Im Einkauf liegt der (Börsen-)Gewinn - Tobias E. Carlisle - E-Book

Im Einkauf liegt der (Börsen-)Gewinn E-Book

Tobias E. Carlisle

4,0

Beschreibung

Warren Buffetts Credo lautet: "Kaufe wundervolle Unternehmen zu vernünftigen Preisen!" Mit dieser Strategie wurde er einer der reichsten Männer der Welt. Doch es geht noch besser: Mit "Kaufe vernünftigen Unternehmen zu wundervollen Preisen" hätten Anleger mehr Geld verdient als Warren Buffett. Den Investment-Ansatz dahinter erklärt Tobias Carlisle in seinem Buch. Wie schwimme ich erfolgreich gegen den Strom der herrschenden Meinung? Wie finde ich die Unternehmen, die nicht aus guten Gründen billig sind, sondern unterbewertet? Carlisle gibt Antworten auf diese Fragen und legt damit das Fundament für eine erfolgreiche Anlegerkarriere seiner Leser.

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TOBIAS E. CARLISLE

IM EINKAUFLIEGT DER(BÖRSEN-)GEWINN

WIE SIE BESSERANLEGEN ALSWARREN BUFFETT

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

The Acquirer’s Multiple: How the Billionaire Contrarians of Deep Value Beat the Market

ISBN 978-0692928851

Copyright der Originalausgabe 2017:

Copyright © 2017 Tobias E. Carlisle.

All rights reserved.

Copyright der deutschen Ausgabe 2020:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Egbert Neumüller

Coverillustration: Ivan Kristianto / Shutterstock.com

Gestaltung, Satz und Herstellung: Daniela Freitag

Lektorat: Claus Rosenkranz

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86470-664-6

eISBN 978-3-86470-665-3

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

www.boersenbuchverlag.de

www.facebook.com/boersenbuchverlag

FÜR NICK, STELL, TOM UND OLLY.

INHALT

VORWORT

KAPITEL 1

So handeln milliardenschwere antizyklische Investoren

KAPITEL 2

Der Hedgefonds des jungen Buffett

KAPITEL 3

Der große Berkshire-Hathaway-„Beutezug”

KAPITEL 4

Buffetts wundervolle Unternehmen zu guten Preisen

KAPITEL 5

So schlägt man die Börsen-Zauberformel

KAPITEL 6

Der Übernahmefaktor

KAPITEL 7

Das Geheimrezept: So schlägt man den Markt

KAPITEL 8

So funktioniert Deep Value

KAPITEL 9

Der Piratenkönig

KAPITEL 10

Die neuen Gentlemen des Vermögens

KAPITEL 11

Die Kunst des Deep-Value-Investings

KAPITEL 12

Die acht Deep-Value-Regeln

ANHANG: DIE EINZELHEITEN DER SIMULATION

ANMERKUNGEN

DANKSAGUNG

VORWORT

„Es ist besser, wenn man Glück hat. Aber lieber noch bin ich exakt. Wenn dann das Glück kommt, ist man parat.“

– Ernest Hemingway, „Der alte Mann und das Meer“ (1952)

Dieses Buch ist eine kurze, einfach gehaltene Erklärung einer der leistungsfähigsten Ideen im Bereich der Geldanlage: hü!

Hü?

„Hü“ sagen, wenn die Masse „hott“ sagt. Hü mit den Value-Anlegern. Hü mit den antizyklischen Anlegern.

Und zwar aus folgendem Grund: Einen guten Preis bekommt man nur, wenn man das kauft, was die Masse verkaufen will, und das verkauft, was die Masse kaufen will. Das bedeutet nämlich einen niedrigen Preis. Und es kann bedeuten, dass die Aktie unterbewertet ist. Und das ist gut. Es heißt nämlich, dass das Verlustrisiko geringer ist als die Gewinnchance. Wenn man sich irrt, verliert man nicht viel. Liegt man richtig, kann man viel verdienen.

