Im Schutz der Orchideen - Karola Schmidt - E-Book

Im Schutz der Orchideen E-Book

Karola Schmidt

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Beschreibung

Samantha Black führt ein beschauliches Leben in Los Angeles. Doch nach einem Überfall holt sie ihre Vergangenheit wieder ein. Sie verliebt sich in einen alten Bekannten und stürzt in ein Gefühlschaos. Ein Strudel von überraschenden Ereignissen führt sie schließlich nach Kolumbien. Dort werden sie und ihre Familie in die Machenschaften von Mafia und Geheimdiensten hineingezogen. Plötzlich kämpft sie mit ihren Freunden in Bogota ums Überleben.

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Karola Schmidt

Im Schutz

der Orchideen

Roman

Karola Schmidt

Im Schutz der Orchideen

Impressum

Im Schutz der Orchideen

Karola Schmidt

Copyright:©2015 Karola Schmidt

published by: epubli GmbH, Berlin,

www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-3040-8

1. Auflage

Coverfoto: Copyright Olga Sarabarina,

Eibenweg 1, 72202 Nagold

www.onlineart-galerie.de

Prolog

Kolumbien.»Ich habe einen!«, rief Miguel seiner Mutter zu. Sie lächelte ihren Sohn an.»Leg ihn in dein Körbchen Schatz.«Es war bereits sein fünfter Pilz. Von weitem sah er das traurige Gesicht seiner kleinen Schwester Antonia. Sie hatte noch keinen einzigen Pilz in ihrem Körbchen. Miguel sah sich weiter um und schon entdeckte er wieder einen. Er nahm den Pilz, ging zu Antonia und stellte ihn unbemerkt neben ihren Korb. Es sah aus, als hätte er dort schon immer gestanden. Als Antonia den Pilz sah, strahlte sie.»Ich habe auch einen! Juhu!«, rief sie überglücklich. Miguels Mutter hatte alles beobachtet. Mit einem Lächeln im Gesicht sah sie zu ihrem Mann, der etwas abseits stand und sich über die Geste seines Sohnes freute. Plötzlich gab es in der Nähe einen lauten Knall und ließ alle hochschrecken. Eine Kugel zischte an Carlos vorbei und schlug neben ihm in einen Baum ein.»Das sind Schüsse!«Carlos und Dolores ließen die mit Pilzen gefüllten Körbe stehen und liefen zu ihren Kindern.»Schnell weg hier!«, flüsterte ihr Vater und nahm Miguel bei der Hand. Dolores riss ihre Tochter am Arm und folgte beiden. Hinter sich hörten sie Schritte.»Stehen bleiben!«, rief jemand. Doch Carlos und seine Familie rannten weiter. Carlos de Vargas wurde in diesem Moment klar, dass er etwas tun musste. Vor Jahren hatte er zufällig in der Nähe einen alten von Gestrüpp überwucherten Bunker entdeckt.

»Dolores, lauf mit den Kindern zu unserem Versteck. Ich werde sie, wer immer die auch sind, von euch ablenken.«»Aber Carlos?«»Keine Diskussion, bitte! Ich liebe euch!«Er gab seiner Frau und den Kindern einen Kuss und lief in eine andere Richtung.

Dolores de Vargas brachte ihre Kinder in den Bunker, wo sie dieses Wochenende mit der ganzen Familie einen Abenteuerurlaub erleben wollten.

»Miguel, du bist schon zwölf Jahre und ein großer Junge, pass auf deine Schwester auf. Hast du mich verstanden? Bleibt hier, bis ich wiederkomme.«

»Wo willst du denn hin Mama? Du kannst uns doch nicht allein lassen.«Tränen traten in Miguels Augen, doch er bemühte sich nicht zu weinen. Antonia klammerte sich an ihre Mutter.»Ich will nicht hier bleiben. Nimm mich mit Mami, bitte.«, jammerte sie.»Kinder kommt mal zu mir. Ihr müsst jetzt stark sein. Ich muss eurem Vater helfen. Versteht ihr das?«

Mit ängstlichem Blick sahen die beiden ihre Mutter an. Dolores blutete das Herz. Sie hoffte, dass alles nur ein Missverständnis war und diese Leute hinter jemand anderem her waren. Miguel nahm seine kleine Schwester in den Arm und begann sie zu trösten.

Dolores de Vargas verließ den Bunker und lief in die Richtung, in der ihr Mann verschwunden war. Plötzlich blieb sie abrupt stehen. An einigen Blättern klebte Blut. Dolores wurde vor Schreck übel. Sie folgte der Blutspur und plötzlich hörte sie einen entsetzlichen Schrei. Vorsichtig, Meter für Meter ging sie weiter und versteckte sich dann hinter dichten Büschen. Durch das Blätterwerk sah sie drei junge Männer. Einer von ihnen fiel sofort durch seine Größe auf. Er musste an die zwei Meter groß sein. Die anderen beiden waren kräftig gebaut.»Was hast du gesehen?«, schrie der große Mann den am Boden Sitzenden an. Als der nicht sofort antwortete schlug er mit seiner Faust zu. Als der Verletzte zur Seite kippte, erstarrte Dolores. Es war ihr Mann. Diese miesen Verbrecher hatten ihren geliebten Carlos schwer misshandelt. Eine Seite seines Gesichtes blutete sehr stark. Dolores hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Tränen rannen über ihr Gesicht. Plötzlich zückte der Riese ein Messer. Er zog Carlos an seinen Haaren in eine aufrechte Position, legte das Messer an sein rechtes Ohr und schnitt es ohne Vorwarnung ab. Carlos schrie jämmerlich vor Schmerz.

»Das wird dir eine Lehre sein uns zu belauschen. Das nächste Mal bist du tot.«Der Riese lachte herablassend, stieß Carlos auf den Boden und verschwand mit seinen Begleitern. Dolores rannte zu ihrem Mann. Sie zitterte am ganzen Körper. Zaghaft berührte sie Carlos am Arm. Er zuckte zusammen. Ein leises Stöhnen kam über seine Lippen.»Liebling, du lebst. Gott sei Dank!«, schluchzte Dolores leise. Sie half ihrem Mann auf die Beine, legte ihren Arm um seine Hüfte und stützte ihn so gut sie konnte. Carlos drückte ein Taschentuch an seine Ohrverletzung, um die Blutung zu stoppen.

»Hast du unsere Kinder in Sicherheit gebracht?«Die Worte waren kaum zu hören. Carlos Lippen waren aufgeplatzt und aus seinem Mund tropfte Blut.

Dolores tupfte ihrem Mann das Blut ab, sah ihn liebevoll an und nickte.»Sie warten im Bunker auf uns.«

Der Überfall

Los Angeles

»Mom bitte, leg das Messer weg, es ist nur Geld. Es lohnt sich nicht dafür zu sterben. Bitte Mom!«

Samantha versuchte ihre Mutter von dem Vorhaben abzubringen, den maskierten Mann mit einem simplen Küchenmesser anzugreifen. Die Person fuchtelte nervös mit einer Pistole herum und forderte Samantha zur Herausgabe ihrer Tageseinnahmen auf. Der Mann war so aufgebracht, dass sich sein Schweißgeruch, vermengt mit einem Schuss Alkohol, ekelerregend durch den ganzen Laden verteilte. Natürlich konnte man ein Menschenleben nicht mit Geld aufwiegen, trotzdem war Samantha sauer und wütend auf diesen Mistkerl. Schließlich hatte sie den ganzen Tag dafür hart gearbeitet.

Hier in Los Angeles wurde Samantha vor 26 Jahren geboren. Sam, wie sie kurz genannt wurde, sah mit ihren braunen, schulterlangen Haaren bezaubernd aus, hatte eine tolle Figur und war sehr selbstständig. Sie als reich zu bezeichnen, wäre übertrieben gewesen. Finanziell unabhängig traf es eher. Seit etwa zehn Jahren lebte sie mit ihrer Mutter wieder in Los Angeles. Aus beruflichen und familiären Gründen ihrer Eltern, hatte es sich so ergeben. Das Leben in L.A. war schön, aufregend, aber auch gefährlich, wie sie gerade erleben musste.

