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Sie ist eine Versuchung, sein größtes Begehren. Das einzige Rätsel, das er nicht lösen kann
Stella Alonso ist trotz ihrer Bekanntheit in den sozialen Medien eine schüchterne, introvertierte junge Frau. Neben ihren zwei Jobs hat sie weder die Zeit noch die Kapazitäten für die Liebe oder eine Beziehung. Doch eine Bedrohung aus ihrer Vergangenheit treibt sie direkt in die Arme - und das Penthouse - von Christian Harper, der seit ihrer ersten Begegnung von Stella fasziniert ist. Unter den perfekt sitzenden Anzügen verbirgt der CEO von Harper Security seine dunkelsten Seiten, aber Stella ist die eine Schwäche, die er sich erlaubt. Allerdings könnten die Geheimnisse, die er ihr verschweigt, alles zwischen ihnen zerstören ...
»Eine Fake-Relationship-Romance voller Chemie -mit einem unwiderstehlichen und gefährlichen Helden, der nur eine Schwäche hat: sie!« THE ESCAPIST BOOK BLOG
Abschlussband der heißen und romantischen TWISTED-Reihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Ana Huang
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Seitenzahl: 782
Titel
Zu diesem Buch
Leser:innenhinweis
Widmung
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Epilog
Bonusszene
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Ana Huang bei LYX
Impressum
Ana Huang
Twisted Lies
Roman
Ins Deutsche übertragen von Maike Hallmann
Als Stella Alonso überraschend ihren Job bei einer Modezeitschrift verliert, muss die erfolgreiche Fashion-Influencerin ihren Blog auf das nächste Level heben, um nicht in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Sie will endlich die Eine-Million-Follower:innen-Marke erreichen, und was könnte da besser helfen, als einen einflussreichen Geschäftsmann zu daten? Zögernd geht sie daher auf das Angebot von Christian Harper ein, eine Fake-Beziehung mit dem begehrten Junggesellen zu führen. Der CEO von Harper Security hat viele Feinde und braucht für Veranstaltungen eine Frau an seiner Seite, die seinem Image guttut. Es soll nur ein Deal zum gegenseitigen Nutzen sein, doch was Stella nicht weiß: Christian ist bereits seit ihrem Einzug ins Mirage, dem Gebäude, das Christian gehört, fasziniert von der jungen Frau und sucht schon lange einen Grund, ihr näherzukommen. Jetzt ergreift er die Gelegenheit und zieht Stella in seine Welt. Doch unter den perfekt sitzenden Anzügen verbirgt Christian seine dunkelsten Seiten, und Stella ist die eine Schwäche, die er sich erlaubt. Aber die Geheimnisse, die er ihr verschweigt, könnten alles zwischen ihnen zerstören …
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Für alle, deren Lieblingsfarbe morally gray ist.
Tears of Gold (Slowed) – Faouzia
Made to Love – John Legend
God Is a Woman – Ariana Grande
Infinity – Jaymes Young
Style – Taylor Swift
Crazy in Love – Sofia Karlberg
Coffee – Miguel
Heat Waves – Glass Animals
I Know You – Skylar Grey
Earned It – The Weeknd
Beautiful – Bazzi
Die for You – The Weeknd
Harleys in Hawaii – Katy Perry
Said I Loved You … But I Lied – Michael Bolton
»Stella!«
Mein Herzschlag beschleunigte sich. Nichts löste meinen Kampf-oder-Flucht-Reflex so zuverlässig aus wie der Klang von Merediths Stimme. »Ja?« Ich verbarg meine Nervosität hinter einer neutralen Miene.
»Ich verlasse mich darauf, dass du in der Lage bist, alles selbst ins Büro zurückzubringen.« Sie schlüpfte in ihren Mantel und warf sich die Handtasche über die Schulter. »Ich habe eine Verabredung zum Abendessen, die ich nicht verpassen darf.«
»Na…«
Sie verschwand durch die Tür.
»Natürlich bin ich dazu in der Lage«, beendete ich meinen Satz.
Der Fotograf hielt inne und zog die Augenbrauen hoch. Ich antwortete mit einem resignierten Schulterzucken. Ich war nicht die erste journalistische Assistentin, die unter ihrer tyrannischen Chefin zu leiden hatte, und ich würde auch nicht die letzte sein. Früher mal hatte ich von einem Job bei einem Modemagazin geträumt. Jetzt, nach vier Jahren bei DC Style, hatte die Realität den einstigen Glanz dieses Traums schwer getrübt.
Auf dem Heimweg, nachdem ich das Set abgebaut und die Sachen im Büro abgeliefert hatte, war meine Stirn schweißnass, und meine Muskeln waren auf dem besten Weg, sich in Wackelpudding zu verwandeln.
Die Sonne war schon vor einer halben Stunde untergegangen, und die Straßenlaternen warfen trübe orangefarbene Lichtinseln auf die schneebedeckten Bürgersteige. Es gab eine Schneesturmwarnung für die gesamte Stadt, aber er sollte erst später am Abend einsetzen, und zu Fuß war ich schneller als mit der Bahn, die bei jedem Zentimeter Schnee Zicken machte. Man sollte meinen, die Stadt wäre besser auf solches Wetter vorbereitet, immerhin schneite es hier jedes Jahr, aber nein. Nicht in D. C.
Ich hätte beim Gehen nicht auf mein Handy schauen sollen, vor allem nicht bei diesem Wetter, aber ich konnte nicht anders: Ich rief die E-Mail auf, die ich am Nachmittag erhalten hatte, und hoffte, dass sie nicht mehr so beunruhigend klang wie vorhin, aber die Hoffnung war vergebens.
Ab dem 1. April werden die Kosten für ein Einzelzimmer im Greenfield Senior Living auf 6500 Dollar pro Monat erhöht. Wir entschuldigen uns im Voraus für etwaige Unannehmlichkeiten, aber wir sind zuversichtlich, dass die Änderungen zu einer noch besseren Pflegequalität für unsere Bewohner führen werden …
Der grüne Smoothie vom Mittagessen schwappte wild in meinem Magen hin und her.
Unannehmlichkeiten, schrieben sie. Als ob sie gerade nicht die Preise einer Einrichtung für betreutes Wohnen um mehr als zwanzig Prozent erhöht hätten. Als hätten nicht lebende, atmende, verletzliche Menschen zu leiden unter der Gier der neuen Leitung.
Einatmen, eins, zwei, drei. Ausatmen, eins, zwei, drei. Ich versuchte, meine aufsteigende Panik in den Griff zu bekommen.
Maura hatte mich praktisch aufgezogen. Sie war der einzige Mensch, der immer für mich da gewesen war, auch wenn sie jetzt nicht mehr wusste, wer ich war. Ich konnte sie nicht in eine andere Einrichtung bringen. Greenfield war die beste Option hier in der Gegend, und es war ihr Zuhause geworden.
Keiner meiner Freunde und Familienangehörigen wusste, dass ich für ihre Pflege aufkam. Ich wollte nicht, dass sie mir die unvermeidlichen Fragen stellten. Also würde ich einfach irgendeinen Weg finden müssen, um die höheren Kosten zu decken.
Vielleicht konnte ich ja mehr Kooperationen eingehen oder höhere Honorare für meinen Blog und Instagram aushandeln. Demnächst war ich in New York zu einem Delamonte-Abendessen verabredet, und mein Manager sagte, das sei praktisch gleichbedeutend mit einem Vorsprechen für die Position des Markenbotschafters. Wenn ich …
»Ms Alonso.«
Die tiefe, dunkle Stimme strich wie schwarzer Samt über meine Haut, und ich blieb ruckartig stehen. Ein Schauer jagte mir über den Rücken, zu gleichen Teilen aus Freude und aus Wachsamkeit.
Ich kannte diese Stimme.
Ich hatte sie nur drei Mal in meinem ganzen Leben gehört, aber das reichte. Sie war unvergesslich, ebenso wie der Mann, zu dem sie gehörte.
Ein mulmiges Gefühl schnürte mir die Brust zu, dann riss ich mich zusammen und wandte den Kopf. Mein Blick wanderte langsam über die mächtigen Winterreifen und die glatten, markanten Linien des schwarzen McLaren, der neben mir gehalten hatte, bis er durch das heruntergelassene Beifahrerfenster auf dem Fahrer landete.
Mein Herzschlag geriet für den Bruchteil einer Sekunde ins Stolpern.
Dunkles Haar. Whiskeyfarbene Augen. Ein Gesicht, so exquisit und wie gemeißelt, dass es von Michelangelo selbst hätte geschaffen sein können.
Christian Harper.
CEO einer Elite-Sicherheitsfirma, Besitzer des Mirage, des Gebäudes, in dem ich wohnte, und wahrscheinlich der schönste und zugleich gefährlichste Mann, dem ich je begegnet war.
Meine Einschätzung, dass er gefährlich war, beruhte auf nichts weiter als auf meinem Instinkt, aber mein Bauchgefühl hatte mich noch nie getäuscht.
Ich atmete ein. Aus. Lächelte.
»Mr Harper.« Meine Höflichkeit wurde mit ironischer Belustigung quittiert. Offenbar war es nur ihm gestattet, die Leute mit ihrem Nachnamen anzusprechen, als befänden wir uns in einem riesigen, stickigen Sitzungssaal.
Christians Blick glitt über die Schneeflocken, die auf meine Schulter fielen, bevor er mir erneut in die Augen sah. Wieder stockte mein Herzschlag kurz. Unter dem Gewicht seines Blicks lief ein kaum merkliches elektrisches Knistern über meine Haut, und nur unter Aufbietung meiner gesamten Willenskraft blieb ich stehen, statt zurückzuweichen und das Gefühl abzuschütteln, so gut es eben ging.
