In seinen Fußstapfen - Charles M. Sheldon - E-Book

In seinen Fußstapfen E-Book

Charles M. Sheldon

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Beschreibung

Dieser Klassiker hat die Lebenseinstellung unzähliger Menschen verändert und prägt auch gut 100 Jahre nach seinem Erscheinen noch die Christenheit entscheidend mit: Auf diesem bereits 1896 erschienenen Roman basiert nämlich die "WWJD"-Bewegung ("What would Jesus do" - Was würde Jesus tun?). Die Hintergrundgeschichte: In einer gut situierten und etablierten Gemeinde taucht eines Tages mitten im Gottesdienst ein verwahrloster Mann auf, berichtet von seinem Leidensweg und bricht dann sterbend zusammen. Von diesem Ereignis aufgerüttelt beginnen die Gemeindemitglieder, ihren Lebensstil zu hinterfragen: Hätte man dem Mann helfen können? Wie hätte Jesus sich in dieser Situation verhalten? Der Pastor ruft seine Gemeinde zu einem einmaligen Experiment auf: Ein Jahr lang sollen sie sich vor jeder Entscheidung bewusst fragen, was Jesus wohl an ihrer Stelle tun würde. Diejenigen, die sich auf dieses Wagnis einlassen, erleben die unglaublichsten Dinge …

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In seinen Fußstapfen

Erzählung

Charles M. Sheldon

Impressum

© 2018 ceBooks.de im Folgen Verlag, Langerwehe

Autor: Charles M. Sheldon

Cover: Caspar Kaufmann

ISBN: 978-3-95893-186-2

Verlags-Seite und Shop: www.ceBooks.de

Kontakt: [email protected]

 

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Inhalt

Titelblatt

Impressum

Vorwort

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Unsere Empfehlungen

Vorwort

Den Wunsch des Verlegers, zu Sheldons Buch „In Seinen Fußstapfen“ ein Wort der Einführung zu schreiben, erfülle ich gern. Hat doch der amerikanische Verfasser, der neben dem christlichen auch den sozialen Ton so stark anschlägt, einen Anspruch auf meine besondere Sympathie. Ich meine, dass wir dieses neue, vortrefflich übersetzte Werk, von ihm freundlich aufnehmen und uns zum Segen lesen sollten.

Der Grundgedanke desselben ist in dem Titel enthalten. Wir sollen Christo aufrichtig nachfolgen und Schritt für Schritt in Seinen Fußstapfen wandeln, dann wird unser Christentum eine ungeahnte Kraft und Freude, zu unserer eigenen Heiligung wie zur Überwindung der Welt, offenbaren. Dieser durchaus richtige Grundsatz ist hier so durchgeführt, dass ein Prediger im Gottesdienst auffordert, es möchten sich alle die melden, welche auf ein Jahr geloben wollen, nichts zu unternehmen ohne die Frage „Was würde Jesus unter diesen Umständen tun?“ und dann gemäß der Antwort ihres Gewissens zu handeln. Eine ganze Anzahl von Gemeindegliedern ist zu dem Gelübde bereit, jeder in seinem Beruf beginnt ein neues Leben, und unermessliche Segensströme fließen davon auf die ganze Gemeinde über. Nachdem sich die große Sache an dem einen Orte bewährt hat, wird sie auch in einer anderen Gemeinde erprobt und richtig erfunden. Nach des Verfassers Meinung sollte die Christenheit an vielen Orten, hier und da, denselben Weg gehen.

Deutsche Leser werden denken, dass die Form „Was würde Jesus an meiner Stelle tun?“ anders gefasst sein könnte. Sie zieht den HErrn so stark in die Ereignisse und Begebenheiten des modernen Lebens, dass die Anwendung jener Formel nicht immer den Zug der Wahrscheinlichkeit an sich trägt. Überhaupt ist bei den Bekehrungen eine allzu schnelle Regelmäßigkeit und bei den Betätigungen des neuen Geistes eine gewisse Gleichförmigkeit. Aber vielleicht hat der Verfasser dadurch, dass er oft in dieselbe Kerbe haut, absichtlich einen bestimmten Eindruck hervorbringen und die gleiche Wirkung der Lebenserneuerung darstellen wollen.