Mit der Hilfe ihrer Mutter hatte Samantha Black in L.A. ein Geschäft für Second Hand Mode eröffnet. Der größte Teil der Sachen stammte von bekannten Schauspielern, die hin und wieder ungenutzte Kleider, Hosen und so einiges andere vorbei brachten um es zu verkaufen oder auch nur loszuwerden. Es kam auch mal vor, dass Sam zu den Kunden persönlich fuhr, um die Sachen vor Ort abzuholen. Durch ihre liebenswerte, offene Art war Samantha immer gern gesehen und verschaffte sich so einen Bekanntheitsgrad. Ihrem Geschäft kam es sehr zu Gute und die Prominenten waren froh, dass sich jemand um die Entsorgung ihrer gebrauchten Bekleidung kümmerte.

Vor etwa einer Stunde war ihre Mutter vorbei gekommen, um bei der Tagesabrechnung zu helfen und ihre Tochter ein wenig beim Aufräumen zu unterstützen. Eigentlich hatte Sam mehr Angst um ihre Mutter als um sich selbst. Sie war davon überzeugt, dass der Kerl jeden Moment die Waffe auf ihre Mutter abfeuern würde.

Doch was im nächsten Moment geschah, konnte Samantha nicht so recht realisieren.

Hinter dem maskierten Mann erschien eine männliche Person und mit nur einem Handstreich hatte er den Dieb außer Gefecht gesetzt und zu Boden geschickt. Erst dachte Sam, er wäre tot, doch gleich darauf begann er sich langsam zu bewegen. Er stöhnte vor Schmerz. Der Fremde war so schnell und geschickt mit den Händen gewesen. Er wusste genau, wohin er zielen musste. Sam war beeindruckt und vor allem erleichtert.

Für einen kurzen Moment blickte sie in zwei faszinierend braune Augen.

»Du solltest die Cops rufen, bevor der Kerl wieder klar im Kopf ist.«

Mit diesen Worten drehte sich der fremde Retter um und verschwand genauso schnell, wie er erschienen war. Es ging alles so schnell, Sam hatte ihn nicht mal nach seinem Namen fragen können, um sich bei ihm zu bedanken. Trotzdem würde sie ihn immer wieder erkennen. Er war groß, hatte eine durchtrainierte Figur, sah unheimlich gut aus und diese Augen. Samantha schüttelte kurz den Kopf um wieder klar denken zu können. Nachdem sich Sam wieder gefasst hatte, wählte sie den Notruf der Polizei.

Es dauerte nur einige Minuten, da waren auch schon aus der Ferne die Sirenen des Polizeiwagens zu hören.

Zwei Polizeibeamte stellten Fragen über den Hergang des Überfalls. Sam konnte ihnen detaillierte Angaben und sogar Bildmaterial zur Verfügung stellen. In Los Angeles waren Überfälle auf Geschäfte an der Tagesordnung. Aus diesem Grund entschied sie sich für eine Überwachungskamera, deren Anschaffung sich gerade als hilfreich erwies. Jetzt nahm einer der Beamten dem immer noch am Boden liegenden Maskierten die Maske vom Gesicht. Eigentlich wollte sie nicht wissen, wer er war oder wie er aussah. Im nächsten Augenblick war Sam jedoch erschrocken, wie jung er aussah. Kaum zu glauben, fast noch ein Kind. Er konnte höchstens 15 oder 16 Jahre alt sein.

Ihre Mutter hatte sich inzwischen in einen der bequemen Sessel gesetzt. Sie sah blass aus, offenbar ging es ihr nicht ganz so gut. Sam holte ihr ein Glas Wasser.

Das Geschäft besaß Samantha Black bereits seit sechs Jahren und noch nie hatte jemand versucht sie auszurauben. Insgeheim hoffte sie, dass das auch nicht noch einmal passieren würde. Wenn dieser Unbekannte nicht aufgetaucht wäre, sie wollte sich nicht ausmalen, was noch hätte geschehen können. Die Polizeibeamten legten dem Täter Handschellen an und nahmen ihn mit.

Sam ging der Fremde nicht aus dem Kopf. Immer wieder sah sie ihn vor sich. Sie hatte das Gefühl, ihn zu kennen. Es kam ihr vor, als hätte sie ihn schon einmal irgendwo gesehen. Seine Stimme, seine Art, wie er sich bewegte. Sam versuchte sich zu erinnern, wo sie ihm schon mal begegnet sein könnte. Vielleicht hatte sie sich aber auch nur geirrt und ihre Einbildung war wieder einmal stärker.

Gefährliche List

Seit einigen Tagen herrschte in L.A. Hochbetrieb. Die Oskarverleihung stand vor der Tür. Jeder, der auf diesem Event dabei sein wollte, versuchte sich so schick wie nur möglich herauszuputzen. Da die meisten Sachen in Samanthas Geschäft von Schauspielern und anderen Prominenten in der Regel nur einmal getragen wurden, hatte sie in ihren Regalen und auf den Kleiderständern fast neuwertige Waren. Ihre Stammkunden wussten dies natürlich und so rannten sie ihr sozusagen die Tür ein. Für Sam war es gut, der Umsatz war gigantisch und genau deshalb hatte sie den Vorfall vor etwa zwei Wochen nicht vergessen.

Die meiste Zeit versuchte sie gelassen zu wirken, kam aber nicht umhin, ihre Umgebung mit anderen Augen zu sehen. So entging Samantha auch nicht, dass seit diesem bewussten Tag auf der gegenüberliegenden Seite in unterschiedlichen Abständen ein schwarzer Landrover parkte. Durch das Seitenfenster des Wagens erkannte sie den Mann, der ihr und ihrer Mom am Abend des Überfalls geholfen hatte. Sam war sich relativ sicher, dass er sie und ihr Geschäft beobachtete. Auf unerklärliche Weise war sie froh darüber, dass er in ihrer Nähe war.

Ihrer Mutter hatte sie nichts davon gesagt. Wie sie ihre Mom kannte, wäre sie sofort über die Straße zum Auto gelaufen oder hätte die Polizei gerufen. Sie versuchte schon immer ihre Tochter zu beschützen. Das tat sie schon früher mit einer Hingabe, die Samantha manchmal fast erdrückte.

Vor etwa zehn Jahren zogen beide von Kolumbien nach Los Angeles zurück. Sams Mutter arbeitete im Auswärtigen Amt in Bogota als Dolmetscherin und ihr Vater leitete den Fuhrpark der amerikanischen Botschaft. Er liebte Autos. Eines Tages verschwand er spurlos und niemand hatte jemals wieder etwas von ihm gehört. Jede Suchaktion blieb erfolglos. So entschied sich ihre Mutter aus Kolumbien wieder zurück in die Staaten zu ziehen. Aus irgendeinem Grund war sie immer noch davon überzeugt, dass ihr Mann, Sams Dad noch am Leben war.

Manchmal hatte sie das Gefühl, ihre Mutter würde ihr etwas verschweigen. Sam glaubte, dass sie mehr über das Verschwinden ihres Vaters wusste, als sie ihr gegenüber zugab.

Am Ende dieses Tages hatte sich Sam fest vorgenommen, unter dem Vorwand sich zu bedanken, hinüber zu diesem Fremden zu gehen. Sie würde den Mann darauf ansprechen, warum er beinahe jeden Tag dort stand und sie beobachtete. Auch wenn sie sich vielleicht danach lächerlich vorkommen sollte, sie wollte es einfach wissen.

In diesen Tagen hatte sie keine festen Ladenschließzeiten. Wenn sie der Meinung war, es würden keine Kunden mehr kommen, dann verschloss sie die Tür und machte Feierabend. So auch an diesem Abend. Es war kurz vor 22 Uhr als Sam den Schlüssel ins Schloss steckte, um den Laden zu schließen. Allerdings kam sie nicht mehr dazu, denn gerade als sie den Schlüssel umdrehen wollte, stand der Mann aus dem Landrover vor ihr. Fast blieb ihr das Herz vor Schreck stehen, aber irgendwie spürte sie keinerlei Angst ihm gegenüber.