»Herrliches Wetter für einen Spaziergang.« Seine Bemerkung war noch trockener als sein Blick.
Hitze schoss mir in den Nacken. »So schlimm ist es gar nicht.«
Erst da bemerkte ich die alarmierende Geschwindigkeit, mit der das Schneetreiben inzwischen immer dichter wurde. Vielleicht hatte der Wetterbericht mit der Zeit, zu der der Schneesturm losbrechen würde, ein klein wenig danebengelegen.
»Ich wohne doch nur zwanzig Minuten entfernt«, fügte ich hinzu, um … Ich wusste es selbst nicht. Um ihm zu beweisen, dass ich nicht so dumm war, mitten in einem Schneesturm quer durch die Stadt zu laufen, vielleicht.
Im Nachhinein betrachtet, hätte ich vielleicht doch lieber die Metro nehmen sollen.
»Der Schneesturm ist schon im Anmarsch, und die Gehwege sind zum Teil stark vereist.« Christian stützte den Unterarm auf das Lenkrad – eine ganz normale Bewegung, die auf keinen Fall so anziehend hätte sein dürfen, wie ich sie fand. »Ich nehme Sie mit.«
Er wohnte ebenfalls im Mirage, also war es naheliegend. Seine Wohnung befand sich nur ein Stockwerk über meiner.
Trotzdem schüttelte ich den Kopf.
Der Gedanke, mit Christian auf engem Raum zu sitzen, und sei es auch nur für ein paar Minuten, erfüllte mich mit einer eigenartigen Panik.
»Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Außerdem bin ich mir sicher, dass Sie Besseres zu tun haben, als mich durch die Gegend zu chauffieren, und ein Spaziergang macht den Kopf frei.« Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus. Ich geriet nicht oft ins Plappern, aber wenn es dann doch mal passierte, konnte mich nichts aufhalten, außer vielleicht eine Atomexplosion. »Es ist eine gute Übung, und ich muss sowieso mal meine neuen Schneestiefel testen. Ich trage sie gerade zum ersten Mal.« Halt den Mund. »Sosehr ich Ihr Angebot auch schätze, ich muss also leider dankend ablehnen.« Ich beendete meine fast unzusammenhängende Minirede mit einem Anflug von Atemnot.
Ich wurde immer besser darin, Nein zu sagen, aber es strengte mich stets wahnsinnig an.
»Ergibt das einen Sinn?«, fragte ich, als Christian schwieg.
Ein eisiger Windstoß peitschte vorbei. Er riss mir die Kapuze des Mantels vom Kopf und drang durch sämtliche Kleidungsschichten bis zu meinen Knochen durch, und ich fröstelte heftig. Im Studio hatte ich wie verrückt geschwitzt, aber jetzt war mir so kalt, dass selbst die Erinnerung an Wärme blau angelaufen war.
»Tut es«, sagte Christian, Stimme und Miene undeutbar.
»Gut«, presste ich zwischen klappernden Zähnen hervor. »Dann lasse ich Sie jetzt mal …«
Das leise Klicken einer Tür unterbrach mich. »Steigen Sie ins Auto, Stella.«
Ich stieg ein.
Ich redete mir ein, dass es daran lag, dass die Temperatur innerhalb von fünf Minuten um zwanzig Grad gefallen war, aber ich wusste, dass es nicht stimmte. Es lag am Klang seiner Stimme, daran, wie er mit ruhiger Autorität meinen Namen sagte. Mein Körper gehorchte, bevor ich protestieren konnte.
Für einen Mann, den ich kaum kannte, hatte er verblüffend viel Macht über mich. Mehr als fast jeder andere.
Christian fuhr vom Bordstein weg und drehte an einem Knopf auf dem Armaturenbrett. Gleich darauf strömte Wärme aus den Lüftungsschlitzen und traf wohltuend auf meine eisige Haut.
Im Auto roch es nach dickem Leder und teuren Gewürzen, und es war unfassbar sauber. Keine Verpackungen, keine leeren Kaffeebecher, nicht mal ein Fleckchen oder ein noch so kleiner Fussel. Ich sank tiefer in meinen Sitz und musterte den Mann neben mir. »Sie bekommen wohl immer Ihren Willen, nicht wahr?«, fragte ich leichthin; ein Versuch, die unerklärliche Spannung zu vertreiben, die plötzlich in der Luft lag.
Kurz erwiderte er meinen Blick, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte. »Nicht immer.«
Statt sich aufzulösen, verdichtete sich die Spannung und brannte in meinen Adern. Heiß und unruhig, wie Glut, die auf einen Hauch von Sauerstoff wartet, der sie auflodern lässt.
Mission gescheitert.
Ich drehte mich weg und starrte aus dem Fenster, zu verwirrt von den heutigen Ereignissen, um mich weiter zu unterhalten. Die Nervosität, die kitzelnd durch meinen Brustkorb hinaufstieg und meine Kehle verengte, war auch nicht gerade hilfreich.
Eigentlich war ich der kühle, ruhige Typ, der in jeder Wolke einen Silberstreif sah und in jeder Lage einen kühlen Kopf bewahrte. Das jedenfalls war es, was ich mein Leben lang angestrebt hatte, denn das erwartete man nun mal von mir als einer Alonso.
Eine Alonso litt nicht an Angstattacken oder verbrachte ihre Nächte damit, sich über tausend Kleinigkeiten Gedanken zu machen, die am nächsten Tag schiefgehen könnten.
Eine Alonso begab sich nicht in Therapie oder ließ einen Fremden einen Blick auf ihre schmutzige Wäsche werfen.
Eine Alonso musste perfekt sein.
Ich wickelte meine Halskette so fest um den Zeigefinger, dass er ganz weiß wurde.
Meine Eltern würden Christian wahrscheinlich lieben. Auf dem Papier war er so perfekt, wie man nur sein konnte.
Reich. Attraktiv. Gute Manieren.
Das nahm ich ihm fast genauso übel wie die Leichtigkeit, mit der er jeden Raum beherrschte, den er betrat, seine unausweichliche Präsenz, die in jeden Winkel und jeden Spalt vordrang, bis ich mich auf nichts anderes mehr konzentrieren konnte. Ich richtete den Blick auf die Straße, aber der Duft seines Rasierwassers füllte meine Lunge, und meine Haut zuckte, als mir bewusst wurde, wie sich seine Muskeln bei jeder Drehung des Lenkrads spannten.
Ich hätte nicht ins Auto steigen sollen.
Abgesehen von der Wärme war der einzige Vorteil dieser Entscheidung, dass ich früher zu Hause sein würde, dort, wo mich die Dusche und dann mein Bett erwarteten. Ich war schon jetzt voller Vorfreude.
»Den Pflanzen geht es gut.«
Er sagte es so beiläufig und unerwartet, dass ich einige Sekunden brauchte, um zu begreifen, dass erstens jemand das Schweigen gebrochen hatte und zweitens dieser Jemand tatsächlich Christian gewesen war und nicht nur ein Hirngespinst.
»Wie bitte?«
»Die Pflanzen in meiner Wohnung.« Er hielt an einer roten Ampel. »Es geht ihnen gut.«
Was hatte denn das … Oh. Ich begriff, und ein leiser Anflug von Stolz stieg in mir auf. »Das freut mich.« Ich schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln, jetzt, wo das Gespräch auf sicheres, neutrales Terrain zusteuerte. »Sie brauchen nur ein wenig Liebe und Aufmerksamkeit, um zu gedeihen.«
»Und Wasser«, sagte er trocken.
Ach was. Ich blinzelte. »Und Wasser.«
Die Worte hingen einen Moment lang zwischen uns, dann löste sich ein Lachen von meinen Lippen, und Christians Mund verzog sich zu einer Andeutung von Lächeln. Endlich war die Luft nicht mehr so dick, und der Knoten in meiner Brust löste sich ein wenig.
Als die Ampel auf Grün sprang, übertönte das Aufdröhnen des Motors fast seine nächsten Worte. »Sie haben magische Hände.«
Meine Wangen wurden heiß, aber ich zuckte nur leicht mit den Schultern. »Ich mag Pflanzen.«
»Die perfekte Besetzung für diesen Job also.«
Das Leben seiner Pflanzen hatte bereits am seidenen Faden gehangen, als ich die Pflege übernommen hatte, um meine Wohnung behalten zu können. Nachdem meine Freundin Jules letzten Monat ausgezogen war, um mit ihrem Freund zusammenzuleben, hatte ich die Wahl gehabt, entweder einen neuen Mitbewohner zu suchen oder das Mirage zu verlassen, da ich mir die Miete allein nicht leisten konnte. Das Mirage war mir ans Herz gewachsen, aber ich hätte mir trotzdem lieber eine andere Bleibe gesucht, als mit einem Fremden zusammenzuleben. Bei dem bloßen Gedanken bekam ich schon Angstzustände.
Christian hatte uns bereits bei der Wohnungsbesichtigung eine niedrigere Miete angeboten, als wir ihm gesagt hatten, dass der reguläre Preis unser Budget sprengen würde. Deshalb war ich aus allen Wolken gefallen, als er unsere jetzige Vereinbarung vorschlug, nachdem ich gesagt hatte, dass ich würde ausziehen müssen. Es wirkte auf den ersten Blick ein wenig suspekt, aber er war mit dem Mann einer anderen Freundin, Bridget, befreundet, und deshalb hatte ich mich letztlich dazu entschieden, sein Angebot anzunehmen. Inzwischen kümmerte ich mich seit fünf Wochen um seine Pflanzen, und es war nichts Schlimmes passiert. Wir liefen uns nicht mal über den Weg, wenn ich dort war. Ich schloss einfach auf, betrat die Wohnung, goss die Pflanzen und ging wieder.
