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Die junge Maxine stammt aus einer vornehmen Familie und wird auf Grund des Erbes ihres Großvaters sehr wohlhabend sein, wenn sie volljährig wird. Sie hatte die letzten Jahre auf einer Klosterschule in Paris verbracht, während ihre Mutter ihren zweiten Mann ins Ausland folgte, der eine Stellung als Grosvenor inne hat. Nun ist es jedoch an der Zeit, dass Maxine in die Londoner Gesellschaft eingeführt und dort als Debütantin der Saison vorgestellt wird. Da ihre Mutter nicht in London weilt, wird Maxine zu ihrer Tante Dorothy nach London geschickt. Die Tante, eine Adelige, die das Leben liebt, lässt Maxine an ihren gesellschaftlichen Vergnügungen teilhaben diese sind etwas anders sind als die regulären Bälle, auf denen die jungen Debütantinnen vorgestellt werden. Maxine fühlt sich sehr verloren, da sie an diese Welt nicht gewohnt ist. Als dann auch noch Lord Rosdean behauptet, dass Maxine zur Hochzeit eingewilligt hat, läuft diese von zu Hause weg und versteckt sich in einem ärmlichen Viertel Londons.
Wird Maxine es schaffen und ihren Onkel davon überzeugen können, dass sie nicht willig ist Lord Rosdean zu heiraten? Wird sich ihr Traum eines gesellschaftlichen Debuts in London erfüllen – und wird es ihr möglich sein, allen Mitgiftjägern aus dem Weg zu gehen?
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Seitenzahl: 224
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Ich finde das alles, was nun geschieht, wahnsinnig aufregend, aber gleichzeitig fürchte ich mich ein wenig davor.
Ich habe mich lange darauf gefreut und kann jetzt kaum glauben, dass es tatsächlich Wirklichkeit geworden ist.
Es ist viele Jahre her, seit ich Tante Dorothy zuletzt gesehen habe. Das war lange vor meiner Schulzeit.
Ich wollte wirklich, es wäre Mami, die mich nun in die Gesellschaft einführt.
Ich finde, die Hälfte aller Märchen sollten über böse Stiefväter geschrieben werden. Nicht, als ob meiner böse wäre; er ist sogar außergewöhnlich lieb, aber es ist rücksichtslos von ihm, so viele Jahre lang Gouverneur auf einem so abgelegenen Posten zu sein.
Ich verließ die Nonnen nur sehr ungern. Sie waren immer freundlich zu mir gewesen, obwohl ich mich natürlich, alles in allem genommen, zwei Jahre lang ständig über sie beschwert habe.
Warum beklagt man sich eigentlich immer über die Oberen, ganz gleich, ob sie freundlich oder unfreundlich zu einem sind, frage ich mich heute.
Ich hätte nie gedacht, dass es mir einmal schwerfallen würde, sie zu verlassen.
Die kleine Schwester Agnes erzählte mir, dass sie jedes Mal den Schulbeginn fürchtet, weil dann viele neue Schülerinnen kommen, die sehr oft aufsässig und schwierig sind.
Ich frage mich, ob ich auch aufsässig und schwierig war. Es ist schwer, sich selbst zu beurteilen.
Jedenfalls bin ich jetzt sehr aufgeregt und habe gleichzeitig ein ziemlich flaues Gefühl.
Das flaue Gefühl, die Übelkeit, die ich eben auf dem Schiff erlebt habe, war schon schlimm genug, aber dieses ängstliche Gefühl momentan ist noch unangenehmer. Es kommt mir so vor, als stünde ich in einem Lift, und mein Magen wolle sich umdrehen. .
In etwa fünf Minuten treffen wir in London ein, und dann beginnt ein neues Leben für mich.
Ich bin mir nicht im klaren darüber, ob ich Tante Dorothy mag oder nicht. Sie ist so ganz anders, als ich sie mir vorgestellt habe.
Ich glaube, sie muss auf das andere Geschlecht sehr attraktiv wirken, jedenfalls sind ständig viele Herren im Haus zu Gast. Das Haus ist äußerst elegant, und es hat mich sehr beeindruckt. Der chinesische Salon mit den roten Lackmöbeln vor den weißen Wänden und den reich bestickten Vorhängen gefällt mir sehr.
Es ist genau der richtige Rahmen für Tante Dorothy, deren dunkles Haar ihr kleines, ovales Gesicht mit den schwarzen Augen, umgibt.
