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»Im Schatten des Balles - Aufstieg, Fall und Neuanfang«, geschrieben von Oualid Mokhtari, ist ein biografischer Roman, der auf den realen Erfahrungen des Autors basiert. Das Werk zeichnet das außergewöhnliche Leben eines Mannes nach, der vom Sonderschüler zum anerkannten Sportlehrer aufsteigt und als Profifußballer die Höhen und Tiefen des Sportgeschäfts erlebt. Der Roman beleuchtet die Kontraste und Wendungen im Leben des Protagonisten, seine Kämpfe und Triumphe und ist eine tiefgründige Reflexion über Resilienz, Burnout, Depression und die Neuerfindung des Selbst.
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Seitenzahl: 194
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Cover
Titelblatt
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Epilog
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Oualid Mokhtari
Im Schatten des Balles Aufstieg, Fall und Neuanfang
Romanbiografie
Prolog
Frankfurt. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages verschwanden am Horizont, die Dunkelheit hüllte die Stadt mit ihren stolzen Bürogebäuden sanft ein. Für die meisten Menschen war der Arbeitstag zu Ende, doch für ihn begann er gerade erst.
In den endlosen Korridoren eines dieser gläsernen Kolosse der Stadt hallten die Geräusche der Nacht wider. Das leise Wischen eines Mopps über den kühlen Marmor, das rhythmische Sprühen eines Glasreinigers, das leise Quietschen eines Lappens auf der Fensterscheibe.
Inmitten dieses nächtlichen Putzkonzerts stand er da, ein braungebrannter Mann mit dunklen Haaren in Jeans und weißem Hemd, das er ordentlich in die Hose gesteckt hatte. Ein Mann mit einem bekannten Gesicht, einem Gesicht, das auf den Fußballplätzen zu Hause war, dort, wo die Massen jubeln und die Lichter funkeln.
Aber hier, in den dunklen Gängen des Bürogebäudes, gab es keine jubelnden Fans, keine schillernden Lichter. Nur ihn, gespiegelt im Fenster in der Stille der Nacht.
Wenn er erkannt wurde, gab er sich als Chef der Reinigungsfirma aus. Doch hinter den wohlgesetzten Worten und der sorgfältig gepflegten Fassade schwirrten seine Gedanken.
Sie flogen zurück zu den Triumphen auf dem Rasen und zu den Tagen des Ruhms, die jetzt wie ein ferner Traum erschienen. Aber noch mehr fragte er sich, warum. Warum er an diesem Punkt seines Lebens angelangt war. Warum sein Leben so und nicht anders verlaufen war.
Warum war er von der hellen Arena eines Fußballfeldes in die Dunkelheit eines Bürogebäudes verschwunden? Warum stand er hier, mit einem Lappen in der Hand und einem schweren Herzen, anstatt dort, mit einem Ball an den Füßen und dem Jubel in den Ohren?
Er wischte über das Glas, seine Bewegungen mechanisch, sein Geist weit weg. Die Nacht senkte sich herab, und er verlor sich in den Strudeln seiner Erinnerungen und Gedanken, auf der Suche nach Antworten, die sich in den Schatten zu verbergen schienen.
Kapitel 1
Ich betrete die Wohnung meiner Eltern, und sofort umhüllt mich diese wohlige Wärme, die nur ein Zuhause ausstrahlen kann. Ob andere Menschen das wohl auch so empfinden, wenn sie die Wohnung ihrer Eltern betreten – dieses Gefühl, nach Hause zu kommen?
Es ist Ramadan, für uns Muslime die heiligste Zeit des Jahres, und trotz der unterschiedlichen Wege, die meine Geschwister und ich gegangen sind, führt uns dieser Monat immer wieder zusammen. Ein unsichtbares Band aus Tradition und inniger Zuneigung zieht uns zurück in den vertrauten Schoß unserer Familie.
Die Wohnung meiner Eltern in Raunheim bei Frankfurt am Main ist wie ein sicherer Ankerplatz für unsere weit verzweigte Familie. Vier Zimmer, jedes liebevoll eingerichtet und von einer behaglichen Modernität, die dem Alter meiner Eltern schmeichelt. Manchmal schweift mein Blick durch die Räume.
Ob ich in meinen eigenen vier Wänden jemals eine solche Behaglichkeit schaffen kann, wie es nur Eltern können? Ob meine eigenen Kinder, wenn sie groß sind und zu Besuch kommen, dieses Gefühl von Geborgenheit und Wärme empfinden werden, wie ich es jetzt gerade tue?
