In den Schatten der Vergangenheit - Ricarda Konrad - E-Book

In den Schatten der Vergangenheit E-Book

Ricarda Konrad

4,4

Beschreibung

Völlig überraschend erbt die junge Caroline Wettmann das Cottage ihrer Großtante in Irland. Sie ist geschieden und kinderlos, sodass ihr Entschluss feststeht: Sie bricht alle Zelte ab und geht nach Irland. Noch während der Renovierungen im Haus muss sie feststellen, dass das idyllische Häuschen ein dunkles Geheimnis in sich trägt, was sich nicht zuletzt durch den Fund geheimnisvoller Briefe adressiert an ihre Tante und einer Leiche in ihrem Garten bemerkbar macht. Was hat es mit den Briefen auf sich? Warum liegt ein Toter im Garten ihrer so liebevollen Tante Molly? Eine Suche nach Antworten beginnt ...

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In den Schatten der Vergangenheit

Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23DanksagungNachwortImpressum

Kapitel 1

Caro fuhr die Landstraße entlang, welche eigentlich nur ein besserer Feldweg war. Da sie das Talent hatte, beim Umfahren von einem Schlagloch ein anderes zu erwischen, wurde sie ziemlich durchgeschüttelt. „Magen an Zwerchfell: Mach dich aus dem Weg, ich brauche Platz!“ So ungefähr mussten ihre Organe miteinander kommunizieren, dachte sie, als ihr der alte Sketch in den Sinn kam. Aber vielleicht hatte sie ja auch die Chance, dass dieses Durchschütteln ein paar Kalorien verbrauchte. Guten Mutes umrundete sie das letzte Schlagloch, bevor sie mit dem gemieteten Auto zum Stehen kam und ausstieg. Ob sie sich daran gewöhnen würde, die Fahrertür nach rechts zu öffnen? Sie konnte es nur hoffen. Die Straße ging vor ihr noch weiter, erhob sich zu einer Kuppe, die sie langsam hinaufstieg. Auf der anderen Seite, eingebettet in Felder und Wald, sah sie das kleine Dorf Affordshire. Ein paar Häuser, ein Pub, ein Lebensmittelladen – sehr übersichtlich. Es gab im Grunde nur die Hauptstraße, die durch den Ort durch und am anderen Ende wieder hinausführte, kaum Nebenstraßen. Und diese waren kurz, mit wenigen Häusern. Caro war klar, hier kannte jeder jeden und jeder wusste, was der andere tat oder auch nicht. Ob ihr das gefiel, wusste sie noch nicht.

Sie wandte sich um und ging ein paar Schritte zurück, blickte auf das Cottage, vor dem sie angehalten hatte. Es sah gar nicht übel aus, zumindest nicht von außen. Die Farbe an den Fensterläden war etwas abgeblättert, der Kalk an den Wänden verschmutzt, aber sonst … ganz passabel, dachte sie bei sich. Der Garten vor dem Haus und was sie daneben sehen konnte, wirkte etwas verwildert. Mehrere Obstbäume waren auf der hochgeschossenen Rasenfläche verteilt. Wenn sie hier nicht bald mit dem Rasenmäher zu Werke ging, würde sie eine Sense benötigen.

Also setzte sie sich wieder ins Auto – nachdem sie zunächst links auf der Beifahrerseite einsteigen wollte – und bog auf das Grundstück ein. Der Rasen war mehr oder weniger vertrocknet und daher machte es nichts aus, wo sie den Wagen hinstellte. Akribisch hielt sie sich trotzdem an die gepflasterte Zufahrt. Dass sie jedoch direkt beim Aussteigen in eine Pfütze trat, fand sie nicht sehr erbaulich. Nasse Füße waren nicht unbedingt das, was sie sich beim ersten Betreten des Hauses gewünscht hatte. Aber gut, sie musste da jetzt eben durch. Also schloss sie die Haustür auf und steckte vorsichtig den Kopf in den relativ kleinen, übersichtlichen Flur. Ihr schlugen keine unangenehmen Gerüche entgegen und so beschloss sie, einzutreten.

Natürlich, es roch ungelüftet und staubig, ihre Großtante war bereits vor einigen Monaten gestorben und seitdem war niemand hier gewesen, der mal die Fenster geöffnet hätte. Sie sah sich nach und nach in den Räumen um. Das Wohnzimmer rechts wirkte sehr geräumig, da es über die gesamte Seite ging. Links befand sich ein kleiner Raum, den man für alles Mögliche verwenden konnte. Für Caro wäre er ideal als Büro und Arbeitszimmer. Dahinter schloss sich ein kleines Bad mit Dusche und Badewanne an, das einen recht modernen Eindruck machte. Am Ende des Flurs befand sich die Küche mit Blick in den hinteren Garten und eine Treppe nach oben. Da im unteren Bereich alles einen gepflegten Eindruck machte, stieg Caro beherzt die Treppe hinauf. Dort gab es ein größeres Badezimmer mit einer Badewanne und drei Schlafzimmer. Eins davon war verhältnismäßig groß und hell, sofort entschied sie, dort einzuziehen. Nach der Renovierung, vorher nicht!

Sie verließ das Haus wieder und setzte sich auf einen verwitterten Findling neben der Haustür. Gedanken an ihre Großtante schossen ihr durch den Kopf, sie hatte sie kaum gekannt, als Kind ein paarmal gesehen. Schließlich war sie in Deutschland aufgewachsen und ihre Tante musste jedes Mal aus Irland anreisen, wenn sie ihre Familie wiedersehen wollte. Warum sie wohl überhaupt hier gelebt hatte? Bisher hatte ihr niemand aus der Verwandtschaft viel über diese Tante erzählen können. Alle wussten, dass es sie gab, aber wirklich gekannt hatte sie keiner. Offenbar hatte sie selbst keine Familie gegründet, denn sonst hätte sie nicht einer Großnichte, die sie kaum gesehen hatte, dieses Haus vererbt. Und dann hatte sie auch noch Caros Eltern übersprungen, die fest mit der Erbschaft gerechnet hatten.

Caro spürte, dass ihr Magen sich nach den Schlaglöchern beruhigt hatte und nun nach Nahrung verlangte. Seit sie morgens zum Flughafen aufgebrochen war, hatte sie nichts mehr gegessen und war nach der Landung mehrere Stunden durch die Landschaft gezockelt. Sie beschloss, im Pub ihr Glück zu versuchen. Erstens gäbe es dort sicher ein warmes Essen und zweitens Zimmer, wo sie sich erstmal einmieten konnte. Sofern der Pub geöffnet hatte. Da sie das Dorf und seine geduckten Häuser von der Kuppe aus sehen konnte, war es nicht weit und ihr Körper schrie nach Bewegung, da sie den ganzen Tag sitzend unterwegs verbracht hatte. Sie ging also zu Fuß und machte mit dem nassen Schuh schmatzende Geräusche. Sie konnte nur hoffen, dass das im Pub nicht auffiel.

