Ihr macht uns die Kirche kaputt... - Daniel Bogner - E-Book

Ihr macht uns die Kirche kaputt... E-Book

Daniel Bogner

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Beschreibung

Keine Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal, überkommene monarchische Strukturen und immer wieder die Frauenfrage: Viel zu lange haben Bischöfe, Kardinäle und der Papst Aufbruch nur gepredigt, ohne dass den Worten Taten gefolgt wären. Daniel Bogner, der junge Theologe, beschreibt klar und deutlich, woran die Kirche krankt und wie Reformen verhindert werden. Doch er ist kein routinemäßiger Kritiker, dem nichts an der Kirche läge: In seinem Buch zeigt er, wie die Kirche verlorenes Vertrauen wiedergewinnen und den Anschluss an die Moderne schaffen kann, ohne sich selbst zu verraten. Provokant bringt Bogner auf den Punkt, wovor die Kirche nicht ausweichen darf!

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Daniel Bogner

Ihr macht uns die ­Kirche kaputt …

… doch wir lassen das nicht zu!

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Die Bibeltexte sind entnommen aus:

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe

© 2016 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Network! Werbeagentur GmbH

Umschlagmotiv: plainpicture / visual2020vision

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern

ISBN E-Book 978-3-451-81848-6

ISBN Print 978-3-451-39030-2

Inhalt

Nichts ist mehr, wie es war

1. Ja, wo leben wir denn eigentlich?

Kirche kennt keine Gewaltenteilung

Menschenwürde – gut für die Predigt, nicht für das Kirchenrecht

Was wir brauchen: eine demokratische Kirche

2. Immer weniger Mitspieler – und immer mehr Schiedsrichter

»Die da oben« gegen »Wir vor Ort«

Nur der gute Wille zählt?

Was wir brauchen: guter Geist in guten Strukturen

3. Absolutismus heilt sich nicht von selbst

Tradition: die atheistische Versuchung

Mehr Revolution wagen!

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen!

Was wir brauchen: eine Kirche, die lernt und endlich handelt

4. Die Kirchenkrise auf den Punkt gebracht: Ihr kommt hier nicht rein!

Vom Rücken durch die Brust ins Auge …

Frustration im »Meinungsghetto«

Trampelpfade des Überlebens

Willkommen im permanenten Ausnahmezustand

Was wir brauchen: ein Ende der klerikalen Monokultur

5. »Die wirklich kritischen Leute sind schon längst ausgewandert«

Synodalität und andere Containerbegriffe: Die Selbsttäuschungen des Reformkatholizismus

Falscher Trost: die Kunst des Möglichen

Was wir brauchen: geweihte Frauen statt Lückenbüßer

6. Von den Hirten verlassen

Verantwortung übernehmen, statt in Betroffenheit zu erstarren

Fehler haben keine Folgen

Mit zweierlei Maß messen: für die Kirche kein Problem?

Was wir brauchen: Leiter, die wissen, für wen sie da sind

7. »Ecclexit« oder der tote Winkel des Glaubens

»Dann geh doch rüber!«

Lagerfeuer in der Ruinenlandschaft

Was wir brauchen: Kirche als echte Heimat

8. Warum ein Mission Manifest nicht genügt

Keine Alternative: Reform oder Erneuerung

Zeit für pastoralen Ungehorsam!

Dahin gehen, wo es wehtut

Die Lehre füllen: Liebe, Respekt, Toleranz

Was wir brauchen: katholische Identität auf der Höhe der Zeit

Abschied von heiligen Strukturen

Literatur und Empfehlung

Über den Autor

Nichts ist mehr, wie es war

Irgendetwas ist anders. Dieses Gefühl haben viele, wenn sie heute an die Kirche denken. Ich spreche von der katholischen Kirche. Sie ist meine Kirche, immer schon. Ich wurde nach der Geburt katholisch getauft, in diesem Glauben erzogen und durch meine bayerische Heimat auch kulturell in ihn »hineingeprägt«. Religiös zu sein war für mich immer eine natürliche Möglichkeit, die dem Menschen offensteht. In der katholischen Ausprägung des christlichen Glaubens fand ich einen Weg, diese Möglichkeit zu ergreifen.