Es ist nicht vollgestopft, sondern wirkt eher wie ein sorgfältig kuratiertes Wohnmuseum, in dem jedes Möbelstück und jeder Gegenstand eine Geschichte zu erzählen hat.
In meiner Vorstellung sehe ich die Wohnung wie einen prallen, aber elastischen Luftballon, der an den Nähten zu platzen droht. Denn während sie für meine Eltern eine geräumige Oase der Ruhe ist, kann sie sich in den Tagen des Ramadan in eine brodelnde, pulsierende Bühne des Familienlebens verwandeln. Ich stelle mir vor, wie Arme und Beine meiner großen Familie dann aus Fenstern und Türen hängen und sie jeden Winkel mit Lachen, Gesprächen und lebendiger Energie füllen. Wie in einem Bienenstock summt und brummt es überall, jeder hat seine Aufgabe, seinen Beitrag.
Dann scheint die Wohnung fast zu vibrieren, als könnte sie die Freude und Liebe, die wir in sie hineinpacken, kaum fassen.
Der Kontrast zwischen der behaglichen Ruhe, die die Wohnung normalerweise ausstrahlt, und der turbulenten, herzerwärmenden Fülle, die sie in den Abenden der Fastenzeit einnimmt, ist einfach zu köstlich und bringt mich zum Schmunzeln.
Ich frage mich, ob meine Eltern das auch so sehen oder ob sie die Ruhe vermissen, wenn das Haus wieder voll ist.
Hier ist das Zentrum der Familie Mokhtari, wo alles begann und wo alles immer wieder zusammenkommt.
—
Doch einen Moment bitte. Bevor wir weiter durch den Trubel und die heitere Aufregung unserer familiären Zusammenkunft navigieren, sollten wir einen kleinen Zwischenstopp einlegen. Sie sollten wissen, mit wem Sie die nächsten Stunden und Seiten Ihrer Lektüre verbringen werden.
Ich heiße Oualid Mokhtari, geboren 1982 in Nador, Marokko.
Jetzt fragen Sie sich bestimmt, wer dieser Oualid ist, oder? Nun, ich denke, es ist nur fair, Ihnen vorab ein wenig über mich zu erzählen. Ich war Fußballprofi – ja, Sie haben richtig gelesen. Ich durchlebte eine Zeit voller Höhen und Tiefen, die mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin.
Aber das ist nur eine Facette meines Lebens. Es gibt viele Farben in meinem Bild – und Fußball ist nur eine davon. Bereiten Sie sich also darauf vor, in ein buntes Spektrum von Farben und Nuancen einzutauchen, die meine Lebensgeschichte ausmachen.
Ich will noch nicht zu viel verraten, aber ich kann Ihnen versichern, dass Sie am Ende dieses Buches erstaunt sein werden. Es wird eine spannende Reise voller Überraschungen und Gegensätze. Willkommen in meiner Welt! —
Nun dann. Ich beobachte, wie sich der kleine Tisch im Wohnzimmer nach und nach mit allerlei leckeren Speisen füllt. Meine Mutter, meine Schwester Nadia und meine Frau Ilham haben sich wieder einmal selbst übertroffen. Der Duft der Gewürze und Speisen erfüllt die ganze Wohnung und lässt meine Geschmacksnerven vor Vorfreude tanzen.
Auf dem Tisch steht eine reiche Auswahl marokkanischer Spezialitäten. Da ist die Harira-Suppe, eine herzhafte Brühe aus Kichererbsen, Linsen und Tomaten, die an kühlen Abenden von innen wärmt. Daneben dampfen gefüllte Paprikaschoten, ihre Füllung aus Reis und Hackfleisch duftet verführerisch. In einer anderen Schüssel liegen Msemen, knusprige, quadratische Fladenbrote, die warm mit etwas Honig serviert werden. Und dann sind da noch die obligatorischen Datteln – mit ihrer natürlichen Süße das perfekte Pendant zu den herzhafteren Gerichten. Mein Blick schweift zum großen Esstisch, der ebenfalls mit Essen vollgestellt ist. Hier stapeln sich noch mehr Schüsseln und Teller mit Speisen aus großartigen Aromen und Farben. Zum Schluss noch ein Gericht, das nicht typisch marokkanisch ist, aber typisch für meine Mutter: goldgelbe Pommes, selbst geschält und von Hand geschnitten. Ich bin sicher, die Kinder werden sich als Erste darauf stürzen.