Nach diesem anstrengenden Tag hatte sie Glück und die Tür des Pubs ließ sich anstandslos öffnen. Sie trat in einen halbdunklen Raum, bedingt durch das dunkle Holz, mit dem alles vertäfelt war. Die Tischdecken wirkten aber fröhlich, da man orange als Farbe ausgewählt hatte. Also setzte sie sich, inspizierte die Tische und stellte fest, dass sie sauber aussahen. Bereits kurz nachdem sie ihren Platz eingenommen hatte, erschien ein älterer Mann hinter der Theke und kam auf sie zu.

„Hallo, kann ich Ihnen etwas bringen?“

Caro hätte ihr Leben gegeben für gut zubereitetes Fleisch mit einer Beilage.

„Kann ich bei Ihnen warm essen? Ich sterbe vor Hunger!“

Der Mann grinste.

„Natürlich, ich bringe Ihnen die Karte. Möchten Sie schon was zu trinken? Ich bin übrigens Brian. Sind Sie auf der Durchreise? Es verirren sich nicht so oft Touristen hierher, obwohl wir dicht am Meer sind. Sie können es sehen, wenn Sie ein Stück über die Wiesen drüben gehen.“

Er nickte mit dem Kopf grob in eine Richtung. Caro schüttelte den Kopf und bemerkte, dass ihr nasser Schuh Abdrücke auf dem Boden hinterlassen hatte. Hoffentlich trockneten die, bevor Brian es sah.

„Ich habe das Cottage oben auf der Kuppe geerbt und möchte eventuell darin leben. Zuerst muss es aber renoviert werden, gibt es hier irgendwo für ein paar Tage die Möglichkeit zur Übernachtung? Und ich hätte gern ein Wasser.“

Brian schüttelte den Kopf.

„Das klingt so, als ob Sie das erste Mal in Irland sind, und dann sollten sie auf jeden Fall ein Guiness trinken. Ein kleines reicht für den Anfang, damit Sie probieren können. Wir vermieten Zimmer mit Frühstück, Sie können also gern hier übernachten.“

Das passte ja wunderbar!

„Dann also ein Guiness, die Speisekarte und ein Zimmer“, strahlte sie Brian an.

Die Auswahl an Gerichten war einfach gehalten mit bodenständiger Hausmannskost, bemerkte Caro, als Brian ihr sowohl Karte als auch das Guiness gebracht hatte. Die Auswahl war nicht riesig, aber es klang alles lecker. Sie entschied sich für ein Steak mit Bratkartoffeln und grünen Bohnen, in der Hoffnung, dass es geliefert wurde, bevor sie entkräftet vom Stuhl sank. Vorher hatte sie gar nicht bemerkt, dass sie so hungrig war. Vorsichtig nahm sie den ersten Schluck des Guiness und stellte fest, dass es schmeckte. Das Essen erfüllte dieselben Kriterien, reichhaltig und schmackhaft.

Während sie hungrig ihren Teller leerte, bemerkte sie, dass sie von Brian verstohlen beobachtet wurde. Er fragte sich sicher, was sie mit der verstorbenen Besitzerin des Hauses zu tun hatte, und bestimmt hatte er sie gekannt. Das wäre eine gute Gelegenheit, etwas über die Großtante zu erfahren.

Nachdem sie den Teller geleert hatte, schnappte sie sich kurzerhand ihr Guiness und das Geschirr, ging damit zu Brian und setzte sich an die Theke. Er grinste ihr anerkennend zu, als er den Teller nahm und nach hinten auf die Ablage stellte.

„Schmeißen Sie den Laden hier ganz allein?“ erkundigte sie sich.

„Nur um die Mittagszeit unter der Woche, wenn nicht allzu viel los ist. Meine Kinder helfen mir dabei, mein Sohn ist ein sehr guter Koch.“

„Das habe ich bemerkt, wenn das Steak von ihm war. Es war hervorragend!“

Stolz blitzte in Brians Gesicht auf.

„Ja, das kann er. Ich habe Sie nie zuvor bei der alten Molly gesehen …“

Jetzt kamen sie zum Punkt, der Caro interessierte.

„Ich war auch tatsächlich bisher nicht in Irland, sie hat uns immer besucht. Aber ich könnte wetten, dass sie hier niemals wirklich allein war!“

Brian schüttelte schon fast entrüstet den Kopf, während er die Wände des Glases mit dem Geschirrtuch fast durch zu polieren schien.

„Molly war eine Institution hier im Dorf.“ Er stellte das Glas beiseite, darauf bedacht, noch etwas davon übrig zu lassen. „Sie pflegte mit einigen Familien hier regelmäßigen Kontakt und aß auch öfters bei uns. Dann hat sie sich um die kleine Kapelle gekümmert, öfters frische Blumen hingebracht. Wenn wir hier abends zusammen saßen, war sie stets umringt und flirtete mit allen, die nicht bei drei aus der Tür waren, egal ob neun oder neunzig Jahre alt.“ Ein wehmütiger und zugleich verschmitzter Ausdruck trat in seine Augen. „Solche Unikate gibt es nicht allzu oft, aber zum Glück haben wir hier noch das eine oder andere davon.“

Das sollte Tante Molly gewesen sein? Bei ihren Besuchen war sie zwar recht unbefangen und salopp, aber mit allem flirten, was nicht bei drei auf dem Baum war? Aber warum auch nicht! Das ist das Vorrecht des Alters, immerhin ist sie im seligen Alter von über neunzig dahingeschieden.

„Ich stelle es mir gerade vor und finde, dass es gut zu ihr gepasst hätte.“

Einfach so tun, als ob man sie gut kannte…  Eifrig nickte Brians Lockenkopf.

„Und ob! Wenn sie da war, gab es immer was zu lachen, mehr als sonst. Ich würde sie mal als Original bezeichnen. Fanny, das ist auch so eine! Die beiden waren dicke Freundinnen und mischten an guten Tagen alle hier auf.“

Caro versuchte, ihre Überraschung zu verbergen, denn von einer Fanny hatte sie noch nie etwas gehört. Aber wie auch? Tante Molly hatte nicht viel über die Menschen in ihrem Dorf erzählt. Doch ihre Beschreibungen des Landes waren so begeisternd, dass Caro es auf Anhieb mochte und beschloss, später hier zu leben. Jetzt war später. Nun war es aber besser, es erstmal darauf beruhen zu lassen. Brian würde sonst merken, dass Molly eine so gut wie unbekannte Person für sie war. Wenn man die Ohren aufhielt, würde einem diese Fanny irgendwann über den Weg laufen. Jetzt fehlte ihr die Energie, um weiter nachzuhaken. Das schwere Essen und die Reise machten sich bemerkbar und Caro spürte, wie ihren Augenlidern große Gewichte anzuhaften schienen. Es war zwar noch früh, aber eine liegende Position wäre nun genau das Richtige.

„Ich würde mich gern etwas ausruhen, könnten Sie mir den Zimmerschlüssel geben?“

Ihr Zimmer lag im ersten Stock an einem langen Flur und sie war auf etwas dunkel Eingerichtetes vorbereitet. Zu ihrer Überraschung war das Zimmer nicht groß, aber hell und gemütlich. Sie öffnete das Fenster, um den Gesang der Vögel hereinzulassen, und streckte sich dann auf dem Bett aus. Ihre Koffer, die sie als Gepäckstücke mit im Flugzeug transportiert hatte, warf sie einfach neben das Bett. Bevor sie sich versah, war sie eingenickt.

