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Beschreibung

Im Werk von Gilles Deleuze und Michel Foucault sind Körper und Körperlichkeit zentrale Aspekte, die in diesem Band erstmalig vergleichend in den Fokus gerückt werden. Die Beiträger_innen stellen die Entwürfe beider Denker zur Ästhetik und Ethik als Reflexionen der Beziehung zwischen Körper und Bild vor und betonen die Verkettungen von Körper, Macht und Ästhetik. Gleichzeitig werden spezifische Fragen der jüngeren Deleuze- und Foucault-Forschung angesprochen. Der interdisziplinäre Band bietet Wissenschaftler_innen aus Philosophie und Kunstgeschichte sowie den Medien- und Kulturwissenschaften einen thematischen Überblick und weiterführende Lektüre.

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Seitenzahl: 707

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ANN-CATHRIN DREWS, KATHARINA D. MARTIN (HG.)

Innen – Außen – Anders

Körper im Werk von Gilles Deleuze und Michel Foucault

Gefördert durch das Exzellenzcluster Bild Wissen Gestaltung und die Humboldt-Universität zu Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.

Covergestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Rainer Hörmann Übersetzung des Textes von Arianna Sforzini aus dem Franz.: Nicola Denis Print-ISBN 978-3-8376-3575-1 PDF-ISBN 978-3-8394-3575-5 EPUB-ISBN 978-3-7328-3575-1

Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de

Inhalt

Dank

Topologien des Körpers im Werk von Gilles Deleuze und Michel Foucault Eine Einführung

Ann-Cathrin Drews und Katharina D. Martin

I. KÖRPER UNDBILD

Sinnbildung und Widerstreit zwischen mimesis und methexis bei Gilles Deleuze Zu einer Umkehrung des Platonismus in den Gemälden von Francis Bacon

Irene Breuer

Aus dem Dunkel ins Licht Michel Foucaults Bildgeschichte des Wahnsinns

Claudia Blümle

Defekte Körper, intakte Bilder Michel Foucaults Die Geburt der Klinik

Jadwiga Kamola

Kalt, warm, hybrid Körperkonzepte in den Texten Gilles Deleuzes und Michel Foucaults zu den Gemälden Gérard Fromangers

Ann-Cathrin Drews

Das Fest der Bilder Übertragungen zwischen den Schriften von Michel Foucault und postmoderner Kunst und Populärkultur

Anna Schober

II. FREMDKÖRPER

Liminal and Criminal Monströse Hybriden in der abendländischen Kunst

Kerstin Borchhardt

Merleau-Ponty, Foucault, Deleuze: Thinking the Lived, Utopic Body (without Organs)

Kyla Bruff

Zum Dilemma von Materialität und Erfahrung Gilles Deleuzes Schreiben (von) der Hysterie

Jeanne Bindernagel

Between Bio(s) and Art Intensities of Matter in Bioart

Agnieszka Anna Wołodźko

III. KÖRPER, POLITIK UNDWIDERSTAND

Neuentdeckung des Körpers Foucaults Moderne, zwischen Klinik und Politik

Pierre Buhlmann

Selbstversuch und Übung Die Spiritualität des Körpers bei Michel Foucault und Gilles Deleuze

Jürgen Gunia

Physiology versus Psychology The Priest and the Biopolitics of Ressentiment

Sjoerd van Tuinen

Gesicht, Kopf, Körper: Eine politische Karte

Katharina D. Martin

Lawrence, ein Etrusker Tuberkulose und Vitalität

Christoph Dittrich

Widerstehende und kämpfende Körper auf den Bühnen Michel Foucaults

Arianna Sforzini

IV. KÖRPER UND UNKÖRPERLICHEEFFEKTE

Lärmender Unsinn und Oberflächeneffekte Der Körper und das unkörperliche Ereignis im Denken von Gilles Deleuze

Angelika Seppi

Bodies-Language: Immanence in Gilles Deleuze’s Foucault

Guillaume Collett

Im Labyrinth der Zeit Zum Konzept des Körpers nach Leibniz, Borges und Deleuze

Dank

In Gesprächen mit Prof. Dr. Claudia Blümle an der Kunstakademie Münster stellte sich uns die Frage nach Formen philosophischer wie künstlerischer Körperlichkeiten, wobei sich unsere Überlegungen bald auf die Verhandlung dieses spezifischen Aspekts in Gilles Deleuzes und Michel Foucaults Schriften konzentrierten. Wir danken Prof. Dr. Gerd Blum für die Anregung, im Rahmen eines Lehrauftrags im Wintersemester 2013/2014 an der Kunstakademie Münster mit Studierenden der Akademie wie auch der Universität Münster erste Ideen zu diesem Thema zu vertiefen. Die internationale Konferenz Innen – Außen – Anders. Körper im Werk von Gilles Deleuze und Michel Foucault, die wir an der Kunstakademie Münster im November 2013 organisierten, erweiterte die Diskussion in Richtung unterschiedlicher Disziplinen. Prof. Dr. Petra Gehring danken wir für den anregenden Austausch zu Fragen des Körpers bei Deleuze und Foucault mit Blick auf ihre eigenen umfassenden Schriften und zur Denkfigur des »Innen« und »Außen« während der Konferenztage. Allen Vortragenden und AutorenInnen möchten wir unseren Dank für ihre Beiträge aussprechen.

Der Kunstakademie Münster danken für die ideelle und finanzielle Unterstützung vor allem durch das Engagement der Gleichstellungsbeauftragten Prof. Irene Hohenbüchler. Elena Höckmann, Till Julian Huss, Sabine Huzikiewiz, Lioba Knape und Jan Rischke sind wir für ihre Hilfe während der Konferenztage sehr verbunden. Dem Exzellenzcluster Bild Wissen Gestaltung der Humboldt-Universität zu Berlin sowie dem Lehrstuhl Geschichte und Theorie der Form an der Humboldt-Universität zu Berlin gilt unser großer Dank für die finanzielle Ermöglichung dieser Publikation. Dem Verlag Presses Universitaires de France und Arianna Sforzini danken wir, dass wir ein entscheidendes Kapitel ihres 2014 erschienenen Buches Michel Foucault. Une pensée du corps erstmalig auf Deutsch übersetzen und in diesem Rahmen veröffentlichen dürfen. Nicola Denis gebührt unser Dank für ihre kompetente Übersetzung und Unterstützung bei allen sprachlichen Rückfragen und Rainer Hörmann für sein Lektorat des Manuskripts und für seine große Geduld mit dem Langzeitprojekt der »Deleuze-Foucault-Körper«. Beim transcript Verlag danken wir Katharina Wierichs für die unkomplizierte und angenehme Zusammenarbeit.

Unser herzlicher Dank gilt insbesondere Prof. Dr. Claudia Blümle für ihren großartigen Einsatz seit Beginn des Projekts, der es uns auch ermöglicht, den vorliegenden Band nun zu veröffentlichen.

Ann-Cathrin Drews und Katharina D. MartinBerlin und Rotterdam, Juni 2017

Topologien des Körpers im Werk von Gilles Deleuze und Michel FoucaultEine Einführung

Ann-Cathrin Drews und Katharina D. Martin

RÄUME DES DENKENS: GILLES DELEUZE UND MICHEL FOUCAULT

Gilles Deleuze und Michel Foucault befassten sich beide mit Machtdispositiven, der Auflösung von abstrakten Universalien und der Rolle von Körpern im Spiel von Subjektivierungen.1 Bemerkenswerterweise schlugen sie immer wieder neue Achsen für ihr Denken vor – insbesondere in Hinblick auf ihre Subjektentwürfe außerhalb eines Identitätsbegriffs, wie der französische Philosoph Pierre Klossowski 1972 betonte.2 Und als Michel Foucault 1984 verstarb, hob Deleuze während einer Ansprache vor dem Krankenhaus Salpêtrière in Paris besonders dessen denkerische Wandlungsfähigkeit hervor.3 Zu diesem Zeitpunkt war bereits seit sieben Jahren der intellektuelle Weg der beiden Philosophen in der Öffentlichkeit kein gemeinsamer mehr gewesen. Punktueller Anlass hierfür war die Auslieferung des deutschen RAF-Anwalts Klaus Croissant im November 1977 durch französische Behörden an die BRD.4 Zwar protestierten Deleuze und Foucault beide gegen diese, hatten aber eine unterschiedliche Auffassung der Ausrichtung der Proteste.5 Ihr intensiver Austausch der 1960er und 1970er Jahre verebbte und sie sahen sich nicht mehr.6 Gleichzeitig blieb Foucault dabei, Deleuze sei der »einzige philosophische Geist in Frankreich«.7 Deleuze äußerte später, Foucault hätte in den letzten Jahren nur mit seinen engsten Weggefährten zusammen sein wollen.8 Tatsächlich gehörte er zu den wenigen, die Foucault im Juni 1984 noch einmal sehen wollte, auch wenn es dazu nicht mehr kam.9

Nach ihrem ersten Zusammentreffen 1962 war ein engerer inhaltlicher Kontakt über die Aufgabe entstanden, die französische Neuedition der Nietzsche Gesamtausgabe zu übernehmen.10 Sowohl Deleuze als auch Foucault hatten sich zu diesem Zeitpunkt nachhaltig mit dessen Schriften befasst. Die Wirkung Nietzsches auf beide ist bekannt und überaus deutlich in ihrem Denken von Körpern und Körperlichkeiten wie auch in ihrer Auseinandersetzung mit Pierre Klossowskis Werk.11 Gerade die Bedeutung des Körpers in Nietzsches Werk stieß im 20. Jahrhundert Umbrüche in der französischen Philosophie und Ästhetik an.12 Deleuze hatte Nietzsche und die Philosophie (1962)13 veröffentlicht sowie 1965 ein weiteres Buch zu Nietzsche.14 Foucaults Auseinandersetzung war noch nicht derartig sichtbar, ist aber deutlich belegt anhand der handschriftlichen Notizen seiner Nietzsche Lektüre in den frühen 1950er Jahren.15 Deleuze wie Foucault nehmen 1964 an dem in Royaumont veranstalteten Kolloquium über Nietzsche teil.16 Für Foucault bietet sich damit die Gelegenheit zur Veröffentlichung eines ersten Textes über Nietzsche: »Freud, Nietzsche, Marx«.17 Das kurze sachliche Vorwort wiederum, das sie zu der Neuauflage der Nietzsche Edition schrieben, wie auch ein Gespräch anlässlich der Publikation der Ausgabe verraten nichts über den enormen Einfluss des deutschen Denkers auf ihr eigenes Werk und noch weniger über mögliche Kreuzungspunkte ihres Denkens.18

