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Wenn das Schicksal unbarmherzig zuschlägt: der fesselnde Historienroman „Sturmnacht“ von Philippa Carr jetzt als eBook bei dotbooks. Ganz England feiert Ende des 16. Jahrhunderts den Sieg über die Spanische Armada. Auch die schöne Linnet Pennlyon sieht voller Zuversicht in die Zukunft. Doch dann begegnet sie dem ebenso legendären wie skrupellosen Colum, der sie in sein Bett zwingt – und gegen ihren Willen zu seiner Frau macht! Linnet muss dem Freibeuter in das düstere Schloss Palin an der stürmischen Küste Cornwalls folgen. Von nun an ist sie hin- und hergerissen zwischen den zarten Gefühlen, die sie gegen alle Vernunft für Colum empfindet, und der Furcht vor den Geheimnissen, die in seiner Vergangenheit lauern. Als Linnet eine Frau aus dem tobenden Meer rettet, hofft sie, eine Verbündete gefunden zu haben – und ahnt nicht, welche dunklen Pläne Maria verfolgt … Dramatisch, spannend, bewegend: Ein Roman aus der international erfolgreichen Saga „Die Töchter Englands“ von Bestsellerautorin Philippa Carr! Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Sturmnacht“ von Philippa Carr, auch bekannt als Jean Plaidy und Victoria Holt. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 527
Über dieses Buch:
Ganz England feiert Ende des 16. Jahrhunderts den Sieg über die Spanische Armada. Auch die schöne Linnet Pennlyon sieht voller Zuversicht in die Zukunft. Doch dann begegnet sie dem ebenso legendären wie skrupellosen Colum, der sie in sein Bett zwingt – und gegen ihren Willen zu seiner Frau macht! Linnet muss dem Freibeuter in das düstere Schloss Palin an der stürmischen Küste Cornwalls folgen. Von nun an ist sie hin- und hergerissen zwischen den zarten Gefühlen, die sie gegen alle Vernunft für Colum empfindet, und der Furcht vor den Geheimnissen, die in seiner Vergangenheit lauern. Als Linnet eine Frau aus dem tobenden Meer rettet, hofft sie, eine Verbündete gefunden zu haben – und ahnt nicht, welche dunklen Pläne Maria verfolgt …
Dramatisch, spannend, bewegend: Ein Roman aus der international erfolgreichen Saga »Die Töchter Englands« von Bestsellerautorin Philippa Carr!
Über die Autorin:
Philippa Carr ist – wie auch Jean Plaidy und Victoria Holt – ein Pseudonym der britischen Autorin Eleanor Alice Burford (1906–1993). Schon in ihrer Jugend begann sie, sich für Geschichte zu begeistern: »Ich besuchte Hampton Court Palace mit seiner beeindruckenden Atmosphäre, ging durch dasselbe Tor wie Anne Boleyn und sah die Räume, durch die Katherine Howard gelaufen war. Das hat mich inspiriert, damit begann für mich alles.« 1941 veröffentlichte sie ihren ersten Roman, dem in den nächsten 50 Jahren zahlreiche folgten, die sich schon zu ihren Lebzeiten über 90 Millionen Mal verkauften. 1989 wurde Eleanor Alice Burford mit dem »Golden Treasure Award« der Romance Writers of America ausgezeichnet.
Eine Übersicht über den Romanzyklus »Die Töchter Englands« finden Sie am Ende dieses eBooks.
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eBook-Neuausgabe Mai 2017
Copyright © der Originalausgabe 1975 by Philippa Carr
Die Originalausgabe erschien 1975 unter dem Titel »The witch from the sea«.
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1981 by Franz Schneekluth Verlag, München
Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Flex Dreams und jaroslava V
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-95824-981-3
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Philippa Carr
Sturmnacht
Roman
Aus dem Englischen von Monika Hahn
dotbooks.
In unserer Familie war es Brauch, daß die Frauen Tagebuch führten. Meine Großmutter hat es schon getan, und meine Mutter hat es wohl von ihr übernommen. Sie erwähnte mir gegenüber einmal, daß man auf diese Weise das Leben in seiner ganzen Fülle erfasse, da man im Lauf der Zeit so vieles vergißt. Und selbst wenn man ein gutes Gedächtnis hat: Es entstellt im nachhinein die Erlebnisse, so daß sie mit der Wahrheit nicht mehr viel zu tun haben. Wenn man sie dagegen gleich niederschreibt, unter dem Eindruck der frischen Empfindung, so kann man sich später viel leichter alle Einzelheiten ins Gedächtnis zurückrufen. Man bewahrt sich auf diese Weise nicht nur ein klares Bild von Ereignissen, die wichtig waren, sondern gewinnt auch eine gewisse Selbsterkenntnis.
Ich begann meine Tagebucheintragungen in den Monaten nach unserem glorreichen Sieg über die Spanier. Dieser Zeitpunkt war offensichtlich gut gewählt, da sich von da an vieles in meinem Leben änderte. Wir befanden uns alle in einem Zustand, den man nur als euphorisch bezeichnen konnte. Kurz zuvor hatten wir erfahren müssen, daß wir dem Untergang nahe gewesen waren, obwohl wir dies nie für möglich gehalten hätten. Vielleicht war es sogar der unerschütterliche Glaube daran, daß wir nicht zu schlagen seien, der unserem Land zum Sieg verhalf. Doch andererseits mußten wir uns auch ehrlich klarmachen, was eine Niederlage bedeutet hätte. Uns waren Berichte über fürchterliche Greuel zu Ohren gekommen, von denen die Niederlande heimgesucht wurden, die sich gegen das mächtige Spanien aufgelehnt hatten. Wir wußten, daß die Armada nicht nur Kriegswaffen, sondern auch Folterwerkzeuge mit sich führte. Diejenigen, die Spaniens Religion nicht annahmen, wurden gefoltert und bei lebendigem Leibe verbrannt. Angeblich wurden auch Männer bis zum Hals in die Erde eingegraben und dann ihrem schrecklichen Schicksal überlassen. Wir hörten endlose Erzählungen über furchtbare Leiden, die wohl auch uns erwartet hätten, wenn die Spanier gekommen wären. Doch wir hatten sie besiegt.
An Englands Küsten lagen die Wracks ihrer Schiffe, viele trieben noch auf hoher See, und ein paar Schiffe waren wohl auch nach Spanien zurückgekehrt. Wir dagegen lebten unbesiegt in unserem schönen, fruchtbaren England, auf dessen Thron Königin Elisabeth unangefochten saß. Alle waren überglücklich, und wir aus Devonshire ganz besonders, denn unser Francis Drake war es, der England gerettet hatte.
Mein Vater, Captain Jake Pennlyon, war ein Mann voller Tatendrang. Robust, stark, abenteuerlustig, fest entschlossen, die Spanier von den Meeren zu vertreiben, unduldsam gegen Schwäche, überzeugt von der Richtigkeit seiner Ansichten, hochmütig, offenherzig, alles andere als untertänig, war er für mich der typische Engländer unserer Zeit. Als Kind hatte ich ihn gehaßt, da ich sein Verhältnis zu meiner abgöttisch geliebten Mutter nicht begreifen konnte. Erst seit kurzem wußte ich, wie sehr sie einander zugetan waren. In meiner jugendlichen Unerfahrenheit hatte ich ihr Verhalten völlig falsch eingeschätzt. Sie schienen sich ständig zu streiten … Doch nun erkannte ich, daß diese Auseinandersetzungen eine Art Würze ihres Lebens darstellten. Manchmal mochte es ja den Anschein haben, als quälten sie sich nur und könnten nie in Harmonie zusammenleben, doch in Wahrheit fühlten sie sich tief unglücklich, wenn sie sich einmal trennen mußten.
Man konnte meinem Vater gegenüber keine unentschiedenen Gefühle haben. Da ich aufgehört hatte, ihn zu hassen und zu verabscheuen, begann ich ihn nun zu lieben und ungemein stolz auf ihn zu sein. Bei ihm war es wohl ähnlich: Er hatte mich nicht leiden können, weil ich ein Mädchen war, doch nun hatte er sich dazu durchgerungen, daß seine Tochter besser als jeder Junge war. Meine dreijährige Schwester Damask war noch zu klein, als daß sie ihn interessiert hätte. Inzwischen hatte er es aufgegeben, noch auf einen Sohn zu hoffen, da auch er einsah, daß seine Frau für eine erneute Schwangerschaft zu alt war. Nun gab er sich mit seinen außerehelichen Söhnen zufrieden. Meine Mutter pflegte zu behaupten, daß sie überall auf der Welt verstreut aufwüchsen, und er stritt dies nicht ab. Drei von ihnen waren mir wohlvertraut: Carlos, Jacko und Penn. Carlos hatte Edwina geheiratet, der Trewynd Grange gehörte, ein nahegelegenes Herrenhaus, das sie von ihrem Vater geerbt hatte. In gewisser Weise gehörte Edwina schon vorher zur Familie, da ihre Mutter von meiner Großmutter adoptiert worden war. Jacko und Penn wohnten bei uns, wenn sie nicht gerade über die Meere segelten. Jacko war Kapitän auf einem der Schiffe unseres Vaters, und auch der siebzehnjährige Penn – er war ein Jahr jünger als ich – fuhr schon zur See.