Ich wüßte gern, wer die Herren waren, die bei ihr weilten, als ich ankam.
Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so gefürchtet wie in diesem Augenblick, als ich die Treppe hinaufging und der Butler mit lauter Stimme in den größten Saal, den ich jemals gesehen habe, hineinrief:
»Miss Maxine, Mylady!«
Die Gäste standen in Gruppen beieinander, lachten und unterhielten sich laut.
Reden die irgendwann einmal auch leise miteinander? fragte ich mich.
Dann sah ich Tante Dorothy.
Sie ist klein und zierlich, und ich komme mir neben ihr groß und linkisch vor. Ich wusste natürlich ohnehin, dass meine Kleidung altmodisch war. Irgendwie kam ich mir neben ihr ganz unmöglich vor.
»Maxine, meine Liebe!« rief sie. »Ich freue mich, dich zu sehen. Hoffentlich gefällt es dir hier bei uns.«
Ehe ich irgend etwas antworten konnte, riefen die Gäste durcheinander, wie absurd es von Tante Dorothy sei, eine Nichte, die noch so jung aussah, in die Gesellschaft einführen zu wollen, und ich kam mir so deplatziert vor, dass ich nur noch leise fragte, ob ich sofort in mein Zimmer gehen dürfe.
Mein Zimmer ist ganz entzückend eingerichtet, wie auch alle anderen Räume in diesem Haus. Ich blicke auf die Grünanlagen des Grosvenor Square hinaus.
Meine Freundin Thelma erzählte mir, dass dieser Platz eine der vornehmsten und teuersten Wohngegenden Londons sei.
Ich hatte es erwartet, denn ich weiß, dass Großpapa sehr reich war, und als er starb, teilte er sein Vermögen zwischen meinem Vater und Tante Dorothy auf.
Da Daddy gestorben ist, nehme ich an, dass ich einen Teil seines Vermögens erben werde, sobald ich einundzwanzig Jahre alt geworden bin, jedenfalls hat man mir das gesagt.
Aber ich hoffe, man gibt mir inzwischen auch ein wenig Geld, damit ich mir die passende modische Garderobe kaufen kann.
Ob ich wohl gut aussehe?
Es wäre zu schrecklich, wenn ich auf Bälle ginge und niemand mit mir tanzen würde, außer den Pflichttänzen natürlich, die wir im Kloster immer mit den dicken deutschen Mädchen tanzen mussten.
Thelmas Bruder Tommy sagte, ich hätte ein beunruhigendes Gesicht.
Ich weiß nicht, was er damit gemeint hat. Aber ich darf mir darauf nichts einbilden, denn ich kann Leute nicht leiden, die sich etwas vormachen.
Er ist sehr eigenwillig; aber als Künstler hat er natürlich andere Ansichten als die meisten Menschen.
Er besitzt ein ganz entzückendes Atelier in Paris, und Thelma nahm mich an den freien Nachmittagen oft zu ihm mit. Ich sehe es im Geiste noch vor mir: ein Durcheinander von alten Möbeln, die er auf den Quais zusammengesammelt hat, Louis Quinze und Louis Quatorze dazu Staffeleien und viele Malutensilien.
Er besaß eine Menge spanische Tücher und viele Ballen kostbarer Seide, mit denen Thelma und ich uns gern drapierten. Wir wollten immer, dass er uns so malte, aber er lehnte es ab.
Er machte dabei ironische Bemerkungen über unsere kindlichen Vorstellungen von der Malerei.
Ich persönlich hielt nicht viel von seinen Ideen über die bildende Kunst, aber das wagte ich ihm nicht zu sagen.
Im vorigen Jahr hing eines seiner Bilder im Salon des Independentes. Es hieß ‚Ruhende Gestalt an einem warmen Tag‘ und zeigte eine knallgrüne Frau unter einem Sonnenschirm, die offensichtlich dazu noch an einem Anfall von Nesselfieber litt.
Ich fand das Bild ganz abscheulich. Die Kritiker aber lobten es über die Maßen, und Thelma zeigte mir einige Kritiken aus den Kunstzeitschriften.
Einmal fragte ich Tommy, zu welchem Typ von Gesichtern meines gehörte.
Wir sprachen über die einzelnen Gesichtsmerkmale, und er sagte, Thelma ähnele eindeutig amerikanischen Indianern. Und zu mir sagte er sehr mürrisch:
»Dein Gesicht ist beunruhigend, Maxine.«
»Was meinst du damit?« wollte ich wissen.
