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Lady Isobel, die zweite Frau Lord Blackstones, schikaniert ihre Stieftochter Sandra, wo es nur geht. Um Sandra als Konkurrentin um die Gunst ihrer Gäste aus dem Weg zu schaffen, will sie sie zu ihrer tiefreligiösen Großtante Mathilda verbannen. Doch Sandra kommt ihr zuvor und verdingt sich als Gesellschafterin der eigenwilligen Gräfin von Kyle. Durch diese lernt sie in Brighton den Prinzregenten und in dessen Gefolge den Enkelsohn der Gräfin kennen, der ihr nicht gleichgültig ist. Verstrickt in ein Netz von Intrigen, Erpressung und Lügen wird sie schließlich durch eine mutige Tat vom Schicksal belohnt.
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Seitenzahl: 190
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Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2016
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
„Widersprich βr nicht! Du tust, was ich dir sage!“
Lady Blackstone schrie ihre Stieftochter mit sich überschlagender Stimme an. Außer sich vor Wut trat sie einen Schritt vor und schlug das junge Mädchen ins Gesicht.
Einen Augenblick lang war Sandra wie erstarrt und blickte fassungslos in das wutverzerrte Gesicht der Frau, dann hob sie langsam die Hand und preßte sie auf die schmerzende Wange.
Bereits bei ihrer ersten Begegnung hatte sie erkennen müssen, wie jähzornig und unbeherrscht ihre Stiefmutter war. Danach hatte sie ständig an ihr herumgenörgelt und sich zu Beschimpfungen und Wutausbrüchen hinreißen lassen, die Sandra erschreckt hatten. Doch geschlagen hatte sie sie bisher noch nie.
Sandra erkannte, daß in diesem Augenblick jedes weitere Wort sinnlos war. Sie drehte sich um und verließ so würdevoll wie möglich das Zimmer.
Seit ihr Vater wieder geheiratet hatte, war für sie das Leben in der schönen alten Priorei unerträglich geworden. Sobald ihr Vater außer Haus war, verfolgte ihre Stiefmutter sie mit ihrem Haß und bereitete ihr die Hölle auf Erden.
Lord Blackstone war vom Tod seiner ersten Frau sehr betroffen gewesen. Ihre Ehe war sehr glücklich gewesen, und nur der ständige Geldmangel hatte ihr Glück zuweilen getrübt. Es hatte sie beide geschmerzt, daß ihnen die Mittel fehlten, um das wunderschöne alte Haus instand zu halten.
Auch hatten sie zutiefst bedauert, daß Lady Blackstone ihrem Gatten nur ein einziges Kind schenken konnte, doch sie hatten ihre reizende Tochter geradezu vergöttert.
In einem eisig kalten Winter, in dem alles Holz der Welt nicht ausgereicht hätte, um die Räume des alten Gebäudes zu erwärmen, war es dann geschehen. Lady Blackstone hatte sich eine schwere Lungenentzündung zugezogen und war daran gestorben.
Für Sandra war eine Welt zusammengebrochen und für ihren Vater ebenfalls. Die Einsamkeit in dem großen alten Haus wurde ihm unerträglich; er hatte es kurzerhand geschlossen und war zu Freunden gezogen: zunächst nach Northumberland im Norden, dann in die Nähe der schottischen Grenze.
Sandra war noch nicht ganz siebzehn Jahre alt gewesen, als sie zu ihren Großeltern mütterlicherseits nach Devonshire geschickt worden war. Die alten Leute hatten sich aufrichtig gefreut, ihre liebreizende Enkelin bei sich aufnehmen zu können. Der Großvater, ein sehr gebildeter alter Herr, war weit gereist und weltoffen. Er bestand darauf, daß Sandra die beste Erziehung genoß, die er ihr bieten konnte, und bald fließend Französisch sprach.
Durch den Krieg mit Frankreich war vielen Engländern bewußt geworden, daß sie auf ihrer Insel zu isoliert gelebt hatten.
„Ich bin mit meinem Regiment in der ganzen Welt herumgekommen“, pflegte Sandras Großvater zu sagen, „und habe es immer als meine wichtigste Aufgabe betrachtet, mich mit den Bewohnern der jeweiligen Länder, in denen wir stationiert waren, sprachlich verständigen zu können.“
„Das hat sicher deinen Auslandsaufenthalt interessanter gemacht, Großpapa“, stellte Sandra fest.
