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Im Sturm E-Book

Tom Clancy

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Beschreibung

Das Attentat arabischer Fundamentalisten auf eines der wichtigsten Ölfelder Sibiriens bringt die GUS in einen fatalen Zugzwang. Um den Zusammenbruch ihrer maroden Wirtschaft zu verhindern, erzwingt Moskau sich Zugang zum Persischen Golf und schreckt auch vor einem Schlag gegen die NATO nicht zurück ...

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Seitenzahl: 1106

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Die Originalausgabe erschien 1986 unter dem Titel»Red Storm Rising«G. P. Putnam’s Sons, New York
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Copyright © der Originalausgabe 1986by Jack Ryan Enterprises Ltd. und Larry BondCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1994by Blanvalet Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.Umschlaggestaltung: Design Team, MünchenUmschlagfoto: Zefa, Masterfile / Scott TysickWR · Herstellung: sc
ISBN 978-3-641-08991-7V006
www.goldmann-verlag.dewww.penguinrandomhouse.de

Buch

Ein Attentat arabischer Fundamentalisten auf eines der wichtigsten Ölfelder Sibiriens bringt die Sowjetunion in fatalen Zugzwang, denn ihrer maroden Wirtschaft droht der endgültige Zusammenbruch. Der Schlüssel zum Überleben liegt für Moskau am Persischen Golf. Doch der Preis für den »freien Zugang« ist hoch – zu hoch für die ganze Welt. Denn die Hardliner im Kreml schrecken auch vor einem Schlag gegen die NATO nicht zurück. Das Unternehmen »Roter Sturm« läuft an: in den Weltmeeren, in der Luft und vor allem auf dem europäischen Festland ...

Autor

Tom Clancy, geboren 1948, arbeitete lange Jahre als Versicherungsagent. Eine Meuterei auf einem sowjetischen Zerstörer regte Clancy dazu an, seinen ersten Thriller, »Jagd auf Roter Oktober«, zu schreiben. Das Buch wurde auf Anhieb ein internationaler Erfolg, der sich in der Verfilmung mit Sean Connery in der Hauptrolle wiederholte. Seither ist Tom Clancy der Erfolg treu geblieben, seine Romane belegen regelmäßig über Wochen hinweg die ersten Plätze der internationalen Bestsellerlisten, die Verfilmungen mit Harrison Ford als Jack Ryan waren ausnahmslos Kassenschlager.

Inhaltsverzeichnis

BuchAutorVorwort1 - Träge Lunte
Nischnewartowsk, UdSSRSunnyvale, Kalifornien
2 - Außenseiter im inneren Zirkel
MoskauFort Meade, MarylandMoskau
3 - Korrelation der Kräfte
MoskauNorfolk, VirginiaMoskau
4 - Maskirowska 1
MoskauFort Meade, MarylandKiew, Ukraine
5 - Seeleute und Spione
Chesapeake Bay, MarylandNorfolk, Virginia
6 - Die Beobachter
Norfolk, VirginiaSchpola, UkraineUSS PharrisUSS Chicago
7 - Erste Observationen
Norfolk, VirginiaKiew, UkraineUSS ChicagoNorfolk, VirginiaPoljarnij, UdSSR
8 - Weitere Observationen
Grassau, DDRNorfolk, VirginiaKiew, Ukraine
9 - Ein letzter Blick
Norfolk, VirginiaMoskauCrofton, Maryland
10 - Die Pulververschwörung
Crofton, MarylandNorfolk, VirginiaKiew, UkraineMoskauNorfolk, VirginiaKiew, Ukraine
11 - Die Schlachtordnung
Schpola, UkraineNorfolk, Virginia
12 - Arrangements für Begräbnisse
Norfolk, VirginiaNorfolk, VirginiaCrofton, Maryland
13 - Fremde kommen und gehen
AachenRota, SpanienAachenKiew, UkraineBonnLeningradKoblenz
14 - Gas
Wandlitz, DDRMoskauWashington, D. C.NordatlantikMoskauUSS PharrisUSS Nimitz
15 - Die Seefestung
USS ChicagoNordatlantikPenguin 8MS Julius FucikSunnyvale, KalifornienUSS PharrisSunnyvale, KalifornienUSS NimitzUSS Chicago
16 - Erste Schritte – letzte Schritte
USS NimitzUSS ChicagoBrüsselAachen
17 - Die Traumland-Frisbees
Deutschland, VRVHohenwarte, DDRUSS PharrisSunnyvale, Kalifornien
18 - Nordlicht
Kiew, UkraineKeflavik, IslandMS Julius FucikKeflavik, IslandPenguin 8Keflavik, IslandMS Julius FucikPenguin 8MS Julius FucikPenguin 8MS Julius FucikPenguin 8MS Julius FucikPenguin 8MS Julius FucikKeflavik, IslandPenguin 8Hafnarfjördur, IslandMS Julius FucikUSS Pharris
19 - Wege enden – Wege beginnen
Hafnarfjördur, IslandMS Julius FucikHafnarfjördur, IslandMS Julius FucikHöhe 152, IslandHafnarfjördur, IslandHöhe 152, IslandHafnarfjördur, IslandUSS ChicagoUSS PharrisUSS NimitzHöhe 152, IslandHafnarfjördur, Island
20 - Tanz der Vampire
USS NimitzHöhe 152, IslandKeflavik, IslandHöhe 152, IslandKeflavik, IslandUSS NimitzKirowsk, UdSSRUSS NimitzNordatlantikUSS NimitzNordatlantikUSS NimitzNordatlantikUSS NimitzNordatlantikUSS NimitzNordatlantikUSS Nimitz
21 - Nordischer Hammer
Höhe 152, IslandKeflavik, IslandHöhe 152, IslandUSS PharrisUSS NimitzIslandUSS PharrisKiew, UkraineIslandUSS PharrisUSS ChicagoGrafarholt, Island
22 - Nachstöße
USS ChicagoKeflavik, IslandGrafarholt, IslandSchottlandStornoway, SchottlandUSS PharrisGrafarholt, IslandUSS PharrisGrafarholt, IslandKeflavik, IslandUSS Pharris
23 - Resultate
USS PharrisKiew, UkraineIslandKeflavik, IslandBitburgUSS ChicagoUSS Pharris
24 - Vergewaltigung
USS PharrisUSS ChicagoIslandUSS ChicagoStornoway, Schottland
25 - Trecks
IslandUSS PharrisStornoway, SchottlandIslandKiew, UkraineLuftstützpunkt Dover, Delaware, USASkulafoss, IslandSchottland
26 - Impressionen
Stendal, DDRUSS PharrisStornoway, SchottlandUSS ChicagoBieben, BRDUSS PharrisIsland
27 - Verluste
Keflavik, IslandStornoway, SchottlandNorwegisches MeerStendal, DDRIslandUSS Pharris
28 - Durchbrüche
Stendal, DDRLammersdorf, BRDHolle, BRDFaslane, SchottlandUSS PharrisReydarvath, IslandBodenburg, BRDAlfeld, BRDStornoway, SchottlandLammersdorf, BRD
29 - Abhilfen
Alfeld, BRDLuftstützpunkt Langley, VirginiaLeninsk, UdSSRLuftstützpunkt Langley, VirginiaStendal, DDRFaslane, SchottlandUSS PharrisSunnyvale, KalifornienIslandFaslane, SchottlandStendal, DDRBrüsselPanama
30 - Annäherungen
Boston, MassachusettsStornoway, SchottlandStendal, DDRNorfolk, VirginiaWindward PassageVirginia Beach, VirginiaIslandUSS Chicago
31 - Dämonen
Virginia Beach, VirginiaNordatlantikKeflavik, IslandStendal, DDRBrüsselStornoway, SchottlandAlfeld, BRDUSS ChicagoIslandKeflavik, IslandNordatlantik
32 - Neue Namen, neue Gesichter
Norfolk, VirginiaFölziehausen, BRDIslandSchottlandLuftstützpunkt Langley, VirginiaStornoway, SchottlandNorfolk, VirginiaStornoway, SchottlandFölziehausen, BRDIsland
33 - Kontakt
USS Reuben JamesMoskauUSS ChicagoStornoway, SchottlandNorthwood, EnglandUSS Reuben JamesNorthwood, England
34 - Fühler
USS Reuben JamesIslandFölziehausen, BRDNew York
25 - Im Visier: die Zeit
USS Reuben JamesLuftstützpunkt Langley, VirginiaKirowsk, UdSSRUSS Reuben JamesIslandNordatlantikUSS Reuben JamesNordatlantikUSS Reuben JamesNordatlantikUSS Reuben JamesNordatlantikUSS Reuben JamesNordatlantikStornoway, Schottland.USS Reuben JamesStornoway, SchottlandNordatlantikNorthwood, EnglandUSS ChicagoSeeadlerUSS ChicagoMoskau
36 - Schlacht bei 31° West
MoskauNorthwood, EnglandLuftstützpunkt Langley, VirginiaNorfolk, VirginiaUSNS PrevailUSS Reuben JamesUSS ChicagoUSS Reuben JamesIslandStendal, DDRUSS Reuben James
37 - Das Rennen der Krüppel
Stendal, DDRSeweromorsk, UdSSRNorthwood, EnglandWackersleben, DDRBrüsselUSS Reuben JamesFölziehausen, BRDUSS ChicagoIslandSouthamptonUSS Chicago
38 - Verdeckte Operationen
IslandUSS ChicagoIslandUSS IndependenceUSS Reuben JamesLe Havre, FrankreichIslandUSS IndependenceUSS Reuben JamesUSS Chicago
39 - Die Küste von Stykkisholmur
Hunzen, BRDBrüsselIslandUSS IndependentKeflavik, IslandUSS Chicago
40 - Killing Fields
Stykkisholmur, IslandKeflavik, Island.BrüsselHunzen, BRDUSS IndependenceUSS NassauKeflavik, IslandSack, BRDUSS IndependenceHunzen, BRDAlfeld, BRDUSS IndependenceMoskauStendal, DDRBrüssel
41 - Gelegenheitsziele
BrüsselStendal, DDRBitburg, BRDStendal, DDRMoskauAlfeld, BRDStendal, DDRAlfeld, BRDUSS Reuben JamesKeflavik, IslandUSS Reuben JamesAlfeld, BRDStendal, DDR
42 - Die Lösung des Konflikts
BrüsselMoskauStendal, DDRHöhe 914, IslandUSS NassauSwerdlowsk, UdSSRMoskauStendal, DDRMoskauKeflavik, IslandBrüsselKasan, UdSSRFaslane, SchottlandMoskau
43 - Ein Waldspaziergang
BrüsselPotsdam, DDRSack, BRDUSS IndependenceNordatlantikNorfolk, Virginia
Copyright

Vorwort

Die Arbeit an diesem Buch begann schon vor längerer Zeit. Larry Bond lernte ich kennen, als ich auf eine Anzeige in den Proceedings der US-Marineakademie sein Computerspiel »Harpoon« bestellte, das sich als verblüffend nützlich entpuppte und zur Hauptgrundlage von »Jagd auf Roter Oktober« wurde. Es faszinierte mich so, daß ich im Sommer 1982 zu einem Kongreß für Kriegsspiele fuhr, um ihn persönlich kennenzulernen, und am Ende wurden wir gute Freunde.

