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Auf einem Hochzeitsfest platzt Joseph, wegen seiner Boshaftigkeit im ganzen Dorf bekannt, mit der Nachricht herein, dass es vielleicht bald zu einer Verlobung auf dem Schloss käme. Sofort beginnt eine lebhafte Debatte, schließlich kann es sich bei dem Bräutigam nur um Vinzent Serbynski handeln. Als Kind hatte der älteste Sohn des Schullehrers beim Spielen die Tochter des Grafen, die kleine Ludovika, vor dem Ertrinken gerettet. Als Dank lebte er seitdem auf dem Schloss. Noch während unter den jungen Leuten diskutiert wird, dass einer von ihnen zum Grafen wird, bringt ein leidenschaftlicher Zwischenruf alle zum Schweigen: "Das ist eine gemeine Lüge!" Ignaz Serbynski, der jüngere Bruder, heimlich in Ludovica verliebt, ist rasend vor Eifersucht. Als das Brautpaar die Feier mit einem Besuch ehrt, kommt es zum Eklat – eine gute Gelegenheit für Joseph, Sohn des Wassermüllers, eine weitere Intrige zu spinnen. War es nicht von jeher so, dass die Söhne des Lehrers als Knechte der Wassermühle dienten? Und jetzt wird so einer Graf? Angestachelt von Joseph und zum Trotz gegen seinem hochherrschaftlichen Bruder wird Ignaz wirklich Knecht von Joseph. Und der wird ihn als todbringendes Werkzeug benutzen! Ein Eifersuchtsdrama um vier junge Menschen.-
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Seitenzahl: 98
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Max Kretzer
Eine polnische Geschichte
Saga
Ignaz Serbynski
© 1918 Max Kretzer
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711502938
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
Es war im Anfang Herbst, an einem Sonntag Nachmittag. Lustiger als sonst ging’s im Wirtshaus des Dorfes zu. Sogar bis zu der Stelle, wo die Dorfstrasse eine Biegung machte und der Weg zum Schloss rechts seinen Anfang nahm, schallt das Jauchzen der Burschen und die gleichmässigen Töne des Krakowiáka) hinüber.
Eines reichen Bauern einzige Tochter, die im ganzen Dorfe und noch darüber hinaus in dem Rufe eines braven und fleissigen Mädchens stand, hatte endlich einem der zahlreichen Freier, die bei ihrem Vater aus- und eingingen, den Vorzug gegeben. Am Vormittag war in der Dorfkirche die Trauung gewesen, und jetzt sollte die Hochzeit gefeiert werden — eine Hochzeit, wie sie seit langer Zeit nicht gewesen und von der sich die Burschen viel versprachen.
Von nah und fern waren die Alten und Jungen eingeladen, den ganzen Tag schon dauerte das Vorfahren der Britschken und anderen Wagen, und noch immer wollte es kein Ende nehmen, zum grossen Ärger der jungen Burschen, die mit Sehnsucht der Zeit entgegenharrten, wo sie endlich ihre Befriedigung in den zahlreich aufgetischten Speisen und dem in kleinen Fässern aufbewahrten Wutki finden würden, denn an Speisen und Trank hatte es der Vater der Braut nicht fehlen lassen.
Schon vor acht Tagen waren die Vorbereitungen getroffen worden. Es fehlte auch nicht ein Stück von dem landesüblichen Rind- und Federvieh, uugeachtet der Unmassen von Gemüsen, die in grossen irdenen Schüsseln auf einer grün angestrichenen, mit zierlich ausgeschnittenen Papierstreifen dekorierten Bank zum Auftischen bereitstanden und manchen sehnsüchtigen Blick des jungen Volkes auf sich zogen. Ein Fass Wein sogar hatte der Hochzeitsgeber aus der Stadt mitgebracht. Damit wollte er aber, allem Anschein nach, seinen Gästen eine Überraschung bereiten, denn er hatte das Fässchen verstohlen in einer Ecke untergebracht und mit einem Tuche bedeckt. Alles in Allem, es sollte eine Prachthochzeit werden, wie der Alte fich schmunzelnd ausdrückte, von der man noch jahrelang reden sollte.