Die Unterhaltungen zwischen den Anwesenden werden intensiver. Da höre ich:
»Sind noch Oliven im Kühlschrank? Wer kann mal nachsehen?« Oder: »Nein, bitte noch nicht die Finger ausstrecken. Ihr müsst euch noch ein bisschen gedulden!«
Es ist wie ein Lied, das ich schon tausendmal gehört habe, das mich aber jedes Mal neu berührt.
Ich denke über das Fasten nach, das wir gerade begehen. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang essen und trinken wir den ganzen Tag nichts. Es ist eine Zeit des Verzichts und der Besinnung, aber auch der Freude und des Zusammenseins. Und am Ende des Tages, wenn die Sonne untergeht und der Muezzin ruft, dürfen wir endlich die Köstlichkeiten genießen.
Nach und nach werden die Kinder gebeten, sich vor dem Essen die Hände zu waschen. Alle sind aufgeregt, unruhig, voller Vorfreude auf die bevorstehende Mahlzeit.
Sitzplätze werden gesucht, gefunden, manchmal heftig umkämpft. Aber am Ende findet jeder einen Platz, sei es am Tisch, auf den Sofas, auf den Stühlen oder auf dem Teppich. Das ist unsere Tradition, unsere Art, das Fasten zu brechen und gemeinsam zu feiern.
Und so, umgeben von meiner Familie, all den lieben Gesichtern und den leckeren Speisen, fühle ich mich wirklich zu Hause.
Nach Hause kommen. Ein Wort, das so viel bedeutet. Ein Gefühl, das unbeschreiblich und doch so wichtig ist. Egal, was passiert ist, egal, wo und wie ich war – hier bin ich zu Hause.
Während ich so sitze und den Kindern beim Verzehr der Pommes zuschaue, erfüllt ein herzhaftes Lachen den Raum. Es ist das Lachen meines Vaters – so dröhnend, dass die Wände vibrieren.
»Weißt du noch, Mama?« Er wendet sich meiner Mutter zu. »Weißt du noch, wie du früher auch immer Pommes für unsere Kinder gemacht hast?«
Ein wehmütiges Lächeln breitet sich auf dem Gesicht meiner Mutter aus, und ich sehe in ihren Augen eine hintergründigere Geschichte.
»Ach, das waren noch Zeiten.«
Ich sehe ihr an, dass ihre Gedanken in die Vergangenheit reisen.
»Erzählt uns die Geschichte!«
Die Augen meiner Kinder, Nichten und Neffen leuchten vor Neugier. Und so schweifen wir gemeinsam in eine andere Zeit, in ein anderes Land.
Die offenen Koffer, die auf den brüchigen Mosaikfliesen unseres Hauses in Marokko lagen, schienen ungeduldig darauf zu warten, gefüllt zu werden …
Kapitel 2
Die offenen Koffer, die auf den brüchigen Mosaikfliesen unseres Hauses in Marokko lagen, schienen ungeduldig darauf zu warten, gefüllt zu werden. Unser Haus war ein bunter Mix aus Texturen und Geschichten. Jeder Raum hatte seinen eigenen Charakter, seine eigene Persönlichkeit, die sich in den Wänden, den Möbeln und vor allem in den Menschen, die darin lebten, ausdrückte. Perserteppiche mit ihren komplexen Mustern und warmen Farben bedeckten den Boden. Sie brachten nicht nur Gemütlichkeit, sondern auch einen Hauch von Extravaganz in unser sonst bescheidenes kleines Heim. Sie bildeten einen Kontrast zu den schlichten Mosaikfliesen und brachten die leuchtenden Farben der marokkanischen Keramik, die meine Eltern im Laufe der Jahre gesammelt hatten, besonders gut zur Geltung. Es war eine Frau, die all das zusammenbrachte, eine Frau, die die Räume unseres Hauses mit Wärme und Liebe erfüllte. Und das war Mama. Unsere Mama. Meine Mama. Und Mama nannten wir nicht nur so, weil es eine liebevolle Bezeichnung ist, die Kinder ihrer Mama geben. Es war ihr Vorname, kein Kosename. Ja, Sie haben richtig gelesen. Mama ist ihr wahrhaftiger Vorname. Der Name, der in ihrem Pass steht. Ein ironischer Zufall, der uns immer wieder erheitert. Bis heute. Als hätte