„Gewiß“, erwiderte er. „Ich finde es erschreckend, daß kaum einer unserer führenden Staatsmänner und noch weniger Parlamentsmitglieder imstande sind, einen Ausländer zu verstehen.“
„Der Kronprinz ist eine Ausnahme“, wandte ihre Großmutter ein. „Wie ich hörte, führt er die Konversation im Carlton House oft auf Französisch, was vielen mißfällt, er hat sogar einen französischen Küchenchef.“
Sandra mußte lachen.
„Viele würden ihn deshalb einen Verräter nennen“, stellte sie fest. „Doch jetzt haben wir Waffenstillstand, und die Zeitungen berichten, daß die Engländer nach Paris strömen, um die Franzosen aus nächster Nähe zu bestaunen, besonders einen gewissen Napoleon Bonaparte.“
„Der Waffenstillstand wird nicht von Dauer sein“, hatte ihr Großvater prophezeit, und in weniger als einem Jahr hatte sich das leider bewahrheitet.
Weil es ihm Freude bereitete und ihr selbst auch, lernte Sandra Französisch und Italienisch und hatte gerade mit Spanisch begonnen, als ihr Vater sie nach Hause holte.
Sie freute sich auf die Heimkehr, weil sie ihren Vater liebte und die vertraute Umgebung der alten Priorei schmerzlich vermißt hatte, doch erwartete sie ein Schock, auf den sie nicht vorbereitet war.
„Ich muß dir etwas sagen“, murmelte ihr Vater, nachdem sie ihn stürmisch umarmt und geküßt hatte.
„Was denn, Papa?“
„Ich habe oben im Norden wieder geheiratet.“
Einen Augenblick traute Sandra ihren Ohren nicht. Fassungslos starrte sie ihn an, als er fortfuhr: „Ich hoffe, du wirst dich mit deiner Stiefmutter verstehen. Ihr liegt viel daran, die längst fälligen Renovierungsarbeiten in der Priorei in Auftrag zu geben.“
Daraus schloß Sandra, daß die zweite Frau ihres Vaters offenbar vermögend war.
Später sollte sie erkennen, daß ihre Stiefmutter sogar steinreich war und es, lange bevor ihr Vater auf sie aufmerksam geworden war, auf ihn abgesehen hatte.
Isobel Fairbairn war fünfunddreißig, als Lord Blackstone ihr anläßlich eines Dinners im Hause eines Nachbarn vorgestellt wurde.
Es war reiner Zufall, daß man sie eingeladen hatte, denn die Fairbairns waren in der Grafschaft nicht sonderlich angesehen, zumal sie nicht adliger Herkunft waren. Da jedoch einer der Gäste im letzten Augenblick wegen Krankheit absagen mußte, hatte man Isobel, die nur zwei Meilen entfernt bei ihrer Mutter wohnte, kurzerhand eingeladen.
In dem Augenblick, als sie Lord Blackstone kennenlernte und erfuhr, daß er Witwer war, wußte Isobel, daß ihre Gebete erhört worden waren.
Seit sie zwanzig Jahre alt war, hatte sie verzweifelt nach einem heiratswilligen Mann gesucht. Obwohl ihr Vater als sehr wohlhabend galt, wurde sie von den Aristokraten der Grafschaft geschnitten. Nur wegen seiner großzügigen Spenden an Waisen- und Armenhäuser, für Denkmäler und die Wildhege hatte man ihren Vater toleriert.
Er war ein prahlerischer Mensch, der mit Geld alles kaufen wollte, wonach ihm der Sinn stand, und der ein zu dickes Fell hatte, um zu spüren, wie man ihn verachtete und belächelte.
Isobels Mutter war ganz anders. Sie stammte aus einer angesehenen Familie, die seit Generationen in der berittenen Miliz der Grafschaft gedient hatte. Als ihr Vater im Krieg gefallen war und ihre Mutter in Armut zurückgelassen hatte, war es für das hübsche Mädchen wie ein Geschenk des Himmels gewesen, von einem reichen Mann niederer Herkunft, den ihre Jugend und ihr Charme faszinierten, einen Antrag zu bekommen.
Zu ihrem Leidwesen hatte Isobel die Schönheit ihrer Mutter nicht geerbt. Sie war stämmig gebaut und sah ihrem Vater ähnlich. Ihre einzigen Vorzüge waren die großen, ausdrucksvollen Augen und das dunkle, natürlich gelockte Haar. Im Übrigen hatte sie sich damit abfinden müssen, hart um die Gunst ihrer Mitmenschen ringen zu müssen, damit man wenigstens nett war zur „armen Miss Isobel Fairbairn“.
