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Sie sind die Schattengänger, eine Gruppe herausragender Kämpferinnen und Kämpfer, deren Fähigkeiten von dem genialen Wissenschaftler Dr. Peter Whitney verstärkt wurden. Eine von ihnen ist die betörend schöne Cayenne, deren Kuss giftig ist und die deshalb von ihren eigenen Leuten verfolgt wird. In den Bayous von Louisiana hoffte sie, endlich in Sicherheit zu sein, doch sie hat nicht mit Schattengänger Trap Dawkins gerechnet – weder damit, dass es Trap gelingen würde, sie aufzuspüren, noch mit der fatalen Anziehungskraft, die er auf sie ausübt.
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Seitenzahl: 713
DAS BUCH
Der Schattengänger Trap Dawkins ist ein Bild von einem Mann: groß, blond und verboten attraktiv. Dank seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten hat er es außerdem geschafft, zu einigem Wohlstand zu kommen. Nur in der Liebe hat Trap einfach kein Glück. Aufgrund seiner komplizierten und düsteren Familiengeschichte konnte er sich bisher keiner Frau wirklich öffnen. Das ändert sich jedoch, als er eines Tages die betörend schöne Cayenne aus dem Labor des ebenso brillanten wie gefährlichen Wissenschaftlers Dr. Whitney befreit. Vom ersten Augenblick an ist er von der jungen Frau, deren Kuss so tödlich ist wie der Biss einer Spinne, fasziniert. Und auch Cayenne kann sich Traps roher Anziehungskraft nicht entziehen. Doch hat ihre Liebe bei Traps Vergangenheit und Cayennes gefährlichem Schicksal überhaupt eine Chance? Denn schon bald sind dem Paar Whitney’s Schergen auf den Fersen, die Cayenne wieder zurückholen wollen …
DIE AUTORIN
Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren elf Kindern lebt. Sie begann bereits als Kind zu schreiben und hat seit 1999 mehr als sechzig erfolgreiche Romane veröffentlicht, die in den USA mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden und regelmäßig auf den Bestsellerlisten stehen. Auch in Deutschland ist sie mit ihrer Schattengänger-Serie, der Leopardenmenschen-Saga, den Drake-Schwestern und der Sea-Haven-Saga äußerst erfolgreich.
Ein ausführliches Werkverzeichnis aller von Christine Feehan im Heyne Verlag erschienenen Romane finden Sie am Ende des Buches.
Mehr über Christine Feehan und ihre Romane finden Sie auf: www.christinefeehan.com
CHRISTINE FEEHAN
IM BANN DER JÄGERIN
Ein Schattengänger-Roman
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
Für Manuela Barth, für Deine große Hilfe mit meiner Fangemeinde, dafür, dass du die neuen Fans willkommen heißt und ihre Fragen beantwortest, wenn ich so in mein Schreiben vertieft bin, dass ich alles andere vergesse. Ich schätze Dich mehr, als ich es in Worten ausdrücken kann.
DAS BEKENNTNIS DER SCHATTENGÄNGER
Wir sind die Schattengänger, wir leben in den Schatten.
Das Meer, die Erde und die Luft sind unsere Heimat.
Nie lassen wir einen gefallenen Kameraden zurück.
Wir sind einander in Ehre und Loyalität verbunden.
Für unsere Feinde sind wir unsichtbar und wir vernichten sie, wo wir sie finden.
Wir glauben an Gerechtigkeit und beschützen unser Land und jene, die sich selbst nicht schützen können.
Ungesehen, ungehört und unbekannt bleiben wir Schattengänger.
Ehre liegt in den Schatten, und die Schatten sind wir.
Wir bewegen uns absolut lautlos, im Dschungel ebenso wie in der Wüste.
Unhörbar und unsichtbar bewegen wir uns mitten unter unseren Feinden.
Wir kämpfen ohne den geringsten Laut, noch bevor sie unsere Existenz überhaupt erahnen.
Wir sammeln Informationen und warten mit unendlicher Geduld auf den passenden Augenblick, um Gerechtigkeit walten zu lassen.
Wir sind gnädig und gnadenlos zugleich.
Wir sind unnachgiebig und unerbittlich in unserem Tun.
Wir sind Schattengänger, und die Nacht gehört uns.
DIE EINZELNEN BESTANDTEILE DES SCHATTENGÄNGERSYMBOLS
STEHT FÜR
Schatten
STEHT FÜR
Schutz vor den Mächten des Bösen
STEHT FÜR
Psi, den griechischen Buchstaben, der in der Parapsychologie für außersinnliche Wahrnehmungen oder andere übersinnliche Fähigkeiten benutzt wird
STEHT FÜR
Eigenschaften eines Ritters – Loyalität, Großzügigkeit, Mut und Ehre
STEHT FÜR
Ritter der Schatten schützen vor den Mächten des Bösen unter Einsatz von übersinnlichen Kräften, Mut und Ehre
1
TRAP DAWKINS SEUFZTE und ließ seinen Stuhl nach hinten kippen, wobei er automatisch berechnete, wie weit er sich zurücklehnen konnte, ohne umzufallen. Er langweilte sich zu Tode. Dies war die fünfte Nacht hintereinander, die er in den Huracan Club gegangen war, eine Cajun-Bar mitten in diesem elenden Sumpf, verdammt noch mal. Die Theke war mit Erdnussschalen übersät, und davor standen runde, selbstgezimmerte Holztische, und dazu eine bunte Mischung verschiedener Stühle. Die Theke selbst bestand aus einfachen Holzbrettern, die auf Sägeböcken lagen, und von ebenfalls selbstgezimmerten Barhockern umgeben waren.
Links von der Theke stand ein glänzender, sehr gepflegter kleiner Flügel. In einer Bar, die eigentlich eine Hütte mitten im Nirgendwo war, wirkte so ein Flügel völlig fehl am Platz. Der Deckel stand offen, und es gab kein Stäubchen – und keinen Kratzer – auf dem Instrument. Außerdem war es gut gestimmt. Das Podium, auf dem es thronte, war über zwei lange Stufen aus Hartholz zu erreichen, die ebenso wie die Empore frei von Erdnussschalen waren. Jeder, der in die Bar kam, wusste, dass er den Flügel nicht anfassen durfte, es sei denn, er konnte richtig gut Klavier spielen. Niemand wagte es, gegen diese Regel zu verstoßen. So hatte der Flügel Hunderte von Kneipenschlägereien unbeschadet überstanden, selbst wenn Messer und zerbrochene Flaschen mit im Spiel waren.
