab nichts, das mein Mann besser beherrschte, als seine Mitmenschen in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken.

Ich stellte meine Entscheidung schon jetzt infrage. Bei Tageslicht betrachtet, kam mir mein Ringfinger unerträglich nackt vor und mein Entschluss zu gehen schrecklich überstürzt.

Vielleicht hätte ich lieber abwarten und mit ihm sprechen sollen, anstatt einfach abzutauchen. Was, wenn …

Jemand klopfte an die Tür.

Wieder zog sich mein Bauch zusammen. Plötzlich bereute ich es, dass ich ihm meinen Aufenthaltsort verraten hatte, aber jetzt war es zu spät.

Zieh das Pflaster ab. Bring es hinter dich.

Auch wenn ich mir gut zuredete, hätte mich nichts auf den Anblick vorbereiten können, der sich mir bot, als ich die Tür öffnete.

»Oh, mein Gott«, keuchte ich, bevor ich mich beherrschen konnte.

Dominic sah völlig abgekämpft aus. Sein Haar war zerzaust, sein Hemd total verknittert, und unter seinen Augen lagen dunkle Schatten der Erschöpfung. Die Klamotten klebten ihm am Leib, und seine normalerweise makellosen Schuhe erweckten den Anschein, als hätten sie einen Querfeldeinhindernisparcours absolviert.

»Was …?« Ich bekam nicht die Gelegenheit, die Frage zu Ende zu stellen, weil Dominic meine Arme fasste und mich von Kopf bis Fuß inspizierte.

»Du bist unverletzt.« Seine Erleichterung war nicht zu überhören. Seine Stimme klang so rau und heiser, als würde er sich gerade von einer schweren Erkältung erholen oder als hätte er seine Stimmbänder überstrapaziert.

»Es geht mir gut.« Zumindest körperlich. »Warum bist du klatschnass?«

Er tropfte den ganzen Boden voll. Trotzdem zog ich ihn kurzerhand ins Zimmer und schloss die Tür, um nicht zu riskieren, dass jemand uns sah oder belauschte. Manhattan war ein Mikrokosmos, und in unseren Kreisen gab es immer jemanden, der jemanden kannte.

»Ich wurde vom Regen überrascht.« Dominics Blick wanderte durch den Raum, bevor er an meinem offenen Koffer hängen blieb. »Und es ist schwierig, um vier Uhr morgens Pfützen zu erkennen.«

»Warum um Himmels willen bist du mitten in der Nacht durch die Stadt spaziert?«

Er schaute wieder zu mir her, in seinen Augen ein ungläubiger Ausdruck. »Ich komme von der Arbeit heim, meine Frau ist verschwunden und ihr Ehering in der Tasche unserer Haushälterin. Sie geht nicht ans Handy, und keine ihrer Freundinnen weiß, wo sie sein könnte. Ich befürchtete, dass dir …« Er holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. »Ich hab deine Lieblingsorte in der Stadt abgeklappert, bis mir klar wurde, dass sie so spät am Abend natürlich alle schon geschlossen haben. Also habe ich mein Sicherheitsteam beauftragt, die Stadt nach dir zu durchkämmen, während ich gezielt in deinem Lieblingsviertel gesucht habe. Nur für den Fall. Ich wusste nicht …«

Mir stockte der Atem bei der Vorstellung, dass Dominic im strömenden Regen durch die nächtlichen Straßen gelaufen war, um nach mir Ausschau zu halten. Diese Reaktion war so unvereinbar mit dem kalten, desinteressierten Mann, in den er sich verwandelt hatte, dass es eher nach einer Märchengeschichte als nach der Wahrheit klang.

Aber ich hatte den Beweis vor mir, und wieder breitete sich ein heftiger Schmerz in meiner Brust aus.

Hätte er sich doch bloß in den vergangenen Jahren so sehr um mich bemüht. Warum war es nötig gewesen, ihn zu verlassen, damit der Mann wieder zum Vorschein kam, in den ich mich einst verliebt hatte?

»Wann bist du nach Hause gekommen?«, erkundigte ich mich leise.