Mitgiftjäger wurden zu Lebzeiten ihres Vaters, wenn es sein mußte, mit roher Gewalt von ihr ferngehalten. Erst nach seinem Tod wagten es wieder einige, sich ihr zu nähern.
Mittlerweile war Isobel etwas schlauer geworden und hatte erkannt, daß sie mit ihrem Vermögen, das größer war, als sie vermutet hatte, wählerisch sein konnte. Die Mitgiftjäger, die ihr in ihrer Jugend so attraktiv erschienen, hatten es, wie sie erkannte, nicht auf sie abgesehen, sondern nur auf ihr Vermögen, das sie zu verprassen gedachten, ohne auf sie Rücksicht zu nehmen.
Ein echter Gentleman hätte eine solche Einstellung verabscheut, erkannte sie. In all den angesehenen Familien ringsum hatte man nur geheiratet, um das Vermögen zu vermehren oder die gesellschaftliche Stellung zu behaupten. In der Öffentlichkeit waren die Ehemänner stets von ausgesuchter Höflichkeit zu ihren Frauen, ohne diese an ihren eigentlichen Interessen teilnehmen zu lassen.
Die Schwierigkeit für Isobel war, daß man sie und ihren Vater in der ganzen Grafschaft nur allzu gut kannte, um ernsthaftes Interesse zu bekunden.
Lord Blackstone war ein Fremder, und sie spürte, daß seine Einsamkeit ihn unglücklich gemacht hatte, aber auch empfänglich für Verständnis und Zuwendung.
So bot sie all ihren Charme auf, kleidete sich nach der neuesten Mode und ließ sich von ihrer geschickten Zofe so vorteilhaft herrichten, daß ihre Augen und ihr Haar voll zur Geltung kamen und vergessen machten, daß sie eine Stupsnase, zu lange Nasenflügel und einen etwas gewöhnlichen Mund hatte.
Es fiel ihr leicht, die richtigen mitfühlenden Worte für Lord Blackstone zu finden, um ihn glauben zu machen, daß sie ihn tatsächlich bewunderte und liebte.
Später erkannte Sandra, daß ihr Vater weniger durch Isobels Vermögen geblendet worden war, als vielmehr durch ihr scheinbares Mitgefühl für seine Einsamkeit und seine Sehnsucht nach Zärtlichkeit, die ihn seit dem Tod ihrer Mutter befallen hatte.
„Ich verstehe dich doch, Papa“, hatte sie ihm versichert, als er glaubte, sich dafür entschuldigen zu müssen, daß eine andere den Platz ihrer Mutter eingenommen hatte, „und ich hoffe, du wirst sehr, sehr glücklich.“
„So wie mit deiner Mutter wird es nie wieder sein“, erwiderte er offen, „aber ich konnte die Leere im Haus ohne sie nicht mehr ertragen und bin gespannt, wie es aussehen wird, wenn man etwas Geld hineinsteckt.“
Ihrem Vater mochte das genügen, aber Isobel wollte mehr. Als Lady Blackstone bekleidete sie die Position, hatte sie den Titel inne, den sie sich immer schon erträumt hatte, und verfügte zudem über einen gut aussehenden Ehemann.
Sie erkannte nicht, daß Lord Blackstone sich seit dem Tod seiner ersten Frau von allem zurückgezogen hatte und nicht den geringsten Wunsch verspürte, jetzt, wo er es sich leisten konnte, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Mit vollen Händen gab Isobel ihr Geld aus, um das alte Herrenhaus zu renovieren und die nötigen Reparaturen durchzuführen, um bald die „feine Gesellschaft“ zu sich einladen zu können, von der sie bisher ausgeschlossen gewesen war.
Auf dem Weg zu diesem ehrgeizigen Ziel gab es für sie nur ein einziges ärgerliches Hindernis: Sandra. Sicher, Lord Blackstone hatte erwähnt, daß er eine Tochter hatte. Sie hatte sich ein anschmiegsames kleines Mädchen vorgestellt, das bescheiden zurückstehen würde, wenn sie einmal eigene Kinder haben sollte.
Als sie Sandra jedoch kennenlernte, erschrak sie zutiefst. Ihr war überhaupt nicht in den Sinn gekommen, daß ihre Stieftochter bereits erwachsen und dazu noch auffallend hübsch sein könnte.
