Im Schatten des Zweifels: Die Töchter Englands - Band 11 - Philippa Carr - E-Book
SONDERANGEBOT

Im Schatten des Zweifels: Die Töchter Englands - Band 11 E-Book

Philippa Carr

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im Widerstreit der Gefühle: der Schicksalsroman »Im Schatten des Zweifels« von Bestsellerautorin Philippa Carr jetzt als eBook bei dotbooks. Sie ist den Fängen der Französischen Revolution entkommen – gerät sie nun in ganz andere Gefahr? Während Marie Antoinette im Kerker um ihr Schicksal bangt, ist der jungen Claudine de Tourville die Flucht nach England gelungen, wo sie sich auf dem Landsitz ihrer englischen Ahnen in Sicherheit wähnt. Hier lernt sie zwei Brüder kennen, die unterschiedlich sind wie Tag und Nacht … und kann nicht verhindern, dass sie sich in beide verliebt: in David, der so besonnen und gewissenhaft ist – und in Jonathan, der keine Gefahr scheut und ein Verlangen in ihr weckt, das stärker ist als alle Regeln des Anstands und der Moral. Claudine lässt sich auf ein gefährliches Spiel ein; sie kann nicht ahnen, dass sie so in eine Intrige verwickelt wird, die schon vor Jahren gesät wurde und eng mit dem Schicksal von Frankreich und England verbunden ist … Liebe, Lügen, Verrat und Hoffnung: Bestsellerautorin Philippa Carr verwebt in der Familien-Saga »Die Töchter Englands« große Momente der Geschichte mit starken Frauenfiguren zu einem fesselnden Lesevergnügen. Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Im Schatten des Zweifels« von Philippa Carr, auch bekannt als Jean Plaidy und Victoria Holt. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 538

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Sie ist den Fängen der Französischen Revolution entkommen – gerät sie nun in ganz andere Gefahr? Während Marie Antoinette im Kerker um ihr Schicksal bangt, ist der jungen Claudine de Tourville die Flucht nach England gelungen, wo sie sich auf dem Landsitz ihrer englischen Ahnen in Sicherheit wähnt. Hier lernt sie zwei Brüder kennen, die unterschiedlich sind wie Tag und Nacht… und kann nicht verhindern, dass sie sich in beide verliebt: in David, der so besonnen und gewissenhaft ist – und in Jonathan, der keine Gefahr scheut und ein Verlangen in ihr weckt, das stärker ist als alle Regeln des Anstands und der Moral. Claudine lässt sich auf ein gefährliches Spiel ein; sie kann nicht ahnen, dass sie so in eine Intrige verwickelt wird, die schon vor Jahren gesät wurde und eng mit dem Schicksal von Frankreich und England verbunden ist…

Über die Autorin:

Philippa Carr ist – wie auch Jean Plaidy und Victoria Holt – ein Pseudonym der britischen Autorin Eleanor Alice Burford (1906–1993). Schon in ihrer Jugend begann sie, sich für Geschichte zu begeistern: »Ich besuchte Hampton Court Palace mit seiner beeindruckenden Atmosphäre, ging durch dasselbe Tor wie Anne Boleyn und sah die Räume, durch die Katherine Howard gelaufen war. Das hat mich inspiriert, damit begann für mich alles.« 1941 veröffentlichte sie ihren ersten Roman, dem in den nächsten 50 Jahren zahlreiche folgten, die sich schon zu ihren Lebzeiten über 90 Millionen Mal verkauften. 1989 wurde Eleanor Alice Burford mit dem »Golden Treasure Award« der Romance Writers of America ausgezeichnet.

Bei dotbooks erscheint Philippa Carrs großer Romanzyklus »Die Töchter Englands«. Obwohl jeder Roman für sich gelesen werden kann, hat die Serie eine chronologische Reihenfolge, in der die wechselhafte Geschichte einer Familie Generation für Generation erzählt wird:

Band 1: Das Geheimnis im Kloster; Band 2: Der springende Löwe; Band 3: Sturmnacht; Band 4: Sarabande; Band 5: Das Licht und die Finsternis; Band 6: Die venezianische Tochter; Band 7: Die Halbschwestern; Band 8: Die Dame und der Dandy; Band 9: Die Erbin und der Lord; Band 10: Im Sturmwind; Band 11: Im Schatten des Zweifels; Band 12: Der Zigeuner und das Mädchen; Band 13: Sommermond; Band 14: Das Geheimnis von St. Branok; Band 15: Das Geheimnis im alten Park; Band 16: Der schwarze Schwan; Band 17: Zeit des Schweigens; Band 18: Ein hauchdünnes Band; Band 19: Wiedersehen in Cornwall

***

eBook-Neuausgabe Dezember 2021

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1984 unter dem Originaltitel »Voices in a haunted room«.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1984 by Philippa Carr

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1986 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, Memmingen, unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock/Ivan Sorto Cobos und AdobeStock/darkbird

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-570-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html (Versand zweimal im Monat – unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Im Schatten des Zweifels« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Philippa Carr

Im Schatten des Zweifels

Roman

Aus dem Englischen von Hilde Linnert

dotbooks.

Kapitel 1Eine Geburtstagsfeier

Anläßlich meines siebzehnten Geburtstags veranstaltete meine Mutter eine Abendgesellschaft. Zu dieser Zeit lebte ich schon seit drei Jahren auf Eversleigh. Als ich das château meines Großvaters verlassen hatte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, daß ich ihn niemals wiedersehen würde. Natürlich hatte ich gemerkt, daß in Frankreich Unruhe herrschte. Sogar einem so jungen Mädchen wie mir, das nichts von der großen, weiten Welt wußte, mußte es auffallen, zumal meine Großmutter vom aufgebrachten Pöbel ermordet worden war. Dieses Ereignis hatte alle Familienmitglieder tief erschüttert.

Bald darauf hatten meine Mutter, mein Bruder Charlot und ich das château Tourville, in dem wir damals lebten, verlassen und waren zu meinem Großvater in sein château d’Aubigné übersiedelt, um ihm tröstend zur Seite zu stehen. Lisette, die Freundin meiner Mutter, und ihr Sohn Louis Charles hatten sich uns angeschlossen.

Ich hatte Aubigné geliebt; mein Großvater war ein wunderbarer Mensch gewesen, der nach dem Tod meiner Großmutter aber sehr melancholisch geworden war. Ja, niemand konnte die drohende Gefahr übersehen; sie war allgegenwärtig – auf den Straßen, auf den Feldwegen, sogar im château.

Dann hatte meine Mutter Charlot, Louis Charles und mich nach England zu unseren Verwandten gebracht, und hier war das Leben ganz anders. Ich war damals erst vierzehn Jahre alt gewesen, hatte mich daher schnell den neuen Umständen angepaßt und mich auf Eversleigh schnell zu Hause gefühlt. Meiner Mutter erging es genauso, was nur verständlich war, denn sie hatte ihre Kindheit hier verbracht. Ein undefinierbarer Hauch von Frieden schwebte über dem Haus, obwohl es in ihm keineswegs still zuging. Das war auch nicht gut möglich, denn hier war Dickon Frenshaw Hausherr. Dickon erinnerte mich in mancher Hinsicht an meinen Großvater. Er war eine jener dominierenden Persönlichkeiten, die jedermann Achtung einflößen. Sie müssen nicht darauf bestehen, daß man sie respektiert; man unterwirft sich ihnen freiwillig, vielleicht, weil sie es als selbstverständlich empfinden. Dickon war groß und sah sehr gut aus, aber vor allem spürte man die Aura von Macht, die ihn umgab. Sie war uns allen bewußt, und einige nahmen es ihm übel, zum Beispiel mein Bruder Charlot, und manchmal bildete ich mir ein, daß auch Dickons eigener Sohn Jonathan sich darüber ärgerte.

Wir verbrachten also den Monat Juni mit Ausritten, mit Spaziergängen, mit Gesprächen, und meine Mutter steckte viel mit Dickon zusammen, während ich mich in Gesellschaft seiner Söhne David und Jonathan wohl fühlte, die sich beide für mich interessierten und mich wegen meiner mangelhaften Englischkenntnisse neckten. Sabrina, Dickons Mutter, beobachtete das alles mit Wohlwollen, denn Dickon freute sich darüber, daß meine Mutter nun auf Eversleigh weilte, und jeder Wunsch Dickons war für Sabrina ein Befehl.

Sie war damals siebzig gewesen, sah aber jünger aus. Ihr Leben hatte einen einzigen Sinn: die Wünsche ihres Sohnes zu erahnen und zu erfüllen.

Uns war allen klar, daß Dickon meine Mutter in Eversleigh behalten wollte. Wenn es jemals zwei Menschen gegeben hatte, die sich zueinander hingezogen fühlten, dann waren es diese beiden. Mir kamen sie sehr alt vor, und ich wunderte mich immer wieder darüber, daß zwei so reife Menschen sich wie ein junges Liebespaar benehmen konnten – und daß einer davon meine Mutter war, erhöhte nur meine Verwunderung.

Ich erinnerte mich an die Zeit, als mein Vater noch gelebt hatte. Ihm gegenüber hatte sie sich anders verhalten; meiner Meinung nach hatte es ihr nicht sehr viel ausgemacht, als er nach Amerika ging, um auf der Seite der Kolonisten zu kämpfen. Wir hatten ihn nicht mehr wiedergesehen, denn er war in einer Schlacht gefallen; kurz danach verließen wir Tourville und lebten bei meinem Großvater in Aubigné.