Auf allen Gesichtern war die Freude zu lesen, und diese Freude schien um so erklärlicher, seitdem es bekannt geworden, dass die „gnädige Herrin“ vom Schlosse, die schöne Ludovika, die es mit jederman von Herzen gut meinte und viel Not und Elend milderte, den Entschluss gefasst hatte, auf kurze Zeit dem Feste beizuwohnen und ihr Scherflein als Hochzeitsgeschenk beizusteuern. Daher auch der grosse Korb mit Herbstblumen, die, zu zierlichen Sträusschen gewunden, dort auf einem Schemel ihren Platz gefunden, und womit die Mädels das gnädige Fräulein zu schmücken gedachten.
Eben hatte wieder eine jener einfachen, aber gerade um so mehr zum Herzen dringenden Melodien begonnen und einige der Burschen rüsteten sich zum Tanze, um zu probieren, wie sie lachend meinten, denn es war noch lange nicht Zeit dazu.
Man muss den traurig-ernsten Melodien der Poler gelauscht haben, um zu begreifen, wie sich jedes Polenherz höher hebt beim Klange der geliebten Töne.
Während sich einige der Anwesenden lustig herumdrehten, ein anderer Teil, namentlich die Alten, in ein Gespräch mit den noch immer ankommenden Gästen einliess, nach diesem und jenem fragte, hatte sich plötzlich ein Teil der übrigen Nichttänzer um einen Burschen versammelt, der in aller Hast hereingestürzt war und augenscheinlich eine wichtige Nachricht mitgebracht hatte.
„Was gibt’s Neues im Schloss, Joseph, wann wird das gnädige Fräulein kommen? Wie steht’s mit dem alten Grafen? Ist ihm schon besser?“ ertönten verschiedene Stimmen dem Eintretenden wirr entgegen, der sich im ersten Augenblick gar nicht fassen konnte ob dieser Bestürmung. Endlich hatte sich der Sturm soweit gelegt, dass er zur Sprache kommen konnte.
„Mit dem Besuche des gnädigen Fräulein wird es wohl vorläufig keine grosse Eile haben und was das Neue auf dem Schlosse betrifft, so kann ich nur sagen, dass da oben Besuch angekommen ist, und wir bald einen neuen Herrn bekommen werden. — Wen würdet ihr wohl raten,“ fuhr er nach einer Pause in seiner Rede fort, als einige lose Zungen ihn unterbrechen wollten — „wenn ich es euch aufgeben würde, he?“
Ein schlaues, selbstbewusstes Lächeln glitt über die Züge Josephs, als er sah, wie Einer den Anderen im Erraten zu übertreffen suchte. Endlich wurde auch diesen die Zeit zu lang, sich mit nutzlosem Mühen abzugeben.
„Immer frei heraus mit der Sprache, Joseph — wir kommen zu wenig zur gnädigen Herrschaft — wir können es nicht raten; erzähle du es uns selber,“ klanger wieder einige Stimmen durcheinander.
Unterdessen hatte sich die Gruppe um Joseph immer mehr vergrössert. Die Musik war verstummt, so dass eine lautlose Stille eintrat.