Ab Ende der 1960er Jahre ging kaum eine Schrift des einen unbemerkt an dem anderen vorbei.19 Die Rezensionen in Critique und im Nouvel Observateur zeigen die intellektuelle Bewunderung, die beide füreinander hegten – z.B. Foucault: »er [der Anti-Ödipus] stachelt uns an, weiterzugehen.«20 Bereits 1963 hatte Deleuze über Foucaults Raymond Roussel (1963) geschrieben und in »Raymond Roussel oder der horror vacui« Foucaults »poetische[r] und philosophische[r] Kraft« beschrieben, die er als »wichtige Etappe« in Hinblick auf Foucaults Werk zwischen »Sprache, Blick, Tod und Wahnsinn« bezeichnet.21 1966 folgte über Die Ordnung der Dinge der Artikel »Der Mensch, eine zweifelhafte Existenz« und markiert Deleuzes Anerkennung von Foucaults »Meisterschaft, von einem so neuartigen Ton, daß der Leser in dieser Reflexion über die Geschichte das Herannahen einer neuen Denkweise spürt« noch stärker:22 »Auf die Frage: Was gibt es Neues in der Philosophie? liefern Foucaults Bücher die beste, die lebendigste, auch die überzeugendste Antwort«.23

Foucault ›antwortet‹ 1969, nach der Arbeit an der Nietzsche-Edition, im Nouvel Observateur mit »Ariadne hat sich erhängt« auf Differenz und Wiederholung (1968) als »das einzigartigste, das andersartigste« Buch: »Das Denken ist kein offener Blick mehr auf klare und in ihrer Identität eindeutig fixierte Formen; es ist Gebärde, Sprung, Tanz, äußerster Abstand, gespannte Dunkelheit. Das ist das Ende der Philosophie (jener der Vorstellung).«24 Und: »Nun können wir Unterschied und Wiederholung denken.«25 In »Theatrum Philosophicum«, im November 1970 in Critique publiziert, spricht Foucault schließlich von einem »Deleuzianischen Zeitalter[s]«.26 Deleuze wird diese Formulierung später mit den Worten aufnehmen, damit sei vermutlich gemeint gewesen, er sei der »naivste« der Philosophen einer ganzen Generation gewesen, die sich mit Themen wie Vielheit, Differenz, Wiederholung befasst hatte: »Vielleicht wollte Foucault das sagen: Ich war nicht der beste, aber der naivste, so etwas wie eine art brut, wenn man so sagen kann; nicht der tiefste, aber der unschuldigste (am wenigsten schuldig, ›Philosophie zu betreiben‹).«27 Und es ist tatsächlich diese Art Brut des Denkens als ein Denken der freien Differenz ohne Subjekt und Objekt, die nicht nur in Form der Rezension von Deleuzes Büchern ihren Platz in Foucaults Werk einnimmt. Stattdessen kann diese Besprechung von Differenz und Wiederholung wie Die Logik des Sinns (1969) zugleich als ein ganz entscheidender Wendepunkt in Foucaults eigenem Oeuvre markiert werden.28

»Ein neuer Archivar«, Deleuzes Besprechung von Die Archäologie des Wissens (1970),29 hebt die »Positivität« und »Topologie der Aussagen« bei Foucault hervor, als eine »Diagonale […], auf der sich der Archivar-Archäologe zu bewegen hat«.30 Er attestiert Foucault eine »neue Pragmatik« und eine durch die Bindung von Aussagen an Milieus entworfene »Theorie einer politischen Philosophie«.31 1972 wird das Gespräch zwischen Deleuze und Foucault über den »neuen« Intellektuellen stattfinden, der sich über lokales Engagement auszeichnet – wie es beide im Rahmen der von Foucault mitbegründeten Groupe d’information sur les prisons zu dieser Zeit ausüben.32 Im gleichen Jahr bezieht Deleuze sich gemeinsam mit Félix Guattari in Anti-Ödipus auf Foucault: Sie heben Formen der Produktion gegenüber der Repression als einzige Vorstellung der Macht über ein Subjekt hervor33 und beziehen sich auf Foucaults Analyse der Familie als kleinsten gemeinsamen Nenner der Macht in der Moderne.34 Und anlässlich der Veröffentlichung des Anti-Ödipus äußern sie: »Wir haben nicht dieselbe Methode, aber wir haben den Eindruck, daß wir an allen möglichen Punkten, die uns wesentlich scheinen, auf Wege treffen, die er [Foucault] zuerst gebahnt hat.«35 Mit der Besprechung von Überwachen und Strafen (1975), »Ein neuer Kartograph«, formuliert Deleuze Anschlusspunkte an eigene Begriffe, wie den des Diagramms oder der abstrakten Maschine, markiert aber auch den Wandel in Foucaults Werk zur Machttheorie:36 »Die Geschichte der Formen, das Archiv, wird durch ein Werden der Kräfte, ein Diagramm verdoppelt«.37 Dass diese Machtform als Diagramm für Deleuze »Darstellung von Kräfteverhältnissen«38 ist, wird er in einigen Interviews 1986 wie auch in den drei Texten, die 1986 zusammengefasst als zweiter Teil »Topologie – Anders denken« in dem Band Foucault veröffentlicht wurden, aufnehmen.39

Tatsächlich wird das 1977 begonnene Schweigen neben der Unstimmigkeit über die Auslieferung Klaus Croissants auch darauf zurückgeführt, dass Deleuze und Foucault inhaltlich unterschiedliche Wege gingen.40 Deleuze attestierte Foucault zudem eine ›Krise‹ nach dem Erscheinen von Der Wille zum Wissen (1976), denn dieser habe sich in seine eigene Machttheorie verstrickt.41 Er wird dies später auch als den Grund für das publizistische Schweigen Foucaults ab 1976 auffassen.42 Foucaults 1977 veröffentlichter Text »Das Leben der infamen Menschen« wiederum versteht Deleuze sowohl als Ausdruck von Foucaults Krise als auch als »Meisterwerk«.43 Die »infamen Leben«, die unbedeutenden Existenzen, kommen für einen Moment in Berührung mit der Macht und somit im Diskurs zur Erscheinung. Anders als berühmte Legenden führen sie in der Dramatik dieses kurzen Textfragments ihr Leben als geradezu körperlich-existenzielle Momente oder Intensitäten auf.44 Foucaults Beschreibung dieser Fragmente, mit der die unbedeutenden Leben übermittelt werden, lassen auch an Deleuzes Intensitäten, Ereignisse und an die Ausführungen zur »minoritären Literatur« denken, die er zusammen mit Félix Guattari in dem 1975 erschienenen Kafka. Für eine kleine Literatur dargelegt hatte.45 Deren »Deterritorialisierung der Sprache« ist als Schaffen eines Zusammenhangs zwischen dem Individuellen und Politischen im Schreiben als einer Potenzialität verstanden worden.46 Auch Foucaults »literarischer Effekt«,47 der die infamen Leben blitzartig sichtbar und geltend macht, bewirkt diesen Brückenschlag. Und die Kontingenz der infamen Leben, von Deleuze als eine »erstaunliche Theorie«48 Foucaults bezeichnet, ist zudem in Nähe zu Mannigfaltigkeit und Kontingenz des Lebens in Deleuzes Denken der leibnizianischen Falte gebracht worden.49 Aus Deleuzes Sicht fehlte Foucault 1977 gerade »etwas ›Mögliches‹«, das »jenseits der Macht liegt«,50 »weil die Linie aufhört oder es ihm nicht gelingt, sie zu ›überschreiten‹, weil er über keine Fluchtlinie verfügt«.51 Foucault spräche in »Die infamen Leben« die Grenzen seines eigenen Machtdenkens an.52 Verknüpft mit der Frage nach Möglichkeiten aus dieser Sackgasse des Machtdenkens zu gelangen, versteht Deleuze sein Konzept des Begehrens, welches er Foucaults Vorschlägen zu den Lüsten in dessen Geschichte der Sexualität gegenüberstellt. In den Notizen, die er Foucault 1977 unter dem Titel »Begehren und Lust« über François Ewald zukommen ließ,53 erläutert er ihre unterschiedlichen Verständnisse der Konzepte von Begehren und Lust im Verhältnis zu ihren Machtkonzeptionen.54 Während für Foucault Begehren als Mangel und insofern machtkonform gedacht wird, stellt es für Deleuze die Immanenz des Lebens selber dar. Daraus ergeben sich grundlegend unterschiedliche Einschätzungen hinsichtlich der Frage möglicher oder notwendiger Widerstände als auch hinsichtlich der Lösungen für die von Deleuze bei Foucault gestellte Frage nach dem »Möglichen«, wie über die Macht hinauszudenken wäre.55 In gewissem Sinne umgekehrt zu Foucault gehen Deleuzes Fluchtlinien, Deterritorialisierungen und Wunschgefüge den Machtgefügen voraus.56 Und da in diesem heterogenen Feld alles ständig Deterritorialisierungen ausgesetzt ist, stellt sich für Deleuze das Problem des Widerstands nicht in gleicher Weise wie für Foucault.57 Die aus Sicht Deleuzes für Foucaults Werk notwendige »dritte Dimension« sieht er schließlich in den Subjektivierungen, die Foucault ab Ende der 1970er bis in die 1980er Jahre erarbeiten wird: »Genau das haben für Foucault die Griechen erfunden. Nicht mehr wie beim Wissen geht es um bestimmte Formen, auch nicht um zwingende Regeln, wie bei der Macht: es handelt sich um fakultative Regeln, […] die zugleich ethisch und ästhetisch sind und Existenzweisen oder Lebensstile bilden […].«58 In Hinblick auf die These einer zunehmenden Divergenz zentraler Aspekte des Denkens von Deleuze und Foucault in den 1970er Jahren ist prägnant, dass Foucault Aspekte, die sein Spätwerk prägen werden, auch in Deleuzes und Guattaris Anti-Ödipus hervorhob. Dies verdeutlicht sein anerkennendes Vorwort im Januar 1977 in der amerikanischen Ausgabe von Anti-Ödipus. Foucault kürt den Band nicht nur als »Einführung in das nicht-faschistische Leben«, sondern versteht zudem Deleuzes und Guattaris politische Aktion als eine notwendigerweise »nomadenhafte« und »produktive«, deren Ziel »Entindividualisierung« sein müsse.59 Damit bringt Foucault Anti-Ödipus zum einen in Verbindung mit Grundthesen in Überwachen und Strafen (1975), denn die Architektur des Panopticons übt Macht aus, indem sie individualisiert.60 Zum anderen sind es zwei ganz entscheidende Aspekte seines Denkens der Zeit um 1976,61 die Foucault in dem Vorwort anführt: Einmal schreibt er von der Einschreibung der Macht in das Fleisch des Körpers durch christliche Moralisten und erkennt zweitens Anti-Ödipus als »Ethik« und »Buch eines Lebensstils« an, das wie eine »ars erotica« zu lesen sei.62 Mit diesen für sein Spätwerk grundlegenden Aspekten befasste sich Foucault seit 1975. Ausgehend von der Pastoralmacht und dem Übergehen der christlichen Wahrheitssuche in das Fleisch des Beichtenden beschrieb er zur gleichen Zeit eine Art Gegenüberstellung von sciencia sexualis und ars erotica und stellt mit der Arbeit an der »Geschichte des Begehrenssubjekts«63 vor, dass für die »antike Erotik etwas ungetrennt [ist], das schon das christliche Mittelalter moralisch und physisch trennt. Körperselbst und Selbst gehören zusammen«.64 Die Lebensstile in der griechischen Antike las Foucault dabei z.B. als kollektive Formen gegenüber den individualisierten Formen der Moderne.65