Sein Wangen färbten sich dunkelrot. »Um halb neun.«

Zweieinhalb Stunden nach unserer geplanten Abflugzeit. Hatte er unseren Hochzeitstag vergessen oder sich zwar erinnert, ihn jedoch trotzdem ignoriert? Ich wusste nicht, was schlimmer wäre, aber das spielte auch keine Rolle. Das Endresultat war dasselbe.

»Ich wollte den Flieger nicht verpassen«, fügte er hinzu. »Leider gab es einen Notfall im Büro. Frag Caroline. Die Börsenaufsicht …«

»Genau darum geht es.« Meine Besorgnis wich einem vertrauten Gefühl der Erschöpfung. Nicht der Art, die man nach einer schlaflosen Nacht verspürt, sondern die sich einstellt, wenn man jahrelang ständig dieselbe Ausrede zu hören bekommt. »Irgendeinen Notfall gibt es immer. Wenn es nicht die Börsenaufsicht ist, dann sind es die Aktienkurse oder irgendein Skandal, der die Firma betrifft. Ganz gleich, um welches Problem es sich handelt, es hat Vorrang vor allem anderen. Vor mir. Vor uns.«

Seine Kiefermuskeln arbeiteten. »Ich kann solche Dinge nicht ignorieren«, verteidigte er sich. »Menschen verlassen sich auf mich. Meine Belegschaft. Die Investoren. An meinen Entscheidungen hängen Unsummen von Geld.«

»Was ist mit mir? Bin ich kein Mensch?«

»Doch natürlich.« Es klang perplex.

»Und wenn ich mich nun darauf verlassen habe, dass du pünktlich heimkommst, so wie du es versprochen hattest?« Meine Kehle war wie zugeschnürt. »War das weniger wichtig als ein Multimilliarden-Dollar-Unternehmen, in dem vermutlich auch dann alles seinen geregelten Gang gegangen wäre, wenn du dir ein Wochenende freigenommen hättest?«

Angespannte Stille hüllte uns ein, bis er endlich antwortete.

»Erinnerst du dich an unser letztes Jahr auf dem College?« Er taxierte mich mit einem sengenden Blick. »Wir sahen uns kaum außerhalb des Unterrichts, weil ich drei Jobs hatte, um wenigstens die grundlegenden Lebenshaltungskosten stemmen zu können. Wir haben bei unseren Dates Instant-Ramen-Suppen gegessen, weil ich es mir nicht leisten konnte, dich in nette Restaurants einzuladen. Es war ein Elend, und ich habe mir geschworen, dass ich nie wieder in eine solche Situation geraten würde, sobald ich es erst mal da herausgeschafft hätte. Wir beide nicht. Und das ist auch nicht passiert.«

Er gestikulierte zwischen uns hin und her. »Sieh uns heute an. Wir haben alles, was wir uns je erträumt hatten, aber diesen Standard können wir nur halten, indem ich meinen Job erledige. Falls nicht, werden wir all das verlieren – das Penthouse, die Designerkleidung, den Schmuck …«

»Was habe ich denn davon, wenn ich dich nie zu Gesicht bekomme?« Ich ließ meiner Frustration jetzt freien Lauf. »Ich brauche keine Luxuswohnung, keinen Privatjet. Ich hätte lieber einen Ehemann. Und zwar einen richtigen, der nicht nur auf dem Papier existiert.«

Vielleicht konnte ich seine Einstellung nur deshalb nicht nachvollziehen, weil ich aus einer wohlhabenden Familie stammte. Im Gegensatz zu mir hatte Dominic gewaltige Hürden überwinden müssen, um dorthin zu gelangen, wo er jetzt war. Und vermutlich hatte ich zu wenig Einblick, um die Risiken einschätzen zu können, denen ein Wall-Street-Broker tagtäglich ausgesetzt war. Was nichts daran änderte, dass es mich tausendmal glücklicher gemacht hatte, in seiner Studentenbude Nudelsuppe zu essen, als ich es je auf einer exklusiven Gala war, mit teurem Schmuck behängt und einem aufgesetzten Lächeln im Gesicht.