Wenn man unterbewertete Aktien findet, stellt man oft fest, dass sie aus gutem Grund so billig sind: Die Geschäfte gehen schlecht. Warum sollte man eine unterbewertete Aktie kaufen, deren Geschäfte anscheinend schlecht laufen? Weil die Märkte von einer mächtigen Kraft beherrscht werden, die als Rückkehr zum Mittelwert oder Mittelwertrückkehr bezeichnet wird: von der Idee, dass die Dinge zum Normalzustand zurückkehren.

Die Rückkehr zum Mittelwert befördert unterbewertete Aktien hinauf und teure Aktien hinunter. Sie befördert schnell wachsende, profitable Unternehmen hinunter und schrumpfende Verlustmacher hinauf. Das funktioniert bei Aktienmärkten, Branchen und ganzen Volkswirtschaften. Auch beim Konjunkturzyklus: nach dem Abschwung der Aufschwung, nach dem Aufschwung der Abschwung.

Die besten Anleger wissen das. Sie warten auf die Wende der Geschicke einer Aktie. Während die Masse annimmt, dass der Trend ewig anhält, sagen Deep-Value-Anleger und Antizykliker hü, bevor die Wende kommt.

Die Rückkehr zum Mittelwert hat für Anleger zwei bedeutsame Konsequenzen:

1. Unterbewertete, in Ungnade gefallene Aktien schlagen meistens den Markt, glamouröse, teure Aktien nicht.

2. Schnell wachsende Unternehmen werden meistens irgendwann langsamer. Hochprofitable Unternehmen werden meist irgendwann weniger profitabel. Auch das Gegenteil trifft zu. Stagnierende oder schrumpfende Unternehmen vollziehen meist irgendwann eine Wende und beginnen wieder zu wachsen. Unprofitable Unternehmen werden meist irgendwann profitabler.

Wenn Sie die Art und Weise kennen, wie der Milliardär Warren Buffett investiert, mag Sie das überraschen. Als Value-Investor kauft er unterbewertete Aktien – allerdings nur eine spezielle Gruppe mit nachhaltigen hohen Gewinnen. Er nennt sie „wundervolle Unternehmen zu guten Preisen“. Und diese zieht er „guten Unternehmen zu wundervollen Preisen“ vor, also solchen, die zwar unterbewertet, deren Profitabilität jedoch durchwachsen ist.

Der milliardenschwere Fondsmanager Joel Greenblatt hat Buffetts Idee von den wundervollen Unternehmen zu guten Preisen einmal überprüft. Dabei stellte er fest, dass sie den Markt schlägt, und schrieb darüber im Jahr 2006 ein tolles Buch mit dem Titel „Die Börsen-Zauberformel“. Es ist eines der erfolgreichsten Bücher aller Zeiten über Geldanlage.

Wir haben nun Greenblatts Buch einem Test unterzogen und festgestellt, dass er recht hat. Buffetts wundervolle Unternehmen zu guten Preisen schlagen den Markt. Aber hier nun die Überraschung: Gute Unternehmen zu wundervollen Preisen laufen noch besser.

In diesem Buch werde ich vorführen, wie man solche guten Unternehmen zu wundervollen Preisen findet. Und ich erkläre in klaren, einfachen Worten, weshalb sie Buffetts wundervolle Unternehmen zu guten Preisen übertreffen.

Über den erwähnten Test habe ich 2012 und dann wieder in meinem Buch „Deep Value“ aus dem Jahr 2014 geschrieben. Für ein teures, gewissermaßen wissenschaftliches Lehrbuch über Bewertung und Unternehmensführung verkaufte es sich ziemlich gut – aber ich wollte ein Buch, das auch von nichtprofessionellen Anlegern gelesen werden könnte.

Das vorliegende Buch ist als Wanderführer im Taschenformat für den Weg zu guten Unternehmen zu wundervollen Preisen gedacht. Seine Aufgabe ist es, zur Verbreitung der antizyklischen Botschaft beizutragen. Es ist eine Sammlung der besten Gedanken aus meinen Büchern „Deep Value“, „Quantitative Value“ und „Concentrated Investing“. Im vorliegenden Buch werden die dort dargestellten Ideen vereinfacht, zusammengefasst und weiter ausgeführt.