Für einen kurzen Moment sahen sich beide an.

»Ich muss mit dir sprechen«, sagte er durch die geschlossene Glastür zu ihr.

»Mit mir sprechen, warum?«

»Lass mich bitte herein, dann werde ich es dir erklären.«

Im ersten Moment überlegte sie, ob es nicht gefährlich wäre, ihn so spät noch herein zu lassen. Doch andererseits war sie natürlich neugierig auf ihn. Er sah gut aus, hatte einen warmherzigen Blick und überhaupt, warum eigentlich nicht. Immerhin hatte er ihr das Leben gerettet, warum also sollte er ihr jetzt etwas antun wollen. Mit einem kurzen Nicken zeigte sie ihre Zustimmung und öffnete die Tür, die sie gleich wieder hinter ihm verriegelte.

»Ich gehe mal davon aus, dass du mich nicht mehr kennst?«, sagte der Fremde zu Sam.

Überrascht, sah sie ihn an.

»Sollte ich es denn?«, fragte sie.

Auf seinem Gesicht zeigte sich ein verschmitztes Lächeln. Offenbar war er über ihre Frage belustigt.

»Nun«, begann er zögerlich,»ich habe damals als Laufbursche im Autofuhrpark deines Vaters ausgeholfen.«

»Bei meinem Vater? Du meinst in Kolumbien, in der amerikanischen Botschaft?«

»Genau dort, Sam. Habe ich mich denn wirklich so sehr verändert?«

Für einen kurzen Moment holte sie sich alle Erinnerungen an diese Zeit zurück in ihr Gedächtnis. Dann plötzlich fiel es ihr wieder ein.

»O nein! Du bist Rick?«

Ein verlegenes Lächeln huschte über sein Gesicht.

»Du sagst es, Ricardo Cruz.«

Sam musste sich erst einmal hinsetzten. Im Augenblick überschlugen sich alle ihre Gedanken.»Rick«, sagte sie wie zu sich selbst. Jetzt wusste Sam, warum sie so ein Gefühl hatte diesen Mann zu kennen.

»Was machst du hier? Ich habe dich im Auto gegenüber gesehen. Du hast mich die ganze Zeit beobachtet. Warum? Hast du mich gesucht oder ist es nur ein Zufall? Weißt du vielleicht etwas über meinem Vater?«

Er legte seine Hand auf Sams Schulter und sagte in einem ruhigen Ton:

»Sam, ich werde dir alle deine Fragen beantworten, nur könnten wir bitte woanders hingehen? Ich möchte nicht, dass uns deine Mutter überrascht. Okay?«

Sie sah Rick immer noch mit großen Augen an und konnte es kaum fassen, dass sie ihn nicht sofort erkannt hatte.»Ja, ja natürlich, gehen wir ins Büro und meine Mom kommt heute nicht. Donnerstags ist sie mit ihren Freundinnen beim Bingo. Du kannst also ganz beruhigt sein.«

Sam schaltete die Lampen im Verkaufsraum aus und gemeinsam gingen sie durch einen schmalen Gang in ihr Büro.

Rick ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Sie konnte sehen, dass er über ihre Einrichtung und auch über ihr elektronisches Equipment erstaunt war. Seine Gestik war deutlich zu erkennen.

»Du bist ja voll ausgerüstet. Überwachungskameras, Alarmsystem, also ich bin beeindruckt. Wurdest du schon öfter überfallen oder warum diese Vorsichtsmaßnahmen? Ich hoffe natürlich, du wirst es nicht irgendwann wieder gebrauchen müssen.«

»Nun, das hoffe ich auch. Der Überfall neulich war das erste Mal. Er hat mir gereicht und ich muss sowas auch nicht noch einmal haben, das kannst du mir glauben. Ich nehme an, du hast mich und mein Geschäft schon länger beobachtet?«

Erstaunt sah er Sam an.

»Wie kommst du darauf?«

»Nun, du warst sehr schnell zur Stelle und offenbar wusstest du genau, was du zu tun hattest. Es sah sehr geschickt aus, wie du den Kerl zu Boden gestreckt hast.«

Sam konnte deutlich sehen, dass er überlegte, was er ihr antworten sollte. Sein ganzes Verhalten war einfach nicht zu durchschauen, trotzdem hatte er etwas Faszinierendes an sich.

»Ja weißt du Sam, ich musste mich all die Jahre durchs Leben kämpfen. Glaube mir, ich hatte es nicht gerade einfach und dein Va.....«

Sofort hielt er inne. Er starrte sie an, als hätte man ihn beim Stehlen erwischt.

»Rick, was wolltest du gerade sagen? Was ist mit meinem Vater? Du wolltest doch gerade etwas sagen. Lebt er noch? Weißt du etwas von meinem Dad und warum ist er verschwunden ohne ein einziges Wort? Die ganzen Jahre, kein Lebenszeichen von ihm. Meine Mom war damals außer sich, sie hat nie aufgehört nach ihm zu suchen oder an ihn zu denken. Bitte Rick, was ist los? Mein Vater ist nicht tot, nicht wahr?«

Ricardo schloss die Augen und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Innerlich kämpfte er mit sich. Er verfluchte sich, dass ihm so ein Patzer passieren konnte. Jetzt blieb ihm nichts weiter übrig, er musste Sam reinen Wein einschenken. Natürlich war er zu Sam gekommen, um sie über den Verbleib ihres Vaters aufzuklären, doch er wollte es vorsichtig angehen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er endlich den Mund öffnete und mit der Sprache heraus kam.

»Sam, es wird dir nicht gefallen, was ich dir über deinen Vater zu sagen habe. Eins solltest du aber wissen, dein Dad war und ist auch heute noch ein ehrenwerter Mann. Alles, was er in den letzten Jahren getan hat, tat er aus Liebe zu dir und deiner Mutter.«

Sam merkte wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Ihr Vater lebte. Sam konnte es nicht fassen.

»Sprich ruhig weiter Rick, ich will alles wissen, auch wenn es mich verletzten sollte, was es jetzt schon tut.«Sam fühlte sich verraten und sie war wütend auf ihren Vater. Er war die ganzen Jahre am Leben und hatte sich nicht ein einziges Mal gemeldet. Kein Lebenszeichen, einfach nichts. Wie konnte er ihr und ihrer Mutter das antun.

»Wie du möchtest Sam. Als dein Vater damals verschwand, tat er es, um euch damit zu schützen. Ich meine dich und deine Mutter. Er war ein angesehener ehrlicher Mensch und er liebte seine Familie über alles. Autos waren seine Leidenschaft und genau die wurden ihm zum Verhängnis. Eines Tages kamen zwei Männer zu ihm. Sie hatten sich offenbar mit gefälschten Dokumenten Einlass in die Botschaft verschafft. Ich hatte im Werkstattlager zu tun und so konnten sie mich nicht sehen. Als ich sie sah machte ich mich sozusagen unsichtbar. Jedes Wort, was sie mit deinem Vater redeten, konnte ich hören. Er sollte für deren Boss Autos umbauen, um unbemerkt Drogen aus Kolumbien in die Staaten zu schmuggeln. Ich hörte, wie dein Vater diesen Auftrag sofort ablehnte. Doch die Kerle akzeptierten kein NEIN, zogen ihre Waffen und bedrohten deinen Vater damit. Wenn er nicht tun würde, was sie von ihm verlangten, wollten sie seine ganze Familie töten.«

Jetzt liefen Sam die Tränen wie in einem Sturzbach über die Wangen. Rick reichte ihr ein Taschentuch und sie schnaubte sich die Nase. Sam war so aufgelöst. Trotzdem wollte sie alles erfahren. Rick griff nach ihrer Hand und streichelte sie zärtlich.

»Soll ich wirklich weiter erzählen, Sam?«

Samantha nickte Rick zu.

»Ja ich möchte es hören.«

Verlegen entzog sie sich seiner Berührung.