Er winkte ab, und ich sagte schmeichlerisch im gleichen Tonfall, in dem ich die Mutter Oberin immer um eine Gefälligkeit bat:
»Sag es mir, Tommy!«
Aber er drehte sich etwas verärgert um und sagte:
»Maxine, du gehst mir auf die Nerven wie eine lästige Stechmücke!«
Dann hob er mein Kinn an, und ganz plötzlich überkam mich ein eigenartiges Gefühl, als ob etwas Außergewöhnliches geschehen wäre.
Tommy sah dabei so komisch drein. Dann zog er seine Hand weg, ging zum anderen Zimmerende und setzte sich an das Klavier.
Das Grammophon und das Klavier machten einen solchen Lärm, dass wir plötzlich alle lachen mussten. Tommy sagte aber nie wieder etwas über mein Gesicht.
Er und Thelma brachten mich zum Gare du Nord, und es scheint mir nun eine Ewigkeit her zu sein, seitdem ich sie zum letzten Mal gesehen habe, obwohl es in Wirklichkeit erst ungefähr acht Stunden sind.
Sie brachten mir einen Strauß herrlicher Rosen zum Zug. Jetzt sind sie verwelkt und lassen die Köpfe hängen.
Ich muss recht kindisch gewirkt haben, als ich beim Abschied so entsetzlich weinte.
Die Trennung von Thelma fiel mir sehr schwer. Sie war für mich wie eine Schwester gewesen.
Thelma reist nun nach Amerika. Sie will dort im Herbst debütieren.
Als der Zug anfuhr, hielt ich Tommy meine Hand hin. Er küsste sie und sagte: »Au revoir, Maxine. Ich besuche dich, sobald du erwachsen bist.«
Ich weiß nicht, was er damit gemeint hat, denn ich bin doch schon erwachsen. Schließlich bin ich fast neunzehn Jahre alt. Ich komme mir schrecklich alt vor, wenn ich bedenke, dass die meisten Mädchen heutzutage mit siebzehn Jahren debütieren.
Ich habe tatsächlich fast zwei Jahre verloren. Aber Mami war sehr eigensinnig. Ich kann es mir nur damit erklären, dass sie selbst nicht die Möglichkeit hatte, mich in die Gesellschaft einzuführen.
Ich habe die merkwürdige Idee ich weiß nicht, wie ich darauf komme, aber der Gedanke lässt mich nicht los, dass Mami Tante Dorothy nicht mag.
Mami hat niemals darüber gesprochen, aber ich weiß, sie waren nicht übermäßig freundlich zueinander, als Mami und ich in Somerset wohnten.
Wir hatten dort viele Freunde und waren sehr glücklich, wenigstens ich war es, denn ich hatte ein Pony, und Mami hatte einen Garten und Hühner, und wenn sie ausreiten wollte, hatte sie stets Begleitung.
Eines Tages kam sie mit hochrotem Gesicht und sehr aufgeregt von einer Abendgesellschaft nach Hause. Ein recht gutaussehender großer Herr mit altmodischem Auftreten begleitete sie.
»Ralph, Liebster, dies ist meine kleine Maxine«, sagte Mami zu ihm.
Ganz so klein war ich damals nicht mehr, aber ich habe schon oft festgestellt, wenn Leute über ihre Kinder sprechen, reden sie oft so, als ob man es mit etwas absolut Hilflosem zu tun hatte.
Dann sagte Mami:
»Maxine, Liebling, dies ist mein alter Freund Sir Ralph Strange. Er ist eben aus dem Ausland zurückgekehrt.«
»Sehr angenehm«, sagte ich.
Und er antwortete ebenfalls:
»Sehr angenehm« und sah dabei die ganze Zeit Mami an, und Mami sagte:
»Liebling, würdest du bitte so freundlich sein und für mich die Hühner füttern?«
Es war erst vier Uhr, und die Hühner wurden nie vor sechs Uhr gefüttert. Aber ich wusste, dass dies nur ein Vorwand war, und deshalb ging ich hinaus und ließ die beiden allein.
Ich traf Martha in der Küche an.
»Die Zigeunerin weissagte, uns stünde eine Hochzeit ins Haus. Denken Sie an meine Worte, Maxine« sagte sie.
»Was für eine Zigeunerin und was für eine Hochzeit?« fragte ich.
»Die Zigeunerin, die letzte Woche hier war«, antwortete sie.