Wir hatten so lange mit der Angst vor den Spaniern gelebt, daß unser Leben uns nun plötzlich ganz leer vorkam. Obgleich ich mich dazu entschlossen hatte, mit den Tagebucheintragungen zu beginnen, erschien mir nur sehr wenig erwähnenswert. Während all dieser Wochen gab es ständig neue Berichte darüber, was mit der spanischen Armada geschehen war. Immer wieder wurden Schiffe angetrieben, deren Besatzung am Verhungern war. Viele Spanier ertranken, nur manche erreichten lebend die Küsten von Schottland und Irland. Doch es ging das Gerücht, der Empfang dort sei so ungastlich, daß die Ertrunkenen besser daran seien.
Mein Vater gab seinem Beifall lautstark Ausdruck. »Bei Gott, falls einer von diesen verdammten Dons es wagen sollte, seinen Fuß auf den Boden von Devonshire zu setzen, dann werde ich ihm die Kehle von einem Ohr zum anderen aufschlitzen.«
»Ihr habt sie doch besiegt«, widersprach meine Mutter. »Ist das denn nicht genug?«
»Nein, Madam«, gab er empört zurück. »Es genügt ganz und gar nicht! Es gibt keine Strafe, die für diese Spanier zu grausam wäre! Schließlich haben sie versucht, uns zu vernichten.«
Und so verstrich die Zeit. Viele Leute besuchten uns, und bei Tisch drehte sich die Unterhaltung immer um die Spanier und um den niederträchtigen Schurken im Escorial, der sich zum Herrn der Welt hatte machen wollen und nun derartig geschlagen war, daß er sich nie mehr erheben konnte. Wie herzlich wurde gelacht, wenn Geschichten über die Wut jener Spanier erzählt wurden, die zu Hause geblieben waren und nun wissen wollten, warum die Armada, die mit so ungeheurem Geldaufwand aufgestellt worden war, nicht zurückkehrte. Warum kam der Herzog von Medina-Sidonia, der sich schon mit seinem Sieg über die Engländer gebrüstet hatte, nicht nach Spanien zurück, um sich feiern zu lassen? Was war aus der mächtigen Armada geworden? War sie so rein und heilig, daß sie für diese Welt zu gut und in den Himmel eingegangen war?
»Eher in die Hölle«, schrie mein Vater und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Dann berichtete er wieder von den Geschehnissen, an denen er beteiligt gewesen war, und alle lauschten gebannt. Carlos und Jacko nickten zustimmend, und so ging es immer weiter …
Darüber wollte ich aber nichts in mein Tagebuch eintragen, denn das war ohnehin jedem bekannt. Wie bei uns ging es zur Zeit in Tausenden von englischen Familien zu.
»Was für Fortschritte macht dein Tagebuch?« fragte meine Mutter.
»Da nichts passiert, gibt’s auch nichts zu schreiben«, antwortete ich. »Du hast so viel erlebt«, fügte ich neidisch hinzu. »Da ist es natürlich etwas anderes.«
Ihr Gesicht verdüsterte sich, und ich wußte, daß sie sich an ihre Jugend erinnerte.
»Meine kleine Linnet«, sagte sie liebevoll. »Hoffentlich wirst du immer nur über glückliche Erlebnisse berichten können.«
»Das wäre doch langweilig. Meinst du nicht?«
Sie legte mir lachend den Arm um die Schulter.
»Dann hoffe ich, daß dein Tagebuch recht, recht langweilig sein wird.«
Es hatte ganz den Anschein, als würde sie damit recht behalten. Deshalb vergaß ich das Tagebuch auch völlig bis zu dem Tag, an dem das Schiff ›Passat‹ in unsere Bucht gesegelt kam. Von da an machte ich regelmäßig Eintragungen.
Die ›Passat‹ glich den großen venezianischen Viermastern: Fockmast, Großmast, Besanmast und ein kleiner Mast am Heck, bei uns in England bonaventure genannt.
Mein Vater, der an Land immer ruhelos wirkte, hielt ständig nach Schiffen Ausschau. Ich stand mit ihm wie so oft am Hafen, als die ›Passat‹ in Sicht kam. Irgend jemand schrie etwas, und im Nu ruhten alle Blicke auf diesem Schiff.
»Ganz schöner Kahn. Sieht mir aber nach einem Kauffahrtschiff aus«, sagte mein Vater geringschätzig, obwohl ja auch er fast so etwas wie ein Kaufmann gewesen war, denn in seiner besten Zeit hatte er gar manche Fracht nach Hause gebracht, die er einem Spanier abgenommen hatte. Nach Ansicht meiner Mutter war er im Grunde allerdings nicht viel besser als ein Pirat.
Breitbeinig stand er da und schaute zu, wie der Kapitän in einem Boot an Land gerudert wurde. »Bei Gott, das ist ja Fennimore Landor«, brüllte mein Vater plötzlich los. »Willkommen!«
Da sah ich Fennimore zum erstenmal. Er war braun gebrannt, das Haar war von der Sonne gebleicht, und um die hellblauen Augen lagen viele winzige Lachfältchen. Er war groß und breitschultrig – ein echter Seefahrer.
»Dies ist meine Tochter Linnet«, stellte mich mein Vater vor und legte mir die Hand auf die Schulter. Diese Geste drückte aus, wie stolz er auf mich war. Obgleich er häufig unduldsam war und sogar grob, war ich doch sehr glücklich darüber, daß ich ihm gefiel. »Und dies ist Fennimore Landor, Kind. Seinen Vater kenne ich gut. Ein besserer Kapitän ist nie zur See gefahren. Willkommen! Was bringt Euch nach Plymouth?«
»Der Wunsch, Euch zu sehen.«
»Mich zu sehen«, wiederholte mein Vater verwundert. »Nun, das habt Ihr ja bereits. Kommt mit uns nach Hause, wo Ihr herzlich willkommen seid. Nicht wahr, Linnet?« Ich nickte und schaute den jungen Mann forschend an. Hoffentlich gefiel ich Fennimore ebenso gut wie er mir! Unser Haus hieß Lyon Court und war von meinem Urgroßvater erbaut worden, als er zu Reichtum gekommen war. Lyon Court wirkte etwas überladen im Vergleich zu älteren Gebäuden wie Trewynd, dem Heim von Edwina und Carlos. Meine Mutter warf meinem Vater im Streit manchmal vor, daß die Pennlyons, die früher nie Geld besessen hätten, nun glaubten, sie müßten jedermann vor Augen führen, wie wohlhabend sie waren. Den Mittelpunkt des Hauses bildete eine gotische Halle, die bis unters Dach reichte. Von der Halle führte eine breite Treppe zu einer Galerie hinauf, wo einige Ahnenbilder hingen – Familiengründer, mein Urgroßvater, Großvater und Vater. Vermutlich hinge auch mein Porträt daneben, wenn ich ein Junge gewesen wäre. Unsere Wohnräume lagen im Ost- und Westflügel. Es gab viel Platz für Festlichkeiten, und wir hatten häufig Gäste. Auf dem Heimweg unterhielten sich Fennimore Landor und mein Vater über Schiffahrtsangelegenheiten. Verstohlen musterte ich den Neuankömmling von der Seite, und gelegentlich fing auch ich einen Blick von ihm auf. Als Lyon Court mit den steinernen Löwen zu beiden Seiten des Portals in Sicht kam, lief ich voraus, um meiner Mutter unseren Gast anzukündigen.
Sie kam mir in der Halle entgegen. Meine Mutter war von großer Lebhaftigkeit und Frische, und das wirkte weit anziehender als Schönheit allein. Sie war zwar schon achtundvierzig, hatte sich aber ein erstaunlich jugendliches Aussehen bewahrt. Vielleicht lag das an ihrem abwechslungsreichen, erfüllten Leben.
»Vater bringt einen Gast mit«, rief ich atemlos. »Er heißt Fennimore Landor und ist Kapitän. Ach, da sind die beiden ja schon.«
Fennimore verbeugte sich vor meiner Mutter. Als die Begrüßung vorüber war, führte sie ihn in die sogenannte Winterstube, die gemütlicher als die Halle war.
Bei einigen Gläsern Malvasier drehte sich die Unterhaltung hauptsächlich um das Meer. Fennimore wurde eingeladen, mit uns zu Abend zu essen, bevor er wieder auf sein Schiff, die ›Passat‹, zurückkehrte, die noch einige Tage hier in der Bucht vor Anker liegen würde. Meine Mutter und ich ließen die beiden Männer allein. Sie ging in die Küche, ich auf mein Zimmer, um eine Eintragung ins Tagebuch zu machen.
Als wir später alle um den großen Tisch in der Halle versammelt waren, bemühte sich Fennimore, bei meinem Vater Anteilnahme für ein neues Unternehmen zu wecken, an das er mit ganzem Herzen glaubte. Mir gefiel sein Enthusiasmus, der seine Augen leuchten ließ und seine Rede beflügelte. Er war offensichtlich ein Idealist. Im Augenblick wollte er meinen Vater für die Idee begeistern, mit vielen verschiedenen Ländern Handel zu treiben. Ich hörte Fennimore voller Vergnügen zu und ärgerte mich über meinen Vater, weil er etwas zweifelnd dreinsah.
»Die Spanier werden uns von nun an kaum Schwierigkeiten machen«, sagte Fennimore. »Sie können nicht mehr kämpfen.«
Mein Vater nickte. »Ja, bei Gott, das stimmt – und vom Meer sind sie verjagt.« Und schon verbreitete er sich wieder über das alte Thema, wie sie sich damit gebrüstet hatten, uns in ein, zwei Tagen zu vernichten, und statt dessen von uns besiegt worden waren. Fennimore war etwas verwirrt, denn er wollte sicher nicht über die Vergangenheit, sondern über die Zukunft sprechen.