Ich empfand diesen Weg als einladend – sinnenfroh und ganzheitlich, stets darum bemüht, die religiöse Botschaft in die kulturelle Umgebung zu übersetzen, dem Rationalen gegenüber keinesfalls abgeneigt. Nicht engstirnig und sektiererisch, sondern weltoffen und interessiert erlebte ich den Katholizismus in Kindheit und Jugend. Es war die glückliche Gestalt einer Glaubenskultur, die fähig war zu Synthese und Kompromiss. Man lebte in dieser Kirche das lebendige Erbe einer jahrhundertelangen Tradition mit ihren Bräuchen und spirituellen Praktiken. Das schuf ein Selbstbewusstsein der Religion, das die Basis war für ihre Neugierde und die Freude am Experiment. Ich durfte eine Kirche erleben, die, angestoßen durch das II. Vatikanische Konzil, sich den Entwicklungen in Welt und Gesellschaft zuwandte, davon lernen wollte, ohne ihre Quellen preiszugeben.

Ein solcher Katholizismus bot vieles, Verankerung und Aufbruch, Gedächtnis und Wagnis, Gewissheit und Risiko. Auch Debatte und Streit gab es, gewiss. Darum, was denn die notwendigen Konsequenzen des Glaubens im Politischen seien, und natürlich darüber, welche Reformen in der Kirche anstünden. Von einer Krise sprach man eigentlich immer schon. Dass der Glaube irgendwie angesagt war oder unumstritten – davon kann wirklich keine Rede sein. Dennoch, es ist heute nicht mehr so, wie es bisher war.

Etwas ist zerbrochen, und dieses Etwas lässt sich an der Missbrauchskrise festmachen. Ich nenne es das »Hintergrundvertrauen«. Das ist die Gewissheit, dass es im Letzten schon sein Richtiges habe mit der Kirche. Für viele Menschen, die ich auf meinem Weg im Katholizismus kennengelernt habe, war immer klar: Diese Kirche ist unendlich langsam damit, sich auf Neues einzulassen und das Notwendige zu lernen. In ihr sind Kräfte am Werk, die sie bremsen und durch die sich viele ausgebremst fühlen. Aber es ist doch eine Kirche, für die sich der Einsatz lohnt. Irgendwann, so die stille Annahme, wird das »lange Bohren dicker Bretter«, wie der Soziologe Max Weber es einmal für das Geschäft der Politik ausdrückte, auch in der Kirche Erfolg haben. »Und sie bewegt sich doch …« – so die Hoffnung, die viele lange Zeit hatten.

»Die Menschen glauben uns nicht mehr!«, sagt der Münchner Kardinal Reinhard Marx heute, wenn er die Situation analysiert. Die Kirche hat offenbar ihre wichtigste Ressource verspielt, die Glaubwürdigkeit. Denn das, was unter keinen Umständen passieren durfte, ist geschehen. Nicht nur bei den anderen, sondern hier, mitten in der eigenen Kirche. Man kann nichts verdrängen, etwa indem man auf andere Länder zeigt. Und es ist nicht nur einmal passiert, sondern immer wieder – und geschieht wahrscheinlich fortlaufend, wie die Forscher der Studie zum Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige (die sogenannte »MHG«-Studie) sagen. Dieses Buch setzt hier an. Es ist entstanden aus einer Empörung: Wie kann die Kirche zulassen, dass das geschieht, was den Namen »Missbrauch« trägt? Wie kann es sein, dass die Kirche offenbar Verbrechen zum System werden lässt? Weshalb tut sie nicht alles, um zu verhindern, dass so etwas weiter vorkommen kann?

