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In seiner üblichen Bedeutung beschreibt das Wort "Innehalten" nur einen winzigen Teil eines nahezu magischen Phänomens: Wahres Innehalten ist vor allem ein In-Kontakt-Kommen mit dem gegenwärtigen Moment. Es ist wie ein Erwachen. "Innehalten kurzgefasst" skizziert die Essenz des Innehaltens. Es verzichtet auf ausführliche Erläuterungen und dient vor allem der Inspiration - der Anregung zum Innehalten. Neben Auszügen aus der umfangreichen Originalausgabe "Innehalten im Geiste der Alexander-Technik, des Voice Dialogue und des Zen" enthält es weiterführende Texte. Es ist ein Buch für ruhige Minuten, das zum Erleben des Hier und Jetzt einlädt. Innehalten ist eine oft übersehene Kraftquelle. Wir brauchen es als kleine oder große Pause wie die Luft zum Atmen. Doch Innehalten lässt sich eben auch in einem viel umfassenderen Sinne verstehen. Als Weg in die Tiefe des Lebens führt Innehalten uns zum Erleben der lebendigen Stille - zur Präsenz. Als eine innere Haltung führt es uns zum mühelos absichtslosen Handeln - zum Nicht-Tun. Und im Nicht-Tun führt es uns zu natürlichen, harmonischen Bewegungen, einer frei ausbalancierten Haltung und zur Kreativität. So verstanden, eingeübt und erlebt, wird Innehalten zur Grundlage spiritueller Wege und fördert jede Art von körperlich-geistiger und künstlerischer Entfaltung.
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Seitenzahl: 124
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Für meine liebe Weggefährtin und Frau, Elisabeth
Vorwort
Einleitung
1 Leben ohne Innehalten
2 Innehalten, um zu leben
3 Wege zum Innehalten
4 Innehalten während einer Aktivität
5 Stufen des Innehaltens
6 Alexander-Technik: Innehalten als Übungsweg
7 Innehalten als Tor zur Veränderung
8 Voice Dialogue: Wahrnehmen Statt Unterdrücken
9 Was wir von F.M. Alexander, dem Voice Dialogue und der Zen-Tradition lernen können
10 Innehalten als Tor zum Leben
Ergänzende Vertiefung: Loslassen
11 Die große Illusion
12 Alles ist verbunden
Ergänzende Vertiefung: Auflösung
Fragen und Antworten
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Erleben wir das Leben mit all unseren Sinnen und spüren wir seine vitale Kraft in uns? Oder beschränken wir uns darauf, stets von neuem ein Tagesprogramm zu organisieren und zu absolvieren?
Gerade dann, wenn sich drängende Fragen und Aufgaben vor uns auftürmen und uns anscheinend keine Zeit zum Verweilen lassen, kann ein radikal neues Handeln erforderlich sein. Denn selbst Probleme, die schnelles Handeln verlangen, erscheinen in einem anderen Licht, wenn wir innehalten. So eröffnen sich Wege zu einer Lösung auf einer anderen Ebene, denn unser Denken und Handeln bekommt durch Innehalten eine neue Qualität.
Das Buch „Innehalten“ wurde vor über zehn Jahren geschrieben, um dem Wort „Innehalten“ zu einer umfassenderen Bedeutung zu verhelfen, denn in der üblichen Bedeutung als „Abwarten“ und „Noch-einmal-Nachdenken“ beschreibt es nur einen winzigen Teil eines nahezu magischen Phänomens: Wahres Innehalten ist vor allem anderen ein In-Kontakt-Kommen mit dem gegenwärtigen Moment. Dieser Perspektivwechsel vom Getriebensein zum Dasein hat in der Tat etwas Magisches. Es ist wie ein Erwachen. Es ist, als würden wir den Klang eines alten Radios durch ein Livekonzert ersetzen oder statt eines vergilbten Fotos eine wirkliche Landschaft sehen.
Statt uns immer nur im Außen zu orientieren und dabei ans Außen zu verlieren, können wir durch eine bestimmte Art von Innehalten die Verbindung zur Essenz unseres Lebens tief in uns entdecken. Es ist ein Schatz, den jeder in sich trägt.