Tante Molly stand vor ihrem Bett und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Bedrohlicher sah ihre zierliche Gestalt dadurch nicht aus, aber immerhin versuchte sie es. Caro hatte ihre Tante jedes Mal um ihre Statur beneidet, warum konnten ihre Gene nicht von Molly abstammen? Aber nein, sie musste sich mit einigen Pfunden zu viel abplagen, die es für sie aber nicht wert waren, abtrainiert zu werden. Es konnte immerhin nicht jeder ein Model sein. Dafür hatte sie ein hübsches Gesicht, große himmelblaue schrägstehende Augen, eine gerade Nase und einen kleinen Schmollmund. Glattes, hellblondes Haar umrahmte das volle, aber nicht runde Gesicht bis zu den Schultern.

„Ja, darauf kannst du stolz sein, aber an deiner Figur solltest du wirklich was ändern“, durchbrach Molly diese Gedanken. „Aber wenn du erstmal ganz hier bist, werden die Pfunde schon purzeln, hier ist jeder immer in Bewegung, das wird bei dir nicht anders sein.“

Caro schüttelte den Kopf, wie um eine Fliege zu verscheuchen. Sie wusste, dass sie träumte, aber dieser Traum war so real! Amüsiert sah sie zu Molly auf.

„Da muss ich erst hier bei dir schlafen, um zu erfahren, was du über mich denkst.“

Molly wischte diese Bemerkung mit einer Hand zur Seite und schob sie direkt wieder an den alten Platz auf der Hüfte zurück.

„Wenn man tot ist, kann man den Menschen unumwunden sagen, was man denkt. Meine zarten Hinweise bei meinen Besuchen hast du ja nie verstanden – oder wolltest sie nie verstehen. Es gibt auf jeden Fall viel zu tun für dich hier.“

Langsam stieg ein Lachen in Caros Kehle auf, aber sie riss sich zusammen. Auch in einem Traum sollte man nicht unhöflich gegenüber älteren Menschen sein.

„Ja, ich weiß. Ich werde renovieren, dein Haus teilweise neu einrichten, den Garten herrichten. Es ist tatsächlich jede Menge Arbeit, aber es treibt mich niemand. Wichtig ist zunächst, dass das Haus bewohnbar wird. Dann sehe ich weiter.“

„Du verkennst die Situation, meine Liebe. Von einigem, was auf dich zukommen wird, weißt du noch gar nichts. Aber ich bin sicher, dass du auf dem rechten Weg landen wirst. Denk nur immer daran, auch hier sind nicht alle Leute gutmütig und dir wohlgesonnen.“

Aufgrund dieser Warnung runzelte Caro die Stirn.

„Wie meinst du das?“ Sie vergaß inzwischen, dass sie träumte.

„Das wirst du noch herausfinden, zumindest hoffe ich das. Und nun lasse ich dich wieder allein. Auch wenn es heißt, man ist in der Ewigkeit, hat man doch nicht so viel Zeit, wie man denkt.“

Mit einem Seufzer nahm sie eine Geranienblüte vom Rand des Blumentopfes auf der Fensterbank und löste sich einfach in Luft auf, Caro zwinkerte verwirrt. War sie wieder wach oder schlief sie noch? Normalerweise nahm sie die Phase des Aufwachens genau wahr, aber gerade war es, als ob sie schon länger wach wäre. Und was war mit der Blüte auf dem Blumentopf? Sie war tatsächlich weg, aber hatte zuvor überhaupt eine da gelegen? Sie vermochte es nicht zu sagen. Nein, das musste eine Überanstrengung von der Reise und den neuen Eindrücken sein und sie hatte geträumt, so einfach war das. Da es sie jetzt nicht mehr in dem Zimmer hielt, beschloss sie, sich ein wenig im Dorf umzusehen. Hatte Brian nicht gesagt, das Meer wäre ganz in der Nähe? Also zog sie sich die Schuhe an, die sie vor ihrem Fall auf das Bett abgestreift hatte, ohne die Schnürsenkel zu öffnen. Der Dank war ein Knoten und die Feststellung, dass der eine Schuh noch nicht ganz trocken war. Das war nun egal, denn sie würde nach ihrem Rundgang duschen und sich für die Nacht umziehen.

Sie winkte Brian kurz zu, als sie durch den Pub auf die Straße trat. Die letzten Strahlen der Sonne schienen ihr ins Gesicht und es ging ein leichter Wind, der in Küstennähe sicherlich normal war. Zumindest hatte sie noch nie gehört, dass es am Meer völlig windstill sein konnte. Fasziniert drehte sie sich in der Dorfmitte einmal im Kreis. Rundum kleine Häuser, die Dächer mit Stroh gedeckt, genau wie Tante Mollys, oder vielmehr, ihres. Die Cottages wirkten gepflegt, Fenster waren gestrichen, kleine Vorgärten schon für das nahende Frühjahr hergerichtet. Hier und dort steckten die ersten Blumen die Köpfe heraus. Zäune gab es gar nicht oder sie waren nur zur Dekoration gemacht, aber sicher nicht, um Menschen auszuschließen.

Caro wandte sich in die Richtung, in die Brian gezeigt hatte, als er vom Meer sprach. Zwischen zwei Häusern ging eine schmale Straße hindurch und sie entschied, ihr zu folgen. Irgendwo würde sie schon hinführen und die Richtung zumindest müsste stimmen. Notfalls konnte sie immer noch querfeldein gehen, um zum Ziel zu gelangen. Aber das brauchte sie gar nicht. Nachdem sie an einigen Cottages vorbei gegangen war, kam sie zu beidseitigen Wiesen, die weiter ins Land hinein mit kleinen Mauern begrenzt waren. Geradeaus erstreckte sich der Horizont und der Weg führte geradewegs an den Rand der Klippen. Das fand Caro nun doch erstaunlich. Zuhause in Deutschland gäbe es hier einen Riesenzaun oder ein hohes Geländer, sodass niemand die Möglichkeit hätte, an den Abgrund zu gehen. Hier schien das keine Überlegung wert zu sein. Andererseits: Wenn man daran dachte, wieviel Steilküsten und Klippen es in Irland gab, hätte man viel zu tun, die abzusichern, dachte Caro. Es war ein erhebendes Gefühl, so dicht am Rand zu stehen und nichts, was den Ausblick auf das rauschende Wasser darunter und das Meer im Weitblick trüben könnte. Der Wind pfiff stärker als in Affordshire, denn hier war sie völlig ungeschützt.