Dominics Augen verdunkelten sich. »So einfach ist das nicht. Ich habe keine reichen Eltern, die mir Rückhalt geben, wenn es brennt, Ále«, sagte er schroff. »Die ganze Verantwortung lastet allein auf meinen Schultern.«

»Das kann schon sein. Aber du bist Dominic Davenport. Ein Milliardär! Du kannst es dir erlauben, mal zwei Tage Pause zu machen. Selbst wenn du dich noch in dieser Minute zur Ruhe setzen würdest, hättest du genug Geld, um für den Rest deiner Tage in Saus und Braus zu leben!«

Seine sture Miene verriet mir, dass er es einfach nicht verstand.

Der Kampfgeist verließ mich, ich spürte die Erschöpfung noch viel stärker als zuvor. »Es war unser zehnter Hochzeitstag«, flüsterte ich.

Dominics Kehlkopf bewegte sich auf und ab, so schwer musste er schlucken. »Wir könnten uns jetzt sofort auf den Weg machen. Uns bleibt immer noch das restliche Wochenende, um unser Jubiläum so zu feiern, wie wir es geplant hatten.«

Ich konnte mir den Mund fusselig reden, er würde trotzdem nicht kapieren, worüber ich mich so sehr aufregte. Es ging mir nicht um den verpassten Flug oder die Tischreservierung, sondern um die Kluft, die sich zwischen uns auftat, wenn es um unsere Werte ging und darum, was uns in einer Beziehung wichtig war. Ich wollte schöne, gemeinsam verbrachte Stunden und gute Gespräche, wohingegen Dominic glaubte, dass Reichtum alles aufwog.

Er war immer ehrgeizig gewesen, aber früher dachte ich, dass er irgendwann an den Punkt kommen würde, wo er zufrieden wäre mit dem, was er erreicht hatte. Inzwischen war mir klar, dass es diesen Punkt nicht gab. Er würde nie genug haben. Je mehr Geld, Prestige und Macht er sich verdiente, desto gieriger wurde er, und das ohne Rücksicht auf Verluste.

Ich schüttelte langsam den Kopf. »Nein.«

Beim Aufwachen heute Morgen hatte ich keinen Plan gehabt. Doch jetzt sah ich ihn völlig klar vor mir.

Und ich musste die Sache durchziehen, selbst wenn es mich umbringen würde und es viel einfacher wäre, in Dominics Arme zu sinken und mich an der Erinnerung an unsere frühere Beziehung festzuklammern. Schon jetzt war ich nur noch ein Schatten meiner selbst. Ich musste die Flucht ergreifen, solange ich noch konnte, andernfalls würde ich zu Staub zerfallen, wäre ich nicht mehr als ein Symbol für vergeudete Zeit und nicht verwirklichte Träume.

Der verstockte Ausdruck verschwand aus Dominics Augen, und er sah mich verwirrt an. »Dann komm mit mir nach Hause. Dort können wir über alles sprechen.«

Ich schüttelte abermals den Kopf und versuchte trotz der Nadeln, die sich in mein Herz bohrten, gleichmäßig zu atmen. »Ich werde nicht zu dir zurückkehren.«

Er wurde regungslos, seine Miene ungläubig, als ihm die Erkenntnis dämmerte. »Ále …«

»Ich will die Scheidung.«

6

DOMINIC

Ich will die Scheidung.

Die Worte waberten wie eine giftige Wolke um uns herum. Theoretisch wusste ich, was sie bedeuteten, trotzdem ergaben sie keinen Sinn.

Eine Scheidung hieß, dass wir uns trennen würden, und das war völlig ausgeschlossen. So was passierte anderen Paaren, aber doch nicht uns.

Alessandras Ehering brannte ein Loch in meine Hosentasche.

»Nicht zu fassen, dass ich eine Frau geheiratet habe, die auf Pfefferminzeis mit Schokosplittern steht«, bemerkte ich, als sie genüsslich eine Portion ihrer Lieblingseissorte verspeiste. »Dir ist bewusst, dass du ebenso gut Zahnpasta essen könntest?«

»Wenn sie so lecker schmeckt wie das hier.« Ihr verschmitztes Lächeln traf mich wie ein Schlag in den Magen. Wir waren seit exakt neun Tagen und zwölf Stunden verheiratet, und ich konnte noch immer nicht glauben, dass sie jetzt meine Frau war. »Du kanntest meine Dessertvorlieben, bevor wir vor den Traualtar getreten sind, also beschwer dich nicht. Tut mir leid, aber du hast mich und mein Pfefferminzeis mit Schokosplittern jetzt für immer am Hals.«

Für immer.