Nachdenklich musterte Trap den Flügel. Er hielt sich schon für einen guten Klavierspieler. Manchmal half ihm das, ruhig zu bleiben, wenn es nichts Interessantes zu tun gab. Er ertrug es nicht, stundenlang untätig herumzusitzen. Wie schafften die anderen das bloß? Die Frage beschäftigte ihn keine zwei Minuten, denn im Grunde war es ihm egal, warum die Leute in eine Bar gingen. Es war einfach pure Zeitverschwendung, und er war nicht sicher, ob er das noch länger aushielt, aber hatte er denn überhaupt eine andere Wahl?
Er war auf der Suche nach einer Frau namens Cayenne. Obwohl keiner sie richtig beschreiben konnte, wusste er, dass sie öfter in diese Bar ging. Dort suchte sie sich ihre Opfer. Es gab nur Gerüchte über die Raubüberfälle im Sumpf, heimliches Flüstern, weil es den Männern zu peinlich war, um viel zu erzählen. Alle waren sie betrunken gewesen. Und auf dem Weg nach Hause. Und es hatte nur solche mit schlechtem Ruf getroffen, um die andere einen Bogen machten. Nur Kerle von diesem Schlag wählte sie aus und becircte sie mit ihrem Aussehen und ihrer Stimme, sodass sie ihr nicht widerstehen konnten.
Wieder seufzte Trap und schaute zur Theke, weil er gern noch ein Bier gehabt hätte, immerhin war es schon fast ein Uhr morgens, und sie war nicht aufgetaucht, also musste er diesen Albtraum noch länger ertragen.
»Verdammt«, fluchte er leise. Obwohl er so diszipliniert und beherrscht war, konnte er nicht aufhören, sich weiter zu quälen. Er musste sie finden und somit Abend für Abend weiter diese Spelunke aufsuchen.
»Alles in Ordnung, Trap?«, fragte Wyatt Fontenot und stellte eine neue Flasche Bier auf den ziemlich wackligen Tisch vor seinem Schattengänger-Freund. Dann zog er mit dem Fuß einen Stuhl heran und setzte sich rittlings darauf. »Sollen wir nicht bald gehen? Du siehst aus, als würdest du gleich Streit anfangen.«
Trap hätte niemals, unter keinen Umständen, einen Streit angefangen. Aber er würde ihn gegebenenfalls sehr rasch beenden, und zwar endgültig. Aus diesem Grund passte das halbe Team in der Bar auf ihn auf.
»Ich kann nicht«, sagte Trap leise und entschlossen.
Es war also nicht so, als wollte sein Freund nicht gehen, aber zwischen Wollen und Können gab es einen großen Unterschied. Trap hatte ihm erzählt, dass er auf der Suche nach Cayenne war, der Frau, die er vor dem sicheren Tod gerettet hatte, doch das war Wyatt so abwegig erschienen, dass er ihm nicht richtig geglaubt hatte. Aber nun …
»Schon gut«, sagte Wyatt leise und beruhigend, den Blick fest auf seinen besten Freund gerichtet.
Trap war ein sehr gefährlicher Mann. Auch wenn er nicht so aussah, so wie er dasaß, die Beine lässig von sich gestreckt und mit halb geschlossenen Augen auf dem Stuhl balancierend, aber er hatte Eiswasser in den Adern. Und dazu ein Hirn, das ständig auf Hochtouren lief und die kleinste Kleinigkeit um ihn herum registrierte und verarbeitete.
Er verfügte über eine ruhige Hand und Adleraugen. Auf der Jagd war er so lautlos wie todbringend und berüchtigt dafür, dass er sich oft allein ins feindliche Lager schlich, kurzen Prozess machte und genauso unbemerkt wieder verschwand, wie er gekommen war. Er arbeitete gründlich, ohne jedes Geräusch und ohne Alarm auszulösen. Und wenn er wiederkam, war er wie immer – kühl und zurückhaltend und in Gedanken schon mit dem nächsten Problem beschäftigt.
Als Trap ihn mit seinen eiskalten Augen ansah, rieselte Wyatt ein Schauer über den Rücken.
»Ich kenne dich jetzt schon sehr lange«, sagte Wyatt. »Du wälzt gern Probleme. Du verbeißt dich regelrecht in sie, suchst nach einer Lösung. Und diese Frau scheint ein Problem für dich zu sein. Nur deshalb sind wir hier.«
Trap seufzte. »Du müsstest es besser wissen. Gerade du müsstest es besser wissen.«
»Aber du bist doch noch nie so hinter einer Frau her gewesen. Um Himmels willen, Trap, normalerweise vergnügst du dich ein wenig mit einer und gehst dann wieder. Du bleibst nie über Nacht. Höchstens ein, zwei Stunden.«
Trap widersprach nicht. »Ich suche nur Erleichterung, keine Beziehung.« Ihm machte das offenbar nichts aus.
»Diese Frau ist nur ein Problem für dich. Mehr nicht. Das Ganze hat nichts mit ihr zu tun, sondern mit dem Geheimnis, das sie umgibt. Das musst du dir klarmachen.« An Wyatts stärker werdendem Cajun-Akzent war zu merken, dass er sich Sorgen machte.
Unbeeindruckt sah Trap ihn weiter kühl an, nahm einen großen Schluck aus der Bierflasche und stellte sie wieder ab. »Du bist in einer Familie aufgewachsen, Wyatt. Du hattest deine liebe, nette Großmutter und das hier.« Er deutete nach draußen in Richtung des Sumpfes – der Gegend, in der sein Freund groß geworden war. »Du hattest ein schönes Leben. Und konntest tun, was du wolltest. Du hattest eine Familie. Du weißt, wie sich das anfühlt.«
Wyatt wartete stumm. Trap sprach nie über seine Vergangenheit. Nie. Sie hatten sich in der Schule kennengelernt, als sie beide noch Teenager waren, und dann an mehreren Projekten zusammengearbeitet, die sie beide reich gemacht hatten. Später war Wyatt zum Militär gegangen und schließlich in die Spezialeinheit der Schattengänger aufgenommen worden. Und Trap war seinem Beispiel gefolgt.
In all den Jahren, die sie sich kannten, hatte Trap nicht ein einziges Mal auf seine Vergangenheit angespielt. Doch nun hörte er sich so an, als hätte er genau das vor, und Wyatt wollte sich die Chance, mehr darüber zu erfahren, was seinen Freund so gefühlskalt gemacht hatte, nicht entgehen lassen. Also nickte er nur und schaute Trap, wie gebannt von der blauen Flamme unter dem Eis, weiter in die Augen.