Deleuze hat in dem 1990 erschienenen Text »Postskriptum über die Kontrollgesellschaften«66 die Funktionalität der Disziplinarmacht mit ihren regulierenden Milieus nochmals erläutert, um den Wandel zur Kontrollgesellschaft zu markieren. Ihm zu Folge bildeten sich seit den 1970er Jahren verstreute und endlos wirkende Machtmechanismen, die den Einzelnen vom Individuum in ein ›Dividuum‹ verwandelten. Der Frage, inwiefern sich Individualisierung sowie dezentrale Machteinschreibungen der Kontrollgesellschaften auflösen lassen, begegnet Deleuze explizit in seinem letzten, 1995 publizierten Text »Die Immanenz: ein Leben …«.67 Für Deleuze sind es die Singulariäten, an denen sich eine Diesheit erkennen lässt, die sich vom individuellen, persönlichen Leben gelöst haben. Exemplarisch steht hier der Augenblick zwischen Leben und Tod, in dem sich unabhängig von Subjektivität und Objektivität ein zeitloses Ereignis aktualisiert und als Immanenz und ein Leben hervortritt.68 In den Überlegungen zum organlosen Körper als Immanenzebene hat Deleuze gemeinsam mit Guattari den Körper selbst als möglichen Ort von Singularität und Ereignis erörtert. Dabei wird eine Quasi-Kausalität vorausgesetzt, bei der sich die a priori Kondition und das sich nährende Ziel des eigenen Widerstandes gegenseitig bedingen.69 Basierend auf demselben Prinzip erklärt sich die Konsolidierung von Milieus, wobei sich Mitte und Umwelt in ihrer Festigung und Konstitution bedingen.70 Die Subjektformationen sind niemals losgelöst von ihrer Umwelt, sondern notwendig immer eingebunden in (soziale) Systeme und unterschiedlichste Schichten anderer Milieus. In diesem Rahmen eines Eingebettetseins und unter Anerkennung der Frage des sozialen Milieus setzt Foucault in seinem Spätwerk an, Subjektformungen zu beschreiben, die er in der Antike vorfindet und die immer im Kontext der »fakultativen Regeln« ihrer Umgebung bestehen.71 Das Konzept eines Milieus als Anerkennung einer beweglichen und produktiven Anordnung der Umwelt findet sich somit im Werk beider Denker.

Aufgrund der aktuellen Aufarbeitung des an die Bibliothèque national de France übergegangenen Nachlasses von Michel Foucault wie auch einer mittlerweile ganzen Reihe zur Verfügung stehender Dokumente von Gilles Deleuze hat die zeitgenössische Deleuze- und Foucaultforschung in jüngster Zeit neue Züge angenommen.72 Dies findet Ausdruck in der fortwährenden Herausgabe bisher unpublizierter Vorlesungen Michel Foucaults in Frankreich und Deutschland, jüngst erschienenen Monografien und Sammelbänden wie Vierzig Jahre Überwachen und Strafen Zur Aktualität der Foucault’schen Machtanalyse herausgegeben von Marc Rölli und Roberto Nigro (2017) oder dem Band Between Foucault and Deleuze (2016), der von Nicolae Morar, Thomas Nail und Daniel W. Smith herausgegeben wurde und zudem das internationale Interesse anzeigt, Foucault und Deleuze erstmalig in umfassender Form in ihren Bezügen zueinander zu lesen.73

Die vorliegende Monografie widmet sich der spezifischen Fragestellung nach den Übereinstimmungen und Widersprüchlickeiten in Deleuzes und Foucaults Denken im Bezug zum Körper und Körperlichkeiten. Gerade vor dem Hintergrund ihrer biografischen und inhaltlichen Wegkreuzungen war die Frage, in welchem Zusammenhang die Machtdispositive zum Körper stehen, für Deleuze wie für Foucault zentral.74 Die tatsächliche Materialität wie auch die literarische, ästhetische und politische Wirksamkeit von Körpern und Formen der Körperlichkeit bilden in ihrem Denken eine besondere Schnittstelle im Bezug zur Macht und Ästhetik, zu Minoritäten und infamen Leben, zur Kompossibilität wie auch zu der Frage von Begehren und Lust. Da beide Autoren topologischen Ansätzen nachgingen, bilden die Begriffe »Innen«, »Außen« und »Anders« geeignete Anknüpfungspunkte, sich ihrem Denken zu nähern.75 In ihren Schriften sind Körper gleichzeitig Schaltflächen, Analyseobjekte und kontingente Möglichkeiten, die zwischen historischen Ansprüchen und spekulativen Entwürfen oszillieren.

ANDERE KÖRPER IM WERK VON MICHEL FOUCAULT

Michel Foucaults Werk ist durchdrungen von Spielarten des Innen und Außen, ohne dass diese als metaphysische Instanzen wirkmächtig werden – sei es als abgegrenztes Außen der Dinge oder naturalisierte Innerlichkeit eines Subjekts.76 Bereits Foucaults frühe Ausführungen der 1960er Jahre zur Literatur handeln von derart nicht feststellbaren sprachlich-literarischen Zusammenhängen des Innen und Außen.77 Bei George Bataille z.B. findet Foucault das Außen als Erfahrung einer sprachlich an sich nicht fassbaren Überschreitung. An ihre Grenzen geführt, wird Sprache zunehmend selber thematisiert. Sich derart spiegelnd, beherbergt sie im Inneren ein ständiges Doppel. Das Außen ist somit konstruiert in der literarischen Sprache. Gerade dadurch findet in dieser wiederum nicht – wie zu vermuten sein könnte – ein Vorgang der Verinnerlichung, sondern ein »Übergang ins ›Außen‹« statt wie Foucault insbesondere mit Blick auf Maurice Blanchot konstatiert.78 Dieser frühen literaturontologischen Auseinandersetzung folgt Foucaults Markierung eines Innenraums der Sprache, der 1969 mit Die Archäologie des Wissens das Innen des diskursiven Archivs bezeichnen wird.79 Die Tatsache der Sprache als a priori wird insofern als Äußerlichkeit aufgefasst, in der sich die Aussagen ohne die Innerlichkeit eines begründenden Subjekt-Bewusstseins »ausbreiten«.80 Jede Handhabung von Sprache findet nur in diesem Innen des Diskurses statt, der zugleich »ein Raum der Äußerlichkeit, in dem sich ein Netz von unterschiedlichen Plätzen entfaltet« ist, denn die Diskurse bleiben sich aufgrund ihrer Pluralität in diesem abgesteckten Innen äußerlich.81

An anderen Stellen markieren Begriffe des Außen und Innen bei Foucault Übergänge und Einfaltungen, wie beispielsweise bei der Beschreibung des Narrenschiffs in Wahnsinn und Gesellschaft (1961): Die Ausgeschlossenen, Kranken oder Irren werden außerhalb der Stadt gleichzeitig »eingeschlossen«.82 Auch die Markierungen von Grenzen – wie in den Instanzen der unterschiedlichen körperlichen Bestrafungen in Überwachen und Strafen, den Konstruktionen des Wahnsinns als einem ›Anderen‹ der Vernunft in Wahnsinn und Gesellschaft (1961) oder des Kranken und Anormalen in den Vorlesungen Die Macht der Psychiatrie (1973-74) oder Die Anormalen (1974-75) – handeln von dem sich ständig diskursiv erneuernden Bezug zwischen Innen und Außen als Stadien des Offenen und Geschlossenen, in diesem Fall als historisch sich ändernde (Konstruktionen von) Normativitäten.83 Schlussendlich folgen Foucaults Vorschläge zu Formen der Macht als verinnerlichten Äußerlichkeiten und Formen des Wissens als veräußerlichten Innerlichkeiten (die Innerlichkeit des Subjekts wird mit Die Archäologie des Wissens dem Außen der Sprache übergeben) einer Topologie, einem ständigen Verhältnis, gedacht als Außen des Innen oder Innen des Außen.84 Foucaults Beschreibungen von Architekturen – wie dem Panopticon in Überwachen und Strafen – nehmen die körperlich-räumliche Dimension dieses Verhältnisses auf. Betont wird weniger das Einsperren an sich, sondern eine davon abgeleitete, gewissermaßen »äußerliche Funktion«, wie das Parzellieren, welches die räumlichen Trennungen der Einzelnen auf horizontaler Ebene bewirkt und diese somit zugleich individualisiert.85 Verkehrungen von Innen und Außen bestimmen weiterhin Foucaults bekannte bildhafte Evokationen der Macht dieser Architektur, die »in das Körperinnere« übergeht und den Körper wie von innen »auskleidet«86 oder der »Seele als Gefängnis des Körpers«.87 Demgegenüber sind die Heterotopien als Gegenräume offene Orte, die »uns jedoch immer nur draußen« lassen.88 Darüberhinaus ist auf die gegensätzlichen Innen- und Außenseiten im Werk Foucaults selber hingewiesen worden, in welchem die großen historischen Untersuchungen der 1960er Jahre das Einschließen der Anderen zeigen, während die Bestimmungen des »Außen« zur gleichen Zeit in den »peripherischen« Texten Foucaults – unter anderem zur Literatur – auftauchen.89 Anhand des Aufeinanderbeziehens dieser ›Räumlichkeiten‹ kennzeichnet Foucault auch hier das jeweilige Sein des Innen und Außen als Anderes des Anderen – zu verstehen nicht als ein »manifest Anderes, sondern ein Außen des Innen«.90