Er unterbrach meinen Vater. »In Barcelona und Cadiz stechen keine spanischen Galeeren mehr in See. Wo sind all die Galeeren geblieben?«
»Auf dem Meeresgrund«, erwiderte mein Vater lachend. »Es gibt allerdings noch die Holländer …«
»Die Holländer!« Mein Vater tat diesen Einwand geringschätzig ab.
»Gute Seeleute«, widersprach Fennimore.
»Keiner ist so gut wie ein englischer Seemann. Und wir aus Devonshire sind die besten.«
Meine Mutter lachte mit jenem liebevollen Spott, den sie oft meinem Vater gegenüber zeigte, und wandte sich dann an Fennimore. »Mein Mann hat gewisse Vorurteile, wie Ihr sicher schon gemerkt habt.«
Ich schaute mich in unserer Tischrunde um. Bestimmt machten wir auf Fennimore einen merkwürdigen Eindruck, falls er in völlig normalen Familienverhältnissen lebte, wie ich annahm. Da gab es meinen Vater mit Frau und Tochter, drei uneheliche Söhne und die Mutter des einen von ihnen. Es war klar, daß mein Vater nicht dem Durchschnitt entsprach, und das gleiche galt für meine Mutter. Heute waren wir nur eine verhältnismäßig kleine Tischgesellschaft, da es sich noch nicht herumgesprochen hatte, daß wir einen Gast aus der Fremde bewirteten. Aber es war immerhin ausreichend Zeit gewesen, um Carlos und Edwina dazuzubitten, die ohnehin sehr häufig bei uns waren.
Carlos’ Mutter war Spanierin gewesen, aber er glich nicht ihr, sondern war ganz der Sohn unseres Vaters. Sein Haar war dunkel, die Augen glänzten in einem warmen Haselnußbraun. Er trat auch ebenso großspurig auf wie Jake Pennlyon, dem er in allem und jedem ähnlich sein wollte. Ebenso verhielt es sich mit Jacko, dem Sohn der Zofe meiner Mutter. Jennet, die seit vielen Jahren bei uns war und viele Abenteuer meiner Mutter miterlebt hatte, war von unbezähmbarer Sinnlichkeit. Sie hatte viele Liebhaber gehabt – im Augenblick war es der Gärtner. Jeder wußte darüber Bescheid, denn Jennet machte keinerlei Geheimnis aus ihren Liebschaften. Sie war nun über vierzig und nach Aussage meiner Mutter noch genauso leidenschaftlich wie als Zwanzigjährige. Sie war ungemein stolz auf Jacko und sehr glücklich darüber, daß er in unserer Familie hatte aufwachsen dürfen und nun Seemann wurde wie sein Vater. Jennet hielt Captain Pennlyon für einzigartig und bildete sich viel darauf ein, Jacko als lebenden Beweis dafür zu haben, daß der Captain sich einmal mit ihr abgegeben hatte. Dann war da noch Penn, der unserem Vater gleichfalls ähnlich sah. Es war für Außenstehende vermutlich am schwersten zu begreifen, daß auch er und seine Mutter bei uns am Tisch saßen. Romilly Girling war völlig mittellos zu uns gekommen, nachdem ihr Vater auf See umgekommen war. Als meine Eltern, wie dies früher öfter geschah, wieder einmal uneins miteinander waren, hatte mein Vater Romilly geschwängert. Penn kam zur Welt und blieb bei uns, denn Romilly wußte nicht, wo sie hätte hingehen sollen. Erst viel später entdeckte meine Mutter, wer der Vater des Jungen war. Zu diesem Zeitpunkt war es völlig ausgeschlossen, die beiden aus dem Haus zu jagen. Mein Vater hätte es auch gar nicht zugelassen …
Und so saßen wir alle an jenem Tag beisammen, als Fennimore nach Lyon Court kam. In unserer Runde fehlte nur Damask, meine kleine Schwester. Wahrscheinlich hatte mein Vater nach ihrer Geburt endgültig die Hoffnung aufgegeben, von meiner Mutter noch einen Sohn zu bekommen. So wurde er gegen mich freundlicher gestimmt.
Fennimore war wohl viel zu erfüllt von seinen hochfliegenden Plänen, als daß er sich viele Gedanken über unsere Familienverhältnisse gemacht hätte. Ganz offenkundig wünschte er die Unterstützung meines Vaters und wollte ihn womöglich als Partner gewinnen.
Fennimore hatte für einen Seemann eine ungewöhnlich sanfte, melodische Stimme. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie er seiner Mannschaft auf Deck Befehle zubrüllte. Er war in allem völlig anders als mein Vater. Wie merkwürdig, daß ich alle Männer mit ihm verglich …
»Wenn wir die Handelsbeziehungen ganz vernachlässigt hätten, wäre die Armada nie von uns besiegt worden, denn dann hätten wir viel zu wenig Schiffe gehabt«, sagte Fennimore.
»Handel! Der hat überhaupt nichts damit zu tun«, protestierte mein Vater energisch. »Wir haben die Dons geschlagen, weil wir die besseren Seeleute sind.«
»Ja, natürlich, Captain Pennlyon, das ist schon wahr. Trotzdem wäre auch der beste Seemann ohne Schiffe machtlos gewesen. Zum Glück hatten wir sie aber …«
»Junger Mann, glaubt ja nicht, daß dieser Sieg Glückssache war«, unterbrach ihn mein Vater. »Es lag am seemännischen Können und an sonst gar nichts.«
Fennimore ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Wißt Ihr eigentlich, daß wir 1560 nur einundsiebzig Handelsschiffe hatten, und schon 1582 war die Anzahl auf einhundertfünfzig erhöht worden. 1560 existierte unsere Handelsmarine so gut wie nicht; wir gehörten nicht zu den seefahrenden Ländern. Unser Küstenhandel war unbedeutend: das bißchen mit den Ostseehäfen, den Niederlanden und mit den Mittelmeerländern Spanien, Portugal und Frankreich war kaum der Rede wert. Doch das wird sich gründlich ändern. In Zukunft werden wir nicht nur zu den wichtigsten Handelsnationen der Welt zählen, sondern die bedeutendste schlechthin sein. Nachdem wir nun endlich die Spanier von den Meeren vertrieben haben, müssen wir auch Nutzen daraus ziehen.«
Mein Vater war ganz Ohr. Jede Methode, den Spaniern eins auszuwischen, interessierte ihn.
Für mich war es geradezu faszinierend, Fennimore zu lauschen. Carlos erweckte ganz den Eindruck, als würde er ihm gerne zustimmen, wagte es aber nicht ohne das Stichwort unseres Vaters. Auch Jacko hörte mit glänzenden Augen zu. Falls die Familie beim Seehandel mitmachte, wollte er natürlich dabei sein. Penns Blick wich nicht vom Gesicht unseres Vaters. Ich beobachtete dessen Miene, sah, wie die blauen Augen sich bei der Erwähnung der Spanier verdunkelten, und war mir wie nie zuvor bewußt, was für ein unduldsamer Mensch er war. Ich wünschte mir sehr, daß er Fennimore Landor akzeptierte. Fennimore war auf seine Art genauso zielstrebig wie mein Vater. Doch der eine argumentierte lautstark, während der andere die gleiche Wirkung durch ruhige Beharrlichkeit erzielte.
Während ich zuhörte, malte ich mir im Geiste die Erfüllung eines Traums aus. Fennimore wollte unser Land groß machen, und zwar nicht durch Krieg, was für viele immer die einzige Methode gewesen war, sondern durch Handel. Friedliche Handelsbeziehungen mit aller Welt zu unterhalten, sei bestimmt besser, als schwer bewaffnet auf hoher See andere Schiffe zu entern, mit deren Mannschaft zu kämpfen, sie zu töten oder aber getötet zu werden, war seine Ansicht.
»Unsere Zeit ist gekommen«, sagte er eindringlich. »Der Streit zwischen den Niederlanden und Spanien hat beide erledigt. Was für Dummköpfe die Männer doch sind, die morden, statt Handel zu treiben. Vor gar nicht langer Zeit war Antwerpen eine reiche Hafenstadt, eine der mächtigsten der Welt. Als vor drei Jahren die Schelde für die Schifffahrt blockiert wurde, war es damit aus und vorbei. Wir haben Amsterdam als Konkurrenten – jedenfalls für eine gewisse Zeit noch. Und das ist übrigens gar nicht schlecht, denn Wettbewerb ist wichtig, weil er alle Kräfte anspornt.« Fennimore trank einen Schluck Wein, bevor er weitersprach. »Ich prophezeie Euch, daß wir im nächsten Jahrzehnt eine Handelsflotte aufbauen, um die uns die ganze Welt beneiden wird. Wir haben soeben eine schwere Herausforderung siegreich bestanden. Trotzdem sollten wir uns jetzt nicht über unsere Feinde lustig machen, sondern nach wahrer Größe streben. Unser Spott kann sie nicht schädigen, unsere Flotte dagegen schon. Wir müssen die Handelsschiffe Venedigs und die Tartanen von Marseille schlagen. Unsere Seeleute haben mit Hilfe Gottes die Galeeren Barcelonas ja schon vernichtet.«
Ich klatschte unwillkürlich in die Hände und errötete dann verlegen, da alle Blicke sich mir zuwandten.
»Meinen Glückwunsch, Captain Landor«, murmelte ich. »Es hat mich geradezu mitgerissen.«
Er lächelte mir zu und wir blickten uns an – sehr lange. »Die Handelsschiffe müßten mit Kanonen ausgerüstet sein«, sagte mein Vater.