»Ich hatte zwei Schwestern und einen Bruder. Habe ich dir das je erzählt?« Trap umfasste den Hals seiner Bierflasche fester, führte sie aber nicht zum Mund. »Damals hieß ich noch nicht Dawkins, sondern Johansson«, sagte er, als hätte er ekligen Geschmack im Mund. »Ich habe den Namen ändern lassen, damit dieser Mist nicht in die Schlagzeilen kommt. Und damit meine Feinde mich nicht finden. Letzteres hat nicht geklappt, aber das mit der Presse schon.«
Wyatts Herz zog sich zusammen. Trap war für ihn wie ein Bruder. Seit Jahren. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Welches Kind hatte Feinde, vor denen es sich verstecken musste? Feinde, die so gefährlich waren, dass man den Namen ändern musste? Doch er wartete ruhig ab und ließ Trap Zeit.
»Mein Bruder Brad und meine Schwester Linnie waren ein paar Jahre jünger als ich. Meine Schwester Drusilla ein paar Jahre älter. Dru hat auf uns aufgepasst, wenn unsere Mutter an der Arbeit war. Sie ging arbeiten, weil mein Vater es nicht tat.« Er führte die Flasche an den Mund und nahm, ohne seinen Freund aus den Augen zu lassen, noch einen großen Schluck.
Wyatt bekam Angst. Das würde schlimm werden. Richtig schlimm. Viele Schattengänger hatten ein schweres Leben gehabt, weshalb sie wohl auch beim Militär ihr Zuhause gesucht hatten, doch Wyatt ahnte, dass das, was in Trap brodelte und die blauen Flammen unter all der Eiseskälte so heißgefährlich aufflackern ließ, furchtbar sein würde.
Als Wyatt merkte, dass Mordichai, ein weiterer Schattengänger aus ihrem Team, sich ihrem Tisch näherte, gab er ihm versteckt ein Zeichen, damit er wegblieb und auch die anderen fernhielt.
»Mein Vater hat mich gehasst. Weil ich anders war, schon damals, als Kind. Er war dumm und unberechenbar. Schon allein mein Anblick machte ihn wütend, sodass Dru sich immer vor mich gestellt hat, wenn er da war, denn sobald er mich entdeckte, hat er mich grün und blau geschlagen.«
Trap zuckte lässig die Schultern. »Ich habe nicht gewusst, was ihn an mir so gereizt hat, und die arme Dru hat ihr Bestes getan, um mich zu beschützen. Ich war noch sehr jung, aber im Kopf schon zu alt.«
Das wunderte Wyatt nicht. Trap hatte einen IQ, an den kaum jemand herankam. Er selbst war intelligent und auf manchen Gebieten sogar besonders begabt. Doch Trap konnte einfach alles. Und zusätzlich zu seiner Intelligenz hatte er auch noch schnelle Reflexe und die Statur eines Kriegers.
»Mein Vater war nicht stolz darauf, dass ich so begabt war. Für ihn war es eher eine Kränkung. Dru hat immer behauptet, dass er sich von mir bedroht fühlt, aber ich war noch klein und habe nicht verstanden, warum er vor mir Angst haben sollte.«
Wyatt machte nicht den Fehler, sich sein Mitleid oder seine Wut anmerken zu lassen. Dann hätte Trap sofort dichtgemacht. Sein Freund zeigte nur selten Gefühle. Und nun wusste Wyatt auch, warum. Tief im Innern barg Trap eine solche Wut, dass er sich nie – niemals – gehen lassen durfte.
»Wir haben Mom nie von den Schlägen erzählt, aber eines Tages hat sie die blauen Flecken und die Schwellungen gesehen. Er hatte mir den Arm und ein paar Rippen gebrochen. Sie hat mich ins Krankenhaus gebracht und er wurde verhaftet. Als er im Gefängnis war, haben wir alles zusammengepackt und sind gegangen. Ich war acht. Dru zehn. Wir sind quer durchs Land gezogen. Dann hat seine Familie ihn gegen Kaution freibekommen. Er hatte zwei Brüder, die genauso zu nichts taugten und gewalttätig waren wie er.«
Immer noch lässig im gekippten Stuhl sitzend, trank Trap einen weiteren großen Schluck von seinem Bier. Dann stellte er die Flasche täuschend sanft wieder auf dem Tisch ab. Präzise und lässig. Wie immer. Das war typisch für ihn.
»Als ich neun war, hat er uns gefunden. Mitten in der Nacht ist mein Vater in das kleine Haus gekommen, das wir gemietet hatten, während seine beiden Brüder es von außen mit Benzin begossen haben. Er hat meine Mutter aus dem Bett gezerrt, sie in das Zimmer geschleift, wo mein kleiner Bruder und meine Schwester schliefen, und sie beide vor ihren Augen erschossen, bevor er Mom eine Kugel in den Kopf gejagt hat.«
Trap verzog keine Miene, und auch sein Ton blieb sachlich, so als erzählte er eine Geschichte, die er in der Zeitung gelesen hätte, und obwohl Wyatt unter dem wackligen Tisch die Hände zu Fäusten ballte, tat er es seinem Freund gleich, gab sich, als wäre er ganz ruhig.
»Dru und ich, wir waren in unserem Versteck. Kurz nach dem Einzug hatten wir ein kleines Kämmerchen entdeckt, in dem wir uns manchmal trafen, wenn Mom ins Bett gegangen war, um über irgendetwas Interessantes zu reden, das an dem Tag passiert war. Wir haben die Schüsse gehört und sind losgelaufen, um zu sehen, was los war. Dru hat sich vor mich geworfen, als er auf uns zukam. Er hat zweimal auf sie geschossen, und sie landete auf mir. Ich konnte ihre Augen sehen, Wyatt. Sie waren weit offen. Und leer. Sie hatte sehr schöne Augen, aber plötzlich war kein Glanz mehr darin. Kein Leben. Meine wunderschöne Schwester, meine kluge, lustige Schwester, der einzige Mensch, der mir ähnlich war, der mich wirklich kannte und verstand, war tot. Ausgelöscht. Einfach so.«
»Verdammte Scheiße«, sagte Wyatt leise. Was hätte er sonst sagen sollen? Die Geschichte war noch viel schrecklicher, als er befürchtet hatte.
»Er hätte mich einfach erschießen sollen«, sagte Trap so leise, als spräche er zu sich selbst. »Wenn er ein bisschen Grips gehabt hätte, hätte er mich genauso erschießen sollen wie Dru. Sie war so klug, Wyatt. Ein Geschenk für die Welt. Sie hätte so viel erreichen können, aber er hat sie ermordet, nur weil er ein dämliches Arschloch war.«
Trotz der Ausdrucksweise hatte sich Traps Ton nicht verändert. Kein kleines bisschen. Seine Wut war so tief in ihm vergraben, so verinnerlicht, dass er sie offenbar gar nicht mehr wahrnahm. Wyatt hob zwei Finger, weil er wusste, dass Mordichai sie beobachtete. Und die anderen wahrscheinlich auch. Sie wussten zwar nicht, was vorging, waren aber bereit, jederzeit einzugreifen.