»Ich habe dir noch nichts angeboten, möchtest du etwas trinken?«

Ein smartes Lächeln huschte über Ricks Gesicht.

»Gern, aber mach dir keine Umstände meinetwegen, ein Glas Wasser genügt schon.«

In ihrem Kühlschrank hatte Sam immer einen kleinen Vorrat an Getränken. Ein Wasser für Rick und ein Bier für sich selbst, das konnte sie jetzt gebrauchen. Wieder umspielte ein Lächeln seine gut geformten Lippen, als er das Bier sah. Sam bemerkte seinen Gesichtsausdruck.

»Das brauche ich jetzt«, sagte sie etwas verlegen.

»Kann ich mir gut vorstellen. Nun, dein Vater hatte natürlich Angst um euch und so tat er so, als willigte er ein. Einer der Männer legte ihm seine Waffe an die Stirn, mit dem Finger am Abzug. Ich hörte, wie er zu ihm sagte, dass es deinem Vater leid tun würde, wenn er Dummheiten machen sollte oder die Polizei informieren würde. Daraufhin verschwanden sie. Gleich darauf kam ich aus meinem Versteck. Dein Dad fragte mich, ob ich alles mit angehört hätte. Ich nickte und gab ihm sofort zu verstehen, dass ich auf seiner Seite stand und niemandem etwas von diesem Vorgang erzählen würde. Sam, wir hatten echt Angst um euch. Wen diese Leute einmal in die Mangel nehmen, glaub mir, die sind hinterher nicht wiederzuerkennen oder aber sie sind tot.«

Er leerte das Glas Wasser in einem Zug.

»Ich würde jetzt auch gern ein Bier trinken.«

Sam zitterten die Hände vor Aufregung.

»Aber natürlich gern. Ich habe auch noch ein Sandwich, wenn du möchtest.«

»Nein danke, ich habe schon gegessen.«

»Erzähl weiter Rick. Was geschah dann?«

Sam holte Rick ein Bier und setzte sich wieder auf ihren Platz.

»Dein Vater war so durcheinander. Er war aufgeregt und ich glaube, er wusste nicht, was er tun sollte. Du weißt ja, ich bin damals dort aufgewachsen und so kannte ich jeden Winkel so gut wie meine Westentasche. Ich bot deinem Dad an, euch erst einmal zu verstecken. Er lehnte energisch ab. Seine Familie im Stich lassen, das kam für ihn überhaupt nicht in Frage. Trotzdem musste eine Lösung her. An dem Tag, an dem er verschwand, sprach er mit deiner Mutter. Sie wusste, was er vorhatte, aber er verschwieg, wohin er gehen würde. Sie sollte nicht in Versuchung kommen ihm zu folgen. Er gab ihr auch den Rat, zur Polizei zu gehen, um ihn als vermisst zu melden und außerdem die Medien einzuschalten. Nur auf diese Art war es glaubhaft, dass ihr nichts von dem spurlosen Verschwinden eures Vaters wissen konntet. Die Drogenmafia würde euch in Ruhe lassen und euch nicht als Druckmittel verwenden.«

Rick entging der Blick von Sam nicht, als er ihre Mutter erwähnte.

»Du sagst, meine Mutter hat gewusst, dass mein Vater untertauchen würde? Sie hat die ganze Zeit gewusst, dass er am Leben ist?«

Sams Stimme bebte vor Aufregung. Es war ihr anzusehen, dass sie Mühe hatte, nicht auf der Stelle auszuflippen. Rick versuchte sie zu beruhigen.

»Glaube mir, es war für dich das Beste, dass du nichts davon wusstest. Du warst zu der Zeit erst 15 Jahre, beinahe noch ein Kind. Sie wollte dich doch damit nur schützen.«

Sam schüttelte immer wieder den Kopf. Die ganzen Jahre hatte ihre Mutter es vor ihr verheimlicht.

Was für eine Bürde.

»Hast du denn immer mit ihr in Verbindung gestanden und sie über meinen Vater informiert?«

»Ja, das habe ich. Von Zeit zu Zeit sahen sie sich auch heimlich. Deine Mutter kannte nur nicht seinen Aufenthaltsort und so sollte es auch bleiben, bis jetzt.«

»Was meinst du damit? Ist etwas geschehen?«

»So ist es. Dein Vater ist verschwunden. In unserem üblichen Versteck ist er seit zwei Tagen nicht mehr aufgetaucht. Ich habe keine Ahnung, wo er sich im Augenblick aufhält.«

Nächtlicher Besuch

Amanda und William Black passten einfach zusammen. Als Samanthas Eltern sich vor 31 Jahren kennen lernten, so erzählte ihre Mutter immer, war es nur ein kurzer Augenblick und sie wussten sofort, sie gehörten zusammen. Damit sollte sie auch Recht behalten. Sam hatte ihre Eltern nie streiten gesehen. Sie gingen immer liebevoll miteinander um und diese Liebe gaben beide an ihre Tochter weiter. Sam hoffte, auch einmal so einen herzlichen Partner zu bekommen. Bisher hatte sie aber noch nicht den Richtigen gefunden. Es gab schon den einen oder anderen in ihrem Leben, aber das war nichts Ernstes. Liebeleien, Schwärmereien, was man eben so empfindet, wenn man jung ist. Als ihre Familie noch in Kolumbien wohnte, war sie total verliebt in einen Jungen. Er war 18 und sie erst 14 Jahre alt. Sein Name war Manuel. Ein disziplinierter, ruhiger Typ, sah gut aus und hatte eine sehr anmutige Ausstrahlung. Sam beobachtete Manuel heimlich. Sie bewunderte seinen muskulösen Körper, der sich unter seinem T-Shirt und seiner Jeans abzeichnete. Manchmal, wenn sie sich mal über den Weg liefen, wechselten sie ein paar Worte miteinander. Natürlich war Sam noch zu jung für ihn, was sie sehr bedauerte. In ihren Träumen war sie seine Freundin. Er war ein großer Autoliebhaber. Um seine Ausbildung zu finanzieren, arbeitete er in der Werkstatt ihres Vaters und half ihm beim Montieren oder Putzen der Limousinen. Das gefiel Sam natürlich sehr und damit sie ihn öfter sehen konnte, besuchte sie ihren Vater häufiger als sonst. William lächelte immer, wusste er doch genau, dass seine Tochter nicht nur wegen der Autos herkam.

Manuel und seine Familie waren Kolumbianer. Samanthas Eltern hatten keinerlei Vorurteile gegen die Einheimischen. Im Gegenteil, sie waren nett, zuvorkommend und sie mussten, um ihr tägliches Brot zu verdienen, hart arbeiten. Manuels Eltern hatten nicht das Geld für seine Ausbildung in den Staaten, also verdiente er sich in der Werkstatt das Geld dafür.

Nach dem Ende der Schulzeit sah sie Manuel nicht mehr so oft.

Samantha wollte später einmal Ärztin werden und er unbedingt ein Elitekämpfer. Schon als Kind träumte er davon. Manchmal zeigte er Sam, was er so an Kampftechniken drauf hatte. Sie war sehr von ihm beeindruckt. Mit Hilfe der amerikanischen Botschaft und Sams Vater konnte Manuel die gewünschte Ausbildung bei der US Navy aufnehmen, was für Emigranten in der Regel fast unmöglich war. Als Manuel aus Bogota wegging, kam sein zwei Jahre jüngerer Bruder Ricardo zu ihrem Vater in die Werkstatt. Er war das Gegenteil von seinem großen Bruder. Ein Rebell, ein Rumtreiber, aber trotzdem immer zuverlässig und wie viele Jungs in seinem Alter verrückt nach Autos. Deshalb war er nicht gerade böse, als Manuel von zu Hause fort ging.