Dann kam die Reise. Meine Mutter hatte meinen Großvater nicht allein zurücklassen wollen, und er hatte uns versprochen, uns zu begleiten, aber er war im letzten Augenblick erkrankt, als es schon zu spät war, die Reise abzusagen – und seither habe ich das château nicht mehr wiedergesehen.

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als meine Mutter erfuhr, daß er ernstlich krank war, und daraufhin beschloß, nach Frankreich zurückzukehren. Sie hatte sich hastig mit Sabrina beraten und sich schließlich dazu entschlossen, uns Kinder bei Sabrina zurückzulassen. Dann war sie mit einem der Stallknechte, die die Botschaft aus Aubigné überbracht hatten, aufgebrochen.

Zu dieser Zeit hatte sich Dickon in London befunden; Sabrina hatte zwar versucht, meine Mutter zum Bleiben zu überreden, weil sie wußte, wie sehr sich Dickon bei seiner Heimkehr aufregen würde, wenn sie fort war. Aber meine Mutter hatte sich nicht umstimmen lassen.

Als Dickon nach Hause zurückkehrte und erfuhr, daß sie nach Frankreich gereist war, machte er sich unverzüglich auf den Weg, um sie zurückzuholen. Ich begriff nicht ganz, warum er in solche Aufregung geraten war, bis ich Zeuge eines Gesprächs zwischen Charlot, Louis Charles und Jonathan wurde.

»Drüben gibt es Schwierigkeiten«, stellte Charlot fest, »ernste Schwierigkeiten. Davor hat Dickon Angst.«

»Sie hätte nie abreisen dürfen«, meinte Louis Charles.

»Sie hat richtig gehandelt«, widersprach Charlot. »Wenn mein Großvater krank ist, ist sie der einzige Mensch, den er an seiner Seite haben möchte. Aber sie hätte mich mitnehmen sollen.«

Ich mischte mich ein. »Du hättest natürlich allein gegen den gesamten Pöbel Frankreichs gekämpft.«

Er warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Was verstehst du schon davon?«

»Wenn ich nur soviel verstünde wie du, wäre es wirklich nicht viel«, bemerkte ich.

Jonathan grinste mich an. Ich amüsierte ihn. Er provozierte mich – aber auf eine ganz besondere Art – keineswegs wie Charlot, der mich eher herablassend behandelte.

»Du hast überhaupt keine Ahnung«, bemerkte er jetzt.

»Du bist ein Aufschneider und ein Großmaul.«

»Recht so, Claudine«, ermunterte mich Jonathan. »Wehr dich nur deiner Haut. Aber das muß ich dir wohl nicht sagen. Unsere kleine Claudine ist ein richtiger Hitzkopf, nicht wahr?«

»Ein Hitzkopf?« fragte ich. »Was ist das?«

»Ich habe vergessen, daß Mademoiselle unsere Sprache nur unvollkommen spricht. Das ist jemand, der immer Schwierigkeiten macht ... und nie Ruhe gibt.«

»Und du findest, daß diese Beschreibung auf mich paßt?«

»Ich weiß es. Aber ich muß dir etwas gestehen, Mademoiselle. Es gefällt mir. Es gefällt mir sogar sehr.«

»Ich bin neugierig, wie lange sie in Frankreich bleiben werden«, fuhr Charlot fort, ohne auf Jonathans Neckerei einzugehen.

»Natürlich nur, bis es unserem Großvater besser geht«, antwortete ich. »Ich nehme an, daß auch wir bald heimkehren werden.«

»So war es ja ursprünglich geplant«, bestätigte Charlot. »Ich möchte nur zu gern wissen, was drüben vor sich geht. Es ist irgendwie aufregend ... aber es ist natürlich schrecklich, daß Menschen da ihr Leben lassen müssen. Man möchte dabei sein, wenn sich im eigenen Land etwas Wichtiges ereignet.« Charlot sprach ernst, und ich begriff, daß er Eversleigh mit anderen Augen sah als ich. Er war hier ein Fremder. Er hatte Heimweh nach dem château, nach einem Lebensstil, der so ganz anders war als die Lebensweise auf Eversleigh. Er war Franzose. Unser Vater war Franzose gewesen, und er war ihm nachgeraten. Ich ähnelte mehr meiner Mutter, deren Vater zwar Franzose, deren Mutter jedoch Engländerin gewesen war. Sie hatte meinen Großvater erst als reife Frau geheiratet; dadurch hatte sie den Titel Comtesse d’Aubigné erworben, über ein château geherrscht und das Leben einer französischen Adeligen geführt.

Die Verhältnisse in unserer Familie waren recht kompliziert, was vieles erklärt.

Ich werde nie den Tag vergessen, an dem meine Mutter und Dickon heimkamen. Nachricht war aus Frankreich nach England gedrungen – die lang erwartete Revolution war endlich ausgebrochen. Die Bastille war erstürmt worden, und ganz Frankreich stand in hellem Aufruhr. Sabrina war vor Angst völlig außer sich, wenn sie daran dachte, daß ihr geliebter Dickon in diesem Hexenkessel steckte.

Ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß er heil und gesund zurückkehren würde. Was natürlich der Fall war; obendrein brachte er meine Mutter mit.

Als sie auf das Haus zuritten, erblickte sie einer der Reitknechte und rief: »Er ist da. Der Master ist da!« Sabrina, die während der ganzen Zeit voll Sorge gewacht und gewartet hatte, lief in den Hof und fiel ihrem Sohn lachend und gleichzeitig weinend um den Hals.

Ich folgte ihr und wurde von meiner Mutter in die Arme geschlossen. Dann erschienen auch Charlot und alle übrigen. Charlot war vermutlich ein wenig enttäuscht. Er hatte vorgehabt, die beiden aus Frankreich herauszuholen. Jetzt hatte er keinen Grund mehr, dorthin zurückzukehren.

Und was sie alles zu berichten hatten – wie sie dem Tod um Haaresbreite entgangen waren, wie meine Mutter in die mairie gebracht worden war und der Pöbel draußen auf dem Platz ihren Tod verlangte. Schließlich war sie die Tochter eines führenden französischen Aristokraten.

Meine Mutter befand sich in einem seltsamen Zustand zwischen Schock und überschwenglicher Freude, was bei jemandem, der dem Tod nur so knapp entronnen ist, vollkommen natürlich war. Dickon wirkte selbstsicherer denn je; und eine Zeitlang sahen wir ihn alle mit Sabrinas Augen. Er war großartig; er war einmalig; er hatte sich mitten unter den Pöbel gewagt und war unversehrt und als Sieger heimgekehrt.

Den armen Louis Charles erwartete ein schwerer Schlag, denn seine Mutter war der Revolution zum Opfer gefallen. Sie hatte sich ihm gegenüber nie sehr mütterlich gezeigt, und er liebte meine Mutter mehr als seine eigene, aber dennoch traf es ihn tief.

Meine Mutter hörte nicht auf zu erzählen; was sie zu berichten hatte, hätte unglaublich geklungen, wenn wir nicht schon von den Ereignissen jenseits des Kanals gehört hätten. Wir erfuhren von Armand, dem Sohn des Grafen, der in der Bastille gefangengehalten worden war. Aber nach der Erstürmung der Bastille war er nach Aubigné zurückgekehrt; er hielt sich immer noch im château auf, gemeinsam mit seiner armen Schwester Sophie, die schwer entstellt worden war, als es bei dem Feuerwerk anläßlich der Hochzeit des Königs zu einem Unglück gekommen war.

Als meine Mutter in Frankreich eintraf, war mein Großvater nicht mehr am Leben, und sie hielt diesen Umstand für einen Segen, denn er hätte es nie ertragen, daß der Pöbel sein geliebtes château verwüstet und eine Lebenshaltung unmöglich gemacht hatten, die für seine Familie seit Jahrhunderten selbstverständlich geworden war.

Es überraschte mich nicht, daß meine Mutter zwischen Kummer und Freude schwankte – für letzteres Gefühl war Dickon verantwortlich. Sie war immer tapfer gewesen, und sie war schön – sie war einer der schönsten Menschen, die ich je gesehen hatte. Es überraschte mich nicht, daß Dickon sie besitzen wollte, denn nur das Beste war gut genug für ihn. Sabrina stand auf dem Standpunkt, daß er es verdiente, und seit seiner Heimkehr schwebte sie im siebenten Himmel. Die Ereignisse in Frankreich berührten sie kaum. Sie wollte, daß meine Mutter in England blieb und Dickon heiratete, und zwar hatte sie das von dem Augenblick an gewollt, als sie erfuhr, daß mein Vater in den Kolonien ums Leben gekommen war. Sie strebte diese Verbindung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln an, denn Dickon wollte meine Mutter zur Frau haben, und Sabrina war der Meinung, daß man Dickon jeden Wunsch von den Augen ablesen mußte. Und wenn all die schrecklichen Ereignisse notwendig gewesen waren, damit Dickon sein Ziel erreichte, sollte es ihr auch recht sein.

Also heirateten meine Mutter und Dickon.