Da Isobel die Schlauheit und den Scharfsinn ihres Vaters geerbt hatte, machte sie sich nichts vor: Dieses Mädchen stellte eine ständige Bedrohung ihres eigenen Glücks dar.
Wer würde sie noch beachten, wenn neben ihr diese schöne junge Frau auftauchte, die einem griechischen Fries entstiegen schien?
In der langen Zeit, die Sandra in Devonshire verbracht hatte, war sie zu einer außergewöhnlichen Schönheit erblüht und hatte sich durch Reiten und Schwimmen im See eine schlanke, durchtrainierte Figur erhalten, die jeden Bildhauer in Entzücken versetzt hätte. Das ovale Gesicht wurde von großen grauen Augen beherrscht, deren Farbe sich bei veränderten Lichtverhältnissen in Purpur wandelte. Das helle Haar hatte zuweilen einen silbernen Schimmer, als habe es das Mondlicht eingefangen.
Was Isobel jedoch am meisten in Rage brachte, war Sandras natürliches Auftreten, ihre Anmut und Bescheidenheit, die sie niemals würde entwickeln können, und wenn sie tausend Jahre alt wurde.
Zunächst hatte sie sich krampfhaft bemüht, ihre Abneigung gegen ihre Stieftochter zu verbergen, doch mit der Zeit hatte sie einen Haß gegen das junge Mädchen entwickelt, dem sie freien Lauf ließ, sobald ihr Mann aus dem Haus war.
In seiner Gegenwart wagte sie es nicht, Sandra zu rügen oder schlecht zu behandeln. Sobald sie jedoch allein waren, machte sie dem jungen Mädchen das Leben zur Hölle. Dadurch schuf sie in dem vorher heiteren, glücklichen Haus eine düstere, bedrohliche Atmosphäre.
Dabei verdankte sie es einzig und allein Sandra, daß ein weiterer ehrgeiziger Plan von ihr in Erfüllung ging. Da es ihr nicht genügte, glanzvoller gesellschaftlicher Mittelpunkt in Hertfordshire zu sein, überredete sie Lord Blackstone, sein Stadthaus in London wieder zugänglich zu machen.
Blackstone House befand sich in der Hill Street, unweit des Berkeley Square, und war aus dem einzigen Grund, weil sein Besitzer es sich nicht leisten konnte, es zu unterhalten, seit Jahren geschlossen geblieben.
Da Isobel unter allen Umständen Zugang zur „vornehmen Welt“, wie sie es bei sich nannte, haben wollte, schlug sie ihrem Gatten vor, das Stadthaus während der Ballsaison zu beziehen.
Er lehnte ab. Er wolle mit dem eitlen Gehabe und hohlen Gewäsch nichts zu tun haben, sagte er, und ziehe das Landleben vor.
„Aber Liebster“, flötete Isobel, „wir dürfen nicht selbstsüchtig sein und nur an unser eigenes Glück denken. Wir müssen auf Sandra Rücksicht nehmen.“
„Was meinst du damit?“ fragte Lord Blackstone unwillig, weil er ahnte, was kommen würde.
„Sandra ist achtzehn“, gab Isobel zu bedenken, „und sollte im Buckingham Palace vorgestellt werden. Wenn ihre Mutter noch lebte, würde sie auch wollen, daß ihre Tochter an den Bällen und anderen Vergnügungen der vornehmen Gesellschaft teilnimmt.“
Lord Blackstone konnte sich diesen Argumenten nicht verschließen und erklärte sich einverstanden, das Stadthaus zu renovieren.
Isobel gab ein Vermögen für Handwerker aus, nur um die Räumlichkeiten bis Mitte Mai bewohnbar zu machen. Wie eine moderne Sklaventreiberin räumte sie jedes Hindernis, das ihre Pläne bedrohte, rigoros aus dem Weg und trieb die Leute zur Eile an.
Das Resultat war für Sandra enttäuschend. Trotz der immensen Summen, die für die Renovierung ausgegeben worden waren, mangelte es dem Haus an Behaglichkeit und Atmosphäre.
Ihr Vater genoß das Clubleben, das er seit seiner Zeit in Eton und Oxford vernachlässigt hatte, und freute sich, alte Freunde wieder zu treffen.