Sam allerdings brach es fast das Herz. Oft lag sie allein in ihrem Zimmer, starrte die Decke an und ließ ihren Tränen freien Lauf. Einige Monate bekam sie gelegentlich Post von Manuel. Er berichtete Sam von seiner harten Ausbildung bei den Navy-Seals in den USA. Wie alle jungen Mädchen hob sie alle seine Briefe sorgfältig auf. Doch nach einiger Zeit blieb die Post aus, es kamen keine Briefe mehr an. Sie wusste nicht, was geschehen war. Sie hatte auch keinerlei Informationen darüber, wo sich Manuel zu dieser Zeit aufhielt. Der Kontakt brach vollkommen ab. Keinen der beiden Brüder hatte Sam in den letzten Jahren wiedergesehen. Wenn sie alte Fotoalben durchblätterte, kehrten wieder die Erinnerungen an die unbeschwerte Zeit in Kolumbien zurück. Sie dachte nicht im Traum daran, jemals wieder etwas von Manuel und Ricardo zu hören. Doch genau jetzt in diesem Augenblick saß Sam zusammen mit Rick in ihrem Büro und er erzählte ihr etwas Unglaubliches über ihre Eltern.

Aber konnte sie überhaupt glauben, was er berichtete? Seit zehn Jahren hatte Sam weder von Manuel noch von Ricardo etwas gehört. Wie konnte sie wissen, ob Rick die Wahrheit sagte. Was hatte er die ganzen Jahre getan und wieso tauchte er jetzt plötzlich auf?

Es gab jetzt nur eines zu tun, sie musste unbedingt mit ihrer Mutter sprechen. Eigentlich war Sam immer davon überzeugt gewesen, dass ihr ihre Mutter die Wahrheit sagte, doch nun kamen ihr Zweifel und das gefiel ihr nicht. Wenn das alles, was Rick ihr gerade erzählt hatte, der Wahrheit entsprach und sich ihre Eltern heimlich trafen, wäre sie zutiefst erschüttert.

Gegen Mitternacht verlies Ricardo Cruz ihr Geschäft. Er verabschiedete sich noch von Sam mit einer Umarmung.

»Es war schön, dich mal wiederzusehen.«

Sein Blick ging förmlich durch sie hindurch.

»Ja, fand ich auch.«

Rick reichte Sam die Hand.

»Gute Nacht Samantha.«

»Gute Nacht.«

Er überquerte die Straße und fuhr mit seinem Landrover davon. In diesem Augenblick fühlte sie sich allein gelassen.

Sam war viel zu aufgewühlt, um jetzt noch etwas zu tun. Ihre Abrechnung hatte auch noch Zeit bis morgen. Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf. Sie sah ihren Vater bildlich vor ihren Augen. Wie konnte er ihr das nur antun? Was sollte sie jetzt machen? Natürlich konnte Sam nicht mehr um diese Zeit ihre Mutter aufsuchen. Dazu war es viel zu spät. Wahrscheinlich hätte sich Amanda sofort Sorgen um ihre Tochter gemacht. Also ging sie zu ihrem Auto und alles andere verschob sie auf den nächsten Tag.

Draußen war es angenehm kühl. Sam atmete die frische Luft tief ein. Auf dem Weg zu ihrem Fahrzeug bekam sie plötzlich ein merkwürdiges Gefühl, so als würde sie jemand beobachten. In ihrer Bauchgegend machte sich eine Unruhe bemerkbar, die sie sonst nicht kannte. Sie sah sich nach allen Seiten um, konnte aber nichts Ungewöhnliches erkennen und auch niemanden sehen, der ihr irgendwie verdächtig vorkam. Hier und da waren noch einige Nachtschwärmer unterwegs. Die Leuchtreklamen waren so hell, dass sie alles gut überblicken konnte. Ihr Auto stand auf einem Parkplatz ganz in der Nähe von ihrem Geschäft.

Trotzdem war da dieses flaue Gefühl in ihrer Magengegend. Schnell öffnete sie die Autotür und setzte sich ans Steuer. Geschafft! Ein Geruch, den sie von früher kannte, lag in der Luft und umspielte ihre Nase. Im nächsten Moment blieb Sam fast das Herz stehen. Jemand bewegte sich auf dem Rücksitz ihres Autos. Deutlich hörte sie jemanden atmen. Jetzt weglaufen war zwecklos, denn sie hatte sich bereits angeschnallt. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und schaute nach hinten.

»Dad?«, schrie sie laut auf.

»Ganz ruhig Kleines. Fahr einfach los. Ich werde dir alles erklären.«

Samantha stand unter Schock. Ihr fiel kaum noch ein, wie man das Auto startete, so aufgeregt war sie. Mit zitternden Händen setzte sie ihr Auto in Bewegung.

»Wo soll ich hinfahren?«, stotterte sie aufgeregt.

»Am besten zu dir nach Hause.«

An ihrer Wohnung angekommen, fuhr sie in die Tiefgarage. Hier kam man nur hinein, wenn man einen gültigen Ausweis besaß. Vor lauter Aufregung dauerte es einen Moment, ehe sie die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz stecken konnte.

Aufmerksam beobachtete ihr Vater die Umgebung. Erst als sie sicher waren, dass ihnen keiner gefolgt war und sich niemand in der Tiefgarage befand, stiegen sie aus dem Fahrzeug. William nahm die Hand seiner Tochter und zog sie in aller Eile hinter sich her. Der Aufzug war etwa 30 Meter entfernt. Trotzdem keine Menschenseele zu sehen war, hatte Sam ein flaues Gefühl wie zuvor auf dem Parkplatz vor ihrem Geschäft. Irgendwie kam sie sich beobachtet vor. Als sich endlich die Aufzugtür schloss, atmete sie erst einmal tief durch. Sie schlang die Arme um ihren Vater, legte ihren Kopf an seine Brust und begann hemmungslos zu weinen. William fehlten die Worte. Er wusste genau, wie seiner Tochter jetzt zu Mute sein musste. Er streichelte Sam übers Haar und sagte leise:»Es ist alles gut Kleines.«

Ihr Appartement lag im 8.Stock eines älteren, aber gut erhaltenen Gebäudes in L.A. Hier wohnte sie seit nunmehr sechs Jahren. Im Eingangsbereich saß zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Pförtner. Sie fühlte sich hier wohl und sicher. Ihre Wohnung hatte eine Terrasse, drei Zimmer sowie eine Küche und ein Bad. Sam hatte es sich geschmackvoll eingerichtet. Wenn sie abends von der Arbeit nach Hause kam, setzte sie sich auf ihre Terrasse und genoss die Aussicht. Da sie ziemlich weit oben wohnte, bot sich ihr ein herrlicher Ausblick über die Stadt. Samantha liebte Los Angeles. Die Stadt die niemals zur Ruhe kam. Die Stadt, in der sie glaubte für immer leben zu können.

Das Wiedersehen

Als Sam endlich ihre Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte und mit ihrem Vater in Sicherheit war, brach sie erneut zusammen und konnte sich nicht mehr beherrschen.

»Oh Dad, ich habe dich so vermisst.«

Sie fiel ihrem Vater um den Hals und drückte ihn so fest, dass ihm die Luft wegblieb.

»Liebes, du erwürgst mich gleich. Ach meine Kleine, es ist so schön, dich nach dieser langen Zeit wieder in meinen Armen zu halten. Ich habe dich so sehr vermisst.«

»Und ich dich erst, Dad.«

Sam löste sich von ihrem Vater und sah ihn mit einem ernsten Blick an.

»Wo warst du die ganzen Jahre und warum bist hier? Ich meine, warum jetzt, warum nicht schon viel früher? Ich dachte, nein, Mom und ich dachten, du wärst tot. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du hier bist. Ich träume das doch nicht. Oder?«

Die Worte sprudelten wie an einem Fließband aus ihr heraus.

»Nein, du träumst nicht. Eins musst du mir glauben, wenn ich gekonnt hätte, ich wäre schon viel früher gekommen. Komm setz dich und dann werde ich dir alles erzählen.«

Sam wollte ihren Dad nicht mehr los lassen. Immer noch dachte sie, dass alles nur ein Traum wäre. Sie machte es sich auf ihrer Couch bequem. Bevor sich William setzte, sah er sich im Wohnzimmer um.