Dem Körper kommt im gesamten Werk Foucaults eine besondere Rolle als Vermittler dieser Bestimmungen von innen und außen zu. Mit dem noch stark phänomenologisch geprägten Radiovortrag »Der utopische Körper« (1966) ist er als Ort des (gewissermaßen innen gelagerten) Ichs bezeichnet.91 Die Einschreibungen der Identitäten und daraus resultierende Andersheiten in Die Geburt der Klinik (1963) und den weiteren historischen Studien der 1970er Jahre markieren Körper als wie von außen »machtdurchformte Phänomene«,92 als durch Diskurse gemachte Sichtbarkeiten im Feld des Sichtbaren, der gegebenen Episteme. Und natürlich hat Foucault sein gesamtes Werk 1976 in dem ersten Band von Sexualität und Wahrheit auch verstanden als ein Denken und eine »›Geschichte des Körpers‹ und der Art und Weise, in der man das Materiellste und Lebendigste an ihnen eingesetzt und besetzt hat«.93 Die Themen Wissen, Macht und Subjekt sind vor allen Dingen über Körper und Räume sowie die zwischen ihnen bestehenden Bezüge artikulier- und erfahrbar. Und so hat Foucault in deutlicher Analogie zu den obigen Aufzählungen der Innen- und Äußerlichkeiten nicht nur leibliche Körper beschrieben – kranke, gemarterte, bestrafte Körper, hysterische und wahnsinnige Körper, anormale Körper, Körper der Diätik und der Selbsttechnologien, Körper, in die die Beichte als Wahrheitssuche eindringt, einzelne Körper und Volkskörper –, sondern auch das Gefängnis als Architekturkörper oder die Beschreibungen der Stadtentwürfe des 18. Jahrhunderts als »Milieu«, »Zirkulationen« und »Kreisläufe« notiert.94

Bei Foucault lässt sich somit eine Vielheit der Körper ausmachen aber keine grundlegende Philosophie des Körpers.95 Gerade in deren Abwesenheit besteht die produktive Ambivalenz in Foucaults Werk zwischen Historizität und Philosophie.96 Zum einen wird am Körper immer nur das historisch überhaupt mögliche Subjekt bezeichnet.97 Körper sind immer nur die von ihnen in einer Episteme möglichen Bilder, wie Foucault mit seinen Betrachtungen in Die Geburt der Klinik hervorgehoben hat.98 Sind Körper solche wahnsinnigen, hysterischen oder kranken, weil sie in einem Raster des jeweils vorhandenen wissenschaftlichen Blicks signifiziert werden, wird so zugleich die Identität eines Subjekts geschaffen, das sich als Subjekt eines bestimmten – äußeren, identitären – Körpers, als einer bestimmten »Wahrheit«, wie Foucault es später ausdrücken würde, versteht.99 ›Entäußert‹, seine Identität nach außen gekehrt, ist er zugleich verinnerlicht den historischen Bestimmungen übergeben.

Und doch sind Körper bei Foucault andererseits nicht einfach »passive Orte«.100 Tatsächlich lässt sich in dieser historischen Vielfalt des Körpers oder Körperhaften auch eine Andersheit im Sinne einer historischen Potenzialität bei Foucault entdecken. Sie beruht auf dessen Bestimmung von Geschichte als Genealogie im nietzscheanischen Sinne.101 Der Aufsatz »Nietzsche, die Genealogie, die Historie« (1971) war Foucaults ausführlichster Beleg seiner Nietzsche-Lektüren.102 Er übernahm deren Bestimmungen von »Herkunft« und »Entstehung« statt einem einmaligen Ursprungskonzept herkömmlicher Geschichtsschreibung der (metaphysischen) Historiker. Die Genealogie bricht die angenommene metaphysische Transparenz, getarnt als historische Kontinuität, in bisher nicht wahrgenommene Diskontinuitäten auf: Denn »Wissen bedeutet selbst auf historischer Ebene nicht ›wieder finden‹« sondern »zerschneiden«.103 Nietzsches Engführung von Leib und Geschichte ermöglicht das dazu notwendige ›körperhafte‹ Denken von Geschichte. Denn die Genealogie (»als Analyse der Herkunft«) spielt die Rolle des Bruchs, in dem sie das Vielfache und Disparate der Körper einsetzt. So wendet der Genealoge die »Schimäre des Ursprungs« ab.104 Diesem Verständnis nach wird Geschichte »in dem Maße ›wirklich‹ sein, wie sie das Diskontinuierliche in unser Sein einführt. […] Sie wird unseren Leib vervielfachen und ihm selbst entgegensetzen«.105 Zudem sind Foucaults Überlegungen nicht nur in diesem Text in überaus bemerkenswerter Weise von körperlichen (medizinischen, diagnostischen) Bildern geprägt. Die Anspielungen auf einen Körper des Diskurses, die Materialität der Aussage,106 den »Körper, in dem sie [die Aussage] sich gibt«,107 sein Selbstverständnis als »Anatom« oder »Diagnostiker«, den »Füllfederhalter als Skalpell« – hat Foucault prägnant zusammengefasst: »Vielleicht ist das Blatt Papier für mich der Körper der anderen.«108 Auch der Genealoge dringt schlussendlich wie ein Pathologe in die historischen Schichten eines »Leib des Werdens«109 und legt hier bisher Unsichtbares frei. In dieser Neujustierung von Tiefen und Oberflächen ist Geschichte somit eine Inskriptionsfläche, auf der »die Ereignisse sich einprägen« als »Äußerlichkeit[en] des Zufalls« ohne die vorgeschriebene Deutung eines einmaligen Ursprungs: »[…] der wahre historische Sinn erkennt, das wir ohne sicheres Bezugssystem inmitten zahlloser verlorener Ereignisse leben.«110 Diese Einprägungen der Ereignisse lassen insofern auch an den organlosen Körper von Gilles Deleuze und Félix Guattari denken.

Die pathologische Innenschau in Die Geburt der Klinik und ihre Begegnung mit dem unsichtbaren Sichtbaren sprach bereits von einem Blick, der in die Tiefe der Körper dringt und über die neuen, sichtbar gewordenen Bilder die Gesamtheit des medizinischen Blicks verändert.111 In allen Fällen ist Foucaults »Vertikalität des Denkens«112 geprägt von einer Neujustierung des Verhältnisses von Innen und Außen und Nietzsches früher Einfluss ist hier spürbar. Ist der Blick des metaphysischen Historikers als ein Blick von außen und oben beschrieben worden, aus einer Distanz – dem unangreifbaren Jenseits einer »Tatsachenhistorie« – blickend,113 so beschreibt Foucault, wie der Genealoge sein »Lot tief in die Geschichte« senkt, um dann – gewissermaßen von unten – in sie hineinzublicken.114 Dieser hinuntertauchende Blick erlangt eine Innenansicht mitten im »barbarischen Gewimmel« und ist dennoch der Äußerlichkeit verpflichtet: »Die wirkliche Historie sieht sich die Dinge aus nächster Nähe an, doch dann reißt sie sich von ihnen los, um sie aus der Distanz zu betrachten (ähnlich dem Blick des Arztes, der eindringt, um eine Diagnose zu stellen […]).«115 Und mit dieser Verkehrung des Blickens auf die konkreten Körper statt des klassisch-historischen Blicks der Idealität ändert sich auch die Auffassung von Wahrheiten. Das Spiel der vielfältigen Oberflächen von Äußerlichkeiten und Ereignissen im Inneren des Körpers der Geschichte steht einem gegebenen Innen einer antiken Wahrheit der metaphysischen Feststellung diametral entgegen.116 So wird die im ehemals kranken Körper vorgefundene Tiefe hier zur historischen Tiefe der Ebenen, aus deren Schwellen jeweils andere diskursive Körper – sichtbar gemacht – aufsteigen: »Der Körper hält in Foucaults Texten die Pluraldimension von dem, was man Identität nennt, offen – und vor allem, wo er im Plural vorkommt, kann er als Unruheherd zwischen den Diskursen wirken.«117 Foucaults Bezeichnung des Körpers als »absolute[r] Raum der Heterotopie«118 greift genau auf diese Potenzialität eines »Gegengedächtnis«119 voraus. Dabei denkt Foucault das Denken von innen heraus anders, um sich – wie er es beschrieben hat – von dem zu lösen, was in der Gegenwart gedacht wird – im Sinne der von Foucault diskutierten kantischen Aktualität.120