»Selbstverständlich«, stimmte Fennimore sofort zu. »Leider wird es wohl immer Piraten geben. Unsere Schiffsbauer müssen von jetzt an mit doppeltem Fleiß arbeiten, denn wir brauchen Schiffe, Schiffe und nochmals Schiffe.«
»England war immer auf Schiffe angewiesen«, meinte Carlos.
»Aber noch nie so sehr wie zur Zeit. Wir haben jetzt einen gewissen Vorsprung, denn ich glaube kaum, daß sich die Spanier je von dieser vernichtenden Niederlage erholen werden. Unsere Konkurrenten sind die Holländer, und die dürfen wir nicht unterschätzen. Wir müssen uns vielmehr gut vorbereiten.«
»Und darüber wollt Ihr Euch mit mir unterhalten?« fragte mein Vater.
»Captain Pennlyon, Euer Lob erklingt allenthalben an diesen Küsten. Selbst die Königin schätzt Euch als einen der Beschützer des Reichs.«
»Gott segne sie«, sagte mein Vater, hob den Becher, und wir tranken alle auf Königin Elisabeth.
»Möge dies der Beginn einer neuen Epoche, eines großen Zeitalters des Friedens, von Handel und Wohlstand sein!« Fennimores Stimme klang ernst.
»Amen«, fügte meine Mutter hinzu.
Mein Vater schaute sie an, und ich sah sie beide lächeln. Da wußte ich, daß Mutter ihn dazu überreden wollte, über Fennimores Vorschläge nachzudenken. Und ich wußte auch, daß er sich überreden lassen würde.
Kurz darauf wandte sich die Unterhaltung allgemeineren Dingen zu.
Jacko zeigte uns zwei neue Münzen, die zur Verherrlichung des großen Sieges geprägt worden waren. Wir amüsierten uns köstlich über den eingravierten Spruch ›Venit, vidit, fugit‹, eine Anspielung auf Caesars ›Veni, vidi, vici‹ Die Spanier waren gekommen, hatten gesehen und waren geflohen.
Mein Vater mußte immer wieder laut lachen, wenn sein Blick darauf fiel.
»Der Captain hat einen großen Verlust erlitten«, sagte meine Mutter schmunzelnd, »denn er hat seine Spanier verloren. Was willst du nun eigentlich tun, Jake, da du keinen mehr verfluchen, keinem die Kehle durchschneiden und dein Schwert in den Bauch rammen kannst?«
Er warf ihr einen funkelnden Blick zu. »Ich bin sicher, daß sich noch einige in unserem Land herumtreiben, die den Stahl meines Schwertes zu spüren bekommen werden.« Edwina warf die Bemerkung ein, daß Robert Dudleys Tod der Königin offensichtlich großen Kummer bereitet habe. »Sie hat ihn sehr geliebt. Wie traurig, daß sie ihn nicht heiraten konnte. Bestimmt hätte sie nichts lieber getan als das.«
»Dazu war sie viel zu klug«, wandte Fennimore ein. »Sie ist eine große Königin, und England kommt bei ihr an erster Stelle. Sie würde nie einen Mann zwischen sich und ihre Pflichten gegenüber ihrem Land treten lassen.«
»Mir gefällt die Münze mit dem Spruch ›Dux femina facti‹, der betont, daß eine Frau maßgeblich am Sieg beteiligt war. So etwas geben Männer im allgemeinen ja nicht gerne zu«, sagte meine Mutter.
»Vergiß nicht, daß sie eine ungewöhnliche Frau ist und eine Krone trägt«, sagte mein Vater. »Wo kämen wir denn hin, wenn alle Frauen glaubten, sie können die Männer regieren.«
»Es käme auf einen Versuch an«, widersprach meine Mutter.
Nach Edwinas Ansicht sollten Männer und Frauen zusammenarbeiten und keine Rivalen sein, sondern einander ergänzen.
»Wenn die Männer das beherzigen würden, gäbe es zwischen den Geschlechtern kein Mißverständnis mehr«, stimmte meine Mutter zu.
»Ist es eigentlich wahr, daß Robert Dudley vergiftet wurde?« fragte Penn.
Es entstand ein kurzes Schweigen, denn üblicherweise sprach man über solche Dinge nicht offen. Doch durch die Aufregung der letzten Wochen waren wir wohl ein bißchen leichtsinnig geworden.
Hofgeschichten interessierten uns alle brennend. Einer der Gründe dafür war wohl, daß wir so weit von London entfernt lebten. Diese Distanz brachte es wohl auch mit sich, daß wir etwas unvorsichtiger waren, als wir dies in größerer Nähe zu Elisabeths Hof gewagt hätten.
Meiner Mutter war zu Ohren gekommen, daß Robert Dudleys Frau sich in ihren Oberstallmeister Christopher Blount verliebt hatte. Es ging das Gerücht um, daß Dudley von ihr ermordet worden sei, damit sie sich mit Blount vermählen könne.
»Nun ja, er ließ seine erste Frau umbringen«, meinte Penn. »Also kann er sich eigentlich nicht darüber beklagen, wenn ihn seine zweite vergiftet.«
Wir mußten alle lachen, doch Romilly schüttelte besorgt den Kopf. »Still, Penn! So was solltest du nicht sagen.«
»Wieso nicht, wenn es wahr ist?« erwiderte er und schaute meinen Vater beifallheischend an, doch der verzog keine Miene. Vielleicht dachte er immer noch über die Handelsschiffe nach.
»Es gibt bisher keinen Beweis dafür«, mischte sich nun meine Mutter ein. »Edwina, erzähl uns doch mal den neuesten Hofklatsch.«
Edwinas Stiefvater, Lord Remus, bekleidete eine Stellung am Hof, was dazu führte, daß ab und zu Besuch aus London in Trewynd eintraf. Und außerdem berichtete Edwinas Mutter regelmäßig brieflich über alle wichtigen Neuigkeiten.
»Anscheinend hat es immer viel Gerede über Robert Earl of Leicester gegeben«, begann Edwina. »Daran ist wohl hauptsächlich seine Beziehung zur Königin schuld. Es heißt, sie sei über seinen Tod untröstlich. Andererseits glaube ich, daß sie ihm seine Heirat nie verziehen hat.«
Die Liebschaften am Hofe waren ein unerschöpfliches Thema. Zu den größten Frauenhelden hatte Robert Dudley, Earl of Leicester, gezählt. Inzwischen drehte sich unsere Unterhaltung um Gift, das immer raffinierter angewendet wurde. Es gab unzählige Geheimnisse des Giftmischens, und viele Leute starben eines unerklärlichen Todes. Leicester sagte man nach, er habe es auf diesem Gebiet zu wahrer Meisterschaft gebracht.
Jeder wußte Bescheid, wie leidenschaftlich die Königin ihn geliebt hatte und auf welch merkwürdige Weise seine erste Frau, Amy Robsart, umgekommen war. Die allgemeine Ansicht lautete, daß er sie aus dem Weg geräumt hatte. Die Königin hatte es jedenfalls nicht gewagt, den Witwer zu heiraten. Als Maria Stuart, die schottische Königin, in Fotheringay enthauptet worden war – es war gerade knapp ein Jahr her –, war viel über Königin Elisabeth, Amy Robsart und den Earl of Leicester getuschelt worden, da Maria sich in ganz ähnlicher Lage befunden hatte. Ihr Ehemann, Lord Darnley, war ermordet worden, und Maria hatte seinen Mörder, den Earl of Bothwell, geheiratet. Es hieß, daß damit ihr Schicksal, der Tod auf dem Schafott, besiegelt gewesen sei. Unsere eigene Königin wurde ihrer Klugheit wegen sehr bewundert. Sie hatte Leicester nicht geheiratet, sondern ihn weiterhin hoffen lassen und in ihrer engsten Umgebung behalten. Als er erkannte, daß Elisabeth ihn nie zum Mann nehmen würde, und daraufhin eine andere heiratete, war seine Frau Lettice vom Haß der Königin verfolgt worden. Es ging das Gerücht, daß Leicester zuvor schon heimlich Lady Sheffield geheiratet hatte, deren damaligem Ehemann er Gift gab, um freie Bahn zu haben. Als er sie dann später wieder loswerden wollte, hatte er auch sie zu vergiften versucht.
»Ihre Nägel wurden brüchig, und die Haare fielen ihr aus«, sagte Edwina. »Die Königin vermutete schon, daß es irgendeine Liaison zwischen den beiden gab, und ließ sie überwachen. Merkwürdig, daß sie Leicester trotz allem immer noch die Treue hielt.«
»Unsere Königin ist eben eine treue Frau«, sagte mein Vater. »Ein Vorbild für euch alle.«
Er schaute dabei meine Mutter an, die den Blick senkte. Vielleicht dachte sie daran zurück, daß sie vor einiger Zeit krank gewesen war und Jake verdächtigt hatte, er wolle sie umbringen. Was für ein unsinniger Gedanke! Ich glaube, daß sie das inzwischen auch ganz klar erkannte.
»Ja, wirklich«, stimmte meine Mutter zu. »Sicher war sie sehr in Versuchung, Leicester zu heiraten. Er hoffte jahrelang darauf, daß sie ihre Meinung ändern und ihn doch heiraten würde, aber vergeblich. Der alte Skandal wäre sonst sicher wieder aufgerührt worden, denn die Menschen haben für so etwas ein sehr gutes Gedächtnis.«
»Und nun ist er tot. Glaubt ihr, daß er wirklich an Gift gestorben ist?« fragte ich.