Die Schattengänger, die mit Trap gekommen waren, hatten sich in der ganzen Bar verteilt, einer saß auf einem Hocker vor der Theke, ein anderer vor dem berühmten Piano, das Delmar Thibodeaux, der Besitzer des Clubs, bei Bedarf mit einem Baseball-Schläger verteidigte, und ein paar andere in der hinteren Ecke des Raumes an einem Tisch. Sie alle würden Wyatt und Trap den Rücken frei halten, taten aber so, als kümmerten sie sich gar nicht um sie.
Die beiden Freunde sagten kein Wort, bis Mordichai zwei eiskalte Bier vor sie hinstellte und wieder wegging, als hätte er, genau wie alle anderen, keine Ahnung, dass Trap und Wyatt gerade in ein abgründiges Gespräch vertieft waren.
»Wie hast du dich retten können?«
»Er hat mich unter Dru hervorgezogen. Ich glaube, er wollte mich noch einmal verhauen, bevor er mir endgültig das Licht ausknipst. Da habe ich ihm den Kopf in den Unterleib gerammt und ihm die Pistole entrissen. Ich hatte schon alles durchgerechnet und wusste, dass ich ihn zweimal treffen konnte, ehe er mich entwaffnen und mit dem Messer in seinem Stiefel auf mich losgehen würde.«
Wyatt hatte die große Narbe auf Traps Bauch gesehen. Wie alt war er damals gewesen? Neun, hatte er gesagt. Sein eigener Vater hatte die gesamte Familie getötet, seine Mutter und seine Geschwister. Wyatt versuchte, die Wut zu unterdrücken, die in ihm aufstieg, und atmete tief durch, um nicht den ganzen Raum dem Erdboden gleichzumachen. Die Erdnussschalen auf den bebenden Dielen klackerten wie Popcorn in der Mikrowelle, und die Wände wackelten, während er versuchte, sich zusammenzureißen.
»Er hat mich zweimal getroffen. Am Bauch und am Bein. Ich habe die Pistole nicht losgelassen, aber ich bin in dem vielen Blut ausgerutscht. Dann sind meine Onkel ins Haus gekommen und wollten mich schnappen, aber als ich auf sie gezielt habe, sind sie schnell abgehauen. Ich glaube, sie waren einfach feige, oder sie wussten, dass mein Vater erledigt ist, denn sie haben ihn in seinem Blut liegengelassen, das Benzin ausgeschüttet, ein Streichholz angezündet und mir gesagt, ich sollte zur Hölle fahren. Dann sind sie weggerannt und ich bin nach draußen gekrochen. Die Brandwunden an den Beinen und Füßen habe ich immer noch.«
Wyatt biss die Zähne zusammen und führte in Zeitlupe die Bierflasche an seine Lippen. Er brauchte ein Ventil, irgendwas, was er tun konnte. Fast wünschte er sich, dass es wie üblich in der Bar zu einer Schlägerei kommen würde. Früher war er öfter in die Kneipe gegangen, um etwas zu trinken, sich abzureagieren und eine Frau zu finden, so wie die meisten Männer aus der Gegend. Nun kam er nur noch zum Trinken und Kämpfen. Denn zu Hause wartete seine Frau Pepper auf ihn.
»Ich hatte nur noch eine lebende Verwandte. Die Schwester meiner Mutter. Sie war fünfzehn Jahre jünger als Mom, gerade erst dreiundzwanzig und lebte allein, aber sie ist gekommen, um mich mitzunehmen. Wir haben den Namen geändert und sind umgezogen und dachten, das würde reichen. Mit zwölf habe ich, nachdem ich zwei Patente verkauft hatte, meine erste Firma gegründet, und eine Weile ging es uns recht gut.«
Erst jetzt veränderte sich Traps kalter, durchdringender Blick. Mit einer Hand fuhr er sich durch das blonde Haar, das ihn im Cajun-Land sofort auffallen ließ. Wenn er nicht mit Wyatt zusammen gewesen wäre, wäre er der Erste gewesen, mit dem die Einheimischen Streit angefangen hätten. Aber das wäre nicht gut gegangen. Trap raufte nicht gern. Er mochte es nicht, wenn man ihn anfasste. Oder bedrohte. Selbst in diesem Club mit seinem Team um sich herum blieb er für sich allein. Wyatt fand, dass der Name Johansson weit besser zu Trap passte als Dawkins, denn mit seiner Statur und dem blonden Haar hatte er definitiv etwas Schwedisches an sich.
Eigentlich wollte Wyatt erst gar nicht wissen, was Traps Tante zugestoßen war, aber er hatte keine Wahl. In Traps gletscherblauen Augen loderte zu viel Feuer.
»Eine Weile?«, hakte er nach.
»Ja. Eine Weile. Ich habe eine Menge Geld verdient, obwohl ich noch ein Teenager war und zur Schule ging, auch wenn ich mehr wusste als die meisten Lehrer. Ich habe viel auf pharmazeutischem Gebiet geforscht, und wir beide wissen ja, dass man damit reich werden kann. Es kam einfach immer mehr Geld rein.« Mit dem Rand der Bierflasche stempelte er kleine Kreise auf den Tisch und heftete den Blick dann wieder auf seinen Freund. »Du weißt, dass Geld mir nichts bedeutet, Wyatt. Es ist mir scheißegal. Ich kann nichts dafür, dass mein Hirn ständig arbeitet. Durch das Geld war es leicht, mir ein Labor nach meinen Vorstellungen einzurichten, aber das war auch schon alles. Ich lebe einfach. Ich brauche kein Geld.«
Wyatt runzelte die Stirn. »Ich kenne dich jetzt schon seit vielen Jahren, Trap. Du brauchst mir nicht zu erzählen, dass Geld dir nicht wichtig ist.«
»Meine Tante wurde entführt. Sie haben sie aus dem Haus geholt, während ich im Labor war. Sie kam immer und holte mich zum Abendessen. Die anderen Mahlzeiten durfte ich ausfallen lassen, aber aufs Abendessen bestand sie. An jenem Abend ist sie nicht gekommen. Als ich ins Haus zurückgegangen bin, sah es dort aus wie auf einem Schlachtfeld. Sie hat sich offenbar gewehrt, und ich habe nichts davon mitbekommen.«
Wyatt hörte genau hin, doch die Stimme seines Freundes war genauso ruhig und monoton wie immer.