»Es ist sehr hübsch eingerichtet. Du hattest schon immer einen außergewöhnlichen Geschmack, so wie deine Mutter. Ich bin unendlich stolz auf dich.«

William Black sah plötzlich bedrückt aus. Es war ihm fremd geworden, solche Gespräche mit seiner Tochter zu führen. Früher war Samantha noch ein Kind, mit dem er redete, aber heute, heute saß eine junge Frau vor ihm, deren Erwachsenwerden er verpasst hatte. Vor schmerzlichen Erinnerungen zog sich sein Herz zusammen.

»Samantha«, sagte er in einem ernsten Ton,»ich sah Ricardo Cruz aus deinem Geschäft kommen. Du hast hoffentlich nichts mit ihm ...? Ich meine, bist du mit ihm ...mehr als befreundet oder sowas in der Art?«

Sam war überrascht und erstaunt, dass ihr Vater sie danach fragte. Beabsichtigte er mit dieser Frage etwas Bestimmtes?

»Nein Dad, warum fragst du? Stimmt etwas nicht mit Rick? Ich meine, ich habe ihn heute das erste Mal seit langer Zeit wieder gesehen. Genau wie dich! Ist das ein Zufall?«

Er nahm ihre Hand, sah ihr in die Augen und sagte etwas zu ihr, was sie zutiefst erschütterte.

»Ricardo Cruz ist ein Informant und Auftragskiller der kolumbianischen Drogenmafia.«

»Unmöglich! Das kann nicht sein.«

Sollte sie sich in Rick so geirrt haben? In zehn Jahren konnte natürlich viel geschehen sein, aber das. Immer wieder schüttelte Sam den Kopf.

»Dad, bist du dir da wirklich sicher? Ich meine, er hat Mom und mir vor zwei Wochen bei einem Überfall das Leben gerettet.«

»Das weiß ich, mein Kind. Deine Mutter hat es mir erzählt. Sie hat ihn an diesem Tag wiedererkannt.«

Sofort kam Sam das Bild ihrer Mutter in den Sinn, wie sie im Sessel saß und ganz blass aussah. Damals dachte sie, es würde ihr nicht gut gehen, stattdessen hatte es mit Ricardo zu tun.

»Ich würde darauf wetten, dass der Überfall inszeniert war, nur um sich bei dir und deiner Mom einzuschmeicheln. Er versucht schon seit einigen Jahren mich zu finden, um mich den Kolumbianern auszuliefern. Dank einiger Freunde von mir ist ihm das aber nie gelungen.«

Sam holte sich den bewussten Abend noch einmal ins Gedächtnis zurück. Natürlich war Rick ziemlich schnell zur Stelle, aber dass er das inszeniert haben sollte, nein, davon war sie nicht überzeugt. Es musste einen anderen Grund geben, warum ihr Vater so von Ricardo redete.

»Seit einigen Jahren, sagst du? Dad, ich verstehe es nicht. Erkläre es mir bitte. Ich meine, er hat dir doch eine Zeit lang in deiner Werkstatt geholfen. Warum bitte soll er dich an diese Kriminellen verraten? Es sah doch immer so aus, als wäre er ein Freund unserer Familie. Er hat mir erzählt, wie er dir bei deinem Verschwinden geholfen hat, damit du denen nicht bei ihrem Drogenhandel behilflich sein musstest.«

Mit fragenden Augen sah Sam ihren Vater an.

»Ja Kleines, anfangs hat er mir auch bei der Flucht aus Kolumbien geholfen, aber dann wechselte er die Seiten. Ich habe versucht ihn davon abzubringen, aber das schien damals unmöglich zu sein.«

Samantha senkte den Blick. Einerseits wusste sie, dass ihr Vater sie nie belügen würde, doch andererseits, hatte sie ihn seit fast zehn Jahren nicht mehr gesehen. Es ist gut möglich, dass sich ein Mensch, der so viel durchgemacht hatte wie ihr Vater, auch verändern konnte. Sam war in den letzten Jahren oft auf sich allein gestellt. Ihre Mom, auch wenn sie jetzt wieder in den Staaten wohnte, arbeitete nach wie vor für das Auswärtige Amt. Als Dolmetscherin war sie immer noch gefragt. In dieser Zeit hatte sie gelernt, nicht alles zu glauben, was man ihr erzählte. Es gab immer zwei Seiten der Medaille.

»Dad, was war mit seinem großen Bruder Manuel? War er auch ein ...?«

»Manuel? Nein. Manuel hat nie verstanden, warum sein kleiner Bruder so geworden ist. Wäre Manuel damals nicht gewesen, dann würde ich heute nicht hier bei dir sitzen. Du erinnerst dich bestimmt noch, dass er ein Elitesoldat werden wollte.«

Sam nickte zustimmend.

»Ja, das weiß ich noch, deshalb ist er ja weggegangen. Damals hat mich das sehr traurig gemacht.«

Sam spürte, wie verlegen sie auf einmal wurde.

»Ich weiß Sam. Es war so schlimm dich leiden zu sehen. Du warst bis über beide Ohren verliebt in ihn.«

Samantha lief rot an. Es war ihr peinlich. Sehr sogar.

»Das hast du gewusst?«

»Natürlich, es war ja nicht zu übersehen.«

»Was ist aus Manuel geworden?«, versuchte Sam die peinliche Lage zu überspielen,»Hast du ihn in all den Jahren mal wieder gesehen?«

Ihr Vater sah sie so liebevoll an, genauso tat er es früher immer, wenn er ihr etwas Schönes sagen wollte.

»Samantha«, sagte er,»Manuel hat seinen Traum verwirklicht und hat die strengste Ausbildung über sich ergehen lassen, die ein Soldat jemals ertragen muss, wenn er zu den Besten gehören will. Er ist ein Navy-Seal, ein Elitesoldat. Übrigens hat er oft von dir gesprochen.«

Sofort merkte Sam, wie ihr Gesicht wieder zu glühen begann. Vor Verlegenheit konnte sie nicht sofort etwas sagen, versuchte dann aber die Situation zu retten.»In seiner Ausbildung habe ich immer Briefe von ihm erhalten, aber dann ist der Kontakt irgendwann abgebrochen.«

»Kleines, ich habe doch immer gesehen und es auch gewusst, dass du ihn mochtest. Ein Vater sieht so etwas. Da ich mich mit deiner Mutter heimlich traf, konnte sie dir natürlich keine Grüße von ihm ausrichten. Er wusste das und Mom und ich auch.«

Sam war es unangenehm über solche Dinge mit ihrem Vater zu sprechen. Früher wäre das kein Problem gewesen, aber jetzt. Sie lenkte das Gespräch in eine andere Richtung.

»Dad, was wird denn jetzt geschehen? Du kannst dich doch nicht für den Rest deines Lebens verstecken. Ich brauche dich doch. Mom braucht dich. Wie soll es weiter gehen? Kann ich überhaupt nichts tun um dir zu helfen?«

Sams Vater lächelte sie sanft an, dann sagte er:

»Sam, du hilfst mir, wenn du dich von Ricardo fern hältst. Glaube mir, er ist gefährlich und würde niemals vor einem Mord zurückschrecken. Überall dort, wo er aufkreuzt, hinterläst er eine Blutspur. Er ist ein Profi in seinem Fach.«

Sams Blick wurde steinern.

Ein Mörder? Nein, niemals. Wieder machte sie sich ihre eigenen Gedanken.

»Dad, warum will er dich eigentlich an das Kartell ausliefern?«

Der Gesichtsausdruck ihres Vaters änderte sich deutlich. Offenbar war es ihm nicht angenehm darüber zu reden.

»Ich sagte dir ja anfangs schon, dass ich mir zwar nicht sicher bin, aber es gab Anzeichen dafür, dass er nicht nur ein Informant, sondern offenbar auch mit einem der berüchtigten Drogenbosse befreundet war und immer noch ist. Erst nachdem Ricardo damals bei mir anfing zu arbeiten, kamen einige Tage danach diese Männer in unsere Werkstatt. Ich sollte für sie Drogen in den Autos deponieren, die zurück in die USA gebracht wurden, weil sie dem Standard der Botschaftsangehörigen nicht mehr entsprachen. Sollte ich mich weigern, drohten sie damit, meiner Familie schreckliche Dinge anzutun.