Innehalten ist eine grundlegende Fähigkeit des Menschen und lässt sich selbst beim Sport oder beim Musizieren entdecken. Zugleich scheint Innehalten wie ein Geheimnis, das nur wenige kennen. Um dieses Geheimnis zu ergründen, loten wir seine Tiefe durch eine Folge von sechs aufeinander aufbauenden Stufen des Innehaltens aus. Anschließend wenden wir uns der Alexander-Technik zu, einem Übungsweg, bei dem das Innehalten die zentrale Rolle spielt. Weitere Klärung bringt ein kurzer Ausflug in den Voice Dialogue, eine Methode, die unsere Verhaltens- und Denkmuster anhand innerer Stimmen beschreibt. In dieser Weise kann unser Verständnis wachsen, und dabei zeigt sich uns das ganze Potential des zunächst unscheinbar wirkenden Innehaltens. Es erweist sich als unentbehrliches Werkzeug zur Veränderung gewohnter Muster und lässt das eigene Leben zu einem wahren Erleben werden.
Die vorliegende Kurzfassung möchte ein solches Erleben anregen, indem sie essentielle Auszüge aus der umfangreichen Originalausgabe neben weiterführende Bilder und Gedanken stellt. Auf ausführliche Erläuterungen und anregende Materialfülle wurde dabei verzichtet. All das findet sich im Original, zusammen mit zahlreichen Übungen. Hier geht es vor allem um Inspiration und Vertiefung.
Als Einstieg in das Thema hält das vorliegende Buch einige Überraschungen bereit. Unvertrautes und Ungewohntes machen das Büchlein zu einem kurzen Reiseführer in ein unbekanntes Land.
Wer die erste, ausführliche Fassung bereits kennt oder auf andere Weise mit dem Thema vertraut geworden ist, kann dieses Büchlein wie eine Landkarte im unerschöpflich reichen Gebiet des Innehaltens nutzen, um neue Entdeckungen zu machen.
Wie in der Originalausgabe sind die Hauptkapitel in Einblicke und Ausblicke eingebettet. Die Einblicke liefern eine wissenschaftliche, die Ausblicke eine spirituelle Sichtweise.
Da Innehalten vor allem eine Erfahrung ist, möchte ich die Leserin und den Leser einladen, die Abschnitte in Ruhe auf sich wirken zu lassen. Das Lesen selbst wird dadurch zum Innehalten. Indem wir die Worte und ihre Bedeutung tief in uns einsinken lassen, öffnen wir uns dem Erleben des Unbekannten.
So wie die Stille besitzt Innehalten eine gewisse Qualität und eine Tiefe, die wir leicht übersehen. Es ist viel mehr als nur das Unterbrechen einer Handlung oder eines Gedankenstroms und scheint mit der Stille verwandt zu sein.
Geradeso wie die Abwesenheit inneren und äußeren Lärms – das Schweigen sowohl der Außenwelt als auch der Gedanken – eine eigene Qualität besitzt, die wir Stille nennen und die mehr ist als nur die Abwesenheit von etwas, kann Innehalten uns in einen anderen Zustand versetzen. Ein Vorhang öffnet sich, der Blick in die Tiefe wird frei. Wir merken dies an einem völlig anderen Lebensgefühl, das in uns erwacht. Wir erleben uns, aber auch die Dinge um uns herum als lebendig und betrachten solche Augenblicke als besonders kostbar.
In der Mystik und im Zen sowie bei anderen spirituellen Übungswegen aller Zeiten und Kulturen geht es darum, aus einem schlafwandlerischen Traum vom Leben zu erwachen und zu erkennen, wer wir wirklich sind. Diese Suche nach unserem Wesenskern ist in der mittelalterlichen Mystik die Suche nach Gott. Der Ansatzpunkt hierfür ist immer der gegenwärtige Moment – das Sein und die Stille. Er allein gewährt uns Zutritt zu den Tiefen unseres Daseins.
Fremde Landschaften und beeindruckende Naturschauspiele führen uns zu einem Innehalten, das uns neben der intensiveren Wahrnehmung der Außenwelt auch unserem Wesenskern näherbringt. Tun und Denken treten in den Hintergrund und machen den Weg frei für ein tiefes Schauen. Solche äußeren Eindrücke, so prachtvoll sie sein mögen, sind sie nicht vor allem Mittel, um uns einen Blick in die Tiefe unseres eigenen Wesens zu erlauben?