1983, als »Roter Oktober« in der Herstellung war, begannen Larry und ich über eines seiner Projekte zu reden: Convoy 84, ein Makro-Kriegsspiel auf der Basis des »Harpoon«-Systems, dessen Gegenstand eine Nordatlantikschlacht unter heutigen Bedingungen sein sollte. Ich war fasziniert, und wir begannen ein auf dieser Idee basierendes Buch zu diskutieren, denn bisher hatte niemand außerhalb der Verteidigungsministerien untersucht, wie es bei einer solchen, mit modernen Waffen geführten Kampagne zugehen mag. Je länger wir redeten, desto besser gefiel uns die Idee. Bald umrissen wir in groben Zügen spielerisch die Handlung und versuchten, das Szenarium auf einen vertretbaren Umfang zu beschränken, ohne essentielle Elemente von der Bühne zu entfernen. (Trotz endloser Diskussionen und heftiger Meinungsverschiedenheiten fanden wir für dieses Problem keine adäquate Lösung.)

Obwohl Larrys Name nicht auf dem Umschlag erscheint, ist er für dieses Buch genauso verantwortlich wie ich. Wir kümmerten uns nie um die Arbeitsteilung, doch es gelang uns, als Koautoren ein Buch zu vollenden – und unsere Vertragsbasis war nicht mehr als ein Händedruck. Viel Spaß hatten wir obendrein bei der Arbeit. Ob unser Unternehmen erfolgreich war, muß der Leser entscheiden.

 

Larry und ich können unmöglich allen danken, die uns bei der Vorbereitung dieses Buches geholfen haben, denn bei dem Versuch müßten wir die Namen all derer auslassen, deren Beitrag mehr als nur wichtig war. Allen, die uns willig ihre Zeit zur Verfügung stellten, endlose Fragen beantworteten und dann ihre Antworten detailliert erklärten – wir wissen, wer ihr seid und was ihr für uns getan habt. Ihr taucht alle in diesem Buch auf.

Besonderer Dank dem Kapitän, den Offizieren und der Mannschaft der Fregatte FFG-26, die eine phantastische Woche lang einer Landratte zeigten, was es heißt, Seemann zu sein.

 

»Schon seit undenklichen Zeiten ist es die Funktion der Marine, Situationen an Land zu beeinflussen und manchmal sogar zu entscheiden. Das war bei den alten Griechen der Fall; bei den Römern, die eine Marine aufbauten, um Karthago zu schlagen; den Spaniern, deren Armada die Eroberung Englands nicht gelang; und, ganz besonders entscheidend, im Atlantik und Pazifik in beiden Weltkriegen. Die See hat dem Menschen schon immer günstige Transportmöglichkeiten und bequeme Verbindungswege über große Distanzen geboten. Sie gab auch Tarnung, denn wer unter der Kimm lag, war außer Sichtweite und damit praktisch unerreichbar. In der ganzen Geschichte des Westens hat die See für Mobilität, Stärke und Nachschub gesorgt, und jene Imperien, die auf See versagten – man denke an Alexander, Napoleon und Hitler – waren nicht von Dauer.«

Aus Edward L.Beach:

1

Träge Lunte

Nischnewartowsk, UdSSR

Sie gingen rasch, lautlos, zielstrebig vor; über ihnen leuchtete kristallklar der Sternenhimmel Westsibiriens. Sie waren Moslems, was man ihnen kaum anmerkte; sie sprachen russisch mit dem singenden Tonfall der Aserbeidschaner. Die drei hatten gerade auf dem Lkw-Parkplatz und an den Bahngleisen eine komplizierte Aufgabe erledigt, nämlich das Öffnen Hunderter von Füllventilen. Ibrahim Tolkase war ihr Anführer. An der Spitze ging jedoch Rasul, ein Schrank von einem Mann, ehemals Feldwebel beim MVD; er hatte in dieser kalten Nacht bereits sechs Männer getötet – drei mit der Pistole, drei mit bloßen Händen. Niemand hatte etwas gehört, denn in einer Erdölraffinerie herrscht viel Lärm. Die Leichen waren im Dunkel zurückgelassen worden, und die drei Männer bestiegen nun Tolkases Wagen, um die nächste Phase in Angriff zu nehmen.

Das Kontrollzentrum befand sich in einem modernen zweistöckigen Bau in der Mitte des Komplexes. Mindestens fünf Kilometer weit in alle Richtungen erstreckten sich die Destillations- und katalytischen Anlagen, Tanklager und vor allem das kilometerlange Röhrengeflecht, das Nischnewartowsk zu einer der größten Raffinerien der Welt machte. In unregelmäßigen Abständen erhellten Flammen den Himmel, wo Gase abgefackelt wurden, und es stank nach Rohöldestillaten: Kerosin, Benzin, Diesel, Stickstofftetraoxid für Interkontinentalraketen, nach Schmierölen und allen möglichen anderen petrochemischen Verbindungen.

Der Ingenieur Tolkase steuerte seinen privaten Lada auf das fensterlose Backsteingebäude zu, hielt auf dem für ihn reservierten Parkplatz und ging zum Eingang. Seine Kameraden warteten geduckt im Fond.

Hinter der Glastür begrüßte Ibrahim den Mann vom Werkschutz, der zurücklächelte und die Hand nach Tolkases Ausweis ausstreckte. Der Wächter hatte getrunken; einziger Trost in diesem rauen, kalten Land. Sein Blick war verschwommen, sein Lächeln zu starr. Tolkase händigte ungeschickt seinen Ausweis aus, ließ ihn fallen, und der Wächter bückte sich wankend, um ihn aufzuheben. Tolkases Pistolenmündung war das letzte, was der Mann spürte. Er starb, ohne zu wissen wie oder warum. Ibrahim hob die Leiche auf, setzte sie vornübergesunken an den Tisch – es verpennte mal wieder einer die Spätschicht – und winkte dann seine Kameraden heran. Rasul und Mohammed sprinteten auf den Eingang zu.

»Brüder, es ist soweit.« Tolkase reichte seinem hünenhaften Freund die Kalaschnikow AK-47 und einen Patronengurt.

Rasul wog die Waffe kurz in der Hand, überzeugte sich, daß sie geladen und entsichert war. Dann warf er sich den Patronengurt über die Schulter, pflanzte das Bajonett auf und sagte zum ersten Mal in dieser Nacht etwas: »Das Paradies erwartet uns.«

Tolkase klemmte sich den Sicherheitsausweis an den weißen Kittel. Dann führte er seine Kameraden die Treppe hinauf.

Normalerweise durfte das Kontrollzentrum nur betreten, wer einem der dort Beschäftigten persönlich bekannt war. Nikolaj Barsow wirkte überrascht, als er Tolkase durch das winzige Fenster in der Tür erblickte. »Sie haben doch heute frei, Ischa.«

»Heute nachmittag versagte ein Ventil, und ich vergaß, vor Schichtende nach dem Fortgang der Reparaturarbeiten zu sehen. Sie wissen ja, welches ich meine – das Hilfsspeiseventil für Kerosinlager acht. Wenn es bis morgen nicht instand gesetzt ist, müssen wir umleiten, und Sie können sich vorstellen, was das bedeutet.«

Barsow grunzte zustimmend. »Allerdings, Ischa. Treten Sie zurück, damit ich aufmachen kann.«

Die schwere Stahltür öffnete sich nach außen. Rasul und Mohammed waren Barsow verborgen geblieben. Er hatte keine Zeit mehr, sie wahrzunehmen. Drei Geschosse vom Kaliber 7,62 mm bohrten sich in seine Brust.

Die Kontrollzentrale, in der zwanzig Mann Dienst taten, ähnelte einem Stellwerk oder der Schaltzentrale eines Kraftwerk. Schematische Darstellungen des Pipeline-Systems bedeckten die hohen Wände, übersät mit Hunderten von Leuchten, die die Funktion der einzelnen Steuerventile anzeigten. Doch dies war nur das Haupt-Display. Einzelne Teile des Systems wurden über separate Rückmeldeanlagen gesteuert, größtenteils durch Computer, aber auch von der Hälfte der diensttuenden Ingenieure überwacht. Das Personal konnte die drei Schüsse nicht überhören.

Doch niemand war bewaffnet.

Gelassen, fast elegant begann sich Rasul vorzuarbeiten, setzte seine Kalaschnikow meisterhaft ein, gab jedem Ingenieur nur eine Kugel. Anfangs versuchten sie zu fliehen – bis sie erkannten, daß Rasul sie wie Vieh in eine Ecke trieb. Zwei Männer griffen tapfer nach den Telefonen, um die Sicherheitseinheiten des KGB zu alarmieren. Einen erschoß Rasul auf seinem Posten, der andere aber ging hinter den Schaltpulten in Deckung und rannte zur Tür, wo Tolkase stand. Es war Boris, wie Tolkase sah, der Favorit der Partei und Chef des Kollektivs, ein Mann, der mit ihm »Freundschaft« geschlossen hatte. Ibrahim, der nicht vergessen hatte, wie gönnerhaft er von diesem Russen behandelt worden war, hob seine Pistole.

»Ischa!« schrie der Mann entsetzt. Ibrahim schoß ihm in den Mund und hoffte nur, daß Boris noch lange genug lebte, um sein verächtliches Giaur! zu hören. Es freute ihn, daß Rasul diesen Mann nicht erwischt hatte. Alle anderen überließ er seinem wortkargen Freund gern.