Es basiert auf Vorträgen, die ich in Harvard, an der Caltech, bei Google, vor der New York Society of Security Analysts (NYSSA), vor der Chartered Financial Analysts Association of Los Angeles (CFA LA) und andernorts gehalten habe.

Meine Arbeiten wurden in Forbes, The Harvard Business Review, The Journal of Applied Corporate Finance, in zwei Ausgaben von „Introduction to Corporate Finance“ von Booth und Cleary sowie im Manual of Ideas veröffentlicht. Über die darin enthaltenen Ideen habe ich unter anderem in den Fernseh- und Radioprogrammen von Bloomberg, bei Yahoo Finance, Sky Business und NPR gesprochen.

Die überwältigende Mehrheit reagiert darauf ungläubig. Warum? Viele finden diese Ideen nicht einleuchtend – sie widersprechen unserer intuitiven Vermutung, wie die Welt funktioniert. Manche Menschen finden sie aber vollkommen einleuchtend.

Um dieses Buch zu verstehen, braucht man weder Anwalt, geprüfter Finanzanalyst noch ein technisches Genie oder Harvard-Absolvent zu sein. Buffett schrieb 1984: „Es erstaunt mich, dass die Vorstellung, Dollarscheine für 40 Cent zu kaufen, bei den Menschen entweder sofort anschlägt oder überhaupt nicht:“1

„Ein Kollege … der keine formale wirtschaftliche Ausbildung genossen hat, versteht die Value-Methode der Geldanlage sofort und wendet sie schon nach fünf Minuten an.“

In diesem Buch lege ich die Zahlen und meine Überlegungen vor. Wir schauen uns die von milliardenschweren Deep-Value-Anlegern ausgewählten Aktien detailliert an:

• Warren Buffett

• Carl Icahn

• Daniel Loeb

• David Einhorn

Wir schauen uns die Strategien von Buffett und seinem Lehrer Benjamin Graham sowie die anderer Antizykliker an, darunter:

• Paul Tudor Jones, milliardenschwerer Trader

• Peter Thiel, milliardenschwerer Wagniskapitalgeber

• Michael Steinhardt, milliardenschwerer Global-Macro-Investor

Ich habe dieses Buch so geschrieben, dass man es in wenigen Stunden durchlesen kann. Es ist für meine Kinder und meine Familie geschrieben, für meine Freunde, für Menschen, die zwar klug sind, aber keine Börsenmenschen. Das heißt, es ist in einfachem Englisch verfasst – und liegt hier nun auf Deutsch vor. Wenn ich einen Börsenbegriff erklären musste, versuchte ich das so einfach wie möglich zu tun. Und dieses Buch ist vollgepackt mit Tabellen und Zeichnungen, die erklären, warum es so wichtig ist, hü zu sagen, wenn die Masse hott sagt. Sie werden erfahren, weshalb gute Aktien zu wundervollen Preisen den Markt und wundervolle Aktien zu guten Preisen schlagen. Fangen wir an!

KAPITEL 1

SO HANDELN MILLIARDENSCHWERE ANTIZYKLISCHE INVESTOREN

„Um den Markt zu schlagen, muss man etwas anders machen als der Markt.“

– Joel Greenblatt, Talks at Google, 4. April 2017

„Hü oder hott“ – Grundbedeutung: Zurufe an ein Zugtier, „vorwärts“ und „halt“, im übertragenen Sinne für gegensätzliche Entscheidungen gebraucht, vor allem bei Wankelmut: „Einmal hü und einmal hott sagen“.

Die antizyklischen Deep-Value-Anleger, die Milliarden verdient haben, sagen hü, wenn die Masse hott sagt.

Sie kaufen das, was die Masse verkaufen will. Sie verkaufen, wenn die Masse kaufen will.

Sie kaufen Aktien mit fallenden Kursen …

… mit schrumpfenden Gewinnen …

… die Verlust machen …

… die bankrottgehen …

… die bankrottgegangen sind.