Ich wollte ihr nicht glauben. Aber die Zigeunerin hat recht behalten. Einen Monat später war meine Mutter verheiratet.
Mich schickte man nach Paris, und sie reisten in das Land, wo er Gouverneur ist.
Es ging alles so rasch, dass mir erst in der Klosterschule bewusst wurde, dass ich Mami nun jahrelang nicht wiedersehen würde und ich allein unter Fremden war.
Es wird jetzt noch fast zwei Jahre dauern, bis sie nach England zurückkommt. Deshalb bat sie Tante Dorothy, mich in die Gesellschaft einzuführen.
Die eleganten Zeitschriften berichten viel über Tante Dorothy. Über ihren Fotos stehen Schlagzeilen wie:
‚Die schöne Londoner Gastgeberin‘ oder ‚Die schöne Frau eines bekannten Politikers‘.
Sie gilt als außergewöhnlich schön und hat einen ausgezeichneten Geschmack, wenn man nach ihrem Haus und ihrem Äußeren urteilt.
Ich wollte, ich wüsste ein wenig mehr über die Menschen, mit denen sie verkehrt.
Ich bin gespannt, ob ich in London viele Freundschaften schließen werde. Ich wollte, Thelma wäre hier. Sie ist mutig und fürchtet sich vor niemandem.
Ich dagegen habe Angst, ich könnte etwas Dummes sagen, aber ich hoffe nicht, dass mir das passiert.
Jedenfalls ist es töricht, wenn ich mir jetzt schon darüber Gedanken mache.
Ich kann den Unterhaltungen nur schwer folgen und bin nicht sicher, ob es mir gefällt oder ob ich sehr unglücklich bin.
Der gestrige Abend brachte eine Fülle von Eindrücken, aber ich glaube nicht, dass ich viel davon begriffen habe. Nur eines weiß ich, ich mag Tante Dorothy nicht besonders. Sie bemüht sich, freundlich zu mir zu sein, aber ich merke, wie schwer es ihr fällt.
Es ist für mich unangenehm, bei ihr leben zu müssen, etwa so, als ob ich einen Diamanten als Kopfkissen benützen müsste.
Sie hat mir für den gestrigen Abend ein reizendes Kleid gekauft. Es ist wirklich sehr hübsch natürlich weiß, weil ich eine, Debütantin bin, mit grünen Blättern bestickt und einem fülligen Tüllrock.
Ich gefalle mir darin. Es passt vorzüglich zu meinem roten Haar.
Mable, Tante Dorothys Zofe, frisierte mir das Haar tief in den Nacken. Sie war sehr zufrieden mit dem Ergebnis, und ich ebenfalls.
Es waren eine Menge Leute zum Abendessen da, alle teuer gekleidet. Aber sie schienen sich in einer mir fremden Sprache miteinander zu unterhalten.
Jedes zweite Wort war ‚Liebling‘ oder ‚himmlisch‘, und sie benutzten auch Ausdrücke, die mir nicht sehr lustig vorkamen. Immer, wenn jemand sie aussprach, lachten alle anderen laut.
Man bot mir einen Cocktail an, und ich lehnte ihn ab.
Aber Tante Dorothy sagte:
»Unsinn, Maxine, irgendwann einmal musst du damit anfangen.«
Es war mein erster Cocktail, und ich kann nicht behaupten, dass er mir schmeckte. Ich trank die Hälfte davon aus und versteckte dann das Glas hinter einem Bilderrahmen, als niemand hinsah.
Mable hatte mir gesagt, dass es um halb neun Uhr Abendessen geben würde. Aber es wurde fast halb zehn, bis alle Gäste eingetroffen waren.
Ich hätte gedacht, es sei sehr unhöflich, zu spät zum Essen zu kommen, aber niemand störte sich daran, als ein junger Mann, den sie alle ‚Harry‘ nannten, erst lange nach neun Uhr eintraf und erklärte:
»Bitte entschuldigt, aber ich habe mein Bad so enorm genossen.«
Tante Dorothy sagte:
»Ich bin außer mir, Liebling!« Aber dabei strahlte sie, und man sah ihr an, dass sie dies keineswegs ernst meinte.
Harry war der sympathischste von allen anwesenden Herren. Offensichtlich ist er auch der interessanteste. Alle machten ein schreckliches Getue um ihn, lachten über alle seine Witze und hörten ihm aufmerksam zu, wenn er etwas sagte.