Sehr lehrreich und gerade für deutsche Kreise der Erweckung anregend ist es, dass das neue Leben im Heiligen Geist, sofort auch die verderbten kommunalen, sozialen, politischen Verhältnisse anfassen und umgestalten will. So will das Buch im Einklang mit dem in der Christenheit vorhandenen liefen Verlangen nach Kraft von oben, ein Rauschen der lebendigen Wasser schildern, wie es nötig ist, um die Wüste toten Christentums zu einer grünen Aue umzuwandeln. Als ein solches Lebenszeugnis heißen wir es willkommen.

Adolf Stöcker

Erstes Kapitel

Denn dazu seid ihr berufen. Sintemal auch Christus gelitten hat für uns und uns ein Vorbild gelassen, dass ihr sollt nachfolgen Seinen Fußstapfen. 1. Petrus 2, 21.

Der Pfarrer Heinrich Maxwell saß an einem Freitagmorgen in seinem Studierzimmer, um sich auf die Sonntagspredigt vorzubereiten, aber es schien, als ob er heute nicht die dazu nötige Stille haben sollte, denn es folgte eine Störung der anderen.

„Wenn wieder jemand kommt, Marie“, sagte er endlich zu seiner Frau, „so sage, bitte, dass ich zu tun habe und heute nur in ganz dringenden Angelegenheiten zu sprechen bin.“

„Ja“, antwortete Marie, „da ich einen Besuch im Kindergarten zu machen habe, wirst du ohnehin für die nächsten Stunden allein im Hause sein.“

Der Pfarrer zog sich in sein Studierzimmer zurück und machte sich mit neuem Eifer auf Schreiben. Er hatte als Text die Stelle 1. Petrus 2, 21 gewählt: „Denn dazu seid ihr berufen. Wie auch Christus gelitten hat für uns und uns ein Vorbild gelassen, dass ihr sollt nachfolgen Seinen Fußstapfen“, und hatte im ersten Teile der Predigt den Versöhnungstod Jesu, als persönliches Opfer hervorgehoben und betont, dass Er dieses nicht nur durch Seinen Tod, sondern durch Sein ganzes Leben durchgeführt habe. Im weiteren Verlauf stellte er den Opfertod Jesu in Seinem vorbildlichen Charakter dar und zeigte an Beispielen aus dem Leben und der Lehre Jesu, wie die Menschen durch den Glauben zur Nachahmung des Beispiels, das Er ihnen gegeben hat, gelangen können. Zum Schluss wollte er nun auf die Notwendigkeit der Nachfolge Jesu näher eingehen und gewisse Punkte aufzählen, worin sie sich vornehmlich zu betätigen habe, als abermals laut an der Hausglocke geschellt wurde.

Heinrich Maxwell zog die Stirn in Falten, rührte sich aber nicht von seinem Pult, erst als die Glocke noch einmal ertönte, trat er auf Fenster und sah einen jungen Mann, in abgetragener Kleidung, auf den Stufen stehen.

„Sieht aus wie ein Landstreicher“, murmelte der Geistliche, während er die Treppe hinabging, um die Tür zu öffnen.

Der junge Mann zögerte einen Augenblick, ehe er sein Anliegen vorbrachte.

„Ich bin stellenlos, Herr Pfarrer“, sagte er endlich, indem er nervös mit seinem schäbigen Hut spielte, „und ich dachte, vielleicht würden Sie mir Arbeit verschaffen können oder doch wenigstens ein paar empfehlende Zeilen an einen der Fabrikherren oder Ladenbesitzer der Stadt mitgeben.“

„Ich fürchte, dass Ihnen damit wenig gedieht wäre“, entgegnete der Pfarrer, „überdies bin ich heute zu sehr beschäftigt, als dass ich Ihnen mehr Zeit widmen könnte. Es tut mir leid, dass ich hier im Haus keine Arbeit für Sie habe, aber hoffentlich treffen Sie es anderswo besser.“

Hiermit schloss Herr Maxwell die Tür und begab sich in sein Zimmer zurück, sah aber doch vom Fenster aus dem Fremden noch einen Augenblick nach, weil er den Ausdruck des Kummers und der Mutlosigkeit in dessen Gesicht nicht sofort loswerden konnte. Mit einem Seufzer nahm er endlich wieder die Feder zur Hand und suchte den abgerissenen Faden seiner Gedanken aufs Neue anzuknüpfen. Ohne weitere Störung schrieb er fort, so dass die Predigt bereits fertig und sorgsam zusammengeheftet auf der Bibel lag, als seine Frau zwei Stunden später von ihrem Ausgang heimkehrte.