Indem uns Innehalten mit unserem Wesenskern und dem Beobachter – der Achtsamkeit in uns – in Kontakt bringt, eröffnet es uns eine Fülle von Möglichkeiten für grundlegende Entwicklungsschritte. Mit wachsender Wachheit und Aufmerksamkeit werden weite Bereiche unseres Lebens, die bisher von Gewohnheiten und Mustern geprägt sind, für uns zu Experimentierfeldern für innere und äußere Entfaltungsprozesse.
Statt allein durch äußere Geschehnisse bestimmt zu werden, auf die wir keinen Einfluss haben, können wir lernen, wenn nicht ein solches Geschehen, so doch unsere Reaktion darauf in gewünschter Weise zu verändern. Dadurch verändert sich die Situation selbst grundlegend.
Denkmuster verlieren ihre Herrschaft, über uns, wenn wir sie wahrzunehmen lernen.
Die Wahrnehmung durch unsere Sinne lässt sich zu einer offenen Wahrnehmung erweitern, die uns unsere Umgebung in ungeahnter Tiefe und Vielfalt erscheinen lässt.
Wahre Kreativität entsteht aus einem Geschehen, das „Einfall“ genannt wird. Dabei spielen Stille und Innehalten eine wichtige Rolle.
Eine natürliche Koordination, verbunden mit Leichtigkeit und müheloser Aufrichtung, wie wir sie beim kleinen Kind finden, lässt sich durch Innehalten und eine bewusste Ausrichtung wiedergewinnen.
Mit der Tiefe des Lebens entdecken wir eine stille, tiefe Freude, die uns belebt, trägt und verwandelt.
Unser Gehirn gilt als die „bei weitem komplizierteste Struktur“, die im Universum bekannt ist.1 Die elementaren Bausteine des Gehirns, die Neuronen, empfangen ständig eine Vielzahl erregender oder hemmender Signale. Die Summe dieser Signale entscheidet, ob das Neuron in Aktivität versetzt wird. Je nachdem, ob es sich um ein inhibitorisches oder um ein exzitatorisches Neuron handelt, sendet es im Falle einer Aktivierung über seinen Ausgangskanal ein hemmendes oder erregendes Signal an andere Neuronen.
Verbindungen zwischen Neuronen bilden sich, wenn das entsprechende neuronale Netzwerk oft aktiv ist. Seine Leitungsbahnen werden erhalten, wenn sie genutzt werden. Dieser Effekt steht hinter dem Lernen und dem Ausbilden von Gewohnheiten. Die Einschränkungen, die wir in unserem Leben erfahren, entstehen hauptsächlich durch die Art und Weise, wie wir unser Gehirn gebrauchen.
Seit der Erfindung der Dampfmaschine – mit dem Eintritt ins Industriezeitalter um 1770 – hat sich unsere Auffassung von Schnelligkeit und Geschwindigkeit nach und nach gewandelt. Fuhren 1830 die ersten mit Dampf betriebenen Züge nur mit etwa 20 km/h, so wurde 1870 bereits auf einem rasch wachsenden Schienennetz mit Schnellzügen bis zu 95 km/h schnell gefahren. 1933 erreichte der berühmte „Fliegende Hamburger“ 160 km/h, und seit den 80-er- Jahren sausen auf mehr und mehr Schnellstrecken Züge wie der ICE und der TGV mit etwa 300 km/h ihren Zielbahnhöfen entgegen, ohne dass die Fahrgäste auf den schnurgeraden, tunnelreichen Strecken viel von der Landschaft, wahrnehmen können.2
Nicht selten machen Erfindungen unser Leben ärmer statt reicher. Es ist eine Verarmung, die sich unbemerkt in der Fülle der Möglichkeiten ausbreitet. Indem wir rasen statt wahrnehmen, an keinem Ort mehr wirklich ankommen und uns durch verführerische Medienangebote ablenken und zerstreuen lassen, entfernen wir uns von uns selbst und vom Leben.
Unser Lebensgefühl wird nicht allein durch äußere Dinge und Ereignisse bestimmt, sondern vor allem durch unser Erleben. Wie wir etwas wahrnehmen und erleben, prägt unser Leben. Erfindungen werden erst wertvoll, wenn sie uns zu tiefer innerer Freude und zu Qualität statt Quantität in unserer Wahrnehmung führen.