»Woher wussten Sie, dass ich das kann?« Er hätte alle möglichen Aufgaben vorschlagen können – Besorgungen für ihn machen, seine Wäsche waschen, seine Wohnung putzen (obwohl er bereits eine Vollzeithaushälterin hatte). Das mit den Pflanzen war irgendwie seltsam.
»Wusste ich nicht.« Desinteresse und irgendetwas nicht recht Greifbares schwangen in seiner Stimme mit. »Es war ein glücklicher Zufall.«
»Sie kommen mir nicht wie jemand vor, der an Zufälle glaubt.«
Christian gehörte zu jenen Menschen, die Logik, Macht und kalten Pragmatismus schätzten. Nicht so etwas Nebulöses wie Zufall. Das zeigte sich in allem, was er tat und repräsentierte – in der Makellosigkeit seines Anzugs, der präzisen Wahl seiner Worte, der kühlen Gelassenheit seines Blicks.
Aus irgendeinem Grund fand er meine Bemerkung lustig. »Ich glaube mehr daran, als Sie vielleicht denken.«
Sein selbstironischer Ton machte mich neugierig. Obwohl ich Zugang zu seiner Wohnung hatte, wusste ich verblüffend wenig über ihn. Sein Penthouse war ein Musterbeispiel in Sachen perfektes Design und Luxus, aber es gab so gut wie keine persönlichen Gegenstände. »Möchten Sie mir etwas sagen?«, wagte ich mich vor.
Christian fuhr in die Garage des Mirage und parkte auf seinem reservierten Platz in der Nähe des Hintereingangs.
Keine Antwort.
Ehrlich gesagt hatte ich auch keine erwartet.
Um Christian Harper rankten sich zahllose Gerüchte, aber niemand wusste etwas Genaueres. Selbst Bridget konnte nicht viel über ihn berichten.
Wir wechselten kein Wort auf dem Weg in die Lobby.
Mit seinen eins dreiundneunzig war Christian gut dreizehn Zentimeter größer als ich, aber ich war immer noch groß genug, um mit ihm mitzuhalten. Unsere Schritte hallten im perfekten Gleichklang auf dem Marmorboden wider.
Mir war stets unangenehm bewusst, wie groß ich für eine Frau war, aber Christians kraftvolle Präsenz umhüllte mich wie ein warmer Mantel und ließ mich meine amazonenhafte Gestalt vergessen.
»Keine Spaziergänge mehr im Schneesturm, Ms Alonso.« Wir blieben vor den Aufzügen stehen und sahen uns an. Der Anflug eines Lächelns zuckte über sein Gesicht, voll sinnlichen Charmes und Selbstbewusstseins. »Ich kann nicht zulassen, dass eine meiner Mieterinnen an Unterkühlung stirbt. Das wäre schlecht fürs Geschäft.«
Ein weiteres unerwartetes Lachen stieg aus meiner Kehle auf. »Ich bin mir sicher, dass Sie in kürzester Zeit Ersatz finden würden.«
Ich vermochte nicht zu sagen, ob ich meine leichte Atemlosigkeit der Kälte verdankte, die in meine Lunge gedrungen war, oder der Tatsache, dass ich so nahe bei ihm stand.
Ich war nicht romantisch an Christian interessiert. Ich hatte kein romantisches Interesse an irgendwem; zwischen der Arbeit fürs Magazin und meinem Blog hatte ich keine Zeit, auch nur an ein Date zu denken. Aber das machte mich gegen seine Gegenwart keineswegs immun.
In seinen whiskeyfarbenen Augen flackerte es hell auf, ganz kurz. »Nein, das glaube ich nicht.«
Die leichte Kurzatmigkeit verwandelte sich in etwas Schwereres, und mit einem Mal konnte ich kein Wort mehr herausbringen. Jeder Satz aus seinem Mund war wie ein Code, den ich nicht knacken konnte, durchdrungen von einer versteckten Bedeutung, die nur er kannte, während ich im Dunkeln tappte.
Ich hatte erst dreimal in meinem Leben mit Christian gesprochen: einmal bei der Wohnungsbesichtigung und dem Unterschreiben des Mietvertrags, einmal ganz kurz und beiläufig auf Bridgets Hochzeit und einmal, nachdem mir Jules gesagt hatte, dass sie ausziehen würde. Und jedes Mal war ich danach völlig durch den Wind gewesen.
Worüber haben wir noch mal gesprochen?
Es war nicht mal eine Minute seit Christians Antwort vergangen, aber diese Minute dehnte sich zu einer schieren Ewigkeit aus.
»Christian.« Eine tiefe Stimme mit leichtem Akzent durchtrennte den Faden, der den Moment in der Schwebe gehalten hatte. Die Zeit kehrte zu ihrem gewohnten Rhythmus zurück, und ich stieß den angehaltenen Atem aus und wandte den Kopf.
Groß. Dunkles Haar. Olivfarbene Haut.
Der Mann sah nicht so gut aus wie Christian, aber er füllte seinen Delamonte-Anzug mit so viel roher Männlichkeit aus, dass es schwer war, ihn nicht anzusehen.
»Ich hoffe, ich störe nicht.« Delamonte-Anzug warf einen kurzen Blick in meine Richtung.
Ich hatte mich nie besonders zu älteren Männern hingezogen gefühlt, und er musste Mitte bis Ende dreißig sein, aber … wow.
»Keineswegs. Du kommst genau zur rechten Zeit.« Ein Hauch Gereiztheit ließ Christians höfliche Antwort schärfer klingen. Er stellte sich vor mich und versperrte mir fast die Sicht auf Delamonte-Anzug und umgekehrt.
Der andere Mann hob eine Augenbraue, dann ließ er die gleichgültige Maske fallen und grinste. Ging um Christian herum, so absichtlich, dass es fast spöttisch wirkte, und streckte mir die Hand entgegen. »Dante Russo.«
»Stella Alonso.«
Ich erwartete, dass er mir die Hand schütteln würde, aber zu meiner Überraschung hob er sie zu seinem Gesicht und strich mit den Lippen über meine Fingerknöchel. Bei jedem anderen wäre es kitschig gewesen, aber bei ihm spürte ich, wie ein angenehmes Kribbeln über meinen Rücken rann. Vielleicht lag es an seinem Akzent. Ich hatte eine Schwäche für alles Italienische.
»Dante.« Unter der ruhigen Oberfläche von Christians Stimme verbarg sich eine Klinge, scharf genug, um durch Knochen zu schneiden. »Wir sind spät dran.«
Dante schien unbeeindruckt. Seine Hand verweilte noch eine Sekunde länger auf meiner, bevor er mich losließ. »Es war schön, Sie kennenzulernen, Stella. Ich bin sicher, wir sehen uns wieder.« In seiner tiefen Stimme lag ein Hauch von Lachen.
Ich vermutete, dass seine Belustigung nicht mir galt, sondern dem Mann, der uns mit eisigen Augen beobachtete.
»Danke. Ich habe mich auch gefreut, Sie kennenzulernen.« Beinahe hätte ich Dante angelächelt, aber irgendwas sagte mir, dass das in diesem Moment kein kluger Schachzug gewesen wäre. »Einen schönen Abend noch.« Ich sah Christian an. »Gute Nacht, Mr Harper. Und danke fürs Mitnehmen.« Ich legte einen spielerischen Ton in meine Stimme, in der Hoffnung, dass die Erinnerung an unsere absurde Förmlichkeit von vorhin seine steinerne Miene aufbrechen würde. Aber er zuckte nicht mal mit der Wimper, sondern neigte nur kurz den Kopf. »Gute Nacht, Ms Alonso.«
Also gut.
Ich ließ Christian und Dante in der Lobby zurück, wo sie mehr als nur ein paar bewundernde Blicke auf sich zogen, und fuhr mit dem Aufzug zu meiner Wohnung hoch. In Anbetracht der Höhenbeschränkung für Gebäude in D. C. war sie so nahe an einem Penthouse, wie ich nur kommen konnte, wenn ich nicht gerade in Christians Wohnung im elften Stock über meiner einzog. Ich wusste nicht, was Christians plötzlichen Stimmungsumschwung ausgelöst hatte, aber ich hatte schon genug eigene Sorgen, um mich auch noch um seine zu kümmern.
Ich durchwühlte meine Tasche und suchte in dem Durcheinander von Make-up, Quittungen und Haargummis nach meinem Schlüssel. Ich brauchte wirklich mal ein besseres System, um meine Tasche zu organisieren. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, ehe sich meine Hand um das Metall schloss.
Ich hatte ihn gerade ins Schloss gesteckt, als mir ein vertrautes Frösteln über die Haut lief und sich meine Nackenhaare aufstellten.
Ruckartig sah ich auf.
Im Korridor war weit und breit niemand zu sehen, aber das leise Brummen der Heizungsanlage nahm plötzlich einen bedrohlichen Ton an.
Bei der Erinnerung an getippte Notizen und Schnappschüsse wurde mein Atem flach. Hastig blinzelte ich die Bilder weg.
Jetzt werde nicht paranoid.