»Natürlich habe ich das Lösegeld bezahlt. Ein paar Millionen, genug, um die Identität zu wechseln und es sich in einem anderen Land gut gehen zu lassen. Ich habe sofort bezahlt und sie haben sie mir vor die Tür geworfen. Sie war tot. Sie hatten sie missbraucht.« Traps blaue Augen wurden so kalt, dass sogar die Temperatur im Club sank. »Es war deutlich zu sehen. Sie wollten, dass ich es sehe. Sie hatten sie auf jede erdenkliche Weise gequält, ehe sie sie getötet haben. Und sie haben mir eine Nachricht hinterlassen. Auge um Auge. Damit mir klar war, dass jede Frau, mit der ich je zusammen sein sollte, das gleiche Schicksal erleiden würde.«
Trap nahm noch einen großen Schluck Bier. »Ich wusste, dass meine Onkel dahintersteckten. Ich habe es der Polizei gesagt. Und Detektive angeheuert. Aber die beiden waren verschwunden. Sie hatten ihre Spuren gut verwischt und irgendwo ein neues Leben angefangen. Doch selbst mit den besten Detektiven, die es gab, habe ich nicht herausgefunden, wo. All das Geld, das ich hatte, nutzte mir nichts, Wyatt. Ich konnte meine Tante nicht auslösen, und ich konnte ihre Mörder nicht finden.«
Wyatt sank in seinem Stuhl zusammen und musterte seinen Freund. Nun verstand er Traps abweisendes Verhalten sehr viel besser. Er hatte sich in Arbeit vergraben, sich von allen Menschen ferngehalten und nur wenige Freundschaften geschlossen. Und er war ihm nicht grundlos in das Schattengänger-Team gefolgt, er hatte sich vorbereiten wollen. Er versuchte immer noch, die Männer zu finden, die seine Tante getötet hatten. Er würde niemals aufgeben. Deshalb verliebte er sich nie und tat sich auch nie mit einer Frau zusammen. Er benutzte seine Arbeit als Vorwand, um sich abzuschotten und so zu beschäftigen, dass er keine Gelegenheit hatte, noch eine Frau in Gefahr zu bringen.
»Oh Mann«, sagte Wyatt leise.
»Sie ist kein Problem«, fuhr Trap ebenso leise fort. »Cayenne ist kein Problem. Dieser elende Whitney hat uns als Paar angelegt. Ich denke nie über eine Frau nach, nicht einmal, wenn ich mit ihr geschlafen habe. Nie. Ich gehe in mein Labor und arbeite so lange, bis ich mich nicht mal mehr an sie erinnern kann. Aber diese Frau habe ich aus einer Zelle befreit, obwohl ich keine Ahnung hatte, ob sie versuchen würde, mich umzubringen, und obwohl ich sie nur ein paarmal gesehen habe, Wyatt, geht sie mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ehrlich. Sie ist kein Problem, das ich lösen möchte. Er hat uns als Paar geplant, verdammt noch mal.«
Stumm dachten die beiden Männer nach. Dr. Peter Whitney, das Gehirn hinter dem Schattengänger-Programm, hatte seine außergewöhnlichen Ideen an das Militär verkauft, das daraufhin Menschen mit besonderen geistigen Fähigkeiten testete. Die, die für das Programm infrage kamen, mussten auf verschiedenen Gebieten herausragend sein und dazu noch den richtigen Charakter und die körperlichen Voraussetzungen besitzen, um das Training einer Spezialeinheit zu überstehen. Sobald die Männer in das Programm aufgenommen worden waren, wurden ihre Fähigkeiten gesteigert und sie selbst in allen möglichen Kampftechniken geschult.
Es gab vier Einheiten, und die Männer darin waren nicht nur, mit ihrem Einverständnis, auf psychischer Ebene weiterentwickelt worden, sondern, ohne ihr Einverständnis, auch auf körperlicher. Es kam zu vielen Problemen beim ersten Team, und einige Männer waren sogar gestorben – an Hirnblutungen. Danach war Whitney mit jedem neuen Team besser geworden, doch es stellte sich heraus, dass er, um seine Supersoldaten zu erschaffen, animalische DNA benutzt hatte.
Dann kam ans Licht, dass er, lange bevor er sich auf erwachsene Männer konzentrierte, an kleinen Mädchen herumexperimentiert hatte, die er aus Waisenhäusern auf der ganzen Welt geholt hatte. Für ihn waren sie Wegwerfprodukte, die für das große Ganze geopfert werden konnten. Erst wenn seine Experimente an diesen Mädchen funktionierten, versuchte er, sie mit den Soldaten jeweils nachzuvollziehen.
Er hatte die Frauen in verschiedenen Einrichtungen in und außerhalb der Vereinigten Staaten gefangen gehalten und war in den Untergrund gegangen, als seine Experimente infrage gestellt wurden. Doch er hatte mächtige Freunde, die ihn nicht nur schützten, sondern auch an das glaubten, was er tat, und ihm deshalb halfen.
Ein Experiment hatte darauf abgezielt, Soldaten mithilfe von Pheromonen an weibliche Versuchsobjekte zu binden. Niemand wusste, wie Whitney das anstellte oder wie man es wieder rückgängig machen konnte, sodass der Mann und die Frau, wenn sie sich trafen, nicht mehr voneinander loskamen. Doch was Whitney nicht einkalkuliert hatte, war die enge emotionale Bindung zwischen den beiden. Und der Zusammenhalt zwischen den Schattengängern.
Sie waren nicht nur eine Elite, sie waren auch anders als alle anderen. Manche von ihnen konnten nicht einmal unter Menschen gehen, ohne einen Anker dabei zu haben – einen anderen Schattengänger, der sie vor psychischen Energien schützte. Die vier Teams waren schnell zu einem Team zusammengewachsen und unterstützten sich gegenseitig. Sie trauten niemandem und verließen sich nur aufeinander. Wenn einer der Soldaten der Frau begegnete, die für ihn gedacht war, wurde sie von allen beschützt – schließlich hatte Whitney diese Frauen für dieselben Experimente benutzt.
Alle Frauen hatten eine Kampfausbildung und waren sowohl psychisch wie auch körperlich weiterentwickelt. Einige von ihnen waren für die Krebsforschung benutzt worden. Andere hatte man dazu gezwungen, beim »Brut«-Programm mitzumachen. Wyatt zum Beispiel hatte drei kleine Töchter. Drillinge, die Schlangen-DNA und Giftzähne hatten. Trap war in den Bayou gekommen, um ihm dabei zu helfen, ein Mittel zu finden, das die Menschen retten konnte, falls die Kleinen beim Zahnen oder aus Angst zufällig jemand bissen.