»Jetzt sind wir hier erst richtig zu Hause«, erklärte mir meine Mutter sehr vorsichtig. Ich hatte ihrem Herzen immer nähergestanden als Charlot, und sie beobachtete ein wenig ängstlich meine Reaktion. Ich erriet ihre Gedanken.

»Ich möchte nicht zurückkehren, Maman«, beruhigte ich sie. »Wie sieht es denn jetzt im château aus?«

Sie erschauerte und zuckte die Schultern.

»Tante Sophie ...« begann ich.

»Ich weiß nicht, was aus ihr werden soll. Sie haben damals Lisette und mich fortgeschafft und alle anderen zurückgelassen. Armand befand sich in einem erbarmungswürdigen Zustand. Ich glaube nicht, daß er noch lange zu leben hat. Und Jeanne Fougère kümmerte sich um Sophie. Jeanne versteht es, mit dem Pöbel umzugehen. Sie hat ihnen Sophies verunstaltetes Gesicht gezeigt. Daraufhin ist ihnen die Lust vergangen, ihr etwas anzutun, und sie haben sie in Ruhe gelassen. Dann ist Lisette vom Balkon der mairie gesprungen ... und der Mob hat sich auf sie gestürzt.«

»Bitte, sprich nicht mehr davon«, unterbrach ich sie. »Dickon hat dich jedenfalls sicher nach Hause gebracht.«

»Ja, Dickon«, wiederholte sie, und ihr Gesicht erstrahlte, so daß kein Zweifel darüber bestehen konnte, was sie für ihn empfand.

Ich schloß sie in die Arme. »Ich bin so glücklich, daß du wieder bei uns bist. Ich hätte nie mehr froh sein können, wenn du nicht zurückgekommen wärst.«

Wir schwiegen einige Augenblicke, dann fragte sie: »Wird dir Frankreich fehlen, Claudine?«

»Ich möchte auf keinen Fall mehr dorthin zurück«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Großvater lebt nicht mehr, dadurch hat sich alles geändert. Für mich war Großvater gleichbedeutend mit Frankreich.«

Sie nickte. »Ich möchte auch nicht mehr zurückkehren. Hier beginnt ein neues Leben für uns, Claudine.«

»Du wirst mit Dickon glücklich werden«, antwortete ich. »Du hast dich immer nach ihm gesehnt, sogar zu der Zeit, als ...«

Ich hatte sagen wollen: »... als mein Vater noch am Leben war«, unterbrach mich aber selbst. Aber sie wußte schon, was ich meinte, und wußte auch, daß es stimmte. Dickon war immer der Mann ihres Herzens gewesen. Und jetzt hatte sie ihn bekommen.

Als sie heirateten, war ihre Melancholie wie weggewischt. Sie wirkte so jung ... kaum älter als ich ... und Dickon strahlte vor Zufriedenheit und Triumph.

Jetzt wird’s am Ende wie im Märchen, dachte ich, von nun an lebten sie glücklich und vergnügt bis ans Ende ihrer Tage.

Aber wann ist das Leben schon wie ein Märchen?

***

Ich gewöhnte mich sehr rasch ein und hatte bald das Gefühl, daß ich immer schon auf Eversleigh gewohnt hätte. Ich liebte das Haus, das ich anheimelnder empfand als das château meines Vaters oder meines Großvaters.

Jedesmal wenn ich auf Eversleigh zuritt, erfüllte es mich mit Stolz. Die hohe Mauer, die es umgab, verdeckte es zum Teil, und ich freute mich immer, wenn ich endlich die Giebel erblickte, die über die Mauerkrone ragten. Wenn ich durch das weit geöffnete Tor ritt oder fuhr, hatte ich unweigerlich das Gefühl, nach Hause zu kommen. Wie so viele große Häuser in England war es im Elisabethanischen Stil gehalten – E-förmig, zu Ehren der Königin, was bedeutete, daß eine große Halle vorhanden war, an die sich zu beiden Seiten je ein Flügel anschloß. Ich liebte die rohen Steinwände, an denen Waffen hingen, die meine Vorfahren tatsächlich verwendet hatten; und ich studierte stundenlang den Stammbaum der Familie, der oberhalb des großen Kamins an die Wand gemalt und im Lauf der Jahrzehnte erweitert worden war.

Ich genoß es, über die grünen Wiesen zu galoppieren; ich trabte gemächlich Feldwege entlang; manchmal ritten wir auch ans Meer, das nicht weit von Eversleigh entfernt war; aber jedesmal wenn ich über die Wasserfläche blickte, mußte ich an meinen Großvater denken, der gerade rechtzeitig gestorben war; dann fragte ich mich, was wohl aus dem unglücklichen Onkel Armand und der traurigen Tante Sophie mit ihrem narbenbedeckten Gesicht geworden war. Deshalb suchte ich im Gegensatz zu Charlot nicht oft den Strand auf.

Als ich ihn doch einmal begleitete, bemerkte ich den sehnsüchtigen Ausdruck, mit dem er nach Frankreich hinüberschaute ...

In unserem Haus wechselte die Stimmung sehr häufig, doch ich achtete kaum darauf, weil ich mit meinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt war. Man hatte eine Gouvernante für mich angestellt, die mich in allen Fächern unterrichtete, der Hauptgegenstand war aber Englisch. Dickon fand, daß ich, wie er sich ausdrückte, »ordentlich sprechen« sollte, das heißt, er wollte, daß ich meinen französischen Akzent ablegte. Dickon haßte offenbar alles Französische, und schuld daran war die Tatsache, daß meine Mutter Charles de Tourville geheiratet hatte. Nicht daß er in ihrer Ehe der Dominierende gewesen wäre. Dazu war meine Mutter viel zu willensstark. Sie lagen sich in den Haaren, wie es nur Verliebte tun, und sie ertrugen es kaum, getrennt zu sein.

Das gefiel Charlot nicht, wie es überhaupt vieles gab, das Charlot nicht gefiel.

Ich beschäftigte mich mehr mit David und Jonathan, denn die beiden zeigten sich mir gegenüber sehr aufmerksam. David, der ruhig und ein guter Schüler war, erzählte mir viel über Englands Vergangenheit; er verbesserte mich lächelnd, wenn ich ein Wort falsch aussprach oder wenn meine Satzstellung falsch war. Jonathan zeigte mir seine Aufmerksamkeit auf ganz andere Weise. Einerseits neckte er mich, andererseits benahm er sich, als wäre ich sein Eigentum, das er beschützen müßte. Er ritt gern mit mir aus; wir galoppierten am Strand entlang oder über die Wiesen, und ich versuchte immer, schneller zu sein als er, was er wiederum unbedingt verhindern wollte. Aber meine Versuche machten ihm Spaß. Er war immer bemüht, mir zu beweisen, daß er der Stärkere war. Als sein Vater in diesem Alter gewesen war, hatte er sich vermutlich genauso aufgeführt.

Die Situation war reizvoll. Die beiden Brüder vermittelten mir das Gefühl, für sie wichtig zu sein, und das war sehr angenehm für mich, vor allem, weil Charlot sich weiterhin so überheblich benahm, wie man es von älteren Brüdern erwartet; und obwohl Louis Charles etwas älter war als Charlot, ahmte er ihn in allem nach.

Als ich fünfzehn war – also ungefähr ein Jahr, nachdem wir nach Eversleigh gekommen waren – führte meine Mutter ein ernstes Gespräch mit mir.

Sie machte sich offenbar meinetwegen Sorgen. »Du wirst allmählich erwachsen, Claudine«, begann sie.

Das störte mich nicht im geringsten. Wie die meisten jungen Menschen konnte ich es nicht erwarten, den Zwängen der Kindheit zu entrinnen und ein freies, unabhängiges Leben zu führen.

Vielleicht trug die Familie, in der ich lebte, viel zu diesem Wunsch bei. Die starke Bindung, die zwischen meiner Mutter und ihrem Mann bestand, war mir stets bewußt, und die sich daraus ergebende Atmosphäre machte mir unaufhörlich deutlich, was für einen großen Einfluß ein Mensch auf den anderen haben kann. Daß mein Stiefvater über große Körperkraft verfügte, war mir klar, und unbewußt begriff ich schon damals, daß er in meiner Mutter die Bereitschaft für eine sehr körperliche Beziehung geweckt hatte, auch wenn ich es erst viel später klar erkannte. Mein Vater – an den ich mich nur vage erinnerte – war der typische französische Adelige seiner Zeit gewesen. Er hatte vor seiner Heirat bestimmt zahlreiche Liebschaften gehabt, und ich erhielt später auch Beweise dafür. Doch die Verbindung zwischen meiner Mutter und Dickon war anders geartet.

Meine Mutter beobachtete mich, und weil ihr selbst die Macht der körperlichen Anziehungskraft immer mehr zu Bewußtsein kam, begriff sie, was sich um mich herum zusammenbraute.

Sie hatte mir einen Spaziergang im Garten vorgeschlagen, und wir setzten uns in eine Laube.

»Ja, Claudine«, wiederholte sie, »du bist nun fünfzehn. Wie rasch die Zeit doch vergeht. Wie gesagt – du wirst sehr schnell erwachsen.«

Sie hatte mich bestimmt nicht hierher geführt, um mir etwas so auf der Hand Liegendes mitzuteilen, und so wartete ich ungeduldig auf ihre weiteren Eröffnungen.