„Nun, wenn ihr doch ’mal so dumm seid, es nicht zu erraten,“ begann der Sprecher wieder — „trotzdem nichts leichter wäre als das, wenn ihr nur ein wenig nachdenken wolltet, so will ich es euch denn sagen. Wer sollte es denn anders sein, als der Vinzent, der Bruder von Ignaz Serbynski — ihr kennt ihn ja alle — der Jugendgespiele der jungen Herrin, das grosse „Genie“, wie ihn sein Vater, der alte Schulmeister, nennt, trotzdem ich wirklich nicht weiss, woher er sein Genie haben sollte,„ fügte er spöttisch hinzu; „hat er uns doch das letztemal, als er im vorigen Jahre zum Besuch hier war, so scheel angesehen, als ob er uns gar nicht mehr kenne, trotzdem er nicht besseren Blutes ist als wir.“
„Glaubt es ihm nicht, er will uns ’was weiss machen,“ liess sich eine dünne Stimme aus dem Haufen vernehmen. „Der Joseph konnte den Vinzent schon von jeher nicht leiden. Wie sollte auch der arme Student dazu kommen, unsere reiche Herrin zu heiraten, die es ja stets so gut mit uns meinte; fragt ihn nur, ob er selbst es gehört und gesehen hat, da wird der Ochse am Berge stehen.“
Gelächter folgte diesen Worten, und ein Teil der Burschen schien bereits dem Sprecher beistimmen zu wollen. Der Joseph war wegen seiner Tücke und vielen Lügen im ganzen Dorf bekannt. Aber er schaute sich jetzt doch drohend im Kreis umher, als wollte er den ausfindig machen, der es gewagt hatte, ihn öffentlich einen Lügner zu nennen. Seine Augen blitzten, dann rief er laut mit schlecht verhehltem Ingrimm:
„Ich freilich war nicht dabei, aber die Hedwig, bei der mein Vater Pate gestanden und die heute im Schlosse war, um ihre Schwester, die Marianne, zu besuchen, hat es mit eigenen Augen gesehen, wie der Vinzent unsere Herrin umfasst hielt und geküsst hat; sie hat auch gehört, wie dann die gnädige Panna gesagt, sie wollten nun gleich zu ihrem Vater gehen und um seinen Segen bitten. Wollt Ihr es nun glauben, he? Möchte doch den sehen der da noch ein Wort zur Gegenrede hat.
Die Worte waren mit so vielem Ernst und Nachdruck gesprochen, dass es diesmal still blieb. Das Gelächter war verstummt.
In ihre Unterhaltung vertieft, hatten die Burschen nicht bemerkt, wie die Tür hinter ihnen sich geöffnet hatte und ein hochgewachsener junger Mann, der sich durch bessere, städtische Kleidung und hohe Reiterstiefel von den Versammelten unterschied, eingetreten war und mit verschränkten Armen, den grossen Blick fest auf den Sprecher gerichtet, die letzten Worte Josephs vernommen hatte. Jetzt drängte er sich durch den Haufen, und krampfhaft den Arm des Burschen erfassend, dass dieser eine Bewegung machte, als empfinde er einen stechenden Schmerz, schrie er ihn leidenschaftlich an: „Das ist eine gemeine Lüge!“
Die Bauern traten zurück, und fast wie aus einem Munde ertönte es im Kreise: „Ignaz Serbynski —“
Ignaz Serbynski hielt noch immer des Burschen Arm.
„Das kann nicht war sein, das darf nicht wahr sein, schon um ihrer selbst willen, verstehst du?“ fuhr er fort. Seine Augen funkelten dabei unheimlich. Er machte den Eindruck eines Menschen, den eine plötzliche Nachricht in eine fürchterliche Aufregung versetzt hat.
„Lass mich los, bist du denn toll geworden?“
Joseph rief es und versuchte sich loszureissen, aber er bedurfte dieser gewaltsamen Anstrengung nicht — Ignaz liess freiwillig von ihm ab. Einen Augenblick blieb er noch stehen, das Haupt etwas geneigt, das Gesicht mit den Händen bedeckt. Seine Brust hob und senkte sich schwer. Er schien einen inneren Schmerz gewaltsam unterdrücken zn wollen. Dann plötzlich drehte er sich um und schritt, ohne noch einen Blick auf seine Umgebung zu richten, ebenso still, wie er hereingetreten, der Türe zu, die hinter ihm ins Schloss fiel.
Keiner trat ihm in den Weg, niemand hinderte ihn.