»Wie lange weißt du das schon?«, fragte Wyatt. Er wollte seinem Freund nicht widersprechen. Trap war kein Mann, der sich Träumen hingab, und das Letzte, was er sich wünschte, war eine Frau in seinem Leben – schon gar nicht eine, mit der er gepaart worden war. Eine, die er demnach nicht vergessen konnte, nachdem er mit ihr geschlafen hatte.
»Sie hat mich vom ersten Augenblick an nicht mehr losgelassen. Ich dachte – und hoffte –, es läge nur daran, dass ich mich gefragt habe, was bei ihr so schiefgelaufen ist, dass sie umgebracht werden sollte. Dass ich herausfinden könnte, was ihr fehlt, um sie zu retten. Kaum hatte ich sie gesehen und ihre Stimme gehört, habe ich mich gefragt, was sie kann und welche DNA ihr wohl eingepflanzt worden ist.«
»Das ist typisch für dich.« Wyatt versuchte seinen Freund abzulenken. Trap riss sich zusammen, doch die Wut in ihm war groß – zu groß vielleicht. Wyatt wollte seinen Freund keinesfalls irgendwie reizen, wenn so viele Unschuldige in der Nähe waren, und er spürte, wie auch die anderen aus dem Team näher kamen. Für alle Fälle. Das hieß, dass sie Traps Erregung ebenfalls bemerkt hatten. Niemand wusste genau, wozu er imstande sein könnte, aber allen war klar, dass er mit Ezekiel und Gino zu den gefährlichsten Männern im Team gehörte – was seine geistigen Fähigkeiten anging.
Wyatt wollte nicht, dass das ganze Haus einstürzte und Männer unter sich begrub, die Frau und Kinder hatten.
»So habe ich es mir am Anfang auch erklärt«, sagte Trap. »Aber sie ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ich denke sogar an sie, wenn ich im Labor bin. Während ich eigentlich konzentriert an einem Impfstoff arbeite, der vor Schlangenbissen schützen soll. Dabei habe ich mich nie, nie im Leben, von meiner Arbeit abhalten lassen. Ich träume sogar nachts von ihr, obwohl ich meine Träume immer unter Kontrolle hatte. Und es sind nicht nur irgendwelche Träume, sondern erotische Fantasien, zu denen ich sonst gar nicht neige, nicht einmal wenn ich eine Weile keine Frau gehabt habe. Wenn ich dann darüber nachdenke, ob ich nicht einfach mit einer anderen Frau schlafen sollte, um mich abzulenken, so finde ich die Idee nicht nur abstoßend – mich ekelt regelrecht, allein bei der Vorstellung.«
»Herrje«, stieß Wyatt hervor. »Jetzt verstehe ich, warum du hier herkommst. Es ergab einfach keinen Sinn. Du bist der letzte Mensch auf der Welt, der jede Nacht in einer Bar abhängen würde. Aber wir sind fünf Nächte in Folge hier gewesen. Ich dachte schon, du wolltest dich mit den Einheimischen anfreunden.«
Ein schwacher Hauch von Humor erschien in Traps leuchtend blauen, kalten Augen. »Ehrlich? Ich habe zwar auf deinen Rat hin ein paar von ihnen angestellt, damit sie mir bei der Renovierung helfen, nachdem die Verträge unterzeichnet waren und Land und Haus mir gehörten, aber mit ihnen in einer Bar herumzulungern geht zu weit.«
»Wie geht denn der Bau voran?«
Traps Blick wurde noch heiterer. »Wir sind fast fertig. Und ich weiß, dass sie dort wohnt. Keiner hat sie gesehen, aber es verschwindet immer wieder etwas, und die Männer haben plötzlich keine Lust mehr, dort zu arbeiten, schon gar nicht, wenn es Nacht wird. Sie glauben, das Haus sei verflucht. Man erzählt sich, dass Wilson Plastics wohl nur eine Scheinfirma war, damit die Regierung Experimente anstellen konnte. Obwohl ich, bis alle Beweise beseitigt waren, niemanden ins Untergeschoss gelassen habe, wo die Zellen und die Krematorien waren. Da ist jetzt eine wunderschöne Wohnung für Cayenne. Trotzdem gab es Gerüchte. Die Männer, die wirklich arbeiten wollen oder müssen, kommen zwar weiterhin, aber sie bleiben immer zu zweit und gehen, bevor es dunkel wird. Ich glaube, Cayenne ist für diese Gerüchte verantwortlich und lacht sich insgeheim ins Fäustchen. Aber, um deine Frage zu beantworten, es gibt nicht mehr viel zu tun.«
»Hast du nicht versucht, sie dort draußen zu finden? Das wäre vielleicht besser, du hasst es doch hierherzukommen.«
Wyatt wünschte, er hätte mehr als einen kurzen Blick auf die Frau erhascht, die Trap gerettet hatte. Wilson Plastics war eine Tarnung für ein gefährliches Labor gewesen und eine Endstation für Experimente, die als gescheitert betrachtet wurden. Seine drei Töchter und die Frau, von der Trap glaubte, sie sei mit ihm gepaart worden, hatten in ihren Zellen darauf gewartet, dass man sie tötet, um sie anschließend zu verbrennen und ihre Asche auf See zu verstreuen, damit niemand erfuhr, dass sie je existiert hatten.
Ehe die Plastikfirma sich dort niederließ, hatte das Land Dr. Whitney gehört, und das große Gebäude darauf war ein Sanatorium gewesen, in dem der Forscher Experimente an den Waisen gemacht hatte, die überall auf der Welt von ihm »gerettet« worden waren. Nachdem das Sanatorium abgebrannt war, hatte Whitney das Land dann an Wilson Plastics verkauft. Wyatts Schattengänger-Team hatte enthüllt, was dort wirklich vorgegangen war, und als das Land wieder zum Verkauf stand, hatte Trap zugeschlagen.
Ihr Rettungsspringerteam hatte beschlossen, in diesem Sumpf gemeinsam eine Festung zu bauen. Wyatts kleine Mädchen und seine Frau konnten nirgendwo anders hin, bis er und Trap einen Impfstoff gefunden hatten, der nicht täglich neu injiziert werden musste. Sonst mussten sie entweder die Giftdrüsen entfernen oder einen Weg finden, die Mädchen davon abzuhalten, versehentlich jemanden zu beißen, solange sie noch klein waren. Jedenfalls würde Whitney versuchen, die Mädchen zurückzubekommen, und das hieß, dass sie ständig bewacht werden mussten.