Mein Eindruck ist: Viele spüren, dass die Kirche vor einer gewaltigen Aufgabe steht und dass sie sich Fragen zuwenden muss, die ihr wehtun. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht Bischöfe und hohe Kirchenverantwortliche betonen, wie sehr alles Mögliche »auf den Prüfstand« müsse – Zölibat, Machtausübung in der Kirche, die Beteiligung von Laien und überhaupt »der Umgang miteinander«. Die vielen Äußerungen zeigen, dass man spürt, wie wenig man auf den eingefahrenen Gleisen weiterkommen wird. »Die alte Zeit ist zu Ende« – diese Aussage des Essener Bischofs Franz-Josef Overbeck markiert am deutlichsten dieses Bewusstsein, und das ist durchaus bemerkenswert.

Was aber folgt? Hinter den Kulissen der Bischofskonferenz wird mittlerweile mit harten Bandagen um diese Frage gekämpft. Vor einem »Missbrauch des Missbrauchs« warnen manche Amts­träger. Der Missbrauchsskandal solle nicht dafür genutzt werden, die angeblichen Ladenhüter der kirchlichen Reformdebatte nun endlich unter die Leute zu bringen. Was für eine narzisstische Aussage! Gerade weil die Verbrechen des Missbrauchs wiederholt und über einen langen Zeitraum geschehen sind, sind die Bischöfe verpflichtet, nach den tieferen Ursachen zu suchen. Dass dabei einiges infrage gestellt wird, was so mancher Kirchenführer lieber unangetastet ließe, ist kaum zu vermeiden.

Ich versuche, erste Schritte auf dem Weg zu gehen, den jetzt viele fordern. Dieses Buch spürt den Ursachen für die »toxische« Gestalt der Kirche nach, die mit dem Missbrauchsskandal sichtbar wurde. Die zentrale Frage lautet: Was ist schuld daran, dass die Kirche sich für viele so »vergiftet« anfühlt? Diese Diagnose kennt viele Facetten. Der Missbrauch ist die schlimmste davon. Aber »toxisch« ist die Kirche auch auf andere Weise.

Ich habe jene Menschen von heute im Blick, die von der Botschaft Jesu angezogen sind und Glaubensbereitschaft mitbringen. Das Problem besteht darin, dass viele von diesen Menschen nicht den Eindruck haben, man begegne ihnen in der Kirche auf Augenhöhe – als Menschen, die in Beruf und Familie mit Kompetenz und Engagement ihren Einsatz zeigen und gehalten sind, Regeln des Respekts vor der gleichen Würde aller einzuhalten. In der Kirche hingegen wird die eine Hälfte der Menschen wegen ihres angeblich falschen Geschlechts einer Sortierung unterzogen, die bestimmte Möglichkeiten der Teilhabe von vornherein ausschließt. Und wer das Glück hat, Mann zu sein, muss immer noch damit rechnen, dass die Entscheidungen eines Geweihten im Zweifelsfall als das bessere Argument gelten. Oder man muss zur Kenntnis nehmen, dass die Macht des kirchlichen Amtsinhabers einer geringeren Kontrolle unterliegt, als dies bei jedem Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft der Fall wäre … Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich ernst nehmen möchte, was so viele Bischöfe und Verantwortliche jetzt fordern – dass man den Ursachen auf den Grund gehen soll und über die notwendigen Schritte der Veränderung konkret nachdenken muss.

»Ihr macht uns die Kirche kaputt!« – mit diesem Titel ist eine ganz bestimmte Perspektive eingenommen. Es ist die Blickrichtung derjenigen, die wirklich etwas zu verlieren haben in der gegenwärtigen Krise. Die Rede ist von den Kirchenmitgliedern, die – aus welchen Gründen auch immer – bis heute dabeigeblieben sind und zu denen auch ich selbst mich zähle. Viel zu lange haben die Menschen in der Kirche pauschales Vertrauen zu ihrer Leitung aufgebracht, im guten Glauben, die Gottesmänner würden schon das Richtige tun, um die Botschaft des Evangeliums auch in der Kirche Wirklichkeit werden zu lassen. Spätestens jetzt, mehr als jemals zuvor, müssen Gläubige sich eingestehen, dass dieses Vertrauen oft nicht gerechtfertigt war. Wir haben zu lange stillgehalten, schäfchen-brav hingenommen und uns einlullen lassen, wenn in fromm klingender Sprache von oben herab die herrschenden Verhältnisse für richtig erklärt wurden.