Am Sonntagmorgen begrüßte endlich, nach einer langen Regenzeit, ein wolkenloser, sonniger Himmel die Bewohner der Stadt Raymond, und das Wetter war so verlockend, dass Pfarrer Maxwells Gemeindeglieder fast vollzählig zur Kirche kamen und das große Gebäude, zu Beginn des Gottesdienstes, bis auf den letzten Platz gefüllt war.

Da sich die angesehensten und reichsten Familien der Stadt zur Hauptkirche hielten, wurden keine Kosten gescheut, um die hervorragendsten Kräfte für den Kirchenchor zu gewinnen, und besonders an diesem Morgen war der Gesang ein so vorzüglicher, dass alle Musikfreunde großen Genuss davon hatten. Die Auswahl der Lieder war sorgfältig dem Text des Geistlichen angepasst.

Als vollends unmittelbar vor Beginn der Predigt die liebliche Rahel Winslow aufstand und mit ihrer herrlichen Sopranstimme das Lied sang:

Herr, mein Heiland und mein Hirte, der des Lebens Bahn mir brach,Ich bin dein von ganzem Herzen, dir mir will ich folgen nach,Dir nach – dir nach! Ich bin dein von ganzem Herzen, – dir nur will ich folgen nach!

Da malte sich ungeteilter Beifall in den Mienen der Zuhörer, und man fühlte es der Versammlung an, dass sie nur die Ehrerbietung vor dem Gotteshaus abhielt, ihrer Begeisterung lauten Ausdruck zu geben.

Auch Heinrich Maxwell hörte mit sichtlicher Befriedigung zu, Rahels Stimme hatte etwas entschieden Anregendes für ihn, und er richtete es gewöhnlich so ein, dass sie vor der Predigt sang, da er fühlte, dass die gehobene Stimmung, in die er dadurch geriet, seinem Vortrag zu statten kam.

Niemand konnte Pfarrer Maxwell einen langweiligen Prediger nennen, manche machten ihm im Gegenteil den Vorwurf, dass er sich zuweilen einer gewissen Effekthascherei hingab, nicht sowohl in dem, was er sagte, als wie er es sagte, aber die Gemeinde der Hauptkirche schätzte gerade diese Eigentümlichkeit ihres Geistlichen, weil er dadurch sich und damit auch seine Gemeinde über das Bereich des Alltäglichen hinaushob.

Man merkte Pfarrer Maxwell an, dass er gern predigte und seine Kanzel nur im äußersten Notfall einem anderen abtrat.

Eine volle Kirche war ein erhebender Anblick für ihn, denn vor leeren Bänken predigen war nicht seine Sache, und auch die Witterung übte einen gewissen Einfluss auf ihn aus.

Vor einer Zuhörerschaft, wie er sie heute wieder vor sich hatte, war er in seinem Element. Das stand deutlich in seinen schönen, beweglichen Zügen geschrieben.

Die mit treffenden Beispielen gewürzte Predigt verfehlte ihres Eindrucks nicht, sie hätte selbst gedruckt die Aufmerksamkeit der Leser gefesselt, in der gewandten, formvollendeten Vortragsweise des Redners wirkte sie nahezu überwältigend. Pfarrer und Gemeindeglieder waren offenbar mehr denn je voneinander befriedigt.

Die Predigt war zu Ende, und der Chor wollte soeben den Schlussgesang

Alles geb' ich hin für Jesum.Weiche Welt mit deinem Reiz!Ich will nichts als Jesum haben,HErr, so komme ich zum Kreuz!

anstimmen, als plötzlich, zum Erstaunen aller, aus den hintersten Reihen unter der Empore einer der Zuhörer seine Stimme erhob, und im nächsten Augenblick ein Fremder den Hauptgang entlang schritt.