»Du glaubst also, dass deine Frau eine Art Hausbesetzerin ist und auf deinem Grundstück lebt.«
Immer noch leicht erheitert nickte Trap. »Genau. Sie wohnt da. Und sie ist auch der Grund für die Gerüchte über die betrunkenen Kerle, die auf dem Weg nach Hause ausgeraubt werden.«
»Diese Typen sind nicht gerade die nettesten im Bayou«, bemerkte Wyatt. »Wenn du recht hast, hat sie sich solche ausgesucht, die man nicht so leicht ausraubt.«
Trap zuckte die Schultern. »Das spielt keine Rolle. Es ist nicht richtig, und sie weiß das.«
»Aber sie muss doch essen.«
Nun verging Trap der Humor. »Jetzt mal im Ernst, mein Freund. Sie muss doch das Gleiche fühlen wie ich, oder? Sie könnte zu mir kommen. Oder zu dir. Sie weiß doch, dass wir Schattengänger sind. Genau wie sie. Sie könnte zu uns kommen. Sie muss niemanden überfallen und sich so in Gefahr bringen.«
Traps Stimme klang angespannt, und ein leichtes Flirren glitt durch den Raum. Die atmosphärische Trübung beunruhigte Wyatt. Besorgt schaute er zu Mordichai hinüber, der die Stirn runzelte. Er spürte es auch. Trap verströmte eine Energie, die definitiv nichts Gutes verhieß.
»Sie glaubt nicht, dass sie zu uns gehört, Trap. Sie sollte getötet werden. Sie hält sich für missraten, genau wie Pepper. Nicht für eine von uns, sondern für wertlos. Sie wird nicht zu uns kommen. Sie glaubt, wir schauen auf sie herab. So wie die anderen es getan haben. Vielleicht traut sie sich nicht an uns heran.«
»Nein, sie traut uns nicht«, sagte Trap. »Und ich kann es ihr nicht verdenken, aber sie spürt diese Anziehungskraft zwischen uns ebenfalls. Sonst wäre sie doch längst weg, oder? Sie hat keinen Grund, hierzubleiben. Sie hat kein Dach über dem Kopf, kein Geld, nichts. Nicht einmal Kleider. Sie bleibt meinetwegen.«
»Sie ist eine Schattengängerin, Trap. Inzwischen wird sie alles haben, was sie braucht«, sagte Wyatt. »Sie kommt, ohne gesehen zu werden, in jeden Laden und jedes Haus hinein. Und wenn sie diejenige ist, die die Betrunkenen ausraubt, hat sie auch Geld. Außerdem hast du selbst gesagt, dass sie in dem Haus wohnt, das du gerade gekauft hast.«
»Da bin ich mir sicher«, bestätigte Trap. »So sicher, dass ich bald dort einziehen werde. Das Labor ist fast fertig. Und die meisten Geräte sind bereits installiert. Es ist sehr groß und besser geschützt als das in deiner Garage.«
»Ich weiß nicht, ob es mir gefällt, dass du allein da wohnen willst, Trap, besonders wenn sie dort ist. Wir wissen noch nicht, wie gefährlich sie ist. Ich weiß, dass die Renovierungsarbeiten bald abgeschlossen sind, aber Whitney könnte jederzeit zuschlagen. Die Jungs haben noch nicht genug Zeit gehabt, um bei dir alle Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.«
»Sie wohnt da«, beharrte Trap. »Und wenn ich dort einziehe, wird sie nicht anders können als zu mir zu kommen. Ich würde ihr auch nicht widerstehen können, ich habe nur Angst, sie zu verjagen. Sie wird mir nichts tun.«
Wyatt seufzte. Wenn Trap sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, brauchte man nicht mehr mit ihm zu diskutieren. »Wenn das für dich feststeht, warum sind wir dann hier?«
»Ich möchte sie in Aktion sehen. Ihr habt euch doch alle erkundigt. Ihr wisst, dass sie hier gewesen ist. Sie ist großartig. Umwerfend. Fast so sexy wie Pepper. Glaubt ihr im Ernst, dass diese Kerle sie vergessen haben? Und sie nicht beschreiben können? Ich glaube, dass sie etwas mit ihnen anstellt, entweder während sie hier ist oder sobald sie aufbricht. Wohl eher, wenn sie wieder geht. Sie will, dass die Männer ihr folgen. Und zwar ganz bestimmte Typen. Solche, die es in ihren Augen verdient haben, ausgeraubt zu werden. Verbrecher und üble Typen. Das zeigt mir, dass sie einem gewissen Verhaltenskodex folgt.«
Wyatt grinste. »Das wird der Grund dafür sein, dass man sie töten wollte.«
»Ich glaube, sie ist eine Schwarze Witwe. Wahrscheinlich ist ihr Biss giftig. Außerdem kann sie Seidenfäden aus den Händen schießen, und dazu hat sie noch eine Stimme mit einem sehr verlockenden Timbre und diesem verdammt erotischen französischen Akzent.« Trap erschauerte, wenn er daran dachte, wie diese Stimme ihm durch und durch gegangen war. Wie ihre Haut sich angefühlt hatte. Wie ungewöhnlich das lange, schwarze Haar mit den roten Strähnen war. Sie hatte eine Sanduhr-Figur – hohe, feste Brüste, eine schmale Taille und runde Hüften. Dennoch war sie klein und zierlich, sodass sie in Ecken passte, in die die meisten anderen nicht hineinkamen.
Er war ein großer Mann. Kräftig gebaut. Ein Muskelpaket ohne ein Gramm Fett. Und er war auf seine Kosten gekommen, was Frauen betraf. Er wusste, dass er körperlich attraktiv war und hochintelligent. Doch vor allem war er reich. Sogar mehr als das. Laut Forbes Magazin war er einer der reichsten Männer der Welt, und dennoch war er Soldat geworden. Er war eine gute Partie, und die Frauen liefen ihm nach, obwohl er es nicht wollte. Er wollte seinen Onkeln nicht die Gelegenheit geben, noch einen Menschen, den er liebte, zu vergewaltigen und qualvoll umzubringen.
Sein Hirn musste arbeiten. Er hatte keine andere Wahl, wenn er nicht verrückt werden wollte. Aber solange er an Cayenne dachte, konnte er nicht arbeiten – und er dachte ständig an sie. Außerdem brauchte er körperliche Erleichterung, und zwar bald. Selbst in diesem Moment träumte er von ihr und ihrer Figur. Davon, wie sie sich anfühlte. Und wie sie roch. Nach einer geheimnisvollen, schwer zu beschreibenden Mischung aus Stürmen und frischem Regen. Manchmal wachte er sogar mit ihrem Duft in der Nase auf, sodass er sich fragte, ob sie in seinem Zimmer gewesen war. Er war ziemlich sicher, dass das nicht möglich war – schließlich wohnte er bei Wyatt, und der Rest des Teams lebte auch in Nonnys Haus, das mit allen möglichen Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet war. Dennoch ließ ihn der Gedanke nicht los.