Aber das tun sie nur, wenn die Aktie stark unterbewertet ist.

Der milliardenschwere Value-Investor Warren Buffett ist für die Aussage bekannt, er versuche „ängstlich zu sein, wenn die anderen gierig sind, und gierig zu sein, wenn die anderen ängstlich sind“. Anders ausgedrückt sagt Buffett hü, wenn die Masse hott sagt.

Der milliardenschwere Heuschrecken-Investor Carl Icahn ist wie Buffett Value-Anleger. Er wurde einmal als der „Antizykliker, der allen Antizyklikern ein Ende macht“, bezeichnet.2 Ken Moelis, ehemaliger Leiter des Investmentbankings bei UBS, sagte über Icahn: „Er kauft im schlechtesten denkbaren Moment, wenn es keinen Grund gibt, einen Lichtstreif zu sehen, und wenn niemand seiner Meinung ist.“3 Icahn erklärt, warum:4

„Die herrschende Meinung ist meistens falsch. Wenn man mit einem Trend geht, zerrinnt einem das Momentum immer zwischen den Fingern. Deshalb kaufe ich unglamouröse Unternehmen, die meistens in Ungnade gefallen sind. Noch besser ist es, wenn die ganze Branche die Anlegergunst verloren hat.“

Icahn sagt hü, wenn die Masse hott sagt.

Der milliardenschwere Trader Paul Tudor Jones ist als Antizykliker bekannt. In dem Buch „Magier der Märkte“ von Jack D. Schwager aus dem Jahr 1989 sagte er:

„Ich habe gelernt, dass Märkte zwar dann am besten aussehen, wenn sie neue Hochs erreichen, aber dass das häufig auch der beste Zeitpunkt ist, zu verkaufen. Um ein guter Trader zu sein, muss man in gewissem Maße antizyklisch handeln.“

Paul Tudor Jones sagt hü, wenn der Markt hott sagt.

Der milliardenschwere Investor Peter Thiel zeichnet ein Diagramm, um den idealen Bereich, den „Sweet Spot“, der von ihm ausgewählten Aktien zu beschreiben:

Der Sweet Spot: Eine gute Idee, die nach einer schlechten aussieht

Quelle: Paul Graham, „Black Swan Farming“, September 2012, verfügbar unter http://www.paulgraham.com/swan.html

Thiels „Sweet Spot“ ist eine gute Idee, die für die Masse nach einer schlechten Idee aussieht. Aber Thiel hält sie für eine möglicherweise gute Idee. Thiel sagt hü, während die Masse hott sagt.

Der milliardenschwere Global-Macro-Investor Michael Steinhardt verwandelte das Geld seiner Anleger in den 30 Jahren bis 1995 in den 500-fachen Betrag. In seiner Autobiografie beschreibt Steinhardt, wie er einem Praktikanten erklärte, worauf er achtet:5

„Ich erklärte ihm, im Idealfall müsse er mir in zwei Minuten vier Dinge sagen können: (1) die Idee, (2) die herrschende Ansicht, (3) seine davon abweichende Wahrnehmung und (4) ein auslösendes Ereignis. Keine kleine Leistung. In Fällen, in denen keine abweichende Wahrnehmung vorlag … hatte ich meistens kein Interesse und riet von der Investition ab.“

Steinhardts „abweichende Wahrnehmung“ ist eine Ansicht, die sich von derjenigen der Masse unterscheidet. Steinhardt versucht, hü zu sagen, wenn die Masse hott sagt.

Der milliardenschwere Global-Macro-Investor Ray Dalio schreibt:6

„Man muss eigenständig denken, wenn man an den Märkten erfolgreich sein will, denn die herrschende Meinung ist bereits eingepreist. Man muss eine Ansicht haben, die sich von der Konsensmeinung unterscheidet.“

Dalio sagt also, dass man den Markt nur dann schlägt, wenn man hü sagt.