Eine Minute herrschte eine feierliche Stille in dem Tanzsaal. Einer sah den andern an, als wolle er diesen zuerst sprechen lassen. Alle hatten ihren Augen nicht getraut. Hatten sie recht gesehen? War das der Ignaz, von dem im ganzen Dorf die Rede ging, er könne keinem Kinde etwas zuleide tun, den sie da vor sich gehabt hatten? Der Vorfall erschien noch jedem wie ein Rätsel.
Erst nachdem schon längst durch die geöffneten Fenster die Tritte des Davongehenden verhallt waren, entstand die alte Bewegung in dem Haufen.
„Hol’ mich der Kuckuck,“ begann die dünne Stimme von vorhin wieder, „aber sehen möchte ich doch denjenigen, der da sagen wollte, es gibt noch einen tolleren Menschen auf der Welt, als den Ignaz. Sieht es doch gerade aus, als ob er selber sich in die Herrin vergafft hätte.“
Jeder war zu froh, dass endlich die Stille, welche auf allen Gemütern lastete, unterbrochen wurde, als dass er nicht bei den letzten Worten in das allgemeine Gelächter, das ihnen folgte, mit eingestimmt hätte. Und als nun gar der Joseph, welcher sich von seinem Schrecken wieder erholt hatte, die Musikanten zum Spielen aufforderte und selbst den Reigen begann, da war der Vorfall bald vergessen, und wenn zufällig ein Fremder das Wirtshaus betreten hätte, er würde nichts davon wahrgenommen haben, dass vor wenigen Minuten noch alle, die sich jetzt lustig im Kreisc drehten, ernste Gesichter gemacht hatten, und schon im Geiste durch eine Rauferei des Fest getrübt sahen.
Ignaz war der jüngste Sohn des Schullehrers Serbynski, eines zwar schon alten, aber doch immer noch rüstigen Mannes, der wegen seiner Rechtschaffenheit und übertriebenen Höflichkeit im ganzen Dorf beliebt und von jedermann geachtet ward. Wie es eigentlich gekommen, dass der Graf sich seines Bruders Vinzent so freundlich angenommen, dass er ihn fast wie einen Sohn behandelte, und ihn später sogar auf die Universität nach Warschau schickte — er wusste es eigentlich selbst nicht mehr genau, nur dunkel tauchte in seiner Erinnerung auf, dass eines Tages, vor Jahren, an einem schönen Sommertage, er und sein Bruder Vinzent mit den anderen Burschen des Dorfes an dem Bache, der sich dort unten in der Niederung hinschlängelte und sein klares Wasser zum Betriebe einer Mühle auf deren mächtiges Rad ergoss, zum Spielen versammelt waren. Da traf es sich, dass die kleine Ludovika in Begleitung ihrer Mutter einen Spaziergang durchs Dorf machte und hinten am Bach Vergissmeinnicht pslücken wollte. Dabei tat das kleine Mädchen einen Fehltritt und stürzte, laut aufschreiend, von einem Vorsprung des Ufers ins Wasser. Der Vinzent war der erste, der schnell den Abhang hinunter eilte und in den Bach sprang. Eine Strecke schon hatte der Strom das kleine Mädchen mit fortgerissen — jetzt, höchstens noch fünf Schritte, und die Kleine wäre unter das Rad der Mühle gekommen — da tat der Vinzent einen mächtigen Satz, erfasste mit knapper Not das Töchterchen der laut aufschreienden Gräfin und trug es ans Ufer. Viel Nachteiliges ausser einem Schnupfen hatte die Kleine nicht davongetragen, wohl aber die Mutter, welche dabei so heftig erschrocken war, dass sie schwer erkrankte und bald darauf starb, ohne jedoch nicht in ihrem letzten Willen noch kund zu tun, dass der Vinzent fortan mit der kleinen Ludovika zusammen erzogen und er, Ignaz, sowie seine Eltern in allem unterstützt werden sollten.