Ehe sich die Leute vom ersten Erstaunen erholt hatten, stand der Mann bereits vor der Kanzel und redete die Gemeinde mit folgenden Worten an: „Während ich der Predigt lauschte, fragte ich mich, ob es wohl anginge, dass ich nach Schluss der Rede den Gedanken Ausdruck gebe, die sich mir mit unabweisbarer Macht aufgedrängt haben.

„Ich bin weder betrunken noch verrückt, sondern ein ganz harmloser Mensch. Wenn ich jedoch, was, aller Wahrscheinlichkeit nach, der Fall sein wird, in den allernächsten Tagen sterben werde, möchte ich mit dem befriedigenden Bewusstsein aus der Welt scheiden, dass ich ausgesprochen habe, was mir auf der Seele lag, und zwar gerade an hiesiger Stätte und vor einer Versammlung, wie sie gegenwärtig zur Stelle ist.“

Herr Maxwell stand wie versteinert auf der Kanzel und blickte auf den Fremden nieder; denn dieser war kein anderer als der arme, dürftig gekleidete und so merkwürdig erschöpfte, junge Mann, der am Freitagvormittag am Pfarrhaus geschellt hatte. Wie damals drehte er seinen schäbigen Hut unruhig in den Händen umher, eine Bewegung, die ihm offenbar zur Gewohnheit geworden war. Er hatte sich augenscheinlich lange nicht rasiert, und das Haar hing ihm wirr über die Stirn. Ein so verwahrlost aussehender Mensch hatte wohl noch nie in der Hauptkirche das Wort an die Gemeinde gerichtet; denn in der Regel begegnete man seinesgleichen mehr auf der Straße und in den Arbeitervierteln der Stadt, als in so auserlesener Gesellschaft im Gotteshaus.

In der Art und Weise des Mannes lag durchaus nichts Keckes oder gar Unverschämtes, ja er war nicht einmal erregt, sondern sprach mit leiser aber deutlich vernehmbarer Stimme. Trotz des maßlosen Erstaunens, das Herr Maxwell beim Auftreten des Mannes empfand, hatte er das Gefühl, als ob er etwas Ähnliches schon einmal im Traum erlebt habe.

Keiner der Anwesenden suchte den Unbekannten in irgendeiner Weise zu unterbrechen, vielleicht, weil niemand im Augenblick wusste, was unter den Umständen am besten zu tun war. Wie dem auch sein mochte, der Fremde fuhr so unbefangen in seiner Rede fort, als läge ihm der Gedanke völlig fern, dass er mit seinem Auftreten ein fremdes Element in den Gang des Gottesdienstes eingeführt habe. Mittlerweile stand Herr Maxwell immer noch über der Kanzel gebeugt, und sein Gesicht wurde mit jedem Augenblick bleicher und trauriger. Aber er unterbrach den Mann mit keinem Wort, und auch die Gemeindeglieder verharrten in atemlosem Schweigen. Auch Rahel Winslow war totenbleich geworden und blickte mit tiefer Bewegung auf die dürftig gekleidete Gestalt, mit dem schäbigen Hut in der Hand.

„Ich bin kein gewöhnlicher Landstreicher“, fuhr der Fremde fort, „obwohl ich nie gelesen habe, dass Jesus je gesagt hätte, eine Art Landstreicher sei weniger des Beachtens wert als eine andere. Oder erinnert sich einer der Anwesenden eines solchen Ausspruchs?“ Er stellte die Frage so unbefangen, als spräche er etwa zu den Besuchern einer kleinen Bibelstunde. Nachdem ihn ein heftiger Hustenanfall einen Augenblick gezwungen hatte, innezuhalten, fuhr er fort:

„Ich bin meines Handwerks ein Drucker, habe aber seit zehn Monaten keine Arbeit. Die neuen Druckmaschinen sind zwar eine herrliche Erfindung; doch haben sich meines Wissens ihretwegen allein innerhalb des letzten Jahres sechs Männer das Leben genommen. Natürlich mache ich den Zeitungsverlegern keinen Vorwurf, dass sie sich die Maschinen anschaffen, ich frage nur: was soll unsereiner tun, wenn er wie ich, nur das eine Handwerk gelernt hat und sonst keine Arbeit versteht. Ich bin vergeblich landauf landab gegangen, um etwas zu tun zu finden, und wie mir, so geht es vielen anderen. Nicht als ob ich darüber klagen wollte! Ich führe nur Tatsachen an. Dennoch fragte ich mich unwillkürlich während der heutigen Predigt, ob das, was Sie „Jesu nachfolgen“ nennen, dasselbe ist, was der Heiland darunter versteht. Was wollte Er mit der Mahnung sagen: Folget mir nach? Der Geistliche sagte,“ bei diesen Worten wandte sich der Fremde der Kanzel zu und sah Herrn Maxwell an, „Jesu Jünger müssten in des Heilands Fußstapfen wandeln, und diese Fußstapfen seien Gehorsam, Glaube, Liebe und Nachahmung Seines Beispiels, aber ich habe ihn nicht sagen hören, was er eigentlich unter diesen Punkten und besonders unter dem zuletzt angeführten Punkte versteht. Wie denken sich Christen eine Nachfolge in Jesu Fußstapfen? Ich habe drei Tage lang in dieser Stadt nach Arbeit gesucht und kein einziges Wort des Trostes oder der Teilnahme erfahren, außer von Ihrem Geistlichen hier, der mir Mut zugesprochen, und mir zu meinen Bemühungen, Arbeit zu finden, Erfolg gewünscht hat. Mag sein, dass Ihre Teilnahme für Hilfsbedürftige erkaltet ist, weil sie so oft von berufsmäßigen Bettlern missbraucht worden ist, und ich möchte gewiss niemand einen Vorwurf machen, sondern nur Tatsachen anführen. Ich begreife natürlich vollkommen, dass Sie sich nicht alle bemühen können, Arbeit für uns zu suchen, stelle auch kein solches Ansinnen an Sie, nur wüsste ich gern, was eigentlich unter dem Ausdruck „Jesu nachfolgen“ zu verstehen ist. Wollen Sie damit sagen, dass Sie sich etwa zur Rettung Ihrer hilfsbedürftigen Mitmenschen Leiden oder Entbehrungen auferlegen, wie Jesus getan hat? Ich habe einen tiefen Einblick in die Not des Lebens bekommen; soviel ich gehört habe, sind allein fünfhundert Männer in dieser Stadt, die ebenso vergeblich Arbeit suchen wie ich, und zwar sind die meisten von ihnen Familienväter. Ich bin dankbar, dass der Tod meine Frau, vor vier Monaten, von allem Elend erlöst hat, und meine Kleine wenigstens so lange in der Familie eines Druckers versorgt wird, bis ich sie wieder selbst durch meiner Hände Arbeit ernähren kann.

Wenn ich Christen, die im Überfluss leben, das Lied singen höre:

Wenn ich Ihn nur habe.Lass ich alles gern,

und dabei an meine arme Frau denke, die sich in einer der dumpfen Mietswohnungen New-Yorks vergeblich nach reiner Luft sehnte und keinen größeren Wunsch mehr kannte, als dass Gott auch unser Kind zu sich nehme, so stehe ich vor einem Rätsel. Es liegt mir natürlich fern, Sie für jeden Einzelnen verantwortlich zu machen, der aus Mangel an Nahrung oder guter Luft dahinsiecht; nur wüsste ich, wie gesagt, gern, worin die Nachfolge Christi eigentlich besteht. So viel ich in Erfahrung gebracht habe, gehören viele der Arbeiter-Mietswohnungen Leuten, die für entschiedene Christen gelten, aber ich kann mir nicht denken, dass es dem Eigentümer des Hauses, in dem meine Frau gestorben ist, wirklich ernst mit der Nachfolge Jesu war. Als ich neulich während einer Betstunde an einer Kirche vorbeikam, hörte ich das Lied singen:

Jesus, alles sei dein eigen,Leib und Seele, Geist und Sinn!Ich will ganz vor Dir mich beugen,Nimm mein Herz, nimm alles hin!