Vieles ist heute anders. Einzelne Bischöfe sprechen Klartext. Selbst treueste Kirchenmitglieder sind entsetzt und enttäuscht, wie mit ihrem Vertrauen umgegangen wurde. Die Kirchenleitung steht in der Bringschuld. Blickt man auf die zentrale Stellung und Machtfülle von Bischöfen in der römischen Kirche, sind sie es, die zuallererst »liefern« müssen. Es gibt allerdings auch eine zweite Seite dieser Medaille. Denn wie in jedem Herrschaftsverhältnis braucht es auch in der Kirche Menschen, die sich in ein Untertanenbewusstsein fügen. Gläubige könnten und sollten diese Haltung ablegen und ihren Kirchenleitungen auf eine ganz andere Weise Druck machen, als das bislang geschieht. Ich werde deshalb im Folgenden auf zwei unterschiedliche Punkte eingehen.

Auf der einen Seite geht es um den Rahmen der Kirche, also Kirchenverfassung und Rechtsordnung der katholischen Kirche. Beides wurde viel zu lange vernachlässigt und nicht für wichtig erachtet, obwohl damit die Grundlinien der Kirche gezogen sind. Auf der anderen Seite wird ein Blick auf die Mentalitäten, die Denk- und Handlungsweisen gerichtet, die der verfassungsmäßigen Grundordnung folgen und von den Akteuren oft blind verinnerlicht sind. Dass die Oberen »sanft herrschen« und die Unteren sich so gern führen lassen, allenfalls »Fragen stellen« statt aufzubegehren, ist eben auch eine Folge des Platzes, den die Kirchenordnung, unter der man als katholisches Kirchenmitglied steht, einem zuweist.

Ich finde es befremdlich, dass so viele Katholikinnen und Katholiken ihre ganze Hoffnung auf Papst Franziskus richten. Einer, der da ganz oben, soll es nun richten! Was aber, wenn er anderes tut oder äußert, als man es von ihm erhofft? Oder wenn der Papst wechselt und das kommende Pontifikat andere Ziele verfolgt als das aktuelle? Wie vermessen und unrealistisch überhaupt ist die Erwartung, von einer einzigen Person, die noch dazu innerhalb eines fest gefügten institutionellen Systems agiert, könne die grundlegende Wende ausgehen? Es ist, so drastisch muss man es wohl formulieren, eine in sich nochmals autoritär strukturierte Erwartung, die viele katholische Kirchenmitglieder da umtreibt.

Unterschiedliche Aspekte sind es also, die mich dazu führen, eine »kirchliche Verfassungsdiskussion« einzufordern und diese hier zu beginnen. Wie vor allem in den ersten drei Kapiteln sichtbar wird, hilft mir dabei der Vergleich zwischen der Kirche und dem demokratischen Rechtsstaat. Eine Anmerkung dazu ist mir wichtig. Natürlich kann man über die Wahrheit nicht abstimmen! Ich halte es für richtig und notwendig, dass es in der Kirche eine Instanz gibt, die für die Identität des Christlichen Sorge trägt und gelegentlich dazu auch ein autoritatives (nicht autoritäres!) Wort spricht.

Die Kirche ist aber eben nicht nur ein »Lehrkörper« mit einer Glaubenswahrheit, sondern auch ein »Sozialkörper«, in dem diese Wahrheit gelebt werden will. Und im Bemühen, die Wahrheit umzusetzen, muss sich die Kirche einer anderen Kontrolle unterwerfen, als es in der Aufgabe eines kirchlichen Lehramtes nötig ist. Die römische Kirchenführung hat in der Vergangenheit immer wieder gerne die eine Kompetenz mit der anderen kurzgeschlossen!