Aus ihrem Inneren stieg ein Glücksgefühl empor, das sie vorher so noch nie empfunden hatte. Noch nicht mal, als sie ihren Ex-Mann geheiratet hatte. Aber da das ohnehin ein Reinfall war, hatte man vielleicht keins erwarten können. Sie hätte gleich auf ihr Bauchgefühl hören und die Finger davon lassen sollen. Aber nein, sie waren fünf Jahre zusammen und ihr gesamtes Umfeld ging davon aus, dass sie heiraten würden, es war einfach der natürliche Ablauf. Dass Caro in dieser Beziehung nicht glücklich war, merkte sie erst nach der Hochzeit. Es mochte unfair gegenüber Reinhard gewesen sein, aber so war es nun mal. Besser man korrigiert einen Fehler spät als nie und mit einer Scheidung hatte Caro diese Korrektur durchgeführt. Sehr zum Unverständnis ihres Mannes und ihrer Eltern, die immer noch der Überzeugung waren, er wäre der perfekte Mann für sie. Dann sollten sie ihn doch heiraten, dachte sie trotzig. Zumindest war diese Meinung kein Grund, der eigenen Tochter das Leben schwer zu machen und sich gegen sie auf die Seite des Schwiegersohns zu schlagen. Seitdem herrschte Eiszeit. Ab und zu ein Telefonat mit ein paar Floskeln, guten Tag und guten Weg. Ihre Eltern wussten nichts mehr aus ihrem Leben, das sie Reinhard hätten erzählen können. Sie hatten keine Ahnung, wo sich ihre Tochter gerade befand und warum. Jetzt einigermaßen entrüstet, drehte sie sich um und ging in den Pub zurück.

Inzwischen hatte er sich aufgrund der späten Stunde etwas gefüllt und neben Brian sah Caro einen zweiten, jüngeren Mann hinter der Theke. Das wird der Sohn sein, dachte sie sich und überlegte, ob sie noch etwas essen sollte. Aber nein, heute war das nicht mehr nötig. Also stieg sie die schmale Holztreppe in ihr Zimmer hoch, wohl wissend, dass ihr neugierige Blicke folgten. Es sprach sich schnell rum, dass Mollys Großnichte als Erbin eingetroffen war.

„Wie ist sie denn so?“, fragte Jameson seinen Vater mit einem Nicken zu Caros Rücken.

Der alte Wirt zuckte die Achseln.

„Für dich zu alt, aber scheint ganz nett zu sein.“

Jameson schnalzte mit der Zunge.

„Du kennst doch die Promis, bei denen halten sich ältere Frauen inzwischen auch junges Spielzeug.“

„Schon, aber das Spielzeug macht nur mit, weil die Promi-Damen Kohle haben. Erstens glaube ich das bei der nicht und zweitens bist du nicht der Typ, der Geld hinterher läuft und sich dafür verkauft.“

„Nee, aber drüber nachdenken kann man mal. Macht aber auch nichts, sie ist mir etwas zu gut genährt für einen weiteren Gedanken daran.“

Brian sah seinen Jüngsten schief von der Seite an.

„Aber sonst geht’s dir gut? Du ahnst ja gar nicht, wieviel besser es ist, sich nicht an vorstehenden Beckenknochen Schürfwunden zu holen.“

„Wenn ich mal in deinem Alter bin, werde ich das sicherlich wissen.“

Als Antwort hob Brian das Geschirrtuch in seiner Hand und scheuchte damit seinen Ableger in die Küche zurück.

Oben holte Caro einen Schlafanzug aus dem Koffer und schlurfte ins Bad. Aufstöhnend gab sie sich dem entspannenden Gefühl einer heißen Dusche hin und blieb zehn Minuten darunter stehen. Erst dann nahm sie das Duschtuch von der Halterung und trocknete sich ab. Nachdem sie den Schlafanzug übergestreift hatte, sank sie auf das Bett und kam sich plötzlich überflüssig und verloren vor. Was tat sie hier? Sie war keine Irin, kannte weder dieses Land noch einen Menschen hier. Aber darüber würde sie morgen nachdenken und kaum hatte sie sich unter die Decke gekuschelt, schlief sie auch schon.

Morgens fühlte sie sich wie zerschlagen. Man sollte eben nicht davon ausgehen, dass ein langer und anstrengender Tag durch etwas Schlaf der Vergangenheit angehörte. Mühsam rollte sie sich aus dem Bett, langsam erwachten ihre Lebensgeister und sie freute sich auf das Frühstück. Es war merkwürdig, sie frühstückte sonst nie, aber sobald sie es nicht selber zubereiten musste, war es eine schöne Aussicht. Wobei man nicht wusste, was man hier so vorgesetzt bekam. Bestimmt keine Brötchen mit Aufschnitt, Marmelade und Honig.

Im Pub war es ruhig und kein Mensch zu sehen. Deshalb ging sie bis zur Theke vor in der Hoffnung, jemanden zu entdecken. Fehlanzeige. Eine ungünstige Konstellation, denn sie brauchte dringend einen Kaffee, um überhaupt lebensfähig zu sein. Was sollte es, dann setzte man sich erstmal an einen Tisch, irgendwann würde jemand auftauchen. Das war auch so. Erst schob sich eine Kugel durch die Schwingtür hinter der Theke, ihr folgte eine junge Frau und kam auf Caro zu.

„Guten Morgen, ich bin Cindy, die Schwiegertochter von Brian. Wir wussten nicht, wann Sie herunterkommen würden, und deshalb haben sie mich einfach mal als Wachposten abgestellt“, lachte sie mit strahlenden Augen. Die Kugel entpuppte sich als Babybauch und Cindy schien schon etwas Mühe damit zu haben. „Was kann ich Ihnen bringen? Ein einheimisches Frühstück mit allem Drum und Dran und dazu unseren Frühstückstee oder möchten Sie lieber ungefährlich leben und Eier mit Toast, Marmelade und einen Kaffee? Den haben wir nämlich auch!“

Caro konnte nicht anders, als zu lachen, und entschied sich für ein irisches Frühstück – wenn schon, denn schon!

Als Cindy ihre Portion auf den Tisch stellte, erschrak sie doch. Eine solche Menge hatte sie nicht erwartet und schon gar keine Bratkartoffeln. Einmal tief Luft geholt und ran an den Speck, im wahrsten Sinne des Wortes. Erstmal angefangen, schmeckte es ihr mit jedem Bissen besser und die ganze Portion zu schaffen stellte gar kein Problem dar. Das würde wieder etwas mehr auf die Hüften geben, aber darauf kam es ohnehin nicht mehr an. Und Tante Molly konnte sie mal!

„Cindy, wo kann ich denn hier Heimwerkerkram einkaufen wie Farbe, Pinsel, alles, was ich so für eine Renovierung brauche?“

„In Langshire, da ist ein Geschäft für Baumaterial. Eigentlich gibt es da so ziemlich alles, was man dazu braucht.“

„Ist das sehr weit und wie komme ich dahin?“

Cindy erklärte ihr den Weg und nachdem sie ihr Frühstück geschafft hatte, machte sich Caro auf den kurzen Fußweg zu ihrem Cottage und dem dort geparkten Mietwagen. Das war wieder typisch sie: Das Auto stand ganz woanders und ihre Übernachtungskoffer hatte sie geschleppt. Andererseits wollte sie nicht mit Sack und Pack im Pub einziehen und lieber so schnell wie möglich im Haus leben. Das war natürlich teilweise eine finanzielle Frage, aber sie wollte auch ein richtiges Zuhause haben.