Neben dem Takt der Uhr ist es vor allem die Überflutung unserer Sinne, die das heutige Leben bestimmt und es so sehr vom Leben in früheren Zeiten unterscheidet. Sowohl unsere Mobilität als auch die Medien erzeugen eine solche Menge an Reizen, dass wir entweder angestrengt und zielfixiert unseren Aufgaben wie mit Scheuklappen nachgehen oder uns von der Flut des Angebots zerstreuen lassen.
In uns dreht sich ein Gedankenkarussell. Äußere und innere Unruhe entsprechen sich. Pausenlos tauchen Gedanken, Planungen, Erinnerungen und Ängste in uns auf. Oft bemerken wir dies erst, wenn es ruhig um uns herum wird. Vom übervollen Tagesgeschehen angetrieben, drehen sich die kreisenden Gedanken dann wie ein Schwungrad immer weiter. Wenn wir nicht wie Süchtige jeden ruhigen Moment mit Beschäftigung oder Gesprächen überdecken, so lassen uns die unruhigen Gedanken eine Ablenkung suchen und verführen dazu, uns weiterer Sinnesüberflutung auszusetzen.
In dieser Weise verlieren wir uns im Außen, man könnte sagen, „wir geraten außer uns“. Statt in uns zu ruhen und den gegenwärtigen Augenblick zu erleben, eilen wir voraus: zu all den Dingen, die erledigt sein wollen, zu den Problemen, die wir erwarten, aber auch zu freudigen Ereignissen, von denen wir uns Erfüllung und Glück erhoffen. Dies führt uns ständig weg von der Wahrnehmung dessen, was ist, hin zu unseren Gedanken, Vorstellungen und Wünschen. Wir treiben uns an und sind gleichzeitig die Getriebenen.
In einer Gesellschaft, die auf Wettbewerb und Konkurrenz ausgerichtet ist, erfreuen sich Sportereignisse großer Beliebtheit. Besonders attraktiv sind die Sportarten, in denen es um Geschwindigkeit geht. Dabei erleben viele Menschen den Sport vor allen Dingen als Zuschauer: Ohne im eigenen Körper wirklich anwesend zu sein, hängt sich die Aufmerksamkeit an Idole. Der passive Zuschauer vergisst sich selbst, statt seiner selbst agiert der Sportler.
Wie sehr Computer, Smartphone und Fernsehen unseren Daseinszustand verändern, kann man besonders gut bei kleinen Kindern beobachten, die gebannt und selbstvergessen auf den Bildschirm starren. Es hat fast den Anschein, als hätte ihr Geist den Körper verlassen und wäre in den Bildschirm hineingerutscht, so ausschließlich und vollständig sind sie beim Filmgeschehen, während ihr Körper schlaff und leblos dasitzt.
Unser Nicht-Präsent-Sein nimmt häufig träumerische Formen an. Wir verlieren uns in Reflexionen, in traumähnlichen Zuständen, in denen wir nicht ganz wach, nicht wirklich anwesend sind. Unsere Gedanken tragen uns davon, entfernen uns von der Gegenwart und führen uns aus dem körperlichen Präsent-Sein heraus. Da in einem solchen Zustand kein wacher Beobachter das Hier und Jetzt belebt und erlebt, könnte man auch diesen träumerischen Zustand als „nicht da“ und damit als „außer sich sein“ bezeichnen.
Ein wichtiger Grund dafür, dass die meisten Menschen ständig „außer sich“ geraten, ist das Gefühl, zu viel zu tun zu haben. Trotz einer Vielzahl technischer Hilfsmittel wie Computer, Auto, Waschmaschine oder Geschirrspüler, die uns das Leben erleichtern können, erleben viele Menschen ihren Alltag als von Arbeit überladen.
Insgesamt haben sich die Erwartungen an uns und unsere eigene Vorstellung von dem, was wir an einem Tag alles erledigen können, mit der allgemeinen Beschleunigung des Lebens geändert. Daher lastet immer mehr Arbeit auf unseren Schultern.