Der Milliardär Howard Marks, der in notleidende Schuldpapiere investiert, schreibt: „Um überlegene Investmentergebnisse zu erzielen, muss man vom Konsens abweichende Ansichten über den Wert haben und diese müssen zutreffen.“7 Laut dem Wagniskapitalgeber Andy Rachleff stellt sich Marks für Investments ein Raster mit vier Feldern vor, das so aussieht:

Überdimensionale Renditen: Richtig und vom Konsens abweichend

Quelle: Andy Rachleff: „Demystifying Venture Capital Economics, Part 1“, verfügbar unter https://blog.wealthfront.com/venture-capital-economics/

Auf der einen Seite kann man entweder mit dem Konsens – mit der Masse – gehen oder davon abweichen – hü. Auf der anderen Seite kann man richtig- oder falschliegen. Rachleff erläutert sein Raster:8

„Natürlich verdient man kein Geld, wenn man falschliegt. Überdimensionale Gewinne kann man als Anleger und als Unternehmer nur erwirtschaften, wenn man richtigliegt und vom Konsens abweicht.“

Man schlägt den Markt nicht, wenn man falschliegt oder mit der Masse hott sagt.

Dieser letzte Punkt überrascht viele Anlageneulinge. Man schlägt den Markt nicht, wenn man richtigliegt und mit der Masse hott sagt? Nein. Man schlägt den Markt nicht, wenn man richtigliegt und die Masse schon zu dem Schluss gekommen ist, dass die Aktie gut ist. Der Grund? Wie wir noch sehen werden, zahlt man einen hohen Preis, der die Hoffnungen der Masse für die Aktie widerspiegelt. Die Aktie schlägt den Markt selbst dann nicht, wenn sie diese großen Hoffnungen erfüllt.

Man kann den Markt nicht schlagen, wenn man mit ihm hott sagt. Um ihn zu schlagen, muss man hü sagen, wenn die Masse hott sagt. Und zwar aus folgendem Grund: Einen niedrigen Preis bekommt man nur dann, wenn man das kauft, was die Masse verkaufen will, und dann verkauft, wenn die Masse kaufen will.

Ein niedriger Preis ist ein Preis, der unter dem Wert der Aktie liegt. Das bedeutet eine unfaire, einseitige Wette: geringe Verlustmöglichkeit und hohe Gewinnmöglichkeit. Die geringe Verlustmöglichkeit bedeutet, dass der Preis das Worst-Case-Szenario bereits enthält. Das bietet uns Spielraum für Irrtümer. Wenn wir falschliegen, verlieren wir nicht viel. Wenn wir richtigliegen, verdienen wir viel. Die größere Gewinnmöglichkeit bedeutet, dass wir auch dann auf null kommen, wenn wir mehr Verluste als Erfolge einfahren. Wenn es uns gelingt, genauso oft oder öfter Erfolg zu haben als Fehler zu machen, wird es für uns gut laufen.

Es reicht aber nicht, einfach entgegengesetzter Meinung zu sein. Man muss damit auch richtigliegen. Steinhardt schreibt: „Wenn man konträr vorgeht und richtig urteilt, wenn sich die anderen irren, gewinnt man den goldenen Ring. Das passiert nicht sehr oft, aber wenn es passiert, verdient man damit außerordentlich viel Geld.“9

Der milliardenschwere Value-Investor Seth Klarman schreibt: „Value-Investing ist im Prinzip eine Kreuzung aus antizyklischer Neigung und einem Taschenrechner.“10 Klarman sagt damit, dass man auch etwas tun muss. Dass die Masse eine Aktie nicht haben will, reicht nicht aus. Man muss herausfinden, ob man selbst sie haben will. Dafür schaut man sich die Fundamentaldaten des Unternehmens an.

Was sind die Fundamentaldaten eines Unternehmens? Buffetts Lehrer Benjamin Graham brachte ihm bei, dass eine Aktie ein Besitzanteil an einem Unternehmen ist. Sie ist nicht nur ein Tickersymbol. Zu denken wie ein Besitzer zieht drei Dinge nach sich:

1. Man sollte wissen, was das Unternehmen macht. Worin besteht seine Geschäftstätigkeit? Womit verdient es sein Geld?

2. Man sollte wissen, was das Unternehmen besitzt. Welche Vermögenswerte hat es? Wie viele Schulden hat es?

3. Man sollte wissen, wer das Unternehmen leitet und wem es gehört. Leistet das Management gute Arbeit? Achten die Großaktionäre darauf?