das Schicksal entschieden, dass sie in ihrer neuen Heimat Deutschland von fast allen »Mutter« genannt werden würde. Ein Titel, der zu ihr passt, denn sie war und ist eine Mutter mit großem Herz. Mit feinem Gespür verwandelte Mama die einfachsten Verhältnisse in ein Zuhause. Ihre inneren Werte, ihre Fürsorge und Liebe strahlten und machten sie zum Mittelpunkt unseres Familienlebens. Das war sie, seit drei Jahren – der Mittelpunkt im Leben meiner Geschwister. Der leuchtende Stern, der alles zusammenhielt. Denn mein Vater Mustafa war seit dieser Zeit in Deutschland, um zu arbeiten und Geld für unsere Familie zu verdienen. Alle paar Monate kam er zu Besuch nach Marokko. So war Mama diejenige, die uns Kinder großzog, uns ermutigte, uns tröstete und uns zur Seite stand. Ihr Lächeln, ihre Liebe und ihre Kraft erfüllten das Haus und machten es trotz der Abwesenheit meines Vaters zu einem vollständigen, sicheren Rückzugsort. Dieses Bild von Mama setzt sich aus meinen eigenen Erinnerungen zusammen – Erinnerungen, die ich seit meiner Kindheit gesammelt habe, gemischt mit Geschichten, die mir im Laufe der Jahre erzählt wurden. Denn damals war ich erst drei Monate alt.
Nun standen wir vor dem Umzug, vor der Herausforderung, in einem fremden Land eine neue Heimat zu schaffen. Die Möbel, die meine Familie jahrelang begleitet hatten, die Perserteppiche, auf denen meine Geschwister gespielt hatten, die Mosaikfliesen, die sie buchstäblich auf Schritt und Tritt begleitet hatten, würden nun Teil ihrer Erinnerungen werden.
Eine Mischung aus Spannung und Angst lastete auf den Schultern meiner Mutter. Sie freute sich darauf, endlich wieder mit meinem Vater Mustafa zusammen zu sein.
Aber war es das Opfer wert, das sie auf sich nehmen würde? Ein Opfer, das sie am meisten fürchtete?
Und dann diese unkontrollierbaren Gefühlsausbrüche. Ihr schlechtes Gewissen und gleichzeitig die Vorfreude und die Furcht vor dem Unbekannten. Ein neues Land, eine neue Sprache, eine neue Kultur - all das wartete darauf, von ihr entdeckt zu werden.
So kam der Augenblick schneller, als das Gefühlschaos meiner Mutter es verkraften konnte. Der Tag des Abschieds. Ein Tag, so schmerzhaft und zerrissen wie das Ende einer alten Melodie. Ein Abschied, der sich in das Gewebe des Universums einschrieb, in die Weite des marokkanischen Himmels, der sich in den Echos des Abschiedsliedes verlor, das unsere Verwandten sangen.
Und da stand Mama mit tränenfeuchten Augen. Sie schaute ihre Kinder an, Hafida, Saida, Mohamed, Najim, Omar, die in Marokko bleiben würden, in den Armen unserer Tante und unseres Onkels, die versprachen, auf sie aufzupassen.
Meine Mutter blickte auf ihr Fleisch und Blut, als wollte sie sich jedes Detail ihrer Gesichter einprägen.
Youssef, mein drei Jahre älterer Bruder, und ich waren die Auserwählten, die mit ihr und unserem Vater die Reise in das unbekannte Deutschland antreten sollten.
Hayat und Nadia, unsere jüngeren Schwestern, sollten erst in Deutschland das Licht der Welt erblicken, dem Land der neuen Hoffnung.
Heute, als Vater, kann ich kaum nachvollziehen, wie meine Eltern diese Entscheidung treffen konnten. Wie sie die Kraft fanden, sich von ihren Kindern zu trennen. Mir scheint es unmöglich, undenkbar.
Kapitel 3
Eine leichte Brise wehte über die hessischen Ebenen, als unsere kleine Familie in die Mitte Deutschlands zog. Raunheim war unser neues Zuhause, ein kleiner Ort in der Nähe der Metropole Frankfurt am Main – ein Ort wie geschaffen für Menschen wie uns, Menschen mit bescheidenen Mitteln, die einen Neuanfang suchten.