Die anderen Ingenieure brüllten und warfen mit Tassen, Stühlen und Handbüchern, doch es gab nirgends Zuflucht, nichts führte an dem dunkelhäutigen, baumlangen Mann vorbei. Manche hoben flehend die Hände, andere beteten sogar laut. Der Lärm legte sich, als Rasul lächelnd den letzten erschoß. Dieser schwitzende ungläubige Hund würde ihm im Paradies dienen. Rasul lud sein Sturmgewehr nach, ging zurück in die Kontrollzentrale, stieß die Leichen mit dem Bajonett an und verpaßte jenen vieren, die noch schwache Lebenszeichen zeigten, den Gnadenschuß. Sein Gesicht war grimmig befriedigt. Mindestens fünfundzwanzig ungläubige Hunde tot. Fünfundzwanzig Fremde, die nun nicht mehr zwischen seinem Volk und Allah standen. Wahrlich, er hatte Allahs Werk getan!

Mohammed, der dritte, war schon an seine Arbeit gegangen, als Rasul sich am oberen Ende der Treppe postierte. Im rückwärtigen Teil des Raumes schaltete er unter Umgehung aller automatischen Sicherheitssysteme von Computerkontrolle auf manuelle Notsteuerung um.

Ibrahim, ein methodischer Mann, hatte das Unternehmen zwar über Monate hinweg geplant und sich jede Einzelheit eingeprägt, trug aber dennoch eine Checkliste in der Tasche, die er nun entfaltete und vor sich aufs Hauptschaltpult legte. Tolkase warf einen Blick auf die Anzeigetafel, um sich zu orientieren, und hielt dann inne.

Aus der Hüfttasche zog er die Hälfte eines Korans, der seinem Großvater gehört hatte, und schlug ihn aufs Geratewohl auf: die Sure über die Kriegsbeute. Sein Großvater war bei einem erfolglosen Aufstand gegen Moskau zum »Märtyrer des Islam« geworden, sein Vater hatte sich auf schändliche Weise dem gottlosen Staat unterworfen, und Tolkase selbst war von seinen Lehrern indoktriniert und schließlich zum Ingenieur ausgebildet worden, der in Aserbeidschans bedeutendster Industrieanlage Anstellung fand. Erst dann hatte der Gott seiner Vorväter seine Seele durch einen inoffiziellen Imam gerettet. Tolkase las die Passage, die er aufgeschlagen hatte: »Und als die Ungläubigen planten, dich gefangenzuhalten, zu töten oder zu vertreiben, planten sie schlau; doch auch Allah hatte seinen Plan gemacht. Und seine Pläne sind die klügsten.«

Tolkase lächelte. Ein letzter Fingerzeig für einen Plan, den ein Größerer ausführte. Seelenruhig und zuversichtlich begann er, sein Schicksal und seinen Auftrag zu erfüllen.

Zuerst das Benzin. Er schloß sechzehn Steuerventile – die nächsten waren drei Kilometer entfernt – und öffnete dann zehn; so leitete er achtzig Millionen Liter Benzin um, die nun aus einer Batterie von Füllventilen für Tanklaster strömten. Da die drei keine pyrotechnischen Vorrichtungen hinterlassen hatten, entzündete sich der Treibstoff nicht sofort. Doch wenn wir wahrhaftig das Werk Allahs tun, hatte sich Tolkase gesagt, wird Er schon dafür sorgen ...

Was Er auch tat. Ein Kleinlaster ging auf dem Abfüllhof zu rasch in die Kurve, geriet auf dem auslaufenden Benzin ins Schleudern und prallte seitlich gegen einen Strommast. Es bedurfte nur eines Funkens ... und auch an den Gleisen lief schon der Treibstoff aus.

An den Hauptschaltern des Pipeline-Systems ging Tolkase nach einem ganz speziellen Plan vor. Rasch gab er in den Computer einen Befehl ein und dankte Allah für Rasuls Geschick, der mit seinem Sturmgewehr nichts Wichtiges beschädigt hatte. Die Hauptleitung von dem nahegelegenen Ölfeld hatte einen Durchmesser von zwei Metern und zahlreiche Abzweigungen zu allen Bohrlöchern. Das Öl in diesen Pipelines stand unter dem Druck der Förderpumpen des Feldes. Auf Ibrahims Befehle hin wurden Ventile in rascher Folge geöffnet und geschlossen. Die Pipeline barst an einem Dutzend Stellen, der Computer aber ließ die Pumpen weiterlaufen. Das austretende leichte Rohöl überflutete das Ölfeld; ein Funke genügte, um einen vom Winterwind noch weiter angefachten Großbrand auszulösen. Ein anderer Rohrbruch ereignete sich an der Stelle, wo die Öl- und Erdgasleitungen parallel über den Fluß Ob geführt wurden.

»Die Grünen sind da!« schrie Rasul. Gleich darauf kam der Einsatztrupp des KGB-Grenzschutzes die Treppe hochgestürmt. Ein kurzer Feuerstoß aus der Kalaschnikow tötete die beiden ersten Männer. Der Rest des Trupps machte hinter einer Biegung des Treppenhauses jäh halt; ein junger Feldwebel versuchte auszumachen, in was sie da hineingeraten waren.

Ringsum im Kontrollzentrum gingen automatische Alarmsignale los. Die Hauptanzeige stellte vier wachsende Brände dar, umrissen von blinkenden roten Leuchten. Tolkase trat an den Hauptrechner und riß die Bandspule mit den digitalen Steuerimpulsen heraus. Ersatzbänder lagen in einem Tresorraum im Keller, doch die einzigen Männer im Umkreis von zehn Kilometern, die die Kombination des Türschlosses kannten, lagen tot am Boden. Mohammed riß eifrig die Anschlüsse aller Telefone heraus. Die Explosion eines zwei Kilometer entfernten Benzintanks ließ das ganze Gebäude erzittern.

Die Detonation einer Handgranate leitete einen neuen Angriff der KGB-Truppen ein. Rasul erwiderte das Feuer; Todesschreie mischten sich mit dem ohrenbetäubenden Lärm der Brandsirenen. Tolkase eilte in die Ecke, wo der Boden vom Blut schlüpfrig war, öffnete die Tür eines Sicherungsschranks, legte den Hauptschalter um und schoß dann mit der Pistole hinein. Wer hier etwas reparieren wollte, würde im Dunkeln arbeiten müssen.

Es war vollbracht. Ibrahim sah, daß sein hünenhafter Freund von Granatsplittern tödlich in die Brust getroffen war, sich aber wankend an der Tür auf den Beinen hielt, bemüht, seine Kameraden bis zum letzten Augenblick zu schützen.

»Ich nehme Zuflucht im Herrn der Welt«, rief Tolkase den KGB-Truppen, die kein Wort Arabisch verstanden, trotzig zu. »Dem König der Menschen, Gott der Menschen, vorm Übel des flüsternden Scheitan –«

Der KGB-Feldwebel sprang auf den unteren Treppenabsatz, und seine erste Garbe riß Rasul die Kalaschnikow aus den blutleeren Händen. Zwei Handgranaten flogen im Bogen durch die Luft, als der Feldwebel schon wieder um die Ecke verschwand.

Kein Ausweg, kein Grund zur Flucht. Mohammed und Ibrahim blieben reglos in der Tür stehen, als die Handgranaten über die Fliesen auf sie zugerollt kamen. Um sie herum schien die ganze Welt Feuer zu fangen – und ihretwegen würde sie auch tatsächlich in Brand geraten.

»Allahu akbbar!«

Sunnyvale, Kalifornien

»Heiliger Strohsack!« hauchte der Chief Master Sergeant. Der in dem Benzin- und Diesellager der Raffinerie ausgebrochene Brand hatte ausgereicht, die Sensoren eines vierzigtausend Kilometer über dem Indischen Ozean in einer geosynchronen Umlaufbahn schwebenden strategischen Frühwarnsatelliten zu aktivieren. Das Signal wurde zu einer hochgeheimen Bodenstation der US-Luftwaffe gesendet.

Der ranghöchste Wachoffizier der Satelliten-Kontrolleinrichtung war ein Colonel der Air Force, der sich nun an seinen rangältesten Techniker wandte. »Bringen Sie das auf die Karte.«

»Ja, Sir.« Der Sergeant gab an seinem Terminal einen Befehl ein, der die Empfindlichkeit der Kameras im Satelliten verringerte. Als der Überbelichtungseffekt auf dem Bildschirm nachließ, ortete der Satellit die Quelle der Wärmeenergie rasch. Eine computererzeugte Landkarte auf dem Monitor lieferte genaue Koordinaten. »Sir, da brennt eine Erdölraffinerie. In zwanzig Minuten haben wir einen KH-11-Durchlauf. Der Satellit passiert die Brandstelle in knapp hundertzwanzig Kilometer Entfernung.«

»Gut.« Der Colonel nickte. Er betrachtete aufmerksam den Bildschirm, um sich zu vergewissern, daß die Hitzequelle sich nicht bewegte. Mit der rechten Hand griff er nach dem goldenen Telefon zum NORAD-Hauptquartier in Cheyenne Mountain im Bundesstaat Colorado. »Hier Argus Control. Ich habe eine Blitzmeldung für den CINC-NORAD.«

»Moment.«

»Hier CINC-NORAD«, sagte ein zweiter Mann, der Oberbefehlshaber der nordamerikanischen Luft- und Raumverteidigung.

»Sir, hier Colonel Burnette, Argus Control. Massiver Thermalenergiewert, Koordinaten sechzig Grad fünfzig Minuten Nord, sechsundsiebzig Grad vierzig Minuten Ost. Die Lokalität ist als Erdölraffinerie ausgewiesen. Die Hitzequelle ist stationär, wiederhole: stationär. In zwanzig Minuten erfolgt ein KH-11-Durchlauf. Nach erster Einschätzung, General, haben wir es hier mit einem Großbrand auf einem Ölfeld zu tun.«

»Ihr Satellit wird also nicht von einem Laser geblendet?« fragte der CINC-NORAD. Es bestand immer die Möglichkeit, daß die Sowjets solche Spiele trieben.