Ob man hier auf dem Land die Fenster aufmachen konnte, ohne dass jemand ins Haus stieg? Und wenn schon, das Risiko ging sie ein. Es musste unbedingt frische Luft hinein und das möglichst, bevor sie sich länger darin aufhielt. Also öffnete sie alle Fenster weit, wer würde da schon auf die Idee kommen, dass niemand zuhause war? Als sie wieder aus dem Haus trat und gewissenhaft die Tür verriegelte (zumindest da würde keiner reinkommen), sah sie sich plötzlich einem alten Mann gegenüber. Er musste schon sehr alt sein, wirke zumindest älter als Tante Molly. Sein zerfurchtes Gesicht enthielt aber ein Augenpaar, das jedem Jüngling mit seinem Schalk alle Ehre gemacht hätte.

„Das ist also Mollys Großnichte, willkommen in Affordshire.“

„Vielen Dank! Mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Steve O’Reilly. Ich war neugierig auf dich und dachte, ich sehe dich mir mal an.“

Hoppla, der war aber direkt! Damit konnte Caro wesentlich besser umgehen als mit Fragen, die hinten herum gestellt wurden, weil jemand gar nicht neugierig war und nur alles wissen wollte. Möglichst auch das, was ihn nichts anging. Dennoch wurde sie von der Unverblümtheit des alten Mannes derart überrascht, dass sie zunächst sprachlos war.

„Ich tu dir nichts, Mädchen. Aus dem Alter bin ich schon lange raus, das kann ich dir versichern.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, lachte Caro, froh, ihre Sprache wiedergefunden zu haben. „Sie kannten meine Tante?“

„Natürlich, hier kennt jeder jeden. Und sie war der Traum meiner schlaflosen Nächte … auch wenn sie die Tage bevorzugte. Was hast du jetzt mit dem Haus vor?“

„Ich werde es renovieren, bewohnbar machen und einziehen. Eigentlich in einer anderen Reihenfolge: einziehen, renovieren und bewohnbar machen.“

„Das sind die Frauen von heute, die brauchen keinen Mann mehr und machen alles selber. Eine Schande ist das! Wie sollen wir Männer euch eigentlich noch beeindrucken?“

„Indem ihr uns helft und tut, was wir sagen?“

In seinen Augen blitzte es und er hob scherzhaft drohend den Finger.

„Das ist mal wieder die berühmte weibliche Logik. Gut, dass ich das alles schon hinter mir habe …“

Ohne ein Abschiedswort drehte er sich einfach um und ging davon. Das funktionierte noch recht flott und man hätte der hageren Gestalt nicht zugetraut, dass sie sich noch so gut und schnell bewegen konnte. Wahrscheinlich das Landleben, da blieben die Leute irgendwie gesünder. Irritiert durch den Auftritt des alten O’Reilly machte sich Caro auf den Weg nach Langshire.

Kapitel 2

Damian fluchte, und das nicht zu knapp. Konnte dieser Hund nicht seinen Kauknochen nehmen, schließlich war der zum Rumknabbern da. Aber nein, ein Schuh war etwas Verbotenes und deshalb viel schmackhafter. Wie war er nur auf die Wahnsinnsidee verfallen, sich einen Welpen der Morgans zu holen? Diese Promenadenmischung war ja niedlich, aber immer noch furchtbar unerzogen. Wobei er zugeben musste, dass Letzteres an ihm selbst lag. Zu ersterem konnte er nichts, denn Oscars Mutter war nicht so anspruchsvoll, was ihre Bekanntschaften anging. Und da der Vater auch schon das Produkt einer nicht wählerischen Mutter war, diese Einstellung in der Ahnengalerie eine lange Tradition hatte, war Oscar ein unidentifizierbares Knäuel Fell aus einer Anzahl Rassen, die keiner mehr benennen konnte. Gerade das machte ihn gefährlich. Wie sollte man ein so putziges Ding erziehen und mit ihm schimpfen, wenn es Unsinn machte? Damian hatte damit seine Probleme und deshalb hatte wieder mal ein Schuh dran glauben müssen.

Mit spitzen Fingern hob er das Corpus Delicti hoch, betrachte es und warf es im hohen Bogen aus dem Fenster. Das war ein willkommenes Spiel für Oscar, deshalb rannte er durch die offen stehende Haustür hinterher und brachte den Schuh auf direktem Wege zurück. Aufmerksam setze er sich vor Damian und wartete, dass der Schuh wieder aus dem Fenster segelte. Seufzend tat er dem Welpen den Gefallen. Schuld war er mal wieder selber, er hätte wissen müssen, dass Oscar dies als Spiel auffasste. Nach mehrmaligem Fensterwerfen konnte er den Welpen dann doch überzeugen, dass es reichte. Oscar fand das auch, denn immer dieselbe Route wurde ihm langsam zu dumm. Er ließ sich auf sein weißes, zotteliges Hinterteil fallen, kippte dann zur Seite und spielte toter Hund.

„Ach Oscar, komm! Du willst mir doch jetzt nicht erzählen, dass dich das bisschen schon geschafft hat!“

Zwei braune Hundeaugen baten ihn flehend, ihm zu glauben. Doch, es war so. Oscar war k.o. . Das wiederum war gut für Damian, der nun endlich mit seinem Becher Kaffee vor die Tür treten konnte. Es gab nichts Schöneres, als an einem Frühlingsmorgen mit einer Tasse dampfendem Kaffee in der Sonne zu stehen.

Es war noch kühl draußen, etwas Tau lag auf den Rasenflächen. Aber die Vögel zwitscherten und kündigten einen schönen Tag an.

Misstrauisch sah er zu Oscar. Es war kein Problem, den Hund tagsüber im Garten zu lassen. Er hatte hier Spielzeug, eine große Rasenfläche zum Toben, Wasser und Trockenfutter an einer geschützten Stelle der Hundehütte. Trotzdem hatte er jeden Morgen die Befürchtung, dass Oscar dummes Zeug machen würde, bis er am Abend zurückkam. Bis sich dieses Gefühl legen würde, müssten wohl noch einige Wochen vergehen. Er versuchte sich einzureden, dass Oscar nichts finden würde, was er anstellen könnte, und verabschiedete sich von ihm. Hier hatte sich bereits ein festes Ritual eingespielt.

„Wenn ich nach Hause komme, möchte ich, dass das Haus noch steht, alle Fenster und Türen heil sind und der Garten weder umgegraben noch sonst irgendwie verschandelt ist. Bis heute Abend, du Schlawiner!“

Oscar übernahm nun seinen Teil des Rituals und drehte sich auf den Rücken, streckte mit einem auffordernden Blick Damian seinen Bauch entgegen. Dieser tat ihm natürlich den Gefallen und kraulte das kleine, dicke Welpenbäuchlein noch einige Minuten, bevor er sich zum Gehen abwandte. Das interessierte Oscar schon nicht mehr. Er war beim Bauchkraulen ins Reich der Träume abgedriftet und schnarchte vor sich hin.