Um euch damals nicht zu gefährden, versteckte ich das Rauschgift in verschiedenen Limousinen. Ich informierte anonym den Sicherheitsdienst der Botschaft. Die wiederum ordneten an diesem Tag eine Routinekontrolle aller Fahrzeuge an, die das Botschaftsgelände verlassen sollten. Auf diese Weise fiel es nicht auf, dass die Sicherheitskräfte einen direkten Hinweis bekommen hatten. Ich glaube aber, dass Rick etwas ahnte. Er hat mich zwar nie darauf angesprochen, doch einige Male machte er versteckte Anspielungen, die diesen Vorfall betrafen.

Ja mein Kleines, so war das damals. Bis heute versucht er mich zu finden.«

Sam hatte genau zugehört, was ihr Vater erzählte. Sie merkte auch, dass er bei einigen Aussagen zögerte. Ihr kam der Gedanke, als hätte jemand ihrem Vater diese Geschichte in den Mund gelegt. Vielleicht wollte ihm ja nur jemand Glauben lassen, dass Rick der Böse war.

»Dad, was ist, wenn du dich irrst und Rick nichts damit zu tun hatte? Das ist doch möglich.«

»Das könnte natürlich sein, aber du musst wissen, dass diese bewussten Fahrzeuge zurück in die Staaten transportiert wurden, um sie dort weiter zu verkaufen. Schließlich waren sie noch in einem Top-Zustand. In den Staaten standen sämtliche Autos bereits auf einer Warteliste. Weißt du Sam, solche Informationen konnte nur ein Insider wissen.«

»Ja, das verstehe ich. Trotzdem kann es doch sein, dass es auch ein Angestellter der Botschaft hätte sein können. Jemand, an den man nicht mal im Traum denken würde.«

Es war zu sehen, dass sich ihr Vater über ihre Argumente Gedanken machte.

»Dad, gehst du nicht ein sehr hohes Risiko ein, wenn du dich mit mir oder Mom triffst? Was, wenn du mit Rick Recht hast und er mich beschattet? Er hat immerhin eine Zeit lang vor meinem Geschäft gestanden und, so nehme ich an, darauf geachtet, dass mir nichts passiert. Vielleicht weiß er sogar wo ich wohne. Dad, du nimmst das alles auf die leichte Schulter. Bitte sei vorsichtig. Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt. Das würde ich mir nie verzeihen und Mom sicher auch nicht.«

Sam sah auf ihre Armbanduhr. Es war bereits kurz vor drei Uhr morgens.

»Dad, wenn du willst, hole ich dir eine Decke, damit du auf der Couch schlafen kannst. Ich bin ganz schön fertig.«

»Das ist sehr lieb von dir, aber das musst du nicht.«William nahm seine Tochter in die Arme und drückte sie zärtlich an sich.

»Sam, mach dir keine Sorgen. Jemand passt auf mich auf.«

Überrascht sah sie ihren Vater an, als es plötzlich an die Tür klopfte. Ihr Herz raste. Sie blickte ängstlich zu ihrem Vater.

»Wer kann das sein? Ich erwarte niemanden.«

Vor lauter Aufregung begann Sam zu zittern. Ihr Vater behielt die Ruhe.

»Du musst keine Angst haben. Geh und mach auf.«

»Was?«, rief Sam fast übertrieben.

»Nun geh schon Kleines.«

Ihr Herz schlug bis zum Hals, als sie zur Tür ging. Sie schaute durch den Türspion und glaubte zu träumen. Dort stand Manuel. Ihr Puls beschleunigte sich, als sie die Tür öffnete.

»Hallo Samantha!«, sagte Manuel freundlich.

Sam bemühte sich, so normal wie möglich zu antworten. Doch mehr als ein»Hallo Manuel!«bekam sie nicht raus.

Die Aufregung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Er lächelte genauso charmant wie früher. In ihrem Bauch flogen die Schmetterlinge um die Wette. Sam war nicht bewusst, dass sie Manuel die ganze Zeit anstarrte.

»Darf ich reinkommen, Sam?«

Wie in Trance schüttelte Sam den Kopf.

»Oh entschuldige. Ja, bitte, komm rein.«

Sie trat zur Seite und ließ ihn in ihre Wohnung. Nie im Leben hätte sie gedacht Manuel wiederzusehen und vor allem nicht hier in ihrer eigenen Wohnung. Jetzt stand er vor ihr. In seinen schwarzen Jeans, seinem einfarbigem Hemd und der dazu passenden Lederjacke sah Manuel umwerfend aus. Seine braunen Augen funkelten sie an. Sie konnte ihren Blick einfach nicht von ihm lassen. Er sah unglaublich gut aus. Kein Wunder, dass sie früher schon in ihn verliebt war. Im Gegensatz zu seinem Bruder Ricardo hatte sich Manuel kaum verändert.

Er ging ins Wohnzimmer, wo ihr Vater schon wartete.

»Mr. Black, es wird Zeit. Wir müssen gehen.«, sagte er in einem sehr förmlichen Ton.

»Ja Manuel, ich komme. Ich möchte mich nur noch von meiner Tochter verabschieden. Schließlich weiß ich ja nicht, wann wir uns das nächste Mal wiedersehen.«

Endlich riss Sam ihren Blick von Manuels Gesicht los. Wie benommen drehte sie sich zu ihrem Vater um.

»Du willst schon wieder gehen, Dad?«

Fragend sah sie ihn an und dann schaute sie wieder auf Manuel.

»Könnt ihr wirklich nicht mehr bleiben?

Ich habe genug Platz, zu Essen ist auch reichlich da. Es weiß doch niemand, dass ihr hier bei mir seid, oder?«

Sams Stimme klang flehend, doch die Antwort übernahm Manuel.

»Es wird zu gefährlich, wenn dein Vater zu lange an einem Ort ist. Jetzt wo auch noch Rick hier aufgetaucht ist, ganz besonders. Mein Bruder ist mit allen Wassern gewaschen. Er ist ein Fuchs. Schnell und listig.«

»Aber wie lange willst du denn meinen Vater noch vor diesen Drogenverbrechern verstecken? Er hat schon so viele Jahre auf uns und sein wahres Leben verzichten müssen. Irgendwann muss das doch mal aufhören.«

Bei den letzten Worten liefen ihr schon die Tränen. Manuel sah Sam traurig an. Er trat einen Schritt auf sie zu, schaute sie mit seinen braunen Augen an und sagte:

»Es ist bald vorbei. Wenn alles so läuft, wie wir es geplant haben, wirst du deinen Vater bald für immer wieder haben. Das verspreche ich dir.«

Was dann kam, hatte Sam nicht erwartet. Manuel sah zu ihrem Vater und sagte:

»Verzeihen Sie mir bitte Mr. Black, aber das muss ich einfach tun.«

»Was meinst du Manuel?«, fragte William.

»Das!«Manuel nahm Sams Gesicht in seine Hände und küsste sie mit so viel Leidenschaft, wie sie es noch nie erlebt hatte. Ihr war, als würde ihr Körper in diesem Augenblick schweben.

»Das wollte ich früher schon tun, doch mir fehlte der Mut.«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Dann drehte er sich um und ging zur Tür. Wie versteinert stand Samantha da. Ihr Dad lächelte sie an, dann gab er ihr einen Kuss auf die Stirn.

»Pass auf dich auf Kleines. Ich hab‘ dich lieb.«

Zusammen mit Manuel verließ er das Appartement seiner Tochter. Er hörte Sam nicht mehr sagen:»Ich liebe dich auch, Dad.«

Die Tür klickte ins Schloss und sie stand allein in ihrer Wohnung. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr Gesicht feucht von ihren Tränen war. Sam weinte. Sie weinte so sehr, als würden alle zehn Jahre, die sie auf ihren Vater gewartet hatte und hoffte ihn eines Tages wiederzusehen, über sie zusammen brechen.