Wir wohnten in einem der Wohnblocks, die so charakteristisch für diese Siedlung waren: Betonklötze, die wie graue Gipfel eines städtischen Gebirges in den Himmel ragten. Auf jeder Etage befanden sich drei Wohnungen, insgesamt neun Einheiten, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur. Unsere Wohnung war eine dieser Perlen, eine bescheidene, aber gemütliche Zweizimmerwohnung.
Dazwischen, in den Freiflächen zwischen den Gebäuden, gab es große Wiesen und vereinzelte Spielplätze. Aus dem Boden ragten rostige Stangen, die den Bewohnern als Wäscheleinen und Teppichklopfer dienten. Wir Kinder aber betrachteten sie als unsere eigenen Fitnessgeräte, kletterten darauf herum, machten Klimmzüge und verwandelten den grauen Beton in unseren persönlichen Abenteuerspielplatz.
Mein Vater Mustafa kam abends spät nach Hause, arbeitete hart, um für das Nötigste zu sorgen. So war es wieder Mama, die uns, Youssef und mich, durch den Alltag führte. Mit ihrer unermüdlichen Hingabe und Fürsorge schuf sie uns in unserer kleinen Wohnung ein neues Zuhause.
Heute, viele Jahre später, sehe ich, welch großes Opfer meine Eltern für uns gebracht haben, um uns ein besseres Leben zu ermöglichen. Eine Kraft, die ich als Vater nur bewundern kann.
Warum meine Geschwister - Hafida, Saida, Mohamed, Najim, Omar - nicht bei uns waren, erklärt sich jetzt von selbst. In unserer kleinen Wohnung war einfach nicht genug Platz für uns alle. Aber auch wenn wir sie vermissten, wussten meine Eltern, dass dieser Schritt notwendig war und hoffentlich nur für kurze Zeit. Für ein besseres Leben, für eine bessere Zukunft. Und mit diesem Wissen, mit dieser Hoffnung, begannen wir, uns in Deutschland einzuleben.
Kapitel 4
In jenen frühen Tagen trug Papa die Last der Arbeit, lange Stunden, die ihn bis spät in den Abend von zu Hause fernhielten. Er war nicht nur der Brotverdiener, er war das Fundament in dieser fremden Ferne, auf dem unser neues Leben aufgebaut wurde.
Gleichzeitig setzten meine Eltern alles daran, meiner Mutter so schnell wie möglich Deutsch beizubringen. Das Erlernen der Sprache war ein wichtiger Teil ihrer Bemühungen, sich in der neuen Heimat zu integrieren. Es war kein leichter Prozess, aber Mama zeigte eine unerschütterliche Entschlossenheit, die ich später sehr zu schätzen wusste.
Die Tage vergingen, geprägt von den Anstrengungen der Integration, der Gewöhnung an neue Regeln, neues Essen, eine neue Sprache.
Und dann war da noch die Hausgemeinschaft. Unsere Nachbarn im Haus, die uns das Gefühl von Gemeinschaft und Zusammenhalt gaben, das so wichtig war, um sich in dieser neuen Welt willkommen zu fühlen. Die Hausgemeinschaft war ein Mikrokosmos, der uns zeigte, was es heißt, wieder Teil von etwas Größerem zu sein.
Wie schon erwähnt, bestand das Haus aus neun Wohnungen, von denen vier von marokkanischen Familien wie uns und die anderen von Einheimischen bewohnt wurden. Diese Mischung von Kulturen, Sprachen und Lebenserfahrungen machte unser Zusammenleben zu einer bunten Mischung, in dem wir alle voneinander lernten und uns gegenseitig halfen.
Es gab Momente, in denen dieses Gemeinschaftsgefühl auf wunderbare Weise zum Ausdruck kam, Momente, die sich in unser kollektives Gedächtnis eingegraben haben.
Die Hochzeit meines Bruders Mohamed ist eines der Beispiele für den starken Zusammenhalt, für die Toleranz und die Akzeptanz füreinander.
Nun könnte man sich natürlich fragen, wie Mohamed da hineingekommen ist. Schließlich war er mit meinen anderen Geschwistern - Hafida, Saida, Najim, Omar - in Marokko geblieben. Aber die Dinge änderten sich schneller als erwartet, und unsere Familie war schneller vereint, als wir alle gehofft hatten. Aber das ist eine andere Geschichte …
Als Mohamed erwachsen wurde und beschloss, sich auf das Abenteuer Ehe einzulassen, verkündete er die Neuigkeit aufgeregt und mit strahlenden Augen im gesamten Haus. Eine Zeit begann, in der gemeinsam geplant und vorbereitet wurde. Unser bescheidenes Zuhause, eine weitere Wohnung und das gemeinsame Treppenhaus verwandelten sich in ein pulsierendes Fest voller Lichter, Lachen und Leben.