»Du siehst älter aus, als du bist ... in unserem Haushalt leben vier junge Männer... und du wirst mit ihnen erzogen. Ich hätte gern noch eine Tochter gehabt.«

Sie wirkte ein wenig traurig. Wahrscheinlich bekümmerte es sie, daß die große Leidenschaft, die sie mit Dickon verband, bis jetzt nicht mit Kindern gesegnet worden war. Auch ich fand es seltsam. Ich hatte angenommen, daß sie eine ganze Schar Söhne bekommen würden ... lebhafte Söhne, wie Dickon ... oder wie Jonathan.

»Wenn du älter wirst, werden sie erkennen, daß du eine attraktive Frau bist. Das könnte gefährlich werden.«

Ich fühlte mich unbehaglich. Hatte sie vielleicht bemerkt, daß Jonathan immer bestrebt war, mit mir allein zu sein? Hatte sie beobachtet, daß seine Augen wie blaue Flammen leuchteten, wenn er mich ansah?

Dann überraschte sie mich. »Ich muß mit dir über Louis Charles sprechen.«

»Louis Charles!« Ich war verblüfft. An den hatte ich kaum gedacht.

Sie fuhr langsam und beinahe widerwillig fort, denn sie sprach nicht gern über ihren ersten Mann. »Dein Vater war ein Mann, der... Frauen mochte.«

Ich lächelte. »Das ist doch nichts Ungewöhnliches.«

Sie erwiderte mein Lächeln und fuhr fort: »Die Franzosen haben etwas andere Vorstellungen von der Ehe als wir. Ich versuche nur, dir beizubringen, daß dein Vater auch der Vater von Louis Charles ist. Er und Lisette hatten einmal ein Verhältnis miteinander, und Louis Charles stammt aus dieser Verbindung.«

Ich starrte sie an. »Also deshalb wurde er zusammen mit uns erzogen.«

»Eigentlich nicht. Lisette wurde mit einem Bauern verheiratet, und als er getötet wurde ... ebenfalls während dieser schrecklichen Revolution ... kam sie zu uns und brachte ihren Sohn mit. Ich mußte dir begreiflich machen, daß Louis Charles dein Halbbruder ist.«

Jetzt verstand ich erst. Sie wollte verhindern, daß es zu einer Beziehung zwischen Louis Charles und mir kam. Sie fuhr fort: »Verstehst du, du und Louis Charles, ihr könnt nie...«

»Maman«, rief ich, »in dieser Hinsicht besteht überhaupt keine Gefahr. Ich würde nie einen Mann heiraten, der auf mich herabsieht. Das ist Charlots Art, und Louis Charles nimmt ihn sich in allem und jedem zum Vorbild.«

»Brüder benehmen sich immer so«, stellte sie rasch fest. »Charlot hat dich in Wirklichkeit sehr gern.«

Ich war erleichtert. Ich hatte befürchtet, daß sie über Jonathan sprechen würde – aber meine Erleichterung war nicht von langer Dauer, denn sie redete sofort weiter. »Außerdem leben Jonathan und David in unserem Haus. So viele junge Männer und nur eine junge Frau unter einem Dach ... das muß über kurz oder lang zu Schwierigkeiten führen. David und Jonathan mögen dich beide, und obwohl mein Mann ihr Vater ist, besteht zwischen euch keine nahe Blutsverwandtschaft.«

Ich wurde rot, und sie deutete meine Verwirrung richtig.

»Jonathan ist seinem Vater ähnlich. Ich habe Dickon gekannt, als er in Jonathans Alter war. Ich war damals jünger, als du heute bist, und habe mich dennoch schon damals in ihn verliebt. Ich hätte ihn geheiratet, aber meine Mutter hat es verhindert. Sie hatte ihre Gründe dafür... und vielleicht hatte sie damals recht. Wer kann das sagen? Aber das liegt alles schon so weit zurück, und wir müssen uns mit der Zukunft befassen.« Sie runzelte die Stirn. »Die beiden Brüder sind Zwillinge, und es heißt, daß Zwillinge einander sehr ähnlich sind. Würdest du das auch von Jonathan und David behaupten?«

»Ich finde, daß sie ausgesprochene Gegensätze darstellen.«

»Das stimmt. David ist grüblerisch, ernst und sehr klug. Auch Jonathan ist klug ... aber auf eine andere Art. Er ist seinem Vater unglaublich ähnlich, Claudine. Ich ... ich glaube, beide mögen dich, und daraus könnten sich Schwierigkeiten ergeben. Du wirst so schnell erwachsen. Vergiß nie, daß ich immer für dich da bin, daß du stets mit mir sprechen, mir alles anvertrauen kannst...«

»Aber das weiß ich doch.«

Sie wollte mir offenbar noch viel mehr sagen und wußte nicht recht, ob ich sie verstehen würde. Wie die meisten Eltern sah sie mich immer noch als Kind.

Aber eigentlich wollte sie mich nur warnen.

***

Auf Eversleigh ging es sehr geschäftig zu. Dickon und seine Söhne befaßten sich nicht nur damit, das Gut zu leiten. Dickon war einer der wichtigsten Männer im Südosten Englands, und er hatte auch in London großen Einfluß.

David liebte das Haus und die Ländereien, deshalb hatte ihm Dickon diesen Bereich überlassen. David verbrachte viele Stunden in der Bibliothek, die er beträchtlich erweitert hatte; er hatte Freunde, die aus London zu uns kamen und oft auch einige Tage blieben. Sie waren alle sehr gelehrt, und nach den Mahlzeiten führte David sie in die Bibliothek, wo sie stundenlang bei einem Glas Portwein saßen und über Dinge sprachen, die Jonathan und Dickon überhaupt nicht interessierten.

Ich hörte beim Dinner gern ihren Gesprächen zu, und wenn ich mich daran beteiligte – oder es versuchte –, freute sich David und ermutigte mich, meine Ansichten zu äußern. Er zeigte mir oft seltene Bücher, Landkarten und Zeichnungen – nicht nur von Eversleigh, sondern von verschiedenen Teilen des Landes. Er interessierte sich für Archäologie und weihte mich ein wenig in ihre Geheimnisse ein, indem er mir zeigte, was an verschiedenen Stellen gefunden worden war und wie man sich anhand der Funde ein Bild der Vergangenheit machen konnte. Er interessierte sich auch leidenschaftlich für Geschichte, und ich konnte ihm stundenlang zuhören. Er gab mir Bücher zu lesen, und wir sprachen dann über sie, manchmal bei einem Spaziergang im Garten, manchmal während eines Ausritts. Gelegentlich hielten wir an, um eine Erfrischung zu uns zu nehmen, manches Mal in einem alten Gasthaus, und ich bemerkte dann, daß die Menschen ihn mochten. Sie behandelten ihn mit Ehrerbietung, und mir wurde bald klar, daß sie ihm eine andere Form der Achtung entgegenbrachten als Dickon oder Jonathan. Die beiden forderten den ihnen gebührenden Respekt – nicht mit Worten, sondern durch ihre hochmütige Haltung. David war anders; er war stets freundlich, und die Menschen zeigten ihm, daß sie ihn schätzten und respektierten.

Ich war gern mit David beisammen. Er weckte mein Interesse für viele Dinge; Wissensgebiete, die eigentlich langweilig wirkten, wurden aufregend, wenn er sie mir erklärte. Er tat weitaus mehr für meine Bildung als meine Gouvernante; mein französischer Akzent verschwand und kam nur noch selten zum Vorschein. So gewann ich David sehr lieb.

Manchmal wäre es mir lieber gewesen, wenn es Jonathan nicht gegeben hätte, denn durch ihn wurde alles kompliziert.

Die beiden Brüder waren in beinahe jeder Beziehung ausgesprochen gegensätzlich. Sie unterschieden sich im Aussehen – was merkwürdig war, denn eigentlich ähnelten ihre Gesichtszüge einander; aber ihre so unterschiedlichen Wesensarten hatten ihre Gesichter geprägt und die Ähnlichkeit verwischt.

Jonathan war nicht der Typ, der damit zufrieden war, einen Landsitz zu verwalten. Er nahm die Interessen der Familie in London wahr. Das Bankwesen gehörte dazu, und noch einiges andere. Die Interessensgebiete meines Stiefvaters waren sehr vielfältig; er war wohlhabend und einflußreich. Er befand sich oft bei Hof, und meine Mutter begleitete ihn, er nahm sie immer mit, wenn er nach London fuhr. Da sie erst spät im Leben das gemeinsame Glück gefunden hatten, waren sie jetzt offenbar entschlossen, keinen Augenblick lang darauf zu verzichten. So hatten es auch meine Großeltern gehalten. Vielleicht sind das die idealen Ehen, dachte ich – Ehen, die zwei Leute eingehen, wenn sie reif und vernünftig sind und das Leben kennen. Das Feuer der Jugend lodert auf und kann erlöschen; aber die gleichmäßige Flamme der mittleren Jahre, die von Erfahrung und Verständnis genährt wird, kann ein Leben lang hell brennen. Wenn ich mit David beisammen war, wurde mein Geist angeregt und bereichert; bei Jonathan bewegten mich allerdings andere Gefühle.

Seine Haltung änderte sich und verriet eine gewisse Ungeduld. Manchmal küßte er mich, drückte mich an sich und sah mich vielsagend an. Ich wußte, was das zu bedeuten hatte. Er wollte, daß ich seine Geliebte wurde.