Inzwischen war es schon fast morgens. An Schlaf war kaum zu denken, obwohl sie den ganzen Tag schon auf den Beinen war. Eigentlich hätte Sam tot ins Bett fallen müssen. Doch dazu kam es nicht, denn gerade als sie unter die Dusche gehen wollte, klopfte es an ihrer Wohnungstür. Leise schlich sie in den Flur. Erst dachte sie, Manuel wäre noch einmal zurückgekommen, doch als sie einen Blick durch den Türspion warf, versetzte es ihr eine Gänsehaut.

»Sam, ich weiß dass du da bist. Öffne die Tür oder ich trete sie ein.«

»Einen Moment bitte, ich muss mir erst etwas überziehen.«

Schnell warf sich Sam einen Bademantel über und zog ihren Slip an. Fast nackt, öffnete sie ihre Wohnungstür, die durch eine Kette gesichert war. Ein Hauch von Alkohol wehte ihr ins Gesicht.

Samantha bemühte sich sicher aufzutreten, was ihr nur zum Teil gelang. Nach ihrem Gespräch mit Manuel und ihrem Vater vor nicht einmal einer Stunde hatte sie panische Angst in diesem Moment.

»Weißt du eigentlich wie spät es ist? Was willst du hier, mitten in der Nacht?«

Mit strenger Ansage wiederholte er sich.

»Öffne bitte die Tür, oder ...«

»Schon gut, schon gut, ich mache sie ja schon auf.«

Langsam schob sie den Riegel nach oben, bis er aus der Verankerung sprang und öffnete die Tür für ihren unerwarteten Besucher Ricardo Cruz.

Ganz lässig schlenderte er herein, schloss hinter sich die Tür und sah Samantha von oben bis unten an.

Sein Blick gefiel Sam nicht, trotzdem sah er unglaublich sexy aus. Seine Haare waren durcheinander und sein schwarzes T-Shirt spannte sich über seinen muskulösen Oberkörper. Voller Lüsternheit sah Rick Sam an. In seinen Augen lag etwas, was ihr trotzdem Angst machte. Er kam ihr fast fremd vor und sie hatte so ein Gefühl, als wäre er nicht er selbst oder vielleicht hatte Rick auch etwas eingenommen. Sie konnte es nicht richtig deuten. Mit seinen Augen durchbohrte er Sam, als wollte er ihr das bisschen, was sie auf dem Leib trug, damit ausziehen. In ihr stieg langsam Panik auf. Was sollte sie tun, wenn er aufdringlich werden würde? Sie atmete tief durch, dann sah sie Ricardo an und sagte mit fester Stimme:

»Bitte Rick, du solltest nicht hier sein. Nicht in meiner Wohnung und nicht in diesem Zustand. Ich möchte, dass du jetzt gehst. Wir können uns gerne ein anderes Mal unterhalten.«

Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, interessierte es ihn nicht im Geringsten, was Sam gerade sagte. Als wären ihre Worte durch ihn hindurchgegangen. Langsam näherte er sich ihr.

»Du siehst umwerfend aus, Sam. Weißt du eigentlich, dass ich schon immer scharf auf dich war? Schon damals hast du mir gefallen, aber du hattest ja nur Augen für meinen Bruder. Ja richtig, mein Bruder. Ich sah ihn vorhin aus der Tiefgarage wegfahren. Was hatte er hier zu suchen?«

Ricks Augen funkelten gefährlich. Da er immer näher auf sie zukam, ging Sam Schritt für Schritt zurück, bis sie die Wand berührte.

»Das geht dich nun wirklich nichts an Rick.«

Sam sah ihm an, dass diese Antwort nicht die war, die er erwartet hatte. Plötzlich ergriff er mit seinen Händen den Kragen ihres Bademantels, zog sie zu sich heran und begann sie ohne Vorwarnung zu küssen. Mit den Armen versuchte Samantha ihn wegzustoßen, was ihr nicht gelang. Er war unglaublich stark. Offenbar spornte ihn das nur noch mehr an, denn jetzt versuchte er Sam den Bademantel zu öffnen. Sein Bein schob sich zwischen ihre Schenkel und Sam spürte seine Erektion an ihrem Unterleib. Sie wehrte sich heftig dagegen und als sie dachte, jetzt wäre alles aus, er würde sie vergewaltigen und sie hätte nicht die geringste Chance, ließ er von ihr ab. Mit einem schelmischen Lächeln grinste er sie an.

»Keine Angst, ich werde dir nichts tun. Denke ich jedenfalls.«

Rick ließ seinen Blick durch das Zimmer gleiten. Er ging zum Fenster, nahm die Gardine zur Seite und sah hinaus.

»Schöne Aussicht.«, bemerkte Ricardo, drehte sich um und sah sie an.

Samantha stand immer noch an der Wand. Sie hatte es nicht gewagt sich zu rühren. Ihr ganzer Körper zitterte und ihre Lippen brannten von dem brutalen Kuss.

Sam holte tief Luft um sich zu entspannen.

»Sag endlich, was du willst Rick und dann möchte ich, dass du gehst.«, sagte sie beinahe liebenswürdig.

Wieder kam er auf sie zu. Ihr Atem wurde schneller, was Rick natürlich nicht entging. Er legte seine Hand unter Samanthas Kinn und zwang sie so ihn anzusehen.

»Zuerst wirst du mir meine Fragen beantworten. Wenn ich allerdings merke, dass du mich belügst, nun, dann werde ich nicht mehr so zärtlich mit dir umgehen. Haben wir uns verstanden?«

Sie nickte leicht, dann befreite sie sich aus ihrer misslichen Lage. Trotz seiner Drohung sah er unglaublich sexy aus. Sein schwarzes T-Shirt spannte sich über seinen Oberkörper, wobei sich seine Muskeln abzeichneten.

»Warum tust du das, Rick? Du machst mir Angst und das mag ich nicht.«

Jetzt liefen ihr auch noch die Tränen übers Gesicht. Über diese Schwäche ärgerte sie sich sehr. Er sollte nicht sehen, wie sie empfand.

»Nun Samantha Black, es ist ganz einfach, erzähl mir, was Manuel hier wollte und ich bin sofort wieder verschwunden.«

»Da gibt es nichts zu erzählen. Er war zufällig in der Nähe und hat nur mal vorbeigeschaut. Wir haben uns seit einigen Jahren nicht mehr gesehen. Wir haben über alte Zeiten geredet und dann ging er wieder. Das war alles.«

Ohne die geringste Vorwarnung knallte Rick seine Faust auf den Tisch, dass die Tischplatte einen Riss bekam. Sam war so erschrocken, dass sie die Augen schloss und innerlich betete, er möge verschwinden.

»Ach wirklich, ihr habt euch seit Jahren nicht mehr gesehen und woher wusste Manuel, wo du wohnst? Kannst du mir das beantworten?«

»Woher wusstest DU denn, wo ich wohne?«, stellte Sam zögernd die Gegenfrage und konnte ein Zittern ihrer Stimme nicht unterdrücken.

Mit drohendem Blick stand er vor ihr. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Sam schlang die Arme um ihren Körper, als könnte sie sich auf diese Weise schützen. Sie verkroch sich in die hinterste Ecke ihrer Couch. Das half aber nichts, denn er kam sofort wieder auf sie zu. Er schnappte sich Sams Knöchel und zog sie abrupt zu sich. Dabei rutschte ihr Bademantel nach oben und sie lag mit entblößten Beinen vor ihm. In diesem Moment waren seine Gedanken deutlich transparent für Sam. Was nun geschehen würde, wusste sie genau. Rick griff nach ihren Handgelenken und streckte sie über ihren Kopf hinweg. Auf diese Weise kam er Sam noch näher. Er lag fast auf ihr und sie spürte seinen Atem in ihrem Gesicht und seine steinharte Erektion an ihrem Oberschenkel.

»Bitte Rick, lass mich los.«, flehte sie ihn an.