Manchmal verwenden Anleger die Begriffe „Unternehmen“ (oder „Gesellschaft“) und „Geschäft“, als wären sie austauschbar. Sie sind aber verschieden. Ein Unternehmen oder eine Gesellschaft ist eine juristische Person. Ihr gehören die Vermögenswerte. Sie beschäftigt die Mitarbeiter. Sie schließt Verträge. Sie kann klagen und verklagt werden. Das „Geschäft“ im Sinne von „Geschäftstätigkeit“ ist hingegen die Aktivität, Waren oder Dienstleistungen mit Gewinnabsicht zu verkaufen. Die Aktionäre besitzen Anteile an der Gesellschaft. Die Gesellschaft besitzt die Geschäftstätigkeit und die Vermögenswerte.

Eine Geschäftstätigkeit kann viel wert sein, wertlos sein oder noch weniger als gar nichts wert sein – wenn sie regelmäßig Verlust bringt. Auch ein Unternehmen kann einen großen Wert oder einen negativen Wert besitzen – wenn seine Schulden den Wert seiner Vermögenswerte übersteigen. Viele Anleger schauen genau auf die Gewinne – die Früchte der Geschäftstätigkeit –, ignorieren dabei aber die Vermögenswerte einschließlich des Barbestands.

Oft stellt man fest, dass unterbewertete Aktien aus gutem Grund so billig sind: Das Geschäft läuft schlecht oder wird schlecht gemanagt. Glamouröse, schnell wachsende oder sehr profitable Unternehmen erzielen hohe Preise. Eine Unterbewertung ergibt sich aus stagnierendem Wachstum, sinkenden Gewinnen oder einem drohenden Bankrott. Warum sollte man ein Unternehmen kaufen, dessen Geschäftstätigkeit schwächelt, auch wenn es unterbewertet ist?

Dafür gibt es drei Gründe:

1. Vielleicht besitzt es wertvolle Vermögenswerte. Die Masse verkauft eine Aktie oft ausschließlich wegen ihrer Geschäfte, ignoriert dabei aber ihren Barbestand und ihre sonstigen Vermögenswerte.

2. Viele scheinbar angsteinflößende, schlechte oder langweilige Geschäfte erweisen sich als weniger angsteinflößend, schlecht oder langweilig, als sie scheinen.

3. Schlecht geführte Unternehmen ziehen außenstehende Investoren an, die sie übernehmen oder zum Turn-around führen könnten. Davon leben Private-Equity-Firmen und aktivistische Investoren. Aber Aktionäre brauchen gar nicht auf andere Investoren zu warten. Sie haben als Eigentümer Rechte und üben diese aus, indem sie bei Versammlungen abstimmen. Wenn sie genügend Stimmen zusammenbringen, können Aktionäre die schlechte Politik eines Unternehmens ändern.

Diese drei Gründe schaffen Chancen für Antizykliker mit Taschenrechnern. Deswegen suchen wir nach Aktien, die Verlust machen oder nach schlechten Ideen aussehen, und deswegen ignorieren wir die Masse. Unterbewertete und in Ungnade gefallene Aktien bieten die Chance, hü zu sagen – etwas Wertvolles zu kaufen, das jemand anders zu günstig verkaufen will.

Unternehmen werden unterbewertet, weil das Geschäft auf ein Schlagloch stößt. Die Masse reagiert über. Oder das Geschäft des Unternehmens ist langweilig und die Masse wird ungeduldig. Wenn ein unterbewertetes Unternehmen eine angsteinflößende, schlechte oder langweilige Geschäftstätigkeit ausübt, braucht es oft bloß Zeit. Viele Unternehmen erweisen sich als weniger angsteinflößend, langweilig oder schlecht, als sie zunächst zu sein scheinen, wenn man ihnen genug Zeit lässt. Ein scheinbar schlechtes Geschäft mit hohem Buchwert kann eine gute Wette sein. Wenn die Geschäfte besser laufen, kann es sogar zur großartigen Wette werden.