Die Herausgeber des kürzlich veröffentlichten Bandes bisher nicht erschienenener Texte Foucaults zur Literatur weisen in ihrem Vorwort diesbezüglich auf die Kompossibilität in dessen Werk hin: »Wie kann man im Inneren einer historisch-determinierten Grammatik der Welt deren Artikulationen untergraben und umkehren […]? […] Die mögliche Überwindung und die historische Bestimmung dessen, was wir sind, dürfen beide nicht im Modus des Widerspruchs, sondern müssen in dem der Kompossibilität gedacht werden.«121 Diese prägt als leibnizsches Denkmodell der Kontingenz insbesondere Deleuzes Die Falte (1988). Sie kann auch mit der historischen Vielzahl der Körper Foucaults in thematische Nähe gestellt werden. Wie bereits angemerkt, hatte auch Deleuze auf diese inhaltliche Nähe aufmerksam gemacht, als er Foucaults Text »Das Leben der infamen Menschen« als Meisterwerk – eine Falte der kleinen Leben – und als Ankündigung eines Wendepunktes in Foucaults Machtdenken verstand. So ist es wohl kein Zufall, dass die Vermittlung von Außen und Innen, deren Umschaltfläche der Körper ist, in Foucaults Spätwerk ab den 1980er Jahren mit den »Technologien des Selbst« und der »Ästhetik der Existenz« einmal mehr überaus markant von Foucault aufgegriffen wird, und zwar genau als Ermöglichung einer gewissen Kontingenz.122 Foucault bezieht sich unter anderem auf die Assimilation von Lehrsätzen in der klassischen griechischen Antike, welche zwischen Subjekt, Körper und Wahrheit einen Selbstbezug etabliert, der einen anderen Akzent als die von Foucault ebenfalls betrachteten, durch die christliche Pastoralmacht etablierten Selbstverhältnisse setzt. Im Rahmen Letzerer versenken die Praktiken der Beichte eine Wahrheitssuche in das »Fleisch« des individuellen Körpers.123 Die frühen antiken Schriften hingegen lassen den Körper in einem kollektiven Gefüge und Nebeneinander,124 als Grundlage eines »rationalen Handlungsprinzips« und Repräsentant einer »anti-cartesianischen Subjektivität« verstehen.125 Nicht nur Gilles Deleuze hat in diesem Bezug zu sich eine Unabhängigkeit von dem konstitutiven Außen der Mächte und Regeln verstanden, mit diesem Verhältnis zu sich »sich zugleich von der Macht als Kräfteverhältnis und vom Wissen als geschichteter Form, als ›Code‹ der Tugend ab[zu]lösen«.126 Es ist eine »Abkopplung«, »als ob die Beziehungen des Außen sich falteten, sich krümmten, um eine Doppelung zu bewirken und einen Bezug zu sich entstehen zu lassen, um ein Innen zu konstituieren, das sich in einer ihm eigentümlichen Dimension vertieft und entwickelt«.127 Wenn das Subjekt sich unter Berücksichtigung gegebener, äußerer Rahmenbedinungen und Vorgaben auf sich selbst bezieht, etabliert es sein Selbst als Selbstbezug wie in einer Faltung des Außen (dieser »Codes«128) in einem Innen. Genau diesen Zusammenhang von Körperlichkeit und Diskurs markiert Foucault 1983 mit der Figur des Kynikers in seinen letzten Vorlesungen Der Mut zur Wahrheit:129 Dieser arme Philosoph lebt in einer Tonne, bellt wie ein Hund kurze Sätze und wird auch dadurch besonders sichtbar mitten in der Öffentlichkeit. Die Facetten seiner körperlichen Existenz konstituieren zugleich sein wahres Sprechen, seine Parrhesia wie auf einer Bühne. Denn hier fallen Diskurs und Körperlichkeit, logos und bios in Momenten des kairos besonders markant zusammen.130 Seine Aussagen sind ein ständiger, skandalöser Spiegel der Umgebungen, eine immer »andere«131 Wahrheit als Umkehrung des Gegebenen. Inmitten des öffentlichen Raumes und im Milieu der gesetzten Werteordnung verkörpert der Kyniker ein ständiges Außen des Innen, ein nietzscheanisches Trugbild und die Option, ein immer Anderes als Differenz zum Innen zu denken.

KÖRPER, AFFEKTE UND INTENSITÄTEN IM WERK VON GILLES DELEUZE

Der Begriff des Körpers ist gerade in seiner Vielschichtigkeit auch für Deleuzes Philosophie wesentlich. In Logik des Sinns (1969) lokalisiert er die Genese von Sinn in den körperlichen Tiefen.132 In Das Bewegungs-Bild, Kino 1 (1983) benennt er die Kategorien des Kinos als Kategorien eines Körpers, der sich aus der Immanenzebene herausbildet133 und in Nietzsche und die Philosophie (1962) erläutert er die körperliche Komposition als die Zusammensetzung von Kräften.134

In seinem 1981 publizierten Buch Francis Bacon, Logik der Sensation135 finden sich Deleuzes Kernthesen zur Affektionsfähigkeit des Körpers wie auch in Bezug zu Deleuzes Ästhetik des Sinnlichen äußerst zugänglich erläutert. Dabei scheint es Deleuze wichtig, die Sinnlichkeit und Intensität im Bild anhand von Bacons Malerei erfahrbar zu machen. »An die Stelle von Figuration und Narration« tritt dort das »Figurale«, welches sich durch die »Isolation der Figur« als sinnliche Form konstituiert.136 In Logik der Sensation gelingt es Deleuze, den Prozess der Individuation nachvollziehbar zu erläutern. Gleichzeitig verdeutlicht Deleuze sein Konzept der Kontur als Membran, welche im Unterschied zu einer linearen Grenze nicht einfach das Innen von einem Außen trennt, sondern durch eine Permeabilität charakterisiert ist und zwischen unterschiedlichen Bereichen selektiv vermittelt. Für Deleuze besteht das Leben aus solchen Innen-Außen-Verschachtelungen, wobei die Inhalte des äußeren und inneren Raumes fortwährend topologischen Kontakt aufweisen.137 Deleuze ist ein Philosoph der Faltungen und Konjunktionen. Es gibt keinen Ausschluss, sondern nur das »›und … und‹ als eine Formel die das ›ist … ist‹« ersetzt.138

Da für Deleuze wie für Guattari kein Begriff außerhalb seiner Problemsituation verstanden werden kann, sollte eine solche Bestimmung auch beim Begriff des Körpers geschehen.139 Beurteilt als ein philosophisches Problem, wirft der Körper nicht nur Fragen auf, sondern bietet gleichzeitig ein entsprechendes Lösungsmodell. Deleuzes und Guattaris Schriften zum organlosen Körper, zum Masochismus, zur Anorexia oder zum Alkoholismus können nur dann richtig eingeordnet werden, wenn wir anerkennen, dass Deleuze und Guattari diese Begriffe ethologisch denken und nicht der Frage nach deterministischer Kausalität, sondern der nach Affekt und Wirkung nachgehen.140 Deleuze argumentiert mit Spinoza, der nicht über den Körper philosophierte, sondern diesen als Modell und Wissen anbot.141 Dessen Parallelismus von Geist und Körper kennzeichnet den Versuch, sich die Frage zu stellen, was der Körper vermag, da mit der Erkenntnis über das Vermögen des Körpers das unbewusste Vermögen des Geistes entdeckt werden kann.142 Dabei handelt es sich um eine Aufwertung des Körpers im Bezug zur Erkenntnis, während gleichzeitig das Bewusstseins in Bezug auf das Denken herabgesetzt wird.143 Diese Umwertung geschieht jedoch ohne dabei dem einen oder dem anderen einen Vorrang einzuräumen.144 Für Deleuze findet sich bei Spinoza die Vorstellung eines kontinuierlichen Lebens, bei dem der Geist nicht über oder im Körper angesiedelt ist, sondern bei dem Geist und Körper miteinander leben.145 Man kann hier also nicht von einer strukturellen Organisation eines Innen oder Außen sprechen, sondern muss von einem Miteinander und einer nicht hierarchischen Anordnung von Denken und Körper ausgehen. Im Sinne Spinozas handelt es sich beim Körper um eine Verkettung und um eine komplexe, aus Teilen zusammengesetzte Organisation, die jeweils different und durch das Vermögen der eigenen Bezugsverhältnisse bestimmt ist.146 Dabei sind die körperlichen Reaktionen und Wirkungen, also die Operation mit und an dem eigenen Körper, nicht deterministisch kausal gesteuert, sondern von Affekten bestimmt.147 Sigmund Freud sah die Instinkte als ursächlich und primär angesiedelt – eine Theorie, die im Sinne Spinozas als unzureichend zu deuten wäre, da sie den Aspekt der Beziehung negiert.148 Von diesem Punkt ausgehend entwickeln Deleuze und Guattari einen Begriff des Körpers, der sich nicht an einer ätiologischen Denkweise orientiert. Das Zentralstellen von Affekten, Kapazitäten und Beziehungen dient einem philosophischen Konstruktivismus und hilft, die deleuzo-guattarischen Begriffe wie »Körper«, »Werden« und »organloser Körper« zu erklären.149 Die Form des Körpers ist durch seine veränderlichen Beziehungen nicht definitiv, und somit tritt die mehrteilige Anordnung basierend auf Ausdruck und Beziehung in den Vordergrund.150 Körper sind agencements die sich durch ihren reziproken Charakter auszeichnen,151 wobei die Affekte als übertragende Verbindungen wirken. Mit dem Begriff affectus beschrieb Spinoza beides, die Übertragung von Passionen und Gefühlen, die außerhalb des Körpers entstehen, als auch die Wirkungen, die sich im Individuum selbst bilden.152 Ausgehend von Spinozas Begriff einer einzigen Substanz entwickelt Deleuze eine Theorie des Ausdrucks. Letzterer ist laut Deleuze die Verwirklichung der Univozität des Seins als Differenz und Modulation neuartiger Unterscheidungen.153 In diesem Sinne ist der Körper als Ausdruck der Differenz zu verstehen. Ein Körper ist immer Teilhabe, ohne etwas zu besitzen, wobei die Affekte die Ausdehnung der Grenze des jeweiligen Körpers und dessen vermittelnde Elemente konstituieren.154 Daher stellt Deleuze unermüdlich die Frage danach, was der Körper vermag. Denn es lässt sich nur etwas über einen Körper aussagen, wenn bekannt ist, was er kann, was sein Vermögen ist und auf welche Weise er sich mit den Kräften anderer Körper verbindet.155 In diesem Kontext beziehen sich Deleuze und Guattari explizit auf Jacob von Uexküll, der die »Tierwelten definiert«, indem er »nach den aktiven und passiven Affekten, zu denen ein Tier fähig ist«, sucht.156

»Nietzsche«, so lautet das erste Wort im ersten Kapitel in Deleuzes Publikation Spinoza, Praktische Philosophie.157 Deleuze zieht hier nicht nur den Vergleich zwischen dem Leben zweier Philosophen, sondern verbindet auch deren Begriffe von Kraft und Beziehung. Für Deleuze ist ein Körper, ob biologisch, sozial, oder politisch, ein beliebiges und zufälliges Erzeugnis, bestimmt von unterschiedlichen Kräften, die in Beziehung zueinander treten.158 Diese körperliche »Machteinheit«159 setzt sich zusammen aus Verhältnissen zwischen aktiven, beherrschenden und reaktiven, unterlegenen Kräften. Mit Nietzsche vollzieht Deleuze diese Distinktion, deutet aber aktiv und reaktiv als »Urqualitäten, die die Beziehung der Kraft zur Kraft zum Ausdruck bringen«.160 Die Antwort auf die Frage, warum wir nicht wissen, was der Körper vermag oder zu was er fähig ist, liegt für Deleuze begründet in der Verborgenheit der aktiven Kräfte, die dem Bewusstsein entgleiten.161 Denn die »Affekte, die nur empfunden werden können«, sind »nicht mit sinnlichen Qualitäten bestimmter Objekte zu verwechseln, die auch wahrgenommen, erinnert oder begriffen werden können.«162 Die Affekte bestimmen die Beziehungen und spezifische Teilhabe der Körper, bringen deren Kapazitäten hervor und entziehen sich doch dem Bewusstsein. Es sind allein die Affektionen, d.h. die reaktiven Kräfte, also die äußeren Wirkungen, Passionen und Gefühle, die deutlich hervortreten.163 Dabei können diese Reaktionen als Elemente neuer Gefüge wiederum Affekte erzeugen. Zu diesem Problem der Quasi-Kausalität kehren Deleuze und Guattari wiederholt zurück.164 So ist das Erscheinen eines politischen Körpers, beziehungsweise einer Zentralmacht, ebenso von einer solchen quasi-kausalen Schwelle bedingt.165