»Negativ. Die Lichtquelle umfaßt das gesamte sichtbare Spektrum plus infrarot und ist nicht, wiederhole: nicht monochromatisch. Weitere Einzelheiten in wenigen Minuten, Sir. Bisher weisen alle Daten auf einen Flächenbrand hin.«

Dreißig Minuten später hatten sie Gewißheit. Der Aufklärungssatellit kam über den Horizont und der Unfallstelle so nahe, daß seine acht Fernsehkameras das Chaos aufzeichnen konnten. Das Signal wurde über einen stationären Satelliten an die Bodenstation gefunkt, und Burnette sah sich das Ganze in »Echtzeit« an, live und in Farbe. Der Brand hatte bereits auf die Hälfte des Raffineriekomplexes und auf mehr als die Hälfte des nahegelegenen Ölfelds übergegriffen; brennendes Öl strömte aus den geborstenen Pipelines in den Ob. Sie konnten zusehen, wie sich das von einem starken Wind angefachte Feuer rasch ausbreitete. Im sichtbaren Spektrum hüllte Rauch den Großteil der Anlage ein, aber Infrarot-Sensoren durchdrangen ihn und zeigten eine Vielzahl von Hitzequellen, die nur riesige, heftig brennende Seen von Erdölprodukten darstellen konnten. Burnettes Sergeant kam aus dem Osten von Texas und hatte als junger Mann auf Ölfeldern gearbeitet. Er brachte Tageslichtaufnahmen der Anlage auf den Monitor und verglich sie mit dem Bild auf dem Sichtgerät nebenan, um festzustellen, welche Teile der Raffinerie bereits Feuer gefangen hatten.

»Verflucht, Colonel.« Der Sergeant schüttelte andächtig den Kopf. »Die Raffinerie ist im Eimer, Sir. Das Feuer rast vor dem Wind her und ist unmöglich zu löschen. Die Anlage ist ein Totalverlust und brennt vielleicht noch drei, vier Tage weiter, stellenweise sogar eine Woche. Und wenn sie den Brand nicht unter Kontrolle bekommen, geht auch das Ölfeld hoch. Beim nächsten Durchlauf steht der ganze Schlamassel in Flammen, brennendes Öl aus allen Bohrlöchern ... Mann, da traut sich selbst Red Adair nicht ran!«

2

Außenseiter im inneren Zirkel

DATUM – ZEIT 31/01–06:15 BLATT 01 GROSSBRAND UDSSR BC – Soviet Fire, Bjt 1809 ·FL·

Feuerkatastrophe auf sowjetischem Ölfeld im Nischnewartowsk ·FL.

EDS: Für Nachmittagsausgabe MITTWOCH vorgezogen ·FL·.

Von William Blake ·FC·

Militärkorrespondent AP

WASHINGTON (AP) – »Der schwerste Brand auf einem Ölfeld seit der Katastrophe in Mexico City 1984 und selbst dem Texas-City-Brand 1947« erhellte laut militärischen und nachrichtendienstlichen Quellen die Nacht in der mittleren Sowjetunion. Der Brand wurde mit »nationalen technischen Mitteln« ausgemacht, ein Begriff, der im allgemeinen auf von der CIA mittels Aufklärungssatelliten gewonnene Daten hinweist. Die CIA lehnte jeglichen Kommentar zu dem Vorfall ab.

Quellen im Pentagon bestätigten den Bericht und betonten, die von der Unfallstelle abgestrahlte Energie habe bei NORAD vorübergehend Unruhe und die Besorgnis ausgelöst, es könne sich um den Abschuß einer Rakete gegen die Vereinigten Staaten handeln oder den Versuch, amerikanische Frühwarnsatelliten mit einem Laser zu blenden.

Es sei jedoch zu keinem Zeitpunkt erwogen worden, erhöhte Alarmbereitschaft auszulösen. »Nach dreißig Minuten war alles vorbei«, erklärte die Quelle.

Von der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS ging bisher keine Bestätigung ein.

Die Tatsache, daß amerikanische Regierungsbeamte außergewöhnliche Industrieunfälle erwähnten, läßt darauf schließen, daß dieser Großbrand viele Todesopfer gefordert hat. Quellen im Verteidigungsministerium waren nicht bereit, über die Möglichkeit von Opfern unter der Zivilbevölkerung zu spekulieren. Der Erdölkomplex Nischnewartowsk grenzt an die gleichnamige Stadt an.

Das Feld Nischnewartowsk liefert 31,3 Prozent der gesamten sowjetischen Ölförderung, und die angrenzende, erst kürzlich erbaute Raffinerie 17,3 Prozent aller Erdöldestillate.

»Zu ihrem Glück«, erklärte Donald Evans, Sprecher des American Petroleum Institute, »brennt unterirdisches Öl nicht, und aus diesem Grund ist damit zu rechnen, daß das Feuer in ein paar Tagen von selbst ausgehen wird.« Der Wiederaufbau der Raffinerie jedoch könne sehr kostspielig werden. »Wenn so etwas hochgeht«, meinte Evans, »dann gewöhnlich mit einem großen Knall. Die Russen verfügen jedoch über ausreichende ungenutzte Raffineriekapazität und können den Ausfall ausgleichen, zum Beispiel mit ihrem erweiterten Komplex bei Moskau.«

Evans sah sich nicht in der Lage, Vermutungen über die Brandursache anzustellen: »Mag sein, daß das Klima etwas damit zu tun hatte. Wir sind zum Beispiel in Alaska auf Probleme gestoßen, die nur durch sorgfältige Arbeit gelöst werden konnten. Zudem ist jede Raffinerie anfällig für Brände, und für intelligentes, umsichtiges und gut ausgebildetes Bedienungspersonal gibt es eben keinen Ersatz.«

Dies ist der letzte in einer Serie von Rückschlägen für die sowjetische Ölindustrie. Erst im vergangenen Herbst wurde vor dem Zentralkomitee eingestanden, die Förderleistung beider Ölfelder in Ostsibirien hätte »frühere Erwartungen nicht ganz erfüllt«. Westliche Kreise interpretierten diese scheinbar milde Erklärung als scharfen Angriff auf den inzwischen zurückgetretenen Erdölminister Satyschin, dessen Posten nun Michail Sergetow innehat, ehemals Parteichef in Leningrad und ein Aufsteiger in der Partei. Sergetow, erfahrener Ingenieur und Parteibürokrat, muß nun die sowjetische Ölindustrie von Grund auf reorganisieren, eine Aufgabe, die Jahre in Anspruch nehmen mag.«

AP – BA-31–01 0501 EST ·FL·

+++ENDE+++

Moskau

Michail Eduardowitsch Sergetow hatte keine Gelegenheit, sich den Bericht der Nachrichtenagentur anzusehen. Er war aus seiner Datscha in den Birkenwäldern um Moskau geholt worden und sofort nach Nischnewartowsk geflogen, wo er sich nur zehn Stunden lang aufhielt, ehe er nach Moskau zurückbeordert wurde, um Bericht zu erstatten. Erst drei Monate auf dem Posten, dachte er, und jetzt ausgerechnet das!

Seine Stellvertreter, zwei geschickte junge Ingenieure, waren zurückgeblieben, um Ordnung in das Chaos zu bringen und zu retten, was noch zu retten war. Sergetow saß in der leeren Bugkabine einer IL-86 und ging seine Unterlagen für den Vortrag vom Politbüro durch, das später am Tag zusammentreten sollte. Dreihundert Männer waren bei der Bekämpfung des Brandes ums Leben gekommen und wie durch ein Wunder nur knapp zweihundert Bürger der Stadt Nischnewartowsk.

Die Raffinerie war fast völlig zerstört. Der Wiederaufbau würde mindestens zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen und einen beträchtlichen Anteil der Großröhrenproduktion des Landes verschlingen. Hinzu kamen alle anderen raffineriespezifischen Einrichtungen. Kostenpunkt: fünfzehn Milliarden Rubel. Und was mußte alles aus dem Ausland importiert werden – gegen Geld und kostbare Devisen!

Und das war noch die positive Seite.

Der negative Aspekt: Der Brand auf dem Ölfeld hatte die Quellenfassungen total zerstört. Reparaturzeit: sechsunddreißig Monate!

Sechsunddreißig Monate, sann Sergetow deprimiert, vorausgesetzt, wir können die Bohrtürme und Mannschaften von anderswo abziehen und jede einzelne Bohrung neu niederbringen lassen und zur selben Zeit die ERO-Systeme wiederaufbauen. Achtzehn Monate lang ein drastischer Produktionsrückgang, wenn nicht dreißig Monate. Was soll aus unserer Wirtschaft werden?

Er nahm ein liniertes Blatt aus der Aktentasche und begann zu rechnen. Der Flug dauerte drei Stunden, aber daß er vorüber war, merkte Sergetow erst, als der Pilot erschien und verkündete, sie seien gelandet.

Er blinzelte auf die Schneelandschaft bei Wnukowo-2, Moskaus nur für die Parteiprominenz bestimmtem Flughafen, und ging allein die Treppe hinunter zu einem bereitstehenden Sil. Die schwere Limousine raste sofort los und hielt an keinem der Kontrollpunkte. Die fröstelnden Milizoffiziere nahmen Haltung an, als der Sil vorbeirauschte. Die Sonne schien hell, der Himmel war bis auf dünne Zirruswolken klar. Sergetow starrte ausdruckslos aus dem Fenster und ging in Gedanken Zahlen durch, die er schon ein halbes dutzendmal überprüft hatte.

Sergetow war seit sechs Monaten Kandidat, also nicht stimmberechtigtes Mitglied des Politbüros, was bedeutete, daß er zusammen mit acht anderen Kandidaten die dreizehn Männer, die allein alle wichtigen Entscheidungen trafen, beriet. Er war seit September für die Erzeugung und Verteilung von Energie zuständig und hatte gerade erst begonnen, seinen Plan für die Reorganisation aller anderen mit Energie befaßten zentralen und regionalen Ministerien, die den Großteil ihrer Zeit mit bürokratischen Grabenkämpfen verbrachten, in die Tat umzusetzen und eine übergeordnete Behörde zu schaffen, die dem Politbüro direkt Bericht erstattete. Er schloß kurz die Augen und dankte Gott, weil er sich in seiner ersten Empfehlung vor einem Monat mit Fragen der Sicherheit und politischen Zuverlässigkeit auf den Ölfeldern befaßt und für eine weitere Russifizierung der größtenteils »ausländischen« Belegschaft eingesetzt hatte. Aus diesem Grund brauchte er um seine Karriere, bislang ein ununterbrochener Erfolg, nicht zu fürchten. Er zuckte die Achseln. Bei der nun vor ihm liegenden Aufgabe ging es auf jeden Fall um seine Zukunft. Und womöglich um die seines Landes.