Er ist groß, sieht sehr gut aus, verhält sich aber seltsam. Er ist zurückhaltend, und wenn ich nicht wüsste, dass er ein Freund der anderen ist, würde ich sagen, er ist fast unhöflich zu ihnen und benimmt sich irgendwie anmaßend, als verachte er sie alle.
Vielleicht irre ich mich. Er ist zu allen Frauen, aber besonders zu Tante Dorothy, sehr charmant, und vielleicht bilde ich es mir nur ein, dass er alles nicht ernst meint.
Die Frauen waren sehr teuer gekleidet und trugen kostbare Juwelen.
Eine von ihnen hatte im letzten Jahr debütiert, wirkte aber wesentlich älter, als sie in Wirklichkeit war. Sie hatte sich stark geschminkt, trug große, tropfenförmige Diamantohrringe und eine Unmenge Armbänder.
Als ich mit Tante Dorothy über sie sprach, sagte sie:
»In ein, paar Jahren wird sie wesentlich jünger aussehen, diese Mädchen wollen anfangs immer Mrs. Methusalem sein.«
Das Leben hier wäre interessant und abenteuerlich, wenn ich nicht so große Angst davor hätte, mich zu blamieren.
Es fällt mir schwer, immer die richtigen Worte zu finden.
Aber niemand spricht einen Satz richtig zu Ende, sie unterhalten sich nicht über bestimmte Themen, sondern erzählen sich nur unglaubliche Geschichten, die sie erlebt haben wollen.
Nach dem Essen gingen wir in den Embassy Club, den elegantesten und vornehmsten Club von ganz London.
Als ich ihn betrat, war ich ein wenig enttäuscht. Ich hatte sehr viel über ihn gehört. Es ist nur ein riesiger Raum mit einer kümmerlichen Beleuchtung.
Als ich saß, blickte ich mich unauffällig um und hörte den Gesprächen zu, und dabei stellte ich fest, dass sich die meisten Anwesenden furchtbar wichtig nahmen.
Tante Dorothy sagte mir von einigen, wer sie waren, und dann tanzte ich mit einem Mann namens Cecil, den offensichtlich alle kannten.
»Liebling, wann wirst du mich fotografieren?« fragten ihn viele, während wir tanzten.
Und er erklärte mir mit witzigen Worten, wer die einzelnen waren, und amüsierte sich über sie.
Mindestens drei Damen im Club hielten sich für die best gekleidete Frau Europas, aber das Lustige daran war, dass zwei von ihnen fast die gleichen Kleider trugen.
Es waren auch einige Paare, die sich hatten scheiden lassen und wieder geheiratet hatten, und dann gab es beträchtliche Aufregung darüber, dass ein junger Mann nicht die Dame mitgebracht hatte, die ihn sonst stets begleitete.
Es kommt mir alles ziemlich eigenartig vor, und ich muss unwillkürlich daran denken, dass ich es wesentlich lieber gehabt hätte, wenn der Saal leerer gewesen wäre, dann hätte ich besser tanzen können.
Ich tanzte auch mit Harry. Er war sehr liebenswürdig. Dann fragte er mich sehr ernst:
»Fürchten Sie sich?«
»Ja, sehr«, sagte ich.
»Das brauchen sie nicht; in ein paar Tagen haben Sie sich an die Gesellschaft gewöhnt und werden alles sehr amüsant finden.«
»Vielen Dank«, sagte ich.
»Sie müssen sich nicht bedanken«, sagte er. »Es tut mir für Sie leid, dass Sie ausgerechnet in diese Gesellschaft geraten sind.«
Es klang nicht nach einem Kompliment für Tante Dorothy.
Harry und ich tanzten lang zusammen, und viele musterten mich höchst verwundert.
Eine Trau sagte schnippisch:
»Du meine Güte, Harry, wen hast du dir da ausgesucht?«
»Darf ich dir Dorothys Nichte vorstellen«, sagte er gelassen.
»Oh!« antwortete sie in einem Tonfall, der enttäuscht klang, als hätte sie etwas ganz anderes erwartet.
Harry war sehr freundlich und erzählte mir von London und seinen Sehenswürdigkeiten, die ich besuchen sollte.
Ich fragte ihn:
»Und was tun Sie?«
»Im Augenblick nichts«, antwortete er. »Mein Vater ist erst kürzlich gestorben. Ich kümmere mich um mein Erbe.«
Die Kapelle spielte endlos weiter, und wir tanzten so lange, bis sie eine Pause machte.