Die Postmoderne ist gezeichnet von Konzepten des ›Anders sein‹ und des ›Anderen‹: Die Frau ist ein sexuell anderes Wesen als der Mann, der ethnisch Andere steht im Gegensatz zum weißen europäischen Subjekt, und das ›natürlich‹-biologische Leben kontrastiert zum techno-kulturellen Leben.166 In diesem Kontext sind es die von Deleuze beschriebenen Prozesse des Werdens, die ein Anders sein fördern und dabei klassische, dualistische Systeme unterlaufen und Grenzbereiche verschieben. Dieser Überschreitung und Neueinschreibung geht immer ein temporäres Anders-Werden, eine Re-lokalisierung und Re-territorialisierung voraus. Der bereits diskutierte Begriff des Körpers bei Spinoza und seine Theorie der Affekte stehen in direktem Zusammenhang mit den Begriffen des Werdens und der Intensität, wie wir sie bei Deleuze und Guattari finden. Jede Form des Werdens, sei es das Tier-, das Frau-, das Molekular- oder das Unsichtbar-Werden ist immer ein Anders- oder Intensiv-Werden, welches ohne kausale Ordnung ist und die individuelle und allgemeine Geschichte ersetzt.167 Das deleuzo-guattarische Werden ist demnach keine kausal bedingte Evolution, sondern basiert auf dem Erstellen von neuen, rhizomatischen Bündnissen.168 »Das Werden ist involutiv, die Involution ist schöpferisch.«169 Es produziert nur sich selbst und es ist weder Nachahmung noch Sein. Die Beziehung zwischen der Wespe und der Orchidee ist beispielhaft für wirkliches Werden als Kreislauf von Intensitäten, und indiziert dies durch Zunahme von Wertigkeit. Die Orchidee, welche das Abbild der Wespe nachahmt, de-territorialisiert sich zunächst, um sich dann mit Hilfe der Wespe zu re-territorialisieren. Die Wespe nähert sich der Blüte, trägt die Pollen weiter und wird so zu einem Teil des Fortpflanzungsorgans der Orchidee.170 Dieser unmerkliche Block des Werdens ist »ein zweifaches Einfangen« und »eine aparallele Entwicklung zweier Wesen, die absolut nichts miteinander zu tun haben.«171 Genau wie der Block des Werdens von Orchidee und Wespe, ist das Tier-Werden des Menschen real und unterscheidet sich von Konzepten, die sich mit dem Prinzip der Ähnlichkeit erklären.172

Deleuze und Guattari unterscheiden drei Arten von Tieren bzw. drei Arten des Tier-Werdens: So gibt es die psychoanalytische Vorstellung von einem Tier-Werden, bei dem laut Deleuze und Guattari die ödipal und narzisstisch besetzten Haustiere den Menschen regredieren lassen. Des Weiteren gibt es Tiere mit Attributen und Eigenschaften, aus denen sich Serien, Strukturen und Archetypen bilden. Besondere Aufmerksamkeit allerdings schenken Deleuze und Guattari der Tiergruppe, der Meute oder dem Pack. Diese Tiere bilden immer schon eine Mannigfaltigkeit, sie sind Population, voller Affekte und im Werden begriffen.173 Auch wenn Deleuze und Guattari erklären, dass alle Tiere auf eine dieser drei Weisen betrachtet werden können, wird von ihnen das Tier-Werden als ein Viel-Werden zentral gestellt.174 Beachtung findet dabei vor allem die Stellung des einzelnen Tieres und dessen Zugang zum Rudel über ein peripheres Gebiet am Rand.175 Ob und wo eine Vielheit mit ihren Fasern an den Rändern eine Symbiose eingeht, ist nicht vorauszusagen.176 Ist dies aber der Fall, dann ist das Ich nur noch eine Schwelle und eine Tür für das Werden zwischen den Mannigfaltigkeiten. Das Subjekt ist dann ein »Randphänomen«, wobei das »Anomale« bzw. der »Outsider« ein Bündnis eingeht, dabei eine Grenze determiniert und dem Zusammenschluss eine vorübergehende Stabilität verleiht.177 Mit anderen Worten ausgedrückt: Die innere Menge der Meute geht mit dem Anomalen Affektbündnisse ein, die eine Transformation und ein Anders-Werden ermöglichen. Da aber jedes Individuum und jeder Körper selbst schon eine Vielheit ist, lassen sich die Bereiche des Innen und Außen nicht benennen. Die verschiedenen Typen von Rudeln, Meuten und individuellen Bündnissen koexistieren, durchdringen und verändern sich, wobei sie in unterschiedlichen Konstellationen ausdruckstarke Gefüge bilden.178

Abhängig von dem Verhältnis von Bewegung und Ruhe, mit dem sich ein Individuum verbündet, ist dieses jeweils Teil verschiedener, individuierter Mannigfaltigkeiten.179 Die vollkommende Individualität ist nicht Subjekt oder Ding, sondern eine ›Diesheit‹ und bestimmt sich durch das Vermögen zu affizieren oder affiziert zu werden. Für den Prozess des Werdens ist nicht die Organisation des Körpers von primärer Bedeutung, sondern seine Affekte. Zwei Thesen stellen Deleuze und Guattari vor: Es gibt eine Organisation als planvolle Entwicklung und als ein geistiges Prinzip, welches im Unbewussten liegt und eine Analogie-Ebene bildet.180 Dort entwickeln sich Formen und Subjekte in Abhängigkeit von einem zu erschließenden Organisationsplan. Die zweite These gründet sich auf der Vorstellung von Plan als eine von sich selbst und den eigenen Gegebenheiten abhängige Konsistenz- und Kompositionsebene. Dort gibt es nur »Schnelligkeiten und Langsamkeiten zwischen formlosen Elementen und Affekte zwischen nicht-subjektivierten Vermögen«.181 Dieser deleuzo-guattarische Plan ist die »Immanenz-, Konsistenz- oder Kompositionsebene« und bildet den organlosen Körper.182 Der oK ist aber nicht einfach ein »Begriff oder Konzept, er ist vielmehr Praktik, ein ganzer Komplex von Praktiken«.183 Immer dann, wenn man die Signifikanten und die Subjektivierung entfernt und die Autonomie des Affektes erreicht, bleibt nur noch der oK.184 Er ist so beschaffen, dass er nur von Intensitäten besetzt werden kann, Intensitäten, die zirkulieren, passieren und konstituieren.

Antonin Artaud sagte mit seinen ausdrucksstarken Formulierungen der Organisation der Organe seinen Kampf an.185 Ziel des Angriffs ist das theologische System, also die planmäßige Vorgehensweise dessen, was den Organismus und die »organische Organisation der Organe« erschafft.186 Ausgehend von Artauds Begriff des organlosen Körpers stellen Deleuze und Guattari vor allem Spinoza und seine Ethik ins Zentrum ihrer Überlegungen. Spinozas Substanzen sind als Potenzen und Null-Intensitäten die produktive Matrize. Die Wellen, Vibrationen, Schwellen und Intensitäten sind die Modi dessen, was passiert. Der oK ist Immanenz und immanente Grenze, er ist die Ebene, auf der sich die Intensitäten bewegen und wirken und auf der sich kein Ich befindet.187 Dieses Immanenzfeld entspringt weder einem äußeren Ich, noch ist es dem Ich immanent: »Es ist vielmehr so etwas wie das absolute Außen, das keine Formen von Ich mehr kennt, weil Inneres und Äußeres gleichermaßen Bestandteil der Immanenz sind, in der sie verschmolzen sind.«188 Innerhalb dieser Ebenen sehen Deleuze und Guattari einen Mehrwert durch Re-territorialisierung aufgrund der Neuverkettung von Affekten. Das funktionale Verfahren der Interpretation soll durch die Praktik des Experimentierens vertauscht werden, damit die Konjunktionen von Affekten die Welt des Subjekts ersetzen.189 Hier lässt sich eine ethische Dimension ablesen, die trotz ihres affirmativen Charakters die Gefahr von Grenzlosigkeit und Auflösung birgt und Deleuzes Denken eine »Dunkelheit« attestiert.190 Der oK, so schreiben Deleuze und Guattari, das sind die Drogenabhängigen, die Masochisten, die Schizophrenen, die Liebenden – und all sie huldigen Spinoza.191 Deleuze und Guattari geht es um eine Gradwanderung und den richtigen Umgang mit den Schwellen und der peripheren Grenze. Dabei, so unterstreichen sie, ist es wichtig, ausreichend Organisation, Signifikanz und Interpretation zu bewahren, damit man auf die »herrschende Realität antworten kann«.192

KÖRPER ALS TOPOLOGIEN DES INNEN, AUSSEN UND ANDERS

Der bei Foucault und Deleuze markanten Frage nach dem Verhältnis von Repräsentation und Körperhaftigkeit als einem von ›Fixierung‹ und ›ästhetischer Wandlungsmöglichkeit‹ widmen sich die Beiträge im ersten Teil des Bandes »Körper und Bild«.

Irene Breuer geht mit »Sinnbildung und Widerstreit zwischen mimesis und methexis bei Gilles Deleuze – Zu einer Umkehrung des Platonismus in den Gemälden von Francis Bacon« der grundlegenden Frage in Deleuzes Werk nach, wie der Widerstreit zwischen mimesis und methexis als Differenz sinnliche Erfahrung auszudrücken vermag. Diese Form deleuzianischer Intensität erläutert Irene Breuer anhand von dessen Francis Bacon, Logik der Sensation (1981) zu der Malerei von Francis Bacon und im Hinblick auf das hier von Deleuze konstatierte ästhetische und figurale Werden bzw. Fleischwerden der körperlichen Figur.