Ich hegte gewisse romantische Gefühle für ihn, und er weckte auch Empfindungen in mir, die für mich neu waren und denen ich gern nachgegeben hätte. Aber ich wußte, daß er es mit etlichen unserer Dienstmädchen getrieben hatte. Ich hatte gesehen, wie sie ihn anblickten und wie er darauf reagierte. Angeblich hatte er in London eine Mätresse und besuchte sie jedesmal, wenn er dort war – was oft genug der Fall war.

All das war von Dickons Sohn zu erwarten gewesen, und wenn er mir gleichgültig gewesen wäre, hätte es mich nicht weiter gestört; aber ich beschäftigte mich in Gedanken sehr oft damit. Manchmal, wenn er mir vom Pferd half – er tat es, wann immer sich eine Gelegenheit dazu bot, auch wenn ich ohne weiteres allein hätte absteigen können –, hielt er mich fest und lachte mich an, und obwohl ich mich jedesmal rasch aus seinen Armen löste, stellte ich bestürzt fest, daß ich die Situation genoß. Ich war in Versuchung, ihn ermunternd anzulächeln, damit er seine Bemühungen nicht einstellte, denn ich hätte ihnen gar zu gern nachgegeben.

Auf Eversleigh hingen an den Wänden die Porträts der Männer und Frauen unserer Familie; ich betrachtete sie oft. Es gab zwei Arten – natürlich meine ich damit nur das Aussehen, denn sie waren im Wesen wohl alle sehr unterschiedlich gewesen; einige waren von angenehmem Äußeren, andere nicht. Der wichtigste Anhaltspunkt war für mich dabei ein bestimmter Gesichtsausdruck – sinnlich oder streng. Eine meiner Vorfahrinnen, Carlotta mit Namen, war die Verkörperung des Sinnlichen; sie hatte mit einem Jakobitenführer ein aufregendes Leben geführt, ihre Halbschwester Damaris, Sabrinas Mutter, gehörte zur zweiten Kategorie. Meine Mutter wußte, was Leidenschaft war, und genoß sie auch. Jonathan machte mir bewußt, daß ich genauso war wie sie.

Es kam daher oft vor, daß ich schwach wurde und bereit war, auf sein Spiel einzugehen. Er drängte mich nur deshalb nicht zu einer körperlichen Beziehung, weil ich zu seiner Familie gehörte. Er konnte die Tochter seiner Stiefmutter nicht so behandeln wie eine Mätresse in London oder die Dienstmädchen in unserem Haushalt. Das wagte nicht einmal er. Meine Mutter wäre wütend gewesen und hätte dafür gesorgt, daß Dickon davon erfuhr, und obwohl Jonathan sehr kühn war, zog er es vor, sich nicht dem Zorn seines Vaters auszusetzen.

Wir spielten unser quälendes Spiel bis zu meinem siebzehnten Geburtstag. Ich träumte oft von Jonathan – daß er in mein Zimmer und in mein Bett kam. Ich versperrte sogar meine Tür, wenn der Traum zu realistisch wurde. Außerdem war ich bestrebt, ihm nie in die Augen zu sehen, wenn er sich kleine Vertrautheiten herausnahm, deren Bedeutung mir vollkommen klar war. Wenn er nach London fuhr, stellte ich mir vor, daß er seine Mätresse besuchte, und dann war ich zornig, enttäuscht und eifersüchtig, bis David mich mit seinen interessanten Entdeckungen aus der Vergangenheit besänftigte. Dann vergaß ich Jonathan genauso, wie ich David vergaß, wenn ich mit seinem Bruder beisammen war.

All diese Spiele sind in Ordnung, solange man heranwächst; aber wenn man das reife Alter von siebzehn erreicht hat und man als Mädchen allgemein als heiratsfähig gilt, sieht alles anders aus.

Mir wurde bewußt, daß meine Mutter, und vermutlich auch Dickon, dafür waren, daß ich einen der beiden Brüder heiratete. Meine Mutter zog sicherlich David vor, weil er ruhig und ernst war und man sich auf seine Treue verlassen konnte. Dickon hielt David für einen »langweiligen Hund« und nahm bestimmt an, daß ein lebhaftes Mädchen wie ich mit Jonathan wesentlich besser zurechtkommen würde. Er würde jedoch meine Entscheidung in jedem Fall widerspruchslos akzeptieren – genau wie meine Mutter.

Durch eine Heirat würde ich bei ihnen bleiben, und meine Mutter – deren Unfruchtbarkeit der einzige Schatten in ihrer Ehe war – würde wenigstens ihre Enkelkinder bei sich haben.

»In ein paar Wochen wirst du siebzehn«, stellte meine Mutter fest und sah mich bewundernd an, als handle es sich dabei um eine außergewöhnliche Leistung. »Ich kann es kaum glauben. Vor siebzehn Jahren ...« Ihr Gesicht wurde ernst, wie immer, wenn sie an die Jahre in Frankreich dachte, was oft vorkam. Sie konnte gar nicht anders, denn wir erfuhren immer, was für schreckliche Dinge drüben geschahen, daß der König und die Königin jetzt die Gefangenen des neuen Regimes waren und daß sie entsetzlichen Demütigungen unterworfen wurden. Und dazu kam das Blutvergießen – die Guillotine, in deren Korb die Köpfe der Aristokraten mit schrecklicher Regelmäßigkeit fielen.

Meine Mutter dachte auch oft an die arme Sophie und an Armand und fragte sich, was aus ihnen geworden war. Gelegentlich sprachen wir bei Tisch über dieses Thema; dann geriet Dickon jedesmal in Wut, stritt mit Charlot, und Louis Charles mischte sich ein. Charlot bildete für uns ein Problem. Er wuchs zum Mann heran und mußte entscheiden, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Dickon hätte ihn gern auf unseren zweiten Besitz nach Clavering geschickt und ihm Louis Charles mitgegeben. Damit hätte er sich Ruhe vor beiden verschafft. Aber Charlot blieb dabei, daß er keinen englischen Landsitz verwalten wolle. Er war in der Überzeugung aufgewachsen, daß er einmal Aubigné übernehmen würde.

»Das Prinzip, nach dem sie verwaltet werden, ist das gleiche«, erklärte ihm Dickon.

»Mon cher Monsieur«, Charlot verwendete oft französische Sätze, besonders wenn er mit Dickon sprach. »Zwischen einem großen französischen Schloß und einem kleinen englischen Landsitz bestehen wesentliche Unterschiede.«

»Allerdings«, gab Dickon zu. »Ersteres ist eine Ruine, in der der Pöbel haust, letzteres befindet sich in ausgezeichnetem Zustand.«

Wie immer beschwichtigte meine Mutter ihren Mann und ihren Sohn. Nur weil Dickon wußte, daß diese Auseinandersetzungen ihr weh taten, verzichtete er auf weitere Diskussionen.

»Siebzehn«, fuhr sie jetzt fort. »Wir müssen eine richtige Feier veranstalten. Sollen wir einen Ball geben und die Nachbarn einladen, oder möchtest du lieber eine Abendgesellschaft mit ein paar ausgewählten Freunden? Wir könnten auch eine Reise nach London unternehmen. Dort könnten wir ein Theater besuchen, einkaufen ...«

Ich erklärte, daß ich die Reise nach London allem anderen vorzog.

Dann wurde sie ernst. »Hast du je daran gedacht zu heiraten, Claudine?«

»Jeder denkt gelegentlich daran.«

»Ich meine ernsthaft.«

»Wie kann ich das tun, wenn noch niemand um meine Hand angehalten hat?«

Sie runzelte die Stirn. »Es gibt zwei junge Männer, die es sofort tun würden. Ich glaube, sie warten nur auf deinen Geburtstag. Du weißt, wen ich meine, und ich weiß, daß du beide magst. Dickon und ich haben darüber gesprochen. Es würde uns glücklich machen. Zwillinge sind etwas Ungewöhnliches. Vor langer Zeit hat es in der Familie bereits Zwillinge gegeben – Bersaba und Angelet – und schließlich haben beide den gleichen Mann geheiratet. Zuerst Angelet, und als sie starb, Bersaba. Das war, bevor die Familie in Eversleigh lebte. Erst Bersabas Tochter Arabella heiratete in die Eversleigh-Familie ein – das geschah zur Zeit des Bürgerkriegs und der Restauration. Es ist also schon sehr lange her. Aber warum erzähle ich dir das alles? Ach ja, Zwillinge. Obwohl sie so verschieden sind – Bersaba und Angelet waren es jedenfalls – verliebten sie sich in den gleichen Menschen. David und Jonathan geht es genauso.«

»Du meinst, daß sie beide in mich verliebt sind?«

»Dickon und ich sind davon überzeugt. Du bist sehr attraktiv, Claudine.«

»Aber ich bin nicht so schön wie du, Mama.«

»Du bist sehr attraktiv, und du wirst dich zweifellos bald entscheiden müssen. Wer wird es denn sein?«

»Es gehört sich eigentlich nicht, zwischen zwei Männern zu wählen, wenn noch keiner von ihnen einen Antrag gemacht hat.«

»Was du sagst, bleibt unter uns, Claudine.«

»Ich habe noch nicht darüber nachgedacht...«

»Aber du hast über die beiden nachgedacht.«

»Ja, schon ...«

»David liebt dich innig, von ganzem Herzen. Er wäre ein sehr guter Ehemann, Claudine.«

»Du meinst, daß du David vorziehen würdest?«

»Ich würde die Wahl akzeptieren, die du triffst. Die Entscheidung liegt bei dir, mein Kind. Die beiden sind so verschieden. Die Situation ist und bleibt schwierig, denn ganz gleich, welchen du wählst, der andere bleibt im Haus. Ich mache mir deshalb Sorgen, Claudine. Dickon lacht mich aus. In diesen Dingen hat er sehr eigenartige Ansichten, und ich bin nicht immer seiner Meinung.« Sie lächelte nachdenklich. »Eigentlich bin ich sehr selten seiner Meinung.«

Es klang, als hielte sie das für den Idealzustand. »Trotzdem bin ich besorgt, und es wäre mir lieber, wenn es anders gekommen wäre. Aber ich bin sehr selbstsüchtig, Claudine, ich möchte nicht, daß du von hier fortziehst.«

Ich schloß sie in die Arme und drückte sie an mich.