Als wir zum Tisch zurückkehrten, empfing uns Tante Dorothy sehr unfreundlich und sagte frostig:
»Ich möchte jetzt mit dir tanzen, Harry, oder hast du neuerdings eine Vorliebe für Kindergesellschaft?«
Er antwortete ihr nicht, sondern ging zum Nachbartisch, an dem einige seiner Freunde saßen, und unterhielt sich lange mit ihnen.
Tante Dorothy starrte ärgerlich seinen Rücken an und trommelte nervös mit den Fingern auf den Tisch.
Um ungefähr ein Uhr nachts, ich war zum Umfallen müde, standen wir alle auf, und ich dachte, wir führen endlich nach Hause.
Aber davon war keine Rede.
Wir gingen in einen kleineren Nachtclub und trugen uns in ein Buch ein, als wir eintraten. Aber wir schrieben nicht unsere richtigen Namen, sondern einfach ‚Brown‘, ‚Johnes‘ oder ‚Smith‘.
Mir kam das sehr albern vor, denn der Portier wusste genau, wer Tante Dorothy war und begrüßte sie mit ‚Mylady‘, obwohl sie ,Mrs. Smith‘ in das Buch gekritzelt hatte.
Wir gingen eine lange Treppe hinab und kamen in einen kleinen Raum mit sehr niedriger Decke.
Zwei Pianisten und ein Schlagzeuger machten einen schrecklichen Lärm, und die Gäste tanzten wie wild.
Das Lokal war gestopft voll. Viele Leute hatten wir vorher schon im Embassy getroffen. Sie winkten und riefen uns zu.
Als wir uns gesetzt hatten, kam ein Kellner und fragte, was wir zu trinken wünschten.
Jemand bestellte Champagner, der in einem großen Glaskrug serviert wurde, denn man fürchtete eine Razzia.
Ich fand das alles nicht lustig, aber vielleicht war ich nur zu müde.
Die Frauen tanzten jetzt hektisch, und es sah sehr komisch aus.
Ein älterer Herr bat Tante Dorothy, mir vorgestellt zu werden. Die anderen lachten und riefen:
»Hugo, du bist unverbesserlich!«
»Dies ist Maxine«, sagte Tante Dorothy. »Und dies ist Lord...«
Ich verstand seinen Namen nicht, weil alle laut losbrüllten.
Die Frau, die mir gegenübersaß, sagte:
»Lassen Sie sich nicht mit ihm ein, Maxine, er ist schrecklich unartig... Oder etwa nicht, Hugo?«
Ein anderer Herr sagte:
»Du musst es ja wissen, Ada!«
Sie zog eine Grimasse und nahm seine Bemerkung nicht im mindesten übel.
Lord Hugo wie immer er sonst noch heißen mag sagte zu mir:
»Darf ich Sie um den nächsten Tanz bitten?«
Ich konnte nicht gut ablehnen. Ich stand auf und war dabei sehr verlegen, weil alle lachten und uns Anzüglichkeiten nachriefen.
Er muss als junger Mann sehr attraktiv gewesen sein, aber jetzt sah er verlebt aus. Er war mir unsympathisch, und er presste mich so sehr an sich, dass ich kaum atmen konnte.
»Ich finde Sie anbetungswürdig«, sagte er.
»Vielen Dank«, erwiderte ich.
Er fuhr fort:
»Darf ich Sie öfter sehen? Und wollen Sie dann ein bisschen nett zu mir sein?«
Ich antwortete ihm höflich und sagte, dass ich ohne Tante Dorothy keine Pläne machen könne.
»Oh, das ist kein Problem«, sagte er. »Ich spreche gleich selbst mit Dolly. Erlauben Sie mir. Ihnen alles Sehenswerte in London zu zeigen? Und werden Sie dann ein bisschen nett zu mir sein?«
Ich sagte, meiner Meinung nach sei ich zu jedermann nett, weshalb sollte ich es ihm gegenüber nicht auch sein?
Er lachte und zog mich noch enger an sich.
»Sie sind entzückend«, sagte er.
Ich fand ihn abstoßend, deshalb sagte ich, ich sei müde und wolle nicht mehr tanzen.
»Wann darf ich Sie wiedersehen?« fragte er.
Ich sagte, ich könne über meine Zeit leider nicht frei verfügen.
»Ich rufe Sie morgen an«, sagte er und presste meine Hand. »Wir müssen noch einmal miteinander tanzen.«
»Nein, wirklich, bitte nicht«, sagte ich und ging zum Tisch zurück.