Damian überquerte den Rasen zum Stellplatz seines Wagens. Wege hatte er auf seinem Grundstück nicht, hier war alles organisiert verwildert. Vor und hinter dem Haus eine saftige, grüne Rasenfläche mit willkürlich gesetzten Inseln, in denen einige bunte Blumen anfingen, ihre Blüten emporzustrecken. Es gab nichts Gradliniges, Künstliches. Er legte großen Wert darauf, dass ein Garten natürlich wirken sollte und nicht wie ein Gebilde, das mit dem Lineal angefertigt worden war.

Er schob sich auf den Sitz und startete den Wagen, einen letzten Blick auf Oscar werfend. Und er freute sich auf ihn, wenn er heute Abend zurückkommen würde.

„… als wenn ich es nicht gewusst hätte! Wochenlang rede ich davon, aber hört einer auf mich? Nein, natürlich nicht. Das haben wir nun davon und wer muss es wieder ausbaden?“

Stacy unterbrach ihre Tirade, als Damian durch die Eingangstür des Büros der Schreinerei trat. Er hob die Augenbrauen und schaute sie fragend an. Stacy sah mit einem Blick zurück, der Blitze in seine Richtung feuerte. Er raffte sich vorsichtshalber zu einer Frage auf.

„Was habe ich getan?“

Stacy wandte den Blick ab und machte sich an den Schubladen ihres Schreibtischs zu schaffen. Erst nach einigen Sekunden nahm Damian wahr, dass ihr Tränen über die Wangen liefen und sie offenbar nach Taschentüchern suchte. Wie immer konnte er selbst nicht mit dem Benötigten dienen und ließ sie deshalb stumm weitersuchen, bis sie welche gefunden hatte. Sie putzte sich geräuschvoll die Nase und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Ihr Augen-Make up dankte es ihr nicht, aber vorsichtshalber behielt er das erst mal für sich. Er setzte sich auf die Kante ihres Schreibtischs und sah sie geduldig an.

Sie war seit Eröffnung seiner Schreinerei seine Sekretärin, Blitzableiter, Buchhalterin, Mädchen für alles. Und er war niemand, der auf eine Mitarbeiterin herabsah, nur weil er derjenige war, der das Gehalt zahlte. Für ihn war Stacy der Fels in der Brandung, ohne den er die Schreinerei nicht so führen könnte, um sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren. Sie war für ihn wertvoll, nicht nur als Angestellte, sondern ebenso als Mensch.

„Was ist passiert, Stacy?“

Sie schniefte nochmal und ließ ihre schlanke, hochgewachsene Gestalt auf den Bürostuhl plumpsen. Dieser reagierte etwas verärgert und rollte einen halben Meter zurück, was sie dazu veranlasste, wieder näher an ihren Chef heranzurücken.

„Belinda und dieser Hallodri!“

Belinda war Stacys Tochter, inzwischen ihrer Meinung nach erwachsene 21 Jahre alt, und der Hallodri die derzeitige große Liebe der selbsternannten Erwachsenen. Damian wartete ab. Er wusste, dass Stacy von allein erzählen würde, wenn sie  sortiert hatte, was sie erzählen wollte.

„Der Kerl ist doch chronisch pleite und was macht meine blinde Kuh von Tochter? Fällt auf sein Gesäusel rein, gibt ihm alles von ihrem Sparkonto und nimmt auch noch einen Kredit auf! Und nun rate mal, wer den dann zurückzahlen darf. Die kommt doch mit dem bisschen Geld, was sie verdient, so schon nicht über die Runden. Und ich wette, die ist dusslig genug, dem ihren Lohn auch noch in den Rachen zu werfen, wenn er ihr das richtige Märchen erzählt.“

Er ließ sich durch die derbe Ausdrucksweise von Stacy nicht im Mindesten irritieren. Sie liebte ihre Tochter über alles und die Bindung war besonders eng aufgrund der Tatsache, dass sie Belinda von ihrem 3. Lebensjahr an allein aufgezogen hatte. Gerade deshalb machte sie sich umso größere Sorgen um ihr Küken. Was das betraf, war er allerdings ratlos. Er selbst hatte keine Kinder in Ermangelung der richtigen Mutter dazu. Und wie es aussah, lief sein Verfallsdatum langsam ab, denn mit Anfang vierzig wurde es eng. Diese fehlende Erfahrung mit einer eigenen Familie machte ihn nicht gerade zum Spezialisten, der Stacy einen guten Rat geben könnte. Die Kinder seiner Schwester zählten hier nicht. Er verstand sie ohne Frage, aber was konnte man tun? Ihm war klar, dass Belinda sich immer mehr von ihrer Mutter zurückzog, weil diese mit dem derzeitigen Freund nicht einverstanden war. Und mehr noch, sie immer wieder vor ihm warnte.

„Woher weißt du das denn überhaupt? Belinda wird es dir doch sicherlich nicht erzählt haben, oder?“

„Wo denkst du hin! Natürlich nicht!“ Ein entrüsteter Schnaufer begleitete diese beiden Sätze. „Ich habe heute Morgen, als ich die Wäsche auf ihr Bett gelegt habe, einen Kontoauszug gesehen. Und der war im Minus mit Raten an die Bank. Also habe ich mir in einer dunklen Vorahnung ihr Sparbuch angesehen und das war leer. Ich fass es einfach nicht!“

Die Haarspitzen ihres Kurzhaarschnitts schienen zu beben. Stacy strahlte pure Entrüstung, aber auch Enttäuschung und Verzweiflung aus. Sie hatte keine Ahnung, wie sie an ihre Tochter rankommen und vernünftig mit ihr darüber reden sollte, was sie gesehen hatte.

Damian fuhr sich mit der Hand durch das kurzgeschnittene, rotblonde Haar und nun waren schon zwei Frisuren in diesem Büro auf Sturm gebürstet.

„Stacy, wenn ich dir mit Geld aushelfen kann … du weißt, dass du nur ein Wort zu sagen brauchst. Allerdings glaube ich nicht, dass du das Grundproblem mit Belinda damit lösen kannst.“

Sie schüttelte resigniert den Kopf.

„Nein, ganz sicher nicht. Danke für dein Angebot, aber ich habe nicht die Absicht, ihr einfach so die Schulden abzunehmen. Das würde es zu leicht machen. Ich glaube, ich warte, bis sie richtig tief drinsteckt und von selbst zu mir kommt. Eine andere Wahl werde ich nicht haben.“

Er überlegte und gab ihr Recht.

„Wahrscheinlich. So schwer es dir auch fällt, aber sie muss ihre eigenen Erfahrungen machen. Und da sie dir ohnehin nicht glaubt, muss es erst in den Keller gehen, damit ihr die Mutter wieder hinaufhelfen kann.“ Erleichtert, dass Stacy selbst einen Lösungsvorschlag gefunden hatte, den er nur hatte bestätigen müssen, erhob er sich von der Schreibtischkante. „Lass sie laufen, Stacy. Glaub mir, wenn sie Hilfe braucht, weiß sie, wo du bist und dass sie sich auf dich verlassen kann.“

Stacy schniefte noch mal laut und vernehmlich.