»Wir haben immer ein besonderes Verhältnis zueinander gehabt, nicht wahr?« fuhr sie fort. »Du kamst zur Welt, als ich von meiner Ehe ein bißchen enttäuscht war. Ich liebte deinen Vater zwar, und wir verbrachten eine herrliche Zeit miteinander, aber er war mir nie treu. Für ihn war das ganz natürlich. Ich war anders erzogen worden, denn meine Mutter war eine typische Engländerin. Und da warst du mir ein großer Trost, Claudine. Ich möchte so sehr, daß du die richtige Wahl triffst. Du bist noch so jung – sprich mit mir, erzähl mir, was du denkst.«

Ich war verwirrt, denn mir war noch gar nicht bewußt gewesen, daß ich eine Entscheidung treffen mußte. Ich verstand meine Mutter jedoch: der verantwortungsbewußte David, der meine Gesellschaft offensichtlich genoß, und im Gegensatz dazu Jonathans ungeduldige Zärtlichkeit. Ja, sie hatte recht: Eine Entscheidung war fällig.

Ich war froh, daß meine Mutter mir dabei half.

»Ich will nicht wählen«, antwortete ich. »Ich möchte, daß alles so bleibt, wie es ist, denn es gefällt mir so. Ich bin gern mit David zusammen und höre ihm gern zu. Niemand, den ich kenne, spricht so wie er. Ich weiß, daß er in Gesellschaft eher schweigsam ist, aber wenn wir allein sind...«

Sie lächelte liebevoll. »Er ist ein sympathischer Mann. Er ist der vortrefflichste junge Mann, den ich kenne.«

Ihre Worte waren vielsagend. Aber ich konnte mich nicht dazu überwinden, mit ihr über die Gefühle zu sprechen, die Jonathan in mir weckte.

***

Für die Party sollte ich ein neues Kleid bekommen, und Molly Blackett, die Näherin, die in einem der Cottages auf dem Gut lebte, kam ins Haus, um es zu nähen.

Sie war von dem weißen Satin und der blauen Seide entzückt, die für das Kleid vorgesehen waren. Der Reifrock sollte blau und vorn offen sein, so daß man den weißen Unterrock aus Satin sah; das Mieder sollte mit kleinen, aus Seide gestickten weißen und blauen Blumen verziert sein; die Ärmel endeten bei den Ellbogen und setzten sich in zarten weißen Spitzen fort, die bis auf die Handgelenke herabfielen. Diese Mode hatte Marie Antoinette eingeführt, und ich mußte wider Willen daran denken, wie sie im Gefängnis den Tod erwartete und ihn auch zweifellos ersehnte. Diese Vorstellung dämpfte meine Freude an dem Kleid erheblich.

Ich mußte lange stillstehen, während Molly Blackett zu meinen Füßen kniete, ein schwarzes Nadelkissen neben sich, in das sie die Nadeln mit geradezu wildem Entzücken hineinsteckte, wenn sie sie nicht mehr brauchte.

Sie plauderte die ganze Zeit darüber, wie schön ich in dem Kleid aussehen würde. »Weiß ist genau die richtige Farbe für ein junges Mädchen, und das Blau paßt zu Ihren Augen.«

»Aber die Farbe stimmt nicht, meine Augen sind dunkelblau.«

»Das ist ja der Sinn der Sache, Miss Claudine. Durch den Gegensatz zum Kleid werden Ihre Augen noch dunkler wirken. Die Farben stehen Ihnen ausgezeichnet. Mein Gott, wie schnell die Zeit vergeht. Ich kann mich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen, wie Sie hier eintrafen.«

»Es liegt drei Jahre zurück.«

»Drei Jahre! Und Ihre liebe Mutter lebt jetzt hier. Meine Mutter erinnert sich gut an sie. Sie hat für ihre Mutter genäht. Das war, bevor sie nach Frankreich übersiedelte ... und nachdem sie für die erste Mrs. Frenshaw genäht hatte. Jetzt ist alles anders.«

Ich hörte ihr nur mit halbem Ohr zu. Sie hatte das Mieder abgetrennt, um die Ärmel anders einzusetzen, weil sie damit nicht zufrieden war. Ich hatte also nur den Rock und das Hemd an.

Sie legte das Mieder auf den Tisch und erklärte mir: »Ich bin gleich soweit. Die Ärmel sind sehr wichtig, Miss Claudine. Ein schlecht eingesetzter Ärmel kann die Wirkung des Kleides zerstören, auch wenn es noch so hübsch ist.« In diesem Augenblick ging die Tür auf. Mir stockte der Atem: Da stand Jonathan.

Er sah mich nicht an, sondern wandte sich an Molly: »Molly, meine Mutter möchte Sie sofort sprechen. Es ist dringend. Sie befindet sich in der Bibliothek.«

»Oh, Mr. Jonathan.« Sie drehte sich verwirrt zu mir um und sah zum Tisch hinüber. »Ich will nur – Miss Claudine ...«

»Meine Mutter hat ausdrücklich gesagt, daß Sie sofort kommen sollen. Es ist wichtig.«

Sie nickte nervös und lief kichernd aus dem Zimmer. Jonathan wandte sich mir zu, und in seinen blauen Augen glitzerten Flammen, während er mich musterte.

»Entzückend«, stellte er fest. »Ganz reizend. Unten nichts als Pracht, oben nichts als süße Einfachheit.«

»Du hast ausgerichtet, was du zu sagen hattest, also kannst du wieder gehen.«

»Was?« rief er empört. »Du verlangst, daß ich dich verlasse?«

Er legte mir die Hände auf die Schultern, beugte rasch den Kopf und küßte mich auf den Hals.

»Nein«, erklärte ich entschieden.

Er lachte nur, schob mir das Hemd über die Schulter hinunter und drückte seine Lippen auf meine Haut. Ich holte tief Atem, und er hob den Kopf und sah mich spöttisch an.

»Wie du siehst, paßt das Oberteil nicht zum Rock, nicht wahr?«

Ich fühlte mich wehrlos und schutzbedürftig; mein Herz pochte so wild, daß er es bemerken mußte.

»Geh fort!«, rief ich. »Wie kannst du es wagen, hier hereinzukommen ... wenn ... wenn ...«

»Claudine«, flüsterte er, »meine kleine Claudine ... ich bin vorbeigekommen. Ich habe hineingeschaut, die liebe alte Molly mit ihrem Nadelkissen und dich halbnackt erblickt ... daraufhin mußte ich hereinkommen und dir gestehen, wie entzückend du aussiehst.«

Ich versuchte, das Hemd wieder heraufzuziehen, aber er ließ es nicht los, und ich konnte seinen Lippen und Händen nicht entfliehen.

Es war ungeheuer aufregend. Es war wie eine der Phantasievorstellungen, bei denen ich mir ausgemalt hatte, daß er in mein Schlafzimmer kam. Es war sehr schnell vorbei, denn Molly Blackett kam zurück. Sie stürzte in dem Augenblick in das Zimmer, in dem Jonathan mein Hemd wieder auf meine Schultern hinaufgeschoben hatte.

Ihr Gesicht war rot. »Mrs. Frenshaw befindet sich nicht in der Bibliothek«, berichtete sie empört.

»Wirklich nicht?« Jonathan lächelte höflich. »Vermutlich mußte sie fort. Ich werde sie suchen, und wenn sie Sie immer noch braucht, werde ich Sie verständigen.«

Damit verbeugte er sich ironisch vor uns und verließ das Zimmer.

»Also so etwas«, sagte Molly. »Diese Unverfrorenheit. Ich glaube gar nicht, daß Mrs. Frenshaw mich sprechen wollte.«

»Er hatte nicht das Recht dazu«, stimmte ich ihr bei.

Sie schüttelte den Kopf und verzog die Lippen. »Mr. Jonathan und seine Tricks ...« murmelte sie.

Später bemerkte ich jedoch, daß sie mich nachdenklich musterte – nahm sie womöglich an, daß ich ihn ermutigt hatte?

***

Die Szene im Nähzimmer hatte mich tief betroffen gemacht, ich konnte sie nicht vergessen. Ich mied Jonathan den ganzen Tag und ging eine Stunde vor dem Abendessen in die Bibliothek, um mich mit David zu unterhalten. Er erzählte mir aufgeregt von römischen Ruinen, die an der Küste ausgegraben worden waren, er wollte sie Ende der Woche besichtigen.