Er folgte mir und wollte mich zu einem weiteren Tanz überreden. Deshalb sagte ich zu Tante Dorothy, ich sei müde und würde gern nach Hause fahren.
»Diese jungen Dinger halten aber auch gar nichts aus«, rief sie unfreundlich.
Lord Hugo sagte rasch:
»Ich bringe sie nach Hause, wenn du noch hierbleiben willst, Dolly.«
Ich fand diese Idee grauenhaft und sagte:
»Vielen Dank, aber ich warte, bis Tante Dorothy nach Hause fährt.«
»Unsinn«, sagte sie. »Wenn du müde bist, gehst du nach Hause. Hugo wird dich am Grosvenor Square absetzen. Es liegt auf seinem Weg.«
Ich wollte um alles in der Welt nicht mit diesem widerlichen, unsympathischen Mann allein nach Hause fahren. Da sagte plötzlich Harry:
»Auch ich bin müde. Ich komme mit.«
»Bitte warte noch fünf Minuten, Harry«, sagte Tante Dorothy.
»Nein, ich fahre mit Maxine und Hugo«, erwiderte er kühl.
Tante Dorothy sagte flehentlich:
»Harry, bitte warte auf mich.«
»Es tut mir furchtbar leid, meine Liebe, aber ich bin todmüde und möchte nach Hause«, antwortete er.
Tante Dorothy wurde sehr ärgerlich und sprach kein Wort mehr mit mir. Sie ging weg und tanzte mit einem anderen Herrn.
Auch Lord Hugo schien von Harrys Idee nicht besonders angetan zu sein. Wir stiegen schweigend in ein Taxi und fuhren zum Grosvenor Square.
Als ich ausstieg, sagte Lord Hugo:
»Ich rufe Sie morgen früh an. Gute Nacht!«
Er wollte meine Hand drücken, aber ich zog sie rasch weg.
Harry stieg mit mir aus und begleitete mich bis zur Haustür.
»Gute Nacht... und schlafen Sie gut, debutante«, sagte er. »Gute Nacht«, erwiderte ich. »Und tausend Dank!«
Ich glaube, er wusste, dass ich ihm hauptsächlich für seine Begleitung dankte.
Er lächelte und sagte:
»Schon gut.«
Ich wollte noch hinzufügen, dass ich hoffte, Tante Dorothy würde nicht zu erzürnt über ihn sein, aber dann hielt ich es für besser, das Thema nicht zu erwähnen.
Er zog seinen Hut und stieg wieder in das Taxi.
Ich hatte mit Tante Dorothy eine unangenehme Unterredung. Sie ließ mich ungefähr um zehn Uhr zu sich kommen.
Ich war schon mehrere Stunden wach und wollte aufstehen. Aber Mable sagte mir, ich solle lieber liegenbleiben und mich ausruhen, denn unten sei ohnehin noch kein Feuer gemacht und auch sonst wäre noch nichts los.
Deshalb las ich die Zeitungen, die sie mir zusammen mit dem Frühstück gebracht hatte.
Es kam mir komisch vor, im Bett zu frühstücken nach der strengen Disziplin im Kloster. Wie ich diese Glocke um halb acht Uhr gehasst habe! Ich kam immer zu spät.
Ich stand gerade auf, um zu baden, als Tante Dorothy mich zu sich bat.
Ihr Schlafzimmer ist in Jadegrün gehalten, die Seidenvorhänge sind orangerot, und ihr vergoldetes Bett ist das größte, das ich je gesehen habe.
Die Bettwäsche ist cremefarben, und sie trug einen zauberhaften Morgenmantel in der gleichen Farbe, der mit Straußenfedern eingefasst war.
Wie ich angenommen hatte, sah sie am Morgen nicht halb so jung aus wie sonst.
Ohne Schminke hatte sie eine gelbliche Hautfarbe, und ihre Augen waren ohne Make-up sehr klein.
Als ich ins Zimmer trat, gab sie ihrem Mädchen gerade Anweisungen. Sie war sichtlich zornig, aber sie lächelte mich an und sagte:
»Guten Morgen, Maxine!« Und dann:
»Das ist alles, Miss Roberts. Und benützen Sie dieses Mal um Gottes willen Ihren Verstand, falls Sie überhaupt welchen haben.«
Miss Roberts, ein unscheinbares Mädchen mit fettigem Haar und Brille, war ganz eingeschüchtert und floh aus dem Zimmer.