Noch vor einem Jahr hätte ich diese Vorstellung einfach nur lachhaft gefunden. Nichts war für die Ewigkeit geschaffen. Menschen, Orte, Beziehungen … alles hatte ein Verfallsdatum.

Trotzdem gestattete ich mir jetzt zum ersten Mal in meinem Leben, einem Menschen zu glauben, wenn er sagte, dass er bei mir bleiben werde.

Ich fasste ihre Hand und schob meine Finger zwischen ihre. »Versprochen?«

IhreMienewurdesanft.EigentlichschautenwirgeradedenneuestenAction-Blockbuster,dochinzwischennahmenwirdieExplosionennurnochalsHintergrundgeräuschewahr. »Versprochen.«

Im Flur knallte eine Tür, und die Erinnerung verblasste so schnell, wie sie gekommen war.

Dafür kehrte das weiße Rauschen in meine Ohren zurück. »Das meinst du nicht ernst.«

Alessandra schaute mich wortlos an. Die unvergossenen Tränen, die in ihren Augen schimmerten, konnten nicht über die stille Entschlossenheit in ihrem Gesicht hinwegtäuschen.

Herrgott, warum saß meine Krawatte so verdammt eng? Ich konnte nicht richtig atmen.

Ich griff mir an den Kragen, ertastete jedoch nur feuchte Baumwolle. Da war kein Schlips. Trotzdem hatte ich das Gefühl, als steckte mein Hals in einem Schraubstock, während gleichzeitig eine Faust meine Lunge zusammendrückte.

»Du hast bisher nie ein Wort gesagt.« Ich ließ meine Hand wieder sinken, während ich mich fragte, seit wann in unserer Beziehung der Wurm drin war.

Hatte ich in den vergangenen Jahren mehr Verabredungen verpasst, als ich sollte? Ja. Redeten Alessandra und ich noch so viel miteinander wie früher? Nein. Aber so war das nun mal, wenn man ein Imperium aufbaute, und ich hatte immer gedacht, dass wir einander ohne Worte verstünden. Wir waren schon so lange zusammen, dass es nicht nötig schien, uns immer wieder gegenseitig zu versichern, was wir einander bedeuteten.

»Das hätte ich tun sollen.« Sie wandte den Blick ab. »Was das betrifft, habe ich einen Fehler gemacht. Ich habe meinen Frust in mich hineingefressen, anstatt dir zu sagen, wie ich mich fühlte. Und es dreht sich nicht um diesen einen verpassten Trip oder dieses eine verpasste Essen. Auch nicht um ein ganzes Dutzend. Sondern darum, was deine Versäumnisse implizieren.« Sie sah mir jetzt wieder in die Augen, und der Schmerz, der sich in ihren spiegelte, traf mich tief ins Mark. War ich wirklich so blind gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, wie unglücklich sie die ganze Zeit gewesen war? »Du hast mir wieder und wieder deutlich zu verstehen gegeben, dass ich bei dir nicht an oberster Stelle stehe.«

»Das ist nicht wahr.«

»Ach nein?« Sie lächelte mich traurig an. »Jedes Mal, wenn du bis zum späten Abend im Büro bleibst, frage ich mich, wer für dich Priorität hätte, falls es gleichzeitig in der Firma und zu Hause einen Notfall gäbe. Ich oder deine Investoren?«

Das Rauschen verstärkte sich. »Du weißt, dass du es wärst.«

»Genau das ist der Punkt: Ich weiß es nicht.« Eine Träne rann über ihre Wange. »Weil du mir schon seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr den Vorzug gegeben hast.«

Die eintretende Stille wurde nur von meinen raschen Atemzügen und dem ohrenbetäubend lauten Ticken der Uhr in der Ecke durchbrochen. Jede Antwort, die ich ihr hätte geben können, verkam angesichts ihrer Tränen zu einer leeren Phrase.