»Bei Gift kann man nie ganz sicher sein«, meinte Edwina.
»Falls es stimmt, daß Lettice in Christopher Blount verliebt war, Leicester ihn deshalb zu vergiften versuchte und von seiner Frau einen von ihm selbst zubereiteten Gifttrank bekam …«
»Könnte es wirklich so gewesen sein?« fragte ich dazwischen.
»Ja, durchaus …«
Edwina mußte es eigentlich wissen, denn ihre Mutter war angeblich die Urgroßenkelin einer Hexe. Die Ärmste wurde deshalb häufig in unserer Familie aufgezogen.
Nun begann Edwina über Kräuter zu sprechen, die sie in großen Mengen im Garten von Trewynd züchtete und für deren Heilwirkung sie sich sehr interessierte. Wenn einer von uns sich nicht ganz wohl fühlte, fragte er immer zuerst Edwina, ob sie irgendeine Heilpflanze wüßte, bevor er den Apotheker oder den Arzt befragte.
Sie hatte erst kürzlich herausgefunden, daß Waldmeister gut für die Leber war, und behandelte nun einen der Pferdeknechte von Trewynd damit. Fennimore war von diesem Thema offensichtlich weit faszinierter als von dem Geplauder über Leicesters Affären.
»Es wäre wunderbar, wenn Ihr etwas fändet, das die Seeleute auf langen Schiffsreisen vor Krankheiten bewahrt«, sagte er eifrig. »Die gesunde Verpflegung der Mannschaft bietet große Schwierigkeiten. Es gibt an Bord schreckliche Leiden, wozu auch Skorbut gehört. Wenn Ihr ein Kraut ziehen könntet, das Skorbut heilt, würdet Ihr allen Seefahrern einen unschätzbaren Dienst erweisen.«
Edwina versprach, sich damit zu befassen, fügte aber bescheiden hinzu, daß sie nur einfache Kräuter pflanze und ein wenig herumprobiere.
»Vielleicht hilft schon ein ganz einfaches Kraut, um Skorbut zu heilen«, erwiderte Fennimore ernst.
Kurz darauf sprach er wieder über das Meer und den Seehandel, von dem er sich soviel für England erhoffte.
Ich beobachtete von meinem Fenster aus, wie Fennimore Landor zu seinem Schiff hinübergerudert wurde. Meine Mutter kam ins Zimmer und trat neben mich. Gemeinsam schauten wir über die Bucht zur ›Passat‹ hinüber, die vom Mond geheimnisvoll beleuchtet wurde.
»Ein schönes Schiff«, sagte meine Mutter. »Was hältst du von seinem Kapitän?«
»Ich halte ihn für einen zielstrebigen Mann.«
»Zweifellos. Übrigens klang alles sehr vernünftig, was er vorbrachte.«
Ich freute mich über dieses Lob. Meine Mutter mußte dies wohl gemerkt haben, denn sie warf mir einen prüfenden Blick zu.
»Mir gefiel er gut«, fuhr sie fort. »Vor allem seine Ernsthaftigkeit. Er ist ein Idealist, und das sollte ein junger Mann eigentlich immer sein.«
»Wieviel besser wäre friedlicher Handel als dieser ewige Krieg!«
»Auch dabei wird es wohl nicht ohne Kampf abgehen«, erwiderte meine Mutter kopfschüttelnd. »Männer scheinen ohne das nicht auszukommen.«
»Wird Vater ihm bei seinem Vorhaben helfen?«
Meine Mutter überlegte und nickte dann. »Schon möglich. Als Kapitän, der daran gewöhnt ist, sich zu nehmen, was er braucht, wird Jake wohl anfangs Schwierigkeiten haben, sich an einen geregelten Handel zu gewöhnen. Aber er schien im Verlauf der Unterredung immer weniger Zweifel gegenüber Landors Plänen zu haben.«
»Wirst du ihn dazu überreden?«
Sie lachte. »Liebes Kind! Glaubst du wirklich, daß irgend jemand das bei deinem Vater fertigbrächte?«
»Ich glaube, dir würde es gelingen.«
»Ganz im Gegenteil! Wenn ich etwas für gut halte, wird Jake zu beweisen versuchen, daß ich im Irrtum bin. Dir hat der Captain also gefallen, Linnet?«
»Ja. Mich hat auch der Ernst und der feste Glaube an seine Pläne beeindruckt.«
»Falls dein Vater mit ihm gemeinsame Sache macht, werden wir ihn häufig sehen. Ich weiß inzwischen übrigens, wo er wohnt – an der Küste in Richtung auf Falmouth zu.«
»Also gar nicht so weit von hier entfernt.«
Meine Mutter nickte und lächelte dann plötzlich strahlend. »Edwina hat mir zugeflüstert, daß sie endlich ein Kind bekommt.«
»O wie schön! Sie kam mir heute abend auch so verändert vor, als ob sie irgendein Geheimnis mit sich herumtrüge.«
»Ich glaube, Edwina und Carlos hatten schon fast die Hoffnung aufgegeben, denn schließlich sind sie schon an die sieben Jahre verheiratet.«
»Eine lange Zeit«, stimmte ich zu.
»Ich kann mir so gut vorstellen, wie ihnen zumute ist.« Meine Mutter hatte jenen nach innen gekehrten Blick, wie immer, wenn sie sich an etwas längst Vergangenes erinnerte. »Das größte Glück empfindest du, Linnet, wenn du dein eigenes Kind in den Armen hältst. Ich weiß noch genau …«
Impulsiv schlang sie die Arme um mich und drückte mich fest an sich. Sie dachte bestimmt, auch ich solle bald heiraten und Kinder haben.
Auf solche Gedanken war sie durch das Auftauchen Fennimore Landors gekommen, daran bestand für mich kein Zweifel. Also mochte sie ihn und würde sich bestimmt bemühen, meinen Vater zur Zusammenarbeit zu überreden. Das bedeutete, daß der junge Mann von nun an möglicherweise häufiger Gast in Lyon Court sein würde …
Als die ›Passat‹ aus der Bucht segelte, war zwischen den beiden Kapitänen ein weiteres Treffen vereinbart worden. Mein Vater hatte immer stärkeres Interesse an Fennimores Plänen entwickelt und wollte ihn in wenigen Wochen zu weiteren Verhandlungen besuchen.
Ich freute mich sehr – meine Mutter nicht weniger –, als wir eingeladen wurden, mit von der Partie zu sein.
»Ich verstehe nicht, was Frauen bei Handelsgesprächen zu suchen haben« brummte mein Vater.
»Eine Frau sollte immer wissen, in welche Geschäfte ihr Mann verwickelt ist«, widersprach meine Mutter. »Auf jeden Fall nehme ich die Einladung für Linnet und mich gerne an.«
Als es dann soweit war, befand sich mein Vater mit Jacko auf einer kurzen Seereise. Deshalb sollten meine Mutter und ich zusammen mit ihrer Zofe Jennet und zwei Knechten die Reise nach Trystan Priory, dem Haus der Landors, über Land machen.
Wir brachen an einem Novembertag auf, der ungewöhnlich neblig und warm war. In den Hecken hingen glitzernde Spinnweben, und die kahlen Zweige zeichneten gegen den grauen Himmel ein Spitzenmuster. Stechginster, der eigentlich ständig unser Begleiter war, brachte etwas Farbe in das graue Einerlei. Mir fiel ein Spruch meines Vaters ein: »Die einzige Zeit, da ein Mann nicht mit einer Frau schlafen soll, ist die, wenn der Stechginster nicht blüht.« Der Stechginster blüht aber bekanntlich das ganze Jahr …
Ich war erwartungsvoll und aufgeregt. In der Luft lag etwas, das mir Abenteuer zu verheißen schien. Sicher hatte es etwas mit Fennimore zu tun, auf den ich mich schon sehr freute.
»Was für ein trübseliger Tag«, sagte meine Mutter, als wir Seite an Seite dahinritten.
»Findest du?« erwiderte ich in bester Laune, worauf sie plötzlich ganz verschmitzt lachte. Ihre Gedanken waren leicht zu erraten. Ich war achtzehn Jahre alt, also heiratsfähig. Jede Mutter möchte ihre Tochter unter die Haube bringen und träumt von Enkelkindern – und meine Mutter machte hier keine Ausnahme. Sie hatte beschlossen, daß es Fennimore sein sollte, dessen Aufrichtigkeit sie beeindruckt hatte. Vielleicht spielte auch die Überlegung eine Rolle, daß sie mich dann weiterhin häufig sehen konnte, da er nicht allzuweit entfernt wohnte. Sie war nämlich sehr traurig darüber, daß ihre eigene, innig geliebte Mutter im fernen London lebte.
Ja, ich war an jenem Morgen bester Dinge. Vielleicht lauerte auch eine gewisse Warnung im dichten Nebel, aber ich wollte sie nicht wahrnehmen …
Die Reise führte uns über Landstraßen zwischen hohen grünen Böschungen und Hecken hindurch, in denen noch einige wilde Blumen blühten – Feuernelken, Taubnesseln, Hirtentäschel. Ab und zu hatten wir einen kurzen Durchblick auf das Meer, das an diesem windstillen Tag grau und ruhig dalag. Wir begegneten nur wenigen Leuten und sahen auch nur ganz vereinzelt Bauern bei der Arbeit auf dem Feld.