Der Sil raste auf der für höchste Persönlichkeiten bestimmten Sonderspur in der Fahrbahnmitte des Leningradski-Prospekts entlang. Sie glitten am Intourist-Hotel vorbei auf den Roten Platz und hielten schließlich auf das Kremltor zu. Hier mußte der Fahrer an drei von KGB-Soldaten und Taman-Gardisten bemannten Kontrollposten anhalten. Fünf Minuten später fuhr die Limousine am Eingang zum Ministerratsgebäude vor, dem einzigen modernen Bau in der Festung. Hier kannten die Posten Sergetow vom Sehen und hielten ihm zackig salutierend die Wagentür auf.

Als er eintrat, herrschte im Sitzungssaal Totenstille. In dem alten Saal im Arsenal, der gerade renoviert wurde, hätte die Stimmung an eine Beerdigung erinnert. Langsam starben die alten Männer, die Stalins Schreckensherrschaft überlebt hatten, aus. Die »jungen« Männer um die fünfzig verschafften sich Gehör, die Wachablösung hatte begonnen, kam aber für den Geschmack Sergetows und seiner Generation trotz des neuen Generalsekretärs viel zu langsam voran.

»Guten Tag, Genossen«, sagte Sergetow. Die anderen Männer nahmen ihre Plätze ein. Sergetow setzte sich auf der rechten Seite des Tisches in die Mitte.

Der Generalsekretär eröffnete die Sitzung, sprach beherrscht und sachlich. »Genosse Sergetow, beginnen Sie mit Ihrem Bericht. Zuerst möchten wir von Ihnen erfahren, was genau sich zugetragen hat.«

»Genossen, gestern um dreiundzwanzig Uhr Moskauer Zeit drangen drei bewaffnete Männer ins Kontrollzentrum des Ölkomplexes Nischnewartowsk ein und begingen einen raffinierten Sabotageakt.«

»Wer waren sie?« fragte der Verteidigungsminister scharf.

»Bisher konnten wir nur zwei identifizieren. Einer der Banditen war Betriebsangehöriger, ein Elektriker. Der dritte« – Sergetow zog einen Personalausweis aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch – »war der Leitende Ingenieur Tolkase. Offenbar löste er in fachmännischer Kenntnis der Steuersysteme einen Großbrand aus, der sich, angefacht von starkem Wind, rasch verbreitete. Ein aus zehn Soldaten des KGB-Grenzschutzes bestehender Sicherheitstrupp griff auf den Alarm hin sofort ein. Der bisher noch nicht identifizierte Saboteur tötete oder verwundete fünf dieser Männer mit einem Sturmgewehr, das er einem Angehörigen des Werkschutzes abgenommen hatte, der ebenfalls ums Leben kam. Ich muß nach der Vernehmung des Feldwebels vom KGB – der Leutnant fiel – sagen, daß der Grenzschutz rasch und korrekt reagierte. Die Männer töteten die Saboteure binnen Minuten, konnten aber die völlige Zerstörung der gesamten Anlage, Raffiniere und Ölfeld, nicht verhindern.«

»Gut, der Grenzschutz hat rasch gehandelt. Warum hat er diesen Sabotageakt nicht verhindern können?« fragte der Verteidigungsminister aufgebracht. »Was hatte dieses Mohammedanergesindel dort überhaupt verloren?«

»Genosse, die Arbeit auf den sibirischen Ölfeldern ist hart, und wir hatten ernsthafte Schwierigkeiten, die Stellen dort zu besetzen. Mein Vorgänger beschloß, erfahrene Arbeiter aus Baku nach Sibirien zwangsversetzen zu lassen. Das war der helle Wahnsinn. Sie werden sich entsinnen, daß ich Ende vergangenen Jahres die Abschaffung dieser Praktik empfahl.«

»Wir haben davon Kenntnis genommen, Michail Eduardowitsch«, meinte der Generalsekretär. »Bitte fahren Sie fort.«

»Die KGB-Wache zeichnet alle Telefon- und Funkgespräche auf. Der Einsatztrupp war binnen zwei Minuten unterwegs. Unglücklicherweise befindet sich die Wache neben dem alten Kontrollzentrum. Als wir vor zwei Jahren neue computergesteuerte Anlagen aus dem Westen erhielten, wurde das gegenwärtige Gebäude drei Kilometer weiter weg hochgezogen. Das Baumaterial für eine neue Wache daneben wurde zugeteilt, aber vom Direktor des Komplexes und dem örtlichen Parteisekretär für den Bau von Datschen am Fluß zweckentfremdet. Beide Männer sind auf meine Veranlassung hin wegen Verbrechens gegen den Staat festgenommen worden«, berichtete Sergetow nüchtern. Keine Reaktion am Tisch. Sergetow sprach weiter: »Ich habe die Sicherheitsmaßnahmen an allen Ölanlagen bereits verschärfen lassen. Ebenfalls auf meinen Befehl hin wurden die Familien der beiden bekannten Saboteure in Baku verhaftet und vom Staatssicherheitsdienst streng verhört, ebenso alle Bekannten und Arbeitskollegen der Täter. Ehe die Täter vom Grenzschutz unschädlich gemacht werden konnten, sabotierten sie die Steueranlage des Ölfeldes auf eine Weise, die einen Großbrand auslöste. Es gelang ihnen auch, die Steuereinrichtungen so zu beschädigen, daß selbst qualifizierte Ingenieure die Katastrophe nicht hätten verhindern können. Die KGB-Truppen waren gezwungen, das Gebäude, das später ausbrannte, zu verlassen. Sie konnten nichts mehr machen.« Sergetow erinnerte sich an die Tränen auf den Blasen im verbrannten Gesicht des Feldwebels.

»Und die Feuerwehr?« fragte der Generalsekretär.

»Über die Hälfte der Männer kam bei der Bekämpfung des Brandes um«, erwiderte Sergetow, »dazu mehr als hundert Bürger, die mithalfen, den Komplex zu retten. Man kann hier wirklich niemandem die Schuld geben, Genosse. Sowie dieser Tolkase sein Teufelswerk begonnen hatte, war es so leicht unter Kontrolle zu bringen wie ein Erdbeben. Die Brände sind inzwischen zum größten Teil gelöscht, denn der bei der Raffinerie lagernde Treibstoff wurden binnen fünf Stunden von den Flammen verzehrt, und aus den zerstörten Bohrlöchern tritt kein Öl mehr aus.«

»Wie war eine solche Katastrophe nur möglich?« fragte ein altes Mitglied. Sergetow war von der ruhigen Stimmung im Raum überrascht. Hatte man den Fall bereits zuvor besprochen?

»Mein Bericht vom 20. Dezember befaßte sich mit den Gefahren. Vom Kontrollzentrum aus werden Pumpen und Ventile auf einem Gebiet von über hundert Quadratkilometern gesteuert. Von hier aus kann ein mit der Anlage vertrauter Mann die verschiedenen Systeme des gesamten Feldes nach Belieben manipulieren und erreichen, daß sich der ganze Komplex praktisch selbst zerstört. Tolkase verfügte über diese Kenntnisse. Er war ein Aserbeidschaner, wegen seines Geschicks und seiner vorbildlichen Treue ausgewählt, Absolvent der Staatsuniversität Moskau, angesehenes Parteimitglied. Außerdem scheint er ein zu verblüffender Heimtücke fähiger religiöser Fanatiker gewesen zu sein. Alle Männer, die im Kontrollzentrum getötet wurden, waren seine Freunde – oder hielten sich zumindest dafür. Nach fünfzehn Jahren in der Partei waren die letzten Worte dieses Mannes, der ein gutes Gehalt, den Respekt seiner Kollegen und sogar einen Privatwagen hatte, der schrille Schrei: ›Allah ist groß‹, schloß Sergetow trocken. »Aserbeidschaner sind offensichtlich unberechenbar, Genossen.«

Der Verteidigungsminister nickte. »Und welche Auswirkungen wird das auf die Ölproduktion haben?« Am Tisch beugte man sich vor, gespannt auf Sergetows Antwort.

»Genossen, wir haben für mindestens ein Jahr, womöglich für drei Jahre, etwa vierunddreißig Prozent unserer Förderkapazität verloren.« Sergetow schaute von seinen Unterlagen auf und sah, wie sich die steinernen Mienen schmerzlich verzogen. »Alle Bohrungen müssen neu niedergebracht, alle Pipelines vom Ölfeld zur Raffinerie neu verlegt werden. Der gleichzeitige Verlust der Raffinerie ist ernst, aber kein unmittelbarer Anlaß zur Sorge, denn sie kann erstens wieder aufgebaut werden und stellte zweitens nur ein Siebtel unserer Gesamtkapazität dar. Der Rückgang der Ölförderung dagegen wird unserer Volkswirtschaft den schwersten Schaden zufügen. Wegen der chemischen Zusammensetzung des Nischnewartowsk-Öls sind die Auswirkungen auf die Wirtschaft schwerer, als der Nettoverlust zunächst andeutet. Sibirisches Erdöl ist ›leicht und süß‹, was bedeutet, daß es einen unverhältnismäßig hohen Anteil wertvollster Bestandteile, aus denen wir Benzin, Kerosin und Dieseltreibstoff herstellen, und einen geringen Schwefelgehalt hat. Der Nettoverlust auf diesen Gebieten beträgt vierundvierzig Prozent unserer Benzin-, achtundvierzig Prozent der Kerosin-und fünfzig Prozent der Dieselproduktion. Diese Zahlen sind das Ergebnis vorläufiger Berechnungen, die ich auf dem Rückflug anstellte, sie sollten aber bis auf plus-minus zwei Prozent exakt sein. Genaue Werte wird meine Behörde in ein, zwei Tagen vorlegen.«

»Also die Hälfte?« fragte der Generalsekretär leise.

»Korrekt, Genosse«, gab Sergetow zurück.