Die neue Lady Blackstone wartete jedoch vergebens auf Einladungen zu den berühmten Bällen und exklusiven Empfängen, die sie sich erträumt hatte.
Lord Blackstone arrangierte, daß einer seiner Verwandten Isobel bei Hofe vorstellte und sie ihrerseits Sandra einführte.
Isobel mußte jedoch feststellen, daß Sandra viel häufiger zu Gesellschaften eingeladen wurde als sie und beschimpfte diese auf das Übelste, wenn sie allein waren.
„Wie können sie es wagen, mich auszuschließen!“ kreischte sie empört. „Wie kann man mich so kränken! Ich bin deines Vaters Frau. Sicher hast du irgendetwas gegen mich gesagt, das sie dazu bewogen hat!“
„Ich habe nicht das Geringste gegen dich gesagt“, erwiderte Sandra wahrheitsgemäß. „Über dich ist nicht ein einziges Mal gesprochen worden. “
Das brachte ihre Stiefmutter noch mehr in Rage. Sandra wagte nicht, sich auszumalen, wie sie sich aufführen würde, wenn sie erfahren hätte, daß alle Gastgeberinnen ihre Mutter in den höchsten Tönen gepriesen hatten. Niemand hatte sich gegen ihre Stiefmutter geäußert, und doch hatte Sandra gespürt, daß die Wahl ihres Vaters allgemein mißbilligt wurde.
Geschätzte Gastgeber wie der Herzog und die Herzogin von Devonshire, der Herzog und die Herzogin von Bedford und natürlich der Kronprinz selbst zollten den Blackstones, die weder besonders amüsant noch witzig waren, keine Aufmerksamkeit.
Dabei hatte Isobel keinen sehnlicheren Wunsch, als eine Einladung ins Carlton House zu bekommen, und regte sich schrecklich darüber auf, daß ihr Gemahl übergangen wurde.
Lord Blackstone hingegen bekundete keinerlei Interesse am Kronprinzen und seinen Hofschranzen, wie er sie nannte. Er teilte vielmehr die öffentliche Meinung, daß Seine Königliche Hoheit ein ausschweifendes Leben führte und seine Gemahlin, Prinzessin Caroline von Braunschweig, sehr schlecht behandelte.
Am liebsten hätte Isobel ihn wegen dieser sturen Haltung angeschrien; sie konnte sich nur mühsam beherrschen. Sie beschwor ihn, sich beim Kronprinzen in Erinnerung zu bringen, und wollte unbedingt zu einem der berühmten Diners eingeladen werden, die Karikaturisten und Satirikern reichlich Stoff lieferten.
Sie hätte die Hälfte ihres Vermögens geopfert, um nur ein einziges Mal beim Kronprinzen zu Gast weilen zu dürfen, aber ihre Bitten stießen bei ihrem Gemahl auf taube Ohren.
„Ich kenne ihn nicht persönlich, meine Liebe“, hatte Lord Blackstone sie belehrt, „und ich habe auch nicht die Absicht, einen meiner Freunde dazu zu überreden, uns eine Einladung zu besorgen. “
Damit hatte er sie stehenlassen und war gegangen. Isobel hatte vor Wut mit dem Fuß aufgestampft und an den Fingernägeln geknabbert. Dann stellte sie sich der Tatsache, daß nach dem Rennen in Ascot die Saison vorüber sein würde, ohne daß auch nur ein Bruchteil ihrer ehrgeizigen Träume in Erfüllung gegangen war.
Jede andere Frau wäre niedergeschlagen und enttäuscht gewesen, sie jedoch plante bereits glänzende Empfänge mit ihren neuen Londoner Bekannten in der Priorei. Die meisten von ihnen liebten gutes Essen und erlesene Weine, wie sie in Carlton House kredenzt wurden.
Sie konnte ihnen eine noch bessere Auswahl in der Priorei bieten. Zur Unterhaltung und Erbauung der Gäste plante sie, einige dieser amüsanten jungen Politiker einzuladen, die in London die gesellschaftliche Szene beherrschten und gewiß nichts dagegen hatten, ein abwechslungsreiches Wochenende in einem komfortablen, ehrwürdigen Landhaus verbringen zu können, das nicht weit von Westminster entfernt war.
Isobels Augen leuchteten, als sie sich ausmalte, wie sie alles arrangieren würde. Die „feine“ Gesellschaft sollte sich bald darum reißen, in der Priorei empfangen zu werden. Auch einen Jagdball würde sie zur Eröffnung der Jagdsaison veranstalten und eine große Weihnachtsparty mit einer großartigen Theateraufführung, über die man noch lange sprechen sollte.