und ich musste mich dabei unwillkürlich fragen, was die lieben Leute eigentlich darunter verstehen. Meiner Ansicht nach wäre viel Elend aus der Welt geschafft, wenn Leute solche Lieder nicht nur sängen, sondern sich auch bemühten, danach zu handeln. Mag sein, dass ich nicht die richtige Auffassung von der Sache habe, und vielleicht erklären Sie mir, worin, Ihrer Meinung nach, das „in Jesu Fußstapfen wandeln“ besteht, wenn nicht in dem aufrichtigen Bemühen, in jedem einzelnen Falle möglichst genau so zu handeln, wie Jesus getan haben würde. Mir will zuweilen scheinen, als ob die sogenannten „ernsten Christen“ in den großen Städten sich allen erdenklichen Luxus gestatteten und alljährlich eine kostspielige Sommerreise machten, ohne je der Tausenden zu gedenken, die mittlerweile in Elend und Sünde verkommen und in ungesunden Löchern dahinsiechen.“ –

Der Fremde hielt nach diesen Worten sichtlich erschöpft inne, und es sah aus, als habe er Mühe, sich aufrecht zu halten, ehe ihm jedoch jemand beispringen konnte, viel er bewusstlos zu Boden.

Pfarrer Maxwell war der erste, der sich fasste. In wenigen Worten teilte er der Gemeinde mit, dass der Gottesdienst für heute beendet sei und eilte dann auf den Unglücklichen zu, um diesem zu helfen. Doktor West erklärte, dass der Mann zwar noch lebe, aber offenbar ein schweres Herzleiden habe. Behutsam wurde er auf das Sofa in der Sakristei gelegt, und es wurden allerlei Belebungsversuche gemacht, während mehrere teilnehmende Gemeindeglieder berieten, wo der Arme fürs erste untergebracht werden sollte.

„Meine Mutter würde ihn gewiss gern beherbergen“, erklärte Rahel Winslow sofort, aber Pfarrer Maxwell bestand darauf, dass er ins Pfarrhaus gebracht werde, ohne zu ahnen, welche folgenschwere Wirkung dieser Entschluss für sein ganzes ferneres Leben haben werde.

Natürlich bildete der merkwürdige Vorfall in der Hauptkirche, in der folgenden Woche das Gesprächsthema der Stadt, und allgemein war die Ansicht vertreten, dass der Fremde infolge seiner traurigen Lage den Verstand verloren haben müsse, und in unzurechnungsfähigem Zustande gesprochen habe, ohne recht zu wissen, wo er eigentlich war. Doch war allgemein aufgefallen, dass weder eine bittere Bemerkung noch irgendwelche Klage über seine Lippen gekommen war und er vielmehr den Eindruck eines Mannes gemacht hatte, der über einen wichtigen Punkt nicht im Klaren war.

Der Arzt hatte schon am zweiten Tage erklärt, der Kranke werde kaum die Woche überleben. Er wurde zusehends schwächer und lag meist bewusstlos da. Herr Maxwell verbrachte jeden freien Augenblick im Krankenzimmer und übernahm jede Nacht die Wache bei seinem armen Pflegling, so dass er reichlich Muße hatte, über die Worte nachzudenken, die der merkwürdige Fremde in der Kirche gesprochen hatte. Er hätte zu gern noch dieses und jenes mit dem offenbar im Leiden geübten Manne geredet, aber dieser lag meist mit geschlossenen Augen da oder ließ den Blick irr im Zimmer umherschweifen. Am Sonntag früh gegen ein Uhr schien der Kranke seine letzte Kraft zusammenzunehmen und verlangte nach seinem Kind. „Es wird wohl heute kommen“, antwortete Herr Maxwell, der nach der Kleinen geschickt hatte, sobald er in den Papieren des Kranken ihre Adresse gefunden hatte.

„Ich werde sie hienieden nicht mehr sehen“, flüsterte der Fremde. „Sie waren gut gegen mich, und ich glaube, so wie Sie, hätte Jesus gehandelt!“ Dann wandte er den Kopf zur Seite und verschied, ohne dass Herr Maxwell dessen sofort gewahr wurde.

Der Tag war ebenso wunderbar schön als der vorhergegangene Sonntag und die Hauptkirche womöglich noch voller, aber als Pfarrer Maxwell die Kanzel bestieg, staunten die Leute über die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war. Er sah aus, als habe er soeben eine schwere Krankheit überstanden, denn sein Gesicht trug Spuren von den schweren inneren Kämpfen, die er in der vergangenen Woche durchgemacht hatte.