»Und wann kann die Förderung wieder beginnen?«

»Genosse Generalsekretär, wenn wir alle verfügbaren Bohrtürme heranziehen und rund um die Uhr arbeiten lassen, kann die Förderung in zwölf Monaten wieder beginnen. Die Beseitigung der Trümmer wird drei Monate in Anspruch nehmen, Transport und Aufstellung der Bohrtürme weitere drei. Da uns über Lage und Tiefe der Bohrungen exakte Informationen vorliegen, kann der übliche Unsicherheitsfaktor unberücksichtigt bleiben. Innerhalb eines Jahres – will sagen, sechs Monate nach Beginn der Bohrarbeiten  – produziert das Feld wieder und wird nach zwei Jahren wieder seine volle Kapazität erreicht haben. Gleichzeitig müßten auch die EOR-Anlagen erneuert werden –«

»Und was wäre das?« fragte der Verteidigungsminister.

»Enhanced Oil Recovery Systeme, Genosse Minister, eine westliche Erfindung. Wären dies verhältnismäßig neue Bohrlöcher gewesen, aus denen das Öl unter dem Druck des Erdgases strömt, hätte das Feld wochenlang gebrannt. Wie Ihnen bekannt ist, Genossen, wurde aus diesen Bohrlöchern schon allerhand Öl gepumpt. Um die Förderleistung zu steigern, haben wir Wasser in die Bohrlöcher gepumpt, das mehr Öl nach oben drückt. Unsere Geologen sind im Augenblick noch damit befaßt herauszufinden, in welchem Ausmaß dies die ölführenden Schichten schädigt. Wie auch immer, mit dem Strom fiel auch die Kraft, die das Öl nach oben preßte, aus, und die Brände an der Oberfläche fanden bald keine Nahrung mehr.«

»Wir können also noch nicht einmal in drei Jahren mit voller Förderleistung rechnen?« fragte der Innenminister.

»Korrekt, Genosse Minister. Es existiert schlicht keine wissenschaftliche Basis für die Taxierung der Gesamtproduktion. Mit einer Situation wie dieser sah sich bisher noch niemand konfrontiert, weder im Osten noch im Westen. Vielleicht können wir im Lauf der nächsten zwei oder drei Monate den Testbohrungen einige Aufschlüsse entnehmen. Ich habe zwei Ingenieure zurückgelassen, die im Begriff sind, den Prozeß mit verfügbarem Gerät in Gang zu setzen.«

»Gut.« Der Generalsekretär nickte. »Die nächste Frage: Wie lange kann das Land auf dieser Basis existieren?«

Sergetow konsultierte seine Unterlagen. »Genossen, für unsere Wirtschaft ist das unbestreitbar eine Katastrophe von noch nie dagewesenen Ausmaßen. Der Winter hat unsere Schwerölvorräte stärker als gewöhnlich vermindert. Bestimmte Energieverbraucher müssen relativ unangetastet bleiben. Für die Stromerzeugung zum Beispiel wurden im vergangenen Jahr achtunddreißig Prozent unserer Ölprodukte aufgewandt, sehr viel mehr als geplant, weil die Kohle- und Gasproduktion, die den Ölverbrauch reduzieren sollte, enttäuschend ausfiel. Wegen Fehlschlägen bei der Modernisierung wird der Ausstoß unserer Kohleindustrie erst in fünf Jahren das Plansoll erreichen. Und Bohrungen nach Erdgas werden gegenwärtig von Umweltbedingungen verlangsamt. Aus technischen Gründen sind Einrichtungen dieser Art in extremer Kälte sehr schwer zu bedienen –«

»Dann sollen die Faulenzer eben fester zupacken!« schlug der Moskauer Parteichef vor.

»An den Bohrmannschaften liegt es nicht, Genosse.« Sergetow seufzte. »Es sind die Maschinen. Die Kälte schadet Metall mehr als Menschen. Werkzeuge und Gerätschaften brechen, weil sie in der Kälte spröde werden. Die Witterungsbedingungen erschweren die Versorgung der Lager mit Ersatzteilen.«

»Wäre es möglich, die Bohrarbeiten im geheimen durchzuführen?« fragte der Verteidigungsminister.

Das verblüffte Sergetow. »Ausgeschlossen, Genosse Minister. Wie versteckt man mehrere hundert zwischen zwanzig und vierzig Meter hohe Bohrtürme? Da könnte man genausogut versuchen, den Raketenkomplex Plesezk zu tarnen.« Zum ersten Mal fiel Sergetow auf, daß der Verteidigungsminister und der Generalsekretär Blicke tauschten.

»Dann muß die Stromindustrie ihren Ölverbrauch einschränken«, verfügte der Generalsekretär.

»Genossen, gestatten Sie mir, Ihnen ein paar grobe Zahlen zu unserem Ölverbrauch zu nennen. Bitte berücksichtigen Sie, daß ich das aus dem Gedächtnis tue, da der Jahresbericht meiner Behörde im Augenblick noch erstellt wird.

Im vergangenen Jahr förderten wir 589 Millionen Tonnen Rohöl, zweiunddreißig Millionen Tonnen unterm Plansoll, und selbst diese Leistung war nur mit Hilfe der erwähnten künstlichen Maßnahmen möglich. Die Hälfte dieser Menge wurde in masut oder schweres Heizöl zur Verfeuerung in Kraftwerken, Fabriken und so weiter umgewandelt. Für den Großteil dieses Öls gibt es keine andere Verwendung, da wir nur über drei – Verzeihung, nun nur noch zwei – Raffinerien verfügen, deren komplexe katalytische Spaltanlagen Schweröl in leichte Destillate umzuwandeln imstande sind.

Unsere Treibstoffproduktion hält die Wirtschaft auf vielfältige Weise in Gang. Wie bereits erwähnt, werden bei der Stromerzeugung achtunddreißig Prozent verbraucht. Die gute Hälfte der leichteren Treibstoffe Benzin, Diesel und Kerosin absorbieren Landwirtschaft, Nahrungsindustrie, Personen- und Gütertransport, der zivile Verbrauch und die Streitkräfte. In anderen Worten, Genossen, ist nach dem Ausfall von Nischnewartowsk der Bedarf der erwähnten Endverbraucher größer als unsere Produktion, und es bleibt nichts übrig für Metallurgie, die chemische und die Schwerindustrie, die Bauwirtschaft und nicht zu vergessen die Lieferungen an die sozialistischen Bruderstaaten in Osteuropa und anderswo auf der Welt.

Um auf Ihre spezifische Frage einzugehen, Genosse Generalsekretär, eine bescheidene Verringerung des Verbrauchs von leichtem Heizöl in Kraftwerken ist zwar möglich, doch schwere Defizite bei der Stromerzeugung führen schon jetzt zu gelegentlichen Spannungsabfällen und Stromausfällen. Weitere Kürzungen auf diesem Gebiet würden sich ungünstig auf die Industrieproduktion und den Schienentransport auswirken. Sie werden sich entsinnen, daß wir vor drei Jahren in einem Experiment die Spannung des erzeugten Stroms verringerten, um Treibstoff zu sparen, was im ganzen Donezbecken zu durchgebrannten Elektromotoren führte.«

»Und Kohle und Gas?«

»Genosse Generalsekretär, die Kohleproduktion liegt bereits sechzehn Prozent unterm Plansoll und sinkt weiter – aus diesem Grund mußten viele Kessel und Kraftwerke von Kohle auf Öl umgestellt werden. Zudem wäre die Rückkonvertierung solcher Anlagen von Öl auf Kohle zu kostspielig und zeitraubend. Umrüstung auf Erdgas ist eine attraktivere und kostengünstigere Alternative, die wir energisch verfolgt haben. Leider hinkt auch die Erdgasförderung dem Plansoll hinterher, ist aber nun im Steigen begriffen und mag im Lauf des Jahres die vorgegebenen Werte erreichen. Hier muß allerdings berücksichtigt werden, daß wir die Hälfte unseres Erdgases gegen Devisen nach Westeuropa liefern, um im Ausland Rohöl und natürlich auch Getreide einkaufen zu können.«

Bei diesem Hinweis verzog das für die Landwirtschaft zuständige Mitglied des Politbüros schmerzlich das Gesicht. Wie viele Männer, fragte sich Sergetow, hatten bei dem Versuch, die sowjetische Landwirtschaft auf Trab zu bringen, ihre Karrieren ruiniert? Eine Ausnahme stellte natürlich der gegenwärtige Generalsekretär dar; den hatten seine Mißgriffe auf diesem Gebiet nicht am Aufstieg gehindert. Doch welchen Preis er bezahlt hatte, begann Sergetow erst jetzt zu verstehen.

»Welche Lösung schlagen Sie vor, Michail Eduardowitsch?« fragte der Verteidigungsminister mit beunruhigender Beflissenheit.

»Genossen, wir müssen unsere Wirtschaft auf allen Ebenen rationalisieren und leistungsfähiger machen.« Höhere Ölimporte erwähnte Sergetow erst gar nicht, denn das von ihm erwähnte Defizit bedeutete bereits eine dreißigfache Erhöhung der Einfuhren, und für eine Verdoppelung der Ölimporte reichten die Devisenreserven kaum aus. »Wir werden den Ausstoß der Bohrturmfabrik ›Barrikade‹ in Wolgograd erhöhen und die Qualitätskontrolle verbessern müssen. Außerdem ist der Einkauf von Bohrgerät im Westen notwendig, damit existierende Felder weiter erforscht und ausgebeutet werden können. Wir müssen mehr Kernkraftwerke bauen. Die Lastwagen und Privatfahrzeugen zur Verfügung stehende Treibstoffmenge ließe sich kürzen – wir alle wissen, daß auf diesem Sektor viel verschwendet wird, vielleicht sogar ein Drittel des Gesamtverbrauchs. Der Treibstoffverbrauch der Streitkräfte ließe sich vorübergehend einschränken. Und zu erwägen wäre auch die Umstellung einiger Rüstungsbetriebe auf die Herstellung wichtiger Produkte für den zivilen Bereich. Wir haben drei sehr schwere Jahre vor uns – aber nur drei«, schloß Sergetow optimistisch.

»Genosse, auf dem Gebiet der Außen- und Verteidigungspolitik haben Sie nur wenig Erfahrung, nicht wahr?« fragte der Verteidigungsminister.

»Ich habe nie etwas anderes behauptet, Genosse Minister«, erwiderte Sergetow argwöhnisch.