Die Tische in den Wohnungen waren mit Buffets beladen, auf denen sich eine atemberaubende Auswahl an Speisen stapelte. Von dampfenden, würzigen marokkanischen Tajines und köstlichem Couscous bis hin zu deutschen Klassikern - die Aromen der verschiedenen Küchen vermischten sich zu einem verführerischen Duft, der uns alle in seine warme Umarmung zog.
So vielfältig wie das Essen war auch die Musik, die durch das Haus hallte. Melodische marokkanische Klänge von Oud und Bendir mischten sich mit den lebhaften Klängen von Pop und Schlagern. Jeder Quadratzentimeter war besetzt mit Menschen, die tanzten, sangen, lachten und das Fest genossen.
Während die Frauen und Mädchen in der unteren Wohnung ihre eigene Feier mit traditionellen marokkanischen Tänzen zelebrierten, versammelten sich die Männer und Jungen in der oberen Wohnung, um Mohamed zu gratulieren und Geschichten auszutauschen. Doch als die Musik lauter und die Stimmung ausgelassener wurde, begannen die Grenzen zwischen den Wohnungen zu verschwimmen. Männer und Frauen, Jungen und Mädchen kamen im Treppenhaus zusammen. Sie feierten gemeinsam, sie redeten, sie lachten, sie tanzten. Es war eine spontane Verschmelzung von Kulturen und Geschlechtern, die das Haus mit einer unglaublichen Energie erfüllte.
Diese Hochzeit, obwohl unkonventionell, wurde zu einem Symbol für unsere Wohneinheit in Raunheim. Sie hat uns gezeigt, dass es nicht auf die Größe des Festes ankommt, sondern auf die Größe der Herzen, die daran teilnehmen. Und auch, wenn es vielleicht nicht die prunkvolle Feier einer traditionellen marokkanischen Hochzeit war, so war sie doch auf ihre Weise tiefgründig, bedeutungsvoll und sehr besonders.
Kapitel 5
Mit lebhaften Gesprächen und herzlichem Lachen, das die Erinnerung an Mohameds Hochzeit hervorruft, bleiben die Kinder aufmerksam und neugierig. Gespannt hören sie den Erwachsenen zu, ihre Augen leuchten im Licht des Raumes.
»Kommt her, Kinder.«
Mohamed steht auf und geht zum großen Wohnzimmer- regal. Er zieht ein dickes, verstaubtes Fotoalbum hervor, das unzählige Bilder von unserem Familienleben enthält.
Neugierig und aufgeregt scharen sich die Kinder um ihn. Mein Bruder schlägt das Album auf und blättert eine Seite nach der anderen um.
»Guck mal, ist das wirklich Onkel Mohamed?«
Eines der Kinder zeigt auf ein Bild, auf dem Mohamed in einem traditionellen marokkanischen Hochzeitsanzug zu sehen ist.
»Der sieht aus wie ein König!«
»Und wer ist das?«
»Das ist Tante Hafida, oder?«
Und so geht es weiter, eine Frage nach der anderen, eine Erinnerung nach der anderen. Das Stimmengewirr der neugierigen Kinder mischt sich mit den Stimmen der Erwachsenen. Es ist ein Chaos, aber ein schönes Chaos.
Plötzlich löst sich ein locker eingeklebtes Foto aus dem Album und rutscht zu Boden. Es ist ein Foto von uns allen - Vater, Mutter, meinen Geschwistern und mir - vor unserem Haus in Raunheim, als wir alle noch klein waren. Ich, noch der Jüngste, bin gerade mal ein Kleinkind.
»Mama, Papa, kommt mal her.«
Meine Frau Ilham hebt das Foto auf und schaut es sich genauer an.
»Ist das das erste Foto von euch allen hier in Deutschland?«
In ihrer Stimme schwingt Ehrfurcht. Meine Eltern kommen näher, getrieben von Neugier und Erinnerungen. Sie nicken bestätigend.
Ja, es ist tatsächlich das erste Foto von uns allen zusammen in Deutschland - das erste Foto nach der Wiedervereinigung unserer Familie.