In »Aus dem Dunkel ins Licht. Michel Foucaults Bildgeschichte des Wahnsinns« befasst sich Claudia Blümle mit dem Wandel der physischen Machtausübung durch Zugriff auf die Körper der Wahnsinnigen von der Renaissance über die Klassik bis in die Moderne. Ausgehend von Foucaults Publikationen Wahnsinn und Gesellschaft (1961) und Überwachen und Strafen (1975) diskutiert sie seine Thesen in direktem Bezug zu den von Foucault angesprochenen Gemälden Francisco di Goyas und Hieronymus Boschs. Darüber hinaus erläutert Claudia Blümle Théodore Géricaults Gemälde der Monomanen (1819-1824) als Beispiel des modernen medizinischen Blicks wie Foucault diesen in den Vorlesungen zur Psychiatrie ausführte.

Jadwiga Kamola untersucht mit »Defekte Körper, intakte Bilder: Michel Foucaults Die Geburt der Klinik« das für Foucault konstitutive Verhältnis zwischen Körper und Bild in seiner frühen Schrift zur Entstehung der Klinik um 1800. Ausgehend von den Begriffen Tableau, Relief und Porträt, zeigt sie die entscheidenden Korrelationen von Blick und Körpern für die Bilder der klassischen und modernen Episteme auf und untersucht ihre grundlegende Komplementarität im Kontext der von Foucault für die Moderne konstatierten unsichtbaren Sichtbarkeit in dessen Die Geburt der Klinik (1963). Auch mit der Wende zur Moderne und der Versprachlichung des Wissens bleibt der strukturelle Stellenwert des Bildes gegeben.

Mit »Kalt, warm, hybrid. Körperkonzepte in den Texten Gilles Deleuzes und Michel Foucaults zu den Gemälden Gérard Fromangers« diskutiert Ann-Cathrin Drews Deleuzes Text »Das Kalte und das Warme« (1973) und Foucaults »Die photogene Malerei« (1975). Der französische Künstler Fromanger stand mit der Gruppe Figuration narrative in Verbindung und sein vor allem malerisches Werk der 1960er und 1970er Jahre ist im Kontext des zeitgleichen politischen Kunstgeschehens in Paris zu verorten. Fromangers besondere Auffassung von Figuration ist weniger an Einzelfiguren gebunden sondern netzartig. Diese formal-bildnerischen Verbindungen rücken Deleuze und Foucault in Nähe ihres Denkens zu Körpern und Subjektivierungen.

Ob Foucaults Macht als stilles, lenkendes System auf spielerische Weise begegnet werden kann, geht Anna Schober mit »Das Fest der Bilder. Übertragungen zwischen den Schriften von Michel Foucault und postmoderner Kunst und Populärkultur« nach. Anhand der Verbildlichungen androgyner Körperrepräsentationen des Künstlerpaares Inez van Lamsweerde & Vinoodh Matadin sowie Arbeiten Thomas Hirschhorns diskutiert sie ein Drängen des Imaginären im Kontext der von Judith Butler angeregten Debatten zur Gender und Queer Subkultur. Diesen foucaultschen ›Festspielen der Bilder‹ in der gegenwärtigen Kunst- und Kulturpraxis stellt Anna Schober zudem die Frage von radikaler Differenz in Deleuzes Werk als ebensolche ›Festspiele‹ möglicher sinnlicher Erfahrung anbei.

Der Körper als grundlegende Schaltstelle in der Konstituierung des Anderen oder von normativen Andersheiten ist Thema der unter dem Titel »Fremdkörper« versammelten Beiträge.

Kerstin Borchhardt stellt in »Liminal and Criminal. Monströse Hybriden in der abendländischen Kunst« mythische Fabelwesen als Projektionsflächen unterschiedlichster normativer Zuschreibungen vor. Dabei geht sie von Foucaults Vorlesungen »Die Anormalen« (1974-1975) am Collège de France aus, in welchen dieser solche Mischwesen und Monster im Mittelalter als einen »›doppelten Rechtsbruch‹« beschrieben hatte. Für Kerstin Borchhardt stellt sich davon ausgehend die Frage, inwieweit bereits antike Gesellschaften, die sich durch klare Rollenverteilung und gesellschaftliche Hierarchien ebenso auszeichneten wie durch eine mythische und ambivalente Gedanken- und Bildwelt, ebenfalls juristische Wertungen von Zwitterwesen vornahmen.

Derartigen Zuschreibungen begegnete Foucault 1966 mit einem anderen, »utopischen Körper«, den Kyla Bruff mit »Merleau-Ponty, Foucault, Deleuze: Thinking the Lived, Utopic Body (without Organs)« in Bezug auf Maurice Merleau-Pontys Phänomenologie des ›gelebten Körper‹ (le corps vécu) diskutiert. Sie argumentiert, dass sich die Dichotomie des physischen und des gelebten Körpers mit Hilfe des Konzepts des ›utopischen Körpers‹ ebenso überwinden lässt wie mit Deleuzes und Guattaris ›organlosem Körper‹. Ausgehend von den Differenzen dieser Konzeptionen ist es Kyla Bruffs Anliegen aufzuzeigen, inwiefern der gesunde ›organloser Körper‹, der ›gelebte Körper‹ und der ›utopische Körper‹ jeweils neue Wege eröffnen, die Grenze möglicher Erfahrungen zu verschieben.

Die produktive Ästhetik des organlosen Körpers wird auch von Jeanne Bindernagel mit »Zum Dilemma von Materialität und Erfahrung: Gilles Deleuzes Schreiben (von) der Hysterie« thematisiert. Ausgehend von George Didi-Hubermans Studien zur Hysterie als ein durch die Praxis der Fotografie produziertes Krankheitsbild, konzentriert sich ihre Analyse auf Aspekte der Modellbildung innerhalb von Deleuzes Werk. Sie zeichnet nach, wie der Begriff der Hysterie in Deleuzes Francis Bacon, Logik der Sensation ein Spannungsverhältnis von emphatischer und körperlicher Eindringlichkeit aufweist. In diesem ›hysterischen‹ Textkörper Deleuzes werden die Hysterie als Bild, die Intensität des Körpers sowie die Dramatik des Schreibens zu einem produktiven Gefüge.

Dass gerade Deleuzes Vitalismus wie dessen Komplexisierung klassischer Dichotomien von Bios und Zoe es ermöglichen, ein Konzept des Körpers zu denken, welches nicht anhand von Binaritäten oder identitären Kategorien erfasst werden kann, ist Thema für Agnieszka Anna Wołodźko in »Between Bio(s) and Art – Intensities of Matter in Bioart«. Unter Bezugnahme auf die Schriften der Philosophin Rosi Braidotti führt sie künstlerische Beispiele zeitgenössischen Bioart des Künstlerduos Oron Catts und Ionat Zurr an. Dabei zeigt die Autorin, dass es das körperliche Material selber ist, welches in diesen neuen Kunstformen derartige Unterschiede und Kategorien in Frage stellt.

Das Wechselspiel von Identität, Normativität und Potenzialität wiederum macht es unausweichlich, die Thematik des Körpers bei Deleuze und Foucault im Kontext von »Körper, Politik und Widerstand« zu fokussieren.

Pierre Buhlmanns Kapitel »Neuentdeckung des Körpers. Foucaults Moderne, zwischen Klinik und Politik« geht auf Foucaults intensive Auseinandersetzung mit dem Körper als Gegenstand des modernen Wissens ein. Mit Bezugnahme auf Die Geburt der Klinik (1963), Die Ordnung der Dinge (1966), Überwachen und Strafen (1975) sowie die späteren Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernmentalität 1: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung (1977-78) verdeutlicht er den Übergang von disziplinarischem Blick zur biopolitischen Norm. Wenn der Körper bei Foucault zunächst über Blick und Disziplinartechniken als moderner Körper hervorgebracht wurde, ist es gleichzeitig diese spezifische Auffassung eines individualisierten Körpers, der die Entfaltung und Applikation einer Biomacht erlaubt.

Im Kontext der Machtzuschreibungen stellt sich die Frage nach Formen des Entweichens der Körper im Werk von Deleuze und Foucault. Jürgen Gunia geht mit »Selbstversuch und Übung. Die Spiritualität des Körpers bei Michel Foucault und Gilles Deleuze« auf Spiritualität als Ethik ein, deren Praxis Erfahrung und Übung vereint. Eine prozessuale und konstruktivistische Struktur der Immanenz liest Jürgen Gunia im Kontext von Deleuzes Selbstversuch als expérimentation in Anlehnung an die stoische Philosophie und setzt sie mit Foucaults ›selbstkonstituierenden‹ Übungen der »Techniken des Selbst« als entraînment in Bezug. Subjektivierung und Desubjektivierung gehen dabei ein komplexes und widersprüchliches Wechselspiel ein.

Sjoerd van Tuinens »Physiology versus Psychology: The Priest and the Biopolitics of Ressentiment« geht Möglichkeiten einer Befreiung des Körpers insbesondere von einer subjektivierenden Psychologie nach. Nietzsches Figur des Priesters in Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift (1887) verortet Sjoerd van Tuinen mit Bezug auf Deleuzes und Guattaris Anti-Ödipus (1972) zunächst im Kontext einer ›priesterlichen‹ Psychologie und subjektregulierenden Organisation des Ressentiments. In der Diskussion der foucaultschen Texte folgt er Foucaults Auseinandersetzung mit der Pastoral- und Disziplinarmacht und weist anhand Foucaults Vorlesungen Sicherheit. Territorium. Bevölkerung (1977-78) auf die Bedeutung dieser Debatte im Hinblick auf gegenwärtige biopolitische und psycho-politische Kontrollmechanismen hin.

Katharina D. Martin thematisiert die Möglichkeiten der Deterritorialisierung durch die von Deleuze und Guattari vorgeschlagene Multifunktionalität der Maske. In »Gesicht, Kopf, Körper: Eine politische Karte« widmet sie sich der in Tausend Plateaus (1980) herausgestellten Unterscheidung zwischen dem Gesicht als Code und Ort unterschiedlicher Semiotiken und der intensiven Kopf-Körper Einheit. Hinzu zieht sie Foucaults Text »Die Köpfe der Politik« (1976) und verweist auf dessen Unterscheidung zwischen der Körperlichkeit des Kopfes und Tiefe des Schädels und der politischen Konnotation des Gesichtsausdrucks. Abschließend setzt Katharina D. Martin diese Thesen in Verbindung mit den Ereignissen ausgelöst durch die illegale Performance der Gruppe Pussy Riot.