Statt mit gewohnter Sicherheit der Gemeinde seine Predigt mitzuteilen, fielen die Worte beinahe zaghaft von den Lippen, und man merkte ihm an, dass Gedanken seine Seele bewegten, die nicht gerade mit dem Text seiner heutigen Predigt in Zusammenhang standen. Endlich schlug er seine Bibel zu und begann über den Vorfall zu sprechen, der sich am Sonntag vorher in der Kirche zugetragen hatte.

„Unser Bruder“, sagte er mit sichtlicher Bewegung, „ist heute Morgen gestorben. Ich konnte bis jetzt nur wenig aus seiner Lebensgeschichte erfahren, doch habe ich an seine einzige Schwester nach Chicago geschrieben und erwarte von ihr nähere Auskunft. Sein Töchterchen ist wenige Stunden nach dem Tode ihres Vaters hier eingetroffen und bleibt vorderhand bei uns.“

Einen Augenblick hielt er inne und sah prüfend auf die gespannt lauschende Versammlung, als überlege er, ob er klug handle, wenn er die Gedanken ausspreche, die ihn bewegten. Zu seiner Erleichterung glaubte er, in vieler Züge eine gewisse Empfänglichkeit zu lesen; darum fuhr er fort: „Das Auftreten sowohl wie die Worte des Fremden haben am vorigen Sonntag einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, und es drängte sich mir unabweisbar die Frage auf, was ist unter „Nachfolge Jesu“ eigentlich zu verstehen? Ich fühle mich heute nicht berufen, zu untersuchen, ob und in wie fern wir, insonderheit ich, unseren Verpflichtungen nicht nur diesem Mann gegenüber, sondern gegen seinesgleichen überhaupt gerecht geworden sind, aber es ist mir klar geworden, dass vieles, was der Mann gesagt hat, ein gerechter Vorwurf für unsere heutige Christenheit ist. Ich muss Ihnen bekennen, dass ich in meiner letzten Predigt versäumt habe, Sie auf die einzige Grundlage aufmerksam zu machen, auf der eine wahre Nachfolge Jesu überhaupt möglich ist. Wir können nicht eher in des Meisters Fußstapfen wandeln, als bis wir Seine wahren Jünger geworden sind, das heißt, bis wir von unserer eigenen Sünde und Machtlosigkeit zu allem Guten überzeugt sind und uns durch Jesu Blut haben rein waschen lassen. Alle unsere eigenen Anstrengungen, in Jesu Fußstapfen zu wandeln, sind vergeblich, so lange wir keine wiedergeborenen Leute sind.

Ich möchte nun denen unter Ihnen, die mit mir dieses Sinnes sind, einen Vorschlag machen, der in einer christlichen Versammlung zwar, nicht befremdlich sein sollte, aber doch bei vielen Christen für überspannt gelten wird. Um allgemein verständlich zu sein, will ich mich so kurz als möglich fassen. Mein Wunsch ist, dass sich Freiwillige aus meiner Gemeinde melden, die sich feierlich verpflichten, während eines ganzen Jahres nichts zu unternehmen, ohne sich vorher die Frage zu stellen „Was würde Jesus tun?“, und dann, so gut sie es verstehen, Jesu nachzufolgen, ohne sich durch die möglichen Folgen irgendwie beeinflussen zu lassen. Natürlich trete auch ich diesen Freiwilligen bei, und meine liebe Gemeinde wird meiner künftigen Handlungsweise hoffentlich abspüren, dass ich keinen anderen Wunsch habe, als in allen Dingen Jesu nachzufolgen.

Ich lade alle diejenigen, die diese Verpflichtung auf sich nehmen wollen, ein, sich nach Schluss des Gottesdienstes in der Sakristei zu versammeln, damit wir uns über die Einzelheiten verständigen. Zum Wahlspruch wollen wir die Frage nehmen „Was würde Jesus tun?“ und unser Bestreben soll sein, so treu und buchstäblich in des HErrn Fußstapfen zu wandeln, wie Er es seinerzeit Seine Jünger lehrte.