Am liebsten hätte sie sich wegen ihrer Genialität selbst applaudiert, wäre da nicht eine einzige dunkle Wolke gewesen, die ihre Vorfreude trüben und alles zunichtemachen konnte.
Wie sollte sie glänzen und strahlender Mittelpunkt sein, wenn Sandra an ihrer Seite stand und alle Blicke der anwesenden Herren auf sich zog und diese sich darum rissen, ein Wort mit ihr zu wechseln?
„Ich hasse sie!“ gestand sich Isobel.
Dann war ihr eine Idee gekommen, und sie war zu ihrem eleganten französischen Sekretär geeilt, der sie ein kleines Vermögen gekostet hatte.
Sie hatte sich darangesetzt und einen kurzen Brief geschrieben, den sie mit der Postkutsche losschickte. Da sie das Rückporto bezahlt hatte, erhielt sie, wie erwartet, innerhalb von vierundzwanzig Stunden Antwort.
Ihre Miene hatte sich aufgehellt, als sie die wenigen Zeilen gelesen hatte. Dann hatte sie einen Diener angewiesen, Sandra zu ihr zu bitten.
Sie erwartete sie im neu ausgestatteten Frühstückszimmer. Die uralte Holztäfelung war erneuert und auf Hochglanz poliert worden, purpurfarbene Samtvorhänge mit schweren Seidenfransen zierten die Fenster. Das Mobiliar war neu, da Isobel die meisten alten Möbel im Haus ausrangiert hatte.
Nur die Ahnengalerie an den Wänden war geblieben. Man hatte die Porträts gesäubert und restauriert und mit neuen, prunkvollen Rahmen versehen, so daß sie jeden Besucher beeindrucken mußten.
Da Sandra sich lange Zeit ließ, begann Isobel ungeduldig mit dem Fuß zu wippen. Ihr Haß gegen die Stieftochter wuchs von Minute zu Minute.
Kurz darauf hatte Sandra den Raum betreten. Sie trug ein einfaches, gemustertes Musselinkleid mit hellblauen Bändern, die ihre schlanke Taille unterstrichen. Es war nur ein ganz gewöhnliches Tageskleid, wie es die meisten modebewußten junge Mädchen trugen, und doch wirkte es an Sandra, als sei es mit Brillanten und Blumen übersät und darauf ausgerichtet, sie zum glanzvollen Mittelpunkt jedes Balles zu machen.
„Du wolltest mich sprechen, Stiefmama?“ hatte Sandra mit ihrer melodischen Stimme gefragt und sie mit ihren schönen Augen interessiert angeblickt.
„Allerdings“, lautete die scharfe Erwiderung. Isobel warf einen Blick auf den Brief in ihrer Hand, als wollte sie sich noch einmal vergewissern, daß sie sich nicht geirrt hatte, dann sagte sie beiläufig: „Dein Vater und ich sprachen neulich über deine Großtante Matilda, die an der Grenze von Bedfordshire wohnt. Erinnerst du dich an sie?“
„Ja, natürlich“, entgegnete Sandra ahnungslos. „Sie ist die Schwester von Papas Mutter und sehr alt und sehr fromm. Wir haben ihr drei Jahre vor Mamas Tod einen Besuch abgestattet. Ihr Haus kam mir vor wie eine Gruft.“
„Vielleicht kannst du das ändern, wenn du bei ihr bist.“
„Was soll ich denn bei ihr?“ hatte Sandra verwundert gefragt.
„Ich habe beschlossen, daß du zu deiner Tante ziehen wirst, wenn wir in die Priorei zurückkehren.“
Sandra hatte ihre Stiefmutter bestürzt angeblickt.
„Aber ich möchte mit euch nach Hause fahren.“
„Das ist jetzt mein Zuhause“, wurde sie von Isobel belehrt. „Und da du nur im Wege bist, sollst du für immer bei deiner Großtante leben. “
„Aber . . . das ist unmöglich!“ hatte Sandra sich entsetzt. „Dort kann ich nicht ausreiten und muß mir ständig nur Tante Matildas Gerede vom Jenseits anhören.“
„Das wird sicher sehr lehrreich für dich sein“, hatte Isobel unbeirrt erklärt. „Wir fahren übermorgen zurück. Bis dahin solltest du zur Abreise nach Bedfordshire bereit sein.“
„Das kannst du mir doch nicht antun! Ich könnte es nicht ertragen, an einem solchen Ort lebendig begraben zu sein, und Papa würde das bestimmt auch nicht wollen.“
Daraufhin hatte Isobel sie angeschrien und ihr eine Ohrfeige gegeben. Sandra, die spürte, daß sie nichts gegen diese Frau ausrichten konnte, verließ das Zimmer und begab sich nach oben in ihr Schlafgemach. Sie verschloß die Tür von innen, setzte sich aufs Bett und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.