»Maxine, ich möchte mit dir über dich sprechen«, sagte Tante Dorothy energisch. »Setz dich!«
Ich holte mir einen Stuhl und stellte ihn neben ihr Bett.
Tante Dorothy stopfte sich eine Menge spitzenbesetzte Kissen hinter den Rücken, und dann sagte sie:
»Du bist ein hübsches Kind. Ich nehme an, du weißt das.«
Ich errötete, denn das hatte ich nicht erwartet.
»Schäme dich niemals deiner Vorzüge«, fuhr sie fort, als ich nicht antwortete. »Wenn du nichts aus dir machst, macht auch sonst sich keiner etwas aus dir, und darüber will ich mit dir sprechen. Ich werde dich in die Londoner Gesellschaft einführen, und das bedeutet, dass ich dich wichtigen Leuten vorstellen und schließlich einen Mann für dich finden muss.«
Als ich protestieren wollte, sagte sie rasch:
»Keine Einwände! Natürlich musst du heiraten, und je eher, umso besser, denn es gibt so wenige akzeptable Männer, aber eine gewaltige Konkurrenz unter den Frauen. Ich hoffe, du hast Sex-Appeal! Nun, es wird sich zeigen.
Ich möchte dir klarmachen, dass du selbst für dich sorgen musst. Sehr wenige Mädchen werden heutzutage noch überwacht. Jedenfalls will ich mein Leben nicht auf privaten Tanzveranstaltungen und Bällen in allen möglichen Landhäusern verbringen.
Du musst dich bei meinen Bekannten beliebt machen und auf meine Interessen Rücksicht nehmen.
Deine Mutter ist natürlich dafür, dass du in der Gesellschaft verkehrst, die wir vor Jahren ,die besten Kreise, nannten. Aber die gibt es heutzutage nicht mehr.
Es gibt ein paar langweilige Häuser, glaube ich, die immer noch altmodische Tanzabende veranstalten, wo man Glacéhandschuhe trägt und Scharen von debutantes kindisch über ihrer Limonade kichern. Aber dort wirst du keine interessanten Männer kennenlernen, die für dich in Frage kommen.
Ein paar grüne Jungen vielleicht, aber kein vernünftiger Mann geht zu solchen Veranstaltungen, es sei denn, er ist sehr genügsam.
Bei mir und meinen Freunden wirst du die richtigen Leute kennenlernen, die man in den Klatschkolumnen die ,gute Gesellschaft, nennt. Aber du musst wirklich für dich selbst sorgen. Ich kann nicht ständig auf deine Tugend und deinen kleinen, unschuldigen Geist aufpassen.
Du musst es lernen, selbständig zu handeln, und je eher du es kannst, desto besser. Du bist kein kleines Mädchen mehr, Maxine, du bist fast neunzehn Jahre alt.
Ich persönlich halte es übrigens für absurd, dass du so lange die Klosterschule besucht hast.
Du kannst jetzt auf deinen eigenen Füßen stehen. Und wenn wir dir ein paar anständige Kleider gekauft haben, wüsste ich nicht, weshalb du kein Erfolg werden solltest.
Schließlich bist du eine sehr begehrenswerte Erbin. Das ist heutzutage eine große Hilfe. Aber selbst wenn du so reich wie Krösus wärst, könnte ich dir nicht helfen, wenn du keinen Charme besitzt.
Die Gesellschaft setzt sich heutzutage aus originellen Leuten zusammen, es spielt keine Rolle, was man ist oder woher man stammt. Wenn du in der Gesellschaft positiv auffällst, bist du überall gefragt, und wenn du dich als ein Langweiler herausstellst, musst du eben zu Hause bleiben.
Merke dir das, Maxine. Ich hoffe, du hast eine unterhaltsame Zeit in London. Du kannst jederzeit meinen Rat einholen, wenn du ihn brauchst.
Außerdem bekommst du jeden Monat ein großzügiges Taschengeld für deine Ausgaben. Sprich mit Miss Roberts darüber.
Und nun, Liebste, du hast mich verstanden, nicht wahr?«
»Ja, Tante Dorothy«, sagte ich, »und vielen Dank, dass ich hier bei dir in London sein darf.«
»Schon gut«, antwortete sie. »Geh jetzt, meine Liebe, ich muss mehrere Telefonate führen.«
In diesem Augenblick klingelte auch schon das Telefon. Als ich das Zimmer verließ, sagte Tante Dorothy:
»Ah, du bist es, Liebling...«