Dass der Vergleich zwischen Demokratie und Kirche bei Weitem nicht so abwegig ist, wie manche meinen, zeigt noch etwas anderes. Auch der freiheitliche Rechtsstaat baut auf einer Wahrheit – es ist der Glaube an die Menschenwürde, von der sich die Grund- und Menschenrechte des Verfassungsstaates ableiten. Über diese Wahrheit der Demokratie wird ebenfalls nicht verhandelt und abgestimmt, wohl aber über die politischen Konsequenzen, die daraus folgen und über die es unterschiedliche Auffassungen gibt.

Dieser Gedanke und die zuvor dargestellte Überlegung bestärken mich in der Erwartung, aus dem Vergleich von Kirche und Demokratie einiges Erhellendes gewinnen zu können. Beide, demokratischer Staat und Kirche, sind trotz aller Unterschiedlichkeiten so etwas wie Spielarten eines Umgangs mit dem Unverfügbaren.

Mir geht es nicht allein darum, Zusammenhänge zu beschreiben und Sachinformationen zusammenzutragen. Zentral ist für mich die Frage: Was macht die Lage mit den Betroffenen, in allererster Linie mit denen, die eigentlich gerne Kirche sein wollen? Welche Möglichkeiten bleiben ihnen angesichts der immer verfahreneren Situation? Und wie ist das alles vor dem Horizont der doch eigentlich allein ausschlaggebenden biblischen Sendung der Kirche zu bewerten?

Das Genre dieses Buches ist Kritik. Es mag manche und manchen verschrecken. Gerade in der Kirche gibt es oft eine »Kuschelsprache«, die Kritik nicht akzeptieren will, wenn nicht umgehend Vorschläge zum Bessermachen unterbreitet werden. Ich meine allerdings, die gegenwärtige Krise der Kirche ist so gravierend, dass es zunächst einer sehr gründlichen Analyse und Diagnose bedarf. Erst dann kann man sagen, wie man sich aus dieser Krise eventuell befreien kann. Mir geht es nicht darum, irgendetwas schlechtzureden. Viel zu sehr bin ich selbst mit der Kirche verbunden. Viele der Entwicklungen und Kräfte, die im Folgenden beschrieben werden, habe ich selbst erfahren oder aber miterlebt, wie andere sie erfuhren. Andernfalls könnte ich dieses Buch gar nicht schreiben. Denn es ist aus der Sorge um einen Verlust entstanden.

Mit meinem Lebensalter gehöre ich einer Schwellengeneration an, für die es typisch ist, so zu empfinden. Wir haben als Kinder und Jugendliche noch eine recht lebendige Nachkonzils­kirche mit einer bunten, breit aufgestellten »Pfarrfamilie« erlebt, später, im Studium, übervolle theologische Hörsäle und eine mehr oder weniger gut funktionierende Priesterausbildung. Aber meine Generation wurde auch Zeuge, wie aus der Topografie einer tief gestaffelten Volkskirche nach und nach und zuletzt immer schneller eine Ruinenlandschaft wurde. Gesichert durch ein stabiles Staatskirchenrecht – das ist wiederum typisch für die deutsche Situation – werden die Kulissen der religiösen Besiedlung von einst weiter munter herumgeschoben. Man realisiert dabei viel zu wenig, dass man die Ruinen längst anders bewohnen müsste.