Ich wohnte nicht mehr in einem alten, ungesicherten Haus in der Nähe des Campus. Ich wohnte im Mirage, einem der bestbewachten Wohngebäude in D. C., und ich hatte seit zwei Jahren nichts mehr von ihm gehört.
Die Wahrscheinlichkeit, dass er ausgerechnet hier auftauchte, war gering.
Doch trotzdem gewann plötzlich Hast die Oberhand über meine Erstarrung. Schnell schloss ich die Wohnungstür auf, ging hinein und drückte sie hinter mir wieder zu. Schaltete das Licht ein und verriegelte quasi im selben Augenblick auch schon die Tür.
Erst nachdem ich jeden Raum in meiner Wohnung überprüft und mich vergewissert hatte, dass kein Eindringling im Schrank oder unter dem Bett lauerte, konnte ich mich entspannen.
Alles war in Ordnung. Er war nicht zurück, und ich war in Sicherheit.
Doch obwohl ich es mir immer und immer wieder selbst versicherte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass mich im Flur jemand beobachtet hatte.
Die Bibliothekstür schloss sich mit einem leisen Klicken hinter mir.
Mit langsamen Schritten ging ich quer durch den Raum auf die Sitzecke zu, wo Dante es sich mit einem Glas Scotch gemütlich gemacht hatte.
Ein Muskel pulsierte in meinem Kiefer.
Hätten wir nicht eine so lange gemeinsame Vergangenheit und wäre ich ihm nicht einen großen Gefallen schuldig, läge sein Kopf bereits zerschmettert auf dem Glaswagen neben ihm. Nicht nur, weil er sich einfach an meiner Bar bediente, sondern auch wegen seiner nicht sehr amüsanten Show in der Lobby.
Ich mochte es nicht, wenn jemand etwas anfasste, das mir gehörte.
»Nicht so finster dreinschauen, Harper.« Träge nahm Dante einen Schluck von seinem Drink. »Sonst bleibt dein Gesicht am Ende noch so stehen, und dann gefällt es den Frauen bestimmt nicht mehr so gut.«
Mein kaltes Lächeln verriet ihm sicherlich, wie wenig mich seine Bemerkung tangierte. »Wenn du deinen eigenen Rat befolgen würdest, dann würdest du vielleicht nicht in einem anderen Zimmer schlafen als deine Verlobte.«
Er kniff die Augen zusammen, und ich verspürte Genugtuung. Wenn Stella meine Schwäche war, dann war Vivian seine. Ich interessierte mich nicht für die Einzelheiten ihrer Beziehung, aber es amüsierte mich, dass er jedes Mal knurrte, wenn ich die Verlobte erwähnte, die er angeblich hasste.
Ich hatte geglaubt, ich hätte Probleme. Dantes Probleme hingegen waren zwei Milliarden Dollar wert.
»Schon verstanden«, sagte er knapp. Jeglicher Humor war aus seiner Stimme verschwunden, und das vertraute lächelnde Arschloch war wieder da. »Aber ich bin nicht hier, um über Vivian oder Stella zu reden, also kommen wir zum eigentlichen Thema. Wann zum Teufel kann ich das Bild wieder loswerden? Das Ding ist ein Schandfleck.«
Bei der Erwähnung der zweiten rätselhaften Frau in meinem Leben schob ich rasch die Erinnerung an dunkle Locken und grüne Augen beiseite.
Magda, das Gemälde, der Fluch meiner Existenz, seit es in meinen Besitz gelangt war. Nicht wegen des Gemäldes an sich, sondern wegen dem, wofür es stand.
»Niemand hat dir gesagt, du sollst es in deiner Galerie aufhängen.« Ich ging zur Bar und schenkte mir einen Drink ein. Dante, dieser Mistkerl, hatte die Flasche mit meinem besten Scotch nicht wieder verschlossen. »Von mir aus kannst du es in den hinteren Teil deines Schranks stopfen.«
»Ich bezahle doch nicht so viel Geld für Magda, um sie dann in den hintersten Winkel meines Schranks zu stecken! Das wäre ja auch überhaupt kein bisschen verdächtig.« Seine Stimme troff vor Sarkasmus.
»Du hast ein Problem. Ich habe eine Lösung.« Lässig zuckte ich mit den Schultern. »Nicht meine Schuld, dass du sie nicht annehmen willst. Und nur fürs Protokoll …« Ich ließ mich auf dem Sessel ihm gegenüber nieder. »Ich habe für das Bild bezahlt.«
Zumindest insgeheim. Soweit die Öffentlichkeit wusste, war Dante Russo stolzer Besitzer eines der hässlichsten Kunstwerke überhaupt. Andererseits hielten die Leute das hässliche Stück auch für ein unbezahlbares Gemälde, für das es sich zu töten und zu stehlen lohnte – dank eines einfachen Satzes gefälschter Dokumente.
Ich hatte nicht vorgehabt, so viel Aufmerksamkeit darauf zu lenken, aber ich hatte eine Ausrede gebraucht, um zu erklären, weshalb ich es so gut bewachen ließ. Es hatte nichts mit irgendwelchen weltbewegenden Geschäftsgeheimnissen zu tun, wie alle dachten. Es ging um etwas Persönliches, das ich niemals jemandem zu offenbaren gedachte.
Er musterte mich über den Rand seines Glases hinweg. »Warum interessiert dich das immer noch so sehr? Du hast doch bekommen, was du wolltest, und du hast deinen Verräter gefunden. Verbrenn das verdammte Ding einfach. Nachdem ich es an dich zurückverkauft habe«, fügte er hinzu. »Um den Schein zu wahren.«
»Ich habe meine Gründe.«
Einen Grund, um genau zu sein, aber den würde er mir nicht glauben.
Ich konnte allein schon den Gedanken, das Bild zu zerstören, nicht ertragen. Es war zu tief in die zerklüftete Landschaft meiner eigenen Vergangenheit eingebettet. Ganz sicher war ich kein sentimentaler Mensch, aber zwei Dinge in meinem Leben wurden von meinem üblichen Pragmatismus nicht erfasst: Stella und Magda.
Zu seinem Pech fiel Axel, der ehemalige Mitarbeiter, der Magda gestohlen und an meinen größten Konkurrenten Sentinel verschachert hatte, nicht in die Kategorie der Ausnahmen. Er hatte geglaubt, das Gemälde enthielte irgendwelche streng geheimen und daher äußerst lukrativen Geschäftsgeheimnisse, denn das hatte ich der Handvoll Leute gegenüber behauptet, die ich mit der Bewachung des Bildes betraut hatte.
Sie hatten nicht geahnt, dass der Wert des Gemäldes viel persönlichere und für sie weit weniger nützliche Gründe hatte.
Ich hatte Axel erledigt, eine angemessene Zeit gewartet, bis Sentinel sich erholt hatte, und dann ihr Cybersystem so übel manipuliert, dass die Firma Millionen an Wert eingebüßt hatte. Nicht genug, um sie zu zerstören – etwas in dieser Größenordnung hätte leicht zu mir zurückverfolgt werden können –, aber genug, um eine Botschaft zu übermitteln.
Die Idioten, die Sentinel leiteten, waren so dumm gewesen, dass sie versucht hatten, das Bild zurückzustehlen, nachdem sie es verkauft hatten, weil sie dachten, es ließe sich gegen mich verwenden. Geschäftsgeheimnisse hatten sie bei der näheren Untersuchung von Magda nicht gefunden, aber sie wussten, dass sie mir wichtig war. Sie waren auf der richtigen Spur, das musste ich ihnen lassen. Aber sie hätten für den Job jemand Besseren anheuern sollen als ein zweitklassiges Bandenmitglied aus Ohio. Der Versuch, ihre Spuren zu verwischen, war so lächerlich, dass es fast schon beleidigend war.
Jetzt befand sich das Gemälde in Dantes Obhut, was gleich in zweifacher Hinsicht von Vorteil war: Ich musste es nicht ansehen, und niemand, nicht einmal Sentinel, würde es wagen, ihn zu bestehlen.
Der letzte Versuch jedenfalls hatte für den Möchtegerndieb in einem dreimonatigen Koma geendet und mit zwei fehlenden Fingern, einem entstellten Gesicht und mehreren gebrochenen Rippen.
Dante gab einen unwirschen Laut von sich, aber er war klug genug, nicht weiter nachzuhaken. »Gut, aber ich werde es nicht ewig behalten. Es ruiniert meinen Ruf als Sammler«, brummte er.
»Alle halten es für ein seltenes Kunstwerk aus dem achtzehnten Jahrhundert, also geht das schon klar«, sagte ich trocken.
In Wirklichkeit existierte das Gemälde noch nicht einmal seit zwei Jahrzehnten. Es war erstaunlich einfach, »unbezahlbare« Kunstwerke zu fälschen inklusive der Dokumente, die ihre Echtheit bescheinigten.
»Ich werde noch blind, wenn ich mir dieses Monstrum jeden Tag ansehe.« Dante rieb mit dem Daumen über seine Unterlippe. »Apropos Monstrosität: Madigan wurde heute Morgen offiziell mit Schimpf und Schande aus Valhalla vertrieben.«
Mit dem Themenwechsel veränderte sich auch die Atmosphäre merklich. »Gut, dass wir ihn los sind.« Ich hatte nichts für den Ölmagnaten übrig, der derzeit von einem halben Dutzend ehemaliger Angestellter wegen sexueller Belästigung verklagt wurde. Madigan war schon immer ein Schleimbeutel gewesen. Dies war allerdings das erste Mal, dass er für seine Übergriffe zur Rechenschaft gezogen wurde.