Der zeitgenössische Mystiker und spirituelle Lehrer Eckhart Tolle verweist in seinem Buch „Eine neue Erde“ auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Sünde“. Während wir bei „Sünde“ meist an eine konkrete Verfehlung, das Übertreten eines Gebotes, denken, hat das Wort ursprünglich eine etwas andere Bedeutung. Im Neuen Testament ist es die Übersetzung des griechischen „hamartia“, im Alten Testament geht es auf das hebräische „chat´at“ zurück. Beides bedeutet: das Ziel verfehlen. Wenn nach biblischem Verständnis die Menschheit nach dem Sündenfall im Zustand der Erbsünde lebt, bedeutet das demnach, dass wir das eigentliche Ziel unseres Lebens verfehlen.3
Ein anderer zeitgenössischer Mystiker, Willigis Jäger (1925–2020), Benediktinerpater und Zenmeister, zitierte in diesem Zusammenhang gern die Geschichte vom verlorenen Sohn und betonte in seiner Deutung, dass wir vergessen haben, wer wir wirklich sind.
Es ließen sich noch weitere Stimmen anführen, die uns Ähnliches sagen. Danach ist es unsere Hauptaufgabe im Leben, wieder in Verbindung mit dem Urgrund des Seins zu kommen, zu erkennen, wer wir wirklich sind. Das ist die eigentliche Bedeutung eines spirituellen Lebens. Oft wird Spiritualität hingegen als die Suche nach gewissen außergewöhnlichen Erlebnissen missverstanden. Daher betonte Willigis Jäger in seinen Vorträgen immer wieder, dass wir nicht Menschen sind, die spirituelle Erfahrungen machen, sondern spirituelle Wesen, die eine menschliche Erfahrung machen.
Wir verfehlen unser Ziel, wenn wir uns völlig an die „Form“ verlieren. Form steht dabei im Gegensatz zum Formlosen, aus dem alle Formen entstehen. „Form“ meint nicht nur materielle Dinge. Auch jeder Gedanke und jede Überzeugung ist eine Art Form. Unsere Betriebsamkeit lässt sich verstehen als ein unbewusstes Verlieren an die Form. Wir vergessen dabei, wer wir wirklich sind. Als wären wir nicht ganz wach, leben in einer Art Halbbewusstsein. Erinnern wir uns dann plötzlich an unsere wahre Natur, ist es wie ein Erwachen. Wir tauchen aus dem Halbbewusstsein auf in ein wirkliches Bewusst-Sein. Innehalten, in einem umfassenden, tiefen Sinne verstanden, hat mit diesem Prozess zu tun.
Drei Schichten unseres Gehirns wölben sich – vergleichbar den Jahresringen eines Baums – übereinander, wobei die älteste, das Stammhirn, direkt über der Wirbelsäule liegt, wie eine Art Verlängerung des Rückenmarks:
Das
Stammhirn
(der Hirnstamm) wird auch Reptiliengehirn genannt und steuert lebenserhaltende Grundfunktionen des Körpers wie Herzschlag, Atmung und Wach-Schlaf-Rhythmus, auch Instinkte und Reflexe sind hier fest installiert.
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Darüber wölbt sich das
limbische System
(Mittelhirn), auch Vogelund Säugetiergehirn genannt. Hier werden Gefühle, aber auch so grundlegende Funktionen wie Körpertemperatur, Verdauung und unser unwillkürliches autonomes Nervensystem gesteuert.
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Darüber legt sich die
Großhirnrinde
(kurz
Kortex
), auch Primatengehirn genannt. Hier sitzt unser Bewusstsein mit bewusster Wahrnehmung und Steuerung willkürlicher Bewegungen, mit unserem Denken und unserem Sprachvermögen. Bei uns Menschen hat sich insbesondere der vordere, hinter der Stirn liegende Teil dieser Schicht in einzigartiger Weise weiterentwickelt, die
präfrontale Rinde
(Frontallappen). Sie steuert diejenigen Funktionen, die uns als Menschen auszeichnen: Hier wird unser „Ich“ gebildet, unser Selbstbild, hier geschieht Planung. Unser Arbeitsgedächtnis (für kurzzeitiges Erinnern), eine übergeordnete Selbstregulation unseres Verhaltens und die Steuerung unserer Aufmerksamkeit haben hier ihren Sitz. Außerdem geschehen von hier der Ausgleich unserer Emotionen und die Einstimmung auf andere Menschen. Zusammenfassend könnte man es als den Ort unserer bewussten Steuerung bezeichnen.
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