Armut. Fehlschläge. Sabotage. Ich hatte im Lauf der Jahre vieles erduldet und überlebt. Aber Alessandra weinen zu sehen, zwang mich jedes verdammte Mal wieder in die Knie.

»Ich habe gegenüber meinen Freundinnen und auch mir selbst so viele Ausflüchte für dich gefunden, doch dazu habe ich nicht länger die Kraft«, fuhr sie im Flüsterton fort. »Wir haben an etwas festgehalten, das nicht mehr existiert, und es wird Zeit loszulassen. Danach werden wir beide glücklicher sein.«

Mit jeder Silbe wurde die Fassade brüchiger, die zu errichten mich zehn Jahre gekostet hatte. Eine Woge von Gefühlen durchflutete mich – Zorn, Scham und eine übermächtige Verzweiflung, die ich nicht mehr gespürt hatte, seit ich als Teenager darum gekämpft hatte, meiner gottverlassenen Heimatstadt zu entkommen.

Ich sollte heute nichts von alldem mehr empfinden, verdammt noch mal. Immerhin war ich ein CEO und kein hilfloser, bettelarmer Junge ohne Familie. Aber der Gedanke, Alessandra zu verlieren …

Panik erfasste mich. »Glaubst du wirklich, dass wir glücklicher sein werden, wenn wir uns scheiden lassen? Dass es mir ohne dich besser gehen wird? Wir sprechen hier von uns.« Das letzte Wort klang heiser und gequält. »Você e eu. Para sempre.«

Alessandras leises Schluchzen zerriss mir das Herz, und es brach entzwei, als ich versuchte, sie zu berühren, und sie zurückwich.

»Mach es bitte nicht noch schwerer, als es ohnehin schon ist.« Ihre Stimme war jetzt so leise, dass ich sie kaum noch hörte.

Ich ließ meine Hand fallen, während die Faust um meine Lungen noch fester zupackte. Keine Ahnung, wie es so weit hatte kommen können, aber ich würde mich nicht kampflos geschlagen geben.

»Ich habe gestern Mist gebaut«, bekannte ich. »Genau wie schon so oft. Aber wir sind trotzdem immer noch ein Ehepaar.«

Wahre Tränenbäche strömten ihr jetzt über das Gesicht. Sie schloss die Augen. »Dom …«

»Wir werden eine Lösung finden.« Ein Leben ohne sie war schlichtweg unvorstellbar. Ebenso gut könnte man ein Herz auffordern, nicht mehr zu schlagen, oder den Sternen befehlen, den nächtlichen Himmel zu verlassen. »Das verspreche ich dir.«

Wir mussten.

Vielleicht hatte ich es ihr nicht oft genug gesagt, aber Alessandra war ein unauslöschlicher Teil von mir. Und das schon seit dem Moment vor elf Jahren, als ich sie zum ersten Mal erblickt hatte – auch wenn ich es damals noch nicht wusste.

Ohne sie gab es mich nicht.

7

DOMINIC

Elf Jahre früher

»Ich brauche keinen Babysitter.«

»Alessandra ist kein Babysitter«, erklärte Professor Ehrlich geduldig. »Sie ist Tutorin. Und zwar eine unserer besten. Sie hat schon häufig Studenten betreut, die an Dyslexie leiden und …«

»Ich brauche auch keine Tutorin.« Bei dem bloßen Gedanken, Woche für Woche von irgendeiner Besserwisserin behelligt zu werden, bekam ich eine Gänsehaut. Ich hatte es bis hierher aus eigener Kraft geschafft, oder etwa nicht?

Ich war früher auch ohne Tutoren ausgekommen, und dabei waren die Lehrkräfte an meiner Schule bestenfalls mittelmäßig und schlimmstenfalls eine Vollkatastrophe gewesen. Dennoch saß ich jetzt als Student der renommierten Thayer University im Büro eines angesehenen Wirtschaftswissenschaftlers und würde in weniger als einem Jahr meinen Abschluss sowohl in Ökonomie als auch in Betriebswirtschaft in der Tasche haben. Ich konnte das Geld und die Freiheit praktisch schon riechen.