Für Christoph Dittrich ist Kritik und Klinik (1993), jener der Literatur gewidmete Band Gilles Deleuzes, Ausgangspunkt seines Textes »Lawrence, ein Etrusker. Tuberkulose und Vitalität«. Er geht dabei von Deleuzes Auffassung vom Schreibakt als eine vom Körperlichen untrennbare Problematik aus. Im Rahmen dieser verbindet sich das Vermögen des Körpers, dessen Gesundheit und Krankheit mit dem Schreiben und ermöglicht Werdensprozesse. Christoph Dittrich schlägt Lawrences Werk als literarisches Korrelat zu Spinozas Affekttheorie und Deleuzes Vitalismus vor. Darüber hinaus stellt er Lawrences Affirmation der Lebendigkeit im Fleische und der Teilhabe des leibhaften Kosmos in den Bezug zu Nietzsches ›Willen zur Macht‹.

Arianna Sforzinis »Widerstehende und kämpfende Körper auf den Bühnen Michel Foucaults« ist eine Erstübersetzung aus ihrer 2014 erschienenen Publikation Michel Foucault. Une pensée du corps. Ausgehend von Foucaults Vorschlag in Der Willen zum Wissen (1976), sich dem sexuellem Dispositiv mit den Körpern und Lüsten entgegenzustellen, untersucht Sforzini die von Foucault dargelegten Formen der Widerstände in »Der utopische Körper« (1966), der hysterischen Körper in Die Macht der Psychiatrie (1973-74), dem ›Pakt-Körper‹ der Hexen und ›Theater-Körper‹ der Besessenen in Die Anormalen (1974-95) und – mit besonderer Bezugnahme auf die letzten Vorlesungen Foucaults 1983-84 Der Mut zur Wahrheit – der Figur des Kynikers.

Diese Erörterungen von Effekten theatraler und widerständiger Körperlichkeiten werden ergänzt durch den vierten und letzten Teil mit dem Schwerpunkt »Körper und unkörperliche Effekte«.

Die topologische Verortung der unkörperlichen Effekte ist Ausgangspunkt für Angelika Seppi in »Lärmender Unsinn und Oberflächeneffekte – Der Körper und das unkörperliche Ereignis im Denken von Gilles Deleuze«. Ausgehend von Deleuzes Konzept der dynamischen Genese des Sinns entwickelt sie unter Bezugnahme auf Deleuzes Differenz und Wiederholung (1968), Die Logik des Sinns (1969) sowie Deleuzes und Guattaris Tausend Plateaus (1980) eine materialistische Theorie des Virtuellen und widmet sich dabei sowohl der Frage des Körpers als auch den unkörperlichen Ereignissen. Ihr Anliegen ist ein nicht-dialektisches, materialistisches Denken, das sich außerhalb der herkömmlichen binären Logik von Materie und Geist oder Wirklichkeit und Idealität bewegt.

Denken und Sein im Kontext des körperlichen Vermögens und die Überwindung solcher Dichotomien stehen auch in Guillaume Colletts Text »Bodies-Language: Immanence in Gilles Deleuze’s Foucault« im Fokus. Deleuzes Konzept der Immanenzebene in Die Logik des Sinns (1969) sowie Die Falte (1988) und Foucaults Verständnis des Sagbaren und Sichtbaren in Die Ordnung der Dinge (1966) sowie dessen Begriff der Aussage in Die Archäologie des Wissens (1969) sind weder nur linguistisch noch nur materiell zu lesen. Neben Bezugnahme auf Edmund Husserl, Martin Heidegger und Jean Hyppolite hebt Collett Nietzsches Einfluss hervor und geht auf die Bezüge zwischen Foucaults frühem Werk und Deleuzes ontologischen Konzepten ein.

Marc Rölli befasst sich »Im Labyrinth der Zeit. Zum Konzept des Körpers nach Leibniz, Borges und Deleuze« mit den Verbindungen zwischen Deleuzes Verständnis des körperlichen Ausdrucks, Leibniz’ Substanzbegriff und der Problematik einer Kompossibilität. Ausgangspunkt sind Leibniz’ Theorie der Perzeption als Kontinuität sowie der wirklichen Welt als Ausdruck ontologischer Einheiten, die kontingente Wahrheiten vereinen. Bezugnehmend auf Deleuzes Ausführungen zum körperlichen Ausdruck und dessen zeitphilosophisch motivierter Revision des leibnizschen Systems erläutert Marc Rölli, inwiefern Zeit das Wirkliche und Mögliche in ein neues Verhältnis setzt, und der körperliche Ausdruck so einer möglichen Welt Realität verleiht.

1 | Zu inhaltlichen Bezügen zwischen Deleuze und Foucault siehe folgende Sekundärliteratur: Balke, Friedrich: »Gilles Deleuze«, in: Kammler, Clemens u.a. (Hg.): Michel Foucault. Handbuch, Stuttgart 2008, S. 190-192; Braidotti, Rosi: »Fils de la meme épistémè: Foucault et Deleuze«, in: Les Cahiers du GRIF, Nr. 34, 1986, S. 133-138; Grace Wendy: »›Faux Amis‹: Foucault and Deleuze on Sexuality and Desire«, in: Critical Inquiry 36, Nr. 1, Herbst 2009, S. 52-79; Grace, Wendy: »Foucault and Deleuze: Making a Difference with Nietzsche«, in: Foucault Studies, Nr. 17, April 2014, S. 99-116; Krause, Ralf und Rölli, Marc: »Die Subjektivierung der Macht. Zu Begehren und Lust bei Gilles Deleuze und Michel Foucault«, in: Kadi, Ulrike und Unterthurner, Gerhard (Hg.): Sinn macht Unbewusstes. Unbewusstes macht Sinn, Würzburg 2005, S. 192-229; Macherey, Pierre: »Foucault avec Deleuze. Le retour éternel du vrai«, in: Revue de synthèse, Nr. 2, April-Juni 1987, S. 277-285; Revel, Judith: »Foucault, lecteur de Deleuze: De l’écart à la différence«, in: Critique, Nr. 591-592, August-September 1996, S. 727-735; sowie die Beiträge in: Foucault and Deleuze, Foucault Studies, Sonderheft, April 2014, Nr. 17 (Sammelband zur Konferenz: »Between Deleuze and Foucault«, Purdue University, 2012). Jüngst erschienen ist: Morar, Nicolae; Nail, Thomas und Smith, Daniel W. (Hg.): Between Deleuze und Foucault, Edinburgh 2016.

Weiterhin sind folgende Passagen in den Biografien aufschlussreich: Eribon, Didier: Michel Foucault. Eine Biographie, übers. von Hans-Horst Henschen, Frankfurt a.M. 1991, insb. der dritte Teil »Politischer Aktivist und Professor am Collège de France«, S. 285-481, vor allem S. 360ff., S. 407-416, S. 438ff.; Macey, David: The Lives of Michel Foucault, London 1993, S. 152ff.; Marks, John: »Foucault«, in: ders.: Deleuze. Vitalism and Multiplicity, London 1998, S. 108-122; Dosse, François: Intersecting Lives. Gilles Deleuze and Félix Guattari, übers. von Deborah Glassman, New York 2011, insbesondere das Kapitel »Deleuze and Foucault. A Philosophical Friendship«, S. 306-330.

2 | Hierzu Foucault: »Man frage mich nicht, wer ich bin, und man sage mir nicht, ich solle der gleiche bleiben.« Foucault, Michel: Archäologie des Wissens [L’Archéologie du savoir, 1969], übers. von Ulrich Köppen, Frankfurt a.M. 1981, S. 30; Klossowski, Pierre: »Digression à partir d’un portrait apocryphe«, in: L’Arc, Nr. 49, 1972, S. 11; für den Verweis auf Klossowski in diesem Zusammenhang vgl. auch das Kapitel von Marks: Deleuze. Vitalism and Multiplicity, a.a.O., S. 108.

3 | Deleuze zitierte hier eine längere Passage aus Foucaults Der Gebrauch der Lüste, a.a.O., S. 15f. Vgl. auch Eribon: Michel Foucault, a.a.O., S. 536f.

4 | Hierzu und zu den folgenden Ausführungen vgl. z.B. Eribon: Foucault, a.a.O., S. 371ff; Marks: Gilles Deleuze. Vitalism and Multiplicity, a.a.O., S. 109f.

5 | Foucault unterzeichnete eine Petition, die Deutschland als »Polizeidiktatur« bezeichnete, nicht. Vgl. Eribon: Michel Foucault, a.a.O., S. 372f. Ebenfalls dazu: Defert, Daniel: »Zeittafel«, übers. von Michael Bischoff, in: Foucault, Michel: Schriften in vier Bänden. Dits et Écrits, hg. von Daniel Defert und François Ewald, Mitarbeit von Jacques Lagrange, Bd. 1: 1954-1969, Frankfurt a.M. 2001, S. 15-105, hier S. 20f., S. 23, S. 30. Siehe weiterhin Foucaults Berichte: Foucault, Michel: »Wird Klaus Croissant ausgeliefert?« [»Va-t-on extrader Klaus Croissant?«, 1977]«, übers. von Michael Bischoff, in: ders.: Schriften in vier Bänden. Dits et Écrits, hg. von Daniel Defert und François Ewald, Mitarbeit von Jacques Lagrange, Bd. 3: 1976-1979, Frankfurt a.M. 2003, Nr. 210, S. 468-474, hier S. 469 und S. 472. Zu Foucaults Erfahrungen mit der Polizei in Deutschland während seines Berlinaufenthalts siehe weiterhin Felsch, Philipp: »Foucault und die Terroristen«, in: ders.: Der lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte 1960-1990, München 2015, S. 135-148, hier S. 145-146; Foucault, Michel: »Wir fühlten uns als schmutzige Spezie« [»Nous nous sommes sentis comme une sale espèce«, 1977], übers. von Jürgen Schröder, in: ders.: Schriften in vier Bänden, Bd. 3, a.a.O., Nr. 217, S. 534-538.

6 | Ebenso wird häufig die unterschiedliche Haltung gegenüber der Gruppe der Neuen Philosophen, denen Foucault kurzzeitig angehörte, für das Auseinanderdriften von Deleuze und Foucault angeführt. Vgl. Eribon: Michel Foucault, a.a.O., S. 372-373; Marks: Gilles Deleuze. Vitalism and Multiplicity, a.a.O., S. 110.

7 | Eribon: Michel Foucault, a.a.O., S. 375.

8 | Marks: Gilles Deleuze. Vitalism and Multiplicity