»Ihr macht uns die Kirche kaputt!«, das ist nicht motiviert durch Häme oder den Spaß an der Kritik von Macht und Institution. Es ist ein Weckruf aus eigener Betroffenheit. Die Kritik ist deshalb so fundamental, weil es mich beschäftigt, welche Art von Kirche meine Kinder heute und morgen erleben können, um ihren Glauben zu entwickeln. Sie werden sich später nicht damit zufriedengeben, wenn ich ihnen erkläre, dass eben die Verhältnisse so waren, eins zum anderen kam und ohnehin gravierende Argumente aus Tradition und Dogma gegen echte Teilhabe und Geschlechtergerechtigkeit vorgebracht wurden … Sie fragen mich heute schon: Was tust du als Theologe, damit es anders wird? Ich muss für das kämpfen, was mir wichtig ist – auch in der Kirche.

1. Ja, wo leben wir denn eigentlich?

Adel bringt Quote! Was wäre das Fernsehen ohne die Live-Events aus den europäischen Königshäusern? Für viele Zeitgenossen ist es eine bunte Abwechslung des eher gewöhnlichen Alltags – und die Bilder formvollendeter Zeremonien und von Menschen in wunderbaren Kleidern haben es ja auch in sich. Manch einen Lebensweg begleitet das Schicksal von Prinz Charles oder der norwegischen Kronprinzessin Mette-Marit seit Jahrzehnten …

Dass wir royale Themen heute so entspannt zur Kenntnis nehmen können, hat einen einfachen Grund. Als politische Herrschaftssysteme sind die Königshäuser abgelöst worden, zumindest in den allermeisten Ländern des Westens. Die politische Macht wurde ihnen entwunden, in zum Teil blutigen politischen Kämpfen. Erscheinungsbild und Etikette des Hochadels können Sehnsuchtsorte sein, weil uns der politische Herrschaftsanspruch dieses Adels heute nicht mehr trifft. Mit den bürgerlichen Revolutionen hat sich in vielen Ländern Europas die Demokratie durchgesetzt – und damit das Versprechen, dass Bürgerinnen und Bürger selbst über ihr Zusammenleben bestimmen dürfen. Natürlich ist nicht garantiert, dass Demokratien immer gut funktionieren. Auch sie können in schweres Fahrwasser geraten, wie die Auseinandersetzungen um den Populismus ja zeigen. Aber die allermeisten Menschen würden heute wohl der Aussage zustimmen: Immer noch besser in der Demokratie leben als in einem feudalen Obrigkeitsstaat, in dem man per se schon keine Chance hat, jemals irgendetwas mitbestimmen zu dürfen!

Der Blick auf Staat und Politik hilft bei einer ehrlichen Analyse der Kirche. Denn verfassungspolitisch befinden wir uns hier noch in »vorrevolutionärer Zeit«. Als katholisches Kirchenmitglied ist man Teil einer Gemeinschaft, die in den wichtigsten Punkten einer absolutistischen Monarchie gleicht. Die Ausübung von Herrschaft unterliegt keiner verbindlichen Kontrolle, die Kirchenleitung legitimiert sich nicht von denen her, die sie leiten soll, und sie kennt keine von dieser Leitung wirklich unabhängige Rechtsprechung. Doch eins nach dem anderen.

Kirche kennt keine Gewaltenteilung

Zunächst einmal sticht ins Auge, dass in der Kirche etwas fehlt, was im modernen Staat eine Selbstverständlichkeit und lebensnotwendig ist, die Gewaltenteilung. Darunter versteht man ein Prinzip politischer Ordnung, das auf den französischen Philosophen Charles de Montesquieu zurückgeht. Es besagt, dass in einem Staat gesetzgebende Gewalt (das Parlament), ausführende Gewalt (die Regierung) und rechtsprechende Gewalt (die Gerichte) voneinander unabhängig sein sollen. So können Machtmissbrauch und Korruption am besten verhindert werden. Dieses Prinzip ist zum Credo des modernen Rechtsstaates geworden. Es gilt als unverzichtbarer Grundpfeiler einer politischen Ordnung, die sich an der Freiheit orientiert. Denn nur wenn Machtausübung nicht im Block stattfindet, sondern auf unterschiedliche Rollen verteilt ist, gibt es eine realistische Chance, dass diese Macht sich nicht verselbstständigt. Ziel ist die gegenseitige Kontrolle dieser Machtdimensionen.