Der Valhalla Club war stolz darauf, die reichsten und mächtigsten Menschen der Welt unter seinem Dach zu vereinen – die Mitgliedschaft konnte man nicht beantragen, man wurde eingeladen. Eine ganze Reihe dieser Mitglieder, darunter auch ich, waren in nicht hundertprozentig legale Aktivitäten verwickelt. Aber auch der Club hatte seine Schmerzgrenze, und man wollte auf keinen Fall in den Medienrummel rund um Madigans Prozess hineingezogen werden. Mich überraschte also nicht der Rauswurf, sondern eher die Tatsache, dass man ihn nicht schon früher verbannt hatte.
Dante und ich sprachen eine Weile über den Prozess und das Geschäft, bis er sich entschuldigte, um einen Anruf entgegenzunehmen. Als CEO der Russo Group, eines Luxusgüterkonzerns, der mehr als drei Dutzend Mode-, Schönheits- und Lifestylemarken umfasste, verbrachte er die Hälfte seiner wachen Zeit mit geschäftlichen Telefonaten.
In Ermangelung eines Gesprächspartners schweiften meine Gedanken ab, zu einer ganz bestimmten Brünetten.
Wenn meine Gedanken im Chaos versanken, war sie mein Anker.
Die Erinnerung daran, wie sie die schneebedeckte Straße hinunterging, das Haar vom Wind zerzaust und ihre Augen leuchtend grün wie Jade, holte mich immer wieder ein. Als würde ich noch immer die Wärme spüren, die sie ausstrahlte, wie ein Sonnenstrahl, der nach einem Sturm durch die Wolkendecke brach.
Ich hätte die Miete damals bei der Besichtigung nicht senken sollen, und ich hätte sie verdammt noch mal nicht noch weiter senken sollen, als Jules ausgezogen war. Als Gegenleistung dafür, dass sie sich um meine verdammten Pflanzen kümmerte, okay, aber das war nur ein Vorwand, um mich nicht durch allzu große Selbstlosigkeit verdächtig zu machen.
Die Pflanzen waren mir scheißegal. Sie waren nur da, weil meine Innenarchitektin darauf bestand, dass sie »die Einrichtung vollendeten«. Aber ich wusste, dass Stella Pflanzen liebte, also hatte ich sie lieber darum gebeten als um das Abheften meiner Papiere oder etwas Ähnliches.
Mit ihr im selben Gebäude zu wohnen lenkte mich entsetzlich ab, und ich konnte niemand anderem als mir selbst die Schuld daran geben.
In meiner Brust loderte eine Zwillingsflamme aus Groll und Frustration. Ich hatte eine Schwäche für Stella Alonso, und ich hasste das.
Gedankenverloren zückte ich mein Handy und hätte beinahe eine gewisse Social-Media-App aufgerufen, fing mich aber noch rechtzeitig und gab stattdessen den Code für mein verschlüsseltes Mobilfunknetz ein. Es war nicht so leistungsfähig wie das auf meinem Laptop, aber es reichte aus. Meine Frustration brauchte ein Ventil, und heute war John Madigan das glückliche Ziel. Mir fiel niemand ein, der es mehr verdient hätte.
Ich rief die Liste seiner unterschiedlichen Geräte auf: Telefone, Computer, sogar sein intelligenter Kühlschrank und der bluetoothfähige Wecker sowie alle damit verbundenen Konten, und ich brauchte keine fünf Minuten, um zu finden, wonach ich suchte – ein Video, das er dämlicherweise von sich selbst aufgenommen hatte, um von seiner Assistentin einen Blowjob zu erzwingen, und eine Reihe ekelhafter Nachrichten, die er danach einem seiner Golffreunde geschickt hatte.
Ich leitete alles unter der Mailadresse des Golfkumpels an die Staatsanwaltschaft weiter. Wenn sie ihren Job halbwegs gut machten, konnten sie den Richter davon überzeugen, dass es sich um zulässiges Beweismaterial handelte.
Anschließend gingen die Nachrichten auch an die wichtigsten Medien raus, denn warum eigentlich nicht? Dann tauschte ich, nur weil mich Madigans Gesicht ärgerte, seine wertvollsten Aktien gegen Schrottaktien aus und spendete einen beträchtlichen Teil seines Vermögens an Organisationen zur Bekämpfung sexueller Gewalt.
Mit jedem Tastendruck lösten sich Verspannungen in meinen Muskeln. Cybersabotage war besser als eine Tiefengewebsmassage.
Dante kehrte in die Bibliothek zurück, und ich steckte das Handy weg.
»Ich muss zurück nach New York.« Er schnappte sich seine Jacke von der Sofalehne, das Gesicht zu einer gereizten Grimasse verzogen. »Es gibt da eine … persönliche Angelegenheit, um die ich mich kümmern muss.«
»Tut mir leid, das zu hören«, sagte ich milde. »Ich begleite dich hinaus.« Ich wartete, bis er halb aus der Tür war, bevor ich hinzufügte: »Diese persönliche Angelegenheit ist nicht zufällig Vivians Ex-Freund, der wiederaufgetaucht ist, oder?«
Überraschung blitzte in seinen Augen auf, gefolgt von Wut. »Was zum Teufel hast du getan, Harper?«
»Ich habe lediglich ein Wiedersehen zwischen deiner Verlobten und einem alten Freund ermöglicht.« Ein kleiner Text von »Vivian«, und schon kam der Ex angerannt. Jämmerlich, aber nützlich. »Da es dir ja so viel Spaß gemacht hat, mir in die Suppe zu spucken, dachte ich mir, ich erwidere den Gefallen. Oh, und noch was, Dante.« Ich legte die Hand auf den Türknauf. Dantes Wut wogte förmlich durch den Flur, aber er würde drüber hinwegkommen. Die kleine Show in der Lobby hätte er sich besser gespart. »Wenn du Stella noch einmal anfasst, hast du keine Verlobte mehr.«
Ich schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
Dante war mein erster Kunde gewesen und ein alter Freund. Ich provozierte ihn nur selten. Aber wie schon gesagt, ich konnte es nicht leiden, wenn jemand etwas anfasste, was mir gehörte.
Ich richtete meine Hemdsärmel und kehrte in die Bibliothek zurück. Mein Blick wanderte durch den Raum, bis er an dem riesigen gerahmten Puzzle über dem Kaminsims hängen blieb. Zehntausend winzige Teile bildeten einen atemberaubenden Regenbogenverlauf, die Linien erzeugten einen dreidimensionalen, kugelförmigen Effekt.
Ich hatte vier Monate gebraucht, um es fertigzustellen, aber das war es wert gewesen.
Kreuzworträtsel, Puzzles, Chiffren, sie alle befriedigten zumindest für einen Moment mein unstillbares Bedürfnis nach einer Herausforderung. Anregung. Etwas, das die Langeweile einer Welt milderte, die mir stets fünf Schritte hinterherhinkte.
Je schwieriger das Rätsel war, desto mehr sehnte ich den Moment seiner Lösung herbei – und fürchtete ihn zugleich.
Es gab nur ein einziges Rätsel, das ich nicht gelöst hatte. Noch nicht.
Ich fuhr mit dem Daumen über den kleinen türkisfarbenen Ring in meiner Tasche.
Wenn ich das geschafft hatte, konnte ich die verstörende Obsession für Stella Alonso endlich hinter mir lassen.
25. Februar
Es ist jetzt drei Tage her, seit ich von der Preiserhöhung des Greenfield erfahren habe, und noch immer habe ich keine gute Lösung gefunden. Ich habe mich nach einem anderen Job umgesehen, aber meine größte Hoffnung ist im Moment das bevorstehende Delamonte-Dinner. Brady ist überzeugt, dass es dort um den Posten des Markenbotschafters gehen wird, und die Bezahlung würde wohl im mittleren sechsstelligen Bereich liegen … WENN ich den Job bekomme.
Ich glaube nicht, dass ich jemals etwas so sehr gewollt habe wie diesen Job. Er würde nicht nur mein Greenfield-Problem lösen – zumindest für das nächste Jahr –, Delamonte ist auch eine Marke, mit der ich schon immer zusammenarbeiten wollte. Die erste Designermarke, die ich für mich selbst gekauft habe. Okay, es war nur ein Parfüm, und ich war noch in der Highschool, aber trotzdem. Ich habe dieses Parfüm geliebt, und ich würde wirklich jede andere Partnerschaft aufgeben, um mit Delamonte zusammenzuarbeiten.
Ich wünschte nur, ich wüsste, wonach sie suchen, damit ich entsprechend planen kann. Ich weiß nicht mal, wie viele andere Blogger sie zu dem Abendessen eingeladen haben.
Ich denke, ich werde es rausfinden, wenn ich dort bin.
In der Zwischenzeit … wünsch mir Glück. Ich kann es gebrauchen.
Tägliche Dankbarkeit:
1. Croissants
2. Züge von D. C. nach New York City
3. Brady (Sag ihm aber nicht, dass ich das gesagt habe, sonst platzt er vor Stolz aus seinen Klamotten.)
Meine Reise nach New York war eine einzige Aneinanderreihung von Katastrophen.
Ich nahm an jenem Samstag den Zug, und als ich in dem Stadthaus ankam, in dem das Delamonte-Dinner stattfand, wusste ich, dass mein Manager Brady recht gehabt hatte: Es war tatsächlich ein Vorsprechen.