Wenn er mitten in der Nacht aufwachte, schlug sein Herz zu schnell, seine Muskeln waren hart und verkrampft, und ihr Duft war überall. Einmal hätte er sogar geschworen, dass dieser Duft vom Kissen neben seinem kam. Er schlief nicht viel. Manchmal, wenn er einem neuen Medikament auf der Spur war, das er für seine pharmazeutische Firma entwickelte, schlief er sogar tagelang nicht. Und wenn er regelmäßig ins Bett ging, schlief er nie mehr als vier oder fünf Stunden und auch die nicht an einem Stück.
Oft stand er auf, um zu lesen oder sich mit der Lösung schwieriger Probleme zu befassen, und kritzelte Formeln auf praktisch jeden Fetzen Papier im Raum und gelegentlich sogar an die Wand. Hin und wieder hatte er den Eindruck, dass diese Papiere nicht genauso da lagen wie vorher, und zweifelte an seinem Verstand. Überhaupt hatte er sich in den letzten Wochen völlig untypisch verhalten, und das hatte ihm klargemacht, dass er sie finden musste. Damit das aufhörte, was immer es auch war.
Falls Whitney diese gegenseitige Fixierung irgendwie hergestellt hatte, musste sie doch auch rückgängig gemacht werden können. Mit einer Art Gegenmittel. Erst dann wäre Cayenne in Sicherheit. Das war der einzige Weg, der ihm einfiel, um sicherzustellen, dass niemand sie je wieder in die Finger bekam. Und er musste sie aufgeben, ehe die Anziehungskraft so groß wurde, dass sie beide es nicht mehr schafften ihr zu widerstehen.
Wyatt seufzte. »Du ziehst nicht in dieses Gebäude, bis wir es fertig haben, versprochen, Trap?«
Sein Freund nickte zögernd. »Aber du weißt, dass ich selbst auf mich aufpassen kann.«
»Unter den meisten Umständen ja, aber bei dieser Frau irrst du dich, sie könnte dich umbringen, Trap. Ich könnte Pepper nichts zuleide tun. Und ich bezweifle, dass du dich gegen Cayenne wehren könntest.«
Traps Blick wurde eiskalt. »Du bist immer so besorgt, Wyatt. Aber du magst es nicht, wenn man dich darauf hinweist, weil du glaubst, diese Seite an dir wäre zu feminin«, sagte Trap ganz leidenschaftslos, so sachlich und vorurteilsfrei wie immer. »Doch genau das macht dich zu einem solch guten Menschen. Andere sind dir wichtig. So warst du schon immer. Ich leiste mir keine Gefühle mehr, seit mein eigenes Fleisch und Blut meine Familie ermordet hat. Ich konnte es mir nicht erlauben. Sonst hätte ich nicht überlebt. Wenn diese Frau, die ich für meine halte, beschließt mich zu töten, wäre sie eine Feindin, und dann würde ich sie auch so behandeln.«
»Sie hat Angst.«
Trap nickte. »Ich weiß. Ich weiß, dass sie gegen diese Anziehungskraft ankämpft – und gegen mich. Aber das heißt nicht, dass sie mich umbringen will.«
»Wenn ein wildes Tier bedroht wird – sich in die Enge getrieben fühlt, wehrt es sich meist. Diese Frau kennt weder Freiheit noch Freundlichkeit. Sie hat keine Ahnung vom Leben. Sie ist eingesperrt gewesen und für Experimente missbraucht worden, das heißt, man hat sie mit Nadeln traktiert und Gott weiß, mit was sonst noch. Niemand hat ihr jemals Komplimente gemacht oder sie umworben. Sie kennt nur Feinde.«
»Ich bin doch nicht dumm, Wyatt«, entgegnete Trap, und zum ersten Mal lag ein Hauch von Ungeduld in seiner Stimme. »Ich habe viel Zeit gehabt, das alles zu durchdenken.«
»Ich möchte nicht, dass du etwas tust, was du später bereust – oder schlimmer noch, dass du nichts tust und deshalb umkommst.«
Die eiskalte blaue Flamme in Traps Augen begann beinahe zu glühen. »Sie gehört mir«, sagte er leise. Diesmal lag viel Gefühl und Besitzerstolz in seiner Stimme. Und auch ein wenig Wut, was ganz und gar nicht dazu passte, dass er das, was Whitney getan hatte, wieder rückgängig machen wollte. Dazu glitt erneut dieses seltsame Flirren durch den Raum und machte die Luft zum Atmen schwer.
»Für mich sieht es nicht so aus, als wolltest du dein Glück oder ihres opfern, damit deine Onkel in Deckung bleiben. Vielleicht solltest du überlegen, ob du nicht öffentlich um sie werben willst. Sieh zu, dass du in die Zeitung kommst, und lass die Paparazzi Unmengen von Bildern von euch schießen. Das würde die beiden wahrscheinlich umgehend herbringen. Dann laufen sie dem Schattengänger-Team, das auf sie wartet, direkt in die Arme.« Wyatt grinste breit, denn Trap war der kamerascheuste Mensch, der ihm je begegnet war. »Whitney weiß bereits, wo sie ist. Den lockst du damit nicht an.«
Nachdenklich nahm Trap noch einen Schluck von seinem Bier. »Das ist keine schlechte Idee. Schließlich ist sie ja nicht leicht zu überwältigen. Wenn die beiden versuchen, sich mit ihr anzulegen, bringt sie sie locker um. Ich versuche schließlich schon seit Jahren diese Mörder zu finden.«
»Vielleicht sind sie tot.«
Trap schüttelte den Kopf. »Niemals. Sie sind irgendwo da draußen und machen sich ein schönes Leben. Aber sobald ich sie aufgestöbert habe, ist Schluss damit.«
Seine Stimme war wieder völlig ausdruckslos, doch dieses Flirren hing weiter in der Luft. Trap nahm noch einen Schluck und musterte den Flügel. Mit etwas Klavierspielen konnte er die letzten paar Stunden durchstehen, bis Thibodeaux den Laden zumachte.
Plötzlich ging die Tür auf, und die Nachtluft, die hereinwehte, brachte den Duft von Regen und Stürmen mit. Ihren Duft. Er war unverkennbar. Cayenne war da. Endlich. Trap hob den Kopf und ließ sich einen Moment lang gewähren, die Sehnsucht zu stillen und sich an ihrem Anblick zu weiden.