Gewaltenteilung zeigt sich in einigen wenigen, essenziellen Grundregeln. Die Regierung handelt innerhalb eines gesetzlichen Rahmens, den nicht sie selbst erlässt, sondern andere, nämlich das Parlament. Gibt es unterschiedliche Auffassungen und Streit darüber, was vom Gesetz gefordert ist, kann man unabhängige Gerichte anrufen, um darüber zu befinden. An Gerichtsurteile sind dann auch diejenigen gebunden, die die Gesetze erlassen haben (das Parlament) oder sie auslegen und anwenden (die Regierung). Schließlich gibt es ein Verfassungsgericht, das die Gesetzgebenden daran erinnert, nur solche Gesetze zu erlassen, die den Grundregeln des Staates (der Verfassung) auch entsprechen.

Mit diesen wenigen Regeln kann man den Geist der Gewaltenteilung beschreiben. Im Laufe der Zeit ist dieses Prinzip immer weiter entfaltet worden. Es ist nicht nötig, diese Verästelungen hier en détail nachzuzeichnen, um zu sehen, dass damit ein hoher Wert aufscheint. Gewaltenteilung ist eine Mindestvoraussetzung dafür, dass bei aller notwendigen Ausübung von Macht der und die Einzelne nicht unter die Räder gerät. Denn wo Menschen zusammenleben, entstehen Strukturen, mit denen dieses Zusammenleben organisiert wird. Solche Strukturen sind immer davon geprägt, dass es über- und untergeordnete Personengruppen gibt – die einen, die Gestaltungsmacht haben, und die anderen, die von deren Entscheidungen betroffen sind. Gewaltenteilung heißt: Die Ausübung von Macht wird auf unterschiedliche Rollen verteilt, die strukturell voneinander getrennt sind und die sich gegenseitig kontrollieren sollen. Sie schafft dadurch Zwischenräume, in denen Bürgerinnen und Bürger »Luft zum Atmen« haben. Sie ist der Versuch, der Machtausübung die Willkür zu nehmen und sie gerechter zu machen.

Der Unterschied zur Kirche ist frappierend. Nicht Gewaltentei­lung, sondern Gewaltenanhäufung ist hier das Prinzip. In der Person des Bischofs, der eine bestimmte Ortskirche leitet, vereinen sich die im staatlichen Bereich dreifach ausdifferenzierten Gewalten in einer einzigen Person. Der Bischof ist sowohl Regent seines Bistums, er erlässt (»promulgiert«) kirchliche Gesetze und ist auch noch oberster Richter der kirchlichen Rechtsprechung. Anstelle von drei Gewalten, die sich gegenseitig begrenzen und kontrollieren, gibt es in der Kirche nur eine einzige Gewalt, personifiziert im Bischofsamt. Die lateinische Sprache kennt dafür den Fachbegriff Monarchie. Das heißt übersetzt Herrschaft, die in einer Person gebündelt ist – Alleinherrschaft.

Absolutistisch (vom lateinischen absolutum, losgelöst) kann diese Monarchie genannt werden, weil sie unabhängig ist von einer konkreten Basis, von der sie ihre Legitimation erhalten würde. Nicht das Wahlvolk legitimiert mit seinem Votum die herrschende Instanz, sondern diese leitet ihre Berechtigung zur Herrschaft »von oben« ab – von einer höheren Macht, der sie sich verpflichtet und von der sie sich berufen weiß. In der Tradition der lateinischen Kirche ist dies die sogenannte sacra potestas, die heilige (Amts-)Gewalt Jesu Christi, die dem Bischof im Sakrament der Weihe übertragen wird. Er erhält damit Anteil an dieser Gewalt, die ihn fortan zum Leiten und Lenken befähigt. So zumindest Theorie und Theologie der Herrschaftsgewalt in der Kirche. Die innere Logik der Kirche ist also grundverschieden von der des Verfassungsstaates.