Außer den Mitarbeitern von Delamonte waren ausschließlich Blogger anwesend. Aber obwohl wir immerhin zu sechst waren, schwärmte Luisa, die Geschäftsführerin von Delamonte, während der gesamten Cocktailstunde nur von Raya und Adam, den neuesten Lieblingen der Influencer-Welt und dem einzigen anwesenden Paar. Ich kam kaum zu Wort zwischen ihren begeisterten Reden darüber, dass Raya letzte Woche die Marke von eins Komma vier Millionen Followern geknackt hatte, und ihren Schwärmereien über die bevorstehende Reise der beiden nach Paris.
Einmal stellte ich eine Frage über die neue Linie der Marke, und Luisa antwortete mit ganzen drei Wörtern, bevor sie sich wieder Raya zuwandte. Wenn meine Eltern hier gewesen wären, hätten sie mich wohl enterbt aus lauter Enttäuschung darüber, dass ich dem Namen Alonso nicht gerecht wurde und keinesfalls die Veranstaltung dominierte.
Das war Katastrophe Nummer eins.
Katastrophe Nummer zwei trat ein, nachdem alle ihre Plätze eingenommen hatten und die Vorspeise serviert wurde.
»Tut mir leid, dass ich zu spät bin.« Beim Klang der tiefen Stimme blieb mir fast das Herz stehen. »Der Verkehr.«
Nein. Das ist unmöglich.
Die Wahrscheinlichkeit, von einem Meteoriten getroffen zu werden, war größer als die, Christian Harper zwei Mal in derselben Woche außerhalb des Mirage zu treffen. Und das in New York.
Aber als ich aufblickte, war er wirklich da.
Ausgeprägte Wangenknochen und Whiskey-Augen, Sünde und Gefahr, alles verpackt in einem makellosen Anzug.
Das Essen auf meiner Zunge wurde zu Asche. Auf der Liste aller Menschen, von denen ich nicht wollte, dass sie Zeuge meiner Niederlage wurden, stand er ganz oben.
Nicht, weil ich dachte, er würde mich dafür verurteilen, sondern weil ich Angst hatte, er würde es nicht tun. Ein nahezu Fremder, der mich besser behandelte als jene Menschen, die mich eigentlich bedingungslos lieben sollten … das könnte ich nicht ertragen.
Luisa stand auf und begrüßte ihn mit einer überschwänglichen Umarmung, aber ich verstand kaum ein Wort, als sie ihn vorstellte, weil das Blut so laut in meinen Ohren rauschte.
»… CEO von Harper Security … alter Freund …«
Christians Gesichtsausdruck blieb während ihres Redeschwalls höflich, fast desinteressiert, aber an der Art, wie er mich musterte, war gar nichts desinteressiert. Dunkel und wissend waren seine Augen, als würde ihr Blick jede Maske durchdringen, die ich der Welt präsentierte, und die zerbrochenen Fragmente des Mädchens finden, das sich darunter verbarg.
Als sähe er in dieser Gebrochenheit irgendeine eigenartige Schönheit.
Unbehagen durchströmte mich, und ich blinzelte, um mich aus dem Bann zu befreien.
Garantiert dachte oder empfand er nichts dergleichen. Er kannte mich ja nicht einmal.
Luisa beendete die wohl längste Vorstellung in der Geschichte aller Vorstellungen, und da erst, als er schon auf mich zukam, ging mir auf, dass es am ganzen Tisch nur noch einen freien Platz gab.
Und zwar neben mir.
»Stella.« Das tiefe, sanfte Timbre seiner Stimme jagte mir einen warmen Schauer über den Rücken. »Das ist ja eine angenehme Überraschung.«
Unwillkürlich packte ich meine Gabel fester und ließ dann wieder locker, während ich ausatmete.
»Christian.« Ich konnte ihn ja schlecht Mr Harper nennen, wenn er mich beim Vornamen nannte.
Es war das erste Mal, dass ich das tat, und die Silben lagen mir länger auf der Zunge als erwartet. Nicht unangenehm, aber viel zu intim für meinen Geschmack.
Ich widerstand dem Drang, unruhig das Gewicht zu verlagern, während er mich betrachtete. Sein Gesicht wirkte ganz entspannt, aber seine Augen glühten wie heißer, geschmolzener Bernstein, und sein Blick wanderte von meinem Kopf bis zum Saum meines Kleides hinab. Die Prüfung dauerte nur wenige Augenblicke, doch sie hinterließ einen Feuerschweif.
Ruhig, gelassen, gesammelt.
»Ich wusste nicht, dass Sie …« Ich suchte nach dem richtigen Begriff. »… mit Delamonte zusammenarbeiten.«
Das traf es nicht ganz, aber ich wusste nicht, wie ich es sonst ausdrücken sollte. Alle anderen hier am Tisch waren Modeblogger oder gehörten zum Delamonte-Team. Für Christian galt weder das eine noch das andere.
»Tu ich auch nicht«, sagte er ironisch.
»Sie sind also heimlich Modeblogger?« Ich riss die Augen weit auf und tat, als wäre ich atemlos vor Überraschung. »Sagen Sie bloß. Ihr Blog heißt bestimmt … Anzüge und Whiskey. Nein? Guns and Roses. Nein, Moment, das ist eine Band.« Ich tippte mit dem Finger auf den Tisch. »Krawatten und …«
»Wenn Sie fertig sind …« Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber Christians Stimme klang jetzt noch ironischer. »… dann tauschen Sie doch bitte den Platz mit mir.«
Ich hörte auf, auf dem Tisch herumzutrommeln. »Warum?« Er hatte einen erstklassigen Platz direkt neben Luisa, die zu sehr damit beschäftigt war, sich mit – natürlich – Raya auf ihrer anderen Seite zu unterhalten, um zu bemerken, dass Christian noch nicht Platz genommen hatte.
»Ich mag nicht an der Ecke sitzen.«
Ich starrte ihn ungläubig an. »Was machen Sie denn dann, wenn Sie mal an einem Tisch für vier Personen sitzen müssen?« Dann wäre jeder Sitzplatz an der Ecke des Tisches.
Meine Frage wurde mit einem ungeduldigen Blick beantwortet.
Ich seufzte und tauschte mit ihm den Platz. So langsam zogen wir die Aufmerksamkeit der anderen auf uns, und ich wollte keine Szene machen.
Anfangs befürchtete ich, Luisa könne verärgert sein, weil ich den Platz ihres besonderen Gasts eingenommen hatte, aber im Lauf des Abends erwies sich Christians seltsame Eigenart als sehr vorteilhaft für mich. Ich hatte nun direkten Zugang zu Luisa, die überhaupt nicht verärgert zu sein schien und sich irgendwann – als Raya sich kurz entschuldigt hatte, um auf Toilette zu gehen – an mich wandte.
»Danke, dass du nach New York gekommen bist. Ich weiß, dass es für dich ein deutlich weiterer Weg ist als für die anderen Mädchen.« Der Ring an Luisas Finger glitzerte im Schein der Deckenlampe, während sie an ihrem Drink nippte.
»Sehr gern.« Als würde irgendwer eine Einladung zu einem exklusiven Delamonte-Dinner ausschlagen. »Ich hätte es um nichts in der Welt verpassen wollen.«
»Ich frage mich, warum du nicht nach New York ziehst. Hier gibt es für Einsteiger in die Modebranche erheblich mehr Möglichkeiten als in D. C.« Sie klang zugleich neugierig und missbilligend, als wäre ich absichtlich so begriffsstutzig, nicht anderswo nach grünerem Gras zu suchen. Bei der indirekten Erinnerung an Maura und daran, was für mich hier gerade auf dem Spiel stand, bildete sich in meiner Kehle eine Enge, als steckte dort ein Wattebausch fest.
»Ich möchte in der Nähe meiner Familie sein.« Maura war für mich praktisch Familie, also war es nicht ganz gelogen. »Aber ich habe schon über einen Umzug nachgedacht.«
Auch das war nicht gelogen. Ich zogeinen Umzug durchaus in Betracht. Ich wusste nur, dass es nicht allzu bald passieren würde.
»Übrigens, herzlichen Glückwunsch zu einer wunderbaren Modewoche«, wechselte ich zu einem passenderen Thema. Ich war schließlich nicht hier, um über mein Privatleben zu reden, sondern um einen Deal abzuschließen. »Mir haben besonders die pastellfarbenen Trenchcoats gefallen …«
Luisa strahlte bei der Erwähnung der neuesten Herbst- und Winterkollektion, und schon bald waren wir in ein Gespräch über die Trends vertieft, die wir letzte Woche auf der New York Fashion Week entdeckt hatten.
Aus beruflichen Gründen hatte ich nicht persönlich teilnehmen können – nur leitende Redakteure bei DC Style, so wie Meredith, hatten ein ausreichendes Budget, um die NYFW zu besuchen –, aber ich hatte mich natürlich informiert.
Als Raya von der Toilette zurückkam und sah, wie angeregt Luisa und ich uns unterhielten, wurde sie blass. Ich tat mein Bestes, um sie zu ignorieren.
Vor einer gefühlten Ewigkeit waren Raya und ich mal befreundet gewesen. Sie hatte ihren Account vor zwei Jahren eröffnet und mich um Rat gebeten. Ich hatte gern mein Wissen mit ihr geteilt, aber seit sie mich vor ein paar Monaten in der Followeranzahl überholt hatte, antwortete sie nicht mehr auf meine Nachrichten. Inzwischen war unser einziger Kontakt ein gelegentliches Hallo bei irgendwelchen Veranstaltungen.