»Möchtest du mitkommen?« fragte er. »Es würde dich bestimmt interessieren.«

Ich stimmte begeistert zu.

»Die Ruinen könnten wichtig sein. Du weißt ja, daß Julius Cäsar hier in der Nähe gelandet ist. Die Römer haben viele Spuren ihrer Anwesenheit hinterlassen. In diesem Gebiet beluden sie ihre Schiffe. Die Reste einer Villa wurden ausgegraben, und es sind einige gut erhaltene Ziegel vorhanden. Ich freue mich sehr darauf, das alles mit eigenen Augen zu sehen.«

Seine Augen waren blau, und wenn sie funkelten, sahen sie beinahe genauso aus wie die Jonathans.

Ich stellte Fragen über die Entdeckung, und er holte Bücher vom Regal, um mir zu zeigen, was bis jetzt alles gefunden worden war.

»Es ist bestimmt ein sehr schöner Beruf«, bemerkte er sehnsüchtig. »Stell dir nur vor, welche Befriedigung man empfinden muß, eine große Entdeckung zu machen.«

»Stell dir die Enttäuschung vor, wenn man nach Monaten oder gar Jahren der Arbeit nichts findet und erkennt, daß man etwas gesucht hat, was gar nicht da ist.«

Er lachte. »Ich habe immer schon gewußt, daß du eine Realistin bist, Claudine. Ist das dein französisches Erbteil?«

»Vielleicht. Aber ich finde, daß ich von Tag zu Tag englischer werde.«

»Ich bin deiner Meinung ... und wenn du heiratest, wirst du eine richtige Engländerin sein.«

»Falls ich einen Engländer heirate. Mein Ursprung bleibt jedoch der gleiche. Ich habe nie verstanden, warum eine Frau die Nationalität ihres Mannes annehmen muß. Warum kann es nicht umgekehrt sein?«

Er dachte ernsthaft über meine Äußerung nach. Das war eine der Eigenschaften, die ich an David als so beruhigend empfand; er beschäftigte sich immer mit meinen Ideen. Vermutlich war mir durch die Tatsache, daß ich in einem von Männern beherrschten Haushalt lebte, bewußt geworden, daß sie eine gewisse Bevormundung ausübten – mein Bruder auf jeden Fall. Und Louis Charles ahmte ihn in allem nach. Obwohl Jonathan sich brennend für mich interessierte, gab er mir immer wieder zu verstehen, daß ich eine Frau war und mich deshalb dem Mann unterwerfen mußte.

Daher war es für mich so erfrischend, mit David beisammen zu sein.

»Die Frage müßte eben irgendwie geregelt werden«, antwortete er schließlich. »Es würde bestimmt zu Komplikationen führen, wenn eine Frau nicht den Namen ihres Mannes annimmt. Welchen Namen sollten dann die Kinder tragen? Wenn du es so betrachtest, siehst du, daß es vernünftig ist.«

»Außerdem wird dadurch das Märchen am Leben erhalten, daß die Frauen das schwächere Geschlecht sind.«

»So habe ich es nie gesehen«, lächelte er.

»Du bist anders als die übrigen, David. Du akzeptierst nicht jede Feststellung, die du zu hören bekommst. Sie muß logisch sein. Deshalb ist es so beruhigend, sich in dieser Männergemeinschaft in deiner Gesellschaft zu befinden.«

»Ich freue mich, daß du es so siehst, Claudine. Seit du hier bist, ist das Leben interessant geworden. Ich weiß noch, wie du mit deiner Mutter hier eintrafst; damals ahnte ich ja nicht, was sich alles daraus ergeben würde. Bald jedoch erkannte ich, daß du anders bist ... anders als alle Mädchen, die ich je kennengelernt habe.«

Er zögerte, als müsse er einen Entschluß fassen. Nach einigen Augenblicken fuhr er fort. »Natürlich ist es nicht recht von mir, aber gelegentlich bin ich über alles froh, was geschehen ist, weil dadurch Eversleigh zu deinem Zuhause geworden ist.«

»Du meinst die Revolution?«

Er nickte. »Nachts, wenn ich allein bin, denke ich manchmal darüber nach. Die schrecklichen Dinge, die den Menschen zustoßen, unter denen du gelebt hast – und dennoch fällt mir dann jedesmal ein, daß dich eben diese Ereignisse hierhergeführt haben.«

»Vermutlich wäre ich ohnehin irgendwann hierhergekommen. Meine Mutter hätte Dickon früher oder später auf jeden Fall geheiratet. Sie hat ja nur gezögert, solange mein Großvater am Leben war; ich hätte sie natürlich begleitet, wenn sie Dickons Frau geworden wäre.«

»Möglicherweise. Du bist jedenfalls hier, und das ist das einzige, was zählt.«

»Du schmeichelst mir, David.«

»Ich schmeichle nie ... jedenfalls nicht bewußt. Ich meine es ernst, Claudine.« Er schwieg einige Sekunden lang, dann fuhr er fort: »Dein siebzehnter Geburtstag ist nicht mehr fern.«

»Ich habe das Gefühl, daß er einen Markstein in meinem Leben darstellt.«

»Gilt das nicht für jeden Geburtstag?«

»Doch, aber der siebzehnte ist etwas Besonderes. Man läßt die Kindheit hinter sich und gehört zu den Erwachsenen. Es handelt sich um einen ganz besonderen Markstein.«

»Du bist klüger als andere Menschen in deinem Alter.«

»Es ist lieb von dir, das zu sagen. Manchmal komme ich mir sehr dumm vor.«

»Das geht jedem so.«

»Jedem? Auch Dickon und Jonathan? Ich glaube nicht, daß sie sich jemals dumm vorgekommen sind. Es muß ein sehr angenehmes Gefühl sein, wenn man davon überzeugt ist, daß man immer recht hat.«

»Nur dann, wenn die anderen auch dieser Ansicht sind.«

»Was kümmert sie die Ansicht der anderen? Für sie ist nur ihre eigene Meinung maßgebend. Es ziert einen Menschen schon ungeheuer, wenn er von sich selbst überzeugt ist.«

»Ich würde mich lieber so sehen, wie ich wirklich bin. Du nicht?«

Ich überlegte. »Wenn ich es recht bedenke... ja.«

»Wir sind oft der gleichen Meinung. Ich möchte etwas mit dir besprechen, Claudine. Ich bin sieben Jahre älter als du.«

»Dann mußt du vierundzwanzig sein, wenn ich noch richtig rechnen kann«, antwortete ich leichthin.

»Jonathan ist genauso alt.«

»Ich habe gehört, daß er kurz vor dir zur Welt gekommen ist.«

»Jonathan war schon immer der erste. Einer unserer Erzieher drängte mich deshalb, mich durchzusetzen. ›Fang an‹, pflegte er mir zu sagen. ›Steh’ nicht daneben und schau zu. Warte nicht immer auf deinen Bruder. Fange vor ihm an.‹ Es war ein sehr guter Rat.«

»Den du nicht immer befolgt hast.«

»Sogar nur sehr selten.«

»Manchmal muß es unangenehm sein, einen Zwillingsbruder zu haben.«

»Ja, jeder stellt unwillkürlich Vergleiche an.«

»Aber es heißt doch, daß zwischen Zwillingen eine besondere Verbindung besteht.«

»Falls es sie je gegeben hat, haben Jonathan und ich uns schon vor langer Zeit davon gelöst. Ich bin ihm gleichgültig. Manchmal habe ich das Gefühl, daß er meine Lebensweise verachtet. Und ich bewundere die seine auch nicht gerade.«

»Du bist ganz anders als er. Bei eurer Taufe haben die Feen die menschlichen Eigenschaften verteilt – eine für Jonathan, eine für David, eine für Jonathan, eine für David ... so daß ihr vollkommen verschieden geraten seid.«

»Die Stärken und die Schwächen«, fügte er hinzu. »Ich will auf etwas Bestimmtes hinaus.«

»Das habe ich schon gemerkt.«

»Ich möchte dich heiraten, Claudine.«

»Was!« rief ich.

»Bist du überrascht?«

»Eigentlich nicht ... nur daß du ausgerechnet heute davon anfängst. Ich habe geglaubt, du würdest mich erst nach meinem Geburtstag fragen.«

Er lächelte. »Du nimmst offenbar an, daß dein Geburtstag etwas Magisches an sich hat.«

»Das ist dumm von mir, nicht wahr?«

»Deine Mutter und dein Vater würden sich über unsere Verbindung freuen. Wir würden ein ideales Paar bilden, denn wir verfügen über so viele gemeinsame Interessen. Ich hätte dich nicht gefragt, wenn ich nicht angenommen hätte, daß du mich magst. Du genießt unsere Gespräche und unser Beisammensein offensichtlich ...«

»Das stimmt. Und ich habe dich auch sehr gern, David, aber –«

»Hast du nie daran gedacht, daß du einmal heiraten wirst?«

»O doch, natürlich.«

»Und zwar einen Mann.«

»Als Frau kann man wohl kaum eine Frau heiraten.«

»Hast du jemals mich als Bräutigam in Betracht gezogen?«

»O ja. Meine Mutter hat mit mir darüber gesprochen. Eltern sind immer froh, wenn ihre Kinder heiraten. Meine Mutter möchte natürlich, daß ich die richtige Wahl treffe.«

Er trat zu mir und ergriff meine Hände. Mir fiel auf, wie sehr er sich von Jonathan unterschied. Er würde immer freundlich und verständnisvoll sein und immer interessante Gespräche mit mir führen; o ja, das Leben an seiner Seite würde bestimmt wunderbar werden.