„Ich bin mir nur nicht ganz so sicher, ob dieses Wissen so gut für sie ist.“

Entschlossen wandte sie sich von Damian ab und fuhr ihren PC hoch.

Von seiner Angestellten so entlassen, betrat er durch die Verbindungstür die Werkstatt. Der Duft von frischem Holz und Sägespänen schlugen ihm entgegen und sofort war er in seinem Element. Dieser Geruch war wie eine Droge und weckte seine Lebensgeister besser als eine Kanne voll starkem Kaffee. Das Holz wurde von ihm zu Möbeln verarbeitet, ab und zu auch zu einer Hundehütte oder Ähnlichem. Im Prinzip waren es alles Sonderwünsche seiner Kunden, denn nichts hier Produziertes war Massenware. Reine Handarbeit, nach den Vorstellungen der Kunden erst auf Papier gebracht und dann gedrechselt, gesägt, geleimt, zu einem Ganzen zusammengesetzt. Er war stolz auf seine Arbeit und liebte den Umgang mit Holz genauso wie das Funkeln in den Augen seiner Auftraggeber, wenn sie das fertige Möbelstück sahen. Seine Hände waren schwielig, die Statur schlank und groß mit muskulösen Armen und Beinen. Das brachte sein Beruf so mit sich.

Eine bereits am Vortag gefertigte Zeichnung hervorziehend begann er, sich auf den nächsten Auftrag vorzubereiten. Dabei vergaß er alles um sich herum, bis Stacy ihm auf die Schulter tippte. Erschrocken fuhr er aus seinen Gedanken hoch und schaltete die Bandsäge ab.

„Himmel, Stacy, irgendwann schaffst du es, dass ich tot umfalle.“

Sie krauste die Nase und schüttelte den Kopf.

„Um das zu schaffen, muss ich mich schon mehr anstrengen. Ich könnte wetten, dass ich gegen deine Konstitution nicht ankomme. Jeremy hat angerufen, er braucht möglichst schnell einen Festtisch mit Bänken.“

Damian zog die Augenbrauen hoch.

„Wie schnell ist möglichst schnell?“

Sie zuckte die Schultern.

„Wenn es nach ihm geht, schon gestern. Ich hab ihm gleich gesagt, vor Ende nächster Woche wird das nichts. Aber du kennst ja Jeremy“, seufzte sie. „Geht ihm wieder nicht schnell genug. Ich konnte ihn auf Mitte nächster Woche runterhandeln.“

Damian stützte sich auf der Werkbank ab und überlegte. Wenn er ein paar Stunden dranhing, um diesen laufenden Auftrag früher fertigzustellen, könnte das klappen. Falls nicht, würde er schon mit Jeremy fertigwerden. Manche Geschäfte wurden eben auch im Pub bei einem Guiness manifestiert.

Später am Abend machte er Schluss und sah zufrieden, was er geschafft hatte. Es gab solche Tage und solche. An manchen konnte man schuften ohne Ende und hatte das Gefühl, sich nicht vom Fleck zu bewegen. Heute aber war es gut gelaufen. Also schloss er die Werkstatt ab und machte sich auf den Heimweg. In Gedanken schon bei Oscar, zockelte er die schmale Straße nach Affordshire entlang, an deren Strecke sein Cottage lag. Kurz vor seiner Einfahrt traute er seinen Augen kaum. Unfähig zu reagieren, sah er einen Kleinwagen rückwärts auf sich zurollen, ohne dass dieser Anstalten machte, vor ihm abzubremsen. Als er endlich kapierte, dass der Fahrer des Wagens auch weiterhin nicht die Absicht hatte zu stoppen, legte er hektisch den Rückwärtsgang ein, um selbst zurückzusetzen und Abstand zwischen beide Autos zu bringen. Ein lautes Scheppern und Knirschen jedoch machte ihm klar, dass es zu spät war. Resigniert ließ er den Kopf auf die am Lenkrad verschränkten Hände sinken. Nicht auch das noch!

Caro hatte den Krach natürlich ebenfalls gehört und ebenso den Widerstand gespürt, als ihr Auto gestoppt wurde. Völlig verblüfft drehte sie sich auf ihrem Sitz um und spähte nach hinten, was das gewesen sein könnte. Da war doch vorher gar nichts gewesen, die Straße hatte wie ausgestorben dagelegen. Sie rieb sich den Nacken, der etwas schmerzte, öffnete die Tür und schob sich langsam aus dem Auto. Dasselbe passierte gerade bei dem Geländewagen, den sie gerammt hatte, und der Fahrer sah nicht sehr erfreut aus. Er kam auf sie zu und fragte ohne Umschweife:

„Sie hätten mich doch sehen müssen, so klein ist mein Auto nun wirklich nicht!“

Er schien nicht richtig erbost, eher verwundert ob so viel Blindheit. Das wiederum konnte Caro nachvollziehen. Sie verstand selber nicht, warum sie ihn nicht gesehen hatte.

„Es tut mir wirklich sehr leid, ich weiß auch nicht, warum ich Sie nicht bemerkt habe. Die Straße war völlig frei, als ich mich umschaute.“

Er legte den Kopf schräg.

„Das war dann wahrscheinlich zum letzten Mal, als Sie an Ihrem Startpunkt losgefahren sind, ja?“

Okay, er hatte keine Schuld, aber so brauchte er ihr wirklich nicht zu kommen. Immerhin hätte es auch für ihn Möglichkeiten gegeben, den Zusammenstoß zu verhindern.

„Nein, aber es soll ja Leute geben, die nicht in der Lage sind, ihre Hupe zu finden oder den Rückwärtsgang einzulegen“, konterte sie.

Damian stellte sich nun kampfbereit breitbeinig hin.

„Dazu muss man erstmal kommen, wenn einem sowas Unmögliches passiert, was man sich noch nicht mal in seiner Fantasie vorstellt. Aber wenn es Sie beruhigt: Fast hätte ich es noch geschafft, rückwärts zu fahren.“ Er atmete einmal tief durch. „Egal, passiert ist passiert. Ist das Ihr Wagen oder ein Leihfahrzeug? Sie scheinen nicht von hier zu kommen.“

Caro war nicht bereit, auf seinen versöhnlichen Tonfall einzugehen, sie war jetzt auf Krawall gebürstet.

„Keine Sorge, die Versicherung wird das schon bezahlen, damit Sie Ihrem Straßenkreuzer eine Hupe und einen Rückwärtsgang gönnen können.“

Er stutzte, dann warf er den Kopf zurück und lachte lauthals.