»Dann will ich Ihnen sagen, weshalb diese Lage unakzeptabel ist. Wenn wir Ihren Vorschlägen folgen, wird der Westen von unserer Krise erfahren. Größere Bestellungen von Bohr- und Fördereinrichtungen und Aktivität in Nischnewartowsk demonstrieren eindeutig, was hier vor sich geht. Dann sind wir in den Augen des Westens verwundbar, und unsere Schwäche wird ausgenutzt werden. Und dabei« – er hieb mit der Faust auf den schweren Eichentisch – »schlagen Sie die Kürzung des Treibstoffs für die Streitkräfte vor, die uns gegen den Westen verteidigen sollen!«

»Genosse Minister, ich bin Ingenieur und kein Soldat. Ich wurde um eine Einschätzung der Lage vom technischen Standpunkt aus gebeten und habe das getan.« Sergetow war bemüht, sachlich zu klingen. »Die Lage ist sehr ernst, zieht aber zum Beispiel unsere Interkontinentalraketen nicht in Mitleidenschaft. Können sie allein uns nicht vor den Imperialisten schützen, während wir uns von diesem Schlag erholen?« Wozu sind sie sonst gebaut worden? fragte sich Sergetow. Unsummen für unproduktive Löcher vergeudet. Reichte es denn nicht aus, den Westen zehnmal zerstören zu können? Warum eigentlich zwanzigmal? Und warum war das jetzt immer noch nicht genug?

»Haben Sie an die Möglichkeit gedacht, daß der Westen uns nicht verkauft, was wir brauchen?« fragte der Parteitheoretiker.

»Wann haben die Kapitalisten sich je geweigert –«

»Wann hatten die Kapitalisten je eine solche Waffe gegen uns in der Hand?« gab der Generalsekretär zu bedenken. »Zum ersten Mal ist der Westen in der Lage, uns innerhalb eines Jahres die Luft abzuschnüren. Und was, wenn man uns obendrein noch an Getreidekäufen hindert?«

Daran hatte Sergetow nicht gedacht. Nach sieben aufeinanderfolgenden Mißernten war die Sowjetunion auf riesige Getreidelieferungen angewiesen, in diesem Jahr ausgerechnet aus den USA und Kanada, da Argentinien und in geringerem Ausmaß auch Australien wegen schlechten Wetters in der südlichen Hemisphäre karge Ernten eingefahren hatten. In Washington und Ottawa waren die Kaufverhandlungen bereits im Gange, und abgesehen vom starken Dollar, der den Weizen unverhältnismäßig verteuerte, machten die Amerikaner überhaupt keine Schwierigkeiten. Die Verschiffung des Getreides würde jedoch Monate in Anspruch nehmen. Wie einfach war es, fragte sich Sergetow, die Lieferungen im kritischen Moment wegen »technischer Schwierigkeiten« in den Getreidehäfen New Orleans und Baltimore zu verzögern oder ganz einzustellen?

Er schaute in die Runde. Zweiundzwanzig Männer, darunter nur dreizehn, die die wirklichen Entscheidungen trafen, dachten stumm über die Aussicht auf über zweihundertfünfzig Millionen hungernde und frierende Arbeiter und Bauern nach, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Truppen der Roten Armee, des Innenministeriums und des KGB ihre Bewegungsfreiheit und ihre Ausbildungsmöglichkeiten wegen Treibstoffkürzungen eingeschränkt sahen.

Die Männer im Politbüro gehörten zu den mächtigsten der Welt und waren niemandem Rechenschaft schuldig – nicht dem ZK der Partei, nicht dem Obersten Sowjet, und schon gar nicht den Bürgern. Diese Männer hatten die Straßen Moskaus schon seit Jahren nicht mehr betreten, sondern brausten in ihren handgefertigten, von Chauffeuren gesteuerten Limousinen zwischen Arbeitsplatz und Luxuswohnungen in Moskau oder ihren Dienstdatschen vor der Stadt hin und her. Ihre Einkäufe erledigten sie in bewachten, nur für die Elite bestimmten Läden, und um ihre Gesundheit kümmerten sich Ärzte in Kliniken, die nur den Mitgliedern der Nomenklatura vorbehalten waren. Diese Männer fühlten sich als Meister ihres Schicksals.

Erst jetzt ging ihnen auf, daß auch sie wie alle anderen normalen Menschen zum Spielball des Schicksals wurden.

Die Bürger ihres Landes lebten zusammengepfercht in heruntergekommenen Wohnungen. Lebensmittel waren knapp. Im Überfluß gab es nur Plakate und Transparente, die den Fortschritt in der Sowjetunion und die Solidarität der Werktätigen priesen. Es gab hier am Tisch Männer, die diese Slogans für bare Münze hielten. Selbst der sonst eher kritische Sergetow glaubte sie manchmal, wenn sie ihn an seine idealistische Jugend erinnerten. Doch der Fortschritt in der Sowjetunion konnte die Lebensmittelversorgung des Landes nicht garantieren, und wie lange konnten die im Dunklen hungernden und frierenden Werktätigen Solidarität empfinden? Waren sie etwa stolz auf die Raketen in den Wäldern Sibiriens, auf die Panzer und Geschütze, die jedes Jahr zu Tausenden produziert wurden? Wenn sie zum Nachthimmel aufschauten, dachten sie dann an die Raumstation Saljut und fühlten sich inspiriert – oder fragten sie sich insgeheim, was diese Elite dort oben zu essen bekam? Bis vor einem knappen Jahr hatte Sergetow den Parteibezirk Leningrad geführt und sich von seinen Untergebenen die Klagen der Bürger, die Schlange standen, um Brot, Zahnpasta oder Schuhe zu ergattern, genau wiedergeben lassen. Obwohl er auch damals schon von der harschen Realität des Lebens in der Sowjetunion abgeschirmt war, hatte er sich oft gefragt, ob nicht eines Tages der Durchschnittsarbeiter seine schwere Bürde nicht mehr würde tragen wollen. Hatte er das damals prophezeien können? Nein. Und heute? Ebenfalls nicht. Und diese alten Männer hier wußten erst recht nicht, was das Volk empfand.

Das Volk – narod nannten sie es, ein maskulines Substantiv für die Massen, die gesichtslosen Männer und Frauen, die sich Tag für Tag in Fabriken und Kolchosen abrackerten und ihre Gedanken hinter lächelnden Masken verborgen hielten. Die Mitglieder des Politbüros redeten sich ein, die Arbeiter und Bauern neideten ihnen den mit der schweren Verantwortung einhergehenden Luxus nicht. Immerhin hatten sich die Lebensumstände im Lande meßbar verbessert. Das war die stillschweigende Übereinkunft zwischen Volk und Führung. Doch diese Abmachung sollte nun gebrochen werden. Was würde geschehen? Nikolaus II. hatte keine Antwort auf diese Frage gewußt. Diese Männer kannten sie.

Der Verteidigungsminister brach das Schweigen. »Wir müssen mehr Öl beschaffen. So einfach ist das. Die Alternative wäre eine gelähmte Volkswirtschaft, hungrige Bürger und reduzierte Verteidigungsbereitschaft. Die Konsequenzen sind nicht akzeptabel.«

»Wir können uns das Öl nicht leisten«, wandte ein Kandidat ein.

»Dann holen wir es uns eben.«

Fort Meade, Maryland

Bob Toland zog die Stirn kraus und musterte die Scheibe Gewürzkuchen. Solltest dir den Nachtisch verkneifen, sagte sich der Analytiker von der nationalen Sicherheitsbehörde NSA. Na ja, sind nur zweihundert Kalorien. Fünf Minuten länger auf dem Trimmfahrrad, wenn du heimkommst, dann ist alles wieder im Lot.

»Was meinen Sie zu diesem Zeitungsartikel, Bob?« fragte ein Kollege.

»Die Sache mit dem Ölfeld?« Toland sah sich den Anstecker des Mannes noch einmal an und stellte fest, daß seine Sicherheitseinstufung den Zugang zu Satelliteninformationen ausschloß. »Muß ja ein schönes Feuerchen gewesen sein.«

»Haben Sie denn noch nichts Offizielles gesehen?«

»Sagen wir, daß die Presse von einer Quelle informiert wurde, deren Sicherheitseinstufung höher ist als meine.«

»Streng geheim – an die Presse?« Beide lachten.

»So ungefähr. Dem Reporter lagen Informationen vor, die ich noch nicht zu Gesicht bekommen habe«, meinte Toland fast wahrheitsgemäß. In seiner Abteilung spekulierte man, wie der Russe den Brand so schnell gelöscht hatte. »Sollte den Russen aber nicht zu viel ausmachen. Ist ja nicht wie bei uns, wo jeden Sommer Millionen von Autofahrern auf den Straßen sind.«

Moskau

Das Politbüro trat am nächsten Morgen um halb zehn zusammen. Der Himmel vor den Doppelfenstern war grau und schneeverhangen. Heute abend fahren sie im Gorki Park Schlitten, dachte Sergetow. Die Moskowiter würden lachen, trinken und sich amüsieren, ohne zu ahnen, was hier beschlossen werden, welche Wendung ihr Leben nehmen sollte.

Nun hatte sich nur der fünfköpfige Verteidigungsrat versammelt. Sergetow sah den Generalsekretär an, den »jungen« Mann, der nach westlicher Meinung das Heft in der Hand hatte. Sein Aufstieg an die Parteispitze war für viele, darunter auch Sergetow, eine Überraschung gewesen. Im Westen setzt man noch immer so große Hoffnungen in ihn wie einst wir, dachte Sergetow. Sein Eintreffen in Moskau hatte das radikal geändert. Wieder ein zerbrochener Traum. Der Mann, der jahrelang munter einen landwirtschaftlichen Fehlschlag nach dem anderen überspielt hatte, ließ nun seinen Charme in einer weiteren Arena los. Jeder am Tisch mußte zugeben, daß er sich gewaltig anstrengte, doch die Aufgabe war unlösbar. Um an die Spitze zu kommen, hatte er zu viele Kompromisse mit der alten Garde schließen müssen. Selbst die »jungen« Männer von fünfzig und sechzig, die von ihm ins Politbüro geholt worden waren, hatten ihre Bindungen zum alten Regime. Geändert hatte sich im Grunde nichts.