Wer auf meinen Vorschlag eingehen will, muss sich von heute an auf ein Jahr binden.“

Pfarrer Maxwell schwieg und ließ abermals prüfend den Blick über die Versammlung gleiten. Sein Vorschlag hatte eine ungeheure Erregung hervorgerufen, die Männer schauten sich erstaunt an und wussten offenbar nicht recht, was sie von der merkwürdigen Umwandlung, die mit ihrem Geistlichen vorgegangen war, zu halten hatten.

Nach Schluss des Gottesdienstes verließen nur wenige sofort die Kirche, die meisten bildeten Gruppen und besprachen sich lebhaft über den seltsamen Vorschlag. Erst auf eine nochmalige Aufforderung des Geistlichen teilten sich gleichsam die Lager, ein Teil zog sich in die Sakristei zurück, während sich die übrigen auf den Heimweg begaben. Herr Maxwell hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, wie viele oder wie wenige sich dieser schwerwiegenden Probe unterziehen würden. Er war aber doch erstaunt, dass ungefähr fünfzig Personen seiner Aufforderung Folge geleistet hatten. Unter diesen Eduard Normann, der hochangesehene Herausgeber der Raymonder „Neuesten Nachrichten“, Alexander Powers, der Direktor der großen Maschinenwerkstätten, Donald Marsch, der Rektor des Lincoln Seminars, die gefeierte Sängerin Rahel Winslow, die reiche, hübsche Erbin Virginia Page, Milton Wright, einer der größten Kaufleute der Stadt, Doktor West, der sich trotz seiner Jugend bereits einen hervorragenden Ruf als Chirurg erworben hatte, und Jasper Chase, der beliebte Volksschriftsteller.

Pfarrer Maxwell konnte sich selbst noch nicht Rechenschaft geben über die volle Tragweite seines heutigen Schrittes, aber er ahnte doch, welche mächtige Umwälzungen seine neue Auffassung von der Nachfolge Jesu hervorrufen musste, sobald diese auch nur von einer kleinen Anzahl Christen ins tägliche Leben übertragen würde. Angesichts der hohen Bedeutung dieser Zusammenkunft fühlte er das Bedürfnis, sich erst mit der kleinen Freiwilligenschar im Gebet zu vereinigen. Kaum hatte er angefangen, so spürten alle Anwesenden so mächtig das Wirken des Heiligen Geistes, als walte Er sichtbar unter ihnen.

„Wir haben uns wohl alle klar gemacht, weshalb wir hier zusammengekommen sind“, leitete Herr Maxwell mit bewegter Stimmung die Besprechung ein, „und ich fühle mich gedrungen, Ihnen zuerst etwas von dem zu sagen, was mir der HErr in der vergangenen Woche am Krankenbett des armen Mannes geoffenbart hat. Ich habe Mühe gehabt, zuerst noch einmal die Forderung des HErrn eingehend zu prüfen und unter diesem Gesichtspunkt ehrlich meinen bisherigen Wandel, als Jünger des HErrn, zu betrachten, und ich kann Ihnen versichern, dass ich mich tief demütigen musste, als ich erkannte, dass wir unmöglich in des HErrn Fußstapfen wandeln können, solange wir dies in eigener Kraft erreichen wollen. Wie nie zuvor kam mir zum Bewusstsein, dass wir auf ewig verlorene Menschen wären, wenn uns der HErr nicht durch Seinen Opfertod mit Gott versöhnt hätte. Nur wer sich im Glauben die durch des HErrn Tod erwirkte Versöhnung aneignet, bekommt die Kraft, in Seinen Fußstapfen zu wandeln. Es lag mir am Herzen, Sie noch einmal darauf eindringlich hinzuweisen, ehe Sie das betreffende Gelübde mit mir ablegen.“

„Darf ich mir eine Frage erlauben?“ sagte Rahel Winslow, deren an und für sich anziehendes Gesicht voll heiliger Begeisterung leuchtete. „Ich bin noch nicht im Klaren, woraus wir in jedem einzelnen Punkt erkennen sollen, was Jesus an unserer Stelle getan haben würde? Woher soll ich z. B. wissen, was Er an meiner Stelle tun würde? Wir leben in so ganz anderen Verhältnissen als der Herr Jesus, da Er auf Erden wandelte, und kommen gar oft in Lagen, für die es meines Wissens im Leben Jesu keine Richtschnur gibt?“