Professor Ehrlich seufzte. »Doch, die brauchen Sie«, insistierte er. Er war an meinen Starrsinn gewöhnt, trotzdem verursachte mir sein sanfter Ton ein flaues Gefühl in der Magengrube. »Englische Literatur und Textkomposition zählen zu den Pflichtfächern. Der Test findet immer nur im Herbst statt, und Sie haben ihn letztes Mal nicht bestanden. Falls Sie dieses Semester wieder durchfallen, werden Sie nicht zu den Abschlussprüfungen zugelassen.«

Mein Puls schnellte in die Höhe, aber ich verzog keine Miene. »Diese Gefahr besteht nicht. Ich habe aus meinen Fehlern gelernt.«

Ich verstand nicht, warum ich Englisch überhaupt belegen musste. Ich wollte Karriere in der Finanzwirtschaft machen und nicht im Verlagswesen.

In meinen Ökonomiekursen war ich ein Ass, und nur darauf kam es an.

»Kann sein, trotzdem würde ich an Ihrer Stelle kein Risiko eingehen.« Er seufzte erneut. »Sie haben einen brillanten Verstand, Dominic. Mir ist in all den Jahrzehnten, die ich unterrichte, noch nie jemand untergekommen, der es mit Ihrem Zahlenverständnis aufnehmen kann. Aber Ihr Talent allein wird Sie nicht ans Ziel bringen. Ein Thayer-Diplom öffnet Türen, doch um es zu bekommen, müssen Sie nach den Regeln spielen. Sie wollen eine große Nummer an der Wall Street werden? Dafür brauchen Sie einen Abschluss, und den schaffen Sie nur, wenn Sie Ihren Stolz hinunterschlucken und sich auf die Zukunft fokussieren.«

Meine Fingerknöchel wurden weiß, so fest umklammerte ich die Armlehnen meines Stuhls.

Vielleicht war es meine Angst davor, auf den letzten Metern doch noch zu versagen, oder es lag daran, dass Professor Ehrlich der einzige Lehrer war, der sich je etwas aus mir gemacht hatte – jedenfalls überwand ich meinen heftigen Widerwillen gegen seinen Vorschlag und erklärte mich zu einem Kompromiss bereit.

»Na schön. Ich werde mich mit ihr treffen«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Aber wenn ich sie nicht leiden kann, dann wird es kein zweites Mal geben.«

Am nächsten Montag fand ich mich in der Hauptbibliothek der Universität ein, um den Termin hinter mich zu bringen. So kurz nach Semesterbeginn war dort wenig los, es sollte also nicht schwer sein, diese Alessandra zwischen den Bücherregalen aufzuspüren.

Sie hatte von Professor Ehrlich meine Kontaktdaten erhalten und mir heute Morgen eine Sprachnachricht geschickt, um unsere Verabredung zu bestätigen.

Ich werde ein gelbes Kleid tragen und im ersten Stock auf dich warten. Bis später.

Sie klang nicht so aufgekratzt, wie ich befürchtet hatte. Tatsächlich war ihre Stimme weich und wohltönend, sie strahlte etwas Sanftes und Beruhigendes aus, wie man es bei einer Yogalehrerin oder einer Therapeutin erwarten würde.

Trotzdem war ich darauf eingestellt, sie nicht zu mögen. Von Professor Ehrlich einmal abgesehen hatte ich bisher überwiegend negative Erfahrungen mit Lehrpersonal gesammelt.

Mein Blick wurde von einem farbenfrohen Tupfer in der Nähe des Fensters angezogen.

Gelbes Kleid. Ein Kaffeebecher und ein mir wohlvertrautes blaues Englischbuch. Alessandra, kein Zweifel.

Sie beugte ihren Kopf über irgendetwas auf dem Tisch und schaute selbst dann nicht hoch, als ich den Stuhl ihr gegenüber hervorzog. Typisch. An der Highschool hatte ich es mit ein paar Tutoren versucht, sie jedoch der Reihe nach in den Wind geschossen, weil sie alle mehr daran interessiert gewesen waren, auf ihren Handys herumzutippen.

Ich öffnete den Mund, aber meine spitze Bemerkung erstarb mir auf den Lippen, als Alessandra schließlich aufsah und unsere Blicke sich trafen.