Wir kamen gut voran und erreichten noch vor Dunkelheit eine Herberge, wo wir die Nacht verbrachten. Der Wirt setzte uns einen saftigen Braten und Ale vor. Wir ließen uns beides gut schmecken, dann begaben wir uns zur Ruhe. Meine Mutter und ich schliefen in einem breiten Bett, Jennet auf einem Strohsack. Die Knechte übernachteten bei den Pferden im Stall. Wir würden auch noch in einer zweiten Herberge absteigen müssen, bevor wir in Trystan Priory ankamen.
Trotz der Erregung, in der ich mich befand, schlief ich tief und fest. Bei Tagesanbruch waren wir alle frisch und munter und machten uns auf die Weiterreise.
Der zweite Tag glich dem ersten, nur die Landschaft veränderte sich ein wenig: Die Küste wurde felsiger, Wiesen und Felder waren nicht mehr so üppig grün wie bei uns in Devonshire. Am Abend gelangten wir zu dem Gasthaus ›Wanderers Ruh’‹.
Der Wirt kam zur Begrüßung an die Haustür und verbeugte sich tief. Selbstverständlich hatte er ein erstklassiges Zimmer für uns, würde ein Feuer im Kamin anzünden und uns eine Wärmpfanne ins Bett legen lassen. Er rieb sich beim Sprechen dauernd die Hände. Am Spieß drehte sich schon ein Spanferkel; Rindfleisch, Hammel und Pasteten warteten nur auf uns: er hatte folglich alles, was hungrige und müde Reisende locken konnte. Wenn wir nur die Güte hätten, uns ein Weilchen in der Gaststube aufzuhalten, würde unser Zimmer inzwischen hergerichtet werden. Natürlich das beste Quartier im ganzen Haus. Er teilte uns mit vertraulicher Miene mit, daß es das Eichenzimmer genannt wurde, da es eine ausnehmend schöne Täfelung habe. Einige seiner Gäste meinten gar, daß es selbst für die Königin gut genug wäre.
»Wenn unsere große Königin je in diese Gegend kommen sollte, dann kann ich sie so komfortabel einlogieren, wie sie es wohl kaum außerhalb ihres Palastes finden wird«, brüstete er sich.
Wahrlich ein herzliches Willkommen! Der Wirt fuhr fort, sich bei der Aussicht auf Verdienst die Hände zu reiben. Zwei Ladys, deren Zofe und zwei Pferdeknechte kehrten vermutlich nicht häufig auf einmal bei ihm ein.
Wir setzten uns in die Gaststube, tranken Wein und aßen kleine Kuchen, die recht gut mundeten. Der Braten würde erst in einer Weile fertig sein. In der Zwischenzeit hatte man in unserem Zimmer ein prasselndes Kaminfeuer entfacht, und wir stiegen erwartungsvoll in den ersten Stock hinauf. Im Licht zweier Kerzen sah der Raum sehr wohnlich aus. Der flackernde Widerschein der Flammen beleuchtete die wirklich ungewöhnlich schöne Täfelung mit sanftem Schimmer. »Es ist hübsch hier«, sagte ich anerkennend. »Der Wirt biedert sich zwar ein bißchen zu sehr an, scheint aber um unser Wohlergehen recht besorgt.«
»Wir können ihm eigentlich gleich mitteilen, daß wir auf der Rückreise auch wieder bei ihm Station machen wollen. Ungefähr in einer Woche … Ich bin nämlich nicht dafür, die freundliche Einladung nach Trystan Priory allzu lange auszudehnen.«
Jennet packte alles aus, was wir für die Nacht benötigten. Kurz darauf klopfte eine Magd an die Tür und teilte uns mit, daß das Abendessen bereitstehe.
»Wir kommen gleich hinunter«, sagte meine Mutter. »Ehrlich gesagt, habe ich großen Appetit.«
In diesem Augenblick drang vom Erdgeschoß Lärm herauf. »Was hör ich da, Mann?« schrie jemand mit befehlender Stimme. »Führ mich sofort hin! Wer auch immer das Eichenzimmer belegt hat, muß es sofort räumen! Du denkst wohl, ich begnüge mich mit einer deiner lausigen Kammern!«
Ich hörte den Wirt etwas erwidern. Sein einschmeichelnder Tonfall war einem ängstlichen Stottern gewichen. »Aber Mylord … wenn ich’s gewußt hätte … erst vor einer Stunde ungefähr … eine kleine Reisegesellschaft …«
»Das ist mir völlig gleichgültig«, lautete die scharfe Antwort. »Du mußt sie eben woanders einquartieren. Bei Gott, habe ich hier nicht immer im Eichenzimmer geschlafen? Was für ein anderes Ruhelager könntest du mir schon anbieten? Verrate mir das mal!«
»Keins, das für Eure Lordschaft angemessen wäre, das gebe ich ja zu, aber …«
»Aus dem Weg!«
Gleich darauf hörte ich schwere Tritte auf der Treppe.
Er blieb stehen, als er mich mit einer Kerze auf der Türschwelle stehen sah, und schaute zu mir herauf. Zu meinem Erstaunen war er ein noch junger Mann, wohl an die dreißig. Seine großen dunklen Augen glänzten, das Haar wirkte im Kerzenschein schwarz. Am auffälligsten war jedoch seine Körpergröße; ich schätzte ihn auf fast zwei Meter. Die breiten Schultern wirkten durch das wattierte Wams aus Satin und Seide mit den gebauschten, geschlitzten Ärmeln noch wuchtiger. Die Kniehosen waren aus feinstem Material geschneidert, den weiten Reisemantel hatte er achtlos um die Schultern geworfen. Dieser anmaßende Mensch, der offenbar Anspruch auf das Zimmer erhob, das man uns bereits vermietet hatte, war ein Stutzer, wie er im Buche steht.
»Soso, also Ihr habt mir mein Zimmer weggenommen, Madam!«
»Gehört es denn Euch, Sir?« erwiderte ich. »Ich hielt es für einen Raum, den der Wirt für seine Gäste bereithält, und meine Mutter und ich haben uns schon einquartiert.«
»Ach, tatsächlich?« Mit unangenehmem Lächeln stieg er weiter die Treppe herauf.
»Ich kehre häufig hier ein«, erklärte er schroff. »Ab und zu bleibe ich auch über Nacht, und dieses Zimmer steht mir immer zur Verfügung.«
»Dann ist der heutige Tag eine Ausnahme.«
Meine Mutter war neben mich getreten, und ich spürte niemand sonst hätte es bemerkt – ihre leise Unruhe. Doch sie war kein Mensch, der seine Rechte kampflos aufgab. »Wollt Ihr mir bitte erklären, worum es sich handelt, Sir?« sagte sie höflich.
Er verbeugte sich kurz vor ihr. »Es hängt ganz von Euch ab, Madam, ob es sich um etwas Unangenehmes handelt oder nicht. Ihr habt mein Zimmer belegt. Räumt es, und Ihr werdet eine ruhige, wenn auch etwas weniger komfortable Nacht verbringen.«
»Wir haben es aber bereits gemietet.«
»Mag sein. Aber das geschah vor meiner Ankunft. Nessie!« brüllte er gleich darauf los. »Zum Teufel, wo steckt deine Tochter, Mann?« ging es in derselben Lautstärke weiter. Der Gastwirt drückte sich am Fuß der Treppe herum. »Ich werde sie holen und zu Euch schicken, Mylord.«
»Aber schnell! Ich kann es nicht leiden, wenn man mich warten läßt.«
Sein Blick ruhte auf mir. »Glaubt nur nicht, daß es mir Spaß macht, eine schöne Dame aus ihrem Bett zu vertreiben.«
»Davon bin ich völlig überzeugt«, gab ich scharf zurück. »Und ebenso überzeugt bin ich, daß unser Wirt Euch ein anderes bequemes Quartier zur Verfügung stellt.« Er hatte das Zimmer bereits betreten. Meine Mutter musterte ihn kühl, während Jennet ihn mit offenem Mund anstarrte. Ich ahnte, was in ihrem Kopf vorging. Er war die Art Mann, die sie geradezu anbetete. Wenn er sie eines Blickes gewürdigt hätte, sie hätte alle seine Wünsche mit äußerster Bereitwilligkeit erfüllt. Aber er schien sie überhaupt nicht wahrzunehmen. »Ist diese Täfelung nicht wunderbar?« murmelte er und strich mit den Fingerspitzen darüber. »Sogar für ein Herrenhaus wäre sie nicht schlecht. Auch das Bett ist übrigens hervorragend. Es gibt in keinem Gasthaus weit und breit ein besseres.«
»Bestimmt schließe ich mich Eurer Meinung gern an, nachdem ich darin gelegen habe«, sagte ich.
»Nun, wir werden uns rascher einigen müssen, denn ich will diese Nacht in diesem Bett schlafen …«
»Da ich heute darin liegen werde, kommt das wohl kaum in Frage, Sir«, unterbrach ich ihn.
»Wieso? Das würde mich keineswegs stören«, erwiderte er frech.
Ich wurde rot, und meine Mutter mischte sich in die Unterhaltung ein. »Ich muß Euch bitten, uns jetzt allein zu lassen, Sir. Falls Ihr uns weiterhin beleidigt, wird mein Mann davon erfahren.«
»Und wer ist der Gentleman, wenn ich fragen darf? Unser Wirt hat es bedauerlicherweise versäumt, uns vorzustellen.«
»Captain Jake Pennlyon. Und er hat es noch nie geduldet, daß Frau und Tochter beleidigt werden«, erklärte meine Mutter schroff.