Woher weiß man, ob ein schlechtes Geschäft mit der Zeit besser wird? Man weiß es nicht. Aber man weiß, dass das mit vielen schlechten Geschäften passieren wird. Der Grund dafür ist eine mächtige Marktkraft namens Rückkehr zum Mittelwert. Das ist der Fachausdruck für einen einfachen Gedanken: Die Dinge kehren zum Normalzustand zurück.

Die Rückkehr zum Mittelwert: Die Dinge kehren zum Normalzustand zurück

Die Rückkehr zum Mittelwert treibt die Preise unterbewerteter Aktien in die Höhe und treibt die Preise teurer Aktien hinab.

Sie holt schnell wachsende Unternehmen mit hohen Gewinnen wieder auf den Boden zurück und dreht Unternehmen mit sinkenden Gewinnen oder wachsenden Verlusten wieder himmelwärts.

Das funktioniert bei Aktienmärkten, Branchen und ganzen Volkswirtschaften. Man kennt die Auf- und Abschwünge der Konjunktur und man kennt die Hochs und Tiefs am Aktienmarkt.

Extrapolation: Den Trend finden und ihn fortschreiben

Die Rückkehr zum Mittelwert ist der erwartete Ausgang. Aber wir erwarten nicht die Rückkehr zum Mittelwert. Vielmehr richtet sich unser Instinkt darauf, einen Trend zu finden und ihn zu extrapolieren. Wie meinen, für manche Aktien werde immer Winter und für andere immer Sommer sein. Jedoch kommt nach dem Sommer der Herbst und nach dem Winter der Frühling. Irgendwann.

Das ist das Geheimnis der antizyklischen Geldanlage: Die Wendepunkte sind verborgen. Wären sie so vorhersehbar wie der Sommer nach dem Frühling, würden wir das Muster schnell finden. Aber stattdessen ist es zufällig.

Wodurch wird die Rückkehr zum Mittelwert hervorgerufen? Wie fallen schnell wachsende Aktien mit großen Gewinnen auf durchschnittliches Niveau zurück? Wie steigt eine unterbewertete Aktie auf ihren fairen Wert?

Benjamin Graham bezeichnete das einmal als „eines der Mysterien unseres Geschäfts“.11 Damit war er ein bisschen bescheiden. Die mikroökonomische Antwort ist gewissermaßen ganz einfach: Wettbewerb.

Wettbewerb: Wachstum und Gewinne locken Konkurrenten an

Schnelles Wachstum und hohe Gewinne locken Konkurrenten an – Unternehmer und Unternehmen aus verwandten Branchen. Konkurrenten nehmen einem ein Stück Wachstum und Gewinn weg.

Verluste können dazu führen, dass Konkurrenten aufgeben oder einfach die Branche verlassen, und die nun fehlende Konkurrenz beschert den überlebenden Unternehmen eine Zeit hohen Wachstums und hoher Gewinne.

Der milliardenschwere Value-Investor Jeremy Grantham weiß, dass Gewinne zum Mittelwert zurückkehren:12

„Die Ertragsmargen sind im Finanzwesen wohl das, was am ehesten zum Mittelwert zurückkehrt, und wenn die Ertragsmargen nicht zum Mittelwert zurückkehren, läuft mit dem Kapitalismus irgendetwas arg schief. Wenn hohe Gewinne keine Konkurrenz anlocken, dann ist an dem System etwas faul und es funktioniert nicht richtig.“

Dieser Meinung ist auch Buffett. Er schrieb 1999, man müsse außerordentlich optimistisch sein, um zu glauben, die Gewinne könnten über einen längeren Zeitraum hoch bleiben. Er schrieb:13

„Zu den Dingen, die den Anteil [der Unternehmensgewinne] hoch halten, gehört die Konkurrenz, die gesund und munter ist.“