„Sie sind mir ja eine Nummer … Ich verspreche Ihnen hiermit feierlich, dass ich mein Auto mit beidem ausstatten werde. Können wir nun das Versicherungstechnische regeln?“ Mit einem Auge blinzelte er in den Himmel, denn er hatte einige Regentropfen abbekommen. „Wenn Sie mögen, können wir das Schriftliche bei mir zuhause machen, ich wohne da vorne.“ Er zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen war. „Und keine Sorge, ich tu Ihnen nichts, wir haben sogar einen Anstandswauwau.“

Da sie weder Lust hatte, nass zu werden noch sich mit ihm in eins der Autos zu quetschen, war sie einverstanden. Caro setze mit ihrem Wagen ein Stück vor, damit er ebenfalls vorfahren und in sein Grundstück einbiegen konnte. Sie folgte ihm, als er ausstieg. Womit sie nicht gerechnet hatte, war das helle Fellknäuel, das mit wehenden Schlappohren auf sie zu düste, sie ansprang und mit Schwung auf den Boden warf.

„Oscar! Bist du wahnsinnig?“

Damian rannte sofort zu den beiden, packte Oscar am Schlafittchen und zog ihn von Caro herunter. Aber es war zu spät. Der Rasen war bereits nass und sie ebenso. Trotzdem fand sie die Situation so absurd, dass sie in schallendes Gelächter ausbrach. Das war also der Anstandswauwau, der sie nun treuherzig anblickte und mit seinen Augen unter den Fellstrubbeln um Verzeihung anflehte. Nein, ihm konnte sie nicht böse sein, auch wenn sich ihr Hinterteil und Rücken momentan sehr feucht anfühlten. Sie übersah Damians hilfreiche Hand und rappelte sich allein wieder hoch. Er schaute sie nahezu genauso zerknirscht an wie sein Hund.

„Das tut mir wirklich unendlich leid. Normalerweise hätte Oscar mich so begrüßt und ich war darauf gefasst. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass er Sie mit mir verwechselt. Eigentlich ist er ein intelligenter Hund – dachte ich.“ Ein vernichtender Blick traf den Mischling.

„Er ist intelligent, denn er hat sich für die deutlich bessere Variante entschieden.“

Sie kniete sich auf den Boden, auf ein paar nasse Knie kam es jetzt nicht mehr an. Erst bei ihrer Ankunft ein nasser Schuh, jetzt fast der ganze Rest von ihr nass. Das wurde offenbar bezeichnend für ihren Irland-Aufenthalt. Vorsichtig streckte sie Oscar ihre Hand entgegen.

„Na komm schon, du kleiner Stürmer. Du hast mich begrüßt, jetzt möchte ich dich auch begrüßen.“

Oscar sah unsicher zu seinem Herrchen hoch, der den Arm ausstreckte und auf Caro deutete. Freudig hob Oscar sein Hinterteil und der Schwanz schien mit dem Hund zu wedeln, so begeistert war er, auf Tuchfühlung gehen zu dürfen. Caro kraulte ihn ausgiebig und nahm den leichten Geruch nach nassem Hund wahr. Wenigstens war sie nicht die Einzige.

Das merkte auch Damian.

„Lassen Sie uns erstmal reingehen, sonst weichen wir alle noch komplett durch.“

Sie gelangte in einen kleinen Flur und Damian wies sie nach rechts in die Küche. Eine moderne Küche, in der die Holzelemente deutlich Vorrang hatten. Hänge- und Unterschränke waren in freundlichem Birkenholz gehalten mit großzügigen Arbeitsflächen, diese jedoch in dunklerem Holz. Die Küche hatte alle modernen Geräte, die Frau so braucht, und war über zwei Ecken an drei Wänden des Raums angeordnet. Die vierte mit der Tür beherbergte einen Tisch mit einer gemütlichen Sitzbank und drei Stühlen. Caro ließ sich auf einem davon nieder. Damian ging geradewegs zur Spüle und nahm den Wasserkocher, der auf der Arbeitsfläche daneben stand. Er ließ Wasser ein und stellte ihn an.

„Warum sind Sie eigentlich rückwärts gefahren?“ fragte er mit einem Blick über die Schulter.

Verlegen rutschte Caro auf dem Stuhl herum.

„Wegen der Schafe“, brachte sie schließlich leise heraus.

Mit einem klirrenden Geräusch fiel der Teelöffel ins Spülbecken, den er gerade aus der Schublade genommen hatte. Er nahm ihn wieder auf und gab löslichen Kaffee in zwei Becher, während er wie nebenbei fragte: „Wegen der Schafe?“

Was hatte er da nur aufgegabelt? Sie kam nicht aus Irland, das war klar. Aber auch in anderen Ländern, sei es Dänemark, Österreich, Deutschland, Holland, irgendwo da, ihrem leichten Akzent nach zu urteilen, kannte man Schafe. Was also zum Henker war daran so Besonderes?

Fast schüchtern sah Caro zu ihm und erklärte: „Im Vorbeifahren habe ich aus dem Augenwinkel eine Schafherde gesehen mit einem ganzen Haufen kleiner Lämmer. Die Landschaft ist hier in Irland so schön mit den Wiesen, Büschen, Bäumen, alles ist grün und dann diese vielen Lämmer dazwischen. Ich wollte sie mir einfach nochmal genau aus der Nähe ansehen.“ Verlegen wandte sie den Blick wieder ab.

Weiber! Ein paar Lämmer und sie drehten durch. „Und während Sie dann so rückwärts fuhren, sahen Sie sich die Lämmer an“, konstatierte er.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich war doch erst wieder auf dem Weg zurück dahin.“

Er goss das kochende Wasser in die Kaffeebecher und stellte einen vor sie auf den Tisch.

„Tee wäre wärmender, aber Kaffee geht schneller“, erklärte er und setzte sich mit seinem Kaffee im rechten Winkel von ihr an die Stirnseite des Tischs. Er schob ihr einen Block und Stift zu. „Schreiben Sie alle Angaben auf. Name, Adresse, Versicherung usw.“

Sie nahm den Stift und zögerte.

„Ich kann Ihnen meine Adresse aufschreiben, aber für die Versicherungsangaben muss ich nochmal eben zum Auto. Sie liegen im Handschuhfach.“

Erst jetzt fiel Damian auf, dass sie offenbar keine Handtasche bei sich hatte. Da hatten Frauen doch immer alles drin! Vom Kugelschreiber über Schminkzeug zu Taschentüchern und möglichst noch das halbe Büro und anderes sinnloses Zeug.

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, die Adresse reicht, Sie müssen jetzt nicht nochmal zum Auto und wieder zurück. Dann sind Sie endgültig durchgeweicht. Ich komme morgen einfach bei Ihnen vorbei und hole mir die Angaben ab.“

Sie nickte und streichelte mit der linken Hand geistesabwesend Oscar, der seinen Kopf auf ihrem Oberschenkel geparkt hatte. Wortlos tranken beide ihren Kaffee, bis Damian auf die Adresse sah.

„Das Haus von Molly? Wir haben uns schon gefragt, was damit werden wird, weil sich da gar nichts tat.“

Sie blickte interessiert auf.

„Kannten Sie sie?“

Er lachte schnaubend.

„Mal ganz davon abgesehen, dass sie hier bekannt ist wie ein bunter Hund, kennt sowieso jeder jeden.“

„Warum war sie denn so bekannt, abgesehen davon, dass hier jeder jeden kennt?“

Ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht, das ihr durchaus sympathisch war. Sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er Molly gemocht hatte.