»Sein Ruf ist bis zu mir gedrungen. Wer kennt ihn nicht? Na, da ist Nessie ja endlich! Du hast dir reichlich viel Zeit gelassen, Mädchen. Meine Ankunft ist dir wohl entgangen?«
Nessie machte hastig einen Knicks. Sie war ein rundliches, hübsches Ding mit rosigen Wangen und einer Fülle blonder Locken. Ihr Kleid war tief ausgeschnitten, und es schoß mir durch den Kopf, daß sie diesen Gentleman wohl sehr gut kannte. Er kniff sie ins Ohrläppchen, worauf sie einen Schrei ausstieß und ihn abzuwehren versuchte. Vergnügt lachend strich er ihr über den Busen.
»Nessie, an die Arbeit! Dies Gepäck hier schaffst du hinaus, meins herein.«
»Das werde ich nicht zulassen«, wandte meine Mutter aufgebracht ein.
»Verehrte Lady, wie wollt Ihr es denn verhindern?«
»Als erstes werde ich mit dem Gastwirt sprechen.«
»Gehen wir am besten gleich zu ihm hinunter«, stimmte ich zu. »Komm, Jennet.«
Sie ließ das Gepäck, wo es war, und folgte uns zur Treppe. Der Wirt wartete schon in der geräumigen Diele. Ich sah, daß er zitterte wie Espenlaub.
»Das ist ja eine feine Art, Gäste zu behandeln«, beschwerte sich meine Mutter.
»Glaubt mir, ich kann nichts dafür!« jammerte er. »Ich hatte keine Ahnung, daß er heute abend herkommen würde, denn er war ja erst letzte Woche hier … Ich habe aber ein anderes sehr hübsches Zimmer …«
»Nein«, unterbrach ihn meine Mutter sofort, doch ihre Stimme klang unentschlossen. Draußen war es schon dunkel. Wohin sollten wir uns wenden, falls wir dieses Gasthaus verließen? Das nächste lag sicher meilenweit entfernt. Außerdem waren die Pferde müde. Es blieb ihr also wohl nichts anderes übrig, als zu bleiben, auch wenn sie voller Zorn war wegen des rüpelhaften Benehmens des Fremden. »Mylady, Ihr kennt Squire Colum Casvellyn nicht«, meinte der Wirt seufzend.
»Wenn das der Name dieses Flegels ist, dann lege ich auch gar keinen Wert darauf!«
»Ach, Mylady, da kann man nichts machen als nachgeben. Ich werde ein gutes Zimmer für Euch herrichten lassen. Es ist zwar nicht unser bestes, aber wahrlich auch nicht schlecht, und Ihr könnt die Nacht über friedlich schlafen.«
»Ihr habt anscheinend schon vergessen, daß Ihr uns das Eichenzimmer bereits gegeben hattet.«
»Nein, Madam, aber Squire Casvellyn kann sehr, sehr unangenehm werden. Er ist ein Mann, der völligen Gehorsam verlangt. Ich wage mir nicht auszumalen, was aus uns allen wird, wenn ich ihm sein gewohntes Quartier verweigere.«
»Ich werde mich mit meiner Tochter beraten«, entgegnete sie.
Er nickte, und wir betraten die Gaststube, die zum Glück leer war. Jennet setzte sich in einiger Entfernung von uns hin. »Mach kein solches Gesicht, Jennet«, sagte meine Mutter unwillig. »Dieser Prahlhans schenkt dir keinen einzigen Blick. Du bist schließlich nicht mehr die Jüngste.«
Jennet lächelte geziert, und ich wunderte mich wieder einmal über ihren unerschütterlichen Gleichmut. Von meiner Mutter wußte ich, daß sie schon immer so gewesen war. Was sie auch in der Vergangenheit erlebt haben mochte und wie oft war sie brutal verführt worden! –, sie hatte ihr Schicksal ohne Klagen auf sich genommen. Meine Mutter meinte, daß sie vielleicht sogar ein recht williges Opfer gewesen sei.
»Es ist wohl das beste, wir nehmen das kleinere Zimmer«, sagte meine Mutter. »Ich wünschte, dein Vater wäre hier.«
»Dann gäbe es eine Schlägerei, und das mag ich gar nicht.«
»Dein Vater würde kurzen Prozeß mit ihm machen.«
Ich war mir nicht so sicher, denn ich spürte in diesem Mann eine ähnliche Kraft wie in meinem Vater, und außerdem war er um viele Jahre jünger.
»Oh, wie ich es hasse, diesem Rohling nachgeben zu müssen!« sagte ich erbittert.
»Mir geht es genauso, Linnet. Aber was geschieht, wenn wir uns weigern, das Zimmer zu räumen? Vielleicht wirft er uns eigenhändig hinaus. Nein, es ist schon besser, einzulenken und Würde zu bewahren.«
Meine Mutter hatte völlig recht. Wir konnten uns nicht mit ihm anlegen, und seine Bemerkung, daß er ja die Nacht im selben Zimmer mit uns verbringen könne, hatte mich sehr beunruhigt.
»Dann wollen wir dem Wirt sagen, daß er uns das zweitbeste Zimmer herrichten soll«, sagte meine Mutter seufzend. Jennet holte ihn herbei. Er hielt die zitternden Hände unter der Schürze verschränkt und tat mir ehrlich leid.
»Wir haben uns gezwungenermaßen entschlossen, Euer Angebot anzunehmen.«
Der arme Kerl wirkte unendlich erleichtert. »Ein weiser Entschluß, Madam. Ich verspreche, daß alles getan wird, um …«
»Uns ist klar, daß die Schuld nicht bei Euch liegt«, unterbrach ihn meine Mutter. »Wer ist dieser Mann eigentlich, der Euch und Eure Bediensteten in dieser Weise herumkommandiert?«
»Er ist Herr auf Schloß Paling und in der ganzen Gegend gefürchtet, weil er große Macht hat. So ist das mit den Casvellyns schon immer gewesen. Ihnen gehört viel Land ringsum, und er kann uns von Haus und Hof verjagen, wenn wir seinen Zorn erregen. Er kennt keine Gnade. Auch sein Vater war unser Herr, aber verglichen mit seinem Sohn war er geradezu gütig.«
»Ihr lebt also in ständiger Angst vor ihm?«
»Er kommt nicht häufig hier vorbei, deshalb hatte ich ihn heute ja auch gar nicht erwartet. Squire Casvellyn entlohnt mich sehr großzügig für sein Quartier, denn knauserig ist er nicht. Auf Schloß Paling soll er in großem Luxus leben, wie ich gehört habe. Meine Tochter war einmal dort …«
»Eure Tochter … Nessie?« fragte ich scharf.
Der Wirt machte ein verlegenes Gesicht, und ich dachte mir, daß Nessie vermutlich in dem Bett schlafen würde, das man uns weggenommen hatte.
»Ja, er geruht, sie zu … bemerken. Zu denen, die sein Wohlgefallen erregen, ist er gut.«
Ich fühlte mich angeekelt. »Man soll uns das andere Zimmer zeigen«, sagte ich zu ihm und wandte mich dann an meine Mutter. »Das Ganze ist unwichtig. Morgen haben wir es schon hinter uns.«
»Myladys, ich bin Euch für Euer Verständnis seht dankbar. Und glaubt mir, daß ich den Vorfall zutiefst bedaure.«
»Schon gut«, sagte meine Mutter. »Laßt unser Gepäck in das andere Zimmer schaffen.«
»Das wird erledigt, während Ihr zu Abend eßt«, erwiderte der Wirt, der sich rasch wieder gefaßt hatte. »Ich hoffe, daß das delikat zubereitete Spanferkel – bestimmt habt Ihr noch nie ein zarteres gekostet – Euch ein wenig für die ganze Aufregung entschädigen wird.«
In der Gaststube war der Boden mit frisch geschnittenen Binsen ausgelegt, und es roch sehr verheißungsvoll. Ich war hungrig und sah mit Freude, daß schon aufgetischt war. Das Spanferkel hätte nicht saftiger und appetitlicher aussehen können. Es gab verschiedene Fleischpasteten, Roastbeef und Hammel, Wildgeflügel, Gewürzkuchen, Marzipan und Pfeffergebäck.
Wir ließen uns gerade das Spanferkel schmecken, als Colum Casvellyn hereinkam. Ich schaute nicht hin zu ihm, sondern unterhielt mich weiter mit meiner Mutter, als sei er überhaupt nicht anwesend.
Natürlich war er nicht der Mann, der sich so einfach übersehen ließ!
Er rief gebieterisch den Wirt herbei, verlangte das beste Stück des Bratens und die größte Pastete. Nessie bediente nur ihn, damit jeder seiner Wünsche unverzüglich befriedigt werden konnte.
»Heute war ein herrlicher Tag, nicht wahr?« sprach er mich an.
»Ja.«
»Habt Ihr eine weite Strecke zurückgelegt?«
»Ein Tagesritt liegt hinter uns.«
»Und wie weit ist das?«
»Das hängt selbstverständlich von den Reitern ab.«
»Meine Frage bezog sich auf die Reiterinnen.« Er machte eine Kopfbewegung zu uns hin.
»Wir sind vor zwei Tagen in Plymouth aufgebrochen.«
»Plymouth … ja natürlich. Captain Jake Pennlyon. Einer unserer Nationalhelden.«
»Zweifellos wart doch auch Ihr bei der Kriegsflotte, Sir.«
»Aye, aye. Ich habe mich sogar bestens bewährt.«
»Auch daran habe ich nicht gezweifelt … Mutter, bist du fertig?«
Sie nickte.