Seit langem schon hatte sie gespürt, daß ihre Stiefmutter sie haßte, aber sie hätte Isobel nie für fähig gehalten, sie aus dem Haus ihrer Eltern zu verbannen.
Sie konnte nicht glauben, daß dies tatsächlich der Fall sein sollte. Sie war überzeugt, daß ihr Vater sich auf ihre Seite gestellt und verfügt hätte, daß sie nach Hause zurückkehren durfte, hätte sie ihn um Hilfe gebeten; aber ein kleiner Zweifel blieb. Isobel verstand es immer wieder, ihn um den Finger zu wickeln, wenn sie etwas durchsetzen wollte.
Sandra war zu jung und zu unwissend, um zu erkennen, daß Lord Blackstone in der körperlichen Liebe Isobels zu ihm Trost fand und dadurch den Schmerz in seinem Herzen über den Verlust von Sandras Mutter ein wenig zu betäuben vermochte.
Wenn er Isobels Arme spürte, wenn er die Wärme ihres Körpers fühlte und ihren heißen Liebesbeteuerungen lauschte, konnte er vergessen und wurde für kurze Zeit nicht mehr von quälenden Erinnerungen heimgesucht.
Obwohl sie seine Beziehung zu dieser Frau nicht in Worte fassen konnte, spürte Sandra doch, welche Macht Isobel auf ihn ausübte, und fühlte sich in ihren Zweifeln bestärkt.
Vielleicht hört Papa mir gar nicht zu, sagte sie sich. Vielleicht will er mich auch überreden, zu Großtante Matilda zu ziehen. Doch dort wäre ich lebendig begraben.
Verzweifelt sann sie auf einen Ausweg. Zu ihren Großeltern mochte sie nicht zurückkehren, denn sie hatte das Gefühl, daß die beiden alten Leute ganz froh waren, wenn sie nur füreinander da sein konnten.
Niemand will mich haben! dachte Sandra in einer Anwandlung von Selbstmitleid. Tränen traten ihr in die Augen. Wieder einmal vermißte sie ihre Mutter schmerzlich. Doch dann wischte sie sich energisch die Tränen ab und zwang sich, nachzudenken. Sie mochte sich dem Schicksal, lebendig begraben zu sein, nicht fügen. Aber wohin sollte sie gehen? Was sollte sie tun?
Es war viel entwürdigender, weiterhin von Isobel finanziell abhängig zu sein, die sie haßte und aus ihrem Leben verbannen wollte.
Zunächst hatte sie sich über die neue Garderobe gefreut, die sie in London erstanden hatten. Doch das finstere, verkniffene Gesicht ihrer Stiefmutter trübte ihre Freude. Jedes Mal, wenn Sandra ein neues Kleid freudestrahlend vorführte, reagierte Isobel säuerlich.
Als ihre Mutter noch lebte, waren sie so arm gewesen, daß sie kein Geld für neue Kleidung erübrigen konnten. Vielmehr hatte es kaum fürs Essen gereicht. Obwohl das alte Haus jetzt in neuem Glanz erstrahlte und Sandras Kleiderschrank fast überquoll, hatte sie sich nie so unglücklich gefühlt wie im Augenblick.
Warum konnte Papa nicht eine Frau heiraten, die so lieb und sanftmütig ist wie Mama? fragte sie sich.
Die Antwort war höchst einfach. Die Familie ihrer Mutter war arm gewesen, die Fairbairns hingegen sehr, sehr reich.
Wie könnte ich erreichen, von ihr unabhängig zu werden, überlegte sie. Diese Frage beschäftigte sie unablässig. Sie mußte versuchen, selbst Geld zu verdienen.
Es wäre doch gelacht, wenn jemand wie sie mit einer guten und so vielseitigen Erziehung keinen Posten als Gesellschafterin oder ähnliches finden könnte.