Seit Chruschtschow war kein Mann mehr allein an der Macht gewesen. Einzelherrschaft barg Gefahren, an die sich die ältere Generation in der Partei nur zu gut erinnern konnte. Die Jungen hatten die Geschichten von den großen Säuberungen unter Stalin oft genug gehört und sie sich zu Herzen genommen, und auch bei der Armee wußte man noch, was Chruschtschow mit ihrer Hierarchie angestellt hatte. Im Politbüro ging es wie im Dschungel nur ums Überleben, und kollektive Führung bedeutete kollektive Sicherheit. Der Generalsekretär hatte Zugeständnisse machen müssen, um auf seinen Sessel zu kommen, und weitere waren unvermeidlich, wenn er ihn behalten wollte. Die wahren Machtblöcke waren amorph, Loyalitäten verschoben sich mit den Begleitumständen und wurden nur von Zweckdienlichkeit bestimmt. Wirkliche Macht hatte nur die Partei.

Die Partei herrschte über alles, war aber nicht länger Ausdruck des Willens nur eines Mannes, sondern in Interessengruppen aufgesplittert, die hier von zwölf Männern vertreten wurden. Einer sprach fürs Militär, andere für KGB und Schwerindustrie, einer sogar für die Landwirtschaft. Jeder Interessenvertreter übte auf seine Weise Macht aus und verbündete sich mit anderen, um seine Stellung zu sichern. Der Generalsekretär hatte versucht, das durch die Ernennung seiner eigenen Leute zu ändern; aber würde er wie seine Vorgänger lernen, daß Loyalität an diesem Tisch nicht von Dauer war? Solange er seine Leute nicht platziert hatte, war er primus inter pares in einer Gruppe, die ihn ebenso leicht stürzen konnte wie Chruschtschow.

»Genossen«, begann der Verteidigungsminister, »die Sowjetunion braucht Öl, und zwar mindestens zweihundert Millionen Tonnen mehr, als sie fördert. Dieses Öl existiert nur wenige hundert Kilometer von unserer Grenze entfernt im Persischen Golf – mehr Öl, als wir je brauchen werden. Selbstverständlich sind wir in der Lage, diese Felder innerhalb von zwei Wochen mit Luftlandetruppen einzunehmen. Leider aber wäre eine heftige Reaktion des Westens unvermeidlich, denn diese Felder versorgen Westeuropa, Japan und zu einem gewissen Grad auch die USA. Der Nato fehlen die Mittel, sie mit konventionellen Waffen zu verteidigen. Die Amerikaner haben ihre schnelle Einsatztruppe RDF, eine leere Hülse aus Hauptquartieren und leichtbewaffneten Truppen. Selbst mit Hilfe ihres vorgeschobenen Ausrüstungsdepots auf Diego Garcia könnten sie unsere Luftlande- und Panzertruppen nicht aufhalten. Bei dem Versuch würden ihre Elitetruppen binnen weniger Tage überwältigt und vernichtet, und dann bliebe ihnen nur eine Alternative: Kernwaffen – ein Risiko, das wir nicht unbeachtet lassen dürfen. Zum Beispiel wissen wir genau, daß amerikanische Kriegspläne für diesen Fall den Einsatz von Atomwaffen vorsehen. Solche Waffen lagern in großen Mengen auf Diego Garcia. Aus diesem Grund müssen wir vor der Eroberung des Persischen Golfes die Nato als militärischen und politischen Faktor ausschalten.«

Sergetow setzte sich in seinem Ledersessel kerzengerade auf. Was hatte er da gehört? Er wahrte nur mit Mühe eine teilnahmslose Miene, als der Verteidigungsminister fortfuhr.

»Ist die Nato erst einmal vom Tisch, findet sich Amerika in einer merkwürdigen Lage. Es kann nämlich seinen Energiebedarf in der westlichen Hemisphäre decken, ohne die bei den amerikanischen Juden nicht gerade beliebten arabischen Länder verteidigen zu müssen.«

Glaubt ihr das denn selbst? fragte sich Sergetow, glaubt ihr denn wirklich, daß die Vereinigten Staaten untätig bleiben?

Zumindest ein Mann teilte seine Besorgnis. »Wir brauchen also nur Westeuropa zu erobern, Genosse?« fragte ein Kandidat. »Sind das nicht jene Länder, vor deren konventionellen Streitkräften Sie uns jedes Jahr warnen? Alljährlich hören wir von der Bedrohung, die die massierten Nato-Armeen darstellen, und jetzt sagen Sie so leichthin, wir müßten sie besiegen? Verfügen Großbritannien und Frankreich denn nicht über ihre eigenen Nukleararsenale, Genosse Minister? Und warum sollte Amerika nicht seiner Bündnisverpflichtung nachkommen und Kernwaffen zur Verteidigung der Nato einsetzen?«

Sergetow fand es überraschend, daß ausgerechnet ein Kandidat diese Themen so rasch zur Sprache gebracht hatte. Noch mehr überraschte ihn, daß der Außenminister darauf antwortete. Wieder ein Teil des Puzzles. Doch was meinte das KGB dazu? Warum war es hier nicht vertreten? Sein Vorsitzender erholte sich von einer Operation, doch es hätte jemand anwesend sein sollen – es sei denn, die Angelegenheit war gestern abend bereits abgeklärt worden.

»Aus naheliegenden Gründen müssen unsere Kriegsziele beschränkt bleiben, was uns vor eine Reihe politischer Aufgaben stellt. Erstens müssen wir die Vereinigten Staaten in Sicherheit wiegen, damit die Operation sie unvorbereitet trifft und es für eine energische Reaktion zu spät ist. Zweitens muß der politische Zusammenhalt der Nato gelockert werden.« Der Außenminister erlaubte sich ein seltenes Lächeln. »Wie Sie wissen, arbeitet das KGB schon seit Jahren an einem solchen Plan, dessen endgültige Form nun feststeht. Lassen Sie mich ihn in groben Umrissen darlegen.«

Sergetow lauschte und nickte: über die Kühnheit des Vorhabens und auch, weil er nun eine neue Einsicht in das Kräftegleichgewicht in diesem Raum gewonnen hatte. Es steckte also das KGB dahinter. Das hätte er ahnen sollen. Doch ging der Rest des Politbüros mit dem Vorschlag konform? Der Minister fuhr fort: »Sie sehen also, wie das funktionieren würde: Ein Element ergänzt das andere, bis das Bild komplett ist. Unter diesen Voraussetzungen wären die Wasser gründlich getrübt, und wenn wir darüber hinaus noch erklären, die beiden unabhängigen Atommächte der Nato nicht direkt bedrohen zu wollen, ist das nukleare Risiko, wenngleich real, doch geringer als die Gefahren, die unserer Wirtschaft bereits drohen.«

Sergetow lehnte sich in seinen Ledersessel zurück. Da war es heraus: Krieg war besser als ein kalter Hungerfrieden. Die Würfel waren gefallen. Oder? Hatte eine Koalition anderer Mitglieder des Politbüros die Macht und das Prestige, die Entscheidung umzustoßen? Konnte er es wagen, gegen diesen Wahnsinn die Stimme zu erheben? Erst einmal war eine wohlüberlegte Frage zu stellen.

»Können wir die Nato denn besiegen?« Die glatte Antwort ließ ihn frösteln.

»Selbstverständlich«, erwiderte der Verteidigungsminister. »Wozu haben wir denn eine Armee? Unsere Oberbefehlshaber sind bereits zu Rate gezogen worden.«

Und erst letzten Monat hast du mehr Stahl für neue Panzer verlangt, weil die Nato angeblich immer stärker wird, dachte Sergetow wütend. Was waren hier für Machenschaften im Gange? Hatte man wirklich schon die Fachleute vom Militär konsultiert, oder basierte das Ganze auf der vielgepriesenen persönlichen Erfahrung des Verteidigungsministers? Hatte sich der Generalsekretär von ihm ins Bockshorn jagen lassen? Wurden so Entscheidungen getroffen, von denen das Schicksal ganzer Nationen abhing? Was würde Lenin dazu sagen?

»Genossen, das ist der reinste Wahnsinn!« sagte Pjotr Bromkowski, der Älteste. »Gewiß, unserer Wirtschaft droht große Gefahr. Jawohl, auch der Sicherheit des Staates – doch sollen wir ihr mit einer noch größeren Gefahr begegnen? Bitte bedenken Sie, was geschehen kann – wann soll der Krieg denn beginnen, Genosse Verteidigungsminister?«

»Man hat mir versichert, daß unsere Armeen in vier Monaten bereit sind.«

»In vier Monaten also. Ich nehme doch an, daß wir in vier Monaten genug Treibstoff haben – genug, um einen Krieg anzufangen!« Petja war alt, aber nicht senil.

»Genosse Sergetow.« Der Generalsekretär drückte sich wieder um die Verantwortung.

Auf welche Seite sollte er sich schlagen? Der junge Kandidat kam zu einem raschen Entschluß. »Die Bestände an leichten Treibstoffen sind im Moment hoch«, mußte Sergetow zugestehen. »Wir bauen sie in den Wintermonaten, wenn der Verbrauch am niedrigsten ist, immer auf, und wenn man unsere strategischen Reserven hinzurechnet, ergeben sich fünfundvierzig ...«

»Sechzig!« beharrte der Verteidigungsminister.

»Fünfundvierzig Tage, das ist ein realistischerer Wert, Genosse.« Sergetow hielt seine Stellung. »Meine Behörde hat sich im Zug eines Programms zur Erhöhung der strategischen Reserven mit dem Treibstoffverbrauch von Einheiten der Streitkräfte befaßt. Durch Einsparungen auf anderen Sektoren und Opfer in der Industrie ließe sich eine Kriegsreserve von sechzig, vielleicht sogar siebzig Tagen aufbauen. Die kurzfristige Belastung für die Wirtschaft wäre nur gering, doch zur Mitte des Sommers würde sich das Bild rapide ändern.« Sergetow legte eine Pause ein und war betroffen, weil er sich der unausgesprochenen Entscheidung so leicht gefügt hatte. Ich habe meine Seele verkauft ... oder wie ein Patriot gehandelt? Bin ich so geworden wie die anderen hier am Tisch? Oder habe ich nur die Wahrheit gesagt – und was ist die Wahrheit? Fest stand nur, daß er überlebt hatte. Fürs erste. »Wie ich Ihnen gestern darlegte, sind wir in beschränktem Maß zu einer Umstrukturierung der Produktion von Destillaten in der Lage. Meine Behörde ist der Ansicht, daß die Erzeugung militärisch wichtiger Treibstoffe um neun Prozent erhöht werden kann. Andererseits halten meine Analytiker alle existierenden Verbrauchseinschätzungen unter Gefechtsbedingungen für übertrieben optimistisch.« Ein letzter, schwacher Protest.