Ihr kometenhafter Aufstieg stand in direkter Verbindung zu ihrer Beziehung mit Adam, der ein großer Influencer in der Reisebranche war. Als die beiden letztes Jahr angefangen hatten, miteinander auszugehen, war ihr Content viral gegangen, und ihre Accounts explodierten förmlich.
Es ging einfach nichts über Cross-Promotion und die Befriedigung des voyeuristischen Verlangens der Öffentlichkeit, das Liebesleben von Fremden zu verfolgen.
Inzwischen bloggte ich seit fast einem Jahrzehnt, und mein Account hatte seit über einem Jahr knapp neunhunderttausend Abonnenten. Auch das war ein riesiges Publikum, und ich war dankbar für jeden meiner Follower (abgesehen von den Bots und den unheimlichen Typen, die Instagram wie eine Abschlepp-App benutzten), aber ich konnte die Wahrheit nicht leugnen: Meine Social-Media-Karriere stagnierte, und ich hatte keine Ahnung, wie ich sie wieder in Schwung bringen sollte.
Ich stockte mitten im Satz und verlor den Faden. Raya stürzte sich in die Pause wie ein Aasgeier auf seine Beute. »Luisa, ich würde gern etwas über das Stofflager von Delamonte in Mailand hören«, sagte sie und lenkte die Aufmerksamkeit der CEO wieder auf sich. »Adam und ich reisen dieses Frühjahr nach Italien, und …«
Frustration machte sich in mir breit, als Raya erfolgreich das Gespräch an sich riss. Ich öffnete den Mund, um sie zu unterbrechen, und in meinem Kopf konnte ich es mir vorstellen, aber im wirklichen Leben schafften es die Worte nicht durch den Filter meiner Erziehung und meiner lebenslangen sozialen Ängste.
Katastrophe Nummer drei.
Für jeden anderen wäre Rayas Auftritt keine Katastrophe gewesen, aber mein Gehirn war nicht immer in der Lage, den Unterschied zwischen einem Rückschlag und einer Katastrophe zu erkennen.
»Das haben Sie gut gemacht.«
Beim Klang von Christians Stimme setzte mein Herz mal wieder einen Schlag aus, bevor es in seinen normalen Rhythmus zurückfand. »Was denn?«
»Luisa.« Er neigte den Kopf in Richtung der CEO. Ich hatte nicht bemerkt, dass er unser Gespräch überhaupt mitbekommen hatte; er hatte sich die ganze Zeit mit dem Gast auf seiner anderen Seite unterhalten. »Sie mag Sie.«
Ich warf ihm einen zweifelnden Blick zu. »Wir haben uns nur fünf Minuten unterhalten.«
»Eine Minute reicht schon, um Eindruck zu machen.«
»Eine Minute reicht nicht aus, um jemanden kennenzulernen.«
»Von Kennenlernen habe ich nicht gesprochen.« Christian führte sein Weinglas an die Lippen, er klang entspannt und aufmerksam zugleich. »Ich habe davon geredet, Eindruck zu machen.«
»Welchen Eindruck habe ich denn bei unserem Kennenlernen auf Sie gemacht?«
Die Frage schien in der Luft zu zischen wie ein stromführender Draht, und ich verspürte mit einem Mal leichte Atemnot.
Christian stellte sein Glas mit einer Präzision ab, die ein pulsierendes Echo in meinen Adern erzeugte. »Stellen Sie keine Fragen, auf die Sie keine Antwort hören wollen.«
Seine Worte überraschten mich, und sie schmerzten auch ein wenig. »War es so schlimm?« Soweit ich mich erinnerte, war unser erstes Treffen ziemlich normal verlaufen. Ich hatte insgesamt ungefähr zwei Sätze mit ihm gewechselt.
»Nein.« Das Wort war eine raue Liebkosung auf meiner Haut. »So gut.«
Wärme durchströmte mich. »Oh.« Ich merkte selbst, wie atemlos ich klang, und riss mich zusammen. »Nun, falls Sie sich fragen sollten, was ich dachte … Mein erster Eindruck von Ihnen war, dass Sie sehr gut gekleidet sind.«
Ehrlich gesagt war das mein zweiter Eindruck gewesen. Zuerst hatte ich nichts gesehen als sein Gesicht. So perfekt und symmetrisch, dass es als Paradebeispiel für den Goldenen Schnitt in die Lehrbücher aufgenommen werden sollte.
Aber das hätte ich nicht zugegeben, selbst wenn Christian mir eine Pistole an den Kopf gehalten hätte. Denn wenn ich das sagte, hätte er womöglich gedacht, dass ich mit ihm flirte, und das wäre ein Stich ins Wespennest gewesen.
»Gut zu wissen.« Jetzt klang er wieder ironisch. Die Kellner brachten den Nachtisch, den er mit einem Kopfschütteln ablehnte.
Ich nahm einen Bissen von dem Schokoladenkuchen, bevor ich so beiläufig wie möglich fragte: »Woher wissen Sie denn, dass Luisa mich mag?«
»Ich weiß es einfach.«
Wenn Christian alle seine Gespräche auf diese Weise führte, war ich überrascht, dass noch niemand versucht hatte, ihn in einem Konferenzraum zu erstechen. Aber vielleicht hatte es ja schon mal jemand versucht und war gescheitert.
»Das beantwortet meine Frage nicht.«
»Lu, kommst du in nächster Zeit mal nach D. C.?«, wandte er sich mit einem Mal an Luisa, die sich eigentlich gerade mit Raya unterhielt. Auch dass ich gerade etwas gesagt hatte, schien ihn nicht zu kümmern.
»Eigentlich nicht.« Luisa warf ihm einen neugierigen Blick zu. »Warum fragst du?«
»Stella hat mir da von einer Location erzählt, die einfach perfekt wäre für euer Herrenmode-Shooting.«
Fast hätte ich mich an meinem Kuchen verschluckt.
»Wirklich?« Luisa musterte mich mit neuem Interesse. »Das wäre ja großartig. Unser Location-Scout hat sich nämlich schwergetan, einen Ort zu finden, der zum Thema passt und nicht zu übertrieben wirkt. Wo ist es denn?«
»Es ist …« Ich überlegte angestrengt, was ich antworten sollte, während ich Christian im Stillen dafür verfluchte, dass er mich in solche Bedrängnis brachte.
WelcherOrtinD. C.bietetsichfüreinHerrenmode-Shootingan?
»Du hast gesagt, es sei eine ehemalige Fabrik«, meinte Christian.
In diesem Augenblick dämmerte es mir.
Am Rande der Stadt gab es ein altes Industriegebäude, in dem ich ein paarmal fotografiert hatte. Bis in die 1980er-Jahre war die Fabrik in Betrieb gewesen, dann hatte ihr Eigentümer den Hauptsitz nach Philadelphia verlegt. Da sich kein neuer Besitzer gefunden hatte, war das Gebäude verfallen und wurde nun von Unkraut und Efeu überwuchert.
Der Weg dorthin war etwas mühsam, aber der Kontrast zwischen Grün und altem Stahl bot eine beeindruckende Kulisse für Shootings, insbesondere für Luxusfotos.
Woher weiß Christian davon?
»Genau.« Ich atmete kurz durch und lächelte Luisa an. »Es gibt keine offizielle Adresse, aber ich zeige Ihnen oder jemandem aus Ihrem Team gern den Weg, wenn Sie daran interessiert sind.«
Nachdenklich klopfte sie mit den Fingernägeln auf den Tisch. »Das hört sich spannend an. Hast du vielleicht ein paar Fotos?«
Ich rief einige meiner Bilder auf und zeigte sie Luisa, die die Augenbrauen hochzog und nickte. »Oh, die sind wunderschön. Kannst du sie mir schicken? Ich muss sie unserem Scout zeigen …«
Mein Herz machte einen Sprung, als Luisa mir ihre private Handynummer gab, damit ich ihr die Fotos schicken konnte, aber als ich aufschaute, verflog die Freude beim Anblick von Raya und Adam, die wütend miteinander flüsterten und mich anstarrten.
Angst surrte unter meiner Haut wie ein Bienenschwarm.
Das Getuschel der beiden erinnerte mich an meine Schulzeit, als alle gekichert und hinter vorgehaltener Hand geflüstert hatten, sobald ich die Klasse betreten hatte. Ich war schon früh sehr groß gewesen, und mit dreizehn war ich so groß, dünn und unbeholfen, dass die Bullies in mir ein leichtes Opfer gesehen hatten.
Inzwischen war ich in meine eigene Haut hineingewachsen, aber die Angst war nie ganz verschwunden.
Jetzt grinsten Raya und Adam.
»Warum erzählen Sie uns nicht, was so lustig ist?« Christians beiläufige Aufforderung barg einen dunklen Unterton, und das Grinsen auf ihren Gesichtern erlosch. »Scheint ja wirklich komisch zu sein.«
»Wir haben über etwas Persönliches gesprochen.« Raya verdrehte die Augen, aber sie wirkte ein wenig nervös.
»Verstehe. Nächstes Mal unterlassen Sie das bitte bei einer öffentlichen Veranstaltung, das ist nicht sehr höflich.« Inhaltlich war Christians Zurechtweisung ein milder Tadel, aber er sprach ihn mit solcher Verachtung aus, dass Raya knallrot anlief.
Statt seine Freundin zu verteidigen, starrte Adam auf seinen Teller hinunter, wobei er blass geworden war.
Der Schlagabtausch war so kurz und leise gewesen, dass der Rest des Tisches nichts mitbekommen hatte. Selbst Luisa bemerkte nichts; sie war zu sehr damit beschäftigt, jemandem eine Nachricht zu schreiben (wahrscheinlich ihrem Scout).