»Dann wollen wir uns jetzt ansehen, wo wir die Nacht verbringen müssen. Ich bin schon sehr neugierig … Sicher gar kein Vergleich mit dem Zimmer, das uns dieser Gentleman weggenommen hat.«
Er lachte laut auf.
Leider mußten wir beim Hinausgehen dicht an ihm vorbei. Er nützte diese Gelegenheit sofort aus und packte mein Kleid, so daß ich gezwungenermaßen stehenblieb. Nun konnte ich seinem Blick nicht mehr ausweichen. In den dunklen Augen funkelte Bosheit und … etwas anderes. Ich war verwirrt und versuchte mich loszureißen, doch umsonst.
»Sir?« sagte ich so eisig wie möglich.
Meine Mutter zog mich am Arm, da sie nicht gemerkt hatte, daß er mich festhielt.
»Laßt sofort mein Kleid los!« sagte ich empört.
»Ich möchte mich nur als höflicher Mensch erweisen.«
»Höflich! Ich begreife Euer Verhalten nicht«, gab ich zurück.
Jetzt mischte sich meine Mutter erregt ein. »Wie könnt Ihr es wagen, meine Tochter zu belästigen! Wenn Ihr nicht sofort …«
Mit ironisch hochgezogenen Brauen und unverschämtem Grinsen wartete er darauf, daß sie weitersprach. Er wollte sich voller Vergnügen ihre Drohungen anhören, da er ganz genau wußte, daß sich dadurch nichts ändern würde. Er war hier der Herr, vor dem alle Angst hatten. Was konnten zwei hilflose weibliche Wesen gegen einen solchen Mann schon ausrichten?
»Ich wollte gerade erklären, Madam, daß ich von Euch nicht zu ungünstig beurteilt werden möchte. Deshalb werde ich dem Wirt sagen, daß ich mich mit der bescheideneren Schlafstatt begnüge und Euch das Eichenzimmer überlasse.«
Wir waren vor Überraschung buchstäblich sprachlos. Meine Mutter gewann als erste ihre Fassung zurück. »Das ist nicht nötig«, sagte sie kühl. »Wir haben uns schon völlig darauf eingestellt, in einer der Kammern zu schlafen.«
Er ließ meinen Rock los und schlug mit der Faust krachend auf die Tischplatte. »Ihr bekommt das Eichenzimmer, und ich schlafe friedlich in der Kammer. Nessie, hol deinen Vater! Mach schnell, Mädchen! Steh nicht so dumm herum!« Beim Verlassen des Gastraumes trafen wir auf den herbeihastenden Wirt. »Die Ladys sollen das Eichenzimmer haben«, rief Colum Casvellyn. »Schaff ihr Gepäck zurück. Ich trete ihnen mein Bett ab. Nessie, her mit dem Wein!« Meine Mutter wandte sich an den Wirt. »Was ist das für ein lächerliches Hin und Her! Damit muß endlich Schluß sein. Wir werden das Eichenzimmer nicht mehr betreten, sondern es diesem … diesem … Rüpel überlassen!«
Der Wirt schüttelte den Kopf und begann von neuem zu zittern. »Er hat befohlen, wie es sein soll, Madam, und genauso muß es auch geschehen.«
Er wirkte so verängstigt, daß meine Mutter achselzuckend nachgab. Unsere Reisetaschen wurden in das Eichenzimmer zurückgebracht, Jennet begann auszupacken, und wir machten uns für die Nacht zurecht.
Meine Mutter verriegelte die Tür. Wenn solche Leute im Gasthof logierten, könne man nicht vorsichtig genug sein, meinte sie.
Ich war viel zu unruhig, um rasch einzuschlafen. Dauernd mußte ich an Colum Casvellyn denken und stellte ihn mir mit Nessie im Bett vor, denn ich war überzeugt davon, daß sie die Nacht gemeinsam verbrachten. Ich fühlte mich auf unangenehme Weise erregt. In mir war etwas geweckt worden, dessen ich mir bisher nicht bewußt war.
Auch meine Mutter wirkte zunächst hellwach. Wir unterhielten uns noch ein Weilchen, verstummten dann, und schließlich schlummerte sie ein. Jennet hatte sich auf ihrem Strohsack ausgestreckt und atmete tief und gleichmäßig. Ich versuchte, mich sowenig wie möglich herumzuwälzen, um meine Mutter nicht zu stören, und lag folglich recht steif und unbequem da.
Mitten in meine Gedanken hinein glaubte ich plötzlich ein leises Klopfen am Fensterrahmen zu hören. Zuerst hielt ich es für Einbildung, blieb still liegen und lauschte. Dann klopfte es wieder. Vorsichtig schlüpfte ich unter der Decke hervor und ging zum Fenster hinüber. Ich stieß es auf und schaute hinaus. Weißes Mondlicht lag auf Bäumen, Hecken und Wiesen. Es war ein wunderschöner Anblick, und süßer Blütenduft lag in der Luft. Dann löste sich eine Gestalt aus dem Dunkel der Bäume und stellte sich breitbeinig unter mein Fenster.
Ich zuckte zurück und hörte ihn lachen. Er führte die Hand an die Lippen, drückte einen Kuß darauf und schien ihn mir mit einer raschen Bewegung zuwerfen zu wollen. Ich war so verblüfft, daß ich einige Sekunden bewegungslos stehenblieb und ihn nur anschaute. Er breitete weit die Arme aus, als lade er mich ein, zu ihm hinauszukommen.
Hastig schloß ich das Fenster und stieg wieder ins Bett. Ich zitterte am ganzen Körper und behielt das Fenster im Auge, als erwartete ich, ihn im nächsten Augenblick dort auftauchen zu sehen. Angespannt lauschte ich auf ein Geräusch an der Tür.
Nichts geschah.
Erst viel später fiel ich in unruhigen Schlummer, gequält von wirren, unzusammenhängenden Träumen, in denen er die Hauptrolle spielte.
Schon vor Tagesanbruch erwachten wir. Der Wirt tischte uns ein herzhaftes warmes Frühstück auf, und wir ritten mit den ersten Sonnenstrahlen los, bevor das Gasthaus seine volle Geschäftigkeit entfaltet hatte.
Ich war froh wegzukommen, wußte aber genau, daß ich mich an Colum Casvellyn mit einer Mischung aus Schrecken und Faszination noch lange erinnern würde.
Trystan Priory war ein herrschaftlicher Besitz, der an die fünf Meilen landeinwärts lag. Das Haus war erst kürzlich an Stelle einer alten Priorei errichtet worden, die zerstört worden war, als während der Regierung von Königin Elisabeths Vater die Klöster aufgehoben wurden. Ein paar Ruinen der alten Priorei waren erhalten geblieben, und Fennimore zeigte sie uns am ersten Tag, als wir alle auf die Ankunft meines Vaters warteten, mit sichtlichem Vergnügen.
Die Landors waren ganz reizend – er war Seekapitän wie mein Vater –, und Fennimore selbst gefiel mir. immer besser. Ich mochte seinen ruhigen Ernst und seine Zielstrebigkeit. Plötzlich ertappte ich mich dabei, daß ich ihn unwillkürlich mit dem Mann verglich, den wir in dem Gasthaus kennengelernt hatten. Jener nahm sich, was er haben wollte, und das traf in gewisser Weise sicher auch auf Fennimore zu. Doch wie sehr unterschieden sie sich in ihrer Art! Fennimore würde meiner Meinung nach immer auf andere Menschen Rücksicht nehmen …
Trystan Priory war in Form eines E gebaut worden wie so viele Häuser unserer Zeit. Meine Mutter und ich bekamen nebeneinanderliegende Zimmer, und auch Jennet wurde nahebei in einer kleinen Kammer untergebracht. Als erstes fiel mir die friedliche Stimmung auf, die über dem ganzen Besitz zu ruhen schien.
Auch meiner Mutter gefielen unsere Gastgeber ausnehmend gut, und sie schien mit ihnen ein stillschweigendes Abkommen getroffen zu haben, daß Fennimore sich um mich kümmern sollte. Am ersten Vormittag erbot er sich, mich auf dem Besitz herumzuführen. Er war der Ansicht, daß ich nach einem Dreitageritt sicher eine Ruhepause nötig hätte. Daher würden wir uns alles zu Fuß ansehen. Ich war damit sehr einverstanden.
Die große Treppe, die von der Halle zur Galerie hinaufführte, hatte ein wundervoll geschnitztes Geländer. Oben hingen wie bei uns die Familienporträts. Ich blieb vor dem Bild Fennimores stehen, der den Betrachter mit offenem Blick geradewegs anzuschauen schien – ein Mann, der ganz genau wußte, was er wollte.
Unmittelbar daneben war ein Platz frei gelassen. Bestimmt hatte dort einmal ein Gemälde gehangen, und ich überlegte flüchtig, warum es wohl abgenommen worden war … Das Haus war sehr wohnlich, weniger überladen als Lyon Court und im Vergleich mit dem alten Besitz Trewynd Grange nach neuester Mode. Auch hier gab es eine Winterstube, die während der kalten Jahreszeit und im Familienkreis viel benutzt wurde. Die Küche war sehr geräumig, und es gab viele Feuerstellen und Bratspieße. Fennimore wies mich darauf hin, wie praktisch es sei, daß die Küche so nahe an Winterstube und Haupthalle lag. Diese Halle war wie in Lyon Court und in Trewynd der Mittelpunkt des Hauses, wo getafelt wurde, wenn eine große Tischrunde versammelt war.