Doch etwas fehlte, und seit ich mit Jonathan öfter allein gewesen war, wußte ich, was es war. Ich empfand nicht die gleiche überwältigende Erregung, wenn David meine Hände ergriff; ich mußte daran denken, wie mir Jonathan im Nähzimmer das Hemd von den Schultern gestreift hatte. In diesem Augenblick wurde mir klar, daß ich beide wollte. Ich wollte die Zärtlichkeit, die Verläßlichkeit, das Gefühl der Sicherheit, den Gedankenaustausch haben ... all das konnte mir David geben; andererseits wollte ich die sexuelle Erregung genießen, die ich bei Jonathans Liebkosungen empfand.

Meine Lage war wirklich nicht einfach; eine Frau konnte doch nicht zwei Männer heiraten.

Ich musterte David. Er war ein angenehmer, ernster Mensch; irgendwie wirkte er unschuldig. Wenn ich ihn zum Mann nahm, würde ich ein erfülltes Leben in Eversleigh verbringen, mit ihm die Leitung des Gutes besprechen, mich um die Pächter kümmern, mich mit ihm in Probleme vertiefen, die uns beide interessierten.

Wenn ich ihm mein Jawort gab, würde meine Mutter sich freuen. Auch Dickon würde zufrieden sein, obwohl es ihm bestimmt gleichgültig war, ob ich David oder Jonathan nahm. Doch Jonathan hatte mich noch nicht um meine Hand gebeten, obwohl er mich haben wollte. Er verlangte nach mir, wie es in der Bibel heißt. Und weil ich die Tochter seiner Stiefmutter war, mußte er mich heiraten, um mich in sein Bett zu bekommen.

Beinahe hätte ich David ›Ja‹ gesagt, aber etwas hielt mich zurück. Es war die Erinnerung an Jonathan und an die bis dahin unbekannten Gefühle, die er in mir geweckt hatte.

»Ich habe dich sehr gern, David«, versicherte ich ihm. »Du bist immer mein bester Freund gewesen. Trotzdem möchte ich noch warten.«

Er verstand mich sofort.

»Natürlich brauchst du Bedenkzeit. Aber überlege es dir gut. Es gibt so vieles, was wir miteinander tun könnten, so vieles, das uns beide interessiert.« Er zeigte auf die Bücherregale. »Wir haben soviel gemeinsam, Claudine, und ich liebe dich von ganzem Herzen, seit dem Augenblick, als du dieses Haus betreten hast.«

Ich küßte ihn auf die Wange, und er drückte mich an sich. In seinen Armen fühlte ich mich sicher und glücklich; doch die Erinnerung an Jonathan ließ sich nicht vertreiben. Und wenn ich David in die klaren blauen Augen sah, mußte ich an die erschreckende blaue Flamme in Jonathans Augen denken.

***

In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen, was verständlich war. Ich hatte einen Heiratsantrag bekommen und ihn beinahe angenommen; ich hatte im Nähzimmer etwas ganz Neues erlebt und wußte nicht, was mich tiefer beeindruckt hatte.

Auf alle Fälle hatte ich meine Tür versperrt, bevor ich zu Bett ging. Dadurch daß Jonathan seelenruhig in das Nähzimmer eingedrungen war, hatte er mir gezeigt, daß er imstande war, unüberlegt zu handeln, und meine Reaktion hatte mich gelehrt, daß ich mich vor meinen Gefühlen hüten mußte.

Den Vormittag verbrachte ich wie immer mit meiner Gouvernante, am Nachmittag ritt ich aus. Ich war nicht sehr weit gekommen, als Jonathan mich überholte.

»Hallo«, begrüßte er mich. »Welche Überraschung.«

Natürlich hatte er beobachtet, daß ich den Hof verließ, und war mir gefolgt.

»Ich hätte erwartet, daß du dich schämst, mir unter die Augen zu treten«, sagte ich.

»Ich hatte den Eindruck, daß es dir Spaß gemacht hat; ich bin glücklich, wenn ich zu deinem Vergnügen beitragen kann.«

»Hast du dir nicht überlegt, was Molly Blackett von deinem Benehmen hält?«

»Da muß ich dir zuerst eine Frage stellen. Denkt Molly Blackett überhaupt? Ihr Verstand besteht doch ausschließlich aus Nadel, Faden und solchen Dingen.«

»Sie war empört. Sie hat natürlich begriffen, daß meine Mutter nichts von ihr wollte.«

»Aber ich wollte dich näher begutachten – du warst so entzückend halb entkleidet.«

»Das war dumm und eines Gentlemans nicht würdig.«

»Das gilt für die meisten schönen Dinge im Leben.«

»Ich mag diese leichtfertigen Gespräche nicht.«

»Aber, aber. Du findest sie unwiderstehlich – so wie mich.«

»Du hast eine sehr hohe Meinung von dir.«

»Natürlich, einer muß sie ja haben. Die anderen richten sich dann schon danach.«

»Bitte hör auf, dich zu verherrlichen.«

»Ich verstehe: Ich habe es nicht nötig. Du bist klug, chère Mademoiselle. Du siehst mich so, wie ich wirklich bin, und was du siehst, gefällt dir. Es gefällt dir sogar sehr.«

»Du bist unmöglich!«

»Aber liebenswert.«

Als Antwort gab ich meinem Pferd die Peitsche und ritt in ein Feld hinein. Einen Augenblick später befand sich Jonathan neben mir. Als wir zu einer Hecke kamen, mußte ich anhalten.

»Ich mache dir einen Vorschlag«, sagte er. »Binden wir unsere Pferde an und setzen wir uns unter den Baum dort. Dann können wir vieles besprechen.«

»Bei dem Wetter hat wohl niemand Lust, im Freien zu sitzen. Es kann jeden Augenblick schneien.«

»Ich würde dich schon warmhalten.«

Ich wandte mich wieder ab, aber er ergriff meine Zügel. »Ich möchte ernsthaft mit dir sprechen, Claudine.«

»Also?«

»Ich möchte dir nahe sein. Ich möchte dich berühren. Ich möchte dich in die Arme schließen, so wie ich es gestern getan habe. Das war wunderbar. Dumm war nur, daß die liebe alte Molly Blackett hereinplatzte.«

»Worüber willst du denn ernsthaft sprechen? Du nimmst doch nichts ernst.«

»Nur selten. Doch soeben ist einer dieser seltenen Augenblicke eingetreten. Eine Heirat ist eine ernste Angelegenheit. Mein Vater würde sich sehr freuen, wenn wir heirateten, Claudine – aber noch wichtiger ist, daß ich mich auch sehr freuen würde.«

»Dich heiraten!« Meine Stimme klang schrill, und ich fuhr ätzend fort: »Irgendwie spüre ich doch, daß du kein sehr treuer Ehemann wärst!«

»Meine chère Mademoiselle würde schon dafür sorgen, daß ich treu bin.«

»Diese Aufgabe wäre mir zu mühsam.«

Er lachte. »Manchmal sprichst du wie mein Bruder.«

»Das nehme ich als Kompliment.«

»Jetzt kommen wir also zu den Tugenden des heiligen David. Du magst ihn ja – auf ganz besondere Art.«

»Natürlich mag ich ihn. Er ist interessant, höflich, verläßlich, freundlich ...«

»Stellst du womöglich Vergleiche an? Soviel ich weiß, hat sich Shakespeare einmal dahingehend geäußert, daß es nicht ratsam ist, so etwas zu tun. Du kennst die Stelle bestimmt. Wenn nicht, wende dich an den gelehrten David und laß sie dir zeigen.«

»Du solltest dich nicht über deinen Bruder lustig machen. Er ist ...«

»Er ist würdiger, das wolltest du doch sagen?«

»Richtig.«

»Der Ausdruck paßt zu ihm. Du magst ihn mehr, als mir lieb ist.«

»Bist du womöglich auf deinen Bruder eifersüchtig?«

»Unter Umständen könnte ich es sein. Was zweifellos auf Gegenseitigkeit beruht.«

»Er hat bestimmt nie das Bedürfnis gehabt, so zu sein wie du.«

»Glaubst du, daß ich je das Bedürfnis gehabt habe, so zu sein wie er?«

»Nein. Ihr seid zwei vollkommen verschiedene Charaktere. Ihr seid sogar ausgesprochene Gegensätze.«

»Hören wir auf, über ihn zu sprechen, und wenden wir uns dir zu, meine süße Claudine. Du bist für meine Annäherungsversuche empfänglich und du magst mich, nicht wahr? Es war dir ausgesprochen angenehm, daß ich ins Zimmer kam, die alte Blackett hinausbeförderte und dich küßte. Natürlich hast du getan, was man von einer wohlerzogenen jungen Dame erwartet und verlangt, daß ich dich sofort loslasse. Aber eigentlich wolltest du, daß ich nicht aufhöre ...«

Ich war rot vor Scham.

»Du nimmst dir wirklich zuviel heraus.«