»Danke«, sagte ich zu Christian und wünschte, ich wäre so mutig, Raya selbst einen Dämpfer zu verpassen.
»Die beiden haben mich genervt«, erwiderte Christian. Es klang gleichgültig, aber trotzdem breitete sich Wärme in meinem Bauch aus, die bis zur Verabschiedung am Ende des Abends anhielt. Als ich schließlich später das Stadthaus verließ, fühlte ich mich etwas besser, was meine Chancen auf den Botschafterposten anging, aber es war alles andere als eine sichere Bank. Ich war immer noch überzeugt, dass Luisa Raya bevorzugte, egal was Christian sagte. Apropos Christian …
Ich warf ihm einen Seitenblick zu, als er mich einholte. Ich wohnte in einem Boutiquehotel nicht weit von Luisas Wohnung entfernt, aber ich bezweifelte, dass Christian ebenfalls dort übernachtete. Wahrscheinlich hatte er eine Wohnung in der Stadt, und wenn nicht, würde er eher in einem Hotel wie dem Carlyle oder dem Four Seasons absteigen und nicht in einem Acht-Zimmer-Hotel ohne Designerausstattung. »Verfolgen Sie mich?«, fragte ich leichthin, als wir in eine Seitenstraße einbogen.
Christians Präsenz beherrschte den Bürgersteig, flutete die Schatten und umgab uns mit einer Aura von Unbesiegbarkeit, so ruhig und tödlich, dass selbst die Dunkelheit es nicht wagte, ihn zu berühren.
»Ich sorge nur dafür, dass Sie gesund und munter in Ihr Hotel zurückkehren«, sagte er.
»Erst nehmen Sie mich im Schneesturm im Auto mit, jetzt das. Bieten Sie all Ihren Mietern solch einen Rundumservice?«
Ein rauchiger Schimmer ging durch die Whiskey-Augen, und mir stieg die Hitze in die Wangen, aber Christian verzichtete darauf, auf die Steilvorlage einzugehen, und sagte nur: »Nein.« Kurz und knapp, mit der Selbstsicherheit von jemandem, der sich nicht erklären musste. Wir gingen eine Weile schweigend weiter, dann sagte er: »Um Ihre Frage von vorhin zu beantworten: Ich weiß, dass sie Sie mag, weil ich Luisa kenne. Es klingt wahrscheinlich nicht logisch, aber wenn ihr jemand gefällt, lässt sie ihn vorerst eher in Ruhe. Sie neigt dazu, erst mal diejenigen in die Mangel zu nehmen, bei denen sie sich nicht sicher ist.«
Ich war schon so sehr an seine abrupten Themenwechsel gewöhnt, dass ich keine Sekunde aus dem Takt geriet. »Kann sein.« Ich würde es erst glauben, wenn es wirklich passierte, also wenn ich den Deal bekam. »Woher kennen Sie sie so gut?«
Luisa war zwanzig Jahre älter als Christian, aber das hatte nichts zu bedeuten. Ältere Frauen gingen oft mit jüngeren Männern ins Bett. Es würde auch erklären, weshalb sie bei seinem Erscheinen derart gestrahlt hatte.
Aus einem Grund, den ich nicht benennen konnte, umwölkte sich meine Stirn.
»Ich bin mit ihrem Neffen befreundet. Und nein, ich habe nie mit ihr geschlafen.« Ein Hauch von Lachen schwang in seiner Stimme mit.
Meine Wangen glühten heiß auf, aber zum Glück klang meine Stimme kühl und unbeteiligt. »Danke für die Information, aber ich bin nicht an Ihrem Liebesleben interessiert«, sagte ich und hob majestätisch das Kinn.
»Von Liebe habe ich auch nicht gesprochen, Ms Alonso.«
»Auch an Ihrem Sexleben bin ich nicht interessiert.«
»Hmm. Das ist sehr bedauerlich.« Jetzt war seine Belustigung kaum noch zu überhören.
Wenn er versuchte, mich aus der Reserve zu locken … Das würde ihm nicht gelingen. »Nur für Sie«, sagte ich sanft.
Wir erreichten mein Hotel und blieben stehen. Das Licht aus den Fenstern fiel auf eine Seite von Christians Gesicht, die andere lag im Schatten. Licht und Dunkelheit.
Zwei Seiten derselben Münze.
»Eine Sache noch.« Meine Atemzüge bildeten winzige weiße Wölkchen in der Luft. »Warum waren Sie heute bei diesem Abendessen?«
Wegen Luisa jedenfalls nicht; er hatte den ganzen Abend kaum mit ihr gesprochen.
Ein Schatten zog durch seine Augen und versank unter der kühlen bernsteinfarbenen Oberfläche. »Ich wollte jemanden sehen.«
Die Worte hingen zwischen uns in der Luft. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie nahe wir voreinanderstanden.
Leder, Gewürze und Winter. Einen Moment lang nahm ich nichts anderes wahr als diesen Geruch. Dann machte Christian einen Schritt zurück und wies mit einem Nicken Richtung Hoteleingang. Eine klare Verabschiedung.
Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne etwas zu sagen. Setzte mich in Bewegung und stieg die Treppe zum Eingang hinauf. Erst als ich die gläsernen Drehtüren erreichte, wurde meine Neugier stärker als mein Zögern.
Ich drehte mich um, halb in der Erwartung, dass Christian schon weg war, aber da stand er noch, unten am Fuß der Treppe. Dunkles Haar, dunkler Mantel und ein Gesicht, das irgendwie noch atemberaubender war, wenn es teilweise im Schatten verborgen war.
»Wen wollten Sie sehen?«
Die Luft war so kalt, dass sie mir in der Lunge brannte, aber ich wartete trotzdem auf seine Antwort.
In seinen Augen blitzte etwas auf, amüsiert und gefährlich zugleich. »Gute Nacht, Stella«, sagte er und wandte sich zum Gehen.
Die Worte drangen erst wirklich in meine Ohren, nachdem die Nacht ihn bereits verschluckt hatte. Rau stieß ich die Luft aus und schüttelte das Gefühl ab, als würden lauter elektrische Nadelstiche meine Haut durchdringen.
Doch die Gedanken an Christian, Luisa und sogar Delamonte verpufften, als ich mein Zimmer betrat, das Handy herausholte und Katastrophe Nummer vier mich ereilte.
Ich hatte das Handy den ganzen Abend über in meiner Handtasche gelassen, weil ich nicht eine von denen sein wollte, die beim Abendessen Nachrichten las und schrieb. Luisa hatte das zwar getan, aber sie war die Gastgeberin, sie konnte machen, was sie wollte. Jetzt wurde mir klar, dass mein Versuch, professionell zu wirken, nach hinten losgegangen sein könnte, denn das Display war voll mit verpassten Anrufen und Nachrichten von Meredith. Die letzte war vor zwanzig Minuten angekommen.
Oh Gott!
Was war los? Wie lange hatte sie schon versucht, mich zu erreichen?
Ein Dutzend Möglichkeiten schoss mir durch den Kopf, als ich sie zurückrief, mit pochendem Herz und die Handflächen klamm vor Schweiß.
Vielleicht brannte es im Büro, oder ich hatte vergessen, die Prada-Tasche zurückzuschicken.
»Stella. Wie schön, endlich von Ihnen zu hören.« Ihre frostige Begrüßung schien mir über den Rücken zu streichen wie die kühle Haut eines Reptils.
»Es tut mir so leid. Ich habe mein Handy auf lautlos gestellt und gerade erst gesehen …«
»Ich weiß, wo Sie waren. Ich habe Sie im Hintergrund von Rayas Instagram-Storys gesehen.«
Trotz ihrer Verachtung für Blogger verfolgte Meredith ihre Aktivitäten in den sozialen Medien sehr genau. Schließlich ging es um Wettbewerb und darum, wer als Erster neue Trends entdeckte.
Ich schien die Einzige zu sein, die die Ironie darin bemerkte.
Ich schluckte. »Stimmt irgendwas nicht? Wie kann ich Ihnen helfen?« Es war ganz egal, dass es Samstag war und schon kurz vor Mitternacht. Ein Anrecht auf Work-Life-Balance hatten die jungen Mitarbeiter des Magazins nicht. »Es gab ein Problem mit dem Fotoshooting nächste Woche, aber wir haben es gelöst, während Sie gefeiert haben«, sagte Meredith kühl. »Wir besprechen das am Montag. Seien Sie um Punkt sieben Uhr dreißig in meinem Büro.«
Dann war die Leitung tot, ebenso wie die Hoffnung, dass sie die Sache schnell wieder vergessen würde.
Ich hatte das ungute Gefühl, dass ich am kommenden Montagmorgen um acht Uhr keinen Job mehr haben würde.
»Sie sind gefeuert.«
Drei Wörter. Fünf Silben. Ich hatte mich nach dem Telefonat am Samstagabend mental darauf vorbereitet, aber sie trafen mich trotzdem wie ein Schlag in die Magengrube.
Einatmen, eins, zwei, drei. Ausatmen, eins, zwei, drei.
Es klappte nicht. Der Sauerstoff kam nicht an dem Knoten in meiner Kehle vorbei, und winzige schwarze Punkte schwammen durch mein Blickfeld, während ich Meredith anstarrte, die vor mir saß. Sie nippte an ihrem Kaffee und blätterte in der neuesten Women’sWearDaily, als hätte sie mein Leben nicht innerhalb von zehn Sekunden in Schutt und Asche gelegt.
»Meredith, wenn ich …«